Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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11.11.2012 Aufrufe

Normen in keiner Satzung schriftlich fixiert. 95 Auch gibt es keine formellen Kontroll- und Sanktionsinstitutionen. Die einzelnen Regeln können an dieser Stelle aufgrund ihrer Vielfalt nicht aufgezählt werden. Einige sollen aber der Anschaulichkeit wegen erwähnt sein. So ist z.B. das Schlagen auf be- stimmte, besonders verletzungsträchtige Körperteile (z.B. Nieren, Hoden) genauso untersagt wie das unsachgemäße Anbringen von Nadeln oder den zu eng gebundenen Stricken bei Bon- dage-Praktiken, so dass die Durchblutung unterbrochen wird. In fast allen Arrangements wird zudem ein sogenannter ‚Stop-Code’ vereinbart. Er ist gleichsam das Sicherungsnetz der ‚Ak- robaten’. Hierbei kann es sich um ein bestimmtes Wort handeln, wobei meistens ein Begriff aus nichtsadomasochistischen Kontexten gewählt wird, um eine versehentliche Verwendung auszuschließen. Vor allem in Situationen, in denen sich die passive Person nicht artikulieren kann, etwa wegen einer Maske, wird ein bestimmtes Zeichen z.B. mit den Händen als Stop- code benutzt. Generell dient diese Sicherheitsvorkehrung zum Schutz des passiven Akteurs. Während die ‘Flehrufe, Bitten und Klagen’ des Masochisten, z.B. während einer Flagellation, den dominierenden Partner dazu animieren sollen, mehr zu wagen, bedeutet die Verwendung des Stop-Codes das Ende der Handlung. Die Respektierung der Stopzeichen ist neben der Freiwilligkeitsdoktrin eine der wichtigsten Szene-Regeln. Nur wenige Sadomasochisten ver- zichten auf den Stopcode. Für sie wäre seine Verwendung eine Beschneidung der Erlebnis- möglichkeiten von SM, denn eine gewisse Risikolust ‘bringt noch mehr Kicks’. Allerdings werden solche Arrangements ohne Netz in der Regel nur unter Personen getroffen, die sich sehr vertraut sind. Fritz: Für alle Fälle muss mit dem Meister bzw. der Meisterin ein Codex vereinbart sein, der ein Beendigen einer Sitzung ermöglicht. Das kann ein bestimmtes Wort sein, das auch eingehalten werden sollte, jedoch nur wenn offensichtlich eine Notlage entstanden ist, die gefährlich ist (34 Jahre, M, heterosexuell). Hubertus: Regeln, die vorher aufgestellt wurden, sollten für alle Beteiligten absolut verbindlich sein. Natürlich ist das Theorie. Wenn ein Part das Gefühl hat, sein Gegenüber gibt zu erkennen, dass die vorher aufgestellten Regeln hinfällig sein sollen - why not? Jedenfalls halte ich es für angebracht und vernünftig, vorher halbwegs zu klären, innerhalb welches Rahmens sich Aktionen bewegen können und was definitiv nicht geht, ohne dass vorher noch einmal definitiv nachgefragt wird (33 Jahre, S, heterosexuell). 95 In den letzten Jahren finden sich vereinzelt Versuche, Sicherheitsregeln zu verschriftlichen und allen Interessierten zugänglich zu machen. So ist z.B. das ‚Safety Manual’ von P. Califia (1984) mit dieser Intention für lesbische Sadomasochistinnen geschrieben worden. 154

Diana: Wenn ich nicht das Gefühl habe, mit ihm machen zu können, was ich will und er das mir überlässt, ist das für mich keine akzeptable SM-Beziehung. Wenn mir gegenüber aber jemand zum Ausdruck bringt, dass er es nicht mehr akzeptiert, kann ich deswegen aber nicht ausrasten, sondern muss aufhören. Die Regeln bestimmt halt der passive Part und sie sind verbindlich. Als aktiver Part habe ich dafür die Entscheidung, ob ich mit dem Typ überhaupt was anfangen will, wenn er mir zu viele Regeln auftischt (24 Jahre, S, heterosexuell). Dietmar: Ich kenne das nur so, dass man vorher ein Codewort vereinbart, damit man als Aktiver weiß, wann Schluss ist. Also wenn der Sadist weitergehen würde, als der Masochist will, im tiefsten Seelengrunde wäre die SM-Nummer zu Ende. In dem Moment, wo du weiter gehen würdest, würde die Geilheit aufhören. Dann würde die Lust zu Schmerz (37 Jahre, S, schwul). Lina: Ich verabrede mit meinen Freundinnen immer vorher, wann Schluss ist. Das ist ganz wichtig. Und das Stopwort musst du kennen und sofort drauf reagieren. Oder du kennst dich so gut und weißt: ‚Aha, wenn sie jetzt das Stopwort sagt, dann möchte sie gern noch eine Sekunde mehr’, aber dann musst du dich wahnsinnig gut kennen (33 Jahre, S/M, lesbisch). Wer solche Regeln nicht befolgt und das Stopzeichen oder gar das Freiwilligkeitsgebot ver- letzt, kann - sofern es bekannt wird - in der Szene geächtet werden: Wer einmal die Kontrolle verloren hat, dem wird es vielleicht nachgesehen, wer immer die Kontrolle verliert, wird aus Treffen, Partys und anderen Veranstaltungen ausgeschlossen. Deshalb ist eine der wichtigsten Regeln für die aktive Person, dass sie immer ein recht hohes Selbstkontrollniveau haben muss und sich auch in ekstatischen Zuständen nie völlig gehen lassen kann (vgl. Kap. III.1.6.1). Die Einhaltung dieser Regeln kann aber nur ansatzweise kontrolliert werden: So gibt es auf den zahlreichen Partys fast immer eine Person, ‘die die Augen aufhält, sich ein bisschen umschaut und darauf achtet, dass nichts Ernstes passiert’. Wird eine Aktion zu drastisch, so schreiten die anderen ein. Im Bereich der Zweierbeziehungen bestehen diese Kontrollmöglichkeiten nicht. Hier muss das Vertrauen darüber entscheiden, wie weit sich der einzelne auf die SM- Aktion einlässt. Findet die Begegnung mit einer fremden Person statt, werden häufig bei Freunden Adressen und Telefonnummer hinterlegt. Ist nach einem bestimmten Zeitraum kei- ne Rückmeldung erfolgt, wird Alarm geschlagen: Die Bekannten rufen unter der entsprechen- den Nummer an oder fahren auch zu der Adresse hin, um zu kontrollieren, ob alles in Ord- nung ist. Wird die Situation als gefährlich eingeschätzt, alarmiert man die Polizei. Dieses Regel- und Kontrollsystem ist in SM-Gruppen unerlässlich. Eine völlig anomische Situation wäre gefährlich, weil nicht selten körperliche und psychische Grenzen berührt wer- den. Deshalb beziehen sich viele Regeln im weitesten Sinne auf die Unversehrtheit des Maso- 155

Normen in keiner Satzung schriftlich fixiert. 95 Auch gibt es keine formellen Kontroll- <strong>und</strong><br />

Sanktionsinstitutionen.<br />

Die einzelnen Regeln können an dieser Stelle aufgr<strong>und</strong> ihrer Vielfalt nicht aufgezählt wer<strong>de</strong>n.<br />

Einige sollen aber <strong>de</strong>r Anschaulichkeit wegen erwähnt sein. So ist z.B. das Schlagen auf be-<br />

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wie das unsachgemäße Anbringen <strong>von</strong> Na<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n zu eng geb<strong>und</strong>enen Stricken bei Bon-<br />

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robaten’. Hierbei kann es sich um ein best<strong>im</strong>mtes Wort han<strong>de</strong>ln, wobei meistens ein Begriff<br />

aus nichtsadomasochistischen <strong>Kontext</strong>en gewählt wird, um eine versehentliche Verwendung<br />

auszuschließen. Vor allem in Situationen, in <strong>de</strong>nen sich die passive Person nicht artikulieren<br />

kann, etwa wegen einer Maske, wird ein best<strong>im</strong>mtes Zeichen z.B. mit <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n als Stop-<br />

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Während die ‘Flehrufe, Bitten <strong>und</strong> Klagen’ <strong>de</strong>s Masochisten, z.B. während einer Flagellation,<br />

<strong>de</strong>n dominieren<strong>de</strong>n Partner dazu an<strong>im</strong>ieren sollen, mehr zu wagen, be<strong>de</strong>utet die Verwendung<br />

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Freiwilligkeitsdoktrin eine <strong>de</strong>r wichtigsten Szene-Regeln. Nur wenige Sadomasochisten ver-<br />

zichten auf <strong>de</strong>n Stopco<strong>de</strong>. Für sie wäre seine Verwendung eine Beschneidung <strong>de</strong>r Erlebnis-<br />

möglichkeiten <strong>von</strong> SM, <strong>de</strong>nn eine gewisse Risikolust ‘bringt noch mehr Kicks’. Allerdings<br />

wer<strong>de</strong>n solche Arrangements ohne Netz in <strong>de</strong>r Regel nur unter Personen getroffen, die sich<br />

sehr vertraut sind.<br />

Fritz: Für alle Fälle muss mit <strong>de</strong>m Meister bzw. <strong>de</strong>r Meisterin ein Co<strong>de</strong>x vereinbart<br />

sein, <strong>de</strong>r ein Beendigen einer Sitzung ermöglicht. Das kann ein best<strong>im</strong>mtes<br />

Wort sein, das auch eingehalten wer<strong>de</strong>n sollte, jedoch nur wenn offensichtlich eine<br />

Notlage entstan<strong>de</strong>n ist, die gefährlich ist (34 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Hubertus: Regeln, die vorher aufgestellt wur<strong>de</strong>n, sollten für alle Beteiligten absolut<br />

verbindlich sein. Natürlich ist das Theorie. Wenn ein Part das Gefühl hat, sein<br />

Gegenüber gibt zu erkennen, dass die vorher aufgestellten Regeln hinfällig sein<br />

sollen - why not? Je<strong>de</strong>nfalls halte ich es für angebracht <strong>und</strong> vernünftig, vorher<br />

halbwegs zu klären, innerhalb welches Rahmens sich Aktionen bewegen können<br />

<strong>und</strong> was <strong>de</strong>finitiv nicht geht, ohne dass vorher noch einmal <strong>de</strong>finitiv nachgefragt<br />

wird (33 Jahre, S, heterosexuell).<br />

95 In <strong>de</strong>n letzten Jahren fin<strong>de</strong>n sich vereinzelt Versuche, Sicherheitsregeln zu verschriftlichen <strong>und</strong> allen Interessierten<br />

zugänglich zu machen. So ist z.B. das ‚Safety Manual’ <strong>von</strong> P. Califia (1984) mit dieser Intention für<br />

lesbische Sadomasochistinnen geschrieben wor<strong>de</strong>n.<br />

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