Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
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Luhmann versteht Kommunikation als dreiteiligen Selektionsprozess, 65 wobei <strong>de</strong>r Absen<strong>de</strong>r<br />
in einer ersten Selektion eine Information aus <strong>de</strong>r Gesamtheit <strong>de</strong>r Möglichkeiten auswählt. In<br />
<strong>de</strong>r zweiten entschei<strong>de</strong>t er, wie die Information mitgeteilt wer<strong>de</strong>n soll. Die dritte Selektion<br />
erfolgt durch <strong>de</strong>n Empfänger, in<strong>de</strong>m er Information <strong>und</strong> Mitteilung trennt, was wie<strong>de</strong>rum die<br />
Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>s Verstehens ist. Das Verstehen wird durch Feedbacks an <strong>de</strong>n Sen<strong>de</strong>r zurückge-<br />
mel<strong>de</strong>t. Kommunikation ist also als gemeinsame Aktualisierung <strong>von</strong> Sinn zu begreifen, als die<br />
Synthese <strong>von</strong> Information, Mitteilung <strong>und</strong> Verstehen. Dabei ist Kommunikation nicht not-<br />
wendigerweise an verbale o<strong>de</strong>r schriftliche Formen geb<strong>und</strong>en. 66<br />
Im Falle <strong>de</strong>r nonverbalen SM-Kommunikation hat <strong>de</strong>r Absen<strong>de</strong>r eine zweifache Selektion<br />
getroffen, nämlich die Selektion <strong>de</strong>r Information (z.B. Ich bin Masochist) <strong>und</strong> die <strong>de</strong>r Mittei-<br />
lung (z.B. <strong>de</strong>r Ring am rechten Finger), also die Entscheidung darüber ob <strong>und</strong> wie die Infor-<br />
mation mitgeteilt wer<strong>de</strong>n soll. Aber erst wenn auch auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Empfangs eine Selektion<br />
getroffen wer<strong>de</strong>n kann, z.B. ‚Da ist ein Masochist, <strong>de</strong>r vielleicht einen Partner sucht’ o<strong>de</strong>r<br />
‚Sie ist die Herrin <strong>und</strong> ich <strong>de</strong>r Diener’ <strong>und</strong> das Verstehen <strong>de</strong>m Sen<strong>de</strong>r bestätigt wird, entsteht<br />
Kommunikation. Die Gelegenheiten für diese Kommunikationen sind zum Beispiel in <strong>de</strong>r<br />
Gruppe (etwa eine Kontaktofferte) o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r sexuellen Interaktion (etwa die Betonung <strong>de</strong>r<br />
Rollenpräferenz als nonverbales Dialogelement) gegeben. Weil die mitgeteilten Informatio-<br />
nen <strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>s Sadomasochismus zu einem sehr spezifischen ‚Sinnprozessieren’ gehören,<br />
ist die Zahl <strong>de</strong>r potentiell Verstehen<strong>de</strong>n recht gering.<br />
Außerhalb <strong>de</strong>r Sinn- <strong>und</strong> Sozialwelt ‚Sadomasochismus’ gibt es ohnehin - <strong>von</strong> Einzelfällen<br />
abgesehen - nieman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n mitgeteilten Sinn entschlüsseln kann. Allerdings ist bei die-<br />
sen Co<strong>de</strong>s ein generalisiertes Verstehen überhaupt nicht intendiert. Das Gegenteil ist <strong>de</strong>r Fall.<br />
Die Transformation allgemeiner Be<strong>de</strong>utungen in spezifische <strong>Kontext</strong>e verän<strong>de</strong>rt ihren Sinn<br />
<strong>und</strong> verhin<strong>de</strong>rt so das Verstehen durch Außenstehen<strong>de</strong>. Das gilt nicht nur für die symbolver-<br />
65 "Geht man vom Sinnbegriff aus, ist als erstes klar, daß Kommunikation <strong>im</strong>mer eine selektives Schema ist.<br />
Sinn läßt keine an<strong>de</strong>re Wahl als zu wählen. Kommunikation greift aus <strong>de</strong>m je aktuellen Verweisungshorizont,<br />
<strong>de</strong>n sie selbst erst konstituiert, etwas heraus <strong>und</strong> läßt an<strong>de</strong>res beiseite. Kommunikation ist Prozessieren<br />
<strong>von</strong> Selektion. Sie selektiert freilich nicht so, wie man aus einem Vorrat das ein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re herausgreift.<br />
(...) Die Selektion, die in <strong>de</strong>r Kommunikation aktualisiert wird, konstituiert ihren eigenen Horizont; sie<br />
konstituiert das, was sie wählt, schon als Selektion, nämlich als Information. Das, was sie mitteilt, wird nicht<br />
nur ausgewählt, es ist selbst schon Auswahl <strong>und</strong> wird <strong>de</strong>shalb mitgeteilt. Kommunikation muß <strong>de</strong>shalb nicht<br />
als zweistelliger, son<strong>de</strong>rn als dreistelliger Selektionsprozeß gesehen wer<strong>de</strong>n. Es geht nicht nur um Absendung<br />
<strong>und</strong> Empfang mit jeweils selektiver Aufmerksamkeit, vielmehr ist die Selektivität <strong>de</strong>r Information<br />
selbst ein Moment <strong>de</strong>s Kommunikationsprozesses, weil nur <strong>im</strong> Hinblick auf sie selektive Aufmerksamkeit<br />
aktiviert wer<strong>de</strong>n kann" (Luhmann 1984, S. 194f).<br />
66 "Kommunikation ist unter <strong>de</strong>r gleichen Bedingung auch ohne Sprache möglich, etwa durch ein Lächeln,<br />
durch fragen<strong>de</strong> Blicke, durch Kleidung, durch Abwesenheit <strong>und</strong> ganz allgemein <strong>und</strong> typisch durch Abweichen<br />
<strong>von</strong> Erwartungen, <strong>de</strong>ren Bekanntheit man unterstellen kann" (Luhmann 1984, S. 208).<br />
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