Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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11.11.2012 Aufrufe

ne Erfahrung (z.B. als angenehm erlebter Kältereiz bei der Vorstellung sich in der Wüste zu befinden) oder die imaginative Transformation des Kontextes (z.B. sich in einer vorgestellten Szene befinden, in der der Schmerz eine andere Bedeutung gewinnt)“ als effektive Schmerz- reduktionsstrategien. Die Aufladung des SM-Rituals durch sexuelle Reize könnte ein ver- gleichbarer Mechanismus sein. Schmerz wird dadurch nicht nur erträglich, sondern bekommt möglicherweise eine andere subjektive Bedeutung, nämlich die des Lustgefühls oder wird zu einer gänzlich anderen Gefühlsqualität, wie Pöppel (1982, S. 244) es formuliert: „Vielleicht ist die Ekstase, wie sie durch extreme Situationen ausgelöst wird, jener Zustand, in dem größ- te Lust und tiefster Schmerz sich vereinen und durch ihre Integration eine neue Erlebnisqua- lität entstehen lassen.“ Der Ekel Ganz allgemein formuliert ist der Ekel ein unlustbetontes Gefühl des Widerwillens, das ge- genüber bestimmten Reizen aufgebaut wird. Ekel kann sich auf Objekte wie z.B. Speisen, Getränke oder Ausscheidungen oder aber auf Menschen, beziehungsweise auf bestimmte menschliche Verhaltensformen beziehen. In den Interviews, die wir mit Sadomasochisten geführt haben, wurde die Frage nach Ekelerlebnissen immer auf Praktiken bezogen, die sich um Exkremente drehen. Ihre Thematisierung löste zumeist Verlegenheit und Ausweichreakti- onen aus. Während die einzelnen Personen sehr offen über ihre übrigen SM-Erfahrungen sprechen konnten, ließ die Gesprächsbereitschaft bei dieser Frage merklich nach. Die wenigen Antworten hierzu erreichten uns in der Mehrzahl auf schriftlichem Weg. Ohne darauf einzugehen, woher die einzelnen Aversionen stammen, und welche Ursachen für sie verantwortlich gemacht werden müssen, haben die Gesprächs- und Interviewpartner von ganz unterschiedlichen Ekelformen berichtet. Heterosexuelle Männer berichteten von Ekelge- fühlen, wenn sie sich sexuelle Kontakte mit einem anderen Mann vorstellten. Sie gaben an, solche Handlungen nur unter dem entschiedensten Druck einer dominanten Frau ausüben zu können. Aber selbst dann wird z.B. der ‚Befehl’, einen anderen Mann zu stimulieren, nur mit Widerwillen oder überhaupt nicht ausgeübt. Franz-Joseph: Ich könnte mich schütteln vor Ekel, wenn ich mir vorstelle, es mit einem Mann machen zu müssen. Also ein Mann ist für mich absolut tabu. Das ist nur Ekel. Ich kann das nicht erklären. Ich kenne einige Homosexuelle und komme mit ihnen sehr gut aus. Wenn ich mir aber vorstelle, ich müsste einen Schwanz in den Mund nehmen oder jemandem die Eier ablecken oder einen Mann in den Arsch ficken, dann bin ich schon dicht am Kotzen. (...) Eine Domina hat das einmal von mir verlangt und da habe ich alle Kontakte zu ihr abgebrochen. Das ist 146

noch nicht einmal für eine ansonsten verehrungswürdige Frau möglich (56 Jahre, M, heterosexuell). Andere Personen vermeiden hingegen jegliche orale oder anale Praktiken. Manche Frauen haben einen unüberwindbaren Ekel vor Sperma. Gemeinsam ist diesen Aversionen, dass sie - sofern sie dem dominanten Partner bekannt sind - als Anknüpfungspunkt für Unterwerfungs- rituale genutzt werden. Die Reaktionen der Betroffenen auf diese Reize werden übereinstim- mend als körperlicher Widerwille - unter Umständen mit Brechreiz verbunden - beschrieben, also ein Verhalten, wie es universell bei Ekelsituationen vorkommt. 90 Ekelreaktionen zeigten sich bei den Befragten insgesamt am deutlichsten in Bezug auf Exkremente. Diese Form des Ekelerlebens ist vornehmlich auf die passive Rolle beschränkt. Zwar haben von uns befragte S-Personen auch vom Ekel gegenüber bestimmten Praktiken gesprochen, sie sind aber den entsprechenden Situationen nicht so direkt ausgesetzt, weil sie aufgrund ihres Status größere Entscheidungsfreiheiten haben. Sicherlich können auch die Masochisten Praktiken mit Ex- krementen aus ihrem SM-Spektrum ausklammern, manche von ihnen suchen aber gerade - entsprechend einem radikalen Rollenverständnis - die Überschreitung dieser Grenzen, die nachgerade als signifikantester Beleg für eine devote Haltung erbracht wird: Egmont: In der Phantasie werde ich gerne zu bestimmten Praktiken gezwungen. In der Wirklichkeit ist es aber die Hölle für mich. Natursekt, Kaviar und homosexuelle Handlungen sind mir zutiefst zuwider. Was an diesen Praktiken so abstoßend ist, kann ich nicht sagen, aber es ist eben abstoßend. (...) Genauso finde ich orale Praktiken ekelhaft. Ich würde einer Frau niemals freiwillig orale Dienste tun (52 Jahre, M, heterosexuell). Nikolaus: Dann verlangte sie von mir, in eine unausgewaschene Urinflasche zu urinieren, um dann mein eigenes Zeug zu trinken. Aber ich war kurz zuvor auf der Toilette gewesen, und außerdem verwehrte die Aussicht auf das Kommende schon rein psychisch den Harnstrahl. ‚Dann werde ich es dir halt mit dem Katheter holen!’ brüllte sie mich an. Da ich aber soeben eine Prostataoperation hinter mir hatte, bat ich sie, flehte sie an, zu hören, dass der Arzt gesagt hatte: ‚Katheter nur im Krankenhaus setzen lassen’. Sie akzeptierte diese wahrheitsgemäße Ausrede und brüllte mich an: ‚Ich habe auch noch andere Mittel du Schwein’. Und ich musste hinter ihr herkriechen durch den Flur, zu einem Raum, dessen Tür sie öff- 90 Ekelreize lösen in allen Kulturen die gleichen Reaktionsmuster aus. Die evolutionstheoretische Erklärung könnte hierfür eine Begründung liefern: "Wenn uns etwas anekelt, möchten wir es beseitigen oder in einer Weise verändern, daß es nicht länger ekelerregend ist. In der Evolution hat Ekel wahrscheinlich dabei geholfen, Organismen zu motivieren, die Umwelt ausreichend hygienisch zu erhalten und sie davon abzuhalten, verdorbene Nahrung zu essen und verschmutztes Wasser zu trinken. Ekel ist kein perfekter Detektor von gefährlicher Verunreinigung, aber er hilft. Ferner spielt Ekel wahrscheinlich eine Rolle bei der Erhaltung der körperlichen Hygiene" (Izard 1981, S. 376f). Die Auslöser für Ekelreaktionen sind aber kulturell codiert und variieren im interkulturellen Vergleich beträchtlich. 147

ne Erfahrung (z.B. als angenehm erlebter Kältereiz bei <strong>de</strong>r Vorstellung sich in <strong>de</strong>r Wüste zu<br />

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Szene befin<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schmerz eine an<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung gewinnt)“ als effektive Schmerz-<br />

reduktionsstrategien. Die Aufladung <strong>de</strong>s SM-Rituals durch sexuelle Reize könnte ein ver-<br />

gleichbarer Mechanismus sein. Schmerz wird dadurch nicht nur erträglich, son<strong>de</strong>rn bekommt<br />

möglicherweise eine an<strong>de</strong>re subjektive Be<strong>de</strong>utung, nämlich die <strong>de</strong>s Lustgefühls o<strong>de</strong>r wird zu<br />

einer gänzlich an<strong>de</strong>ren Gefühlsqualität, wie Pöppel (1982, S. 244) es formuliert: „Vielleicht<br />

ist die Ekstase, wie sie durch extreme Situationen ausgelöst wird, jener Zustand, in <strong>de</strong>m größ-<br />

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lität entstehen lassen.“<br />

Der Ekel<br />

Ganz allgemein formuliert ist <strong>de</strong>r Ekel ein unlustbetontes Gefühl <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rwillens, das ge-<br />

genüber best<strong>im</strong>mten Reizen aufgebaut wird. Ekel kann sich auf Objekte wie z.B. Speisen,<br />

Getränke o<strong>de</strong>r Ausscheidungen o<strong>de</strong>r aber auf Menschen, beziehungsweise auf best<strong>im</strong>mte<br />

menschliche Verhaltensformen beziehen. In <strong>de</strong>n Interviews, die wir mit Sadomasochisten<br />

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um Exkremente drehen. Ihre Thematisierung löste zumeist Verlegenheit <strong>und</strong> Ausweichreakti-<br />

onen aus. Während die einzelnen Personen sehr offen über ihre übrigen SM-Erfahrungen<br />

sprechen konnten, ließ die Gesprächsbereitschaft bei dieser Frage merklich nach. Die wenigen<br />

Antworten hierzu erreichten uns in <strong>de</strong>r Mehrzahl auf schriftlichem Weg.<br />

Ohne darauf einzugehen, woher die einzelnen Aversionen stammen, <strong>und</strong> welche Ursachen für<br />

sie verantwortlich gemacht wer<strong>de</strong>n müssen, haben die Gesprächs- <strong>und</strong> Interviewpartner <strong>von</strong><br />

ganz unterschiedlichen Ekelformen berichtet. Heterosexuelle Männer berichteten <strong>von</strong> Ekelge-<br />

fühlen, wenn sie sich sexuelle Kontakte mit einem an<strong>de</strong>ren Mann vorstellten. Sie gaben an,<br />

solche Handlungen nur unter <strong>de</strong>m entschie<strong>de</strong>nsten Druck einer dominanten Frau ausüben zu<br />

können. Aber selbst dann wird z.B. <strong>de</strong>r ‚Befehl’, einen an<strong>de</strong>ren Mann zu st<strong>im</strong>ulieren, nur mit<br />

Wi<strong>de</strong>rwillen o<strong>de</strong>r überhaupt nicht ausgeübt.<br />

Franz-Joseph: Ich könnte mich schütteln vor Ekel, wenn ich mir vorstelle, es mit<br />

einem Mann machen zu müssen. Also ein Mann ist für mich absolut tabu. Das ist<br />

nur Ekel. Ich kann das nicht erklären. Ich kenne einige Homosexuelle <strong>und</strong> komme<br />

mit ihnen sehr gut aus. Wenn ich mir aber vorstelle, ich müsste einen Schwanz in<br />

<strong>de</strong>n M<strong>und</strong> nehmen o<strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>m die Eier ablecken o<strong>de</strong>r einen Mann in <strong>de</strong>n<br />

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