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Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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chen<strong>de</strong>n Sprachgebrauchs generell) miteinan<strong>de</strong>r verwoben. So ist z.B. das Sprachverhalten in<br />

<strong>de</strong>r Pornographie ein spezifisches ästhetisches Ritual, das - genau wie die tatsächliche Insze-<br />

nierung mancher Sexualitätsformen auch - die Geschmackskonventionen <strong>de</strong>s Alltags zu zer-<br />

schlagen versucht. Wer die pornographische Sprache als bloßen Vulgarismus o<strong>de</strong>r als Folge<br />

<strong>de</strong>r Männerlastigkeit <strong>de</strong>r Gesellschaft abtut, <strong>de</strong>r verkennt, dass in <strong>de</strong>r Sexualität eigene Ästhe-<br />

tiken <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utungen etabliert wor<strong>de</strong>n sind. Sie wer<strong>de</strong>n auch über die Szenegrenzen hinweg<br />

kultiviert. Die Negativ-Ästhetik dient als Distinktionsmittel gegenüber <strong>de</strong>r mehrheitlichen<br />

Kultur <strong>de</strong>r ‚Anständigkeit’. 70<br />

Diese abweichen<strong>de</strong>n Formsprachen sind aber kein Spezifikum <strong>de</strong>r Pornographie. Sie sind<br />

vielmehr in eine lange Tradition ‚abweichen<strong>de</strong>r Ästhetik’ eingebettet. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Marquis <strong>de</strong><br />

Sa<strong>de</strong> verwen<strong>de</strong>t für die Beschreibung seiner fiktiven Orgien eine Sprache, die jenseits aller<br />

Normen steht. Die stilistischen Mittel - etwa die pornographische Direktheit <strong>de</strong>r Szenen o<strong>de</strong>r<br />

die Akribie <strong>de</strong>r Beschreibung <strong>von</strong> ‚Perversionen’, Sexualität <strong>und</strong> Gewalt - sind eine provo-<br />

kante Abweichung <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Geschmacksnormen <strong>de</strong>r Mehrheit. 71<br />

b) Flagellation<br />

Die religiöse, kultische <strong>und</strong> juristische Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Flagellantismus ist vielfach dokumen-<br />

tiert 72 <strong>und</strong> zu erklären versucht wor<strong>de</strong>n. 73 Auf diese Aspekte soll an dieser Stelle nicht weiter<br />

eingegangen wer<strong>de</strong>n. Vielmehr möchte ich mich auf die sexuelle Seite <strong>de</strong>r Flagellation be-<br />

70 Zur Ikonographie <strong>und</strong> Semantik <strong>de</strong>s pornographischen Genres vgl. Eckert (u.a. 1990).<br />

71 Die etymologische Rückführung <strong>de</strong>s Begriffs Sadismus auf <strong>de</strong>n umstrittenen Marquis <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong> verweist auf<br />

seine Be<strong>de</strong>utung für die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit diesem Bereich <strong>de</strong>r Sexualität. Sein Werk umfasst neben<br />

Romanen auch Geschichten, Re<strong>de</strong>n, Traktate, Theaterstücke, Fragmente <strong>und</strong> Briefe. Er beschreibt dort sämtliche<br />

Formen abweichen<strong>de</strong>r Sexualität, <strong>von</strong> inzestuösen Praktiken bis hin zu ritualisierten Menschenopfern.<br />

Seine Hauptpersonen (männliche <strong>und</strong> weibliche Libertins) lehnen alle moralischen <strong>und</strong> kulturellen Gebote<br />

ab. Und diese Negierung <strong>von</strong> Normen <strong>und</strong> Normbefolgung hebt <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m pornographischen Einerlei<br />

hervor. Böhme (1984, S. 185) schreibt dazu: „Sa<strong>de</strong>s Romane sind eher philosophische als pornographische.<br />

Unendlich, wie das Sperma <strong>de</strong>r Libertins, strömt auch <strong>de</strong>ren philosophischer Diskurs.“<br />

72 Vgl. Dalarun (1986); Hy<strong>de</strong> (1964); Leibbrand/Leibbrand (1972)<br />

73 Sehr oft wird dabei ein Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Restriktion <strong>und</strong> individueller Obsession<br />

hergestellt: "Als man aber das Triebleben durch ein ausgeklügeltes System <strong>von</strong> Schlägen, durch die obere<br />

<strong>und</strong> untere Disziplin, scheinbar wirksam unterdrückt <strong>und</strong> die sexuellen Anfechtungen augenscheinlich nie<strong>de</strong>rgekämpft<br />

hatte, möchte man die Schläge nicht mehr missen. Der Trieb, nun pervertiert, brach sich wie<strong>de</strong>r<br />

Bahn: die Flagellation ersetzte die nicht erlaubte Sexualität, wenigstens teilweise, wur<strong>de</strong> Selbstzweck, zum<br />

Akt an sich" (Farin 1991, S. 12). Systematisch ist <strong>de</strong>r englische Kulturhistoriker Steven Marcus (1979) diesen<br />

Fragen nachgegangen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Brown (1991) <strong>und</strong> Ussel<br />

(1977).<br />

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