Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
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vorziehen.“ Ob das Phänomen <strong>de</strong>s Masochismus auf diese einfache Aussage reduzierbar ist,<br />
scheint mehr als fraglich, <strong>de</strong>nn die Interviews verweisen hier auf weitaus komplexere Erleb-<br />
nisformen. Die Schlüsselfaszination für die passive Person resultiert maßgeblich aus <strong>de</strong>m Ge-<br />
fühl <strong>de</strong>s ‘Sich-fallen-lassen-könnens’, in<strong>de</strong>m die alltägliche Selbstkontrolle außer Kraft ge-<br />
setzt wird. Der Masochist liefert sich einer Situation aus, die ihm sämtliche Gestaltungsoptio-<br />
nen entzieht. Er ist Teil <strong>de</strong>s Regie-Spiels <strong>de</strong>s aktiven Partners. Nicht die Alltagskonventionen,<br />
son<strong>de</strong>rn das Gehorsamkeitsverlangen sind handlungsleitend. Wenn die dominante Frau <strong>de</strong>n<br />
Sklaven vor einem Publikum zur Masturbation auffor<strong>de</strong>rt, gelten we<strong>de</strong>r die Regeln <strong>de</strong>s All-<br />
tags noch individuelle Schamgefühle, die solche Handlungen normalerweise in verborgene<br />
Bereiche abdrängen. Der Masochist wird dadurch - unabhängig da<strong>von</strong>, wie ‚pervers’ <strong>und</strong><br />
‚abweichend’ sein Verhalten auch sein mag - <strong>von</strong> Rechtfertigungszwängen entlastet. Er hat<br />
keine Schuld an <strong>de</strong>m, was er tut, <strong>und</strong> er muss auch keine Schamgefühle <strong>de</strong>swegen haben,<br />
schließlich ist alles vorgeschrieben <strong>und</strong> befohlen wor<strong>de</strong>n.<br />
Gudrun: Es ist diese Sehnsucht, mich fallen zu lassen o<strong>de</strong>r kontrolliert zu wer<strong>de</strong>n.<br />
O<strong>de</strong>r aufzuhören, Selbstkontrolle über mich auszuüben. (...) Ich habe hinterher oft<br />
Gefühle <strong>von</strong> Erlösung <strong>und</strong> das ist, wie wenn alles <strong>von</strong> mir abgenommen wäre. (...)<br />
Das ist das Schöne daran. Es ist wie so eine Erlösung <strong>von</strong> <strong>de</strong>m, was man sonst<br />
<strong>im</strong>mer macht. O<strong>de</strong>r <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Leben, was ich unter meiner Kontrolle habe. Und<br />
Kontrolle zu haben, das ist ja <strong>im</strong>mer auch sehr anstrengend. In <strong>de</strong>m Moment, wo<br />
ich gefesselt bin, da muss ich alles auf mich zukommen lassen <strong>und</strong> ich kann überhaupt<br />
keine Abwehr aufbauen (30 Jahre, M, heterosexuell).<br />
Alfred: Eine wesentliche Komponente ist die Verlagerung <strong>de</strong>r Verantwortung für<br />
die eigene Person auf jemand an<strong>de</strong>res <strong>und</strong> dadurch die Auslösung eines Gefühls<br />
<strong>de</strong>s Wohlbefin<strong>de</strong>ns, <strong>de</strong>r Unbeschwertheit, die für mich fast Voraussetzung für das<br />
Erleben <strong>von</strong> Sexualität ist. Ich bin ansonsten <strong>im</strong>mer einer, <strong>de</strong>r sich nicht fallenlassen<br />
kann, ich kann nicht genug abschalten (37 Jahre, M, heterosexuell).<br />
Hans-Jörg: Wenn ich splitternackt o<strong>de</strong>r gefesselt da vorgeführt wer<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r unter<br />
vier Augen, das ist egal, dann ist das schrecklich aufregend. Wenn ich dann festgeb<strong>und</strong>en<br />
bin, liegt die Befreiung eigentlich darin, dass ich nicht mehr verantwortlich<br />
bin für das, was ich da mache, ich wer<strong>de</strong> ja gezwungen dazu. Und ich bin<br />
gänzlich frei, <strong>de</strong>nn ich tue ja nichts böses, ich wer<strong>de</strong> ja gezwungen das zu tun. Ich<br />
habe kein schlechtes Gewissen, <strong>im</strong> Gegenteil, ich bin befreit, losgelöst <strong>und</strong> ruhig<br />
(57 Jahre, M, heterosexuell).<br />
Anne: Wenn ich gefesselt bin <strong>und</strong> meine Augen verb<strong>und</strong>en sind, habe ich nur<br />
noch die Möglichkeit zu fühlen, zu hören, zu riechen, zu schmecken. Dadurch,<br />
dass ich nicht mit <strong>de</strong>n Augen erleben o<strong>de</strong>r vorhersehen kann was passiert, wirkt<br />
alles viel erregen<strong>de</strong>r. Ich bin dann <strong>de</strong>r Partnerin vollkommen ausgeliefert <strong>und</strong> das<br />
gefällt mir. (...) SM erleichtert das Loslassen, spielt <strong>de</strong>m Kopf Streiche, in<strong>de</strong>m es<br />
mir das Gefühl gibt, keine an<strong>de</strong>re Chance zu haben, als mich hinzugeben (23 Jahre,<br />
S/M, lesbisch).<br />
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