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Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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Helga: Mein Herr hatte einmal Besuch <strong>von</strong> einer an<strong>de</strong>ren Frau, <strong>und</strong> ich musste<br />

dabei sein. Das war folgen<strong>de</strong>rmaßen: Die bei<strong>de</strong>n haben sich auf <strong>de</strong>m Sofa vergnügt,<br />

<strong>und</strong> ich musste Getränke servieren. Ich musste sie aber nicht nur bringen,<br />

ich musste mich auch hinknien <strong>und</strong> als Tisch dienen. Wenn sie dann getrunken<br />

hatten, haben sie die Gläser auf meinem Rücken abgestellt <strong>und</strong> sie durften nicht<br />

umfallen. Dann hat mein Herr mit dieser Frau geschlafen. Als sie fertig waren,<br />

musste ich Aschenbecher <strong>und</strong> Zigaretten besorgen <strong>und</strong> dann wie<strong>de</strong>r Tisch sein.<br />

Sie haben geraucht <strong>und</strong> die Füße auf meinen Rücken gelegt (34 Jahre, M., heterosexuell).<br />

Die Benutzung <strong>und</strong> Verdinglichung <strong>de</strong>s Sklaven als Tisch o<strong>de</strong>r als Fußabtreter ist eine <strong>de</strong>r<br />

tiefgreifendsten Demütigungsformen. 79 Mit ihr geht eine temporäre ‚Ent-I<strong>de</strong>ntifizierung’ (vgl.<br />

Strauss 1968) einher, die durch das Tragen <strong>von</strong> Masken noch zusätzlich akzentuiert wer<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

Goffman (1986) zeigt, dass alltägliche Umgangsformen durch ein beträchtliches Maß an ri-<br />

tualisierten Handlungen geprägt wer<strong>de</strong>n. So sind best<strong>im</strong>mte ‚Zuvorkommensheitsrituale’<br />

(z.B. Respektbezeugungen bei Begrüßungen) <strong>und</strong> ‚Vermeidungsrituale’ (z.B. das Ansprechen<br />

<strong>von</strong> Personen mit <strong>de</strong>m Nachnamen als Zeichen <strong>de</strong>r Respektierung <strong>von</strong> sozialer Distanz) ty-<br />

pisch für die Interaktion mit an<strong>de</strong>ren Menschen. Die meisten dieser Rituale sind Handlungs-<br />

orientierungen, die während <strong>de</strong>s sozialen Kontakts mit an<strong>de</strong>ren nicht reflektiert wer<strong>de</strong>n. Sie<br />

bleiben zumeist in einer Art halb-bewusstem Zustand <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>re bei Situatio-<br />

nen verwen<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>nen Verhaltensunsicherheiten auftauchen können. Diese Rituale dienen<br />

also letztlich dazu, die Erwartbarkeit <strong>von</strong> Handlungen sicherzustellen <strong>und</strong> gleichzeitig die<br />

„i<strong>de</strong>elle Sphäre“ (S<strong>im</strong>mel 1908/1968, S. 265) vor <strong>de</strong>m ‚unbefugten’ Eindringen frem<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r<br />

unerwünschter Personen zu schützen. Zur Respektierung dieser Persönlichkeitssphäre zählt<br />

z.B. die Berücksichtigung <strong>und</strong> Achtung <strong>de</strong>r individuellen Schamgrenzen o<strong>de</strong>r auch best<strong>im</strong>mte<br />

Formen <strong>de</strong>r Ehrerbietung.<br />

79 Die Vorstellung, Menschen als Gegenstän<strong>de</strong> zu nutzen, taucht auch in einigen Werken <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong>s auf. So etwa<br />

die Folgen<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Roman Juliette: "Sie sehen, daß dieser Tisch, diese Lüster, diese Sessel, nur aus Mädchengruppen<br />

bestehen, die kunstvoll arrangiert sind. Meine Gerichte wer<strong>de</strong>n ganz heiß auf die Hüften dieser<br />

Geschöpfe gestellt, meine Kerzen stecken in ihren Votzen, <strong>und</strong> mein Hintern wird, wenn er sich in <strong>de</strong>n Sessel<br />

nie<strong>de</strong>rläßt, genauso wie <strong>de</strong>r Ihre, <strong>von</strong> <strong>de</strong>n weichen Gesichtern o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n weißen Brüsten dieser Mädchen gestützt<br />

wer<strong>de</strong>n. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen, ihre Röcke hochzuheben <strong>und</strong> Sie, meine Herren, ihre Hosen<br />

herunterzuziehen, damit nach <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, das Fleisch auf <strong>de</strong>m Fleisch ruhen kann.<br />

(...) Zwölf Mädchen <strong>im</strong> Alter <strong>von</strong> zwanzig bis fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahren servierten <strong>und</strong> die Schüsseln auf <strong>de</strong>n<br />

leben<strong>de</strong>n Tischen <strong>und</strong> da sie aus Silber <strong>und</strong> sehr heiß waren <strong>und</strong> die Hintern <strong>und</strong> Brüste <strong>de</strong>r Geschöpfe, die<br />

diese Tische bil<strong>de</strong>ten, verbrannten, entstand eine sehr lustige zucken<strong>de</strong> Bewegung, die <strong>de</strong>m Rollen <strong>de</strong>r Meereswogen<br />

glich. Mehr als zwanzig Vorgerichte o<strong>de</strong>r Fleischplatten garnierten <strong>de</strong>n Tisch <strong>und</strong> auf Beistelltischchen,<br />

die jeweils aus vier Mädchen gebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die sich auf das kleinste Zeichen hin näherten,<br />

wur<strong>de</strong>n Weine je<strong>de</strong>r Art bereitgestellt" (<strong>de</strong> Sa<strong>de</strong>, Die Geschichte <strong>de</strong>r Juliette, zit. nach <strong>de</strong>r Ausgabe hrsg. <strong>von</strong><br />

M. Luckow: Marquis <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong>, Ausgewählte Werke (Bd. 5). Frankfurt/M. 1972, S. 122/123).<br />

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