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Außeralltäglichkeit <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Kontext</strong> <strong>von</strong> Gewalt<br />

Ethnographische Streifzüge durch die Spezialkulturen<br />

<strong>de</strong>r Sadomasochisten, Paintball-Spieler<br />

<strong>und</strong> Hooligans<br />

Inauguraldissertation<br />

zur Erlangung <strong>de</strong>s Gra<strong>de</strong>s eines Doktors <strong>de</strong>r Philosophie<br />

<strong>im</strong> Fachbereich Gesellschaftswissenschaften<br />

<strong>de</strong>r Johann-Wolfgang-Goethe-Universität<br />

zu Frankfurt am Main<br />

vorgelegt <strong>von</strong><br />

Linda (Dietlin<strong>de</strong>) Steinmetz<br />

aus Trier<br />

2001


Dank<br />

Herzstück <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Dissertation ist die empirische Analyse gewaltaffiner Spezialkul-<br />

turen, wie sie sich <strong>im</strong> Phänomen <strong>de</strong>s Sadomasochismus, <strong>de</strong>s Paintballspiels <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Hooligans<br />

manifestieren. Ohne die Unterstützung all jener aus <strong>de</strong>r SM-, Paintball- <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Hooligan-<br />

Szene, die mir Re<strong>de</strong> <strong>und</strong> Antwort stan<strong>de</strong>n, mir bei meinen Fel<strong>de</strong>xplorationen behilflich waren<br />

<strong>und</strong> mir so ihre ‘Kultur’ transparent gemacht haben, wäre diese Arbeit nicht möglich gewe-<br />

sen. Für das ganz beson<strong>de</strong>re Engagement danke ich meinem Kontaktmann bei <strong>de</strong>r Polizei, <strong>de</strong>r<br />

mir <strong>de</strong>n Weg in die Hooligan-Szene ermöglicht hat. Ebenso <strong>de</strong>m Hooligan ‘Blubber’, <strong>de</strong>r<br />

mich bei meinen Streifzügen durch die Szene begleitet hat. Hervorheben möchte ich die Un-<br />

terstützung durch die Paintball-Spieler Marko Pollak, Frank Gensthaler <strong>und</strong> Jörg Höhle. Sie<br />

haben mir die Nennung ihrer Namen an dieser Stelle gestattet.<br />

Danken möchte ich auch allen, die mich ermuntert haben, das Projekt ‘Dissertation’ zu En<strong>de</strong><br />

zu bringen. Herzlichst möchte ich mich hier bei meinem Erstgutachter, Herrn Prof. Dr. Klaus<br />

Neumann-Braun, für seine wertvollen Anregungen <strong>und</strong> die Unterstützung insgesamt bedan-<br />

ken. Herrn Prof. Dr. Klaus Allerbeck danke ich für seine Tätigkeit als Zweitgutachter. Na-<br />

mentlich nennen möchte ich ebenfalls Herrn Prof. Dr. Wilhelm Schumm sowie Herrn Dr.<br />

Christian Stegbauer, die mir die Ergänzungsprüfung <strong>im</strong> Fach Soziologie abgenommen haben.<br />

Mein Dank gilt ebenso meinem langjährigen Mentor Herrn Prof. Dr. Roland Eckert sowie <strong>de</strong>r<br />

Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftliche Forschung <strong>und</strong> Weiterbildung e.V. an <strong>de</strong>r Uni-<br />

versität Trier.<br />

Herr Hans Spängler <strong>und</strong> Frau Ulrike Abele als meine Vorgesetzten bei <strong>de</strong>r Allianz Lebens-<br />

versicherungs-AG brachten mir für die Fertigstellung meiner Arbeit viel Verständnis entge-<br />

gen. Beson<strong>de</strong>rs motiviert wur<strong>de</strong> ich auch durch <strong>de</strong>n Fachbereichsleiter Vertrieb, Herrn Tho-<br />

mas Fischer.<br />

Christa Reis, Natalia v. Levetzow-Hartleb, Gerhard Ke<strong>im</strong> sowie all meine Kolleginnen <strong>und</strong><br />

Kollegen bei <strong>de</strong>r Allianz ermunterten mich <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> leisteten mir Zuspruch.<br />

Zu danken habe ich schließlich meinen lieben Kollegen Eberhard Loos für das Redigieren <strong>de</strong>r<br />

Arbeit <strong>und</strong> Frank Mühleck für die technische Unterstützung. Meinem Lebenspartner Hermann<br />

Dahm danke ich für die kritische Lektüre, die Drucklegung sowie für seine Geduld mit mir.<br />

Gewidmet habe ich diese Arbeit meiner Mutter <strong>und</strong> meinen Töchtern Nastasja <strong>und</strong> Yessica.<br />

Stuttgart, <strong>im</strong> Juni 2001<br />

Linda Steinmetz


Vorwort<br />

Die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit basiert auf meinen umfangreichen Forschungsaktivitäten, die ich unter<br />

<strong>de</strong>r Leitung <strong>von</strong> Prof. Dr. Roland Eckert, Lehrstuhl Allgemeine Soziologie, an <strong>de</strong>r Universität<br />

Trier <strong>im</strong> Rahmen verschie<strong>de</strong>ner, stiftungsfinanzierter Forschungsprojekte durchgeführt habe.<br />

Die Analyse stellt Auszüge aus groß angelegten Studien <strong>de</strong>r Arbeitsgemeinschaft sozialwis-<br />

senschaftliche Forschung <strong>und</strong> Weiterbildung e.V. an <strong>de</strong>r Universität Trier (ASW) dar. Zu<br />

nennen ist das <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Deutschen Forschungsgemeinschaft geför<strong>de</strong>rte Projekt zum Thema<br />

Sadomasochismus, das die hetero- <strong>und</strong> homosexuelle SM-Szene in Deutschland zu Beginn<br />

<strong>de</strong>r neunziger Jahre beleuchtet. Ebenso die <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Volkswagen-Stiftung finanzierte Arbeit,<br />

die sich mit gewaltaffinen Gruppen (hier z.B. auch: Rechte, Autonome, HipHop- <strong>und</strong> Tech-<br />

nogruppen, Breakdancer <strong>und</strong> Wagendorfbewohner) beschäftigt. Im Rahmen dieses Projektes<br />

habe ich die Paintball-Spieler <strong>und</strong> Hooligans untersucht.<br />

Einzelne Teile <strong>de</strong>r Arbeit sind - teilweise modifiziert - bereits in verschie<strong>de</strong>nen Forschungsbe-<br />

richten, Buch- <strong>und</strong> Zeitschriftenpublikationen erschienen.


Inhalt<br />

I. Einleitung <strong>und</strong> Forschungsfrage ..................................................................................... 7<br />

I. Methodologie, Feldzugang <strong>und</strong> Forschungsinventar................................................... 17<br />

1. Die ethnographische Sozialwissenschaft ..................................................................... 17<br />

2. Retrospektive Wegbeschreibung - <strong>de</strong>r Zugang zum Untersuchungsfeld ..................... 21<br />

3. Erhebungsverfahren <strong>und</strong> empirische Basis .................................................................. 29<br />

3.1 Originäre Felddaten .............................................................................................. 30<br />

3.2 Forschergenerierte Daten...................................................................................... 31<br />

3.2.1 Problemzentrierte Interviews.................................................................. 31<br />

3.2.2 Beobachtungen: Reisestationen, ‘Happenings’, ‘Events’....................... 32<br />

3.2.3 Gruppendiskussionen.............................................................................. 35<br />

4. Auswertungsstrategien ................................................................................................. 36<br />

II. Die empirische Analyse - Zur Phänomenologie gewaltaffiner Spezialkulturen....... 38<br />

1. Sadomasochismus: Szenen <strong>und</strong> Rituale ....................................................................... 40<br />

1.1 Exkurs: Sadomasochismus <strong>im</strong> Spiegel öffentlicher Diskussion <strong>und</strong><br />

wissenschaftlicher Theorien ................................................................................. 47<br />

1.1.1 Sadomasochismus <strong>und</strong> öffentliche Meinung.......................................... 47<br />

1.1.2 Konstitutive Merkmale menschlicher Sexualität.................................... 48<br />

1.1.2.1 Der Sexualtrieb....................................................................................... 48<br />

1.1.2.2 Sozio-kulturelle Formung sexueller Verhaltensweisen.......................... 49<br />

1.1.3 Sadomasochismus <strong>im</strong> Spiegel bisheriger Forschung.............................. 55<br />

1.1.3.1 Etymologie <strong>de</strong>s Begriffs ......................................................................... 55<br />

1.1.3.2 Die frühe Sexualwissenschaft................................................................. 57<br />

1.1.3.3 Neuere Untersuchungen ......................................................................... 58<br />

1.2 Erste Berührungspunkte <strong>und</strong> Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r sadomasochistischen Neigung ..... 63<br />

1.3 Persönliche Beziehungen...................................................................................... 76<br />

1.3.1 Chancen bei <strong>de</strong>r Partnerwahl.................................................................. 76<br />

1.3.2 Monogame Beziehungen ........................................................................ 78


1.3.3 Promiskuitive Beziehungen.................................................................... 81<br />

1.3.4 Gruppenveranstaltungen <strong>und</strong> Feten ........................................................ 84<br />

1.3.5 Exkurs: Die professionelle Domina-Szene............................................. 93<br />

1.4 Co<strong>de</strong>s <strong>und</strong> Symbole ............................................................................................ 103<br />

1.4.1 Kontaktanzeigen ................................................................................... 103<br />

1.4.2 Kleidung <strong>und</strong> Schmuck ........................................................................ 106<br />

1.4.3 Fetischismus <strong>und</strong> Sadomasochismus.................................................... 110<br />

1.5 Das sadomasochistische Szenario....................................................................... 112<br />

1.5.1 Die Praktiken ........................................................................................ 113<br />

1.5.2 Die sozialen Mechanismen <strong>im</strong> SM-Arrangement ................................ 127<br />

1.6 Faszination, Gefühle <strong>und</strong> Erlebnismuster........................................................... 134<br />

1.6.1 Das erotisierte Herrschaftsverhältnis.................................................... 134<br />

1.6.2 Schmerz <strong>und</strong> Ekel................................................................................. 141<br />

1.6.3 Sadomasochismus als Außeralltäglichkeit <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong>.......... 150<br />

1.7 Das Problem <strong>de</strong>r Gewalt..................................................................................... 152<br />

1.8 Die Trennung <strong>von</strong> Alltag <strong>und</strong> Sadomasochismus .............................................. 161<br />

1.9 Frauen <strong>und</strong> Sadomasochismus............................................................................ 165<br />

1.9.1 Weiblicher Sadomasochismus in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Diskussion.. 165<br />

1.9.2 Die SM-Debatte in <strong>de</strong>r Frauenbewegung ............................................. 168<br />

1.9.2.1 Frauen <strong>und</strong> SM - Ein Boom-Thema zu Beginn <strong>de</strong>r 90er Jahre ............ 168<br />

1.9.2.2 Weibliche Sexualphantasien................................................................. 169<br />

1.9.2.3 Praktizierter Sadomasochismus............................................................ 171<br />

1.9.2.4 Frauen in <strong>de</strong>r SM-Szene ....................................................................... 176<br />

1.9.2.5 Fallbeispiele masochistischer <strong>und</strong> sadistischer Frauen ........................ 177<br />

1.9.2.6 Frauen zwischen Dominanz <strong>und</strong> Submission....................................... 211<br />

2. Paintballspieler - Normalität unter Gewaltverdacht................................................... 215<br />

2.1 Herkunft <strong>und</strong> aktuelle Lebenssituation............................................................... 224<br />

2.2 Die Gruppe.......................................................................................................... 227<br />

2.3 Wahrgenommene Gruppenperipherie................................................................. 245<br />

2.4 Intergruppenbeziehungen ................................................................................... 249<br />

2.5 Gruppenverlauf ................................................................................................... 251<br />

3. Hooligans - Gewalt macht Spaß................................................................................. 252<br />

3.1 Herkunft <strong>und</strong> aktuelle Lebenssituation............................................................... 256<br />

3.2 Gruppenwirklichkeit ........................................................................................... 259<br />

3.3 Wahrgenommene Gruppenperipherie................................................................. 272<br />

3.4 Intergruppenbeziehungen ................................................................................... 274


3.5 Gruppenverlauf ................................................................................................... 278<br />

III. Spezialisierte Affektkulturen in <strong>de</strong>r Erlebnisgesellschaft ......................................... 280<br />

1. Zur Erlebnisgesellschaft............................................................................................. 280<br />

2. Spezialkulturen in <strong>de</strong>r Erlebnisgesellschaft ............................................................... 281<br />

3. Außeralltäglichkeit, Gewalt <strong>und</strong> Zivilisation ............................................................. 282<br />

AnhangLiteratur................................................................................................................... 296<br />

Literatur ................................................................................................................................ 297<br />

Glossar ................................................................................................................................... 321<br />

Beispiele Datenerhebungsmaterial...................................................................................... 329


Von H<strong>im</strong>melsfahrten <strong>und</strong> Höllenspektakeln<br />

I. Einleitung <strong>und</strong> Forschungsfrage<br />

Als beson<strong>de</strong>res Phänomen unserer Zeit hat sich eine Vielzahl unterschiedlicher Formen <strong>de</strong>s<br />

‘Reizkonsums’ (vgl. Hauck 1989) herausgebil<strong>de</strong>t. In <strong>de</strong>n westlichen bzw. industrialisierten<br />

Län<strong>de</strong>rn - <strong>und</strong> hier vor allem auch in <strong>de</strong>n USA <strong>und</strong> Japan - wagen sich <strong>im</strong>mer mehr Menschen<br />

freiwillig an die Grenzen ihrer physischen <strong>und</strong> psychischen Belastbarkeit. Sie tun vermeint-<br />

lich unangenehme, ‘verrückte’ Dinge, mit <strong>de</strong>nen sie sich (<strong>und</strong> zum Teil auch an<strong>de</strong>re) nicht<br />

selten in (Lebens-)Gefahr bringen. Und sie tun es, nicht nur ‘trotz’ eines subjektiv empf<strong>und</strong>e-<br />

nen o<strong>de</strong>r objektiv existieren<strong>de</strong>n Risikos, son<strong>de</strong>rn - entsprechend <strong>de</strong>r Zeitgeist<strong>de</strong>vise ‘No Risk<br />

- No Fun’ - gera<strong>de</strong> wegen <strong>de</strong>s Risikos (vgl. Apter 1994). Le Breton (1995, S. 105 bemerkt<br />

dazu: „Neue Praktiken fassen (...) Wurzel, Gewächse <strong>de</strong>r jüngsten Mo<strong>de</strong>rne: Werbung, Sport,<br />

Sensationsleistungen, Fitneßwettbewerb, intensive Freizeitgestaltung.“<br />

Oftmals han<strong>de</strong>lt es sich um junge Leute auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>r außeralltäglichen Erfahrung,<br />

doch die ‘Erlebnisgesellschaft’ (vgl. Schulze 1993; 1999) <strong>de</strong>r Superlative bleibt nicht nur ih-<br />

nen vorbehalten. Viele Erwachsene, wobei es sich nicht zuletzt um in Beruf, Politik <strong>und</strong> Sport<br />

hochgestellte Persönlichkeiten han<strong>de</strong>lt, unterliegen <strong>de</strong>r Faszinationskraft <strong>von</strong> Aktivitäten, die<br />

nicht nur Kraft <strong>und</strong> Mut erfor<strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn ein mehr o<strong>de</strong>r weniger großes Risiko in sich ber-<br />

gen. Selbst ‘eine’ Steffi Graf (mit Amüsement ob dieser Stilblüte erlaube ich mir dieses Zitat)<br />

weiß - auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>s Lebens (?) - <strong>de</strong>r Langeweile ihrer Post-Tennis-Ära zu<br />

entkommen: Vor laufen<strong>de</strong>n Kameras springt sie <strong>von</strong> einer Brücke in die Tiefe, aufgefangen<br />

nur <strong>von</strong> einem an ihren Fußgelenken befestigten Gummiseil, das sie vor <strong>de</strong>m scheinbar na-<br />

hen<strong>de</strong>n Aufprall auf <strong>de</strong>r Wasseroberfläche eines Flusses rettet. Ein Traum, <strong>de</strong>n sie sich nach<br />

ihrer eigenen Aussage schon <strong>im</strong>mer einmal verwirklichen wollte, <strong>de</strong>ssen Umsetzung ihr be-<br />

rauschen<strong>de</strong> Glücksgefühle bescherte. Und - selbstverständlich: Auch wenn die Story zuerst<br />

bei <strong>de</strong>n Privatsen<strong>de</strong>rn <strong>im</strong> TV ‘on air’ war, <strong>de</strong>r Boulevardpresse (Bild) schien dies dann noch<br />

<strong>im</strong> nachhinein ein Titelthema wert.<br />

Doch nicht nur die Kicks <strong>de</strong>r Prominenten wer<strong>de</strong>n als aktuelle <strong>und</strong> interessante Themen <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>n Medien gierig aufgegriffen <strong>und</strong> dramatisch inszeniert. Hartmann hat seit 1992 eine Viel-<br />

zahl einschlägiger Sendungen verschie<strong>de</strong>ner TV-Kanäle aufgezeichnet:<br />

7


„Kein Sen<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r sich nicht regelmäßig in fasziniert-enthusiastischen <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r<br />

skeptisch-kritischen Features mit diesen <strong>und</strong> jenen Thrilling Fields befaßt <strong>und</strong> extreme<br />

Outdoor-Aktivist/inn/en jeglicher Provenienz zu seinen etablierten Talkshows<br />

<strong>und</strong> Diskussionsr<strong>und</strong>en eingela<strong>de</strong>n hätte - kein W<strong>und</strong>er auch: Das Thema<br />

ist <strong>im</strong> doppelten Wortsinn spektakulär, <strong>und</strong> seine Protagonist/inn/en kommen gut<br />

an“ (Hartmann 1996, S. 67ff).<br />

Wie oben bereits ange<strong>de</strong>utet, steht das ‚Abenteuer’ <strong>im</strong> Mittelpunkt <strong>de</strong>s Interesses insbeson<strong>de</strong>-<br />

re <strong>de</strong>r privaten Sen<strong>de</strong>r. Jüngste Auswüchse sind die Real-Life-Adventure- <strong>und</strong> Survival-<br />

Shows <strong>von</strong> RTL (Expedition Robinson) <strong>und</strong> SAT 1 (Inselduell), die <strong>im</strong> Sommer 2000 zum<br />

erstenmal gesen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n. Hier müssen Männer <strong>und</strong> Frauen auf einer Insel in Malaysia nach<br />

<strong>de</strong>m Motto ‘Back to the Roots’ regelrecht ums Überleben kämpfen, inseltypische Aufgaben<br />

erledigen (z.B. Nahrungsbeschaffung aus <strong>de</strong>m Wasser, Früchte sammeln etc.), in einer Art<br />

‘Spiel ohne Grenzen’ Wettkämpfe austragen o<strong>de</strong>r auch Mobbing-Attacken <strong>de</strong>r Teilnehmer<br />

abwehren. 1 Mit beson<strong>de</strong>rem Blick auf die USA erstaunt <strong>de</strong>r Erfindungsgeist <strong>de</strong>r Produzenten,<br />

insbeson<strong>de</strong>re wenn es um solche Arrangements geht, die I<strong>de</strong>ntität, Integrität <strong>und</strong> Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Teilnehmer regelrecht zu vernichten suchen. Im militärischen Szenario <strong>de</strong>s ‘Boot Camp’ 2 set-<br />

zen sich Menschen 28 Tage lang extremen Erniedrigungen aus (‘sich fühlen wie <strong>de</strong>r letzte<br />

Depp’), herbeigeführt durch willkürliche Drills <strong>de</strong>r vermeintlichen Vorgesetzten (Offiziere).<br />

Hart gesotten müssen auch die Spieler <strong>de</strong>r japanischen Produktion <strong>von</strong> ‘Takeshi’s Castle’<br />

(dre<strong>im</strong>al täglich! gesen<strong>de</strong>t auf DSF) sein. Sie haben mehr o<strong>de</strong>r weniger sportliche Aufgaben<br />

zu erledigen, die nahezu unmöglich ohne ‘Verluste’ durchführbar sind: Durch die beson<strong>de</strong>re<br />

Anlage sind schwerste Stürze vorprogrammiert, lan<strong>de</strong>t das Gesicht in kloakenähnlichen Trö-<br />

gen o<strong>de</strong>r wird die Kleidung vom Leib gerissen. Die Teilnehmer wer<strong>de</strong>n öffentlich (<strong>im</strong> Fern-<br />

sehen) <strong>de</strong>r Lächerlichkeit Preis gegeben. In diesen Shows amalgamieren körperliche Anstren-<br />

gung, Nervenkitzel, psychische Belastung, Mobbing <strong>und</strong> Erniedrigung. Dies verlangt physi-<br />

sche wie auch mentale Höchstleistungen <strong>de</strong>r Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmer.<br />

Zur Gr<strong>und</strong>struktur <strong>de</strong>r ‘Freizeitgesellschaft’ 3 gehören erlebnisorientierte Spezialisierungen,<br />

die sich in <strong>de</strong>n vielfältigsten Ausprägungen medialer Inszenierungen, <strong>von</strong> Mutproben, gefähr-<br />

1 Aufsehen erregte ein schwedischer Sen<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r 1996 die erste <strong>de</strong>r Inselshows produzierte. Ein Teilnehmer<br />

beging nach <strong>de</strong>ren En<strong>de</strong> Selbstmord (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 03.07.2000, S. 15).<br />

2 Die Übersetzung lautet ‘Armee-Ausbildungslager’. Der semantische Raum spricht für sich: Jeman<strong>de</strong>n rausschmeißen,<br />

über <strong>de</strong>r Arbeit sterben, vor Angst fast umkommen, kräftig zutreten/-schlagen, jeman<strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rmachen,<br />

jeman<strong>de</strong>m einen Tritt versetzen (vgl. Pons Großwörterbuch Englisch 1999, S. 1123)<br />

3 Eine ausführliche Theoriebildung fin<strong>de</strong>t sich insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n Arbeiten <strong>von</strong> Bourdieu (1984); Gluchowski<br />

(1988); Rastetter (1996); Riesman (1958); Stengel (1996); Tokarski/Schmitz-Scherzer (1985); Uttlitz (1985)<br />

<strong>und</strong> Vester (1988).<br />

8


lichen Spielen, sportlichen Ereignissen (Abenteuer-, Extrem- <strong>und</strong> Risikosport) <strong>und</strong> Reisen<br />

(Abenteuer- <strong>und</strong> Extremtourismus) etabliert haben. Wie selbstverständlich legen wir in Ver-<br />

gnügungsparks <strong>und</strong> auf Jahrmärkten unseren Körper in <strong>de</strong>n Schoß computergesteuerter Fahr-<br />

betriebe <strong>und</strong> Bungee-Springer haben - wie das Beispiel <strong>de</strong>r Tennisspielerin Steffi Graf zeigt -<br />

schon längst <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>s durchgeknallten <strong>und</strong> ausgeflippten Außenseiters verloren.<br />

Diese <strong>und</strong> ähnliche Aktivitäten sind in breite gesellschaftliche Schichten diff<strong>und</strong>iert <strong>und</strong> er-<br />

lauben ‘kleine Fluchten aus <strong>de</strong>m Alltag‘ (Enzensberger 1971) für je<strong>de</strong>n Geschmack. An vor-<br />

<strong>de</strong>rster Front die Fun-, Ausdauer- <strong>und</strong> Risikosportarten. Dazu einige Beispiele:<br />

• „Extreme Skiing: Steilwandabfahrten; ‘verrücktestes’ Beispiel (<strong>von</strong> Hans Kammer-<br />

lan<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Diego Vellig): auf einer 60 Grad steilen Route vom 8125 m hohen Nanga<br />

Parbat hinunter; (...)<br />

• Free-/Solo Cl<strong>im</strong>bing: ‘elegantes’ Extremklettern bei Verwendung möglichst weniger<br />

Sicherungshaken/Alleinklettern unter Extrembedingungen, zumeist ohne Seil; (...)<br />

• House Running: möglichst schnelles ‘Hinunterrennen’ <strong>von</strong> hohen Häusern, angeseilt,<br />

die Füße gegen die Fassa<strong>de</strong> gestemmt <strong>und</strong> das Gesicht zur Straße gekehrt“ (Hart-<br />

mann 1996, S. 70ff).<br />

Die ‘Eventkultur’ wird <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Freizeitindustrie aktiv vermarktet: Fun-Sportmessen <strong>und</strong> -<br />

Veranstaltungen; kaum eine große Kaufhauskette, <strong>de</strong>ren Sportabteilung nicht auch ähnliche -<br />

wenn auch weniger extreme - Offerten <strong>im</strong> Repertoire hat. 4 Und auch <strong>de</strong>r Extrem-Tourismus<br />

ist schon lange keine Angelegenheit mehr <strong>von</strong> Einzelkämpfern wie Reinhold Messner, wenn-<br />

gleich <strong>de</strong>ssen Leistungen eine Son<strong>de</strong>rstellung einnehmen. Dem I<strong>de</strong>enreichtum <strong>de</strong>r ‘Sensation<br />

Seeker’ (Zuckerman/Bone 1972) sind scheinbar keine Grenzen gesetzt: 5 „Zu Fuß unterwegs<br />

4 In einer Broschüre <strong>de</strong>s einst eher konservativ-bürgerlichen ‘Konsumpalastes’ Breuninger in Stuttgart aus <strong>de</strong>m<br />

Jahr 1997 (‘City & Events - Fun & Sports - Adventure & Nature - Far & Away’, S. 23) fin<strong>de</strong>t sich z.B. ein<br />

Angebot zum Action-Weekend in Engelberg: „Wie alle an<strong>de</strong>ren Seilbahnbenutzer verlassen auch Bungee-<br />

Jumper die Kabine durch die Türe - allerdings nicht in <strong>de</strong>r Tal- o<strong>de</strong>r Bergstation, son<strong>de</strong>rn irgendwo unterwegs<br />

auf <strong>de</strong>r Strecke. (...) In Engelberg könnt Ihr Euch (vor Ort) zwischen einem 70 Meter- o<strong>de</strong>r einem 120<br />

Meter-Sprung entschei<strong>de</strong>n - Nervenkitzel inklusive! Ergänzend (...o<strong>de</strong>r alternativ) zu diesem ‘Höhenrausch’<br />

bieten wir eine Gletschertrekking-Tour am Groß Titlis (3.238 m.ü.M) an.“<br />

In <strong>de</strong>r Werbe-/Marketingzeitung Horizont (28.07.2000, Nr. 28) wird unter <strong>de</strong>r Rubrik ‚Fernseh News’ über<br />

„Extremsport <strong>im</strong> Olympiafieber“ berichtet. „UPC-TV <strong>und</strong> Extreme Group, Joint-Venture-Partner <strong>de</strong>s europäischen<br />

Extreme Sports Channels, veranstalten in Zusammenarbeit mit Online Sports Marketing die World<br />

Extreme Games. Auf die offizielle Olympia<strong>de</strong> folgend, fin<strong>de</strong>n die Spiele vom 1. bis 3. Dezember ebenfalls in<br />

Melbourne (Australien) statt.“<br />

5 Schon <strong>de</strong>r Blick auf das <strong>im</strong>mense Angebot spezialisierter Zeitschriften <strong>und</strong> Magazine in <strong>de</strong>n Presseforen <strong>de</strong>r<br />

Bahnhöfe lässt ein schier unüberschaubares Angebot vermuten.<br />

9


in <strong>de</strong>r Arktis, Elefantenwaschen in Indien, (...) bei Kopfjägern <strong>und</strong> Kannibalen, (...) per Hub-<br />

schrauber zum ‘Survival training’ in die menschenleere kanadische Wildnis“ 6 o<strong>de</strong>r zum ‘Go-<br />

rillatrekking’ nach Afrika. 7 Auch die riskanten Reisen <strong>de</strong>r Kriegsberichterstatter <strong>und</strong> nicht<br />

zuletzt die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen <strong>und</strong> ähnlichen Themen lassen sich <strong>de</strong>m<br />

Phänomen <strong>de</strong>r ‘Thrilling Fields’ (Hartmann 1996) zuordnen . 8<br />

Diese Verhaltensweisen bzw. ihre Folgen sind in verschie<strong>de</strong>ne Richtungen an ein komplexes<br />

Netzwerk institutioneller Verän<strong>de</strong>rungen geknüpft. So haben sich z.B. die alpinen Rettungs-<br />

wachten wie selbstverständlich auf die gefährlichen Touren <strong>de</strong>r Ski- <strong>und</strong> Snowboardfahrer<br />

eingestellt, die fernab <strong>de</strong>r gesicherten Pisten nicht selten todbringen<strong>de</strong> Lawinen auslösen.<br />

Traurige Beispiele sind die Unglücke Anfang 2000 in Österreich <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Schweiz. Und schon<br />

längst wur<strong>de</strong> die Branche <strong>de</strong>r Versicherer auf <strong>de</strong>n Plan gerufen <strong>und</strong> hat reagiert. Die Frage<br />

nach riskanten Hobbys <strong>und</strong> Freizeitaktivitäten gehört mittlerweile zum Repertoire <strong>de</strong>r Stan-<br />

dardfragen <strong>de</strong>r Anträge für Unfall- <strong>und</strong> Lebensversicherungen. Je nach <strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n Preisauf-<br />

schläge verlangt, da sich das Risiko <strong>und</strong> damit die Zahlungswahrscheinlichkeit für die Versi-<br />

cherer bei frühzeitigem Tod erhöht.<br />

Bioenergetik, Meditation, Spiritualität, (Designer-)Drogen (Techno, Ecstasy), Sekten, Okkul-<br />

tismus (Grufty-Szene) <strong>und</strong> die Vielfalt medialer Inszenierungen <strong>von</strong> Schrecken <strong>und</strong> Gefahr<br />

sind weitere Beispiele für die ‘Ausbruchsversuche’ (Cohen/Taylor 1977) <strong>de</strong>r zivilisationsmü-<br />

<strong>de</strong>n Individuen unserer Gesellschaft. Außeralltäglichkeit, Nervenkitzel <strong>und</strong> Thrill sind aller-<br />

dings nicht <strong>im</strong>mer in eine organisierte bzw. institutionalisierte, kommerzielle Eventkultur<br />

eingeb<strong>und</strong>en, son<strong>de</strong>rn haben oftmals subkulturellen Charakter. Beispiele hierfür sind Verhal-<br />

tensmuster <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Großstädten <strong>von</strong> Langeweile geplagten Jugendlichen, wie es Le Breton<br />

(1995, S. 84) beschreibt:<br />

„Surfistas, Jugendliche zwischen fünfzehn <strong>und</strong> zwanzig Jahren in <strong>de</strong>n Vororten<br />

Rio <strong>de</strong> Janeiros, benutzen regelmäßig die Dächer <strong>de</strong>r übervollen Züge, die zwischen<br />

ihren Wohnorten in <strong>de</strong>n Vorstädten <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Innenstadt verkehren, um ihre<br />

Surfwettbewerbe auszutragen. Sie versuchen bei Geschwindigkeiten <strong>von</strong> bis zu 70<br />

6 Krippendorf (1984, S. 87)<br />

7 Vgl. Kohnen/Braun (1989)<br />

8 An dieser Stelle muss explizit auf <strong>de</strong>n Sammelband ‘Freizeit in <strong>de</strong>r Erlebnisgesellschaft’ (Hartmann/Haubl<br />

1996) verwiesen wer<strong>de</strong>n. In Anlehnung an das Schulzesche Konzept <strong>de</strong>r Erlebnisgesellschaft (1993) wer<strong>de</strong>n<br />

in acht unterschiedlichen Beiträgen aus Psychologie <strong>und</strong> Soziologie erlebnisorientierte Freizeitbereiche skizziert.<br />

Themen sind (Massen)Tourismus, Fun- <strong>und</strong> Extremsportarten, Fußball, Popmusik, ’süchtiges’ Einkaufen<br />

als Zeitvertreib, Körperkult, Konflikts<strong>im</strong>ulationsspiele <strong>und</strong> virtuelle Vergnügungen <strong>im</strong> Cyberspace. Nicht<br />

unerwähnt bleiben soll auch die bemerkenswerte Arbeit <strong>von</strong> Ke<strong>im</strong> (1999), eine ethnographische Analyse<br />

zeitgenössischer Konsumkultur am Beispiel <strong>de</strong>s Kaufhauses ‘Breuninger’ in Stuttgart.<br />

10


St<strong>und</strong>enkilometern (...) das Gleichgewicht zu bewahren, ohne sich abzustützen<br />

<strong>und</strong> trotz <strong>de</strong>s Fahrtwin<strong>de</strong>s. (...) ‘An einen Unfall’, sagt einer dieser Surfistas, daran<br />

<strong>de</strong>nkt man schon. (...) Am Anfang legst du dich so flach hin wie möglich, <strong>de</strong>n<br />

Bauch gegen das Dach gepreßt. Aber bald wird das langweilig. Dann setzt du<br />

dich, dann versuchst du aufrecht zu stehen. Du kriegst <strong>de</strong>n Wind voll in die Fresse,<br />

<strong>und</strong> dann beginnt das Spiel so richtig. Bald kommst du ohne dieses Gefühl<br />

nicht mehr aus, schl<strong>im</strong>mer als Rauchen ist das. Es gibt sogar welche, die nachts<br />

einen Surf hinlegen. Sie können fast nichts mehr sehen, sie gehen dann nach ihrem<br />

Instinkt, <strong>und</strong> das ist noch aufregen<strong>de</strong>r (Liberation, 20. Januar 1988).“<br />

In ihrer Ausgabe vom 10.10.2000 (Nr. 234) hat die Stuttgarter Zeitung über ‘Möchtegern-<br />

Schumis’ berichtet, die <strong>de</strong>r Polizei durch illegale Autorennen Sorgen bereiten. Bei solchen<br />

Aktivitäten han<strong>de</strong>lt es sich um abweichen<strong>de</strong>s Verhalten, das nicht selten <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> Delin-<br />

quenz an strafrechtliche Konsequenzen geknüpft ist. 9<br />

Die hier beschriebenen Aktivitäten fin<strong>de</strong>n nicht nur das Interesse ihrer Anhänger <strong>und</strong> einge-<br />

schworenen Fangemein<strong>de</strong>n sowie <strong>de</strong>r breiten Öffentlichkeit, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r anthropologi-<br />

schen, psychologischen <strong>und</strong> soziologischen Wissenschaft. Neben <strong>de</strong>n (oben teilweise bereits<br />

zitierten) ‘Klassikern’ (Balint 1982; Callois 1982; Cohen/Taylor 1977; Csikzentmihalyi<br />

(1985); Elias/Dunning 1970; Huizinga (1987); Zuckerman/Bone 1972), die Angstlust, Kör-<br />

per- <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong> o<strong>de</strong>r das Spiel <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Wettkampf thematisieren, setzen sich vor<br />

allem auch Apter (1994) o<strong>de</strong>r Le Breton (1995) ausführlich mit <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Abenteurern,<br />

S-Bahn-Surfern, Elevator-Ri<strong>de</strong>rn, Autocrashern <strong>und</strong> Airbaggern, Rallyefahrern u.v.m. ausein-<br />

an<strong>de</strong>r. 10 Doch nicht nur die ‘realen’, auch die ‘fiktiv-virtuellen’ Erfahrungsräume 11 sind span-<br />

nen<strong>de</strong> Themen <strong>de</strong>r sozial- <strong>und</strong> gesellschaftswissenschaftlichen Forschung. Mediale Inszenie-<br />

rungen <strong>von</strong> ‘Grauen <strong>und</strong> Lust’ stehen <strong>im</strong> Mittelpunkt <strong>de</strong>r Studien <strong>de</strong>r Arbeitsgemeinschaft<br />

sozialwissenschaftliche Forschung <strong>und</strong> Weiterbildung e.V. an <strong>de</strong>r Universität Trier (ASW)<br />

9 Zum Thema Jugend, Risikoverhalten <strong>und</strong> Delinquenz vgl. Allerbeck/Hoag 1985; Eckert u.a. (1998; 2000);<br />

Engel/Hurrelmann (1993); Ferchhoff u.a. (1995); Freese u.a. (1985); Janke/Niehues (1995) Raithel (2001);<br />

Rogge (1988)<br />

10 Vgl. hierzu z.B. auch: Böhnisch (1999); Boltz (1994); Damm (1995); Freese u.a. (1985); Huber (1994);<br />

Kühnel/Matuschek (1995); Semler (1994); Virilio (1994)<br />

11 An dieser Stelle sei noch auf eine <strong>von</strong> vermutlich unzähligen ähnlich gearteten Webpages hingewiesen: ‘Rotten.com’<br />

bietet <strong>de</strong>m Normalbürger Ein- o<strong>de</strong>r besser gesagt Anblicke, die sonst nur Notärzten, Leichenbeschauern<br />

<strong>und</strong> Pathologen o<strong>de</strong>r Kr<strong>im</strong>inologen vorbehalten bleiben. So z.B. das zerstörte Gesicht eines Mannes<br />

nach einem Motorradunfall, halbverweste Leichen ehemaliger Scientology-Mitglie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ren To<strong>de</strong>sursache<br />

nie geklärt wer<strong>de</strong>n konnte (glaubt man <strong>de</strong>r Behauptung <strong>de</strong>r ‘Anbieter’), <strong>de</strong>r Körper eines Menschen, <strong>de</strong>r <strong>von</strong><br />

einer Riesenschlange verschlungen wur<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ein Penis, an <strong>de</strong>m sich ein Aal festgebissen hat. Diese Bil<strong>de</strong>r<br />

befin<strong>de</strong>n sich gleichsam in einem virtuellen Raum, <strong>de</strong>r öffentlich zugänglich ist. Aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Zugangsberechtigung<br />

konnte ich nicht klären, was sich <strong>de</strong>mjenigen offenbart, <strong>de</strong>r über einen entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Userlevel an ‘die wirklich harten Bil<strong>de</strong>r’ kommt.<br />

11


um Prof. Dr. Roland Eckert. Die unterschiedlichen qualitativ-ethnographisch orientierten Stu-<br />

dien zeigen, wie Horror- <strong>und</strong> Pornovi<strong>de</strong>os o<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Computerspiele <strong>und</strong> -aktivitä-<br />

ten (Internet) <strong>de</strong>n Nutzern das Erleben <strong>von</strong> sexueller Erregung, Grauen <strong>und</strong> Ekel ermöglichen<br />

(vgl. Eckert u.a. 1990; Eckert u.a. 1991; Winter 1995).<br />

Gewaltaffine Spezialkulturen - Sadomasochismus, Paintball o<strong>de</strong>r Gotcha <strong>und</strong> das Phänomen<br />

<strong>de</strong>r Hooligans<br />

Und damit möchte ich nun zum eigentlichen Thema <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit kommen: Im<br />

Mittelpunkt <strong>de</strong>s Interesses stehen nämlich verschie<strong>de</strong>ne Erlebnisformen, die noch vielmehr als<br />

die oben beschriebenen Aktivitäten <strong>im</strong> Fokus <strong>de</strong>r öffentlichen Aufmerksamkeit bzw. Kritik<br />

stehen <strong>und</strong> Kirchenvertreter, Pädagogen, Psychologen, Polizei <strong>und</strong> Politiker, aber auch die<br />

bürgerliche Öffentlichkeit wachrufen. Viele Menschen suchen Situationen, in <strong>de</strong>nen außerall-<br />

tägliche Körpererfahrungen <strong>und</strong> mentale Grenzgänge in engem Zusammenhang mit gewaltaf-<br />

finen o<strong>de</strong>r gewalttätigen Handlungen stehen. Exemplarisch wer<strong>de</strong> ich dies an drei Beispielen<br />

bzw. emotionalen Erfahrungsräumen erläutern, die seit Beginn <strong>de</strong>r achtziger <strong>und</strong> neunziger<br />

Jahre <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r auf sich aufmerksam machen: 1) Sadomasochismus, 2) Paintball/Gotcha<br />

<strong>und</strong> 3) das Phänomen <strong>de</strong>r Hooligans. Die drei Themen bzw. Gruppen mögen auf <strong>de</strong>n ersten<br />

Blick wenig Gemeinsamkeiten aufweisen. ‘Das Auge <strong>de</strong>s Ethnographen’ (Leiris 1985) jedoch<br />

zeigt, dass es eine Vielzahl motivationaler <strong>und</strong> struktureller Übereinst<strong>im</strong>mungen gibt.<br />

Zentraler Stellenwert wird <strong>de</strong>m Thema Sadomasochismus eingeräumt, mit <strong>de</strong>m ich mich be-<br />

reits seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r achtziger Jahre theoretisch <strong>und</strong> empirisch beschäftige (vgl. Steinmetz<br />

1990). Es n<strong>im</strong>mt somit <strong>de</strong>n größten Teil <strong>de</strong>r Arbeit ein. Dem Phänomen <strong>de</strong>r Paintballer o<strong>de</strong>r<br />

Gotcha-Spieler, das ebenso über mehrere Jahre <strong>im</strong> Zentrum meiner Analysen stand, wird ähn-<br />

lich <strong>de</strong>zidiert nachgegangen, wenn auch nicht vergleichbar ausführlich. Mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

exkursorischen Charakter hat das Thema ‘Hooligans’, auch wenn ich mich empirisch intensiv<br />

damit beschäftigt habe <strong>und</strong> ganze Wochenen<strong>de</strong>n nahezu r<strong>und</strong> um die Uhr mit Szenemitglie-<br />

<strong>de</strong>rn verbrachte bzw. in <strong>de</strong>r Szene unterwegs war. Die Grün<strong>de</strong> liegen vor allem darin, dass die<br />

Erforschung <strong>de</strong>r ‘Hooligans’ - <strong>im</strong> Vergleich zum Sadomasochismus <strong>und</strong> vor allem zum Paint-<br />

ball - in <strong>de</strong>r Pädagogik <strong>und</strong> Soziologie eine lange wissenschaftliche Tradition hat. Allerdings<br />

spielt hier auch die beson<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r Gewalt <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> <strong>im</strong>mer häufiger wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Es-<br />

kalationen eine Rolle. Die Fußballweltmeisterschaft in Frankreich resp. die Ausschreitungen<br />

in Lens haben gezeigt, dass hier Rahmen <strong>de</strong>s gegenseitigen Einvernehmens gesprengt wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> Externe (Polizei <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re) schl<strong>im</strong>mste körperliche <strong>und</strong> psychische Verletzungen bzw.<br />

bleiben<strong>de</strong> Schä<strong>de</strong>n da<strong>von</strong>tragen. Darin unterschei<strong>de</strong>n sich - wie noch zu zeigen sein wird -<br />

Hooligans <strong>von</strong> Sadomasochisten <strong>und</strong> Paintball-Spielern.<br />

12


Bei <strong>de</strong>r empirischen Annäherung an alle drei Bereiche habe ich mich am qualitativ-<br />

interpretativen Paradigma orientiert. Neben Szenen-Ethnographien war es das Ziel dieser<br />

Vorgehensweise, die typischen Sinnmuster <strong>de</strong>r weitgehend unerforschten ‘Kulturen’ zu re-<br />

konstruieren; letztlich das sichtbar zu machen, was für <strong>de</strong>n ‘Frem<strong>de</strong>n’ unsichtbar ist. Bei <strong>de</strong>n<br />

‘Real-Life-Explorationen’ ging es um <strong>de</strong>n subjektiv gemeinten Sinn <strong>de</strong>r Akteure, um ihre<br />

Perspektive bezüglich Aggression, Gewalt <strong>und</strong> Sexualität.<br />

Die Proban<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Schneeballverfahren rekrutiert. Dieses Auswahlprinzip er-<br />

laubt keine Aussagen über die quantitative Verteilung <strong>von</strong> best<strong>im</strong>mten Merkmalen. Auch<br />

wenn Hypothesen formuliert wer<strong>de</strong>n können, bleibt die statistische Verteilung <strong>de</strong>r Geschlech-<br />

ter o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Alters <strong>im</strong> Dunkeln. Dies war aber auch nicht Zielsetzung <strong>de</strong>r Arbeit. Vielmehr ist<br />

sie <strong>im</strong> Sinne qualitativer Forschungsstrategien als exploratives Vorhaben konzipiert. Die ge-<br />

wählte Untersuchungsmetho<strong>de</strong> hat es schließlich auch nicht ermöglicht, Abweichler <strong>im</strong> Sinne<br />

<strong>von</strong> Straftätern, die sich <strong>de</strong>r Körperverletzung o<strong>de</strong>r gar einer Tötung schuldig gemacht haben,<br />

zu befragen, weil diese in <strong>de</strong>n Szenen selbst ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Eine Ausnahme sind<br />

einzelne Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hooligan-Szene.<br />

1) Sadomasochismus<br />

Erschien Sadomasochismus noch Mitte <strong>de</strong>r siebziger Jahre als periodisch auftauchen<strong>de</strong>s, aber<br />

verstecktes Thema in Werbung <strong>und</strong> Presse, wur<strong>de</strong> dieses Phänomen insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n acht-<br />

ziger Jahren <strong>und</strong> Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland (<strong>und</strong> vor<br />

allem in <strong>de</strong>n USA) popularisiert. Die sadomasochistische Ikonographik drang verstärkt in die<br />

verschie<strong>de</strong>nsten Bereiche <strong>de</strong>r populären Kultur <strong>und</strong> rangierte in <strong>de</strong>n ‚Media Agendas’ ganz<br />

oben. Man begegnet ihr heute <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r in Pop-Vi<strong>de</strong>os, <strong>de</strong>r Belletristik, <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>welt<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r (Zigaretten)Werbung. Auch in <strong>de</strong>n zahlreichen Life-Style-Zeitschriften wur<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

wird <strong>de</strong>r Sadomasochismus thematisiert. Gera<strong>de</strong> in letzteren fin<strong>de</strong>t die ‚schwarze Lei<strong>de</strong>n-<br />

schaft’ <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re Beachtung. Dazu bemerkt Schorsch (1980b, S. 113) treffend:<br />

„Belletristik <strong>und</strong> Unterhaltungsindustrie lieben die Le<strong>de</strong>rkleidung, es rasseln die Ketten, das<br />

modische Spiel mit <strong>de</strong>m Extravaganten scheut auch vor einem schwül erotisierten, sadomaso-<br />

chistisch getünchten Faschismus nicht zurück.“ Und <strong>de</strong>nnoch: Das in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit herr-<br />

schen<strong>de</strong> Bild vom Sadomasochismus ist <strong>von</strong> vielfältigen Vorurteilen <strong>und</strong> negativen Stereoty-<br />

pen wie ‚krankhaft gestörtes Sexualverhalten’ o<strong>de</strong>r gar ‚Sexualverbrechen’ geprägt. Ja selbst<br />

die wissenschaftlich-soziologische Beschäftigung mit diesem Thema sollte sich als etwas<br />

‘Anrüchiges’ erweisen. Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen rümpften die Nase ob <strong>de</strong>r Beschäftigung<br />

mit diesem Forschungsgegenstand (<strong>im</strong>mer noch muss ich darüber schmunzeln, dass dieselben<br />

13


Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen später dann die Publikation <strong>de</strong>r Forschungsergebnisse in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>-<br />

taillierten Beschreibungen <strong>de</strong>r Praktiken kannten).<br />

Diese Vorurteile innerhalb <strong>de</strong>r öffentlichen Meinung gegenüber Sadomasochismus sind nicht<br />

zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich innerhalb <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Diskussion bisher<br />

keine einheitliche Bewertung herauskristallisieren konnte. Die Forschung in diesem Bereich<br />

hat vielmehr heterogene Ergebnisse hervorgebracht <strong>und</strong> man hat sich weitestgehend mit <strong>de</strong>n<br />

möglichen Ursachen <strong>und</strong> Therapieformen beschäftigt. Daneben wer<strong>de</strong>n häufig Fragen aufge-<br />

worfen, ob <strong>und</strong> inwiefern sich die verschie<strong>de</strong>nen Formen <strong>von</strong> Sadismus <strong>und</strong> Masochismus<br />

einan<strong>de</strong>r bedingen, also mögliche gesellschaftliche <strong>und</strong> soziale Ursachen <strong>de</strong>s sexuellen Sado-<br />

masochismus diskutiert (vgl. Kap. III.1.1; III.1.9.1). Solchen o<strong>de</strong>r ähnlichen Fragen soll <strong>im</strong><br />

Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht nachgegangen wer<strong>de</strong>n. Sadomasochistische Sexualprakti-<br />

ken - als Wechselspiel <strong>von</strong> Dominanz <strong>und</strong> Unterwerfung, bei <strong>de</strong>m das Zufügen <strong>und</strong> Erlei<strong>de</strong>n<br />

physischer <strong>und</strong> psychischer Schmerzen eine Rolle spielt - stehen aus <strong>de</strong>r subjektiven Perspek-<br />

tive <strong>de</strong>r Betroffenen <strong>und</strong> einer ethnographischen Analyse <strong>de</strong>r etablierten Szene <strong>im</strong> Mittel-<br />

punkt. Angemerkt sei noch, dass ich angesichts <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung, die <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>r<br />

Frau in <strong>de</strong>r soziologischen, psychologischen <strong>und</strong> politischen Diskussion zukommt, hier ein<br />

eigenes Kapitel über die Biographie sadomasochistischer Frauen ausgearbeitet habe.<br />

2) Paintball o<strong>de</strong>r Gotcha<br />

Auch die Paintball- o<strong>de</strong>r Gotcha-Spieler haben in <strong>de</strong>n letzten Jahren verstärkt auf sich auf-<br />

merksam gemacht <strong>und</strong> sind zunehmend ins Kreuzfeuer <strong>de</strong>r Kritik geraten. Mit waffenähnli-<br />

chen sogenannten ‘Markierern’ ausgerüstet, schießen sie mit bunten Gelatinekugeln, die be<strong>im</strong><br />

Aufprall platzen, ‘zum Spaß’ auf Menschen (Mitspieler). Hier sei bereits angemerkt, dass<br />

diese Farbkugeln in <strong>de</strong>r Regel keinerlei schl<strong>im</strong>men Verletzungen verursachen, son<strong>de</strong>rn ‚nur’<br />

einen bunten Farbfleck (hin <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r ein Hämatom) hinterlassen. Diese quasi kriegerische<br />

Handlung ist jedoch Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt <strong>de</strong>r kritischen Diskussionen um dieses ‘Spiel’.<br />

Schlagworte wie ‘Kriegsverherrlichung’, ‘Rechtsradikalismus’ <strong>und</strong> das ‘Schießen auf einen<br />

Menschen’ kennzeichnen die Richtung <strong>de</strong>r Befürchtungen <strong>und</strong> sind die thematischen Rahmen<br />

für die mehrheitliche Berichterstattung <strong>de</strong>r Medien. Selten bemüht man sich um eine differen-<br />

zierte Betrachtungsweise <strong>und</strong> verfällt anstelle <strong>de</strong>ssen in moralische Diskussionen o<strong>de</strong>r drama-<br />

tische Beschreibungen in <strong>de</strong>m Glauben, einmal mehr rechten Gruppierungen auf die Spur<br />

gekommen zu sein.<br />

Ungeachtet <strong>de</strong>ssen hat sich Paintball über Amerika <strong>und</strong> England auch in Deutschland verbrei-<br />

tet <strong>und</strong> auch hierzulan<strong>de</strong> seit Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre eine Szene etabliert. Die Paintball-<br />

14


<strong>und</strong> Gotcha-Szene wird ethnographisch analysiert, subjektive Motivations- <strong>und</strong> Einstellungs-<br />

muster wer<strong>de</strong>n herauskristallisiert.<br />

3) Hooligans<br />

Das Phänomen <strong>de</strong>r Hooligans n<strong>im</strong>mt generell eine beson<strong>de</strong>re Stellung unter <strong>de</strong>n Fußballfans<br />

ein. Hooligans distanzieren sich <strong>de</strong>utlich <strong>von</strong> <strong>de</strong>n sogenannten ‘Kuttenträgern’ (das sind Fans,<br />

die sich <strong>und</strong> ihre Jacke über <strong>und</strong> über mit Vereinsemblemen schmücken) <strong>und</strong> heben sich <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>n ‘normalen’ unauffälligen Fußballbegeisterten ab. Sie nutzen <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>s Fußball-<br />

spiels für gewalttätige Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen unter ihresgleichen - in jüngster Vergangenheit<br />

aber verstärkt auch mit Dritten bzw. <strong>de</strong>r Polizei. Eine Affinität zu autoritär-nationalistischen<br />

Einstellungen ist bei einem Teil <strong>de</strong>r Hooligans erkennbar <strong>und</strong> hinsichtlich <strong>de</strong>s zum Teil zu<br />

Tage treten<strong>de</strong>n Gewaltniveaus sind strafrechtlich relevante Handlungen nicht untypisch.<br />

Die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit versteht alle drei Phänomene als die Herausbildung <strong>von</strong> ‘Spezialkultu-<br />

ren’, in <strong>de</strong>ren Enklaven gewaltaffine Affekte - fiktiv <strong>und</strong> real - <strong>im</strong> Sinne außeralltäglicher<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Suche nach Action <strong>und</strong> Thrill ausgelebt wer<strong>de</strong>n können (vgl. Kap. IV.).<br />

Dies erscheint zunächst provokativ: Vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r amtlichen Statistiken (Bericht<br />

<strong>de</strong>s Innenministers/Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalstatistik) <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ereignisse <strong>de</strong>r jüngsten Vergan-<br />

genheit haben wir sicherlich allen Gr<strong>und</strong> zur Sorge um die Gewalt in unserer Gesellschaft.<br />

Seit Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre mehren sich die frem<strong>de</strong>nfeindlichen Anschläge (vgl. Willems<br />

u.a. 1993) <strong>und</strong> die Zahlen <strong>de</strong>s Verfassungsschutzes verweisen auf die zunehmen<strong>de</strong> Gewalt<br />

gegenüber Auslän<strong>de</strong>rn. Überhaupt steigt seit einigen Jahren das Gewaltniveau <strong>de</strong>r Jugendli-<br />

chen an (vgl. Pfeiffer u.a. 1998). Geschürt durch die Berichterstattung in <strong>de</strong>n Medien avancie-<br />

ren Ereignisse wie <strong>de</strong>r Amoklauf eines Schülers in Bad Reichenhall <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Schülermord an<br />

einer Lehrerin in Meißen in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit gleichsam zum ‘pars pro toto’. Große Ratlosig-<br />

keit, wie <strong>de</strong>r Gewalt <strong>von</strong> <strong>und</strong> unter Jugendlichen zu begegnen sei, macht sich breit. 12 Deshalb<br />

ist zu fragen, wie sich gewaltaffine Affektkulturen wie die <strong>de</strong>r Sadomasochisten, Paintball-<br />

Spieler <strong>und</strong> Hooligans mit <strong>de</strong>n Werten unserer <strong>de</strong>m Frie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Freiheit verpflichteten<br />

Gegenwartskultur vertragen. Wie stellt sich <strong>de</strong>r soziale Charakter dieser Gewalt gegenüber<br />

an<strong>de</strong>ren Gewaltformen dar? Können die Akteure noch zwischen Fiktion <strong>und</strong> Realität unter-<br />

12 Dazu schreiben Eckert u.a. (2000, S. 13): „Die gesellschaftliche Reaktion ist hilflos: wie<strong>de</strong>r einmal ertönt <strong>de</strong>r<br />

Ruf nach Werterziehung, ohne daß wir wissen, ob es nicht gera<strong>de</strong> die Verteidigung <strong>von</strong> Werten ist, die <strong>de</strong>n<br />

Kampf anleitet; <strong>de</strong>r Ruf nach Strafverschärfung, ohne daß wir wissen, ob Strafe überhaupt abschrecken<strong>de</strong><br />

Wirkung hat, <strong>de</strong>r Ruf nach Absenkung <strong>de</strong>s Strafmündigkeitsalters, ohne daß wir wissen, was wir mit Kin<strong>de</strong>rn<br />

in einer Strafvollzugseinrichtung anfangen könnten. Kurzum, das Phänomen ist Gegenstand öffentlicher Erregung,<br />

ohne daß wir wissen, was zu tun wäre.“<br />

15


schei<strong>de</strong>n? Wenn ja, wie können ‘Spiel’ <strong>und</strong> Alltag unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n? Schließlich: wird<br />

die Affektkontrolle, die wir in Jahrh<strong>und</strong>erten <strong>de</strong>s Zivilisationsprozesses gelernt haben (vgl.<br />

Elias 1976), wie<strong>de</strong>r hinfällig?<br />

Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich zunächst die methodologische Einordnung, <strong>de</strong>n<br />

Feldzugang, das Forschungsinventar <strong>und</strong> die Auswertungsstrategien beschreiben (Kap. II.).<br />

Den Hauptteil stellen dann die empirischen Ergebnisse dar (Kap. III.). Hier zeichne ich die<br />

Phänomene Sadomasochismus, Paintball/Gotcha <strong>und</strong> Hooligans <strong>im</strong> Sinne einer Szenen- (Sa-<br />

domasochismus, Paintball) <strong>und</strong> Gruppenethnographie (Hooligans) nach. Dabei berücksichtige<br />

ich insbeson<strong>de</strong>re folgen<strong>de</strong> Analyseebenen: Biographische Hintergrün<strong>de</strong>, Zugangsmuster <strong>und</strong><br />

Erfahrungen, I<strong>de</strong>ntitäten <strong>und</strong> Alltagsrollen. In Kap. IV. skizziere ich die (zivilisati-<br />

ons)theoretische Rahmung (Spezialkultur, Gewalt, Alltag <strong>und</strong> Außeralltäglichkeit - Abenteuer<br />

<strong>und</strong> Risiko, Sensation Seeking) <strong>und</strong> formuliere abschließend Thesen mit beson<strong>de</strong>rem Blick<br />

auf die Gewaltdiskussion.<br />

16


I. Methodologie, Feldzugang <strong>und</strong> Forschungsinventar<br />

1. Die ethnographische Sozialwissenschaft<br />

Das Erfahren <strong>und</strong> Erforschen <strong>de</strong>s Frem<strong>de</strong>n ist eines <strong>de</strong>r zentralen Themen <strong>de</strong>r Ethnologie.<br />

Mittels geeigneter Forschungsstrategien soll <strong>de</strong>r Forscher die Gewohnheiten <strong>und</strong> Alltagsbe-<br />

dingungen frem<strong>de</strong>r Kulturen, aber auch spezifische kulturelle Be<strong>de</strong>utungen <strong>und</strong> Regelsysteme<br />

verstehend untersuchen. Rudolph (1983, S. 49) charakterisiert <strong>de</strong>n Gegenstand <strong>de</strong>r Ethnologie<br />

als die Untersuchung <strong>von</strong> Menschengruppen „unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>von</strong> spezifischen Unterschie-<br />

<strong>de</strong>n ihrer Daseinsform bzw. - komplementär dazu - spezifische Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Daseinsform<br />

<strong>von</strong> Menschengruppen überhaupt, d.h. nicht unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit zu<br />

einer (jeweils) eigenen, gewissermaßen als Richtschnur vorausgesetzten Daseinsform (...).“<br />

Diese Ethnien zeichnen sich durch best<strong>im</strong>mte Gewohnheiten <strong>und</strong> Alltagsbedingungen, aber<br />

auch durch spezifische kulturelle Be<strong>de</strong>utungen <strong>und</strong> Regelsysteme aus. 13<br />

Diese Art <strong>de</strong>r Forschung haben sich auch einige Soziologen zu eigen gemacht. Im 20. Jahr-<br />

h<strong>und</strong>ert gibt es mehrere Forschungsrichtungen, die <strong>de</strong>rlei ethnologisches Gedankengut mit<br />

soziologischen Theorie- <strong>und</strong> Forschungsansätzen zu verbin<strong>de</strong>n suchen. 14 Auch die vorliegen-<br />

13 Ethnologie ist eng verknüpft mit völkerk<strong>und</strong>licher, sozial- <strong>und</strong> kulturanthropologischer Forschung. Als einer<br />

<strong>de</strong>r frühen <strong>und</strong> bekanntesten Vertreter ethnologischer Forschung gilt Bronislaw Malinowski (1884-1942). Er<br />

hat das Frem<strong>de</strong> systematisch <strong>und</strong> akribisch analysiert <strong>und</strong> uns z.B. in seiner Arbeit über ‘das Geschlechtsleben<br />

<strong>de</strong>r Wil<strong>de</strong>n in Nordwestmelanesien’ die Sexualität auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s Globus näher gebracht (vgl.<br />

<strong>de</strong>rs. 1979). Seine Leistung besteht nicht <strong>im</strong> Berichten <strong>de</strong>s Einzigartigen <strong>und</strong> Sensationellen, son<strong>de</strong>rn vielmehr<br />

darin, eine vollständige Übersicht über die Phänomene zu liefern (vgl. Messner 1996). Erwähnt wer<strong>de</strong>n<br />

sollten in diesem Zusammenhang schließlich auch die Arbeiten <strong>von</strong> Benedict (1949), Lévi-Strauss (1989)<br />

o<strong>de</strong>r Mead (1965).<br />

14 In Deutschland hat R. Thurnwald <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>stein zum Konzept <strong>de</strong>r Ethnosoziologie gelegt. Zu seinen be<strong>de</strong>utendsten<br />

Veröffentlichungen zählt das fünfbändige Werk 'Die menschliche Gesellschaft in ihren ethnosoziologischen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen' (1931-1935). 1925 grün<strong>de</strong>te er die 'Zeitschrift für Völkerk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Soziologie',<br />

die nach 1950 unter <strong>de</strong>m Namen 'Sociologicus' wie<strong>de</strong>r erschien. Die <strong>von</strong> ihm hergestellten Verknüpfungen<br />

zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Disziplinen wur<strong>de</strong>n später <strong>von</strong> seinem Schüler R. König <strong>und</strong> auch <strong>von</strong> W.E. Mühlmann<br />

weiterentwickelt. Heute sind <strong>im</strong> <strong>de</strong>utschsprachigen Raum unter an<strong>de</strong>rem die Studien <strong>von</strong> R. Girtler zur Prostituiertenszene<br />

(1990), die Arbeiten <strong>von</strong> R. Hitzler <strong>und</strong> A. Honer zu <strong>de</strong>n He<strong>im</strong>werkern (1988), die Abhandlungen<br />

über Kaffeefahrten <strong>und</strong> Wünschelrutengänger <strong>von</strong> Knoblauch (1985; 1991), die Forschungsprojekte<br />

zu <strong>de</strong>n Themen ‘Medien’, ‘Jugend’ <strong>und</strong> ‘Gewalt’ <strong>von</strong> R. Eckert u.a. (z.B. 1990; 1991; 1998; 2000) o<strong>de</strong>r die<br />

kultursoziologische Dissertation <strong>von</strong> G. Ke<strong>im</strong> (1999) zur Konsumkultur zu nennen. Einen Überblick zur ethnographischen<br />

(ethnologischen) Metho<strong>de</strong> liefern: Amann/Hirschauer (1997); Berg/Fuchs (1993); Denzin<br />

(1997); Fetterman (1989); Hammersley/Atkinson (1993); Lindner (1990) o<strong>de</strong>r Stagl (1995). Mit ethnographischen<br />

Ansätzen in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Jugendforschung haben sich Neumann-Braun/Deppermann (1998) auseinan<strong>de</strong>rgesetzt.<br />

Auch in <strong>de</strong>n angelsächsischen Län<strong>de</strong>rn hat die Verknüpfung <strong>von</strong> ethnographischen <strong>und</strong> sozio-<br />

17


<strong>de</strong> Arbeit gehört in diesen Rahmen. Ethnographisch-soziologische Forschung in dieser Tradi-<br />

tion meint, dass nicht nur frem<strong>de</strong> Völker, son<strong>de</strong>rn kulturelle Son<strong>de</strong>rwelten untersucht wer<strong>de</strong>n,<br />

die sich durch spezifische Differenzierungs- <strong>und</strong> Segregationsprozesse innerhalb <strong>de</strong>r eigenen<br />

Gesellschaft gebil<strong>de</strong>t haben. War die „Ethnologie ein Jahrh<strong>und</strong>ert lang wissenschaftliche<br />

Begleiterin <strong>von</strong> Kolonisation <strong>und</strong> Dekolonisation“ (Luyken 1996, S. 35), so untersucht <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rne Ethnologe nicht die Stämme <strong>im</strong> Busch. Wer Exotik sucht, muss nicht (mehr) in die<br />

entlegenen Winkel <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> reisen, son<strong>de</strong>rn fin<strong>de</strong>t sie gleich um die Ecke, in <strong>de</strong>r New Yorker<br />

Bronx, in <strong>de</strong>n Pariser Banlieues, in <strong>de</strong>n U-Bahnen (vgl. Augé 1994) <strong>und</strong> - mit Blick auf die<br />

vorliegen<strong>de</strong> Arbeit - hinter ganz normalen <strong>de</strong>utschen Gardinen. Diese vielfach als Subkultu-<br />

ren - in <strong>de</strong>r Begrifflichkeit hier als Spezialkulturen - bezeichneten Enklaven wer<strong>de</strong>n genau so<br />

untersucht, als han<strong>de</strong>le es sich bei ihnen um frem<strong>de</strong> Ethnien. 15 Unter Kultur ist dabei <strong>im</strong> An-<br />

schluss an die kulturanthropologische Tradition ein Komplex <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utungen <strong>und</strong> Vorstel-<br />

lungen, <strong>de</strong>r symbolisch ausgedrückt wird, zu verstehen. Geertz (1983, S. 9) zufolge ist „<strong>de</strong>r<br />

Mensch ein Wesen, das in selbstgesponnene Be<strong>de</strong>utungsgewebe verstrickt ist, wobei Kultur<br />

als dieses ‘Gewebe’ anzusehen ist.“ Deshalb liegt die Aufgabe einer ethnographisch orientier-<br />

ten Kulturanalyse, die sich mit unserer Gesellschaft beschäftigt, <strong>im</strong> Verstehen <strong>von</strong> Sinnmus-<br />

tern. Sie verkörpern sich in <strong>de</strong>n Handlungen, Ritualen <strong>und</strong> Gegenstän<strong>de</strong>n, mittels <strong>de</strong>rer die<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>von</strong> Spezialkulturen miteinan<strong>de</strong>r kommunizieren. 16<br />

logischen Ansätzen eine lange Tradition. Insbeson<strong>de</strong>re die Vertreter <strong>de</strong>r Chicago School in <strong>de</strong>n USA verknüpften<br />

ethnologisches Wissen mit soziologischen Fragestellungen <strong>und</strong> gewannen nachhaltigen Einfluss auf<br />

die Soziologie. Beson<strong>de</strong>rs R.E. Park (1952) <strong>und</strong> W.L. Warner (1953) wur<strong>de</strong>n durch ihre ethnologische Großstadtforschung<br />

bekannt. Zu nennen sind weiter die Arbeit <strong>von</strong> F.M. Thrasher (1927) zu kr<strong>im</strong>inellen Gangs,<br />

die Street-Corner-Society-Studie <strong>von</strong> W.F. Whyte (1943) <strong>und</strong> die Arbeiten <strong>von</strong> H.S. Becker (1973) <strong>und</strong> J.<br />

Thomas (1983). Nicht zuletzt die Subkultur-, Jugend- <strong>und</strong> Medienforschung <strong>de</strong>s ‘Center for Contemporary<br />

Cultural Studies’ in Birmingham mit Arbeiten <strong>von</strong> P. Willis (1981; 1991), J. Clarke u.a. (1979) o<strong>de</strong>r J. Fiske<br />

(1987) sind in diesem Zusammenhang zu nennen.<br />

15 Der französische Soziologie M. Maffesoli (1988) bezeichnet diese Segmentierung als 'Neo-Tribalismus'. Er<br />

lehnt sich damit begrifflich an ethnologisches Gedankengut an. So, wie best<strong>im</strong>mte archaische Stammesformen<br />

eigenständige Kulturen hervorbringen, tun dies auch die Neo-Tribalisten in ihren Lebensräumen.<br />

16 Bleibt noch darauf hinzuweisen, dass ethnologische Forschungsansätze resp. ethnographische Metho<strong>de</strong>n<br />

Einzug in die kommerzielle Marktforschung gehalten haben (vgl. Hörz 1996; Ke<strong>im</strong> 1999; Miller 1995;<br />

Shields 1992; Sherry 1995). Das auf qualitative Metho<strong>de</strong>n spezialisierte Marktforschungsinstitut GIM (Gesellschaft<br />

für innovative Marktforschung) mit Sitz in Hei<strong>de</strong>lberg hat <strong>im</strong> Jahr 1997 für <strong>de</strong>n Musiksen<strong>de</strong>r MTV<br />

eine ethnographische Jugendstudie durchgeführt. ‘Real-Life-Explorationen’ mittels Tiefeninterviews, Beobachtungen,<br />

Feldtagebüchern <strong>und</strong> Photodokumentationen geben Aufschluss über die thematischen Bereiche<br />

Medien, Shopping, Sport, Mo<strong>de</strong>, Ernährung o<strong>de</strong>r Nightlife <strong>und</strong> erlauben Aussagen zu gr<strong>und</strong>sätzlichen Werthaltungen,<br />

<strong>de</strong>r Markenverwendung <strong>und</strong> Marken-Settings <strong>von</strong> Jugendlichen <strong>im</strong> Alter zwischen 14 <strong>und</strong> 29 Jahren.<br />

Im Vorwort <strong>de</strong>s (veröffentlichten) Berichtes heißt es: „Generell haben die klassischen Erhebungsinstrumente<br />

<strong>de</strong>r Marktforschung ihre Grenzen, wenn es um die Erfassung <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit <strong>und</strong> ihrer Dynamik<br />

geht. Dies gilt beson<strong>de</strong>rs für die Zuschauerschaft <strong>von</strong> MTV. So sind junge Opinion Lea<strong>de</strong>rs nicht nur<br />

schwer für klassische Marktforschungsprojekte zu gewinnen, ihre mentale Komplexität (beson<strong>de</strong>rs in bezug<br />

auf das Konsumverhalten) kann man genauso wenig auf vorgefertigte Standard-Items in Fragebögen reduzieren.<br />

Qualitative Studien sind sicherlich kein Ersatz für die quantitativen Markt- <strong>und</strong> Mediastudien. Sie sind<br />

18


Zu diesen kulturellen Enklaven hat <strong>de</strong>r Sozialforscher, <strong>de</strong>r zwar <strong>de</strong>m gleichen übergreifen<strong>de</strong>n<br />

Kulturkreis wie die zu untersuchen<strong>de</strong> Spezialkultur entstammt, we<strong>de</strong>r einen selbstverständli-<br />

chen Zugang, noch ist das Verstehen <strong>von</strong> diesen Welten ohne Weiteres möglich. Deshalb<br />

muss er zuallererst die notwendige Sensibilität für diese Fremdheit entwickeln <strong>und</strong> die unver-<br />

traute Kultur prinizpiell als eigenständige Symbol- <strong>und</strong> Sinnwelt begreifen. Nur wer das<br />

Frem<strong>de</strong> wahrn<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> sich auf diese Wirklichkeit einlässt, hat die Chance, die zu untersu-<br />

chen<strong>de</strong> Kultur wirklich zu erkennen. 17 Dementsprechend kann ein solches Forschungsvorha-<br />

ben nur dann gelingen, wenn die normativen Bezugssysteme <strong>de</strong>r eigenen Wirklichkeit tempo-<br />

rär aufgegeben wer<strong>de</strong>n. Der Forscher muss sich auf die Relevanzsysteme <strong>de</strong>r frem<strong>de</strong>n Ethnien<br />

einlassen. Seine Aufgabe ist es dabei, „eine Kultur o<strong>de</strong>r eine Gesellschaft o<strong>de</strong>r eine Sitte so<br />

gut wie möglich in <strong>de</strong>m Bezugsrahmen <strong>de</strong>r Gesellschaft, die er studiert, statt in seinem eige-<br />

nen zu verstehen. Also nicht häßlich zu fin<strong>de</strong>n, was er häßlich fin<strong>de</strong>t, <strong>und</strong> wenn möglich zu<br />

verstehen, wie das kommt“ (Wolff 1981, S. 345). Gleichzeitig jedoch muss <strong>de</strong>r Forscher dar-<br />

auf achten, dass die Perspektive <strong>de</strong>r frem<strong>de</strong>n Kultur nicht zur eigenen wird, <strong>de</strong>nn nur so kann<br />

die objektivieren<strong>de</strong> Beobachterposition erhalten bleiben.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n Diversifizierung <strong>und</strong> Pluralisierung <strong>von</strong> Lebenswelten in un-<br />

serer Gesellschaft (vgl. Beck 1986; Eckert/Winter 1990) wird diese For<strong>de</strong>rung <strong>im</strong>mer wichti-<br />

ger. Mit <strong>de</strong>n Frem<strong>de</strong>n unter uns teilen wir einige Gemeinsamkeiten, z.B. best<strong>im</strong>mte Formen<br />

<strong>de</strong>r Alltagsorganisation o<strong>de</strong>r ähnliche Reproduktionsbedingungen. In <strong>de</strong>n Bereichen, die für<br />

das Selbstverständnis dieser Personen <strong>und</strong> mitunter auch für ihre I<strong>de</strong>ntität wichtig sind, etwa<br />

die ‚Lust am grausamen Bild’ bei <strong>de</strong>n Horrorfans (vgl. Eckert u.a. 1990) o<strong>de</strong>r - <strong>im</strong> vorliegen-<br />

<strong>de</strong>n Fall - die Neigungen <strong>de</strong>r Sadomasochisten, Paintball-Spieler <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Hooligans, versagt<br />

unser Verstehen, wenn wir unsere gewohnten Relevanzrahmen <strong>und</strong> Normen auf die frem<strong>de</strong>n<br />

Erfahrungsräume übertragen. Dies macht es auch unumgänglich, die eigenen ästhetischen <strong>und</strong><br />

aber eine notwendige Ergänzung, um Licht in die ‘Black Box’ junger Konsumenten zu bringen. Die Studie<br />

‘Viewing the Viewers’ dient pr<strong>im</strong>är <strong>de</strong>m Verständnis <strong>de</strong>r Bedürfnisse junger Zielgruppen. Sie ist somit relevant<br />

für die Programmplanung <strong>und</strong> für die Entwicklung einer ganzheitlichen Positionierungsstrategie <strong>von</strong><br />

MTV. Gleichzeitig kann diese Art qualitativer Marktforschung auch ein wichtiges Tool für die Entwicklung<br />

<strong>von</strong> Marketingstrategien für ‘junge’ Produkte <strong>von</strong> Markenartiklern sein“ (MTV/GIM 1997). Ich selbst habe<br />

schließlich als Mitarbeiterin <strong>de</strong>r GIM zusammen mit Gerhard Ke<strong>im</strong> <strong>und</strong> in Kooperation mit <strong>de</strong>m Lehrstuhl<br />

für Europäische Ethnologie <strong>de</strong>r Humboldt-Universität Berlin eine groß angelegte, <strong>von</strong> einem Auftraggeberkonsortium<br />

aus <strong>de</strong>n Bereichen Medien, Kosmetik, Pet Food/Human Food <strong>und</strong> Automobil finanzierte, ethnographische<br />

Gr<strong>und</strong>lagenstudie zum Thema ‘Senioren/50 Plus als attraktive Zielgruppe für das Marketing’<br />

durchgeführt.<br />

17 Die allzu häufige Nichtbeachtung dieser Aufgabe macht König (1984, S. 23) <strong>de</strong>r Soziologie zum Vorwurf:<br />

"So erweist sich nur allzu <strong>de</strong>utlich, wenn man auch nur ein Min<strong>de</strong>stmaß an Kenntnis <strong>de</strong>r gängigen soziologischen<br />

Forschung hat, daß das Phänomen <strong>de</strong>s 'Frem<strong>de</strong>n' eigentlich nirgendwo zu seinem wirklichen Gewicht<br />

in die Arbeit eingebracht wird, was natürlich <strong>de</strong>r hemmungslosen Ausbreitung <strong>von</strong> Vorurteilen Tür <strong>und</strong> Tor<br />

öffnet."<br />

19


moralischen Wertungen für <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Analyse zu suspendieren. Ohnedies könnten For-<br />

scher für Wertungen keine spezielle Autorität in Anspruch nehmen, die über die an<strong>de</strong>rer Bür-<br />

ger hinausgehen könnte. Wissenschaftler beschreiben das ‚Sein’ <strong>und</strong> dafür können sie Sach-<br />

autorität beanspruchen. Zu beurteilen, was sein soll, sind wir alle - Forscher <strong>und</strong> Laien - glei-<br />

chermaßen kompetent. Die Untersuchung soll entsprechen<strong>de</strong> Wertungen - <strong>de</strong>r Leser, <strong>de</strong>r Ju-<br />

risten, <strong>de</strong>s Gesetzgebers - ermöglichen, nicht aber vorwegnehmen; eine For<strong>de</strong>rung, die Max<br />

Weber (1917/1973, S. 499) schon zu Beginn dieses Jahrh<strong>und</strong>erts erhoben hat:<br />

„Auf das Kathe<strong>de</strong>r gehört sie [die Wertung, L.S.] nicht, - son<strong>de</strong>rn in die politischen<br />

Programme, Bureaus <strong>und</strong> Parlamente. Die Wissenschaften, normative <strong>und</strong><br />

empirische, können <strong>de</strong>n politisch Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>n streiten<strong>de</strong>n Parteien nur einen<br />

unschätzbaren Dienst leisten, nämlich ihnen zu sagen: 1. es sind die <strong>und</strong> die<br />

verschie<strong>de</strong>nen ‘letzten’ Stellungnahmen zu diesem praktischen Problem <strong>de</strong>nkbar;<br />

2. so <strong>und</strong> so liegen die Tatsachen, mit <strong>de</strong>nen ihr bei eurer Wahl zwischen diesen<br />

Stellungnahmen zu rechnen habt.“<br />

Bei <strong>de</strong>r empirischen Annäherung an die Spezialkulturen <strong>de</strong>r Sadomasochisten, Paintball-<br />

Spieler <strong>und</strong> Hooligans waren Wertungen - so weit dies möglich ist - zu vermei<strong>de</strong>n. Wenn<br />

<strong>de</strong>nnoch Begriffe wie ‘normal’ <strong>und</strong> ‘abweichend’ verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, so ist dies nicht wertend<br />

gemeint, son<strong>de</strong>rn als Bezugnahme auf die Vorstellungen <strong>de</strong>r Mehrheit zu verstehen.<br />

Mit Hilfe eines streng ethnographischen Forschungsverständnisses wer<strong>de</strong>n über subjektnahe<br />

wie auch verstehen<strong>de</strong> Strategien die typischen Sinnmuster dieser frem<strong>de</strong>n - <strong>und</strong> auch <strong>von</strong> <strong>de</strong>r<br />

soziologischen Forschung kaum berührten - Welten rekonstruiert. Methodisch ist diese Art<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnisgewinnung auf ‚the actor’s point of view’ zentriert. 18 Eine ethnographisch aus-<br />

gerichtete Kulturforschung sucht das Subjekt <strong>de</strong>shalb in seiner Sozialwelt auf <strong>und</strong> versucht<br />

jene Strukturen <strong>und</strong> Bezüge zu untersuchen, die für sein Verhalten <strong>und</strong> seine Sinnorientierun-<br />

gen be<strong>de</strong>utsam sind (vgl. Bergmann 1985). Bezogen auf die Sadomasochisten, Paintballer <strong>und</strong><br />

Hooligans heißt dies, dass ihre Spezialisierung <strong>im</strong>mer auch Teil einer umfassen<strong>de</strong>n Lebens-<br />

welt ist, mit <strong>de</strong>r sie auf vielfältige Weise verb<strong>und</strong>en sind. 19<br />

18 Blumer (1966, S. 542) führt dazu aus: "Since action is forged by the actor out of what he perceives, interprets<br />

and judges, one would have to see the operating situation as the actor sees it, perceive objects as the actor<br />

perceives them, as certain their meaning in terms of the meaning they have for the actor, and follow the actor's<br />

line of conduct as the actor organizes it - in short, one would have to take the role of the actor and see<br />

his world from his standpoint."<br />

19 Auf diese soziale Verflechtung <strong>de</strong>s einzelnen hat bereits Mead (1934/1968, S. 266) mit Nachdruck hingewiesen:<br />

"Doch selbst in <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnsten <strong>und</strong> entwickelsten Spielarten <strong>de</strong>r menschlichen Zivilisation n<strong>im</strong>mt <strong>de</strong>r<br />

einzelne, wie originell <strong>und</strong> schöpferisch er in seinem Denken auch sein mag, <strong>im</strong>mer <strong>und</strong> notwendigerweise<br />

eine <strong>de</strong>finitive Beziehung zum allgemein organisierten Verhaltens- o<strong>de</strong>r Tätigkeitsmuster ein <strong>und</strong> reflektiert<br />

es in <strong>de</strong>r Struktur seiner eigenen I<strong>de</strong>ntität o<strong>de</strong>r Persönlichkeit, ein Muster, das <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Le-<br />

20


Diese Vorgehensweise, die die subjektive Perspektive <strong>de</strong>r Betroffenen, ihre ‚Story’ in <strong>de</strong>n<br />

Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> stellt, wird <strong>von</strong> Neumann-Braun/Deppermann (1998, S. 242) u.a. mit Bezug auf<br />

Bergmann (1985) kritisiert: Sie gebe „rekonstruieren<strong>de</strong> Darstellungen <strong>de</strong>r Alltagspraxis, nicht<br />

jedoch die Alltagspraxis selbst <strong>und</strong> auch nicht die Praxis <strong>de</strong>s Darstellens“ wie<strong>de</strong>r. 20 Zuzu-<br />

st<strong>im</strong>men ist, dass <strong>de</strong>r Forscher Gefahr läuft, „<strong>von</strong> bewußter Täuschung, selektiven (mögli-<br />

cherweise sogar vorbewußten) Rekonstruktionen <strong>und</strong> interessegeleiteten Korrekturen (z.B.<br />

aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r sozialen Erwünschtheit)“ (Eckert u.a. 2000, S. 29) in die Irre geleitet zu wer-<br />

<strong>de</strong>n. Den einseitigen Selbstbeschreibungen stehen hier allerdings folgen<strong>de</strong> Strategien gegen-<br />

über:<br />

1) Die Begleitung einzelner Gruppenmitglie<strong>de</strong>r über einen längeren, teilweise mehrjährigen<br />

Zeitraum. Insofern han<strong>de</strong>lt es sich nicht nur um retrospektive/biographische, son<strong>de</strong>rn<br />

auch um Prozessdaten, die Wi<strong>de</strong>rsprüche <strong>und</strong> Verän<strong>de</strong>rungen aufzu<strong>de</strong>cken vermögen.<br />

2) Hinzu kommt die Perspektivenvielfalt <strong>de</strong>r einbezogenen Personen. Befragt habe ich<br />

auch Familienmitglie<strong>de</strong>r, Nachbarn, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte sowie Experten.<br />

3) Schwach-reaktive Daten (Beobachtung durch <strong>de</strong>n Forscher) erlauben die Kontrolle <strong>de</strong>r<br />

Inhalte <strong>de</strong>r Interviews. Feldmaterialien sind als natürliche, unverfälschte Kommunikation<br />

zu interpretieren.<br />

2. Retrospektive Wegbeschreibung - <strong>de</strong>r Zugang zum Untersuchungsfeld<br />

Ethnographische Forschung fin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>n alltäglichen Bezügen <strong>de</strong>r untersuchten Subjekte<br />

statt, <strong>de</strong>nn die sinngemäße, authentische Rekonstruktion ihrer Erfahrungen, Gefühle <strong>und</strong> kul-<br />

turellen Muster ist nur über unmittelbare Kontakte gewährleistet. Die Auswertung <strong>von</strong> aus-<br />

schließlich sek<strong>und</strong>ären Datenmaterialien (Presseberichte, Fernsehsendungen, Berichte <strong>von</strong><br />

Dritten, Bücher usw.) bringt dagegen beinahe zwangsläufig Verzerrungen wie auch Fehlinter-<br />

pretationen mit sich. Übertragen auf die hier untersuchten Spezialkulturen wür<strong>de</strong> z.B. eine<br />

Analyse <strong>von</strong> Artikeln aus <strong>de</strong>r Regenbogenpresse eher Erkenntnisse über Vorurteile <strong>und</strong> In-<br />

formations<strong>de</strong>fizite erbringen, als über die tatsächliche Lebenssituation <strong>de</strong>r Betroffenen; d.h.<br />

über ihre Erfahrungen, Gefühle <strong>und</strong> Ängste wür<strong>de</strong> man vermutlich kaum etwas erfahren. Der<br />

Forscher muss <strong>de</strong>shalb - soll seine Forschung alltags- <strong>und</strong> subjektnah sein - das Feld aufsu-<br />

bensprozeß manifestiert, in <strong>de</strong>n er eingeschaltet ist <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen schöpferischer Ausdruck seine I<strong>de</strong>ntität o<strong>de</strong>r<br />

Persönlichkeit ist."<br />

20 Vgl. auch Willems (1998)<br />

21


chen <strong>und</strong> ‚soziale Welten aus erster Hand’ (vgl. Filstead 1979) beschreiben. 21 Damit wird <strong>de</strong>r<br />

Zugang zum Untersuchungsfeld entschei<strong>de</strong>nd für <strong>de</strong>n Erfolg ethnographischer Forschung.<br />

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass <strong>de</strong>r Zugang zum Untersuchungsfeld für <strong>de</strong>n ethnogra-<br />

phischen Forscher nicht exakt planbar <strong>und</strong> antizipierbar ist. Er hängt <strong>im</strong> hohen Maße vom<br />

Erfindungsgeist <strong>de</strong>s Forschers, seiner Kreativität, seinem zeitlichen Engagement <strong>und</strong> seiner<br />

Bereitschaft, sich auf das zu erforschen<strong>de</strong> Phänomen einzulassen, ab. Gleichzeitig ist <strong>de</strong>r<br />

Feldzugang <strong>im</strong>mer auch sehr stark <strong>von</strong> zufälligen Ereignissen bzw. glücklichen Umstän<strong>de</strong>n<br />

best<strong>im</strong>mt, <strong>und</strong> nicht zuletzt auch <strong>von</strong> Sympathien <strong>und</strong> Antipathien. Dies mag <strong>de</strong>n methodolo-<br />

gisch-methodisch gebil<strong>de</strong>ten Leser aufschrecken: Wer allerdings behauptet, Emotionen völlig<br />

ausschließen zu können, hat <strong>de</strong>n Blick für die Wirklichkeit verloren. Wenn Aussehen, Klei-<br />

dung, Gestik, M<strong>im</strong>ik, Sprache etc., kurz ‘<strong>de</strong>r Stil <strong>de</strong>s Forschers’ <strong>de</strong>m Gesprächspartner <strong>im</strong><br />

Feld nicht gefällt, kommt <strong>de</strong>r intensive Kontakt erst gar nicht zustan<strong>de</strong>. Der Forscher selbst<br />

kann <strong>de</strong>m Untersuchungsgegenstand (<strong>de</strong>r zu befragen<strong>de</strong>n Person) gegenüber seine eigene<br />

Haltung reflektieren, <strong>und</strong> muss Bewertungen soweit wie möglich vermei<strong>de</strong>n. Umgekehrt je-<br />

doch stehen die Gesprächspartner <strong>im</strong> Feld nicht in <strong>de</strong>r Pflicht <strong>und</strong> können ihre Unterstützung<br />

<strong>von</strong> Gefallen <strong>und</strong> Missfallen abhängig machen.<br />

Somit kann die Reise in frem<strong>de</strong> Kulturen - das soll ‘retrospektive Wegbeschreibung’ in <strong>de</strong>r<br />

Überschrift zu diesem Kapital zum Ausdruck bringen - <strong>im</strong>mer nur <strong>im</strong> nachhinein beschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n. Es gibt keine ‘Routenplanung’, keine Richtlinien, gr<strong>und</strong>sätzlich erfolgversprechen-<br />

<strong>de</strong>n Vorgehensweisen, die Erfahrene <strong>de</strong>n weniger erfahrenen Feldforschern mit auf <strong>de</strong>n Weg<br />

geben könnten. Allerdings möchte ich aus meiner mehrjährigen Erfahrung insbeson<strong>de</strong>re auch<br />

mit ‘abweichen<strong>de</strong>n’ o<strong>de</strong>r gar ‘kr<strong>im</strong>inellen’ Subkulturen als einziges handlungsleiten<strong>de</strong>s Para-<br />

digma formulieren: ‘Anything goes’. Dies <strong>im</strong>pliziert, dass je<strong>de</strong> noch so kleine o<strong>de</strong>r mit hohem<br />

Aufwand verb<strong>und</strong>ene Chance genutzt wer<strong>de</strong>n soll o<strong>de</strong>r besser: muss. Keine Kontaktmöglich-<br />

keit darf frühzeitig als mehr o<strong>de</strong>r weniger erfolgversprechend (dis-)qualifiziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Girtler (1988, S. 54) bemerkt zu diesem Problem:<br />

„Zu <strong>de</strong>r am Beginn seiner Forschung wohl schwierigsten Frage <strong>de</strong>s Forschers gehört<br />

die nach <strong>de</strong>r Einleitung <strong>de</strong>s Kontaktes zu <strong>de</strong>r ihn interessieren<strong>de</strong>n Gemeinschaft.<br />

Diese Frage ist eminent wichtig, da ein gelungener Zugang entschei<strong>de</strong>nd<br />

für die Durchführung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Erfolg <strong>de</strong>r Untersuchung ist. Es wird oft übersehen,<br />

daß gera<strong>de</strong> hierin das vielleicht größte Problem <strong>de</strong>s Forschen<strong>de</strong>n liegt. Manche<br />

Eleven in <strong>de</strong>r Soziologie <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ethnologie meinen, <strong>de</strong>r erste Schritt könne nicht<br />

21 Für Haeberle (1989, S. 75) ist die Erfahrung vor Ort essentiell: "Ein Sexologe, <strong>de</strong>r etwa Bor<strong>de</strong>lle, Sexkeller,<br />

Herrensaunen, Nacktba<strong>de</strong>strän<strong>de</strong>, Sadomasochistenclubs <strong>und</strong> ähnliches nur aus Büchern kennt, hat seinen<br />

Beruf verfehlt." Diese Feststellung ist auch auf an<strong>de</strong>re Lebensbereiche <strong>und</strong> -welten übertragbar.<br />

22


schwer sein, <strong>und</strong> es wür<strong>de</strong> sich schon jemand fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sie z.B. <strong>de</strong>n Leuten vorstellt.<br />

Die weiteren Schritte <strong>und</strong> die Akzeptierung durch die betreffen<strong>de</strong>n Personen<br />

wür<strong>de</strong>n sich <strong>von</strong> selbst ergeben usw. Der erfahrene Feldforscher weiß jedoch,<br />

daß ein guter <strong>und</strong> wirkungsvoller Zugang mit Mühen <strong>und</strong> auch mit einer Portion<br />

Glück verb<strong>und</strong>en ist.“<br />

Im Falle <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit war es das Ziel, <strong>de</strong>n Status <strong>de</strong>s ‚nichtteilnehmen<strong>de</strong>n Beob-<br />

achters’ <strong>und</strong> <strong>de</strong>s akzeptierten Gesprächspartners zu erreichen. Doch dies war keineswegs ein-<br />

fach. Ehe ich ein erstes Gespräch mit einem Sadomasochisten, Paintballer o<strong>de</strong>r Hooligan füh-<br />

ren konnte, musste ich zunächst einmal eine Mauer aus Misstrauen, Angst, Schamgefühlen<br />

<strong>und</strong> Desinteresse überwin<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> um die Befragten für ein Interview zu gewinnen, musste<br />

zunächst eine Vertrauensbasis geschaffen wer<strong>de</strong>n. Dementsprechend schwierig hat sich <strong>de</strong>r<br />

Zugang - „the first and most uncomfortable stage of fieldwork“ (Wax 1971, S. 15) - in die<br />

unterschiedlichen Szenen gestaltet.<br />

Die Chronologie <strong>de</strong>s Feldzugangs kann in <strong>de</strong>r Abfolge Recherchieren, Kontaktieren, Infor-<br />

mieren (unidirektionales Verhalten), Kommunizieren <strong>und</strong> Akzeptieren (interaktiv) beschrie-<br />

ben wer<strong>de</strong>n.<br />

Recherchieren<br />

Zunächst einmal galt es, sämtliche (vorhan<strong>de</strong>nen) Möglichkeiten <strong>de</strong>r Kontaktaufnahme mit<br />

<strong>de</strong>n Szenen resp. Spezialkulturen <strong>und</strong> ihrer Mitglie<strong>de</strong>r zu eruieren: Bereits bekannte An-<br />

sprechpartner aus vorangegangenen Forschungsprojekten (hier ist insbeson<strong>de</strong>re das For-<br />

schungsprojekt ‘Grauen <strong>und</strong> Lust’ zum Thema Vi<strong>de</strong>opornographie zu nennen; vgl. Eckert u.a.<br />

1990), Kontakte durch Forscherkolleginnen <strong>und</strong> -kollegen, themenaffine Professionen <strong>und</strong><br />

nicht zuletzt auch Studieren<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>n Seminaren an <strong>de</strong>r Universität sowie Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Be-<br />

kannte (je<strong>de</strong>r kennt jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>n kennt, <strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>n kennt...). Neben diesen per-<br />

sönlichen Kontakten zu Mittelspersonen war die Lektüre <strong>von</strong> Szene- <strong>und</strong> Fachpublikationen<br />

sowie die Abfrage <strong>im</strong> Internet ein wichtiger erster Schritt ins Feld. Aus <strong>de</strong>r Sichtung soge-<br />

nannter Fanzines (Fanmagazine aus <strong>de</strong>n Bereichen SM, Paintball, Fußball/Hooligans) konn-<br />

ten wichtige ‘Persönlichkeiten’ aus <strong>de</strong>n einzelnen Szenen ausfindig gemacht wer<strong>de</strong>n. Perso-<br />

nen, <strong>de</strong>ren Namen in Kontaktanzeigen, Kaufgesuchen, Leserbriefen o<strong>de</strong>r Szeneberichten <strong>im</strong>-<br />

mer wie<strong>de</strong>r auftauchten, stellten sich dann <strong>im</strong> Nachhinein auch als wichtige Kontakte heraus.<br />

Aber auch in wissenschaftlichen Publikationen o<strong>de</strong>r z.B. Erfahrungsberichten <strong>von</strong> Streetwor-<br />

kern ließen sich Namen <strong>und</strong> Adressen <strong>von</strong> möglichen Kontaktpersonen fin<strong>de</strong>n.<br />

23


Zu Beginn sammelte ich Namen, Telefonnummern sowie Anschriften möglicher erster Ge-<br />

sprächspartner. Zu je<strong>de</strong>m einzelnen möglichen Kontakt fertigte ich dann Protokolle mit kur-<br />

zen Beschreibungen zur Herkunft bzw. Quelle <strong>de</strong>s Kontaktes sowie Informationen über <strong>de</strong>n<br />

Gesprächspartner o<strong>de</strong>r die Gesprächspartnerin an. Also z.B. ‘Marko, 22 Jahre, schreibt regel-<br />

mäßig Artikel für Paintballmagazine, Tages- <strong>und</strong> Wochenzeitungen. Zentrale Person in einem<br />

Club, die Szene scheint ihn zu kennen, man berichtet über ihn’.<br />

Kontaktieren <strong>und</strong> Informieren<br />

Diese Kontakte habe ich dann systematisch abgearbeitet. Entwe<strong>de</strong>r, in<strong>de</strong>m ich die Personen<br />

anrief, sie anschrieb o<strong>de</strong>r - <strong>im</strong> Falle <strong>von</strong> Geschäftsleuten mit öffentlich zugänglichem La<strong>de</strong>n -<br />

sie direkt besuchte. Es war notwendig, mehrere h<strong>und</strong>ert Telefonate zu führen <strong>und</strong> ebenso viele<br />

Briefe zu verschicken, in <strong>de</strong>nen ich mich <strong>und</strong> das Forschungsanliegen vorstellte. Die Briefe<br />

waren weitestgehend individuell, d.h. beispielsweise mit Bezug auf die jeweiligen Anzeigen-<br />

texte aus Magazinen etc. formuliert. Standardmäßig fügte ich ein Informationsblatt bei, das<br />

die soziologische Forschungsperspektive, die methodische Vorgehensweise, die Finanzierung<br />

<strong>de</strong>s Projektes, datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n ‘Verwendungszweck’<br />

skizzierte. 22 Neben <strong>de</strong>m Versen<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Briefen legte ich Informationsmaterial mit meiner<br />

Kontaktadresse in entsprechen<strong>de</strong>n Szene-Lokalen <strong>und</strong> -Treffs o<strong>de</strong>r Beratungsstellen aus. Mit<br />

Blick auf die unterschiedlichen Szenen waren dies Vi<strong>de</strong>otheken, Sex-Shops, SM-Lä<strong>de</strong>n, Do-<br />

mina-Studios, Bor<strong>de</strong>lle, AIDS-Hilfen o<strong>de</strong>r Waffengeschäfte, die Paintballzubehör verkaufen.<br />

Um an die Hooligans zu gelangen, stellte ich Mitarbeitern <strong>de</strong>r Polizei Informationsmaterial zu<br />

meinem Anliegen zur Verfügung.<br />

Die Nutzung bestehen<strong>de</strong>r Kommunikationswege in <strong>de</strong>n jeweiligen Spezialkulturen ist - diese<br />

Erfahrung machte ich auch in an<strong>de</strong>ren Forschungsfel<strong>de</strong>rn 23 - ein wichtiger Teil eines erfolg-<br />

reichen Feldzugangs. Wer<strong>de</strong>n die Befragungspersonen über ihnen vertraute Wege <strong>und</strong> Medien<br />

angesprochen, wird <strong>de</strong>m Forscher nicht selten ein Vertrauensvorschuss entgegengebracht, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Weg in das Feld ebnen kann.<br />

Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass <strong>de</strong>n Zugang zur SM-Szene insbeson<strong>de</strong>re Besitzer<br />

<strong>von</strong> SM-, Le<strong>de</strong>r- <strong>und</strong> Dessous-Boutiquen ebneten, die entwe<strong>de</strong>r selbst praktizierten o<strong>de</strong>r eben<br />

22 Vgl. z.B. das Informationsblatt <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Brieftext für die Paintball-Spieler <strong>im</strong> Anhang.<br />

23 So z.B. <strong>im</strong> Projekt 'Datenreisen<strong>de</strong> - Die Kultur <strong>de</strong>r Computernetze' (vgl. Wetzstein u.a. 1995). Das Ansprechen<br />

<strong>von</strong> Interviewpartnern über ihre elektronischen Kommunikationswege hat <strong>de</strong>n Zugang zur Welt <strong>de</strong>r Datenreisen<strong>de</strong>n<br />

wesentlich erleichtert.<br />

24


nur geschäftlich interessiert waren. Daneben waren AIDS-Hilfen <strong>und</strong> Organisatoren <strong>von</strong> Sze-<br />

ne-Treffen sowie Clubsprecher be<strong>im</strong> Feldzugang behilflich. Nicht zu vergessen: Professionel-<br />

le Dominas haben uns Kontakte zu K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> in die Prostituierten-Szene vermittelt. Ein<br />

erster Kontakt zur Paintball-Szene gelang mir über in <strong>de</strong>r Szene akzeptierte <strong>und</strong> angesehene<br />

Persönlichkeiten. Der Zufall wollte es, dass ich diese gleich zu Beginn <strong>de</strong>r Recherchen über<br />

Kontaktanzeigen in Paintballmagazinen ausfindig machen konnte. Der Zugang zu <strong>de</strong>n Hooli-<br />

gans gelang <strong>im</strong> wesentlichen über einen auf die Szene spezialisierten Mitarbeiter <strong>de</strong>r Polizei,<br />

<strong>de</strong>r trotz <strong>de</strong>s ‘feindlichen Status’ großes Ansehen genießt <strong>und</strong> als Vertrauensperson akzeptiert<br />

war. Er nahm mich mit zum ‘Dienst’ - hier: ins Fußballstadion zum Samstagsspiel - <strong>und</strong> stell-<br />

te mich einigen Hools vor. Die ersten Ansprechpartner sollten dann später als Multiplikatoren<br />

o<strong>de</strong>r besser gesagt als Promotoren für die Forschungsarbeit fungieren. Mit ihnen konnten wei-<br />

tere Strategien <strong>de</strong>r Kontaktaufnahme erarbeitet wer<strong>de</strong>n, sie haben mich <strong>und</strong> mein Anliegen in<br />

<strong>de</strong>r Szene ‘empfohlen’ <strong>und</strong> mir weitere interessante Gesprächspartner vermittelt <strong>und</strong> vorge-<br />

stellt.<br />

Kommunizieren <strong>und</strong> Akzeptieren<br />

Von <strong>de</strong>r Bekanntmachung <strong>de</strong>s Projektes bis zur Durchführung eines Interviews o<strong>de</strong>r ungestör-<br />

ter Beobachtungseinheiten <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong> Veranstaltungen etc. waren aber noch einige Hür-<br />

<strong>de</strong>n zu überwin<strong>de</strong>n bzw. lag ein langwieriger Vertrauensbildungsprozess. Fast alle Interessen-<br />

ten erfragten in zum Teil sehr ausführlichen Briefen o<strong>de</strong>r Telefongesprächen genauere Infor-<br />

mationen über meine inhaltlichen Ziele. Insbeson<strong>de</strong>re die Art <strong>und</strong> Weise, wie die Interviews<br />

durchgeführt <strong>und</strong> später ausgewertet wer<strong>de</strong>n sollten, war in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> Be-<br />

<strong>de</strong>utung. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Umstand, dass sich (vor allem bei <strong>de</strong>n Sadomasochisten) auch viele A-<br />

ka<strong>de</strong>miker unter <strong>de</strong>n Befragten befan<strong>de</strong>n, führte dazu, dass Fragen zur Metho<strong>de</strong>nauswahl, zu<br />

Interpretationsverfahren etc. ausführlich beantwortet wer<strong>de</strong>n mussten. Die Offenlegung <strong>de</strong>s<br />

forschungsmethodischen Vorgehens wie auch <strong>de</strong>r geplanten Auswertungsstrategien trug we-<br />

sentlich zur Akzeptanz bei. Ebenso wichtig war die Betonung <strong>von</strong> Anonymität <strong>und</strong> Daten-<br />

schutz. Hier waren beson<strong>de</strong>re Vorkehrungen notwendig. So musste ich <strong>de</strong>m überwiegen<strong>de</strong>n<br />

Teil <strong>de</strong>r Befragten garantieren, dass die Aufnahmebän<strong>de</strong>r unmittelbar nach <strong>de</strong>r Transkription<br />

gelöscht wer<strong>de</strong>n, was auch geschah. Daneben habe ich in <strong>de</strong>n Interviews völlig auf die Nen-<br />

nung <strong>von</strong> Namen, Orten, Lokalen o<strong>de</strong>r Shops verzichtet <strong>und</strong> weitestgehend auch <strong>de</strong>n jeweili-<br />

gen Dialekt unkenntlich gemacht. An<strong>de</strong>re Personen haben erst überhaupt keine persönlichen<br />

Daten <strong>von</strong> sich bekannt gegeben. Mit ihnen musste ich in langwierigen Briefwechseln über<br />

Postfächer Termine ausmachen. Die Treffen fan<strong>de</strong>n zumeist an neutralen Orten (Lokale,<br />

Parks, öffentliche Plätze o.ä.) statt, <strong>und</strong> nicht selten wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Abend o<strong>de</strong>r die Nacht als Zeit-<br />

25


punkt gewählt. Hin <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r habe ich die mitunter sehr langen Anfahrten <strong>von</strong> mehreren<br />

St<strong>und</strong>en umsonst gemacht, weil die zu Befragen<strong>de</strong>n nicht erschienen. Im allgemeinen haben<br />

sich die Interviewpartner aber an die Gesprächstermine gehalten. Einige Befragungspartner<br />

waren zwar nicht zum persönlichen Interview bereit, haben dann aber auf schriftlichem Wege<br />

Stellungnahmen abgegeben bzw. meine Fragen beantwortet.<br />

Zentral für <strong>de</strong>n Vertrauensbildungsprozess war aber die Beantwortung <strong>de</strong>r Frage nach mein-<br />

em Erkenntnisinteresse, insbeson<strong>de</strong>re ob ich psychiatrische, psychologische o<strong>de</strong>r psychoana-<br />

lytische Forschungsziele verfolgen wür<strong>de</strong>. Dass ich diese Forschungsrichtungen aus <strong>de</strong>n Un-<br />

tersuchungsfragen ausgeschlossen habe <strong>und</strong> statt<strong>de</strong>ssen in einer ethnographischen Vorge-<br />

hensweise die Perspektive <strong>de</strong>r Feldakteure herausarbeiten wollte, hat <strong>de</strong>r Forschungsarbeit<br />

sicherlich entschei<strong>de</strong>nd weiter geholfen. Viele Befragten versprachen sich <strong>von</strong> dieser Vorge-<br />

hensweise mehr Toleranz <strong>und</strong> Verständnis in Öffentlichkeit <strong>und</strong> Wissenschaft:<br />

“Angesichts <strong>de</strong>s Unfugs, <strong>de</strong>r in vielen wissenschaftlichen wie auch allgemeinen<br />

Veröffentlichungen zu diesem Thema geschrieben wur<strong>de</strong> (<strong>und</strong> wird), hat je<strong>de</strong> einigermaßen<br />

unvoreingenommene Aufarbeitung <strong>de</strong>s Themas aus wissenschaftlicher<br />

Sicht Unterstützung verdient“ (Zum Thema Sadomasochismus; Antwortbrief).<br />

“Ich wür<strong>de</strong> Ihnen nicht helfen, wenn Sie uns als ‚Kranke’, ‚Hilfsbedürftige’ o<strong>de</strong>r<br />

‚Perverse’ darstellen wür<strong>de</strong>n. Das haben an<strong>de</strong>re schon oft genug getan” (Zum<br />

Thema Sadomasochismus; Antwortbrief).<br />

„Hallochen Linda!<br />

Obwohl, wie so oft, die Zeit knapp ist, wer<strong>de</strong> ich Dir hier kurz Deinen Brief beantworten.<br />

Entschuldige bitte, dass ich Du zu Dir sage, aber ich glaube, wir sind<br />

doch alles aufgeschlossene <strong>und</strong> aufgeweckte Menschen. (...) Es gibt natürlich <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>de</strong>r Menschen, die an ‘Alles’ was auszusetzen haben ... die nicht mal Wert<br />

auf eine Erklärung legen ... die <strong>von</strong> vornherein alles verachten. Diese Leute wollen<br />

nichts verstehen <strong>und</strong> können es auch nicht, weil sie blind <strong>und</strong> stur durchs Leben<br />

gehen <strong>und</strong> nicht <strong>von</strong> ihrer Linie runter wollen. (...) Ich hoffe, Du machst das<br />

besser!” (Zum Thema Paintball/Gotcha; Antwortbrief).<br />

Mit <strong>de</strong>m Gefühl, dass ich die Interviewpartner ernst nehme, hat sich ihr Interesse gefestigt.<br />

Aber erst das intensive persönliche Gespräch <strong>und</strong> das Kennenlernen schaffte das nötige Ver-<br />

trauen für ein Interview: ‚Nach<strong>de</strong>m Sie Ihr Projekt in unserem Club vorgestellt haben, bin ich<br />

gerne bereit, Ihre Forschungsarbeit mit einem Interview zu unterstützen’. Dass ich für diese<br />

Gespräche auch die entsprechen<strong>de</strong>n Szene-Treffpunkte (Sex-Lä<strong>de</strong>n, Dominastudios, Bor<strong>de</strong>lle,<br />

Le<strong>de</strong>rbars, private Treffen, ein Paintballturnier, Clubräume <strong>und</strong> Wohnungen <strong>de</strong>r Paintballer,<br />

Fußballstadien <strong>und</strong> Hooligan-Kneipen) aufgesucht habe, hat die Akzeptanz meines Anliegens<br />

zusätzlich verstärkt.<br />

26


Resümierend ist festzuhalten, dass die Vertrauensbildung entschei<strong>de</strong>nd durch das persönliche<br />

Gespräch in <strong>de</strong>r Szene geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>. In<strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r Forscher in diese Welt begibt, ermög-<br />

licht er ihren Mitglie<strong>de</strong>rn, sich ein Bild über die Forschung <strong>und</strong> die involvierten Personen zu<br />

machen. Dazu gehörte auch die Öffnung <strong>de</strong>r eigenen Person, meiner Interessen, Möglichkei-<br />

ten <strong>und</strong> Grenzen. Letztere beschreiben insbeson<strong>de</strong>re die erfor<strong>de</strong>rliche Distanz zum <strong>und</strong> die<br />

Neutralität gegenüber <strong>de</strong>m Forschungsgegenstand, allerdings auch die <strong>de</strong>utliche Kommunika-<br />

tion, dass <strong>de</strong>r Forscher (<strong>im</strong> Gegensatz zum Journalisten) <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>vianten Verhaltens <strong>de</strong>r<br />

Aussagepflicht unterliegt. Dies war allerdings nahezu ausschließlich relevant mit Blick auf<br />

die Hooligan-Szene <strong>und</strong> entsprechen<strong>de</strong> (nicht-)teilnehmen<strong>de</strong> Beobachtungen.<br />

Der emotionalen Öffnung <strong>de</strong>s Forschers wird in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Literatur eher weniger<br />

Be<strong>de</strong>utung beigemessen. Sie erscheint konträr zum Forschungsanspruch ‘neutral’ <strong>und</strong> ‘distan-<br />

ziert’ zu sein. Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Bereitschaft, auch ein Stück <strong>von</strong> sich Preis zu geben <strong>und</strong><br />

auch bis zu einem gewissen Grad <strong>de</strong>n Wünschen <strong>de</strong>r Personen <strong>de</strong>s Untersuchungsgegenstands<br />

entgegen zu kommen, darf jedoch auf keinen Fall unterschätzt wer<strong>de</strong>n. Bevor ein Gesprächs-<br />

partner int<strong>im</strong>e Details seiner Wünsche o<strong>de</strong>r Lebensentwürfe berichtete, war es selbstre<strong>de</strong>nd<br />

notwendig, auch über das eigene Leben zu sprechen. Damit sind Fragen nach <strong>de</strong>r Einstellung<br />

zu Partnerschaft <strong>und</strong> Familie, <strong>de</strong>r familiären Situation aber auch ‘verfänglichere’ Fragen nach<br />

<strong>de</strong>m eigenen Interesse z.B. an SM-Praktiken, einer möglichen eigenen Faszination durch<br />

Paintball o<strong>de</strong>r auch Fragen wie die nach <strong>de</strong>r (Bewertung <strong>de</strong>r) Attraktivität eines gera<strong>de</strong> <strong>von</strong><br />

seiner Fre<strong>und</strong>in verlassenen Hooligans gemeint. Dazu drei Beispiele: Ein SM-orientiertes<br />

Ehepaar um ein mehrstündiges Interview inklusive Besichtigung <strong>de</strong>r hauseigenen ‘Folter-<br />

kammer’ zu bitten, gleichzeitig jedoch <strong>de</strong>ren Wunsch abzuschlagen, selbst einmal in ein Le-<br />

<strong>de</strong>rkleid zu schlüpfen, wäre für <strong>de</strong>n Fortgang <strong>de</strong>r Erhebung fatal gewesen. Ebenso die Ver-<br />

weigerung, selbst einmal an einem Paintballturnier teilzunehmen o<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n Hooligans vor<br />

<strong>de</strong>r Polizei zu flüchten. Nur in<strong>de</strong>m man bereit ist, nicht nur als Forscher, son<strong>de</strong>rn auch als<br />

Mensch aufzutreten, kann Vertrauen geschaffen wer<strong>de</strong>n. Ich möchte allerdings nicht versäu-<br />

men, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass dabei häufig auch Grenzgänge entstan<strong>de</strong>n sind.<br />

Einer <strong>de</strong>r Hooligans sagte mir, dass er sich in mich verliebt habe. Es waren extreme Anstren-<br />

gungen nötig, ihm klar zu machen, dass ich an ihm nicht als ‘Mann’, son<strong>de</strong>rn in seiner Rolle<br />

als Hooligan interessiert war.<br />

In <strong>de</strong>r Phase <strong>de</strong>r Vertrauensbildung kann <strong>de</strong>r Forscher auch eine Art Lehrzeit absolvieren, die<br />

es ihm erlaubt, sich <strong>de</strong>n Szene-Regeln entsprechend zu verhalten, best<strong>im</strong>mte Co<strong>de</strong>s zu studie-<br />

ren <strong>und</strong> so die Fremdheit seines Eindringens zu min<strong>im</strong>ieren. Kontaktpersonen, <strong>de</strong>ren Vertrau-<br />

en man gera<strong>de</strong> gewinnt o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> gewonnen hat, machen <strong>de</strong>n Forscher mit <strong>de</strong>n Gepflogen-<br />

heiten, Eigenarten, ungeschriebenen Gesetzen etc. <strong>de</strong>r Szenen vertraut. Sie machen ihn auch<br />

27


auf best<strong>im</strong>mte Ungeschicktheiten aufmerksam, die aus <strong>de</strong>r Unkenntnis spezifischer Verhal-<br />

tenskonventionen resultieren. 24<br />

Nicht zuletzt wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r richtige Prüfungen durch die Feldakteure inszeniert, in<br />

<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Forscher seine Fel<strong>de</strong>rprobtheit unter Beweis stellen muss. Ein Beispiel: Bei einem<br />

Termin in einer größeren Stadt hing bei <strong>de</strong>r angegebenen Adresse an <strong>de</strong>r Haustür ein Zettel<br />

mit <strong>de</strong>m Hinweis ‚Uni Trier, bitte <strong>de</strong>n Eingang durch <strong>de</strong>n Garten benutzen’. Anhand einer<br />

zusätzlichen kleinen Skizze fan<strong>de</strong>n mein Kollege, <strong>de</strong>r mit mir zum Interviewtermin unterwegs<br />

war, <strong>und</strong> ich <strong>de</strong>n Weg in <strong>de</strong>n Garten. Von dort gelangten wir zum hinteren Hauseingang, <strong>de</strong>r<br />

offen stand. Als wir eintraten, wur<strong>de</strong>n wir <strong>von</strong> einer Frau in Domina-Kleidung empfangen.<br />

Sie führte uns eine Treppe hinauf in das Dachgeschoss <strong>de</strong>r Villa. Schon be<strong>im</strong> Hinaufsteigen<br />

<strong>de</strong>r Treppe ahnte ich, dass uns eine Überraschung erwartete. Der Interviewpartner hing nackt<br />

<strong>und</strong> gefesselt an Deckenhaken. Während <strong>de</strong>r Vorführung war es wichtig, ein neutrales Verhal-<br />

ten zu zeigen, auch wenn es angesichts <strong>de</strong>r Darbietungen nicht <strong>im</strong>mer einfach war <strong>und</strong> zuwei-<br />

len für alle Beteiligten komische o<strong>de</strong>r auch belustigen<strong>de</strong> Situationen entstan<strong>de</strong>n. Der Inter-<br />

viewpartner machte sich nämlich - nach<strong>de</strong>m die Domina ihn <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Decke abgehängt hatte -<br />

einen Spaß daraus, mehrfach splitternackt <strong>und</strong> mit Gewichten an <strong>de</strong>n Ho<strong>de</strong>n dicht an mir (ich<br />

saß auf einem Designer-Sofa) vorbeizugehen <strong>und</strong> spitzzüngig zu fragen: ‘Na Frau Steinmetz?<br />

Ist Ihnen das jetzt peinlich?’ Natürlich war es mir ‘auch’ peinlich <strong>und</strong> ich sah meinen Kolle-<br />

gen sich innerlich schütteln vor Lachen, schaffte es dann aber, die Contenance zu bewahren.<br />

Erst nach <strong>de</strong>r bestan<strong>de</strong>nen Probe konnte das Interview beginnen.<br />

Das Erlernen solcher Verhaltensweisen (das Meistern ‚kritischer’ Situationen) hat sich bei<br />

je<strong>de</strong>r Aktivität in <strong>de</strong>r Szene ausgezahlt; nicht zuletzt hat es sich auch in <strong>de</strong>n vielen an<strong>de</strong>ren<br />

Interviewsituationen als för<strong>de</strong>rlich erwiesen. Es gelang mir, zumin<strong>de</strong>st in Teilen <strong>de</strong>r Szenen<br />

akzeptiert <strong>und</strong> <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n zu Szenetreffen, Events, Turnieren, privaten Partys, in Domina-<br />

Studios o<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n Gesprächspartnern nach Hause eingela<strong>de</strong>n zu wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>re Szenemit-<br />

24 In diesem Zusammenhang wer<strong>de</strong> ich ein erstes Gespräch mit einer Geschäftsfrau <strong>und</strong> professionellen Insi<strong>de</strong>rin<br />

<strong>de</strong>r SM-Szene nie vergessen: Trotz <strong>de</strong>s Wohlwollens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r späteren intensiven Unterstützung durch<br />

diese ‘Dame’ wur<strong>de</strong>n mir zunächst Hohn <strong>und</strong> Spott zuteil, als ich nach <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung szenespezifischen Vokabulars<br />

fragte: „Mädchen, wenn Du etwas über die SM-Szene erfahren möchtest, dann musst Du diese Dinge<br />

aber beherrschen“ war ihr Kommentar. Trotz aller Bemühungen <strong>und</strong> Reflexion war meine Sprache zunächst<br />

noch weit entfernt <strong>von</strong> <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Szene üblichen weil wissenschaftlich-theoretisch o<strong>de</strong>r zu normalbürgerlich.<br />

Dies sollte sich jedoch än<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> bald schon setzte eine Erfahrung ein, die Malinowski (1922, S.<br />

7) für <strong>de</strong>n Ethnologen folgen<strong>de</strong>rmaßen beschreibt: "His life in the village, which at first is a strange, somet<strong>im</strong>es<br />

an intensely interesting adventure, soon adopts quite a natural course very much in harmony with his<br />

surro<strong>und</strong>ing."<br />

28


glie<strong>de</strong>r warben Interviewpartner <strong>und</strong> stellten sogar ihre Wohnungen für die Interviews zur<br />

Verfügung. Nur in manchen Fällen musste ich - wie bereits ange<strong>de</strong>utet - neutrale Treffpunkte<br />

in verschie<strong>de</strong>nen Großstädten ausmachen. Viele Personen fragten <strong>de</strong>s Öfteren nach <strong>de</strong>m Stand<br />

<strong>de</strong>r Arbeit o<strong>de</strong>r erk<strong>und</strong>igten sich nach <strong>de</strong>r ein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Literaturliste zum Themenfeld<br />

Sexualität <strong>und</strong> Sadomasochismus, Paintball o<strong>de</strong>r zum Phänomen <strong>de</strong>r Hooligans.<br />

Nach sehr aufwendigen Maßnahmen zur Vertrauensbildung lag die frem<strong>de</strong> Welt dann aber<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger offen vor mir; ich konnte mit <strong>de</strong>r Ent<strong>de</strong>ckungsreise beginnen.<br />

3. Erhebungsverfahren <strong>und</strong> empirische Basis<br />

In <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Untersuchung habe ich mich nicht auf eine best<strong>im</strong>mte Metho<strong>de</strong> be-<br />

schränkt, son<strong>de</strong>rn versucht, das ganze Spektrum alltäglicher Wahrnehmungsformen für meine<br />

empirische Arbeit fruchtbar zu machen. Dazu bemerkt <strong>de</strong>r ‚Kulturwissenschaftler auf <strong>de</strong>m<br />

Fahrrad’:<br />

„Der gute Forscher <strong>im</strong> Feld, <strong>de</strong>r Kontakte zu Menschen sucht <strong>und</strong> wissen will,<br />

wie Menschen leben <strong>und</strong> wie ihre Rituale aussehen, darf sich nicht <strong>von</strong> einem exakten<br />

Forschungsplan leiten lassen. Ein solcher Plan, wie ihn für gewöhnlich Leute<br />

aufstellen, die mit Fragebogen arbeiten o<strong>de</strong>r Exper<strong>im</strong>ente mit Gruppen durchführen,<br />

ist für die Erforschung menschlichen Han<strong>de</strong>lns eher hin<strong>de</strong>rlich. Nur wer<br />

sich <strong>de</strong>m Leben einer Gruppe, die er studieren will, vorbehaltlos überläßt, hat die<br />

Chance, tatsächlich herauszufin<strong>de</strong>n, warum die Menschen in best<strong>im</strong>mter Weise<br />

han<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> gewisse Symbole verwen<strong>de</strong>n. Ein solcher Feldforscher hat es freilich<br />

nicht leicht, vor allem wenn er mächtige Gruppen o<strong>de</strong>r kr<strong>im</strong>inelle Subkulturen erforschen<br />

will. Ist er geschickt <strong>und</strong> setzt sich vielleicht gar mit <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n<br />

Menschen zu Wein <strong>und</strong> Bier, so hat er schon einen gewaltigen Schritt in Richtung<br />

einer guten Studie gemacht“ (Girtler 1991, S. 20).<br />

Entsprechend diesem offenen methodischen Verständnis 25 habe ich mich in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>-<br />

nen gewaltaffinen Spezialkulturen umgeschaut <strong>und</strong> Daten gesammelt, ohne mich auf themati-<br />

sche Leitfä<strong>de</strong>n zu beschränken.<br />

25 Auch Strauss (1991, S. 32) wen<strong>de</strong>t sich gegen einen Metho<strong>de</strong>ndogmatismus <strong>und</strong> -purismus: "Geleitet <strong>von</strong><br />

einer falschen (auf spekulativer Philosophie beruhen<strong>de</strong>n) Vorstellung, <strong>de</strong>rzufolge eine effektive Forschungsarbeit<br />

exakt, präzise <strong>und</strong> klar in <strong>de</strong>r Technik sei, gehen Stu<strong>de</strong>nten <strong>und</strong> Sozialwissenschaftler oft da<strong>von</strong> aus,<br />

daß es möglich sein müßte, Regeln festzulegen, nach <strong>de</strong>nen sozialwissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n. Wir halten dies für eine nicht zutreffen<strong>de</strong> Beschreibung da<strong>von</strong>, wie Arbeit - gleich welcher<br />

Art - verrichtet wird. (...) Wir möchten diesen Gedanken nicht weiter ausführen, son<strong>de</strong>rn nur noch einmal<br />

wie<strong>de</strong>rholen, daß in <strong>de</strong>r Sozialforschung etliche strukturelle Bedingungen gegen eine strikte Systematisierung<br />

<strong>von</strong> methodologischen Regeln sprechen. Zu diesen Bedingungen gehören die Vielfalt <strong>von</strong> sozialweltlichen<br />

Gegebenheiten <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Zufälligkeiten."<br />

29


Gr<strong>und</strong>sätzlich lassen sich dabei zwei unterschiedliche Datentypen unterschei<strong>de</strong>n. Die einen<br />

produziert das kulturelle Feld ohne Zutun <strong>de</strong>s Forschers, die an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n Ein-<br />

satz <strong>von</strong> wissenschaftlichen Metho<strong>de</strong>n erzeugt.<br />

3.1 Originäre Felddaten<br />

In je<strong>de</strong>r Kultur wird eine Vielzahl <strong>von</strong> Symbolen, Medien <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utungsträgern hergestellt<br />

<strong>und</strong> weitergegeben. Diese Daten sind für <strong>de</strong>n Forscher eine wichtige F<strong>und</strong>quelle. Insbeson<strong>de</strong>-<br />

re Historikern (<strong>und</strong> Kulturwissenschaftlern) stehen hierdurch völlig unterschiedliche Informa-<br />

tionsquellen zur Verfügung: „Aufzeichnungen, Memoiren, offizielle <strong>und</strong> persönliche Briefe,<br />

Tagebücher, Zeitungen, Landkarten, Photographien <strong>und</strong> Gemäl<strong>de</strong>“ (Strauss 1991, S. 27).<br />

Auch die Spezialkulturen <strong>de</strong>r Sadomasochisten, Paintballer <strong>und</strong> Hooligans sind reich an sol-<br />

chen Materialien. So gibt es eine Vielzahl an Magazinen, Heften, Filmen <strong>und</strong> Texten o<strong>de</strong>r<br />

auch Webpages. Hier fin<strong>de</strong>n sich Materialien wie Leserbriefe, Stellungnahmen, Diskussionen,<br />

Kontaktgesuche, Terminübersichten, Veranstaltungslisten, Kauf- <strong>und</strong> Tauschangebote etc. Ich<br />

habe eine größere Zahl dieser Medien-Produkte gesichtet <strong>und</strong> zur Auswertung verwen<strong>de</strong>t. Mit<br />

Blick auf die SM-Szene stan<strong>de</strong>n mir mehrere H<strong>und</strong>ert Zeitschriften zur Verfügung, die durch<br />

einige Dutzend pornographische Filme ergänzt wur<strong>de</strong>n. Zur Analyse <strong>de</strong>r Paintballszene habe<br />

ich ca. zwanzig verschie<strong>de</strong>ne Magazine berücksichtigt. Zusätzliche Datenquellen waren Brie-<br />

fe <strong>von</strong> Szene-Insi<strong>de</strong>rn, Stellungnahmen zu meinem Forschungsanliegen, Einladungsschreiben<br />

<strong>von</strong> Clubs, Flugblätter <strong>und</strong> Briefwechsel zwischen Szenemitglie<strong>de</strong>rn. Diese füllten mehrere<br />

Ordner. Informationen aus vereinseigenen Datenbanken zur Mitglie<strong>de</strong>rverwaltung <strong>und</strong> Even-<br />

torganisation, Tagebücher <strong>und</strong> Fotos o<strong>de</strong>r auch juristische Korrespon<strong>de</strong>nz mit Polizei, Gerich-<br />

ten <strong>und</strong> Anwälten ergänzten meine empirischen Materialien.<br />

Die Verwendung dieser Daten soll es <strong>de</strong>m Forscher (<strong>und</strong> Leser) erleichtern, sich in die frem-<br />

<strong>de</strong>n Welten hineinzuversetzen. Sie geben gleichzeitig Auskunft über Praktiken <strong>und</strong> Kommu-<br />

nikationsformen <strong>im</strong> Feld. Glaser/Strauss (1979, S. 103) verweisen darauf explizit, wenn sie<br />

herausstellen:<br />

„Das (...) Problem besteht darin, die erforschte soziale Welt so lebensnah zu beschreiben,<br />

daß <strong>de</strong>r Leser ihre Bewohner buchstäblich sehen <strong>und</strong> hören kann. (...)<br />

Um dies zu erreichen, setzt <strong>de</strong>r Forscher gewöhnlich verschie<strong>de</strong>ne Darstellungsmittel<br />

eines recht umfangreichen Arsenals <strong>von</strong> Verfahren ein. Er kann direkt<br />

aus aufgezeichneten Befragungen o<strong>de</strong>r Unterhaltungen zitieren. Er kann dramatische<br />

Passagen seiner unmittelbar <strong>im</strong> Forschungskontext angefertigten Notizen<br />

in die Darstellung aufnehmen. Er kann aus Erzählungen <strong>von</strong> Informanten zitieren.<br />

Er kann in Fallstudien <strong>de</strong>n Ablauf <strong>von</strong> Ereignissen <strong>und</strong> Lebensberichte <strong>von</strong><br />

Personen plastisch darstellen. Er kann einzelne Ereignisse <strong>und</strong> Handlungen zu be-<br />

30


schreiben versuchen; <strong>und</strong> häufig wird er zumin<strong>de</strong>st Hintergr<strong>und</strong>informationen über<br />

Ort <strong>und</strong> Zeit einfügen.“<br />

Im vorliegen<strong>de</strong>n Fall be<strong>de</strong>utet dies, dass z.B. die sprachliche Tabuierung <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong><br />

Gewalt, die in <strong>de</strong>r Hochsprache <strong>und</strong> also auch <strong>de</strong>r Wissenschaft gilt, ignoriert wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Die Semantik <strong>de</strong>s sadomasochistischen Fel<strong>de</strong>s beispielsweise ist nur begrenzt übersetzbar.<br />

3.2 Forschergenerierte Daten<br />

Neben <strong>de</strong>m Sammeln <strong>von</strong> Daten <strong>im</strong> Feld, spielt die methodisch kontrollierte Produktion <strong>von</strong><br />

Daten durch <strong>de</strong>n Forscher eine wichtige Rolle. Dazu habe ich verschie<strong>de</strong>ne sozial-<br />

wissenschaftliche Techniken <strong>im</strong> Rahmen eines Mehr-Metho<strong>de</strong>n-Designs verwen<strong>de</strong>t. Im Mit-<br />

telpunkt stand dabei das problemzentrierte Interview (vgl. Witzel 1982), das durch Gruppen-<br />

diskussionen <strong>und</strong> Beobachtungen ergänzt wur<strong>de</strong>.<br />

3.2.1 Problemzentrierte Interviews<br />

Das Kriterium <strong>de</strong>r Problemzentrierung hat „eine doppelte Be<strong>de</strong>utung: einmal bezieht es sich<br />

auf eine relevante gesellschaftliche Problemstellung <strong>und</strong> ihre theoretische Ausformulierung<br />

als elastisch zu handhaben<strong>de</strong>s Vorwissen <strong>de</strong>s Forschers; zum an<strong>de</strong>ren zielt es auf Strategien,<br />

die in <strong>de</strong>r Lage sind, die Explikationsmöglichkeiten <strong>de</strong>s Befragten so zu opt<strong>im</strong>ieren, daß sie<br />

ihre Problemsicht zur Geltung bringen können“ (ebd., S. 69). In gesprächsstruktureller Hin-<br />

sicht be<strong>de</strong>utet dies, die Interviewten als Experten <strong>de</strong>s Alltags zu behan<strong>de</strong>ln, d.h. Kontaktauf-<br />

nahme <strong>und</strong> Kommunikationsformen so zu gestalten, dass eine Gesprächssituation entsteht, in<br />

<strong>de</strong>r sich die Befragten ernst genommen fühlen <strong>und</strong> Interesse an <strong>de</strong>r Thematisierung <strong>de</strong>s Ge-<br />

genstandsbereichs gewinnen.<br />

Im Unterschied zu an<strong>de</strong>ren Formen <strong>de</strong>s qualitativen Interviews - so etwa <strong>de</strong>m narrativen In-<br />

terview, wie es <strong>von</strong> F. Schütze (1977) entwickelt wur<strong>de</strong> - geht <strong>de</strong>r Forscher be<strong>im</strong> problem-<br />

zentrierten Interview nicht ohne jegliches (theoretisches) Vorwissen in die Erhebungsphase,<br />

son<strong>de</strong>rn bereitet sich durch Literaturstudium, eigene Beobachtungen <strong>und</strong> Expertengespräche<br />

auf das Gespräch vor. Auf <strong>de</strong>r Basis dieser Vorüberlegungen wer<strong>de</strong>n die Schlüsselbegriffe für<br />

einen Gesprächsleitfa<strong>de</strong>n formuliert, die <strong>de</strong>m Interviewer, etwa bei stocken<strong>de</strong>m Gespräch<br />

o<strong>de</strong>r unergiebiger Thematik, inhaltliche Anregungen geben. Wichtig für die Interviewdurch-<br />

führung bleibt aber die Offenheit. Der Interviewte soll frei antworten können, ohne vorgege-<br />

bene Antwortalternativen. Die auf diese Weise durchgeführten Interviews wur<strong>de</strong>n, das aus-<br />

drückliche Einverständnis <strong>de</strong>r Befragten vorausgesetzt, mit Tonband aufgezeichnet. Diese<br />

31


Registrierform besitzt <strong>de</strong>n Vorteil, dass <strong>de</strong>r gesamte verbale Gesprächskontext <strong>und</strong> damit<br />

auch die Rolle, die <strong>de</strong>r Interviewer <strong>im</strong> Gespräch spielt, erfasst wird. Gleichzeitig ist dadurch<br />

auch die Möglichkeit gegeben, sich voll auf die Gesprächssituation <strong>und</strong> <strong>de</strong>n -verlauf zu kon-<br />

zentrieren.<br />

Insgesamt stan<strong>de</strong>n mir aus <strong>de</strong>n Teilprojekten 79 auf Tonband aufgezeichnete Interviews mit<br />

Sadomasochisten, Paintballern <strong>und</strong> Hooligans mit einer Dauer <strong>von</strong> ca. 40 bis 180 Minuten zur<br />

Verfügung (übersetzt: mehrere tausend Seiten transkribiertes Gesprächsmaterial). Alle Inter-<br />

views wur<strong>de</strong>n durch Postskripte ergänzt, um wichtige nonverbale Informationen (z.B. Woh-<br />

nungseinrichtung, die Ausstattung <strong>de</strong>r privaten Folter- o<strong>de</strong>r Materialräume, die Gesprächs-<br />

atmosphäre, Geschehnisse außerhalb <strong>de</strong>s eigentlichen Interviews wie z.B. Besuche <strong>von</strong><br />

Fre<strong>und</strong>en o<strong>de</strong>r Verwandten, Telefonanrufe etc.) festzuhalten. Die Tonban<strong>de</strong>xplorationen wur-<br />

<strong>de</strong>n durch weitere (Kurz)Interviews, die nicht aufgezeichnet wer<strong>de</strong>n konnten, ergänzt. Dazu<br />

habe ich jeweils Gesprächsprotokolle angefertigt. Hinzu kamen schriftliche Befragungsunter-<br />

lagen. Auch hier variierte die Länge <strong>de</strong>r Interviews beträchtlich. Manche Personen antworte-<br />

ten stichwortartig auf zwei bis drei Seiten, an<strong>de</strong>re wie<strong>de</strong>rum führten ihre Antworten auf 20<br />

<strong>und</strong> teilweise bis 50 Seiten aus. Die schriftlichen Interviews boten <strong>de</strong>n Vorteil, dass ich auch<br />

Personen erreichen konnte, die aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Anonymität kein mündliches Interview geben<br />

wollten. Auf diese Weise war sichergestellt, dass ich nicht nur Personen interviewen konnte,<br />

die selbstsicher <strong>und</strong> offensiv mit ihrer Neigung <strong>und</strong> Ihren Interessen umgehen. An<strong>de</strong>re wie-<br />

<strong>de</strong>rum bevorzugten <strong>de</strong>n Weg über das Telefon. So habe ich eine ganze Reihe <strong>von</strong> Interviews<br />

<strong>und</strong> zahlreiche Kurzgespräche geführt.<br />

3.2.2 Beobachtungen: Reisestationen, ‘Happenings’, ‘Events’<br />

Beobachtung ist ein alltägliches Erfahren <strong>von</strong> Welt. Auch die wissenschaftliche Beobachtung<br />

folgt <strong>de</strong>r allgemeinen Gr<strong>und</strong>struktur dieser menschlichen Wahrnehmungsform. Zwischen <strong>de</strong>r<br />

alltäglichen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Beobachtung bestehen aber hinsichtlich Strukturie-<br />

rung, Planung <strong>und</strong> Zielorientierung wichtige Unterschie<strong>de</strong>. Beobachtung wird dann zum wis-<br />

senschaftlichen Verfahren, wenn sie einem best<strong>im</strong>mten Forschungszweck dient, systematisch<br />

geplant <strong>und</strong> aufgezeichnet wird <strong>und</strong> nicht nur eine Sammlung <strong>von</strong> Zufälligkeiten darstellt. Sie<br />

lässt sich <strong>de</strong>mnach „als ein Verfahren <strong>de</strong>finieren, durch welches <strong>de</strong>r Beobachter sinnlich<br />

wahrnehmbares Han<strong>de</strong>ln erfassen will. Er selbst verhält sich bei <strong>de</strong>r Beobachtung gegenüber<br />

<strong>de</strong>m zu Beobachten<strong>de</strong>n gr<strong>und</strong>sätzlich passiv (was aber nicht heißt, daß er nicht auf das Han-<br />

<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Gruppe einwirkt), wobei er gleichzeitig versucht, seine Beobachtung<br />

<strong>im</strong> Sinne seiner Fragestellung zu systematisieren <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Beobachtungsvorgang kritisch hin-<br />

sichtlich einer Verzerrung durch seine Perspektive zu prüfen“ (Girtler 1988, S. 44).<br />

32


In <strong>de</strong>r Literatur zur Beobachtung wird zwischen verschie<strong>de</strong>nen Techniken unterschie<strong>de</strong>n, et-<br />

wa zwischen <strong>de</strong>r teilnehmen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> nicht-teilnehmen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r strukturierten <strong>und</strong> un-<br />

strukturierten, <strong>de</strong>r offenen <strong>und</strong> ver<strong>de</strong>ckten, <strong>de</strong>r direkten <strong>und</strong> indirekten, <strong>de</strong>r künstlichen <strong>und</strong><br />

natürlichen Beobachtung (vgl. Dechmann 1978; Faßnacht 1989). Ich habe mich für ‚nicht-<br />

teilnehmen<strong>de</strong> Beobachtungsstrategien’ entschie<strong>de</strong>n. Der Übergang zur teilnehmen<strong>de</strong>n Beo-<br />

bachtung war jedoch insbeson<strong>de</strong>re bei meinen Recherchen in <strong>de</strong>r Paintballszene <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>n<br />

Hooligans gegeben. So war ich ein ganzes Wochenen<strong>de</strong> mit einem Paintballclub unterwegs,<br />

um an einer Meisterschaft, <strong>de</strong>r ‘Bielefeld open’ teilzunehmen. Bedingung, dass ich bei diesem<br />

Event dabei sein durfte war, dass ich versprechen musste, selbst auch einmal an einem Spiel<br />

teilzunehmen. Und dann gehörte ich als Forscher automatisch ein Stück weit dazu, wenn ich<br />

bei Kaffee <strong>und</strong> Kuchen, <strong>de</strong>n die Spielerfrauen gebacken hatten, die Siegerehrung <strong>und</strong> die Po-<br />

kalverleihung am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Turniers beobachten konnte .<br />

Insgesamt habe ich in <strong>de</strong>n unterschiedlichen Szenen verschie<strong>de</strong>ne typische Orte ‚live’ in Au-<br />

genschein genommen. Um <strong>de</strong>r Gefahr einer vorschnellen Be<strong>de</strong>utungszuweisung zu entgehen,<br />

war ich zu verschie<strong>de</strong>nen Zeitpunkten unterwegs <strong>und</strong> habe meine Beobachtungen <strong>und</strong> Auf-<br />

zeichnungen <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r mit Szenemitglie<strong>de</strong>rn ‘kommunikativ validiert’ (vgl. Lescher<br />

1982).<br />

Die Auflagen <strong>de</strong>r Proban<strong>de</strong>n haben meinen Beobachtungen selbstre<strong>de</strong>nd Grenzen gesetzt. So<br />

konnte ich z.B. auf meinen Streifzügen durch die Hooligan-Szene keine Fotoaufnahmen ma-<br />

chen. Dies war mir <strong>von</strong> meinen Kontaktpersonen untersagt wor<strong>de</strong>n, da die Fotos zu einem<br />

späteren Zeitpunkt <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Polizei hätten beschlagnahmt <strong>und</strong> als Beweismittel benutzt wer<strong>de</strong>n<br />

können. Zur Erklärung sei hier angemerkt, dass ich <strong>im</strong> Anschluss an ein Fußballspiel bei einer<br />

‘Schlacht’ live dabei war, Schlägereien beobachten konnte <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>n Hools vor <strong>de</strong>r Polizei<br />

flüchten musste. Schließlich war beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit hinsichtlich <strong>de</strong>linquenter Hand-<br />

lungen (auch: Wird <strong>de</strong>r Forscher selbst zum Delinquenten?) <strong>und</strong> mit Blick auf <strong>de</strong>n doch oft<br />

recht hohen Alkoholkonsum <strong>de</strong>r Hooligans geboten.<br />

Domina-Studios<br />

Im Rahmen meiner Zugangsbemühungen ist es mir gelungen, zu verschie<strong>de</strong>nen Domina-<br />

Studios Kontakt aufzunehmen. Von einigen Dominas wur<strong>de</strong> ich zu einem Gespräch eingela-<br />

<strong>de</strong>n <strong>und</strong> bekam bei dieser Gelegenheit auch die Studios gezeigt. Die meisten dieser Besuche<br />

fan<strong>de</strong>n während <strong>de</strong>r Öffnungszeiten statt, so dass ich auch ein wenig <strong>de</strong>n Besucherverkehr<br />

beobachten konnte. Manche K<strong>und</strong>en waren auch bereit, Interviews zu geben. Durch die Beo-<br />

bachtungen war es möglich, einen authentischen Eindruck vom Dominagewerbe zu gewinnen,<br />

33


<strong>de</strong>r mir auch bei <strong>de</strong>r späteren Interpretation <strong>de</strong>r Ergebnisse weiterhalf. Manchen Studios wa-<br />

ren Bor<strong>de</strong>lle angeglie<strong>de</strong>rt, so dass ich auch <strong>de</strong>n normalen Freierverkehr beobachten konnte.<br />

Auch hier machte ich die Erfahrung, dass <strong>de</strong>r Forscher zum eher teilnehmen<strong>de</strong>n Beobachter<br />

wer<strong>de</strong>n kann bzw. man ihn als Teilnehmer antizipiert. Ich saß um die Mittagszeit zusammen<br />

mit drei Prostituierten <strong>im</strong> Empfangsraum eines Bor<strong>de</strong>lls <strong>und</strong> beobachtete <strong>de</strong>n Besucher- bzw.<br />

Freierverkehr. An <strong>de</strong>r Rezeption erk<strong>und</strong>igten sich die Männer nach <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />

Preisen für verschie<strong>de</strong>ne Leistungen <strong>und</strong> auch für unterschiedliche ‘Mo<strong>de</strong>lle’. Einer <strong>de</strong>r Män-<br />

ner fragte schließlich: ‘Was kostet die da?’ - <strong>und</strong> <strong>de</strong>utete auf mich.<br />

Szene-Lokale <strong>und</strong> Clubräume<br />

Beobachtungseinheiten ließen sich in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Räumen durchführen. Zu nennen<br />

sind z.B. schwule SM-Le<strong>de</strong>rbars, stadtbekannte Hooligan-Kneipen o<strong>de</strong>r Vereinsräume <strong>de</strong>r<br />

Paintball-Spieler. So war ich bei einem Le<strong>de</strong>rmänner-Treffen aus verschie<strong>de</strong>nen europäischen<br />

Län<strong>de</strong>rn anwesend <strong>und</strong> konnte mir auf diese Weise einen nachhaltigen Eindruck <strong>von</strong> <strong>de</strong>n ver-<br />

schie<strong>de</strong>nen Interaktionsritualen machen. An zwei Wochenen<strong>de</strong>n war ich jeweils <strong>im</strong> Anschluss<br />

an Fußballspiele <strong>und</strong> anschließen<strong>de</strong> Schlägereien mit einigen Hooligans in <strong>de</strong>ren Lieblings-<br />

kneipen unterwegs. Hier fand eine Mischung aus Beobachtungs- <strong>und</strong> Interviewsituation statt,<br />

wobei ich die Gespräche selbstre<strong>de</strong>nd nicht systematisch <strong>und</strong> per Tonband aufzeichnen konn-<br />

te. Die Paintball-Spieler habe ich mehrfach in Clubräumen besucht, konnte mir so einen guten<br />

Eindruck über Aktivitäten, Organisation <strong>de</strong>s Clubs bzw. Vereins u.ä. verschaffen.<br />

Spezialgeschäfte<br />

Die in fast je<strong>de</strong>r größeren Stadt vor zu fin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Spezialgeschäfte bil<strong>de</strong>n wichtige Kristalli-<br />

sationspunkte <strong>de</strong>r SM- o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Paintballszene. In Sexshops, Le<strong>de</strong>r-, SM- <strong>und</strong> Fetisch-<br />

boutiquen treffen sich - vorzugsweise am Wochenen<strong>de</strong> - die Insi<strong>de</strong>r. Diese Treffen bieten<br />

Gelegenheit, unter seinesgleichen über SM-Probleme <strong>und</strong> -Faszinationen zu sprechen, neue<br />

Mo<strong>de</strong>n anzuprobieren usw. Paintball-Spieler tauschen sich in <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Lä<strong>de</strong>n über<br />

innovative Ausrüstungsgegenstän<strong>de</strong> (Markierer/Drucksysteme), Schutzmasken, Turnierpläne<br />

o<strong>de</strong>r Mitfahrgelegenheiten zur nächsten Meisterschaft aus. Manche dieser Treffpunkte sind<br />

regelrecht institutionalisiert, so dass es schon längst nicht mehr nur um SM o<strong>de</strong>r Paintball<br />

geht. Auch Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Familie, Sport <strong>und</strong> Auto, Urlaub <strong>und</strong> Arbeit sind Themen, über die<br />

gesprochen wird. Diese Treffpunkte waren, neben ihrer Funktion als Beobachtungsort, vor<br />

allem für das Knüpfen <strong>von</strong> Kontakten <strong>und</strong> die Durchführung <strong>von</strong> Interviews <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung.<br />

Zu<strong>de</strong>m konnte ich mir einen Eindruck <strong>von</strong> <strong>de</strong>r typischen SM-Kleidung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n SM-<br />

34


Werkzeugen sowie <strong>de</strong>m Paintballzubehör verschaffen. Nicht zuletzt konnte ich hier Zeit-<br />

schriften sammeln <strong>und</strong> lesen.<br />

Szene- <strong>und</strong> Privattreffen<br />

Der Zugang zu Szene- <strong>und</strong> Privattreffen war nicht einfach. Ohne persönliche Empfehlungen<br />

bestand kaum eine Chance, Einlass zu fin<strong>de</strong>n. Mit Blick auf die SM-Szene fällt <strong>de</strong>r Forscher<br />

selbst bei mehr o<strong>de</strong>r weniger öffentlichen Großveranstaltungen zumeist schon <strong>de</strong>swegen auf,<br />

weil er an<strong>de</strong>rs geklei<strong>de</strong>t ist. Der Kostümierungszwang (‚strictly dressco<strong>de</strong>’) ist gleichsam <strong>de</strong>r<br />

Min<strong>im</strong>albeitrag für <strong>de</strong>n Eintritt. Es war nicht nötig, selbst <strong>im</strong> ‚hippesten’ SM-Dress anwesend<br />

zu sein, aber das bunte Kleid habe ich schließlich gegen die schwarze Jeans <strong>und</strong> ein schwar-<br />

zes T-Shirt ausgetauscht. Mit <strong>de</strong>r Hilfe <strong>von</strong> Szene-Insi<strong>de</strong>rn konnte ich an solchen Treffen teil-<br />

nehmen, wobei ich allerdings als Nichtteilnehmer - bildlich gesprochen - zumeist <strong>im</strong> ‚Foyer’<br />

verbleiben o<strong>de</strong>r zu best<strong>im</strong>mten Zeitpunkten die Party verlassen musste bzw. wollte. Aber<br />

selbst <strong>de</strong>r ‚Beobachterposten <strong>im</strong> Vorz<strong>im</strong>mer’ bietet neben <strong>de</strong>m unverzichtbaren Vorteil, Ein-<br />

drücke <strong>im</strong> Feld zu sammeln, Möglichkeiten, Kontakte mit möglichen Untersuchungspersonen<br />

anzubahnen <strong>und</strong> bei ihnen die Bereitschaft zu wecken, sich <strong>im</strong> weiteren Verlauf <strong>de</strong>s For-<br />

schungsprozesses zu engagieren.<br />

Beobachtungen <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong> Paintballturnieren gestalteten sich unkomplizierter. Dies liegt<br />

darin begrün<strong>de</strong>t, dass zu größeren Veranstaltungen ohnehin meist Gäste (Fre<strong>und</strong>e, Bekannte,<br />

Familienmitglie<strong>de</strong>r) eingela<strong>de</strong>n sind <strong>und</strong> ich unter einer Vielzahl <strong>von</strong> Besuchern eigentlich<br />

nicht weiter aufgefallen bin. Schwieriger war es dann wie<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Hooligans. Die wenigen<br />

Frauen, die an Treffen teilnehmen, sind meist als Fre<strong>und</strong>in o<strong>de</strong>r Frau ‘<strong>von</strong>’ bekannt. Als<br />

‘Neue’ musste ich also schnell auffallen. Deshalb war es wichtig, dass mir meine Kontaktper-<br />

son mehr o<strong>de</strong>r weniger dauernd zur Seite stand; zumin<strong>de</strong>st während <strong>de</strong>s ersten gemeinsamen<br />

Wochenen<strong>de</strong>s. Be<strong>im</strong> zweiten Mal war die Situation wesentlich entspannter.<br />

3.2.3 Gruppendiskussionen<br />

Ihre starke Affinität zu alltagstypischen Situationen <strong>und</strong> Gruppen ließ die Gruppendiskussion<br />

auch für meine Untersuchung be<strong>de</strong>utsam wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> Hinblick auf <strong>de</strong>n ständig<br />

umfangreicher wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Anteil <strong>von</strong> organisierten Gruppen stand hier ein Instrumentarium<br />

zur Verfügung, das eine tiefergehen<strong>de</strong> Explorierung <strong>von</strong> kommunikativen Prozessen <strong>und</strong><br />

Verhaltensstilen erlaubte. Zum Thema SM erschien mir die Gruppendiskussion zunächst<br />

problematisch, weil ich da<strong>von</strong> ausging, dass das Gespräch über <strong>de</strong>rart int<strong>im</strong>e Themen in <strong>de</strong>r<br />

35


Gruppe nicht möglich <strong>und</strong> auch nicht fruchtbar sei. Diese Einschätzung war falsch. Verschie-<br />

<strong>de</strong>ne Szene-Insi<strong>de</strong>r bevorzugten diese Form <strong>de</strong>s Austauschs. Bei einer Gruppendiskussion mit<br />

heterosexuellen Personen in einem Le<strong>de</strong>rstudio überraschte mich beispielsweise die offene<br />

Art, wie die anwesen<strong>de</strong>n Personen über ihre sexuellen Praktiken <strong>und</strong> Neigungen sprachen.<br />

Auf meine Rückfrage erklärten die Befragten, dass dies in <strong>de</strong>r Szene üblich ist; man wisse<br />

schließlich alles <strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r. Eine ähnlich offene <strong>und</strong> lockere Atmosphäre habe ich bei einer<br />

Gruppendiskussion mit schwulen Sadomasochisten erlebt.<br />

Mein Erkenntnisinteresse richtete sich dabei auf die Art <strong>de</strong>r Thematisierung <strong>von</strong> SM in <strong>de</strong>r<br />

Gruppe. Damit die Diskussionssituation möglichst authentisch war, fan<strong>de</strong>n die Gespräche<br />

allesamt in Szene-Treffpunkten statt.<br />

Beson<strong>de</strong>rs rege haben sich auch die Paintball-Spieler an <strong>de</strong>n Gruppendiskussionen beteiligt.<br />

Hier fand ich gleichsam opt<strong>im</strong>ale Bedingungen zur Anwendung dieses Instrumentes. Eine<br />

Vielzahl <strong>von</strong> Themen wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Befragten selbst aufgegriffen <strong>und</strong> führte zu heftigsten<br />

Debatten, die zum Teil sehr sachlich, zum Teil sehr emotional geführt wur<strong>de</strong>n. Sehr schön<br />

<strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong>n die unterschiedlichen Rollen <strong>de</strong>r Szene-Mitglie<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> Ansehen<br />

<strong>und</strong> Hierarchie.<br />

Trotz <strong>de</strong>r insgesamt <strong>im</strong>mens zeitaufwendigen Datenerhebung in <strong>de</strong>r Hooligan-Szene (Non-<br />

Stop-24-St<strong>und</strong>en-Begleitung, mehrfache Stadionbesuche etc.) konnte ich keine Gruppendis-<br />

kussionen <strong>im</strong> strengen methodischen Sinne durchführen. Dies liegt an <strong>de</strong>r Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r<br />

Szene bzw. Gruppe: sie aktualisiert sich nur anlässlich <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Fußballspiele mit<br />

anschließen<strong>de</strong>r ‚Randale’. Die Begegnungen fan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb in erster Linie während <strong>und</strong> nach<br />

<strong>de</strong>r ‘dritten Halbzeit’ statt. Von einer ‘geordneten’ Diskussionssituation kann angesichts <strong>de</strong>s<br />

hohen Alkoholkonsums <strong>und</strong> Schlägereien <strong>de</strong>shalb keine Re<strong>de</strong> sein.<br />

4. Auswertungsstrategien<br />

Zur Auswertung <strong>de</strong>s umfangreichen Befragungsmaterials mussten die verbalen Äußerungen<br />

zunächst, wie schon erwähnt, verschriftlicht wer<strong>de</strong>n. Um die Informationseinbuße bei <strong>de</strong>r<br />

Transkription möglichst gering zu halten, wur<strong>de</strong>n die verschriftlichten Aufzeichnungen durch<br />

<strong>de</strong>n Vergleich mit <strong>de</strong>n Tonbandprotokollen kontrolliert. Für die Auswertung <strong>und</strong> Dokumenta-<br />

tion <strong>de</strong>r verbalen Daten wur<strong>de</strong>n diese aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Anonymisierung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r verständli-<br />

cheren Darstellbarkeit behutsam in die Hochsprache ‚übersetzt’ <strong>und</strong> weitestgehend <strong>de</strong>n Re-<br />

geln <strong>de</strong>r Schriftsprache angepasst. Im Anschluss daran begann die eigentliche Auswertungs-<br />

arbeit. Dabei wur<strong>de</strong> eine Analyse <strong>und</strong> Interpretation angestrebt, die sowohl <strong>de</strong>r originären<br />

36


Sichtweise <strong>de</strong>r Befragten, als auch einer vergleichen<strong>de</strong>n Systematisierung Rechnung trug. Ich<br />

habe unterschiedliche Auswertungs- <strong>und</strong> Darstellungsformen berücksichtigt.<br />

Im ersten Fall zielte die Rekonstruktion auf individuelle Handlungs- <strong>und</strong> Sinnprofile. Sie<br />

kann als Einzelfallanalyse bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Die Gr<strong>und</strong>lage für diese Auswertungsform bil-<br />

<strong>de</strong>ten die problemzentrierten Interviews in Verbindung mit Telefonaten, ständigen Briefwech-<br />

seln <strong>und</strong> Wie<strong>de</strong>rholungsinterviews, die ich zu biographisch orientierten Falldarstellungen<br />

ausgearbeitet habe. Diese sehr zeitintensive Auswertungsform habe ich aber nicht generell<br />

eingesetzt. Aus noch zu erläutern<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n habe ich sie nur für die Beschreibung <strong>de</strong>r spe-<br />

zifischen SM-Partizipationsformen <strong>von</strong> Frauen verwen<strong>de</strong>t. Datenerhebungs- <strong>und</strong> Auswer-<br />

tungsprozess stan<strong>de</strong>n hier in einem Wechselverhältnis, weil die beschriebenen Frauen ihre<br />

Sicht <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r in die Fallrekonstruktion in Form <strong>von</strong> Ergänzungen <strong>und</strong> Korrekturen ein-<br />

brachten (vgl. Kap. III. 1.9.2.5).<br />

Bei <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Auswertungsform wur<strong>de</strong> eine ‚typologisieren<strong>de</strong> Interpretation’ angestrebt,<br />

d.h. aus <strong>de</strong>n Einzeläußerungen wur<strong>de</strong>n fallübergreifend Strukturen <strong>und</strong> Zusammenhänge, Ty-<br />

pisches <strong>und</strong> Wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>s herausgearbeitet. Ich fragte hier in erster Linie nach best<strong>im</strong>m-<br />

ten vorherrschen<strong>de</strong>n Mustern, die dann in Form eines Textextraktes o<strong>de</strong>r einer themenbezo-<br />

genen Synopse, welche die Einheit <strong>de</strong>r Transkripte auflöste, in die Auswertung <strong>und</strong> Datenprä-<br />

sentation mit einbezogen wur<strong>de</strong>n. Diese Vorgehensweise erlaubt die hinter singulären Aussa-<br />

gen sichtbar wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Strukturmerkmale <strong>und</strong> -relationen <strong>de</strong>r Szenen <strong>und</strong> ihrer spezialisier-<br />

ten Teilnehmer offen zu legen. Gleichzeitig erlaubt diese vergleichen<strong>de</strong> Strategie die Offenle-<br />

gung best<strong>im</strong>mter Inszenierungs- <strong>und</strong> Selbstdarstellungsformen <strong>de</strong>r Befragten gegenüber <strong>de</strong>m<br />

Forscher. Dadurch kann die Gefahr, dass <strong>de</strong>r Forscher nur speziell für die Interviewsituation<br />

konstituierte Selbstdarstellungen <strong>und</strong> Täuschungsmanöver wie<strong>de</strong>rgibt, systematisch gemin-<br />

<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. So zeigte sich z.B. während <strong>de</strong>r Datenerhebung, dass einige Befragte ihre Ver-<br />

haltensformen zu verharmlosen o<strong>de</strong>r Selbstzweifel <strong>und</strong> Probleme zu verhe<strong>im</strong>lichen suchten.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re Problembereiche, wie z.B. das Vorkommen unfreiwilliger Handlungen wur<strong>de</strong>n<br />

<strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r negiert, obwohl sie in <strong>de</strong>n ‚Randzonen’ <strong>de</strong>s SM <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re auch bei <strong>de</strong>n<br />

Hooligans doch <strong>de</strong>s Öfteren vorkommen.<br />

Einige weitere Hinweise sind noch anzuschließen: Die vielfältigen Feldnotizen (vgl. Lofland<br />

1979) sind ebenfalls unter Verwendung dieser Auswertungsstrategien in die Analyse einge-<br />

flossen. Die ausgewerteten Daten <strong>und</strong> Begriffe aus <strong>de</strong>r Szene sind <strong>im</strong> Fließtext generell kursiv<br />

gedruckt. Interviewpassagen sind entwe<strong>de</strong>r kursiv in <strong>de</strong>n laufen<strong>de</strong>n Text integriert o<strong>de</strong>r in<br />

Synopsen (eingerückt) herausgestellt.<br />

37


II. Die empirische Analyse -<br />

Zur Phänomenologie gewaltaffiner Spezialkulturen<br />

In <strong>de</strong>m nun folgen<strong>de</strong>n empirischen Teil <strong>de</strong>r Arbeit soll die Faszination <strong>von</strong> Gewalt als Mittel<br />

zur Generierung außeralltäglicher Erfahrungen am Beispiel <strong>de</strong>r Sadomasochisten, <strong>de</strong>r Paint-<br />

baller <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Hooligans dargestellt wer<strong>de</strong>n. Beson<strong>de</strong>res Augenmerk liegt <strong>de</strong>mnach auf <strong>de</strong>r<br />

emotionalen Komponente eines exklusiven, zeitlich eingegrenzten Erlebens, das als Thrill,<br />

Kick o<strong>de</strong>r <strong>Grenzerfahrung</strong> bezeichnet wer<strong>de</strong>n kann. Zum besseren Verständnis <strong>de</strong>r sich dahin-<br />

ter verbergen<strong>de</strong>n Motivationsstrukturen, insbeson<strong>de</strong>re jedoch <strong>de</strong>r Einordnung innerhalb einer<br />

Gewaltdiskussion, genügt es nicht, dieses Moment isoliert zu betrachten. Vielmehr muss auch<br />

nach <strong>de</strong>n Rahmenbedingungen gefragt wer<strong>de</strong>n: Biographien <strong>und</strong> Zugangsmuster sind ebenso<br />

zu berücksichtigen wie eine exakte Beschreibung <strong>de</strong>r Phänomene sowie ihrer organisatori-<br />

schen <strong>und</strong> sub- bzw. spezialkulturellen Einbettung.<br />

Die Daten <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit wur<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Rahmen unterschiedlicher, groß angelegter<br />

Forschungsprojekte, in <strong>de</strong>nen ich zwischen 1990 <strong>und</strong> 1996 als wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

an <strong>de</strong>r Universität Trier <strong>und</strong> danach als freie Mitarbeiterin für die Arbeitsgemeinschaft sozi-<br />

alwissenschaftliche Forschung <strong>und</strong> Weiterbildung e.V. an <strong>de</strong>r Universität Trier (ASW) gear-<br />

beitet habe, erhoben. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist die Struktur <strong>de</strong>r Analyse uneinheitlich. Wie<br />

bereits erwähnt, n<strong>im</strong>mt das Phänomen <strong>de</strong>s Sadomasochismus als außeralltägliche Erfahrung<br />

(inhaltlich) <strong>de</strong>n größten Teil <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Analyse ein. Mit diesem Thema habe ich mich<br />

über mehrere Jahre beschäftigt <strong>und</strong> entsprechend umfangreiches theoretisches wie auch empi-<br />

risches Material zusammengestellt. Dies war <strong>de</strong>r Ausgangspunkt meiner Überlegungen zum<br />

Thema Außeralltäglichkeit <strong>und</strong> Gewalt. Im Laufe meiner weiteren empirischen Arbeit <strong>im</strong><br />

Rahmen an<strong>de</strong>rer Forschungsprojekte zum Thema Jugendkultur <strong>und</strong> Gewalt haben sich dann<br />

Parallelen gezeigt, die ich mit <strong>de</strong>n Paintball-Spielern <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Hooligans aufgreife bzw. the-<br />

matisiere.<br />

Die empirische Analyse zum Sadomasochismus n<strong>im</strong>mt ihren Ausgangspunkt bei typischen<br />

Zugangsmustern <strong>und</strong> Beziehungsformen. Im Anschluss daran wer<strong>de</strong>n Co<strong>de</strong>s <strong>und</strong> Symbole<br />

sowie das sadomasochistische Szenario bzw. die Praktiken dargestellt. Schließlich geht es um<br />

Faszinationen, Gefühle <strong>und</strong> Erlebnismuster <strong>und</strong> ihre Trennung vom Alltagsrahmen. Zu<strong>de</strong>m<br />

wird auf das Problem <strong>de</strong>r Gewalt eingegangen. Beson<strong>de</strong>res Augenmerk liegt dann noch ein-<br />

mal auf <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s weiblichen Sadomasochismus - dies mit Blick auf die Diskussion<br />

zum Masochismus <strong>de</strong>r Frau Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre; aber auch vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong>, dass<br />

38


an<strong>de</strong>re gewaltaffine Spezialkulturen überwiegend durch männliche Mitglie<strong>de</strong>r gekennzeichnet<br />

sind.<br />

Hooligans <strong>und</strong> Paintballer wer<strong>de</strong>n anhand einzelner Gruppen innerhalb <strong>de</strong>r Szenen betrachtet.<br />

In Anlehnung an die Konzeption <strong>de</strong>s Forschungsprojektes ‘„Ich will halt an<strong>de</strong>rs sein wie die<br />

an<strong>de</strong>ren“ - Abgrenzung Gewalt <strong>und</strong> Kreativität bei Gruppen Jugendlicher’ (vgl. Eckert u.a.<br />

1998; 2000) folgt die Darstellung einem Analyseraster, das eine Rekonstruktion <strong>de</strong>r jeweili-<br />

gen Gruppenwirklichkeiten ermöglicht <strong>und</strong> die Vergleichbarkeit <strong>de</strong>r Gruppen erlaubt (hier <strong>im</strong><br />

‘Teilprojekt’: Paintballer <strong>und</strong> Hooligans, <strong>im</strong> Gesamtprojekt auch: Punks, rechte Gruppie-<br />

rungen, multiethnische Gruppen, Bosnier o<strong>de</strong>r Breakbeater).<br />

1) Herkunft <strong>und</strong> aktuelle Lebenssituation: Hier geht es um <strong>de</strong>n Einfluss lebensweltlicher Hin-<br />

tergrün<strong>de</strong> (Eltern, Wohnung, Bildung) auf die Zugehörigkeit zur jeweiligen Spezialkultur.<br />

2) Gruppenwirklichkeit: Die ‘Entstehungsbedingungen’ <strong>de</strong>r Gruppe geben Auskunft über die<br />

Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gruppenbildung, <strong>de</strong>n Bestehungszeitraum etc. Das ‘Selbstverständnis’ zeigt<br />

(jugend)kulturelle bzw. weltanschauliche Bezugsszenen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Interpretation in <strong>de</strong>r<br />

Gruppe.<br />

3) Wahrgenommene Gruppenperipherie: Hier ist beschrieben, wie die Gruppe/Szene durch<br />

die Umwelt wahrgenommen <strong>und</strong> bewertet wird, <strong>und</strong> wie sich die Gruppe <strong>de</strong>mgegenüber<br />

selbst sieht.<br />

4) Intergruppenbeziehungen: ‘Allianz’ umfasst die akzeptieren<strong>de</strong>n <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftlichen<br />

Beziehungsformen. ‘Ambivalenz’ bezeichnet jene Beziehungsmuster, die sich durch un-<br />

ein<strong>de</strong>utige <strong>und</strong> wechseln<strong>de</strong> Bewertungen auszeichnen. Beson<strong>de</strong>rs wichtig ist die ‘Abgren-<br />

zung’ <strong>von</strong> „an<strong>de</strong>ren“, die negativ bewertet wer<strong>de</strong>n.<br />

5) Gruppenverlauf: Die Rekonstruktion <strong>de</strong>s Gruppenverlaufs soll Aussagen über die ‘Eigen-<br />

dynamik’ <strong>von</strong> Gruppenprozessen <strong>und</strong> vor allem auch über <strong>de</strong>ren Stabilität <strong>und</strong> typische<br />

Auflösungsmuster ermöglichen.<br />

39


1. Sadomasochismus: Szenen <strong>und</strong> Rituale<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r achtziger, Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Buch- <strong>und</strong> Zeitschriften-<br />

markt <strong>von</strong> Selbstbekenntnissen vor allem masochistischer Frauen nahezu überflutet. Mit teil-<br />

weise missionarischem Charakter traten Männer <strong>und</strong> Frauen mit ihrem ‘Sadomasochismus’<br />

aus <strong>de</strong>r Anonymität, <strong>und</strong> fast schon schämen mussten sich diejenigen, die <strong>im</strong>mer noch eine<br />

langweilige, weil ‘normale’ Sexualität praktizierten. Es gab kaum eine Talkshow, kaum ein<br />

Magazin (ob Stern, Focus, Spiegel, Lifestyle- o<strong>de</strong>r Frauenzeitschrift), das sich nicht dieser<br />

beson<strong>de</strong>ren Thematik mehr o<strong>de</strong>r weniger sachlich, mehr o<strong>de</strong>r weniger ‘sensationsgeil’ ange-<br />

nommen hat.<br />

International <strong>und</strong> auch in Deutschland hat sich bereits seit vielen Jahren eine gut funktionie-<br />

ren<strong>de</strong> Szene etabliert, in <strong>de</strong>r Menschen ihre Obsessionen <strong>von</strong> Dominanz, Submission <strong>und</strong><br />

Gewalt - sadomasochistische Neigungen - ausleben können. Diese Szene ist in sich stark aus-<br />

differenziert entsprechend gr<strong>und</strong>sätzlicher sexueller Orientierung (heterosexuell/homosexuell)<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Vorliebe für spezifische Praktiken (vgl. Gr<strong>im</strong>me 2000; Hitzler 1993; Spengler 1979;<br />

Steinmetz 1990).<br />

Die Etablierung <strong>de</strong>r Thematik in <strong>de</strong>n Medien sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />

diesem Phänomen in <strong>de</strong>r breiten Öffentlichkeit nach wie vor das Stigma <strong>de</strong>s Kranken, Perver-<br />

sen, ja sogar Kr<strong>im</strong>inellen anhaftet. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> 1991 bis 1993 unter<br />

<strong>de</strong>r Leitung <strong>von</strong> Prof. Dr. Roland Eckert eine <strong>von</strong> <strong>de</strong>r DFG geför<strong>de</strong>rte Studie durchgeführt,<br />

die sich <strong>de</strong>r Thematik aus soziologisch-ethnographischer Perspektive angenommen hat. So-<br />

wohl <strong>de</strong>r heterosexuelle als auch homosexuelle (Schwule <strong>und</strong> Lesben) Sadomasochismus<br />

wur<strong>de</strong>n untersucht. Es wur<strong>de</strong>n Zugangsmuster, Praktiken <strong>und</strong> Motivstrukturen analysiert so-<br />

wie die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Phantasien <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Pornographie herausgearbeitet (vgl. Wetzstein u.a.<br />

1993).<br />

Die hier vorliegen<strong>de</strong> Analyse spiegelt meine Arbeit <strong>im</strong> Rahmen dieser Studie wi<strong>de</strong>r. 26<br />

26 Zu <strong>de</strong>n Themen ‘Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Phantasien’, ‘Die Rolle <strong>de</strong>r Pornographie’, ‚AIDS <strong>und</strong> SM’, ‚Abweichen<strong>de</strong><br />

Karrieren’ sowie zur ausführlichen <strong>und</strong> differenzierten Darstellung <strong>de</strong>s ‘homosexuellen Sadomasochismus’<br />

vgl. Wetzstein u.a. (1993).<br />

40


Empirie<br />

Von <strong>de</strong>r Forschergruppe wur<strong>de</strong>n insgesamt 65 auf Tonband aufgezeichnete Interviews mit<br />

einer Dauer <strong>von</strong> 40 bis 180 Minuten durchgeführt. Hinzu kamen Gruppendiskussionen <strong>und</strong><br />

Beobachtungen sowie schriftliche Befragungsunterlagen, <strong>de</strong>ren Länge zwischen drei <strong>und</strong> 50<br />

Seiten variiert. Insgesamt haben wir 143 Personen befragt. Dass die Zahl <strong>de</strong>r interviewten<br />

Personen höher ist als die Zahl <strong>de</strong>r Interviews, erklärt sich aus <strong>de</strong>m Umstand, dass in manchen<br />

Interviews zwei o<strong>de</strong>r drei - resp. in <strong>de</strong>n Gruppendiskussionen noch mehr - Personen befragt<br />

wur<strong>de</strong>n. Die Sozio<strong>de</strong>mographie <strong>und</strong> sexuellen Präferenzen <strong>de</strong>r Befragten wur<strong>de</strong>n zu<strong>de</strong>m stan-<br />

dardisiert erfasst <strong>und</strong> ausgewertet.<br />

Zur Überprüfung <strong>de</strong>r Validität <strong>de</strong>r Daten <strong>und</strong> zur Aktualisierung habe ich diesen Datenpool<br />

durch ein weiteres Interview <strong>im</strong> August 2000 mit zwei Szenemitglie<strong>de</strong>rn, Beobachtungen <strong>und</strong><br />

Recherchen <strong>im</strong> Internet sowie in Szenelä<strong>de</strong>n (Frankfurt , Hamburg <strong>und</strong> Leipzig) ergänzt.<br />

Ausgewählte Merkmale unter <strong>de</strong>n Befragten<br />

An dieser Stelle möchte ich auf die sozio<strong>de</strong>mographischen Merkmale sowie die Rollenvertei-<br />

lungen <strong>im</strong> quantitativen Sinne eingehen. Die hier dargestellten Ergebnisse sind auf Gr<strong>und</strong><br />

stichprobentheoretischer Voraussetzungen <strong>und</strong> Bedingungen jedoch nicht verallgemeinerbar,<br />

son<strong>de</strong>rn können nur lediglich zur Hypothesenbildung herangezogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Sozio<strong>de</strong>mographie: Sadomasochistische Verhaltensformen <strong>und</strong> Interessen kommen in allen<br />

Altersbereichen vor, wobei die meisten Befragten bis 40 Jahre alt waren. Der Jüngste war 18<br />

Jahre <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Älteste 78 Jahre alt.<br />

41


Hinsichtlich <strong>de</strong>r einzelnen Variablen ergaben sich folgen<strong>de</strong> Verteilungen:<br />

Tab.: Die Altersstruktur <strong>de</strong>r Befragten<br />

Altersklasse Prozent<br />

18-30 Jahre 38,8%<br />

31-40 Jahre 34,5%<br />

41-50 Jahre 10,1%<br />

51-60 Jahre 10,8%<br />

über 60 Jahre 5,8%<br />

Gesamt: 100,0%<br />

Auch bei unseren Beobachtungen in Studios <strong>und</strong> Sexshops haben wir festgestellt, dass offen-<br />

bar alle Altersklassen <strong>von</strong> Erwachsenen in <strong>de</strong>r Szene repräsentiert (<strong>und</strong> aktiv) sind.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r geschlechtlichen Verteilung hat Spengler (1979, S. 57f) in seiner Studie darauf<br />

hingewiesen, dass sich nur wenige Frauen in <strong>de</strong>r SM-Szene bewegen: „Das Zahlenverhältnis<br />

<strong>von</strong> Männern <strong>und</strong> Frauen kann anhand <strong>de</strong>r Zahlen aus <strong>de</strong>n heterosexuellen Teilgruppen <strong>de</strong>r<br />

Organisationen, die wir kennen, ungefähr abgeschätzt wer<strong>de</strong>n. (...) In <strong>de</strong>r regionalen Teil-<br />

gruppe dieser Organisation, die wir genauer kennengelernt haben, gibt es etwa 50 feste <strong>und</strong><br />

weitere 100 locker assoziierte Mitglie<strong>de</strong>r, aber nur etwa 20 Frauen. (...) Der Kontakt zu einer<br />

Organisation kann die Tatsache nicht überbrücken, daß nur extrem selten einmal nicht-<br />

prostituierte Frauen zu einem sadomasochistischen Erlebnis bereit sind.“ Dieses Bild wird<br />

<strong>von</strong> einigen älteren Studien 27 bestätigt. Für unsere Untersuchung ergibt sich folgen<strong>de</strong> ge-<br />

schlechtsspezifische Verteilung:<br />

27 Vgl. z.B. Gebhard (1969); Hunt (1974); Litman/Swearingen (1972)<br />

42


Tab.: Die Verteilung <strong>de</strong>r Geschlechter<br />

Geschlecht Prozent<br />

Weiblich 38,0%<br />

Männlich 62,0%<br />

Gesamt: 100,0%<br />

Insgesamt haben wir mehr Männer als Frauen befragt. 28 Von diesen Daten kann zwar noch<br />

nicht auf <strong>de</strong>n Frauenanteil in <strong>de</strong>r SM-Szene geschlossen wer<strong>de</strong>n, es scheint aber zutreffend zu<br />

sein, dass es mehr Männer als Frauen in <strong>de</strong>r SM-Szene gibt. Um diese Hypothese weiter zu<br />

prüfen, haben wir einige an<strong>de</strong>re Analysen durchgeführt, so z.B. die Auswertung <strong>von</strong> Kontakt-<br />

anzeigen. Sie bestätigen dieses Bild: Von 143 Partnergesuchen in einem SM-Magazin wur<strong>de</strong>n<br />

104 <strong>von</strong> Männern aufgegeben <strong>und</strong> 39 <strong>von</strong> Frauen, wobei bei letzteren in 23 Fällen finanzielle<br />

Interessen eine Rolle spielten. Schließlich haben wir selbst mehrere Annoncen in szenetypi-<br />

schen Magazinen aufgegeben. Es mel<strong>de</strong>ten sich fast ausschließlich Männer. Dieses Phänomen<br />

ist aber kein Charakteristikum <strong>de</strong>s SM-Bereichs, <strong>de</strong>nn bei an<strong>de</strong>ren Sexualitäten sind Männer<br />

in <strong>de</strong>r Anzeigenszene <strong>und</strong> <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Realisierungsformen ebenfalls aktiver. Auch<br />

hierzu haben wir Auszählungen durchgeführt. In einem Kontaktmagazin, das auf verschie<strong>de</strong>-<br />

ne sexuelle Interessen (z.B. Gruppensex, Fetischismus) abzielt, ergab sich folgen<strong>de</strong> Ge-<br />

schlechterverteilung: Gegenüber 425 Männern, die eine Partnerin suchten, annoncierten nur<br />

46 Frauen. Daneben suchten noch 72 Paare überwiegend eine weibliche Ergänzung. Eine <strong>von</strong><br />

uns geschaltete Annonce in einer überregionalen Tageszeitung bestätigt dieses Ergebnis. Aus<br />

<strong>de</strong>m Anzeigentext war we<strong>de</strong>r zu erkennen, ob ein Mann o<strong>de</strong>r eine Frau gesucht wird, noch<br />

waren Rückschlüsse auf sexuelle Präferenzen möglich. 29 Das Resultat spricht für sich: Inner-<br />

halb <strong>von</strong> zwei Tagen haben wir über 200 Anrufe erhalten, ausnahmslos <strong>von</strong> Männern, die eine<br />

Partnerin für die unterschiedlichsten Sexualpraktiken gesucht haben. Auch wenn solche Ein-<br />

zelergebnisse nicht generalisierbar sind, können sie als Indikator für <strong>de</strong>n chronischen Män-<br />

nerüberschuss in <strong>de</strong>r Szene gewertet wer<strong>de</strong>n.<br />

28 In <strong>de</strong>r SM-Szene spielen mitunter auch Transsexuelle <strong>und</strong> Transvestiten eine Rolle. Sie sind gelegentlich in<br />

<strong>de</strong>n Studios o<strong>de</strong>r auf privaten Treffen zu fin<strong>de</strong>n. Allerdings konnten wir - trotz umfangreicher Bemühungen -<br />

nieman<strong>de</strong>n aus diesem Kreis interviewen <strong>und</strong> sind <strong>de</strong>shalb auch nicht weiter auf diese Frage eingegangen.<br />

29 Mit dieser Annonce sollten wir einem Paar, das uns angeschrieben hatte, unser Interesse an einem Interviewgespräch<br />

bestätigen. In <strong>de</strong>r Samstagsausgabe einer best<strong>im</strong>mten Zeitung haben wir daraufhin folgen<strong>de</strong>n - mit<br />

diesem Paar vereinbarten - Text veröffentlicht: Möchten Euch Kennen Lernen.<br />

43


Es wird <strong>de</strong>utlich, dass Männer be<strong>im</strong> Ausleben ihrer Sexualität eher in eine Öffentlichkeit ge-<br />

hen, z.B. in<strong>de</strong>m sie Annoncen aufgeben o<strong>de</strong>r Gruppensex-Veranstaltungen besuchen. Aber<br />

nicht nur wegen dieses offensiveren Verhaltens sind sie in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Szenen überrep-<br />

räsentiert, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>shalb, weil Frauen ihre Sexualität offensichtlich eher privat insze-<br />

nieren. So hat z.B. unsere Studie zur Nutzung <strong>von</strong> Vi<strong>de</strong>opornographie (vgl. Eckert u.a. 1990)<br />

gezeigt, dass Frauen durchaus solche Filme anschauen, gleichzeitig aber <strong>de</strong>n Weg in die Vi-<br />

<strong>de</strong>othek eher mei<strong>de</strong>n. Ausleihen ist eine Männerdomäne. Ein ähnlicher Effekt könnte in <strong>de</strong>r<br />

SM-Szene wirksam wer<strong>de</strong>n, wenn es darum geht, an Gruppentreffen <strong>und</strong> Partys teilzuneh-<br />

men. Daraus nun zu folgern, Frauen interessierten sich weniger für SM, wäre problematisch.<br />

Denn bisher ist eher unzureichend untersucht, was sich in <strong>de</strong>n privaten Räumen abspielt.<br />

Trotz <strong>de</strong>r unergiebigen Datenlage in Bezug auf die Quantifizierung <strong>de</strong>r Geschlechteranteile in<br />

<strong>de</strong>r SM-Szene, scheint sich <strong>de</strong>r Frauenanteil aber in <strong>de</strong>n letzten Jahren - <strong>und</strong> darin st<strong>im</strong>men<br />

alle <strong>von</strong> uns kontaktierten Szenemitglie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> -insi<strong>de</strong>r überein - kontinuierlich erhöht zu<br />

haben. 30<br />

Die Differenzierung nach best<strong>im</strong>mten sozio-ökonomischen Merkmalen kann anhand <strong>de</strong>r Va-<br />

riablen ‚Bildungsabschluss’ <strong>und</strong> ‚beruflicher Status’ dargestellt wer<strong>de</strong>n:<br />

Tab.: Der Bildungsabschluss <strong>de</strong>r Befragten<br />

Bildungsabschluss Prozent<br />

Niedrig 10,0%<br />

Mittel 26,9%<br />

Hoch 63,1%<br />

Gesamt: 100,0%<br />

Die hohen Bildungsabschlüsse überwiegen mit einem Anteil <strong>von</strong> fast zwei Dritteln <strong>de</strong>utlich.<br />

Die Aufschlüsselung nach <strong>de</strong>m beruflichen Status zeigt folgen<strong>de</strong> Verteilung:<br />

30 Aus Untersuchungen in <strong>de</strong>n USA geht hervor, dass Frauen in <strong>de</strong>r sadomasochistischen Spezialkultur zunehmend<br />

repräsentiert sind (vgl. Moser 1988; Breslow u.a. 1985).<br />

44


Tab.: Beruflicher Status<br />

Berufsgruppe Prozent<br />

Selbständige/Freiberufler(in) 21,9%<br />

Leiten<strong>de</strong> Angestellte 14,5%<br />

Angestellte 39,5%<br />

Beamter/in 5,6%<br />

Arbeiter(in) 2,4%<br />

Stu<strong>de</strong>nt(in) 8,9%<br />

Sonstige 7,2%<br />

Gesamt: 100,0%<br />

Statushöhere Berufsgruppen sind mit einem recht hohen Anteil repräsentiert. Hier schließt<br />

sich die Frage an, inwieweit sadomasochistische Sexualität vorzugsweise bei höheren<br />

Schichtsegmenten zu fin<strong>de</strong>n ist. Wir haben eine Reihe <strong>von</strong> Einzeldaten erhoben, die diese<br />

Hypothese stützen. Auf privaten Treffen, Partys, Feten, Großveranstaltungen o<strong>de</strong>r Domina-<br />

Studios sind hauptsächlich Aka<strong>de</strong>miker, leiten<strong>de</strong> Angestellte etc. anzutreffen. Personen, die<br />

aufgr<strong>und</strong> ihres Berufes o<strong>de</strong>r ihrer Tätigkeit viel mit Sadomasochisten zu tun haben (z.B. Do-<br />

minas, Zuhälter, Therapeuten, Ärzte), berichten übereinst<strong>im</strong>mend, dass die Klientel aus <strong>de</strong>n<br />

oberen Schichten in <strong>de</strong>r Mehrheit ist. Trotz dieser Einzelergebnisse stehen repräsentative Da-<br />

ten für diese Hypothese noch aus, so dass verallgemeinerbare Schlüsse gegenwärtig nicht<br />

möglich sind.<br />

Neben <strong>de</strong>n sozio-<strong>de</strong>mographischen Variablen interessierte uns auch die Verteilung <strong>von</strong> Sexu-<br />

alitätsmerkmalen. Bezogen auf die Unterscheidung homo-, bi- <strong>und</strong> heterosexuell ergab sich<br />

für unsere Studie folgen<strong>de</strong>s Bild: 65% <strong>de</strong>r <strong>von</strong> uns befragten Personen waren heterosexuell,<br />

ca. 8% bisexuell <strong>und</strong> etwa 25% homosexuell. Ein weiteres Merkmal ist die eingenommene<br />

SM-Rolle. Die Bezeichnungen in <strong>de</strong>r Szene für die einzelnen Rollen variieren. Manche Per-<br />

sonen benutzen die Begriffe passiv/aktiv für die Typisierung mil<strong>de</strong>rer, sadis-<br />

tisch/masochistisch hingegen für die Kennzeichnung härterer SM-Ausprägungen. Diese Be-<br />

grifflichkeiten sind in ihrer Verwendung aber sehr uneinheitlich, weswegen sie in dieser Ar-<br />

beit synonym gebraucht wird. Im Einzelnen sind die Rollenmuster folgen<strong>de</strong>rmaßen verteilt:<br />

45


Tab.: Präferierte SM-Rolle<br />

Präferierte SM-Rolle Prozent<br />

Aktiv 31,7%<br />

Wechselnd 23,9%<br />

Passiv 44,4%<br />

Gesamt: 100,0%<br />

Etwas weniger als die Häfte <strong>de</strong>r Befragten ist passiv, r<strong>und</strong> ein Drittel ist aktiv orientiert, <strong>und</strong><br />

ein Fünftel <strong>de</strong>r Befragten gab an, bei<strong>de</strong> Rollen einzunehmen. Die quantitative Auswertung<br />

unserer Befragungsdaten in Bezug auf <strong>de</strong>n Zusammenhang <strong>von</strong> Geschlecht <strong>und</strong> präferierter<br />

SM-Rolle erbrachte <strong>im</strong> Einzelnen folgen<strong>de</strong> Verteilung:<br />

Tab.: Geschlechtszugehörigkeit <strong>und</strong> SM-Präferenz<br />

Präferierte SM-Rolle Männer Frauen<br />

Aktiv 28,7% 37,0%<br />

Wechselnd 17,3% 35,2%<br />

Passiv 54,0% 27,8%<br />

Gesamt: 100,0% 100,0%<br />

Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass das sogenannte ‚role switching’, also die wech-<br />

seln<strong>de</strong> Einnahme <strong>de</strong>r S- <strong>und</strong> <strong>de</strong>r M-Rolle, bei Männern <strong>und</strong> Frauen vorkommt, wobei Frauen<br />

die Rolle <strong>im</strong> SM-Arrangement <strong>de</strong>utlich häufiger wechseln. Noch markanter sind die Unter-<br />

schie<strong>de</strong> allerdings <strong>im</strong> Hinblick auf die passive Rolle: Fast doppelt so viele Männer als Frauen<br />

geben an, passiv orientiert zu sein. Masochismus ist also, etwas drastisch gewen<strong>de</strong>t, zualler-<br />

erst ein typisch männliches <strong>und</strong> weniger ein weibliches Phänomen. Die Rollenpräferenz bei<br />

<strong>de</strong>n Frauen ist fast gleichmäßig über alle Rollenoptionen verteilt, allerdings sind sadistische<br />

Frauen leicht in <strong>de</strong>r Überzahl. 31 Die Frage nach <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verbreitung <strong>de</strong>s Ma-<br />

sochismus <strong>von</strong> Frauen müsste auf dieser Basis also neu gestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn we<strong>de</strong>r ein natür-<br />

licher noch ein zwanghaft kulturell codierter spezifischer weiblicher Masochismus kann an-<br />

genommen wer<strong>de</strong>n (vgl. Kap. III. 1.9.1). Erwähnt wer<strong>de</strong>n soll noch, dass in manchen Szene-<br />

Teilen Geschlechtszugehörigkeit <strong>und</strong> SM-Rolle als Ausdruck einer Prestige-Hierarchie beg-<br />

riffen wer<strong>de</strong>n. Von oben nach unten rangiert ergibt sich dabei folgen<strong>de</strong> Reihenfolge: S-<br />

31 Professionelle Dominas sind in dieser Analyse nicht berücksichtigt.<br />

46


Mann - S-Frau - M-Frau - M-Mann. Diese Wertung ist uns aber nur selten begegnet <strong>und</strong> kei-<br />

neswegs generell üblich, so dass ich <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n nicht weiter auf diesen Aspekt eingehe.<br />

1.1 Exkurs: Sadomasochismus <strong>im</strong> Spiegel öffentlicher Diskussion <strong>und</strong> wissenschaftli-<br />

cher Theorien<br />

1.1.1 Sadomasochismus <strong>und</strong> öffentliche Meinung<br />

Individuen, die Vorlieben für sadomasochistische Praktiken zeigen, haftet das Stigma <strong>de</strong>s<br />

Pathologischen, Triebhaften <strong>und</strong> Unberechenbaren an (vgl. Schorsch 1979; Walter 1985). Es<br />

ist unbestritten, dass es Problemfälle gibt, in <strong>de</strong>nen Menschen ihre sadistischen Neigungen in<br />

Verbindung mit sexueller Befriedigung nicht kontrollieren können <strong>und</strong> dass als kr<strong>im</strong>inell o<strong>de</strong>r<br />

krankhaft zu bewerten<strong>de</strong> Handlungen begangen wer<strong>de</strong>n. Die Tatsache, dass es solche gestör-<br />

ten Persönlichkeiten gibt, besagt aber noch nicht, dass alle Individuen, die sadomasochistische<br />

Sexualpraktiken bevorzugen, potentielle Lustmör<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r Triebtäter sind - also eine Gefahr<br />

für die Öffentlichkeit darstellen <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb therapeutischer Hilfe bedürfen o<strong>de</strong>r ‘eingesperrt’<br />

wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Diese Vorurteile innerhalb <strong>de</strong>r öffentlichen Meinung gegenüber <strong>de</strong>m Sadomasochismus sind<br />

nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich innerhalb <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Diskussion<br />

bisher keine einheitliche Bewertung herauskristallisieren konnte. Die Forschung in diesem<br />

Bereich hat vielmehr heterogene Ergebnisse hervorgebracht, <strong>und</strong> man hat sich weitestgehend<br />

mit <strong>de</strong>n möglichen Ursachen <strong>und</strong> Therapieformen beschäftigt (vgl. Kap. III. 1.1.3). Daneben<br />

wer<strong>de</strong>n häufig Fragen aufgeworfen, ob <strong>und</strong> inwiefern sich die verschie<strong>de</strong>nen Formen <strong>von</strong><br />

Sadismus <strong>und</strong> Masochismus einan<strong>de</strong>r bedingen; es wer<strong>de</strong>n also mögliche gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> soziale Ursachen <strong>de</strong>s sexuellen Sadomasochismus diskutiert. 32<br />

Die Uneinheitlichkeit <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Datenlage <strong>im</strong> Bereich ‘abweichen<strong>de</strong>n’ Sexual-<br />

verhaltens hängt mit <strong>de</strong>m Phänomen <strong>de</strong>r menschlichen Sexualität insgesamt zusammen. Sie<br />

hat ihren Ursprung darin, dass es keine normierte Sexualität <strong>im</strong> Sinne eines instinktgesicher-<br />

ten Verhaltens gibt. Deshalb will ich <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n - bevor ich auf die aktuellen Manifestatio-<br />

nen <strong>de</strong>s Sadomasochismus eingehe - neben biologischen Bedingungen die Transformationen<br />

menschlicher Sexualität aus historischer, ethnologischer <strong>und</strong> soziologischer Perspektive auf-<br />

32 Vgl. Barry (1983); Burgard/Rommelspacher (1989); LeSoldat (1989); Schorsch/Becker (1977); ferner Lawrenz/Orzegowski<br />

(1988) o<strong>de</strong>r Valver<strong>de</strong> (1989)<br />

47


zeigen. Denn ohne die Einbeziehung <strong>de</strong>r sozialen <strong>und</strong> kulturellen Transformationen kann nur<br />

eine bloße Momentaufnahme gelingen, die in ihrer A-Historizität wenig aussagekräftig ist.<br />

Menschliche Affekte <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>und</strong> die Sexualität <strong>im</strong> Beson<strong>de</strong>ren resp. ihre verschie-<br />

<strong>de</strong>nen ‘abweichen<strong>de</strong>n’ Varianten sind - so eine <strong>im</strong> zivilisationstheoretischen <strong>Kontext</strong> formu-<br />

lierte Schlüsselthese - nur dann zu bewerten, wenn sie in eine historisch-rekonstruieren<strong>de</strong> A-<br />

nalyse eingebettet sind. Eine solche Perspektive zeigt nämlich, dass die Sexualität <strong>de</strong>s Men-<br />

schen vielfältigen sozio-kulturellen Formungen unterliegt.<br />

1.1.2 Konstitutive Merkmale menschlicher Sexualität<br />

1.1.2.1 Der Sexualtrieb<br />

Lange Zeit wur<strong>de</strong> angenommen, dass es sich bei <strong>de</strong>r menschlichen Sexualität um ein instink-<br />

tives Verhalten, gleichsam um einen festgelegten Verhaltenskomplex han<strong>de</strong>lt. Der Mensch<br />

unterschei<strong>de</strong>t sich aber gera<strong>de</strong> vom Tier durch das Fehlen artspezifischer Instinkte. Allenfalls<br />

lassen sich Instinktresiduen feststellen. Auf die Instinktentb<strong>und</strong>enheit weist nicht zuletzt die<br />

Unterschiedlichkeit <strong>de</strong>r Verhaltensformen in verschie<strong>de</strong>nen Gesellschaften hin.<br />

Zweifellos ist menschliche Sexualität - wie an<strong>de</strong>re Pr<strong>im</strong>ärtriebe auch - durch endogen erzeug-<br />

te Antriebe bedingt. Dennoch wird das konkrete Sexualverhalten nicht <strong>von</strong> diesen ‘Trieben’<br />

geregelt, son<strong>de</strong>rn ist die Folge sozial-kultureller Definitionen <strong>von</strong> Befriedigung. (Sexual-<br />

)Kultur stellt für <strong>de</strong>n Menschen gleichsam einen Instinktersatz dar (vgl. Hahn 1972). Den Er-<br />

gebnissen <strong>de</strong>s Verhaltensforschers Konrad Lorenz zufolge unterschei<strong>de</strong>t sich menschliche<br />

Sexualität durch zwei Merkmale vom instinktgesicherten Fortpflanzungsverhalten <strong>de</strong>r Tiere:<br />

1) Eine weitergehen<strong>de</strong> Instinktreduktion geht einher mit einem sexuellen Antriebsüber-<br />

schuss. Das menschliche Geschlechtsleben zeichnet sich durch das Fehlen eines jah-<br />

reszeitlichen Rhythmus <strong>de</strong>r sexuellen Antriebe (Brunstzeiten) aus, <strong>und</strong> die sexuellen<br />

Bedürfnisse <strong>von</strong> Mann <strong>und</strong> Frau sind weitaus größer als ihre Fortpflanzungsfähigkeit.<br />

Der Mensch verfügt we<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Einsatz noch <strong>im</strong> Ablauf seines Sexualverhaltens über<br />

angeborene Schemata <strong>und</strong> ein<strong>de</strong>utige Instinktmechanismen. Sein Verhalten beruht<br />

nicht auf angeborenen Handlungsketten mit dazugehörigen Endhandlungen (vgl. Lo-<br />

renz 1937).<br />

2) Das sinnliche Lustgefühl ist vom Gattungszweck ablösbar. Gehlen (1974) spricht in<br />

diesem Zusammenhang <strong>von</strong> einer fast universalen Plastizität menschlichen Sexualver-<br />

haltens. Die Vertreter <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Anthropologie (z.B. R. Benedict, B. Malinowski,<br />

48


M. Mead) sehen in <strong>de</strong>r Sexualität - wie auch in an<strong>de</strong>ren biologisch bedingten Antrie-<br />

ben <strong>de</strong>s Menschen - weitgehend unspezialisierte Bedürfnisse, die gera<strong>de</strong> in ihrer bio-<br />

logischen Ungesichertheit <strong>de</strong>r Formung <strong>und</strong> Führung durch soziale Normierung <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Stabilisierung in einem kulturellen Überbau <strong>von</strong> Interessen bedürfen. Ähnlich ar-<br />

gumentiert auch <strong>de</strong>r Soziologe Schelsky (1971, S. 135): „Dabei erweist sich die in-<br />

stinktschematisch ungesicherte Plastizität menschlicher Sexualbedürfnisse gera<strong>de</strong> als<br />

eine Chance zur Ausbildung einer höheren Selektivität <strong>de</strong>r Sexualziele, die über <strong>de</strong>n<br />

bloßen Gattungszweck hinausführt <strong>und</strong> die Einfügung <strong>von</strong> seelischen, kulturellen o<strong>de</strong>r<br />

sozialen Differenzierungen in die sexuelle Antriebssphäre zuläßt.“<br />

Von einer ausschließlich biologischen Determination menschlicher Sexualität kann also nicht<br />

gesprochen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn neben endogenen Antrieben sind kulturelle Bedingungen, Nor-<br />

men <strong>und</strong> Werte <strong>de</strong>r jeweiligen Gesellschaft für das konkrete Sexualverhalten verantwortlich.<br />

Sie best<strong>im</strong>men das Bild <strong>de</strong>r Sexualität, wie <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n gezeigt wer<strong>de</strong>n soll.<br />

1.1.2.2 Sozio-kulturelle Formung sexueller Verhaltensweisen<br />

Beschäftigt man sich mit <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r ‘Normalität’ resp. ‘Abweichung’ sexueller Verhal-<br />

tensweisen, so zeigt ein Blick auf frem<strong>de</strong> Kulturen <strong>und</strong> die unterschiedlichen historischen<br />

Epochen, dass Sexualität resp. abweichen<strong>de</strong>s Sexualverhalten auch sozio-historisch bedingt<br />

ist. Je<strong>de</strong> Gesellschaft entwickelt für das Sexualverhalten ihrer Mitglie<strong>de</strong>r Maßstäbe, Regeln<br />

<strong>und</strong> Normen, die zwischen <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Gesellschaften <strong>und</strong> historischen Epochen vari-<br />

ieren. In <strong>de</strong>m Ausmaß, in <strong>de</strong>m eine Gesellschaft ihre eigenen Normen <strong>und</strong> Werte dogmati-<br />

siert, stempelt sie gleichzeitig Individuen mit an<strong>de</strong>ren Vorstellungen zu Außenstehen<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />

Abweichen<strong>de</strong>n, was sich in extremen Fällen in <strong>de</strong>r strafrechtlichen Verfolgung o<strong>de</strong>r Patholo-<br />

gisierung spezifischer Verhaltensmuster äußert. Dies weist schon darauf hin, dass sexuelle<br />

Normen <strong>im</strong>mer relativ sind, ihr konkreter Inhalt hängt <strong>von</strong> gesellschaftlichen Bedingungen ab.<br />

Kultur konstituiert <strong>de</strong>mnach ein moralisch-ethisches Wertesystem, das Triebäußerungen,<br />

Phantasien <strong>und</strong> Verhaltensweisen gleichsam ‘formt’ (vgl. Gindorf/Haeberle 1986; Kentler<br />

1973).<br />

Deshalb soll <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n die Be<strong>de</strong>utung sexueller Normen aus ethnologischer <strong>und</strong> histori-<br />

scher Perspektive dargestellt <strong>und</strong> <strong>im</strong> Anschluss daran die zivilisationstheoretische Genese <strong>de</strong>s<br />

Perversionsbegriffs erläutert wer<strong>de</strong>n.<br />

49


Die ethnologische Perspektive<br />

Bereits die Untersuchungen <strong>de</strong>r frühen Ethnologie zeigen, dass die abendländische Zivilisati-<br />

on nicht an <strong>de</strong>r Absolutheit eigener Normen <strong>und</strong> Wertvorstellungen festhalten kann, ohne sie<br />

zu hinterfragen: Ein Blick auf frem<strong>de</strong> Kulturen macht <strong>de</strong>utlich, dass die Begriffe ‘Abwei-<br />

chung’ <strong>und</strong> ‘Normalität’ jeweils an<strong>de</strong>rs gewichtet wer<strong>de</strong>n. Dass das ‘Normale’ <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r<br />

Sexualität interkulturellen Varianzen unterliegt, beschreibt beispielsweise Mead (1965) in<br />

‘Kindheit <strong>und</strong> Jugend auf Samoa’ sehr anschaulich. In dieser Kultur sind Onanie, Homosexu-<br />

alität o<strong>de</strong>r auch ungewöhnliche Formen <strong>de</strong>r Heterosexualität we<strong>de</strong>r verboten noch wer<strong>de</strong>n sie<br />

geför<strong>de</strong>rt. Die Varianten heterosexuellen Verkehrs, die als ‘normal’ angesehen wer<strong>de</strong>n, sind<br />

zahlreich. Die Etikettierung ‘Abweichler’ in diesem Bereich ist eher selten. Demgegenüber<br />

konstatiert Malinowski (1979) für die Eingeborenen <strong>de</strong>r Trobriand-Inseln, dass ‘Verirrungen’<br />

<strong>de</strong>s Geschlechtstriebes (Sexualverhalten wie Sodomie, Homosexualität, Fetischismus <strong>und</strong><br />

Masturbation) verpönt sind. Inwieweit Sadismus <strong>und</strong> Masochismus in dieser pr<strong>im</strong>itiven Kul-<br />

tur vorkommen, kann Malinowski <strong>im</strong> Rahmen seiner Feldstudien nicht ein<strong>de</strong>utig beurteilen.<br />

Er stellt aber fest, dass Formen sexueller Praktiken wie Kratzen, Beißen <strong>und</strong> Spucken, die vor<br />

allem <strong>de</strong>r Mann über sich ergehen lassen muss, als Element <strong>de</strong>r Erotik <strong>im</strong> Sexualleben <strong>de</strong>r<br />

Trobrian<strong>de</strong>r bekannt sind. Am Beispiel einiger Papua-Stämme in Neu-Guinea zeigt Bleibtreu-<br />

Ehrenberg (1979), dass das Phänomen <strong>de</strong>r Pädophilie dort ein Mittel zur Herstellung sozialer<br />

Integration darstellt <strong>und</strong> homosexuelle Kontakte problemlos gehandhabt wer<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>n Si-<br />

wahl in Nordafrika war es bis zu Beginn dieses Jahrh<strong>und</strong>erts selbstverständlich, dass alle<br />

‘normalen’ Männer homosexuellen Geschlechtsverkehr hatten (vgl. Haeberle 1983).<br />

Mit solchen Ergebnissen haben Anthropologie <strong>und</strong> Ethnologie wesentlich zu <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

beigetragen, dass die abendländischen Sexualnormen keineswegs Universalien sind, wie z.B.<br />

<strong>von</strong> konservativen Moraltheoretikern <strong>de</strong>r katholischen Kirche noch heute angenommen wird.<br />

Sie sind vielmehr sowohl in <strong>de</strong>r Handlungs- als auch in <strong>de</strong>r Wertd<strong>im</strong>ension Produkt kulturel-<br />

ler Erfahrung <strong>und</strong> Sinnsetzung. Diese Auffassung zählt mittlerweile zu <strong>de</strong>n Basisannahmen<br />

soziologischer <strong>und</strong> ethnologischer Theorien, was aus <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Einschätzung <strong>von</strong> Ber-<br />

ger/Luckmann (1972, S. 52) <strong>de</strong>utlich wird: „Wenn <strong>de</strong>r Begriff ‘normal’ irgend etwas anthro-<br />

pologisch F<strong>und</strong>amentales o<strong>de</strong>r kulturell Universales bezeichnen soll, so kann we<strong>de</strong>r dieser<br />

Begriff selbst noch sein Gegenteil auf die zahllosen Formen menschlicher Sexualität rechtens<br />

angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. (...) Je<strong>de</strong> Kultur hat eine für sie bezeichnen<strong>de</strong> Auffassung <strong>von</strong> Sexualität,<br />

mit eigenen Spielregeln für sexuelles Verhalten <strong>und</strong> eigenen ‘anthropologischen’ Vorausset-<br />

zungen. Die Relativität dieser Auffassungen, ihre große Vielfalt <strong>und</strong> ihr Reichtum an Erfin-<br />

dungen verweisen darauf, daß sie eher Produkte sozio-kultureller Schöpfungen als einer bio-<br />

logisch fixierten Natur sind.“<br />

50


Gera<strong>de</strong> für das Sexualverhalten <strong>im</strong> Abendland lassen sich bei sozio-historischer Betrach-<br />

tungsweise Differenzen zwischen <strong>de</strong>n einzelnen historischen Epochen nachzeichnen. Diese<br />

Perspektive macht <strong>de</strong>utlich, dass die menschlichen Affekte <strong>und</strong> ‘Triebe’ pr<strong>im</strong>är ‘sozio-<br />

genetischen’ <strong>und</strong> nicht ‘bio-genetischen’ Ursprungs sind.<br />

Die Disziplinierung <strong>de</strong>r Sexualität<br />

Dass Sexualität <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Normen nicht schon <strong>im</strong>mer so waren, wie sie heu-<br />

te sind, zeigt nicht zuletzt ein Blick in die Antike. Im alten Griechenland beispielsweise wird<br />

Sexualität als eine elementare Lebenskraft angesehen <strong>und</strong> alle sexuellen Gefühle wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong><br />

daher als gr<strong>und</strong>sätzlich gut bewertet. Sexualität ist Bestandteil <strong>de</strong>r Alltagskultur <strong>und</strong> wird in<br />

zahlreichen Schriften thematisiert. Man spricht zwanglos <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> die griechische<br />

Vasenmalerei gibt hinreichend Zeugnis für das breite Spektrum sexueller Praktiken (vgl.<br />

Reinsberg 1989). Das gilt z.B. für die Pä<strong>de</strong>rastie. Sie be<strong>de</strong>utete für die Griechen die Liebe<br />

eines Mannes zu einem Knaben, wobei ethische <strong>und</strong> sinnliche Momente nebeneinan<strong>de</strong>r exis-<br />

tierten: Die Unterrichtung <strong>de</strong>s jüngeren durch <strong>de</strong>n älteren Mann spielte ebenso eine Rolle wie<br />

die körperliche Liebe zwischen bei<strong>de</strong>n. Homosexuelle Praktiken sind sowohl bei Männern als<br />

auch bei Frauen anzutreffen. Neben <strong>de</strong>r Homosexualität gibt es aber auch zahlreiche an<strong>de</strong>re<br />

sexuelle Verhaltensvarianten: Begriffe wie Nymphomanie, Pä<strong>de</strong>rastie, androgyn, Zoophilie<br />

etc. sind auf Betätigungen bezogen, die schon bei Homer erwähnt wer<strong>de</strong>n (vgl. Tannahill<br />

1982). Die zwanglose Handhabung <strong>de</strong>r Sexualität stellt die sittliche <strong>und</strong> moralische Kontrolle<br />

in die Zuständigkeit <strong>de</strong>s Individuums. Die Griechen haben in dieser Zeit keinen religiösen<br />

Glauben o<strong>de</strong>r Institutionen, die mit <strong>de</strong>r Autorität ausgestattet sind, sexuelle Verbote auszu-<br />

sprechen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Befolgung zu erzwingen. Lediglich <strong>de</strong>r Glaube an <strong>de</strong>n jungen Gott Eros,<br />

Sinnbild <strong>de</strong>r Liebe <strong>und</strong> <strong>de</strong>s sexuellen Verlangens, <strong>de</strong>r je nach Laune <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Menschen Besitz<br />

ergreifen konnte, ist <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung. Sich seinem Lenken zu wi<strong>de</strong>rsetzen, wäre frevelhaft <strong>und</strong><br />

sinnlos. Nahezu alles ist erlaubt, was <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r ‘enkrateia’ (maßvoller Genuss) realisiert<br />

wird, wie es Foucault (1989, S. 237) beschreibt: „Der Gegensatz zwischen einem Mann, <strong>de</strong>r<br />

sich zu mäßigen <strong>und</strong> beherrschen weiß, <strong>und</strong> einem, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>n Lüsten hingibt, war vom Ge-<br />

sichtspunkt <strong>de</strong>r Moral aus viel wichtiger als <strong>de</strong>r zwischen verschie<strong>de</strong>nen Kategorien <strong>von</strong> Lüs-<br />

ten, <strong>de</strong>nen man sich am liebsten widmen mochte.“<br />

Auch in <strong>de</strong>r römischen Gesellschaft ist ein breites Spektrum sexueller Verhaltensmuster er-<br />

laubt <strong>und</strong> toleriert. Im Unterschied zur hellenistischen Sexualität gewinnen in Rom brutale<br />

<strong>und</strong> sadistische Elemente an Be<strong>de</strong>utung (Hy<strong>de</strong> 1964). Die Rute (fasces) als Instrument <strong>de</strong>r<br />

häuslichen Züchtigung <strong>und</strong> als Zeichen <strong>de</strong>r Herrschaft spielt eine wichtige Rolle. Ihr Einsatz<br />

variiert dabei <strong>von</strong> mil<strong>de</strong>n Riemen (scutica), <strong>de</strong>m Rohrstab (ferula) <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gerte (virga) bis<br />

51


hin zu schweren Arten <strong>von</strong> Peitschen (flaggelum). Die Rute ist aber nicht nur Züchtigungs-<br />

<strong>und</strong> Machtwerkzeug, son<strong>de</strong>rn dient auch zur sexuellen St<strong>im</strong>ulanz. Krafft-Ebing (1886/1984)<br />

verweist auf die Dichtungen Juvenals, aus <strong>de</strong>nen hervorgeht, dass nicht nur Männer ‘auf diese<br />

Weise zu Lüsternheit erregt <strong>und</strong> entflammt wur<strong>de</strong>n’, son<strong>de</strong>rn auch römische Frauen sich um<br />

<strong>de</strong>s Vergnügens Willen peitschen ließen. Auch <strong>im</strong> ‘Satyricon’ <strong>de</strong>s Gaius Petronicus fin<strong>de</strong>n<br />

sich Hinweise auf flagellantische Sexualpraktiken. Flagellantismus war aber nicht die alleini-<br />

ge ‘Spielart’; <strong>im</strong> Gegenteil, „je<strong>de</strong> Art sexueller Perversion, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r oralen Kopulation (fella-<br />

tio) bis zur Sodomie (paedicatio) <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Defloration kleiner Mädchen“ (Hy<strong>de</strong> 1964, S. 71)<br />

ist in zahlreichen Zeugnissen dokumentiert.<br />

Unter <strong>de</strong>m Einfluss <strong>de</strong>s Christentum beginnen sich die moralischen <strong>und</strong> ethischen Maßstäbe<br />

in Europa gr<strong>und</strong>legend zu än<strong>de</strong>rn. Askese <strong>und</strong> Keuschheit wer<strong>de</strong>n in einem bisher nicht ge-<br />

kannten Ausmaß i<strong>de</strong>alisiert <strong>und</strong> für alle verbindlich erklärt. Foucault (1983, S. 31) zufolge ist<br />

nicht nur die unmittelbare körperliche Äußerung <strong>von</strong> dieser Entwicklung betroffen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch <strong>de</strong>r gehe<strong>im</strong>e Wunsch, das innere Begehren: „Es ist ein Imperativ errichtet wor<strong>de</strong>n, nicht<br />

nur die gesetzeswidrigen Handlungen zu beichten, son<strong>de</strong>rn aus seinem Begehren, aus seinem<br />

gesamten Begehren einen Diskurs zu machen.“<br />

Die Verinnerlichung vor allem kirchlicher Regeln <strong>und</strong> die damit beginnen<strong>de</strong> ‘Produktion <strong>de</strong>s<br />

disziplinierten Menschen’ (Felhofer 1987) war jedoch ein allmählicher Prozess, bei <strong>de</strong>m zu-<br />

nächst äußere Zwänge zur Durchsetzung <strong>de</strong>r neuen moralischen Ordnung <strong>von</strong> zentraler Be-<br />

<strong>de</strong>utung sind. Wo ihre normieren<strong>de</strong> Wirkung entfällt, kümmert man sich recht wenig um die<br />

moralischen Prämissen. Erst ganz allmählich - <strong>und</strong> dies nicht nur <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Sexualität -<br />

schlagen die ‘Fremdzwänge’ in ‘Selbstzwänge’ um (vgl. Elias 1976). Die zivilisatorischen<br />

Transformationen führen so auch zu tiefgreifen<strong>de</strong>n psycho-genetischen Verän<strong>de</strong>rungen. Af-<br />

fekte <strong>und</strong> körperliche Reaktionen wer<strong>de</strong>n mehr <strong>und</strong> mehr kontrolliert. Selbstbeherrschung <strong>und</strong><br />

‘gutes’ Benehmen (erkennbar z.B. am verstärkten Aufkommen <strong>von</strong> Ben<strong>im</strong>m-Fibeln) wer<strong>de</strong>n<br />

zu markanten Charakteristika <strong>de</strong>s ‘zivilisierten’ Menschen. Entschei<strong>de</strong>nd für diese Entwick-<br />

lung ist die Verfeinerung <strong>de</strong>r Selbstbeobachtungs- <strong>und</strong> Selbstthematisierungstechniken, als<br />

<strong>de</strong>ren materielle Basis Hahn (1982, S. 409) „das Aufblühen <strong>de</strong>r Städte, die größere lokale<br />

Mobilität, die Überregionalität <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls, die stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> berufliche Differenzierung,<br />

das Entstehen ausge<strong>de</strong>hnter Spielräume für persönliche Initiativen, die Entfaltung <strong>de</strong>s geisti-<br />

gen Lebens (Universitäten)“ beschreibt.<br />

Elias (1976) zeigt diese Entwicklung am Beispiel <strong>de</strong>r höfischen Gesellschaft, Weber (1972)<br />

für <strong>de</strong>n puritanischen Unternehmer <strong>und</strong> Hahn (1982) für die Katholiken insbeson<strong>de</strong>re seit <strong>de</strong>r<br />

Gegenreformation. Nach <strong>und</strong> nach etabliert sich auf diese Weise eine Selbstkontrollapparatur,<br />

52


die zunehmend als Automatismus funktioniert, <strong>und</strong> das aus ihr folgen<strong>de</strong> Verhalten wird als<br />

‘natürliches’ Verhalten gewertet - so, wie es <strong>im</strong>mer schon war.<br />

Von diesem Prozess ist auch die Sexualität nicht ausgeschlossen. So kann sich schließlich die<br />

bürgerliche Sexualordnung <strong>de</strong>s 17. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht nur in öffentlichen Räumen etablieren,<br />

son<strong>de</strong>rn dringt auch in das Int<strong>im</strong>- <strong>und</strong> Privatleben ein. Es errichtet sich - um mit Foucault<br />

(1977, S. 230) zu sprechen, „eine Mikrojustiz <strong>de</strong>r Zeit (Verspätungen, Abwesenheiten, Unter-<br />

brechungen), <strong>de</strong>s Körpers (falsche Körperhaltungen <strong>und</strong> Gesten, Unsauberkeit), <strong>de</strong>r Sexualität<br />

(Unanständigkeit, Schamlosigkeit).“<br />

Die damit verb<strong>und</strong>ene Verdrängung <strong>de</strong>r Sexualität aus <strong>de</strong>m öffentlichen Alltag führt zur<br />

Schaffung <strong>von</strong> Ausweichräumen, in <strong>de</strong>nen Tabuverletzungen mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r toleriert wer-<br />

<strong>de</strong>n, wie Eckert u.a. (1990, S. 101) für die Pornographie festhalten: „Die Ausgrenzung <strong>de</strong>r<br />

Sexualität aus <strong>de</strong>m Alltag evoziert sozusagen die Schaffung medialer Bildwelten, die zur<br />

Konstitution <strong>von</strong> Ausweichräumen o<strong>de</strong>r Nischen beitragen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>nen man die strengen<br />

Alltagsnormen umgehen kann.“ Dies zeigt sich gera<strong>de</strong> am Beispiel <strong>de</strong>s puritanischen Eng-<br />

lands, das gekennzeichnet ist durch <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch zwischen öffentlicher Sittenstrenge <strong>und</strong><br />

ihrer gleichzeitigen Überschreitung <strong>im</strong> Verborgenen (vgl. Kleinspehn 1989). In diesem Zu-<br />

sammenhang entstand hier eine wahre Flut pornographischer Schriften.<br />

Im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert haben sich die zivilisatorischen Standards verän<strong>de</strong>rt; sie wer<strong>de</strong>n sichtbar<br />

gelockert, aber keineswegs aufgehoben. Mittlerweile ist die Psycho-Genese so weit fortge-<br />

schritten, dass in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Bereichen externe Kontrollmechanismen überflüssig<br />

gewor<strong>de</strong>n sind. Sie wer<strong>de</strong>n durch situatives Verhalten ersetzt (vgl. Kap. III. 1.8). Dies gilt<br />

auch für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Sexualität <strong>und</strong> Körperlichkeit.<br />

Zivilisationstheoretische Aspekte <strong>de</strong>r Perversionen<br />

Von <strong>de</strong>r Transformation <strong>de</strong>r Sexualität sind auch die Formen sexuellen Verhaltens betroffen,<br />

die heute vor allem in ‘zivilisierten’ Gesellschaften <strong>im</strong> ‘Kanon <strong>de</strong>r Perversionen’ zu fin<strong>de</strong>n<br />

sind. In <strong>de</strong>r Antike durchaus zum ‘normalen’ Sexualverhalten gehörend - „as an ordinary part<br />

of the range of human eroticism“ (Boswell 1980, S. 333) - wer<strong>de</strong>n sie seit Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit<br />

gera<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>m Einfluss <strong>de</strong>r Kirche zunehmend verpönt. Das Erlaubte <strong>und</strong> Verbotene wird<br />

nicht mehr - wie <strong>im</strong> hellinistischen Griechenland - in großen Teilen vom Individuum selbst<br />

geregelt, son<strong>de</strong>rn durch Sittenvorschriften <strong>und</strong> Zwänge, die in engem Zusammenhang mit<br />

kanonischem Recht, christlicher Pastoraltheologie <strong>und</strong> Zivilrecht stehen. Walter (1985) weist<br />

darauf hin, dass vor allem seit <strong>de</strong>m Aufstieg <strong>de</strong>s Christentums zur Staatsreligion das ganze<br />

53


Mittelalter hindurch bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts religiöser Fanatismus <strong>und</strong> inquisitori-<br />

sche Verfolgung dieses Feld beherrscht. Im Mittelalter, als die christliche Kirche <strong>de</strong>n größten<br />

Einfluss genießt, war <strong>de</strong>r Unterschied zwischen normalem <strong>und</strong> abweichen<strong>de</strong>m Sexualverhal-<br />

ten <strong>de</strong>r zwischen Rechtschaffenheit <strong>und</strong> Sün<strong>de</strong>. Seit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne reduziert sich<br />

<strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r Kirche zugunsten weltlicher Mächte. Der Unterschied zwischen normalem<br />

<strong>und</strong> abweichen<strong>de</strong>m Sexualverhalten ist nun vergleichbar <strong>de</strong>m zwischen Gesetzestreue <strong>und</strong><br />

Verbrechen (vgl. Haeberle 1983). Die moralischen Richtlinien <strong>de</strong>r Kirche <strong>und</strong> die gesetzli-<br />

chen Best<strong>im</strong>mungen <strong>de</strong>r bürgerlichen Gesellschaft wer<strong>de</strong>n aber vom ‘normalen’ Individuum<br />

nicht als ‘Oktroyierung einer sexuellen Zwangsdiktatur’ empf<strong>und</strong>en, son<strong>de</strong>rn gehören mit<br />

zum selbstverständlichen <strong>und</strong> ‘ges<strong>und</strong>en’ Sexualempfin<strong>de</strong>n. Wer ‘es mit Tieren treibt’, wer<br />

die sexuelle Erfüllung durch Schmerz erlangt o<strong>de</strong>r wer sein eigenes Geschlecht liebt, wird<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>r ‘normalen Mehrheit’ als krank, <strong>de</strong>generiert o<strong>de</strong>r gar als Verbrecher etikettiert.<br />

Gera<strong>de</strong> die aufkommen<strong>de</strong> Sexualwissenschaft <strong>im</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert etabliert die Medikalisie-<br />

rung <strong>de</strong>r Sexualität <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>und</strong> die Pathologisierung ihrer Spielarten <strong>im</strong> Beson<strong>de</strong>ren.<br />

Die Justiz tritt eine Vielzahl <strong>von</strong> Fällen ‘abweichen<strong>de</strong>n’ Verhaltens an die Medizin ab. Theo-<br />

logen <strong>und</strong> Juristen wer<strong>de</strong>n durch Psychiater als die neuen Experten für abweichen<strong>de</strong>s Sexual-<br />

verhalten abgelöst. Perverse wer<strong>de</strong>n zu Kranken, die man nicht für ihr Verhalten verantwort-<br />

lich machen kann, <strong>und</strong> die einzig vernünftige Reaktion auf ihr Verhalten ist nicht die morali-<br />

sche Verurteilung o<strong>de</strong>r die gesetzliche Bestrafung, son<strong>de</strong>rn die psychiatrische Therapie. Unter<br />

<strong>de</strong>m wachsen<strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r Psychiatrie wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer mehr Menschen als ‘Psychopathen’<br />

klassifiziert. Mit <strong>de</strong>r Diskursivierung <strong>de</strong>r Sexualität <strong>im</strong> Allgemeinen ‘entstehen’ gleichsam<br />

neue Formen <strong>de</strong>r Perversion. Hierzu schreibt Foucault (1983, S. 50): „Durch eine Unzahl <strong>von</strong><br />

Diskursen hat man die juristischen Verurteilungen <strong>de</strong>r kleinen Perversionen vermehrt, hat<br />

man die sexuelle Abweichung mit <strong>de</strong>r Geisteskrankheit verkettet, hat man eine Norm <strong>de</strong>r se-<br />

xuellen Entwicklung <strong>de</strong>r Kindheit bis ins Alter aufgestellt <strong>und</strong> sorgfältig alle möglichen Ab-<br />

weichungen charakterisiert, hat man pädagogische Kontrollen <strong>und</strong> medizinische Heilverfah-<br />

ren organisiert, <strong>und</strong> um <strong>de</strong>r geringsten Phantasien willen haben die Moralisten, aber auch vor<br />

allem die Mediziner ein empathisches Greuelvokabular aufgewärmt.“<br />

Die Sexualwissenschaftler dieser Zeit (Psychiater) entwickeln <strong>im</strong>mer spezifischere Verzeich-<br />

nisse sexueller Abnormitäten <strong>und</strong> Perversionen. Auffälligkeiten wer<strong>de</strong>n erst einmal katalogi-<br />

siert <strong>und</strong> mit Namen versehen (z.B. Fetischismus, Koprolagnie, Sadismus, Masochismus):<br />

„Der erste Akt <strong>de</strong>r Sexualwissenschaft war also, Ordnung zu schaffen, vergleichbar <strong>de</strong>r Ord-<br />

nung, die die systematische Botanik <strong>im</strong> Pflanzenwirrwar schuf, allerdings folgenreicher“<br />

(Schmidt 1988, S. 12). Die Pathologisierung durch die Wissenschaften hat die ungewöhnli-<br />

che, perverse Sexualität zwar aus <strong>de</strong>r moralischen Betrachtung <strong>und</strong> strafrechtlichen Verfol-<br />

gung herausgelöst, jedoch auch gleichzeitig eine neue Zwangs- <strong>und</strong> Diskr<strong>im</strong>inierungsappara-<br />

54


tur eingerichtet. Denn mit <strong>de</strong>m Katalog sexueller Krankheiten steht nun ein Instrumentarium<br />

bereit, mit <strong>de</strong>m alle Menschen, die <strong>de</strong>n sexuellen Konventionen nicht entsprechen, klassifi-<br />

ziert <strong>und</strong> zu potentiellen Patienten psychiatrischer Behandlung gemacht wer<strong>de</strong>n können.<br />

Genau so vielfältig wie die Perversionen ist auch das therapeutische Arsenal. Im 19. Jahrhun-<br />

<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n beispielsweise Geschlechtsorgane verätzt o<strong>de</strong>r verbrüht o<strong>de</strong>r sonstige Verstüm-<br />

melungen <strong>de</strong>r Geschlechtsorgane zum Zwecke <strong>de</strong>r Heilung sexueller Perversionen vorge-<br />

nommen. Denn es steht einzig die Norm <strong>de</strong>s ‘richtigen Geschlechtsverkehrs’ mit <strong>de</strong>r ‘richti-<br />

gen Person’ <strong>im</strong> Mittelpunkt. So wird das, was nicht <strong>de</strong>r familiären Fortpflanzung dient, regel-<br />

recht <strong>de</strong>viant; <strong>von</strong> <strong>de</strong>r ‘Sexual-Philosophie’ <strong>de</strong>s antiken Griechenlands ist nichts mehr übrig<br />

geblieben. Augenscheinlichstes Beispiel für <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r sexuellen Normierung sind die<br />

zahlreichen ‘Aufklärungs- <strong>und</strong> Verhütungskampagnen’, die sich gegen die Masturbation rich-<br />

teten (vgl. Rutschky 1977; Glantschnig 1987).<br />

Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass sich das Verhältnis <strong>de</strong>s Menschen zu seinem Körper,<br />

zu seiner Sexualität <strong>im</strong> Laufe <strong>de</strong>r Zeit geän<strong>de</strong>rt hat. Die verschie<strong>de</strong>nen Epochen sind geprägt<br />

durch unterschiedliche Normen, die das Sexualverhalten <strong>de</strong>r Individuen best<strong>im</strong>men. Darüber<br />

hinaus verweisen die Ergebnisse <strong>de</strong>r Anthropologie <strong>und</strong> Ethnologie auf normative Unter-<br />

schie<strong>de</strong> zwischen verschie<strong>de</strong>nen Kulturen. Vor allem Verhaltensweisen, die heute in zivili-<br />

sierten Gesellschaften als ‘Perversionen’ bezeichnet wer<strong>de</strong>n, unterliegen intra- <strong>und</strong> interkultu-<br />

rellen Varianzen. In <strong>de</strong>r Antike gewünscht <strong>und</strong> gedul<strong>de</strong>t, zeugten sie <strong>im</strong> Mittelalter <strong>von</strong> Sün<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> galten zu Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit als Verbrechen. Und mit <strong>de</strong>r Entstehung <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Se-<br />

xualwissenschaft <strong>im</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert (innerhalb <strong>de</strong>r Psychiatrie als Sexualpathologie) wer<strong>de</strong>n<br />

sie als Krankheit bewertet.<br />

Die Entwicklung <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Sexualwissenschaft sowie die Theorien ihrer wichtigsten Ver-<br />

treter sollen <strong>im</strong> folgen<strong>de</strong>n Kapitel <strong>im</strong> Hinblick auf das Phänomen <strong>de</strong>s Sadomasochismus dar-<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n. Dabei soll auch - unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>r Frau - gezeigt wer-<br />

<strong>de</strong>n, wie sich <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Sadomasochismus in <strong>de</strong>r sexualwissenschaftlichen, psychoana-<br />

lytischen <strong>und</strong> soziologischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung geän<strong>de</strong>rt hat.<br />

1.1.3 Sadomasochismus <strong>im</strong> Spiegel bisheriger Forschung<br />

1.1.3.1 Etymologie <strong>de</strong>s Begriffs<br />

Der Begriff ‘Sadomasochismus’ wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Sexualforscher Richard v. Krafft-Ebing<br />

(1840-1902) geprägt <strong>und</strong> setzt sich aus <strong>de</strong>n Bezeichnungen ‘Sadismus’ <strong>und</strong> ‘Masochismus’<br />

55


zusammen. Krafft-Ebing zufolge stellen Sadismus <strong>und</strong> Masochismus zwei Formen sexueller<br />

Perversionen dar, die insbeson<strong>de</strong>re durch violente Elemente gekennzeichnet sind.<br />

Den Begriff <strong>de</strong>s Sadismus verwen<strong>de</strong>t Krafft-Ebing in Anlehnung an das Werk <strong>de</strong>s Marquis <strong>de</strong><br />

Sa<strong>de</strong> (1740-1814), in <strong>de</strong>ssen Romanen ‘Wollust’ <strong>und</strong> ‘Grausamkeit’ zentrale Topoi bil<strong>de</strong>n<br />

(vgl. Kap. III. 1.4.1). Als Sadismus <strong>de</strong>finiert Krafft-Ebing (1886/1984, S. 69) „die Empfin-<br />

dung <strong>von</strong> sexuellen Lustgefühlen bis zum Orgasmus be<strong>im</strong> Sehen <strong>und</strong> Erfahren <strong>von</strong> Züchti-<br />

gungen u.a. Grausamkeiten, verübt an einem Mitmenschen o<strong>de</strong>r selbst an einem Tier, sowie<br />

<strong>de</strong>r eigene Drang, um <strong>de</strong>r Hervorrufung solcher Gefühle willen an<strong>de</strong>ren lebendigen Wesen<br />

Demütigung, Leid, ja selbst Schmerz <strong>und</strong> W<strong>und</strong>en wi<strong>de</strong>rfahren zu lassen (...).“ Auch <strong>de</strong>n<br />

Begriff <strong>de</strong>s Masochismus leitet Krafft-Ebing (ebd., S. 104) aus literarischen Vorlagen ab -<br />

nämlich <strong>de</strong>m Werk <strong>von</strong> Leopold v. Sacher-Masoch 33 - <strong>und</strong> verwen<strong>de</strong>t ihn wie folgt: „Unter<br />

Masochismus verstehe ich eine eigentümliche Perversion <strong>de</strong>r psychischen Vita sexualis, wel-<br />

che darin besteht, dass das <strong>von</strong> <strong>de</strong>rselben ergriffene Individuum in seinem geschlechtlichen<br />

Fühlen <strong>und</strong> Denken <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Vorstellung beherrscht wird, <strong>de</strong>m Willen einer Person <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>-<br />

ren Geschlechtes vollkommen <strong>und</strong> unbedingt unterworfen zu sein, <strong>von</strong> dieser Person herrisch<br />

behan<strong>de</strong>lt, ge<strong>de</strong>mütigt <strong>und</strong> selbst mißhan<strong>de</strong>lt zu wer<strong>de</strong>n.“ Masochismus ist also das Pendant<br />

zum Sadismus. Während <strong>de</strong>r Sadist darauf ausgerichtet ist, Schmerzen zuzufügen, kommt es<br />

<strong>de</strong>m Masochisten darauf an, sich <strong>de</strong>r Gewalt unterworfen zu fühlen.<br />

Ganz zentral bei <strong>de</strong>r frühen Sexualforschung - wie auch später bei <strong>de</strong>r Psychoanalyse - ist die<br />

Annahme, dass es zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern be<strong>de</strong>utsame Unterschie<strong>de</strong> <strong>im</strong> sexuellen Habi-<br />

tus gibt. Der Mann - so eine Schlüsselthese - nehme naturgemäß eine aktive, die Frau hinge-<br />

gen eine passive Rolle ein. Dies zeigt sich <strong>im</strong> ‘normalen’ sexuellen Verhalten, insbeson<strong>de</strong>re<br />

aber be<strong>im</strong> Phänomen <strong>de</strong>s Sadomasochismus. Diese geschlechtsspezifischen Differenzen wer-<br />

<strong>de</strong>n hier zum zentralen Erklärungsprinzip für die Richtung (sadistisch/masochistisch) <strong>de</strong>r sa-<br />

domasochistischen Perversion (vgl. Kap. III.1.9.1)<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n soll nun gezeigt wer<strong>de</strong>n, wie sich in <strong>de</strong>n sexualwissenschaftlichen Diskursen<br />

die Vorstellungen zum Phänomen <strong>de</strong>s Sadomasochismus geän<strong>de</strong>rt haben. Die Erklärungsver-<br />

suche <strong>de</strong>r frühen Sexualforscher <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Psychoanalyse wer<strong>de</strong>n neueren, soziologischen An-<br />

sätzen gegenübergestellt.<br />

33 Der Roman ‘Venus <strong>im</strong> Pelz’ thematisiert die Geschichte einer Liebesbeziehung zwischen einer dominanten<br />

Frau <strong>und</strong> einem masochistischen Mann, <strong>de</strong>r <strong>im</strong>mer mehr in <strong>de</strong>n Bann seiner Herrin gerät. Zur Schil<strong>de</strong>rung<br />

dieses Arrangements bedient sich Sacher-Masoch einer sehr zurückhalten<strong>de</strong>n <strong>und</strong> metaphorisch beschreiben<strong>de</strong>n<br />

Sprache; Stilmittel also, die weitab vom Metier <strong>de</strong>r heutigen Mainstream-Pornographie liegen. Die Be<strong>de</strong>utung<br />

dieses Romans ist mehr literarischer Natur; längst schon hat er seine pornographische Verruchtheit<br />

abgestreift <strong>und</strong> zählt zu <strong>de</strong>n literarischen Klassikern. Gleichwohl gilt er als Kultroman in <strong>de</strong>r SM-Szene.<br />

56


1.1.3.2 Die frühe Sexualwissenschaft<br />

Der Frage, unter welchen Umstän<strong>de</strong>n die sogenannten Perversionen entstehen, ist in <strong>de</strong>r wis-<br />

senschaftlichen Diskussion bisher beson<strong>de</strong>re Beachtung geschenkt wor<strong>de</strong>n. Dies gilt vor al-<br />

lem für die frühe Sexualwissenschaft, 34 mit <strong>de</strong>r die ‚Psychiatrisierung <strong>de</strong>r perversen Lust’<br />

(vgl. Foucault 1983) ihren Anfang nahm. Als pervers galten Abweichungen „in <strong>de</strong>r Richtung<br />

<strong>de</strong>s Geschlechtstriebes (in obiecto) <strong>und</strong> in seiner regelrechten Ausübung“ (Imielinski 1967, S.<br />

6). Damit sind alle sexuellen Handlungen gemeint, die nicht <strong>de</strong>m Geschlechtsakt zwischen<br />

Mann <strong>und</strong> Frau sowie <strong>de</strong>r Fortpflanzung dienen: Homosexualität, Fetischismus, Sadomaso-<br />

chismus, Sodomie, Nekrophilie, Exhibitionismus, Voyeurismus <strong>und</strong> Pädophilie sind hier e-<br />

benso zu nennen wie die Masturbation. Auch wenn die Auffassungen <strong>und</strong> Theorien über die<br />

Ursachen <strong>de</strong>r ‚psychopathia sexualis’ sehr unterschiedlich waren, lassen sich „die vielen Ver-<br />

fasser in zwei große gegensätzliche Lager einteilen, d.h. einerseits die Anhänger <strong>de</strong>r Psycho-<br />

genie <strong>von</strong> Geschlechtsperversionen, an<strong>de</strong>rerseits in diejenigen, welche in <strong>de</strong>n Geschlechtsper-<br />

versionen ein Ergebnis erblich-konstitutioneller <strong>und</strong> angeborener Einflüsse erblicken“ (ebd. S.<br />

13).<br />

Ein Beispiel für letztere Auffassung ist die Arbeit <strong>von</strong> Krafft-Ebing (1886/1984). Seiner Ent-<br />

artungstheorie zufolge sind Perversionen hauptsächlich durch eine fortschreiten<strong>de</strong> Ver-<br />

schlechterung <strong>de</strong>s Erbmaterials bedingt, was zu Erkrankungen <strong>von</strong> Gehirn <strong>und</strong> Zentralnerven-<br />

system führt. Diese verursachen ihrerseits geschlechtliche Verirrungen. Hirschfeld (1920)<br />

vertritt eine ähnliche Position, in<strong>de</strong>m er Perversionen als Störungen <strong>de</strong>s Sexualchemismus<br />

versteht.<br />

Freud misst hingegen genetischen <strong>und</strong> endokrinologischen Störungen bei <strong>de</strong>r Genese <strong>von</strong><br />

Perversionen keine Schlüsselbe<strong>de</strong>utung zu. Für ihn gehören Sexualabweichungen zur allge-<br />

meinen Anlage <strong>de</strong>s Geschlechtstriebes <strong>und</strong> entstammen <strong>de</strong>r infantilen, prägenitalen Sexualität<br />

- <strong>de</strong>r polymorphen Perversität - <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s. Sie zerfällt in verschie<strong>de</strong>ne Partialtriebe (z.B. <strong>de</strong>r<br />

anale Partialtrieb), die zunächst unabhängig <strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r nach Befriedigung streben, <strong>im</strong> Laufe<br />

<strong>de</strong>r Entwicklung aber <strong>im</strong>mer mehr in einer umfassen<strong>de</strong>n sexuellen Organisation integriert<br />

wer<strong>de</strong>n. Im Gegensatz zur normalen Sexualität kommt es bei <strong>de</strong>r Perversion zu einer „Trieb-<br />

entmischung, [bei <strong>de</strong>r] isolierte Partialtriebe ausschließlich <strong>und</strong> fast zwanghaft zur Erlangung<br />

<strong>de</strong>r Befriedigung dienen sollen“ (Kurth 1976, S. 513). Aus dieser Perspektive erscheinen die<br />

34 Aus <strong>de</strong>r Vielzahl <strong>de</strong>r damaligen Arbeiten seien beispielhaft folgen<strong>de</strong> genannt: Bloch (1909); Eulenburg<br />

(1902); Freud (1905/1972); Hirschfeld (1917); Kaan (1844); Kraepelin (1899); <strong>von</strong> Krafft-Ebing<br />

(1886/1984); Kronfeld (1923); <strong>von</strong> Schrenck-Notzing (1902); Stekel (1925). Steinmetz (1990) liefert dazu<br />

eine ausführliche Darstellung.<br />

57


Perversionen <strong>von</strong> Erwachsenen als die Persistenz o<strong>de</strong>r das Wie<strong>de</strong>rauftreten eines partiellen<br />

Elementes <strong>de</strong>r kindlichen Sexualität. Vereinfacht ausgedrückt könnte man auch formulieren:<br />

Man wird nicht pervers, son<strong>de</strong>rn man bleibt es. Auch Sadismus <strong>und</strong> Masochismus wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>von</strong> Freud als Perversionen begriffen. Ohne <strong>im</strong> Weiteren auf das komplexe Theoriegebäu<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Psychoanalyse <strong>de</strong>tailliert einzugehen, 35 sei die gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>e Freuds zur Entstehung<br />

sexueller Perversionen mit Becker/Schorsch (1980, S. 159) nochmals kurz zusammengefasst:<br />

„In dieser frühen Phase [<strong>de</strong>r Freudschen Theorieentwicklung] wur<strong>de</strong>n die perversen Triebäu-<br />

ßerungen zu <strong>de</strong>n Formen <strong>de</strong>r kindlichen Sexualentwicklung in Beziehung gesetzt <strong>und</strong> die we-<br />

sentlichen Gr<strong>und</strong>elemente <strong>de</strong>r psychoanalytischen Lehre gelegt, die auch in <strong>de</strong>r späteren Wei-<br />

terentwicklung relativ unverän<strong>de</strong>rt wie<strong>de</strong>rkehren: vor allem die Lehre <strong>von</strong> <strong>de</strong>n kindlichen<br />

Partialtrieben, die in <strong>de</strong>n sexuellen Perversionen wie<strong>de</strong>r aufleben, ferner die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Kastrationskomplexes, <strong>de</strong>r die Dynamik <strong>de</strong>r Regression auf die Partialtriebe in Gang setzt.<br />

Der Hauptakzent liegt in dieser Phase auf <strong>de</strong>n triebdynamischen Mechanismen <strong>de</strong>r Entstehung<br />

sexueller Perversionen.“ Damit wird <strong>de</strong>utlich, dass sich Freud <strong>und</strong> später seine Anhänger weit<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>n Ansätzen Krafft-Ebings o<strong>de</strong>r Hirschfelds entfernen.<br />

Trotz aller Gegensätzlichkeit ist <strong>de</strong>n Erklärungsmustern <strong>de</strong>r frühen Sexualforschung wie auch<br />

<strong>de</strong>r Psychoanalyse gemein, dass sie eine ‚normale’ Sexualität <strong>de</strong>finieren <strong>und</strong> für die Perversi-<br />

onen bzw. ihre Persistenz best<strong>im</strong>mte Ursachenkomplexe ausmachen. Gelten die Ätiologien<br />

<strong>de</strong>r frühen Sexualwissenschaft schon lange als obsolet <strong>und</strong> überholt (vgl. Bräutigam 1962), so<br />

wird sadomasochistisches Sexualverhalten auch heute noch mit <strong>de</strong>r Psychoanalyse als Folge<br />

<strong>von</strong> Störungen innerhalb frühkindlicher Entwicklungsphasen erklärt. 36<br />

1.1.3.3 Neuere Untersuchungen<br />

Die umfangreichen empirischen Studien Kinseys (1948; 1953) haben <strong>de</strong>utlich gemacht, dass<br />

bei <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>s Sexualverhaltens <strong>de</strong>r Menschen nicht nur biologische <strong>und</strong> psychi-<br />

sche Faktoren, son<strong>de</strong>rn auch die soziale Rahmung <strong>de</strong>s individuellen Sexualverhaltens eine<br />

Rolle spielt. So lässt sich als einer <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong>n Paradigmenwechsel in <strong>de</strong>r Erforschung<br />

<strong>de</strong>r menschlichen Sexualität die Einbeziehung sozialer Variablen sehen, Gindorf/Haeberle<br />

(1986) sprechen in diesem Zusammenhang sogar <strong>von</strong> <strong>de</strong>r ‘Sexualität als sozialem Tatbe-<br />

stand’. Vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r sozialpsychologischen <strong>und</strong> soziologischen Wen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r<br />

35 Hier sei auf die bereits zitierte Arbeit <strong>von</strong> Walter (1985) verwiesen.<br />

36 In diesem Zusammenhang seien folgen<strong>de</strong> Arbeiten genannt: Blum (1978); Socari<strong>de</strong>s (1974); Stolorow<br />

(1975).<br />

58


Sexualforschung nun aber anzunehmen, medizinische, psychologische <strong>und</strong> psychoanalytische<br />

Ansätze seien in <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong> gedrängt wor<strong>de</strong>n, wäre sicherlich falsch. Im Folgen<strong>de</strong>n sol-<br />

len <strong>de</strong>shalb die wichtigsten Studien, die in jüngerer Zeit zum Themenbereich ‘Perversionen’<br />

(<strong>und</strong> hier insbeson<strong>de</strong>re sadomasochistische Orientierungen) durchgeführt wur<strong>de</strong>n, kurz rezen-<br />

siert wer<strong>de</strong>n.<br />

Medizinisch-psychiatrisch <strong>und</strong> psychoanalytische Untersuchungen<br />

Medizinisch-psychiatrische Untersuchungen beschäftigen sich hauptsächlich mit <strong>de</strong>r indivi-<br />

duellen Genese sowie <strong>de</strong>n pathologischen, klinischen <strong>und</strong> therapeutischen Aspekten <strong>de</strong>s<br />

‘Triebschicksals’. Dabei ist auffällig, dass - trotz sehr unterschiedlicher Fragestellungen - vor<br />

allem <strong>im</strong>mer psychoanalystische Erklärungsansätze herangezogen wer<strong>de</strong>n. Schorch (1985, S.<br />

259) beispielsweise interpretiert sexuelle Perversionen unter klinischem <strong>und</strong> neurosenpschy-<br />

chologischem Aspekt als psychische Abwehrformen, die eine Stabilisierungsfunktion für das<br />

psychische Gleichgewicht übernehmen <strong>und</strong> daher unter einem ‘reparativen’ Aspekt zu verste-<br />

hen sind: „Im psychodynamischen Ausdrucksgehalt (<strong>de</strong>r sadomasochistischen Perversion)<br />

geht es um Wünsche nach Selbstaufgabe, Verschmelzung einerseits, um die Abwehr damit<br />

verb<strong>und</strong>ener Ängste vor Selbstverlust <strong>und</strong> Selbstauflösung an<strong>de</strong>rerseits. In <strong>de</strong>r sadomasochis-<br />

tischen Aktion gelingt punktuell <strong>de</strong>r Kompromiß (...).“ Auch Walter (1985) beschäftigt sich<br />

<strong>im</strong> Rahmen seiner Arbeit mit Genese, Psychodynamik <strong>und</strong> <strong>de</strong>r funktionalen Be<strong>de</strong>utung sexu-<br />

eller Perversionen aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Psychoanalyse. Er sieht - unter Berücksichtigung neuerer<br />

Forschungen auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Entwicklungspsychologie, <strong>de</strong>r Narzissmus-Theorie sowie<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>taillierten Untersuchung <strong>de</strong>r Objektbeziehungen - sexuelle Perversionen mit Problemen<br />

<strong>und</strong> Störungen in Entwicklungsprozessen verb<strong>und</strong>en. Blum (1978) hingegen versteht sadoma-<br />

sochistische Perversionen nicht nur aufgr<strong>und</strong> frühkindlicher Erfahrungen, son<strong>de</strong>rn als Wir-<br />

kung schrecklicher Kriegserfahrungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ‘survivor syndroms’. Karol (1981) <strong>und</strong> Wilson<br />

(1981) gehen unter psychoanalytischer Perspektive <strong>de</strong>m Zusammhang zwischen sadomaso-<br />

chistischen Phantasien <strong>und</strong> Asthmakrankheit nach.<br />

Es ließe sich noch eine Vielzahl weiterer psychoanalytisch orientierter Arbeiten nennen, die<br />

sich mit <strong>de</strong>n Ursachen <strong>und</strong> therapeutischen Möglichkeiten <strong>de</strong>r Perversionen respektive <strong>de</strong>s<br />

Sadomasochismus beschäftigen. 37 Es geht aber weniger darum, die einzelnen Abhandlungen<br />

vorzustellen, als vielmehr zu zeigen, dass die Forschung auf diesem Gebiet durch heterogene<br />

37 Vgl. dazu z.B. Arlow (1967); Avery (1977); Schorsch/Becker (1977); Socari<strong>de</strong>s (1974); Sigusch (1980);<br />

Stolorow (1975)<br />

59


Fragestellungen <strong>und</strong> divergieren<strong>de</strong> methodische Vorgehensweisen gekennzeichnet ist. Sie<br />

lassen eine Verallgemeinerbarkeit <strong>de</strong>r Aussagen über <strong>de</strong>n gewählten Forschungsrahmen hin-<br />

aus kaum zu. So beschäftigen sich etwa laborexper<strong>im</strong>entell ausgerichtete Untersuchungen mit<br />

<strong>de</strong>n Auswirkungen <strong>von</strong> medialen Inszenierungen mit sadomasochistischen Inhalten auf das<br />

Verhalten <strong>de</strong>r Versuchspersonen: Zillman/Bryant (1981) lassen <strong>im</strong> Rahmen eines Versuchs<br />

männliche Stu<strong>de</strong>nten <strong>von</strong> gleichgeschlechtlichen Personen provozieren <strong>und</strong> setzen sie an-<br />

schließend Erotika verschie<strong>de</strong>ner Art aus. Sie kommen dabei zu <strong>de</strong>m Ergebnis, dass bei <strong>de</strong>r<br />

Darstellung sadomasochistischer Erotika die Neigung, ‘Vergeltung zu üben’, zun<strong>im</strong>mt. Zu<br />

ähnlichen Ergebnissen kommen Feshbach/Malamuth (1979). In ihrer Untersuchung gehen sie<br />

<strong>de</strong>r Frage nach, ob <strong>und</strong> inwiefern sich Sadomasochismus in erotisch-pornographischen Dar-<br />

stellungen auf die Reaktionen <strong>und</strong> Einstellungen zur Vergewaltigung <strong>und</strong> ihrer Medien-<br />

Inszenierungen auswirkt. Aufgr<strong>und</strong> ihrer Laborversuche kommen sie zu <strong>de</strong>m Schluss, dass<br />

durch die Verbindung <strong>von</strong> Sex <strong>und</strong> Gewalt in sadomasochistischen Szenen be<strong>im</strong> Betrachter<br />

Hemmungen, mit <strong>de</strong>nen normalerweise auf Schmerzsignale reagiert wird, gelöst <strong>und</strong> - vor<br />

allem bei Männern - Vergewaltigungswünsche geweckt wer<strong>de</strong>n.<br />

Neben <strong>de</strong>n oben genannten medizinischen <strong>und</strong> psychoanalytischen Fragestellungen wird nicht<br />

zuletzt auch versucht, Sadomasochismus <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Immunschwächekrank-<br />

heit AIDS zu diskutieren. So beschäftigt sich Selg (1988) mit AIDS <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Schwierigkeiten,<br />

das Sexualverhalten zu än<strong>de</strong>rn. Im Hinblick auf diese Krankheit wer<strong>de</strong>n Ratschläge gegeben,<br />

verletzungsträchtige sadomasochistische Praktiken zu unterlassen. 38<br />

Die synoptische Durchsicht <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Studien <strong>und</strong> Exper<strong>im</strong>ente zu <strong>de</strong>n (neurosen-<br />

)psychologischen Aspekten <strong>von</strong> sadomasochistischem Sexualverhalten macht <strong>de</strong>utlich - <strong>und</strong><br />

diese Aussage lässt sich für dieses Forschungsfeld generalisieren -, dass Fragestellungen <strong>und</strong><br />

methodische Vorgehensweisen <strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r abweichen <strong>und</strong> man <strong>de</strong>n Ergebnissen geringe<br />

externe Validität zusprechen kann. Hinzu kommt, dass die Perspektive <strong>de</strong>s Subjekts (Gefühle,<br />

Erfahrungen, Beziehungs- <strong>und</strong> Deutungsmuster, Auswirkungen auf an<strong>de</strong>re Lebensumstän<strong>de</strong><br />

etc.) <strong>und</strong> die Konsequenzen, die mit einer solchen Spezialisierung auf best<strong>im</strong>mte Sexualprak-<br />

tiken verb<strong>und</strong>en sind, nicht berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. Dies erscheint gera<strong>de</strong> aus ethnologischer<br />

<strong>und</strong> soziologischer Perspektive ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Mangel vor allem laborexper<strong>im</strong>enteller<br />

Designs zu sein. Im Folgen<strong>de</strong>n ist <strong>de</strong>shalb untersucht, inwieweit die For<strong>de</strong>rung nach Berück-<br />

sichtigung <strong>de</strong>r ‘Lebensweltperspektive’ in soziologischen <strong>und</strong> sozialpsychologischen Studien<br />

eingelöst wur<strong>de</strong>.<br />

38 Eckert u.a. (1993) beschäftigen sich ausführlich mit <strong>de</strong>m Thema AIDS <strong>und</strong> SM unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Betroffenen resp. <strong>de</strong>r Handhabung innerhalb <strong>de</strong>r SM-Szene.<br />

60


Soziologische Studien<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r Soziologie hat man sich bisher auch eher unzureichend mit <strong>de</strong>m Phänomen <strong>de</strong>s<br />

Sadomasochismus beschäftigt. Die vorhan<strong>de</strong>nen empirischen Untersuchungen konzentrieren<br />

sich vor allem auf die USA. Hier ist insbeson<strong>de</strong>re die Langzeitstudie <strong>von</strong> Weinberg u.a.<br />

(1984) zu nennen. Sie untersuchten über einen Zeitraum <strong>von</strong> acht Jahren sadomasochistische<br />

Gruppen (sowohl hetero- als auch homosexuelle Männer <strong>und</strong> Frauen) <strong>und</strong> entwickelten ein<br />

soziologisches Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Sadomasochismus. Dabei haben sie versucht, die begrenzte<br />

Reichweite traditioneller Konzepte zu überwin<strong>de</strong>n <strong>und</strong> kritisieren die bisherige Vorgehens-<br />

<strong>und</strong> Denkweise vor allem hinsichtlich <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Aspekte:<br />

a) Erfahrungen, die <strong>im</strong> Zusammenhang mit kr<strong>im</strong>inellen Personen o<strong>de</strong>r solchen, die klinische<br />

Problemfälle darstellen, gemacht wur<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n ohne Be<strong>de</strong>nken auf alle Sadomasochis-<br />

ten übertragen. D.h., es wird häufig vom Verhalten eines Vergewaltigers o<strong>de</strong>r Lustmör<strong>de</strong>rs<br />

beispielsweise auf das einer Person geschlossen, die sadomasochistische Sexualpraktiken<br />

bevorzugt.<br />

b) Der Begriff Sadomasochismus sollte nicht verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, um eine Person in ihrer Ge-<br />

samtheit zu beschreiben, son<strong>de</strong>rn nur um best<strong>im</strong>mte Aktivitäten zu <strong>de</strong>finieren. Nicht Per-<br />

sonen, son<strong>de</strong>rn Rollen sind sadomasochistisch.<br />

c) Traditionelle Mo<strong>de</strong>lle betonen individuelle Motive <strong>und</strong> ignorieren die Existenz einer SM-<br />

Subkultur, die ein Set <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utungs- <strong>und</strong> Verhaltensmustern bereitstellt, das <strong>von</strong> je<strong>de</strong>m<br />

‘benutzt’ wer<strong>de</strong>n kann, um seine eigene Sexualität zu <strong>de</strong>finieren, zu variieren <strong>und</strong> zu er-<br />

weitern.<br />

Aufgr<strong>und</strong> ihrer Ergebnisse verstehen Weinberg u.a. Sadomasochismus als ein Spiel <strong>von</strong> Do-<br />

minanz <strong>und</strong> Unterwerfung (z.B. Herr <strong>und</strong> Sklave) mit einem vorher festgelegten ‘Drehbuch’.<br />

Zwischen <strong>de</strong>n Interaktionspartnern besteht Konsens darüber, wer welche Rolle einn<strong>im</strong>mt <strong>und</strong><br />

welche Grenzen nicht überschritten wer<strong>de</strong>n dürfen. Ihren Ergebnissen zufolge sind SM-<br />

Praktiken also eher ein ‘Bühnenspiel’ mit festen Regeln (die auf gegenseitigem Einvernehmen<br />

beruhen) <strong>und</strong> keineswegs - wie viele Vorurteile vermuten lassen - eine pathologische<br />

Zwangshandlung. Damit kommen sie zu einem ähnlichen Ergebnis wie Patrias (1978). 39<br />

Ähnlich ist auch <strong>de</strong>r Tenor <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland durchgeführten Studie <strong>von</strong><br />

Spengler (1979). Angelehnt an die Subkulturforschung wur<strong>de</strong> hier versucht, die ‘frem<strong>de</strong><br />

39 Vgl. hierzu auch die Zusammenfassung <strong>von</strong> Weinberg (1994) zu zwei Jahrzehnten Forschung über Sadomasochismus<br />

aus <strong>de</strong>r soziologischen Perspektive.<br />

61


Welt’ <strong>de</strong>r Sadomasochisten auszuleuchten. Allerdings beschreibt diese Studie nur sadomaso-<br />

chistisches Verhalten bei Männern. Ausgehend <strong>von</strong> <strong>de</strong>r These, dass diejenigen Individuen, die<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer sadomasochistischen Neigungen <strong>de</strong>linquent gewor<strong>de</strong>n sind <strong>und</strong> sich <strong>von</strong> daher<br />

in gesetzlicher Verwahrung o<strong>de</strong>r medizinisch-psychologischer Betreuung befin<strong>de</strong>n, nur einen<br />

geringen Teil <strong>de</strong>r Sadomasochisten insgesamt darstellen, führte er eine „<strong>de</strong>skriptive Studie<br />

mit explorativem Charakter über die soziale Situation <strong>und</strong> das sexuelle Verhalten <strong>von</strong> hetero-<br />

sexuellen, bisexuellen <strong>und</strong> homosexuellen Männern mit manifest sadomasochistischer Orien-<br />

tierung“ (Spengler 1979, S. 17) durch. Dabei stand <strong>de</strong>r soziale Bezug <strong>de</strong>s ‘<strong>de</strong>vianten’ Verhal-<br />

tens <strong>im</strong> Mittelpunkt <strong>de</strong>s Interesses. Es ging darum, die sozialen Organisationsformen <strong>von</strong><br />

Sadomasochisten, die subkulturellen Gruppen, zu eruieren. Dargestellt wird beispielsweise,<br />

wie sich Sadomasochisten mit ihren sexuellen Wünschen auseinan<strong>de</strong>rsetzen <strong>und</strong> sie<br />

realisieren (Partnersuche, Partizipation an Subkulturen), welche Präferenzen für<br />

sadomasochistische Rollen <strong>und</strong> Praktiken gelten <strong>und</strong> welche sozialen <strong>und</strong> psychischen<br />

Konsequenzen mit dieser sexuellen Orientierung verb<strong>und</strong>en sind. Nicht zuletzt wur<strong>de</strong> auch<br />

die Frage <strong>de</strong>r Selbstakzeptanz untersucht.<br />

Neben <strong>de</strong>n subkulturellen Vergesellschaftungsformen, individuellen Präferenzen <strong>und</strong> Distink-<br />

tionen, spielt in <strong>de</strong>r soziologischen SM-Forschung vor allem auch die Frage nach <strong>de</strong>m Stel-<br />

lenwert Frauen <strong>im</strong> Bereich dieser sexuellen Orientierung eine Rolle. Auch hiermit hat sich<br />

Spengler beschäftigt, ebenso wie die Autoren Bornemann (1974), Gebhard (1969), Gosse-<br />

lin/Wilson (1980), Hunt (1974), Levitt (1994), Litmann/Swearingen (1972) <strong>und</strong> Weinberg<br />

(1984). An dieser Stelle soll nicht weiter auf die Ergebnisse eingegangen wer<strong>de</strong>n, da sie be-<br />

reits einleitend sowie <strong>im</strong> weiteren in Kap. III.1.9.1 <strong>und</strong> 1.9.2 dargestellt sind. Konstatieren<br />

möchte ich jedoch, dass diese Studien darauf verweisen, dass <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Frauen <strong>im</strong> SM-<br />

Bereich wesentlich höher ist als bisher angenommen wur<strong>de</strong>.<br />

Einen weiteren Untersuchungsschwerpunkt stellt neben <strong>de</strong>m Interesse <strong>von</strong> Frauen an sadoma-<br />

sochistischen Sexualpraktiken die Rollenverteilung dar. Welche Partizipationsformen lassen<br />

sich nun für SM-interessierte Frauen nachzeichnen? Ist die These <strong>von</strong> <strong>de</strong>r weiblichen Prä-<br />

disposition für masochistische Rollen, wie sie z.B. <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Anhängern <strong>de</strong>r Psychoanalyse<br />

vertreten wird, aufrecht zu erhalten? Die Ergebnisse polarisieren, zumin<strong>de</strong>stens hinsichtlich<br />

realem Verhalten <strong>und</strong> Phantasien. Bei realem Verhalten scheint es keine signifikante Neigung<br />

<strong>de</strong>r Frauen in die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Richtung zu geben (vgl. Breslow u.a. 1985; Janus u.a.<br />

1977). Zwar wird eingeräumt, dass weibliche Sexualphantasien durch eine Vielzahl <strong>von</strong> In-<br />

halten (Submission wie auch Dominanz) geprägt sind (vgl. Crepault 1977; Lohs 1983; Talbot<br />

1980; Trukenmüller 1982), alles in allem aber - <strong>und</strong> hierauf verweisen die Textsammlungen<br />

<strong>von</strong> weiblichen Sexualphantasien (vgl. Friday 1989; Lawrenz/Orzegowski 1988) - scheinen<br />

masochistische Imaginationen zu überwiegen. Auch die zahlreichen Veröffentlichungen <strong>von</strong><br />

62


Frauen, z.B. <strong>im</strong> Jahrbuch <strong>de</strong>r Erotik ‘Mein he<strong>im</strong>liches Auge’ (vgl. Gehrke/Schmitt 1988-90),<br />

zeigen <strong>de</strong>n Stellenwert <strong>de</strong>r submissiven Vorstellungsinhalte.<br />

Versucht man die verschie<strong>de</strong>nen Forschungsanstrengungen zum Phänomen <strong>de</strong>s Sadomaso-<br />

chismus in einem kurzen Fazit zu bewerten, dann ist festzuhalten, dass unterschiedliche Fra-<br />

gestellungen <strong>und</strong> methodische Vorgehensweisen zu ambivalenten <strong>und</strong> wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Er-<br />

gebnissen geführt haben.<br />

Die individuelle Perspektive wur<strong>de</strong> vorrangig vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> medizinischer Ursachen<br />

<strong>und</strong> möglicher Therapieformen diskutiert. Therapie wird dabei <strong>von</strong> vielen Autoren in einer<br />

Beseitigung dieser sexuellen Spezialisierung <strong>und</strong> nicht in einer Versöhnung mit <strong>de</strong>n eigenen<br />

sadomasochistischen Wünschen <strong>und</strong> Praktiken gesehen. Nur wenige versuchen, sich <strong>de</strong>r ‘SM-<br />

Kultur’ alltagsnah <strong>und</strong> subjektbezogen zu nähern (vgl. auch Pertiller 1999, Pokroppa 1999).<br />

1.2 Erste Berührungspunkte <strong>und</strong> Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r sadomasochistischen Neigung<br />

Die ätiologische Frage ist, wenn überhaupt, mit <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n empirischen Material nicht<br />

zu lösen. Gleichwohl lassen sich aus <strong>de</strong>r subjektiven Biographie-Rekonstruktion unterschied-<br />

liche Zugangswege beschreiben.<br />

Erotische Literatur <strong>und</strong> Pornographie<br />

Gefragt nach <strong>de</strong>r Ent<strong>de</strong>ckung ihrer sadomasochistischen Neigungen geben manche Befragte<br />

an, dass die Pornographie dabei eine wichtige Rolle gespielt hat. Auffallend ist, dass beinahe<br />

das ganze Spektrum pornographischer Produkte - also Bücher, Magazine <strong>und</strong> Filme (<strong>und</strong><br />

mittlerweile auch das Internet) - genannt wird, wobei die einzelnen Medien je nach Person<br />

unterschiedlich wichtig sind.<br />

In <strong>de</strong>n Hardcore-Szenarien wer<strong>de</strong>n Wünsche <strong>und</strong> Bil<strong>de</strong>r ent<strong>de</strong>ckt, die schon lange in <strong>de</strong>n in-<br />

neren <strong>und</strong> zumeist vorbewussten Drehbüchern <strong>de</strong>r Phantasien eine Rolle spielen. Die latenten<br />

Phantasie-Inhalte bekommen durch die Pornographie erstmals visualisierte Konturen. Die<br />

Affinität <strong>von</strong> Pornographie <strong>und</strong> Tagträumen - bei<strong>de</strong> sind auf ihre Weise ein Spiel mit <strong>de</strong>n<br />

‚Rahmen’ (vgl. Goffman 1980), <strong>und</strong> in bei<strong>de</strong>n kommen Bedürfnisse ans Licht, „die vom ‚öf-<br />

fentlichen Leben’ durch soziale Tabus ferngehalten wer<strong>de</strong>n“ (Lewin 1951/1982, S. 418) -<br />

begünstigt solche Effekte. Gleichzeitig wird damit <strong>de</strong>utlich, dass es irrig wäre, Pornographie-<br />

nutzung <strong>und</strong> sadomasochistische Verhaltensformen in einen kausalen Zusammenhang zu stel-<br />

len. Die Befragten, die die Ent<strong>de</strong>ckung ihres Interesses am Sadomasochismus auf mediale<br />

63


Ereignisse zurückführen, rekonstruieren vermutlich das erste lustvolle Zulassen o<strong>de</strong>r Empfin-<br />

<strong>de</strong>n ihrer Neigungen:<br />

Holger: Ich habe einmal einen Porno gesehen, <strong>de</strong>r spielte <strong>im</strong> Militärmilieu. Da<br />

hatten sie einen Mann in <strong>de</strong>r Mangel, <strong>de</strong>m sie eine Zigarette auf <strong>de</strong>m Schwanz<br />

ausdrückten <strong>und</strong> eine Frau, die sie mit einem Gewehrlauf festgehalten <strong>und</strong> gevögelt<br />

haben. Das hat mich angemacht. So richtig hat mich aber so ein japanisches<br />

Bondage-Magazin angemacht. Die Japaner machen ziemlich heftige Bondage-<br />

Sachen. Viel mit verrenkten Stellungen <strong>und</strong> Aufhängen an <strong>de</strong>n Beinen. Die Frauen,<br />

die hängen halt nicht mehr o<strong>de</strong>r weniger genüsslich in ihren Seilen, son<strong>de</strong>rn<br />

man merkt, dass sie Schmerz empfin<strong>de</strong>n. Das hat mich dann nicht mehr losgelassen<br />

(38 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Marion: Mit fünfzehn habe ich die ‚Geschichte <strong>de</strong>r O’ gelesen. Ich weiß bis heute<br />

noch die Situation, in <strong>de</strong>r ich das gelesen habe. Es war bei einer Busfahrt <strong>und</strong> ich<br />

weiß noch, wie mir <strong>de</strong>r Atem gestockt hat. Es war, als ob sich eine unbekannte<br />

Welt öffnet, <strong>und</strong> ich habe gewusst, ‚Das ist, was du willst’. Noch nie vorher hat<br />

mich etwas so erregt <strong>und</strong> fasziniert. Und in Büchern <strong>und</strong> Zeitschriften habe ich<br />

das weiterverfolgt (36 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Bei <strong>de</strong>n lesbischen Sadomasochistinnen haben wir diese Form <strong>de</strong>s Medien-Erlebens nicht<br />

nachzeichnen können. Zum einen spiegelt diese Lücke <strong>de</strong>n Umstand wi<strong>de</strong>r, dass für lesbische<br />

Sadomasochistinnen nur wenige pornographische Produkte hergestellt wer<strong>de</strong>n, zum an<strong>de</strong>ren<br />

ist dieses Ergebnis auch Ausdruck <strong>de</strong>r feministischen Ablehnung <strong>de</strong>s Umgangs mit Pornogra-<br />

phie. Auch wenn es einige pornographische Produkte für lesbische Frauen gibt, ist das Ver-<br />

hältnis <strong>de</strong>r Lesben zu <strong>de</strong>n Hardcores noch <strong>im</strong>mer ambivalent. Für einen nicht unbeträchtlichen<br />

Teil <strong>de</strong>r Frauen, die sich <strong>im</strong> feministischen Weltanschauungsspektrum bewegen, ist die Ab-<br />

lehnung <strong>de</strong>r Pornographie - als Symbol männlicher Allmachtswünsche <strong>und</strong> unterdrückter<br />

Frauen - <strong>im</strong>mer noch Ehrensache. 40<br />

Die Lust auf das Beson<strong>de</strong>re<br />

War <strong>de</strong>r Zweck <strong>de</strong>r Ehe bis in unser Jahrh<strong>und</strong>ert hinein die Fortpflanzung, so ist sie heute ein<br />

Ort erotischer Exper<strong>im</strong>ente <strong>und</strong> Ausschweifung (vgl. Hahn 1988; Bruckner/Finkielkraut<br />

1981). Diesen erotischen Ansprüchen steht das Problem <strong>de</strong>r Gewöhnung entgegen, wenn die<br />

Partnerschaft über einen längeren Zeitraum besteht. Hierauf verweisen je<strong>de</strong>nfalls einige Stu-<br />

40 Zur Pornographie-Debatte unter Frauen sei hier exemplarisch auf <strong>de</strong>n <strong>von</strong> Claudia Gehrke (1988) herausgegebenen<br />

Sammelband Frauen <strong>und</strong> Pornographie verwiesen.<br />

64


dien, die zu dieser Frage durchgeführt wur<strong>de</strong>n. 41 Eine zurückgehen<strong>de</strong> Koitusfrequenz, gerin-<br />

gere Attraktivitätsbewertungen <strong>de</strong>s Partners o<strong>de</strong>r auch die Suche nach an<strong>de</strong>ren Sexualbezie-<br />

hungen können Indikatoren eines solchen Prozesses sein. Um dieser Entwicklung gegenzu-<br />

steuern, suchen manche Paare ihre Sexualität durch neue <strong>und</strong> exotische Erfahrungsmuster zu<br />

bereichern <strong>und</strong> so <strong>de</strong>r Routinierung zu begegnen. Der Einsatz pornographischer Medien kann<br />

einer dieser Wege sein. Nicht selten wird die Paarsexualität aber auch durch die Hinwendung<br />

zu an<strong>de</strong>ren Praktiken, <strong>im</strong> vorliegen<strong>de</strong>n Falle <strong>de</strong>m Sadomasochismus, modifiziert <strong>und</strong> attrakti-<br />

ver gemacht. Die Lust auf außeralltäglichen Sex <strong>und</strong> die Flucht vor <strong>de</strong>r ‚Hasennummer ein-<br />

mal <strong>im</strong> Monat’ kann so <strong>de</strong>r Anstoß für die Hinwendung zum Sadomasochismus sein:<br />

Tamara: Es verschafft Abwechslung, die mir unhe<strong>im</strong>lich gut tut. Ich möchte es<br />

auch nicht mehr missen. Wenn wir SM jetzt aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong>e abhaken<br />

wür<strong>de</strong>n, dann wür<strong>de</strong> mir was fehlen, eben die ganzen Spezialitäten, die wir bis<br />

jetzt entwickelt haben. Es ist eine Erweiterung <strong>de</strong>r Erlebensmöglichkeit.<br />

Paul: Ich <strong>de</strong>nke auch, dass sich Gefühle <strong>und</strong> Praktiken abnutzen. Wenn ich mal so<br />

zurück<strong>de</strong>nke, wie es mit 15 war, da hatte ich einen Orgasmus, wenn mich eine<br />

Frau nur berührte. Das läuft heute nicht mehr. Wenn man lange mit einer Frau zusammen<br />

ist, dann kann die Sexualität z.B. auf <strong>de</strong>r SM-Schiene wie<strong>de</strong>r bereichert<br />

wer<strong>de</strong>n, interessanter gestaltet wer<strong>de</strong>n (Tamara, 30 Jahre, M; Paul, 36 Jahre, S,<br />

bei<strong>de</strong> heterosexuell).<br />

August: Für mich ist einfach alles, was über das Normale hinausgeht, etwas Beson<strong>de</strong>res.<br />

Das ist eine Variante, eine Facette, die einem viel mehr Möglichkeiten<br />

bietet - ich bin mit meiner Frau jetzt 14 Jahre zusammen <strong>und</strong> kann eigentlich nur<br />

sagen, dass das sicherlich dazu beigetragen hat, dass wir ein harmonisches Eheleben<br />

führen. (...) Es ist genauso eine Bereicherung, wie ich einmal zuhause koche<br />

<strong>und</strong> einmal in das beste Lokal essen gehe. Ich fahre Auto, ich fahre Eisenbahn,<br />

<strong>und</strong> ich gehe zu Fuß (51 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Carla: Irgendwann hatten wir eine schwere Krise <strong>und</strong> <strong>im</strong> Bett ist nichts mehr gelaufen.<br />

Ich habe dann für mich so festgestellt, ‚Bei <strong>de</strong>n SM-Lesbierinnen, da gibt<br />

es doch ganz an<strong>de</strong>re Sachen’. Die fand ich spannend <strong>und</strong> prickelnd <strong>und</strong> wirklich<br />

auch geil. Nicht dieser langweilige Blümchen-Sex. Und zaghaft, mit viel Nervösität<br />

haben wir dann allmählich mit SM angefangen. Und <strong>im</strong> Laufe <strong>de</strong>r Zeit wur<strong>de</strong><br />

es <strong>im</strong>mer schöner (37 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

41 Schon Kinsey u.a. (1948/1967) konnten zeigen, dass mit zunehmen<strong>de</strong>r Dauer einer (ehelichen) Partnerschaft<br />

die sexuellen Aktivitäten zurückgehen. Dies liegt zum einen an <strong>de</strong>m biologischen <strong>und</strong> altersbedingten Rückgang<br />

sexueller Aktivitäten, zum an<strong>de</strong>ren an Gewöhnungsprozessen in Partnerschaften. Pakesch (1977) zufolge<br />

n<strong>im</strong>mt die Zufrie<strong>de</strong>nheit mit <strong>de</strong>m Partner <strong>im</strong> Laufe einer Ehe auch <strong>im</strong> sexuellen Bereich ab. Nach Giger<br />

(1981) wünschen sich 44 % <strong>de</strong>r befragten Ehemänner qualitative <strong>und</strong> quantitative Verän<strong>de</strong>rungen in Bezug<br />

auf die Sexualität mit <strong>de</strong>m Partner.<br />

65


Franz: Noch während <strong>de</strong>s Studiums bin ich mit meinem Fre<strong>und</strong> zusammengezogen.<br />

Wir haben uns wirklich gemocht. War eine tolle Zeit. Wir sind dann bei<strong>de</strong> irgendwann<br />

berufstätig gewor<strong>de</strong>n. Seit<strong>de</strong>m ging es nur noch bergab. Wir haben uns<br />

zu sehr aneinan<strong>de</strong>r gewöhnt, die Spannung war weg. Ich hatte viele Beziehungen<br />

nebenbei laufen, flüchtige Erlebnisse. Dann bin ich - wie es genau dazu kam weiß<br />

ich nicht mehr - in die Le<strong>de</strong>rszene reingekommen <strong>und</strong> habe SM kennengelernt.<br />

Das habe ich dann mit meinem Fre<strong>und</strong> auch mal gemacht, <strong>und</strong> da hat es wie<strong>de</strong>r so<br />

richtig gefunkt. Nicht, dass wir uns nochmal verliebt haben, aber es war ein wirklich<br />

wahrhaftiger geiler Sex, <strong>und</strong> das machen wir auch heute noch (35 Jahre, S/M,<br />

schwul).<br />

Der Markt kommt diesen Bedürfnissen nach Abwechslung <strong>und</strong> exotischer Sexualität, nach<br />

neuen Varianten <strong>und</strong> Praktiken durch ein breites Angebot an Sexartikeln entgegen: Kleidung<br />

aus Lack, Le<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Gummi, Werkzeuge aller Art, mediale Gebrauchsanleitungen <strong>und</strong> Ani-<br />

mationen können in fast je<strong>de</strong>m Sexshop o<strong>de</strong>r Le<strong>de</strong>rstudio gekauft wer<strong>de</strong>n. Hinzu kommen die<br />

beständigen Ermunterungen aus einigen Gazetten, doch einmal eine an<strong>de</strong>re Erotik zu versu-<br />

chen. Die sexuellen Varianten wer<strong>de</strong>n - ganz zugeschnitten auf die Bedürfnisse sexuell frust-<br />

rierter Personen - als Ekstase- <strong>und</strong> Lustparadiese bejubelt. Solche Medienbotschaften können<br />

<strong>de</strong>n Sadomasochismus auch <strong>de</strong>njenigen näherbringen, die sich bis dato <strong>von</strong> solchen Praktiken<br />

distanziert haben.<br />

Partner- <strong>und</strong> Szenekontakte<br />

Der Zugang zum Sadomasochismus kann sich auch über <strong>de</strong>n Lebenspartner o<strong>de</strong>r sonstige<br />

persönliche Beziehungen vollziehen. Hier fällt das Erkennen <strong>de</strong>r Neigungen gelegentlich mit<br />

<strong>de</strong>m ersten Praktizieren zusammen. In Bezug auf dieses Herangehen lässt sich ein selbst- <strong>und</strong><br />

ein fremdinitiierter Weg nachzeichnen. Bei Ersterem liegt möglicherweise schon länger ein<br />

latentes Interesse am Sadomasochismus vor. Durch gezieltes Suchen <strong>und</strong> Fin<strong>de</strong>n eines ent-<br />

sprechen<strong>de</strong>n Partners (z.B. über Kontaktannoncen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Besuch <strong>von</strong> Szenetreffen) kön-<br />

nen die persönlichen Voraussetzungen für das Ausleben <strong>de</strong>r Interessen geschaffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Personen nehmen also <strong>von</strong> sich selbst aus wahr, dass sie solche Wünsche haben <strong>und</strong><br />

beginnen selbsttätig mit <strong>de</strong>m Aufbau <strong>von</strong> <strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong>n Erlebensräumen:<br />

Rita: Als mir dann irgendwann alles klar war <strong>und</strong> ich gesagt habe ‚Das ist es<br />

[SM], was ich will’, habe ich zunächst einmal Kontaktanzeigen aufgegeben. Ich<br />

habe dann einige Männer kennen gelernt. Die meisten waren Schrott, aber einige<br />

haben mir auch gefallen. Ich habe mich so richtig in die ganze Sache eingearbeitet,<br />

bin mit zu Partys gegangen usw. (...) Heute bin ich in <strong>de</strong>r Szene bekannt <strong>und</strong><br />

wer<strong>de</strong> sowieso eingela<strong>de</strong>n (36 Jahre, M, heterosexuell).<br />

66


An<strong>de</strong>rs verhält es sich be<strong>im</strong> fremdinitiierten Weg zum Sadomasochismus. Hier versuchen <strong>de</strong>r<br />

Lebenspartner o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Personen, bei <strong>de</strong>n Betreffen<strong>de</strong>n ein persönliches Interesse aufzu-<br />

bauen. So kann beispielsweise die Ehefrau vom bereits sadomasochistisch erfahrenen Mann<br />

für diese sexuelle Spezialisierung gewonnen wer<strong>de</strong>n. Nicht selten geht diesem Ansinnen eine<br />

lange Phase <strong>de</strong>r Gehe<strong>im</strong>haltung voraus. Kommt es dann - motiviert durch <strong>de</strong>n Wunsch, die<br />

Partnerin o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Partner in die Neigung einzubeziehen - zur Offenlegung, polarisieren die<br />

Reaktionen. In manchen Fällen kann ein solcher Schritt die Beziehung stark belasten o<strong>de</strong>r<br />

sogar zur Trennung führen. Bei an<strong>de</strong>ren ist die Reaktion hingegen nicht so ablehnend. Der<br />

umworbene Novize willigt <strong>de</strong>m Partner zuliebe in ein Arrangement ein. Aus diesem anfangs<br />

zögerlichen Mitmachen kann mitunter ein eigenes, stabiles Interesse wer<strong>de</strong>n:<br />

Maria: Ich bin durch eine Partnerschaft dazu gekommen <strong>und</strong> habe damit ziemlich<br />

spät angefangen. Ich bin schon sieben<strong>und</strong>fünfzig <strong>und</strong> habe etwa mit vierzig Jahren<br />

damit angefangen. Ich bin verheiratet, wir leben aber getrennt. Nach <strong>de</strong>r Trennung<br />

habe ich mich nach einem Partner umgesehen. Da habe ich dann per Zufall jeman<strong>de</strong>n<br />

kennen gelernt, <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>s tut, <strong>de</strong>r sowohl aktiv, als auch passiv ist. Mit <strong>de</strong>m<br />

war ich sehr eng befre<strong>und</strong>et. Der hat mir das nahegebracht, <strong>und</strong> das hat mir gefallen.<br />

Inzwischen habe ich mich <strong>von</strong> ihm getrennt. Das ist jetzt auch schon zehn<br />

Jahre her, <strong>und</strong> ich mache es weiter, weil es mir Freu<strong>de</strong> macht <strong>und</strong> mich befriedigt<br />

(57 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Margit: Ich hatte lange Jahre eine ganz intensive Beziehung zu einer Fre<strong>und</strong>in.<br />

Die hat mich so allmählich da eingeführt, sehr behutsam, aber auch intensiv. (...)<br />

Ich habe mir früher nie Gedanken darüber gemacht, dass mir das Spaß machen<br />

könnte (30 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Erste Berührungen mit <strong>de</strong>m Sadomasochismus können auch durch Kontakte zu Szene-<br />

Insi<strong>de</strong>rn entstehen. Diese Personen übernehmen die Rolle <strong>de</strong>s Mentors <strong>und</strong> führen <strong>de</strong>n Novi-<br />

zen in die Szene ein. 42 Sie vermitteln Kontakte, führen in Gruppenveranstaltungen ein <strong>und</strong><br />

machen mit <strong>de</strong>n Regeln, Co<strong>de</strong>s <strong>und</strong> spezifischen Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>r Szene vertraut.<br />

Die Szene bietet ein Netzwerk, das zur Aufnahme vielfältiger persönlicher Beziehungen ge-<br />

nutzt wer<strong>de</strong>n kann. Die Nähe zu ihr kann damit für die Beschäftigung mit sadomasochisti-<br />

schen Sexualpraktiken ausschlaggebend sein. In Anlehnung an die Theorie <strong>de</strong>r differentiellen<br />

Assoziation resp. Gelegenheiten könnte man auch <strong>von</strong> einer spezifischen Lernstruktur <strong>und</strong><br />

einer Struktur <strong>von</strong> Zugangschancen sprechen. 43 Diese Feststellung muss allerdings hinsicht-<br />

42 Diesen Zusammenhang beschreibt auch Patrias (1978, S. 152): "Once's socialization into sexual sadomasochism<br />

almost always begins as a result of some kind of contact with a participant. (...) Such contact<br />

leads to the novice's first sexual sado-masochistic scene."<br />

43 Vgl. hierzu: Sutherland/Cressey (1939/1955) <strong>und</strong> Cloward/Ohlin (1960).<br />

67


lich <strong>de</strong>r Einfachheit <strong>de</strong>s Zugangs differenziert wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat die SM-Szene<br />

aus verschie<strong>de</strong>nen an<strong>de</strong>ren Szenen Zulauf bekommen, so etwa aus links-alternativen o<strong>de</strong>r aus<br />

Yuppie-Kreisen. Diese Newcomer inszenieren ihren Sadomasochismus zu Beginn <strong>de</strong>r neun-<br />

ziger Jahre als bislang nicht da gewesenes, halböffentliches Exper<strong>im</strong>entierfeld <strong>und</strong> Happening<br />

mit Flugblättern, Hobby-Zeitschriften, Plakaten, Manifesten, Partys, Selbsterfahrungsgruppen<br />

<strong>und</strong> emanzipatorischen Ansprüchen. Mittlerweile hat sich eine neue - o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st an<strong>de</strong>re -<br />

Szene etablieren können. Ihre Mitglie<strong>de</strong>r machen, ganz wie die Schwulen in <strong>de</strong>n sechziger<br />

<strong>und</strong> siebziger Jahren, ihre Neigung öffentlich <strong>und</strong> treten für eine breitere Akzeptanz ein. So<br />

konnte ich bei einem Besuch <strong>de</strong>r Reeperbahn <strong>im</strong> August 2000 mehrere SM-Paare in entspre-<br />

chen<strong>de</strong>m Outfit <strong>und</strong> provokativer Gestik beobachten: Ein Mann (S) beispielsweise führte sei-<br />

ne Fre<strong>und</strong>in (M), die ein Le<strong>de</strong>rhalsband trug, an <strong>de</strong>r Leine ‘aus’. Es machte <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n sicht-<br />

lich Spaß, vom ‘Spießbürger’ beobachtet bzw. taxiert zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Ziel ist eine ähnlich ausdifferenzierte sadomasochistische Szene-Infrastruktur, wie sie bei <strong>de</strong>n<br />

Schwulen schon zu fin<strong>de</strong>n ist. Insbeson<strong>de</strong>re die Hamburger Gruppe ‚Sündikat’, welche die<br />

Szenezeitschrift ‚Schlagzeilen - SM aus <strong>de</strong>r Szene für die Szene’ herausgibt, ist in diesem Zu-<br />

sammenhang zu nennen. Inzwischen haben sich nach ihrem Vorbild in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland eine Reihe weiterer Gruppen etabliert, die alle miteinan<strong>de</strong>r in Verbindung ste-<br />

hen. Waren es 1993 noch ca. 25 regionale <strong>und</strong> überregionale Zusammenschlüsse (vgl. Wetz-<br />

stein u.a. 1993), so haben sich En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r neunziger Jahre bereits ca. 78 regionale <strong>und</strong> 13 über-<br />

regionale Gesprächsgruppen <strong>und</strong> Arbeitskreise etablieren können (vgl. Gr<strong>im</strong>me 2000), <strong>und</strong> es<br />

dürften mittlerweile schon wie<strong>de</strong>r mehr gewor<strong>de</strong>n sein. Schon längst zur Selbstverständlich-<br />

keit sind schließlich die vor allem in <strong>de</strong>r Hamburger Szene stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n ‚Newcomer Partys’<br />

gewor<strong>de</strong>n, ein ‚SM & Fetisch Café’ o<strong>de</strong>r auch die ‚After Work Flag Party’. Dadurch ergeben<br />

sich neue Zugangsmöglichkeiten. Die Szene ist durch die öffentlichen <strong>und</strong> öffentlichkeits-<br />

wirksamen Aktivitäten auch für <strong>de</strong>n Novizen leicht ausfindig zu machen. Er fin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Re-<br />

gel hier ohne Probleme Zugang.<br />

Diese alltagskulturelle Verbreitung <strong>und</strong> Rahmung <strong>de</strong>s Sadomasochismus geht <strong>de</strong>n Personen,<br />

die um die Exklusivität ihrer Neigung besorgt sind, zu weit. Sie befürchten, dass <strong>de</strong>r spezifi-<br />

sche Reiz <strong>von</strong> SM, nämlich die <strong>von</strong> vielen gesuchte Außeralltäglichkeit, verloren gehen könn-<br />

te. In ihren Augen setzt durch <strong>de</strong>n Aktivismus <strong>de</strong>r Szene-Neulinge ein Nor-<br />

malisierungsprozess in Bezug auf <strong>de</strong>n Sadomasochismus ein, welcher <strong>de</strong>r schwarzen Sexuali-<br />

tät das Flair <strong>de</strong>s ‚Perversen’ <strong>und</strong> ‚Anrüchigen’ entzieht <strong>und</strong> ihr damit einen wesentlichen Fas-<br />

zinationsquell raubt. Sie wen<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>shalb ebenso gegen das Herantreten an die Öffent-<br />

68


lichkeit, wie gegen das Bemühen um Toleranz <strong>und</strong> Akzeptanz. Dementsprechend schwierig<br />

ist <strong>de</strong>r Zugang zu ihnen.<br />

Biographisierung <strong>und</strong> Selbstthematisierung<br />

Wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re Personen können ihre ersten Berührungen mit <strong>de</strong>m Sadomasochismus nicht<br />

an einem spezifischen Ereignis festmachen. Für sie ist ihr spezialisiertes Sexualinteresse in<br />

die gesamte lebensgeschichtliche Entwicklung eingeb<strong>und</strong>en. Dies erklärt sicherlich auch die<br />

zum Teil sehr langen Ausführungen dieser Befragten, wenn wir sie auf die Ent<strong>de</strong>ckung ihrer<br />

Neigung angesprochen haben. 44<br />

Generell ist für biographische Erzählungen vorab zu bemerken, dass sie ein Konstrukt darstel-<br />

len: „Denn je<strong>de</strong>s Konzept kann nur beschreiben, was ihm nach seiner Logik in <strong>de</strong>n Blick<br />

kommt; es wählt aus <strong>de</strong>r Totalität <strong>de</strong>s Ereignisstroms ‚Lebenslauf’ aus <strong>und</strong> fügt die ausge-<br />

wählten Momente nach seiner Logik zu einem Bild auch wie<strong>de</strong>r zusammen, so daß <strong>de</strong>r Le-<br />

benslauf stets nur als das erscheint, als was er beschrieben wird: Mit an<strong>de</strong>ren Worten, eine<br />

‚Rekonstruktion’ <strong>de</strong>s Lebenslaufs in diesem Sinne erzählt <strong>de</strong>n Lebenslauf, konstruiert ihn als<br />

Biographie <strong>und</strong> i<strong>de</strong>ntifiziert darin das Subjekt. Kein solches Konzept kann die Totalität <strong>de</strong>s<br />

Lebenslaufs insgesamt erfassen. Die paradigmatische Rekonstruktion ist nicht mehr nur Be-<br />

schreibung, son<strong>de</strong>rn Darstellung, <strong>im</strong> genauen Sinn <strong>de</strong>s Wortes ein Bild <strong>de</strong>s beschriebenen<br />

Lebens <strong>und</strong> damit <strong>de</strong>s Individuums“ (Leitner 1982, S. 16). Dies gilt auch für die Sadomaso-<br />

chisten. Sie richten <strong>de</strong>n Blick aus ihrer SM-Rolle in die Vergangenheit <strong>und</strong> erzählen <strong>de</strong>n<br />

Wer<strong>de</strong>gang vermutlich nicht so sehr als Ablauf <strong>de</strong>s tatsächlich Erlebten; vielmehr best<strong>im</strong>men<br />

„strukturierte Selbstbil<strong>de</strong>r“ (Fischer 1978, S. 319) <strong>de</strong>s Gegenwärtigen das Komposi-<br />

tionsprinzip. Im Einzelnen lassen sich drei verschie<strong>de</strong>ne Muster biographischer Rekonstruk-<br />

tion beschreiben, die sich hinsichtlich Inhalt <strong>und</strong> Selektion unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Be<strong>im</strong> ersten Typ ist auffallend, dass sich Kristallisationspunkte mit fallübergreifen<strong>de</strong>n inhalt-<br />

lichen Ähnlichkeiten feststellen lassen. Best<strong>im</strong>mten Lebensphasen (z.B. Kindheit, Pubertät),<br />

Ereignissen o<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Lebensumstän<strong>de</strong>n (z.B. das Aufwachsen <strong>im</strong> Bor<strong>de</strong>ll) wird eine<br />

zentrale Be<strong>de</strong>utung für die Herausbildung <strong>von</strong> sadomasochistischen Neigungen zugewiesen.<br />

SM ist für diese Befragten kein ‚Tatbestand’, son<strong>de</strong>rn Resultat einer Entwicklung:<br />

44 Die Antworten können ohne die Gefahr <strong>von</strong> Sinnverzerrungen nicht gekürzt wer<strong>de</strong>n, so dass sie hier in voller<br />

Länge wie<strong>de</strong>rgegeben sind.<br />

69


Rena: Der rote Fa<strong>de</strong>n dabei ist mein Vater. Er war eine sehr, sehr dominante Person,<br />

die mich wirklich unterdrückt hat. Konsequent <strong>und</strong> sehr brutal. Meine Erziehung<br />

basierte überwiegend auf Brachialgewalt. Das Ganze unterlag einer stringent<br />

katholischen Erziehung. Wirklich nach <strong>de</strong>m Motto, ‚Du darfst keine an<strong>de</strong>ren Götter<br />

haben außer mir’. Die Schizophrenie in dieser Erziehung war, dass er mir auf<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite, wenn alles so lief, wie er es wollte, ein ungeheures Selbstvertrauen<br />

vermittelt hat. Die Ten<strong>de</strong>nz war, ‚Lass’ dir <strong>von</strong> nieman<strong>de</strong>n etwas gefallen.<br />

Und wenn irgendjemand was <strong>von</strong> dir will, überlege gut, ob es o.k. ist o<strong>de</strong>r nicht;<br />

<strong>und</strong> wenn du <strong>de</strong>r Meinung bist, dass du keinen Fehler gemacht hast, dann wehre<br />

dich’. Ich kriegte ungeheuere Rückenstärkung dadurch. Nur wenn es dann gegen<br />

Daddy ging, <strong>und</strong> das ging irgendwann als ich zehn, elf wur<strong>de</strong>, so los, wur<strong>de</strong>n die<br />

Praktiken, die er Erziehung nannte, sehr kr<strong>im</strong>inell. Im Nachhinein betrachtet waren<br />

es klar sadistische Muster. Er hat mich fünf St<strong>und</strong>en auf Erbsen liegen lassen,<br />

mich in seinen Hobbykeller genommen <strong>und</strong> mir gedroht, die Hand abzuhacken,<br />

weil ich auf <strong>de</strong>m Vorplatz <strong>de</strong>r Kirche zehn Pfennig gef<strong>und</strong>en hatte <strong>und</strong> mir einen<br />

Kaugummi kaufte. Ich <strong>de</strong>nke, dass da eine Prägung stattgef<strong>und</strong>en hat. Ich habe<br />

meinen Vater gehasst <strong>und</strong> ich habe ihn geliebt, bei<strong>de</strong>s gleichzeitig. (...) Ich bin<br />

dann aber mit 16 <strong>von</strong> zuhause abgehauen. (...) Der letzte Schritt dazu, <strong>de</strong>n ich<br />

wirklich sehr bewusst erlebt habe, war dieses Einsteigen in das, was ich als meinen<br />

persönlichen Masochismus <strong>de</strong>finiert habe. (...) Ich habe mir <strong>im</strong>mer Männer<br />

gesucht, die irgendwo in einer Richtung <strong>de</strong>m Bild meines Vaters entsprachen. (...)<br />

Die ersten Versuche, meinen Vater für mich erneut in mein Leben zu holen, waren<br />

wohl diese Beziehungen. Dann bin ich umgeschlagen in das krasse Gegenteil. Ich<br />

habe mich eingelassen auf jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r wirklich sehr sanft <strong>und</strong> sehr verständnisvoll<br />

war, <strong>und</strong> das war es auch nicht. Da habe ich mich zum ersten Mal gefragt,<br />

‚Warum fragt er mich, ob wir bumsen sollen, warum macht er es nicht einfach?’<br />

(40 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Joseph: Die Geschichte stellt sich so dar: Ich bin 1936 geboren <strong>und</strong> <strong>im</strong> Alter <strong>von</strong><br />

neun Jahren war <strong>de</strong>r Krieg aus. Wir hatten eine Sechs-Z<strong>im</strong>mer-Wohnung. Mein<br />

Vater war noch in Gefangenschaft. Ich war das einzige Kind <strong>und</strong> lebte mit meiner<br />

Mutter in dieser Sechs-Z<strong>im</strong>mer-Wohnung. Also die Kindheit war ja abgebrochen<br />

durch diese Kriegssituation. Und da war man etwas reifer als vielleicht so ein<br />

Neunjähriger <strong>im</strong> Allgemeinen. Ich kam mir je<strong>de</strong>nfalls so vor. Und dann Einzelkind,<br />

das spielt ja auch eine Rolle. Immer eigenes Z<strong>im</strong>mer <strong>und</strong> alles. Dann, mit<br />

einem Mal, hat mir meine Mutter eröffnet ‚Wir müssen hier ein bisschen enger<br />

zusammenrücken, hier wer<strong>de</strong>n Damen zu uns kommen, <strong>und</strong> du wirst auch nicht<br />

mehr <strong>de</strong>in eigenes Z<strong>im</strong>mer haben, du bist nach Möglichkeit bei mir in <strong>de</strong>r Küche.’<br />

(...) Und dann hat meine Mutter zu mir gesagt ‚Hier kommen also mehrere Soldaten,<br />

die sind befre<strong>und</strong>et mit <strong>de</strong>n Damen, die wir hier haben’. Um es kurz zu machen:<br />

Die Wohnung wur<strong>de</strong> unten als Bor<strong>de</strong>ll angeschlagen. Und dann bin ich also<br />

praktisch da hineingewachsen, das heißt also, die [Name], die war meine Liebste,<br />

<strong>und</strong> die hat mich sehr viel in ihr Z<strong>im</strong>mer mitgenommen. Ich habe also <strong>de</strong>n ganzen<br />

Tag alles mitbekommen (...). Und die [Name], die hat mich eben, wenn man so<br />

will, in <strong>de</strong>r Zeit zur Brust genommen <strong>und</strong> hat mich eingeweiht in alles, was überhaupt<br />

einzuweihen war. Wenn Besuch da war, wur<strong>de</strong> ich unter das Bett geschoben.<br />

Dann habe ich also praktisch die ganze Sache miterlebt, wie sie sich da abgespielt<br />

hat. Ich habe also manchmal st<strong>und</strong>enlang weiter nichts zu Gesicht bekommen<br />

als Beine, Schuhe, Strümpfe <strong>und</strong> alles, was sich da noch abgespielt hat. Ich<br />

70


in <strong>de</strong>r Meinung, dass das in <strong>de</strong>r Zeitspanne wesentlich dazu beigetragen hat, dass<br />

ich gewissermaßen so einen Fetisch entwickelt habe. Meine Mutter, die hat mir<br />

zwar Vorträge gehalten, aber ich habe sie die ganze Zeit lang kaum zu Gesicht<br />

bekommen. Und <strong>de</strong>r war das wahrscheinlich auch egal, wo ich nun gera<strong>de</strong> war.<br />

Schule <strong>und</strong> so weiter gab es in <strong>de</strong>r Zeit noch nicht. Es war ein Zeitraum, <strong>von</strong><br />

1945-1948, drei Jahre, die mich doch sehr geprägt haben. Und [Name] war, was<br />

das Äußere anbelangt, sehr sinnlich. Brünettes Haar, volle Lippen, also sehr, sehr<br />

sinnlich. Und <strong>de</strong>mentsprechend hat die mich so fasziniert. Alles, was sie geschenkt<br />

gekriegt hat, was damals so in Mo<strong>de</strong> kam, die Nylons <strong>und</strong> Schuhe <strong>und</strong><br />

Schmuck <strong>und</strong> Kosmetika, das hat die natürlich alles an sich verarbeitet. Dementsprechend<br />

habe ich das auch mitbekommen. Dann hat sie mich mal geschminkt<br />

<strong>und</strong> dies <strong>und</strong> das <strong>und</strong> ihre Scherze mit mir gemacht. Wenn sie wütend war, dann<br />

hat sie mich mit Handschellen ans Bett angefesselt. Das hat sich bis zum Exzess<br />

gesteigert bei <strong>de</strong>r Frau. Sie selbst war feminin, sehr stark, diese Frau. Bloß war die<br />

Sache eben bizarrer. Fangen wir mal vom Kopf an: Die Haare mussten wil<strong>de</strong>r,<br />

toupierter sein, meinetwegen wie heute Tina Turner. Das Gesicht: ganz dick aufgetragene<br />

Schminke. Es musste ja alles irgendwie wirken. Ob nun die Nägel, ob<br />

dies <strong>und</strong> das, je<strong>de</strong>nfalls alles superbetont, bizarr wür<strong>de</strong> man heute dazu sagen.<br />

Gewisse dominante Frauen rennen ja in ihrem Studio auch so rum. (...) Wenn es<br />

um das Essen ging, hat sie mich mitessen lassen. O<strong>de</strong>r sie hat mir das vorgekaut<br />

<strong>und</strong> hat es mir gegeben. (...) Im Z<strong>im</strong>mer war ein Waschbecken, ich musste oft neben<br />

<strong>de</strong>m Waschbecken hocken, dann hat sie teils ins Waschbecken hineinuriniert<br />

<strong>und</strong> teils zu mir ins Gesicht. Wenn ich mich also in irgen<strong>de</strong>iner Form abgewen<strong>de</strong>t<br />

hätte o<strong>de</strong>r dagegen <strong>de</strong>monstriert hätte, hätte sie mich geschlagen. (...) In <strong>de</strong>n Lebensjahren<br />

später ging das alles wie ein Film an mir vorbei. Und dann habe ich<br />

eben gemerkt, dass das in irgen<strong>de</strong>iner Form zur Sucht wur<strong>de</strong>. Ich habe also praktisch<br />

<strong>im</strong>mer danach getrachtet, wenn ich dann später auf <strong>de</strong>r Straße war: Welche<br />

Frau geht so <strong>und</strong> so angezogen? Wie läuft die? Was hat die für Schuhe? Aus welchem<br />

Blickwinkel kann ich mir das genauer ansehen? Also richtig voyeuristisch<br />

<strong>und</strong> ein bisschen zum Fetischismus, das heißt ja dann be<strong>im</strong> Fetischismus, dass<br />

man das auch berühren will in irgen<strong>de</strong>iner Form. (...) Schuhe, Strümpfe <strong>und</strong> alles,<br />

was dieses Superweib, wenn ich das mal so ausdrücken darf, an sich hatte. Ob das<br />

ein Parfum war, ob das die Schminke war, ob das war, wie die sich die Nägel lackiert<br />

hat <strong>und</strong> dies <strong>und</strong> das. Und wie sie sich gebär<strong>de</strong>t hat. Wenn sie schlecht gelaunt<br />

war, hat sie mich angespuckt. Wie ein Tier hat die mich behan<strong>de</strong>lt. Ich habe<br />

zu Anfang dagegen rebelliert, aber nachher nicht mehr. Nachher war ich daran<br />

gewöhnt wie so ein H<strong>und</strong>. Und das muss einen gewissen Knacks gegeben haben<br />

(55 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Manfred: Gewisse Phantasien hatte ich schon in vorpubertären Zeiten. Und wie es<br />

halt so <strong>im</strong> zarten Kin<strong>de</strong>salter ist, wo man Ban<strong>de</strong>n grün<strong>de</strong>t <strong>und</strong> auch so härtere<br />

Spiele macht, Mutproben zum Beispiel. Ich komme aus [Ort], das war da gang<br />

<strong>und</strong> gäbe in dieser Ban<strong>de</strong>. Das war auf je<strong>de</strong>n Fall noch vor <strong>de</strong>r Konfirmation. (...)<br />

Dann gab es Pfadfin<strong>de</strong>rspiele, Gelän<strong>de</strong>spiele <strong>und</strong> so. Ja, <strong>und</strong> dann war halt lange<br />

Schluss, aber die Phantasien blieben. Da kam dann auch das Sexuelle langsam<br />

auf, dass ich das damit verb<strong>und</strong>en habe, phantasiemäßig. Ich dachte ‚Das ist doch<br />

eigentlich ganz geil’. Aber es tat sich nichts, bis ich in eine an<strong>de</strong>re Stadt kam. (...)<br />

Und bin dann also noch als Tourist nach [Stadt] gekommen. Da habe ich vor dreieinhalb<br />

o<strong>de</strong>r vor vier Jahren das erste Mal bewusst aus sexuellen Motiven Flagel-<br />

71


lantismus praktiziert. Ja, so war mein Einstieg in die Szene. (...) Also dazu muss<br />

ich sagen, was bei manchen <strong>de</strong>r Fall ist, dass sie irgendwie <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Eltern geschlagen<br />

wor<strong>de</strong>n sind o<strong>de</strong>r so, war bei mir nie <strong>de</strong>r Fall. Ich bin absolut ohne<br />

Schläge erzogen wor<strong>de</strong>n. Das ist nicht <strong>de</strong>r Einstieg gewesen. So was wird ja oft<br />

angenommen (25 Jahre, M, schwul).<br />

Diese Zugangsmuster verweisen am ehesten auf best<strong>im</strong>mte entwicklungspsychologische Ur-<br />

sachen resp. Störungen für die Entstehung sadomasochistischer Neigungen. So ließe sich bei-<br />

spielsweise ‚Renas’ Masochismus als Konsequenz <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen in Kindheit <strong>und</strong><br />

Jugend mit <strong>de</strong>m autoritären Vater begreifen. Im Fall <strong>von</strong> ‚Manfred’ zeigt sich hingegen das<br />

Gegenteil. Er ist offenbar ohne ‚exzessive’ Zwangsmetho<strong>de</strong>n erzogen wor<strong>de</strong>n. Auffallend an<br />

<strong>de</strong>n Interviewausschnitten ist <strong>de</strong>s Weiteren, dass sich bei <strong>de</strong>r Ausbildung <strong>von</strong> fetischistischen<br />

Interessen ein<strong>de</strong>utiger best<strong>im</strong>mte ‚Schlüsselszenen’ feststellen lassen. So zeigt das Beispiel<br />

‚Joseph’, dass neben <strong>de</strong>r SM-Neigung auch vermutlich eine ‚Prägung’ auf best<strong>im</strong>mte Formen<br />

<strong>de</strong>s Schuhfetischismus stattgef<strong>und</strong>en hat. Explizit wird ein ähnlicher Zusammenhang <strong>von</strong> ei-<br />

nem weiteren Interviewpartner herausgestellt: Das sind dann so Krankenhaus-<br />

Schlüsselszenen. Das ist noch in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren gewesen. Ich glaube, da war ich sechs,<br />

als ich wegen einer Blinddarmoperation ins Krankenhaus musste. Da wur<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>m Arzt<br />

noch auf <strong>de</strong>n Schoß gesetzt. Der hatte eine Gummischürze <strong>und</strong> man kriegte noch eine Maske<br />

auf <strong>de</strong>n Kopf, wo Äther drauf geträufelt wur<strong>de</strong>. Ich wür<strong>de</strong> behaupten, dass da was passiert ist,<br />

dass da was kanalisiert wur<strong>de</strong>. Dann trat das wie<strong>de</strong>r mit dreizehn Jahren auf. Seit<strong>de</strong>m ist das<br />

bei mir so mit diesen fetischistischen, ich habe Tick gesagt, aber es sind Neigungen, Veranla-<br />

gungen. Diese Bef<strong>und</strong>e verweisen auf best<strong>im</strong>mte Erklärungsansätze. So wird <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong><br />

Lerntheorien „gewöhnlich irgen<strong>de</strong>ine Form <strong>de</strong>s klassischen Konditionierens in <strong>de</strong>r sozio-<br />

sexuellen Lerngeschichte [angenommen]. So kann zum Beispiel ein Junge während seiner<br />

ersten sexuellen Erfahrungen vor Bil<strong>de</strong>rn <strong>von</strong> Frauen, die in schwarzes Le<strong>de</strong>r geklei<strong>de</strong>t sind,<br />

masturbieren“ (vgl. Davison 1979, S. 287). An<strong>de</strong>re Autoren (z.B. Winnicott 1969) vermuten<br />

eine best<strong>im</strong>mte Urszene, in <strong>de</strong>r eine Fixierung auf einen fetischistischen Gegenstand erfolgt,<br />

etwa die Gummiunterlage <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rbettes o<strong>de</strong>r best<strong>im</strong>mte Erfahrungen <strong>im</strong> Krankenhaus.<br />

Bei <strong>de</strong>m zweiten Typ liegen <strong>de</strong>r biographischen Strukturierung explizite Theorien zugr<strong>und</strong>e,<br />

die mehr o<strong>de</strong>r weniger eigenwillig auf die individuelle Situation übertragen wer<strong>de</strong>n. In diesen<br />

Fällen überlagert <strong>de</strong>r Erklärungsversuch die tatsächlich erlebten Ereignisse. Die Kindheit wird<br />

nicht anhand <strong>von</strong> biographischen Fakten, son<strong>de</strong>rn beispielsweise als ‚Hospitalismusschock’<br />

o<strong>de</strong>r ‚repressive Erziehungsmetho<strong>de</strong>’ rekonstruiert. Dementsprechend erfährt <strong>de</strong>r Leser o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Forscher nur wenig über die Lebensgeschichte an sich <strong>und</strong> wird statt<strong>de</strong>ssen mit einer theo-<br />

retisch abstrahierten Fassung <strong>de</strong>r Lebensgeschichte konfrontiert. Viele <strong>de</strong>r <strong>von</strong> uns befragten<br />

Personen erwähnten in Vorgesprächen o<strong>de</strong>r Interviews, dass sie wissenschaftliche Theorien,<br />

die sich mit <strong>de</strong>r Genese <strong>de</strong>s Sadomasochismus beschäftigen, auch selbstexplorativ anwen<strong>de</strong>n,<br />

72


um Aufschlüsse über ihr individuelles - <strong>und</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Normalität abweichen<strong>de</strong>s - Triebschick-<br />

sal zu gewinnen:<br />

Nikolaus: Jahrzehntelang habe ich mich mit Verhaltensforschung beschäftigt <strong>und</strong><br />

mich dabei gefragt, ob dies nicht <strong>im</strong> Instinktverhalten nachzuweisen ist. Und die<br />

Antwort musste zunächst einmal ganz klar zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen trennen.<br />

SM wird <strong>von</strong> bei<strong>de</strong>n völlig gegensätzlich empf<strong>und</strong>en. Der Mensch ist ein<br />

Her<strong>de</strong>ntier, das stärkste Männchen leitet das Ru<strong>de</strong>l, die Weibchen gehören alle<br />

ihm, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Nachwuchs muss stark <strong>und</strong> überlebensfähig sein. Die an<strong>de</strong>ren<br />

Männchen bestreiten <strong>de</strong>m Stärksten das Recht <strong>und</strong> kämpfen um die Weibchen. Sie<br />

verlieren dabei <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> ziehen die Verachtung <strong>de</strong>r Weibchen auf sich.<br />

Der Stärkste wird für die Weibchen dadurch <strong>im</strong>mer bew<strong>und</strong>erungswürdiger, anbetungswürdiger.<br />

Ihm gegenüber - <strong>und</strong> nur ihm - entwickelt sich ein glückseliges<br />

Abhängigkeitsgefühl <strong>de</strong>r Geborgenheit, Hörigkeit (Zugehörigkeit). Wenn man so<br />

will: Sklavinnen. Irgendwann hört <strong>de</strong>r Stärkste auf, Stärkster zu sein, wird besiegt<br />

<strong>und</strong> vertrieben <strong>und</strong> er erlebt nun die Verachtung <strong>de</strong>r Weibchen wie viele an<strong>de</strong>re<br />

vor ihm. Die Verlierer müssen mit dieser Verachtung leben. Sie haben überhaupt<br />

keinen Sex, obwohl sie <strong>von</strong> Natur aus reichlich dafür ausgestattet sind. Der Mann<br />

muss zehn Frauen versorgen können, die Frau aber kommt nur je<strong>de</strong>s zehnte Mal<br />

dran. Bei<strong>de</strong> Geschlechter sind dafür programmiert. Die Frauen brauchen es nicht,<br />

die Männer brauchen es o<strong>de</strong>r die Frauen brauchen es nur je<strong>de</strong>s zehnte Mal. Die<br />

Verlierer wären ja schon froh, wenn es eine Frau gäbe, die, wenn sie sie auch verachtet,<br />

<strong>im</strong>merhin akzeptieren wür<strong>de</strong>. (...) Daraus ergibt sich: Junge Frauen neigen<br />

leicht dazu, Sklavin eines einzigen Herrn zu sein. Ist <strong>de</strong>r ‚weg vom Fenster’, hört<br />

die Hörigkeit auf. Er wird verachtet <strong>und</strong> in die Wüste geschickt. (...). Der älter<br />

wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Mann wird daher je länger, je mehr masochistisch, wenn er seinem Instinkt<br />

folgt. Folgt er aber seiner Erziehung, so wird er weiter ‚<strong>de</strong>s Weibes Haupt’<br />

sein wollen, macht sich lächerlich <strong>und</strong> schafft Probleme. Somit ergibt sich: Junge<br />

Frauen <strong>und</strong> alte Männer sind (möglicherweise) Masochisten, während junge Männer<br />

<strong>und</strong> ältere Frauen zur Herrschaft neigen, was sich bei masochistischen Partnern<br />

zum Sadismus ausweiten kann. Der Sadismus als solcher ist niemand auf <strong>de</strong>n<br />

Leib geschrieben. Er wird lediglich vom masochistischen Partner erbeten: Die<br />

Verachtung <strong>de</strong>s Verlierers. (...) In diesen Rahmen muss ich mein Leben stellen<br />

(64 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Ferdinand: Vergewaltigung durch Hospitalismus <strong>im</strong> ersten Lebensjahr <strong>und</strong> autoritäre,<br />

repressive Erziehungsmetho<strong>de</strong>n trugen das ihre dazu bei. Logisch, dass aufoktroyiertes<br />

Schuldbewusstsein durch Religion <strong>und</strong> Kirche nebst subl<strong>im</strong>ierter Sexualität<br />

in <strong>de</strong>r Kleinfamilie eine Rolle gespielt haben (43 Jahre, S/M, bisexuell).<br />

Miriam: Als preußisch <strong>und</strong> protestantisch Erzogene <strong>und</strong> damit als kulturfrommes<br />

Subjekt mit entsprechend ‚gutem Benehmen’ hatte ich S/M als Freiraum ent<strong>de</strong>ckt,<br />

<strong>de</strong>r eine quasi kompensatorische Funktion zu <strong>de</strong>n inzwischen internalisierten<br />

Zwängen erfüllt (27 Jahre, S, lesbisch).<br />

Diese Selbstanalysen sind Ausdruck einer umfassen<strong>de</strong>n Diffusion <strong>von</strong> Mo<strong>de</strong>llen aus Psycho-<br />

analyse <strong>und</strong> Psychologie o<strong>de</strong>r Sozialisationsforschung <strong>und</strong> Pädagogik in das Deutungswissen<br />

73


<strong>von</strong> Sadomasochisten. 45 Insbeson<strong>de</strong>re in aka<strong>de</strong>mischen Kreisen kann die Darstellung <strong>de</strong>r Le-<br />

bensgeschichte auch als Ausdruck theoriegestützter Deutungsmuster begriffen wer<strong>de</strong>n (vgl.<br />

Klausa 1981; Kohli 1981). Und diese Gruppe <strong>de</strong>r höher gebil<strong>de</strong>ten <strong>und</strong> besser verdienen<strong>de</strong>n<br />

Personen ist in <strong>de</strong>r Szene - wie bereits beschrieben - vermutlicherweise überdurchschnittlich<br />

repräsentiert. So ist es wahrscheinlich, dass Sadomasochisten häufig über eine Vorbildung<br />

verfügen, die es ihnen ermöglicht, sich solche Theorien anzueignen. Nicht selten waren sie<br />

ohnehin Bestandteil ihrer Ausbildung, etwa bei <strong>de</strong>n Pädagogen, Psychologen o<strong>de</strong>r Ärzten, die<br />

wir befragt haben. Diese Personen prägen - gleichsam als Meinungsführer - die Diskussionen<br />

in <strong>de</strong>r Szene. Ihre Meinungen <strong>und</strong> Auffassungen über <strong>de</strong>n Sadomasochismus erreichen auch<br />

diejenigen, die <strong>von</strong> sich selbst aus vielleicht nicht mit diesem Wissen in Berührung gekom-<br />

men wären. Wissenschaftliche Erklärungsmo<strong>de</strong>lle diff<strong>und</strong>ieren aber nicht nur über interper-<br />

sonale Kommunikationswege. Diejenigen, die in Ausbildung o<strong>de</strong>r Beruf nicht mit Theorien<br />

<strong>und</strong> Paradigmen zur Genese <strong>de</strong>s Sadomasochismus in Berührung gekommen sind, suchen aus<br />

eigenem Antrieb nach Erklärungsansätzen. Die vielen Sachbücher <strong>und</strong> halbpornographischen<br />

Werke, die in <strong>de</strong>r Szene kursieren, können dabei ein erster Anknüpfungs- <strong>und</strong> Orientie-<br />

rungspunkt sein.<br />

Der dritte Biographie-Typ lässt sich am ehesten als ‚Lebenslauf nach Maß’ charakterisieren,<br />

<strong>de</strong>n Berger (1973, S. 203/204) folgen<strong>de</strong>rmaßen beschreibt: „Nun gibt es allerdings Fälle, in<br />

<strong>de</strong>nen eine Uminterpretation <strong>de</strong>r Vergangenheit absichtlich <strong>und</strong> voll bewusst vorgenommen<br />

wird <strong>und</strong> ein integrierter Bestandteil eines umfassen<strong>de</strong>ren Vorganges ist - wenn es sich näm-<br />

lich um die Konversion zu einer an<strong>de</strong>ren religiösen o<strong>de</strong>r politischen Weltanschauung han<strong>de</strong>lt,<br />

das heißt zu einem neuen Sinnsystem, in <strong>de</strong>ssen übergreifen<strong>de</strong>s Ganzes sich die eigene Bio-<br />

graphie einbeziehen lässt. Der Konvertit kann sein ganzes bisheriges Leben als <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Vor-<br />

sehung gewollten Weg ansehen - bis hin zu <strong>de</strong>m Augenblick, da <strong>de</strong>r Nebel vor seinen Augen<br />

sich lichtete. (...) Etwas <strong>de</strong>rartiges trifft erwiesenermaßen auf religiöse Konversionen <strong>und</strong><br />

mysthische Verwandlungserlebnisse zu. Aber auch säkularisierte Glaubenskomplexe <strong>de</strong>r<br />

Neuzeit bieten ihren Anhängern ähnliche Erlebnisse. (...) In <strong>de</strong>r amerikanischen Gesellschaft<br />

sowie einigen westeuropäischen Län<strong>de</strong>rn verhilft auch die Psychoanalyse vielen Menschen zu<br />

einer sinnvollen Neu- <strong>und</strong> Umordnung biographischer Fragmente. (...) Väter <strong>und</strong> Mütter,<br />

Brü<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Schwestern, Ehefrauen <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Reihe nach in <strong>de</strong>n bro<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

Kessel <strong>de</strong>r Theorie geworfen <strong>und</strong> kommen als metaphorische Wesen <strong>im</strong> psychoanalytischen<br />

Pantheon wie<strong>de</strong>r heraus.“ Auch bei einem Teil <strong>de</strong>r <strong>von</strong> uns befragten Sadomasochisten könnte<br />

45 Die Autobiographie <strong>von</strong> Marcus (1987) ist ein bekannt gewor<strong>de</strong>nes Beispiel, in <strong>de</strong>m sie ausführlich beschreibt,<br />

wie sie bei <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>n Ursachen ihres Masochismus auch wissenschaftliche Erklärungsmo<strong>de</strong>lle<br />

herangezogen hat.<br />

74


die lebensgeschichtliche Verankerung <strong>de</strong>s neuen Sinnsystems möglicherweise Ausdruck <strong>de</strong>r<br />

Suche nach Stabilität für dieses abweichen<strong>de</strong> Verhaltensmuster sein. Ähnlich wie etwa bei<br />

neuen Mitglie<strong>de</strong>rn in Sekten wird <strong>de</strong>r bisherige Lebenslauf als Weg begriffen, <strong>de</strong>r zwangsläu-<br />

fig in die neue Sinnwelt führt:<br />

Franz-Joseph: Ich weiß nicht, was ich vorher gemacht habe. Erst seit ich SM gef<strong>und</strong>en<br />

habe, bin ich wirklich ein Mensch. Eigentlich müsste man allen Menschen<br />

vermitteln, welches Glück <strong>im</strong> Sadomasochismus zu fin<strong>de</strong>n ist (36 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Die ‚Bekehrung’ öffnet <strong>de</strong>n Blick für die eigentliche ‚Berufung’. Nicht selten wird das, was<br />

vorher war, als Irrweg begriffen. Die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Neigung wird zu einem ‚Vom-Saulus-<br />

zum Paulus-Erlebnis’. Bei diesen Personen gewinnt <strong>de</strong>r Sadomasochismus mitunter <strong>de</strong>n Cha-<br />

rakter einer Weltanschauung:<br />

Franz-Joseph: Sadomasochismus ist die bessere Sexualität. Das ist nicht nur das<br />

stupi<strong>de</strong> Herumgebumse wie die an<strong>de</strong>ren das machen. SM ist etwas höheres, etwas<br />

besseres. Das ist ein Weg (36 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Aus diesen ‚Überzeugungen’ kann ein elitärer Anspruch resultieren. Für diese Menschen steht<br />

fest, dass sie <strong>de</strong>n ‚Königsweg’ zu <strong>de</strong>r richtigen <strong>und</strong> besten Sexualität gef<strong>und</strong>en haben. Zweifel<br />

<strong>und</strong> negative Bewertungen in Bezug auf die neue Sinnwelt wer<strong>de</strong>n nicht geäußert. Die Stabili-<br />

tät solcher ‚Erleuchtungen’ wäre aber zu prüfen. Erste Eindrücke, die wir in diesem <strong>Kontext</strong><br />

gewonnen haben, weisen daraufhin, dass - um diese Metapher noch einmal aufzugreifen - aus<br />

<strong>de</strong>m Paulus wie<strong>de</strong>r sehr schnell ein Saulus wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Ungeachtet <strong>de</strong>r inhaltlichen bzw. funktionalen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Lebensgeschichte ist fest-<br />

zuhalten: Die Antwort auf die Frage nach <strong>de</strong>r Herkunft <strong>de</strong>r SM-Neigung erbringt für <strong>de</strong>n For-<br />

scher in einigen Fällen nur wenig Aufschlüsse über ätiologische Zusammenhänge. Ihm wird<br />

nicht das Material für eine Erklärung angeboten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r bereits erfolgte Versuch einer<br />

Erklärung. Der Sadomasochist, <strong>de</strong>r sich beispielsweise mit Freud <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Psychoanalyse be-<br />

schäftigt hat, wird entsprechend best<strong>im</strong>mte biographische Selektionen präsentieren, die in<br />

diese Denktradition hineinpassen.<br />

Gleichwohl sind diese Zusammenhänge interessant. Sadomasochismus ist nicht ohnmächtiges<br />

Triebschicksal, son<strong>de</strong>rn auch Focus <strong>von</strong> Selbstreflexion, Selbstthematisierung <strong>und</strong> Selbststili-<br />

sierung. In Anlehnung an Hahn (1987) könnte man <strong>von</strong> einem Biographie-Generator spre-<br />

chen. Wesentlicher Antrieb für die Suche nach <strong>de</strong>m roten Fa<strong>de</strong>n ist die Wahrnehmung <strong>de</strong>r<br />

Differenz <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Normalität <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren <strong>und</strong> die eigene Abweichung. Die Frage ‚Warum bin<br />

ich so?’ forciert so die Suche nach Sinn. Die biographischen Selektionen geben Aufschluss<br />

75


darüber, wie I<strong>de</strong>ntitäten in <strong>de</strong>n jeweiligen Spezialkulturen generiert <strong>und</strong> stabilisiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Sie sind Ausdruck eines beständigen Aushan<strong>de</strong>lns <strong>de</strong>r subjektiven I<strong>de</strong>ntität. Dementsprechend<br />

haben die Personen, die ihren Zugang zu SM in <strong>de</strong>r Lebensgeschichte verankert sehen, nicht<br />

nur best<strong>im</strong>mte ‚objektive’ Lebensumstän<strong>de</strong> rekapituliert, son<strong>de</strong>rn auch ihr Bestreben doku-<br />

mentiert, ein beständiges Selbstbild zu entwickeln.<br />

1.3 Persönliche Beziehungen<br />

Personen, die sadomasochistische Neigungen bei sich ent<strong>de</strong>ckt haben, wollen ihre diesbezüg-<br />

lichen Wünsche <strong>und</strong> Bedürfnisse zumeist auch realisieren. Die Möglichkeiten dafür sind un-<br />

terschiedlich: „Dazu kann die unmittelbare Bereitstellung <strong>von</strong> Pornographie gehören, <strong>von</strong><br />

Le<strong>de</strong>rbekleidung; damit kann <strong>de</strong>r Raum gemeint sein, in <strong>de</strong>m die sadomasochistischen Inte-<br />

ressen nicht verhe<strong>im</strong>licht wer<strong>de</strong>n müssen. Meist ist auch ein Bedürfnis gemeint, einfach mit<br />

an<strong>de</strong>ren Menschen re<strong>de</strong>n zu können. Im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> steht die Realisierung in einer partner-<br />

schaftlichen sadomasochistischen Beziehung, die Suche nach einem ‚passen<strong>de</strong>n’ Partner“<br />

(Spengler 1979, S. 38). Das Ausleben <strong>de</strong>r ‚Obsessionen’ in <strong>de</strong>n Medien-Welten <strong>de</strong>r Porno-<br />

graphie o<strong>de</strong>r durch die Nutzung kommerzieller Angebote <strong>von</strong> Dominas <strong>und</strong> Prostituierten ist<br />

für <strong>de</strong>n Einzelnen - sofern die finanziellen Ressourcen ausreichen - ohne größere Probleme zu<br />

verwirklichen. Zumeist wer<strong>de</strong>n aber feste Beziehungen angestrebt. Wie die Chancen bei <strong>de</strong>r<br />

Suche nach einem entsprechen<strong>de</strong>n Partner verteilt sind <strong>und</strong> welche typischen Beziehungsmus-<br />

ter nachgezeichnet wer<strong>de</strong>n können, ist <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n untersucht.<br />

1.3.1 Chancen bei <strong>de</strong>r Partnerwahl<br />

Wie bereits dargestellt, sind Frauen in <strong>de</strong>r SM-Szene gegenüber <strong>de</strong>n Männern in <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>r-<br />

zahl. Dementsprechend ist schon die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Männer eine Part-<br />

nerin fin<strong>de</strong>n, geringer als <strong>im</strong> umgekehrten Fall. Bei einigen gestaltet sich die SM-Neigung als<br />

permanenter <strong>und</strong> erfolgloser Versuch, eine Partnerin zu fin<strong>de</strong>n. Der Weg über die Kontaktan-<br />

zeige führt häufig zu einer professionellen Domina <strong>und</strong> überhaupt bietet das Dominastudio<br />

mitunter die einzige Chance, die SM-Interessen auszuleben:<br />

Alfred: Partnerinnen fin<strong>de</strong> ich auf privater Ebene überhaupt keine, trotz etlicher<br />

Versuche. Zwei Partnerinnen haben am Anfang, als wir uns neu kennen lernten<br />

<strong>und</strong> die Begeisterung noch groß war, mitgespielt. Ich glaube, dass sie auch selber<br />

Spaß daran hatten. Mit <strong>de</strong>r ersten Partnerin ging das dann aber schnell auseinan<strong>de</strong>r.<br />

Und mit meiner jetzigen Partnerin, mit <strong>de</strong>r ich schon acht Jahre zusammen<br />

bin, war es so, dass ich mich am Anfang nicht getraut habe, was zu sagen. Nach<br />

etwa einem Jahr bin ich damit rausgerückt, <strong>und</strong> dann hat sie auch anfangs mitge-<br />

76


macht. (...) Das wur<strong>de</strong> dann <strong>im</strong>mer weniger <strong>und</strong> seit drei Jahren haben wir nichts<br />

mehr praktiziert. Wenn ich jetzt SM praktizieren will, bin ich auf professionelle<br />

Angebote angewiesen (37 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Willi: Dominante Frauen ohne finanzielle Interessen sind über Kontaktanzeigen<br />

kaum zu fin<strong>de</strong>n. Ich schätze, dass die Mehrzahl <strong>de</strong>r Frauen auf Wunsch ihres Partners<br />

diese Rolle ergriffen hat <strong>und</strong> darum nicht auf <strong>de</strong>r Suche nach einem Partner<br />

ist. Auf eigene Inserate habe ich eine einzige Antwort erhalten, doch hat sich die<br />

betreffen<strong>de</strong> Frau auch nicht zu einem näheren Kennenlernen entschließen können.<br />

Bezahlte Dominas gibt es viele <strong>und</strong> einzelne da<strong>von</strong> (die teuersten) sind auch sehr<br />

fair <strong>und</strong> mit Talent gesegnet. Der alleinstehen<strong>de</strong> Masochist ohne Geld hat wohl<br />

<strong>de</strong>n schwierigsten Stand in <strong>de</strong>r ganzen Szene (32 Jahre, M, heterosexuell).<br />

In <strong>de</strong>n Domina-Studios fin<strong>de</strong>t sich aber nur die professionelle Partnerin, <strong>und</strong> in ‚normalen’<br />

Kneipen ist die Suche nach einem ‚Pendant aus Lei<strong>de</strong>nschaft’ durch Konventionen beschnit-<br />

ten:<br />

Ralf: Ich kann ja schlecht eine Frau in einem Lokal ansprechen, ob sie vielleicht<br />

sadomasochistisch veranlagt ist. Ich habe das einmal gemacht <strong>und</strong> ich hätte geschworen,<br />

es wäre eine dominante Frau. Sie hatte Stiefel <strong>und</strong> ein Le<strong>de</strong>rkostüm an.<br />

Normalerweise mache ich das nicht, aber ich war es einfach leid, <strong>im</strong>mer Partnerinnen<br />

zu fin<strong>de</strong>n, die nachher doch nicht passen. (...) Sie war aber keine, <strong>und</strong><br />

durch meine direkte Frage habe ich mir eine gepfefferte Ohrfeige eingefangen.<br />

Außer<strong>de</strong>m war es sehr peinlich (53 Jahre, M., heterosexuell).<br />

Weil Sadomasochismus mit negativen Attributen wie z.B. pervers o<strong>de</strong>r ekelhaft assoziiert<br />

wird, löst die Frage danach empörte Reaktionen aus. Nur in <strong>de</strong>n Rahmen, die <strong>von</strong> vornherein<br />

als SM-Räume <strong>de</strong>finiert sind, wird ein gezieltes Werbungsverhalten nicht als Affront aufge-<br />

fasst. Hier ist das Stigma etwas Normales <strong>und</strong> Selbstverständliches, <strong>de</strong>nn die „sympathisie-<br />

ren<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren“ wissen „aus eigener Erfahrung (...), was es be<strong>de</strong>utet, dieses best<strong>im</strong>mte Stig-<br />

ma zu haben“ (Goffman 1967, S. 31). Sie betrachten ihresgleichen nicht als „diskreditierte<br />

Person“ (ebd., S. 26). Sadomasochisten begegnen dieser Unvoreingenommenheit - welche die<br />

Kontaktanbahnung erst ermöglicht - meist nur in ihren Son<strong>de</strong>rwelten. Gera<strong>de</strong> bei Partys <strong>und</strong><br />

ähnlichen Veranstaltungen ist <strong>de</strong>m alleinstehen<strong>de</strong>n Mann <strong>de</strong>r Zutritt versagt, damit das Zah-<br />

lenverhältnis <strong>von</strong> Männern <strong>und</strong> Frauen nicht noch ungleichgewichtiger wird. Für heterosexu-<br />

elle Frauen mit SM-Neigungen ist die Situation an<strong>de</strong>rs:<br />

Theresa: Dann fing die Suche wie<strong>de</strong>r an <strong>und</strong> ich habe selbst eine Anzeige aufgegeben.<br />

Ich hatte ein überwältigen<strong>de</strong>s Resultat, <strong>und</strong> zwar 78 Briefe. Es war toll. Ich<br />

war auch ganz überrascht, wie poetisch Männer sein können. Es waren wirklich<br />

nur drei Briefe dabei, die ich wirklich abstoßend fand. Ich habe die Leute angerufen<br />

<strong>und</strong> mich mit einigen getroffen, wobei mir einer sehr gut gefallen hatte (22<br />

Jahre, M, heterosexuell).<br />

77


Klara: Als Frau kriegst du H<strong>und</strong>erte <strong>von</strong> Zuschriften. Dadurch, dass es in die<br />

Richtung auch sehr viele Spielarten gibt, musst du halt auch gucken, wen du anrufst,<br />

mit wem du dich triffst <strong>und</strong> wie das alles abläuft. Einen Kontakt herzustellen,<br />

ist überhaupt kein Problem, als Frau fressen einem die Männer in <strong>de</strong>r SM-<br />

Szene aus <strong>de</strong>r Hand (34 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Die Knappheitsbedingungen auf <strong>de</strong>m Beziehungsmarkt für Männer schaffen ein ‚Überan-<br />

gebot’ für Frauen. Ihre Chancen, einen geeigneten Gefährten zu fin<strong>de</strong>n, sind ungleich günsti-<br />

ger als umgekehrt. In <strong>de</strong>n Spezialkulturen <strong>de</strong>r SM-Schwulen haben wir dagegen keine Prob-<br />

leme <strong>und</strong> Schwierigkeiten mit <strong>de</strong>r Partnersuche nachzeichnen können:<br />

Albert: Durch die Subkultur hat ein Schwuler sowieso mehr Fre<strong>und</strong>e, sozusagen<br />

mehr Eisen <strong>im</strong> Feuer. Wenn da eine Partnerschaft auseinan<strong>de</strong>r geht, fin<strong>de</strong>t man<br />

normalerweise wie<strong>de</strong>r schnell einen Partner. Das ist kein Problem. Auch bei SM<br />

nicht (...). (27 Jahre, M, schwul).<br />

Im Gegenteil, <strong>de</strong>r Tenor <strong>de</strong>r <strong>von</strong> uns erfassten Äußerungen macht <strong>de</strong>utlich, dass es auf <strong>de</strong>m<br />

Beziehungsmarkt <strong>de</strong>r SM-Schwulen offensichtlich keine Knappheitsphänomene gibt. Etwas<br />

an<strong>de</strong>rs verhält es sich bei <strong>de</strong>n SM-Lesben. Sie bil<strong>de</strong>n unter personeller Perspektive eine kleine<br />

Szene, die zu<strong>de</strong>m nur in größeren Städten zu fin<strong>de</strong>n ist. Demnach ist die Partnerinnensuche<br />

durch wenige Beziehungsalternativen <strong>und</strong> geographische Bedingungen erschwert.<br />

Viktoria: Es ist so, dass unser Kreis sehr klein ist. (...) Ich habe <strong>im</strong>mer sehr lange<br />

suchen müssen, ehe ich eine Partnerin gef<strong>und</strong>en habe. Bis vor acht Jahren habe<br />

ich in [Großstadt] gewohnt, da habe ich schon mal eher was gef<strong>und</strong>en. Seit ich<br />

hier in <strong>de</strong>r Provinz bin, ist es sehr schwer. Wenn es irgend ging, habe ich meinen<br />

Urlaub in <strong>de</strong>r Großstadt gemacht. Da war ich wenigstens ein bisschen aus <strong>de</strong>m<br />

Ghetto heraus (28 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Damit die Suche nach Partnerinnen nicht aussichtslos ist, haben die SM-Lesben eine eigene<br />

Form <strong>de</strong>r Partnerinnenvermittlung etabliert (vgl. Wetzstein u.a. 1993). Welche Struktur die<br />

hetero- <strong>und</strong> homosexuellen Partnerschaften haben, wenn sie sich erst einmal konstituieren<br />

konnten, ist Gegenstand <strong>de</strong>s nächsten Kapitels.<br />

1.3.2 Monogame Beziehungen<br />

Feste Partnerschaften o<strong>de</strong>r gar die Ehe sind Begriffe, die in <strong>de</strong>n landläufigen Vorstellungen<br />

<strong>von</strong> sexuellen Abweichungen keinen Platz haben. Ausschweifungen <strong>und</strong> ein ‚zügelloses Ge-<br />

schlechtsleben’ sind eher Attribute, die <strong>de</strong>n „sexuellen Außenseitern“ (S<strong>im</strong>on/Gagnon 1970)<br />

zugeschrieben wer<strong>de</strong>n. Auch in <strong>de</strong>r Wissenschaft sind solche Be<strong>de</strong>nken nicht selten, so etwa,<br />

wenn Kaunitz (1977, S. 80) die Ehe eines sadomasochistischen Paares als „living hell for<br />

78


oth“ bezeichnet. Damit wird unterschwellig die Vorstellung artikuliert, SM sei mit Lebens-<br />

formen wie einer festen Partnerbeziehung nicht in Einklang zu bringen. Wie beurteilen Akteu-<br />

re ihre Beziehung? Dazu zunächst die Lesben:<br />

Vanna: Ja, also ich selber fahre mehr auf Monogamie ab. Ich habe das mal versucht,<br />

so mit Nicht-Monogamie, so aus einem feministischen I<strong>de</strong>al heraus, also<br />

nach <strong>de</strong>m Motto ‚Monogamie ist die Stütze <strong>de</strong>s Patriarchats’. Aber ich bin einfach<br />

zu eifersüchtig <strong>und</strong> zu besitzergreifend. Das kriege ich nicht hin (22 Jahre, S/M,<br />

lesbisch).<br />

Brigitte: Ich habe mir schon vor dieser Beziehung Gedanken darüber gemacht, ob<br />

eine Zweierbeziehung Bedingung ist. Und ich dachte: ‚Was an<strong>de</strong>res, das kannst<br />

du dir nicht vorstellen.’ Für mich muss ich sagen, dass ich damit gut klarkomme.<br />

Es ist das, was ich <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e genommen will: in einer monogamen Zweierbeziehung<br />

leben (27 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Einige lesbische Frauen können sich Sexualität <strong>und</strong> Sadomasochismus nur in dyadischen Be-<br />

ziehungen vorstellen. Die Vorstellung einiger Feministinnen, wonach Monogamie als patriar-<br />

chale I<strong>de</strong>ologie abzulehnen sei, ist in <strong>de</strong>r Szene umstritten. Bei Schwulen ist dieses monoga-<br />

me Muster hingegen seltener (vgl. Dannecker/Reiche 1974). Wie noch gezeigt wird, gibt es<br />

bei ihnen promiskuitive Angebote, die gleichsam selbstverständlich in <strong>de</strong>n Alltag <strong>de</strong>r Sub<br />

eingeb<strong>und</strong>en sind. So sind etwa die Verhaltensformen in <strong>de</strong>n Darkrooms ein Indikator dafür,<br />

dass Monogamie nicht unbedingt ein zentraler Wert in <strong>de</strong>r schwulen Subkultur ist. Gleich-<br />

wohl gibt es auch in dieser Szene feste Paarbeziehungen, wie die zahlreichen Heiratsanträge<br />

<strong>von</strong> schwulen Paaren in <strong>de</strong>r jüngsten Vergangenheit belegen. Möglicherweise ist bei diesen<br />

Schwulen die sexuelle Treue <strong>von</strong> zentraler Be<strong>de</strong>utung. Auch bei heterosexuellen Paaren kann<br />

die ausschließliche Beziehung zu einem Partner typisch sein:<br />

Marlene: Ich <strong>de</strong>nke, Grenzen verän<strong>de</strong>rn sich. Aber ein paar Dinge sind für uns<br />

fest. Die haben aber auch nicht unbedingt was mit SM zu tun. Zum Beispiel, dass<br />

man nichts mit an<strong>de</strong>ren Partnern macht, son<strong>de</strong>rn nur in <strong>de</strong>r Beziehung. Vielleicht<br />

könnte ich es mir noch innerhalb unserer Gruppe vorstellen, also auf ganz niedrigem<br />

Niveau, z.B. so ein Kostümball, aber ohne anfassen. Also bei Sachen, die mit<br />

Treue zu tun haben, da hört <strong>de</strong>r Spaß einfach auf. Das ist eine gr<strong>und</strong>sätzliche Beziehungsfrage,<br />

die eine Grenze setzt (27 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Alice: Ich erlebe SM ausschließlich in <strong>de</strong>r Zweierbeziehung. Wir sind seit 30 Jahren<br />

verheiratet <strong>und</strong> haben einen zwanzigjährigen gemeinsamen SM-Weg hinter<br />

uns. Gruppenangebote <strong>und</strong> Partys mit Gruppensex spielen für mich keine Rolle.<br />

Toni: Ich erlebe SM nur in <strong>de</strong>r Beziehung mit meiner Gattin. Wir sind bald 30<br />

Jahre lang verheiratet <strong>und</strong> freuen uns <strong>im</strong>mer noch am SM-Spiel, das wir durch die<br />

Jahre hindurch aufgebaut <strong>und</strong> verfeinert haben (Alice, 51 Jahre, S; Toni, 52 Jahre,<br />

M, bei<strong>de</strong> heterosexuell).<br />

79


Für einen Teil <strong>de</strong>r heterosexuellen Sadomasochisten ist die Suche nach an<strong>de</strong>ren Partnern tabu.<br />

Sie leben ihre Spezialisierung ausschließlich in <strong>de</strong>r Zweierbeziehung aus. Nicht selten han<strong>de</strong>lt<br />

es sich dabei um (Ehe)Paare, die ihre Neigung nur in <strong>de</strong>n vier Wän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s eigenen Schlaf-<br />

z<strong>im</strong>mers zelebrieren. Dem Außenstehen<strong>de</strong>n wird die Fassa<strong>de</strong> eines bürgerlichen Lebens gebo-<br />

ten, das keinen Anlass zu Vermutungen in Bezug auf best<strong>im</strong>mte Sexualpraktiken gibt. Sado-<br />

masochismus ist bei diesen Personen Teil <strong>de</strong>s familiären Privatismus, ohne dass es Berührun-<br />

gen mit <strong>de</strong>r ‚Szene’ gibt. Solche ‚secret lives’ können mitunter sehr stabil <strong>und</strong> in eine lebens-<br />

lange Partnerschaft eingebettet sein. Es gibt also Frauen, die genau wie Männer, ihren Sadis-<br />

mus o<strong>de</strong>r Masochismus <strong>im</strong> Verborgenen ausleben. Sie sind bislang aber kaum untersucht <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>mentsprechend in <strong>de</strong>n einzelnen Studien nicht berücksichtigt wor<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m Hin-<br />

tergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r möglicherweise privateren weiblichen Sexualität sind die Verhaltensformen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r erotische Habitus dieser Frauen noch ein ‚weißer Fleck’ auf <strong>de</strong>r sexualwissenschaftlichen<br />

Karte. Ihre Erk<strong>und</strong>ung ist aber gleichwohl eine wichtige Aufgabe. Sie könnte mit dazu beitra-<br />

gen, ein genaueres Bild <strong>von</strong> <strong>de</strong>r weiblichen Sexualität <strong>und</strong> damit auch <strong>de</strong>s Sadomasochismus<br />

bei Frauen zu zeichnen.<br />

Gleichsam eine Subform <strong>de</strong>r Monogamie sind Beziehungen, in <strong>de</strong>nen nur einer <strong>de</strong>r Partner<br />

eine Vorliebe für solche Neigungen entwickelt <strong>und</strong> sie nicht mit <strong>de</strong>m Partner ausleben kann.<br />

Als Ersatz wird <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>r sexuelle Kontakt zu einer dritten Person hergestellt. Auffallend-<br />

erweise haben wir diese spezifische triadische Struktur nur bei heterosexuellen Männern fest-<br />

stellen können:<br />

Felix: Ich lebe meinen Masochismus mit einer an<strong>de</strong>ren Frau aus. Ich passe nur<br />

auf, dass meine Ehefrau nicht darunter lei<strong>de</strong>t. Der habe ich das an<strong>de</strong>utungsweise<br />

gesagt, dass ich diese Veranlagung habe <strong>und</strong> auch geschil<strong>de</strong>rt, dass ich zeitweilig<br />

mit Dominas befre<strong>und</strong>et war. Da ich eine sehr intelligente <strong>und</strong> sehr kluge Frau<br />

habe, die wesentlich mehr <strong>de</strong>nkt <strong>und</strong> weiß, als sie k<strong>und</strong>tut, gehe ich da<strong>von</strong> aus,<br />

dass sie die Zusammenhänge weiß <strong>und</strong> zufrie<strong>de</strong>n ist, dass wir miteinan<strong>de</strong>r eine<br />

sehr, sehr glückliche Ehe haben. Denn sie hat mir ganz klar signalisiert, das ginge<br />

bei ihr unter gar keinen Umstän<strong>de</strong>n. Damit war das Thema passé (55 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Die außerpartnerschaftliche SM-Beziehung <strong>und</strong> die SM-Neigung generell wer<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>r<br />

Lebenspartnerin verhe<strong>im</strong>licht. Der Sadomasochismus wird gezielt aus <strong>de</strong>r Dauerbeziehung<br />

fern gehalten <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Versuch einer Integration wird nicht unternommen. Die Fassa<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

‚Normalen’ wird auch gegenüber <strong>de</strong>r Lebenspartnerin aufrechterhalten. Nur die sadomaso-<br />

chistische Geliebte hat als Komplizin Zutritt hinter die Kulissen. Deswegen ist es auch nicht<br />

verw<strong>und</strong>erlich, dass einige Dominas ihre K<strong>und</strong>en in mancherlei Hinsicht besser kennen als<br />

die Ehefrau.<br />

80


Wie schon ange<strong>de</strong>utet, treffen manche Paare auch ein Übereinkommen, wonach sich einer <strong>de</strong>r<br />

Partner dazu bereit erklärt, die sadomasochistischen Vorstellungen <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren mitzuspie-<br />

len. 46 Dies aber weniger aufgr<strong>und</strong> eigener Bedürfnisse, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>m Gefühl heraus, <strong>de</strong>m<br />

Partner einen Gefallen tun zu müssen o<strong>de</strong>r auch aus <strong>de</strong>r Angst, ihn zu verlieren. Die Erlebnis-<br />

qualität, die durch solche Zugeständnisse hergestellt wird, ist für bei<strong>de</strong> Seiten vermutlich un-<br />

befriedigend <strong>und</strong> kann Konflikte schaffen. Ähnliche Spannungsfel<strong>de</strong>r tauchen zwar auch <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>de</strong>r ‚normalen’ Beziehungen auf, dort gibt es in <strong>de</strong>r Regel aber keine Unverträglich-<br />

keiten hinsichtlich <strong>de</strong>r sexuellen Praktiken. Zu<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r Partnermarkt zahlenmäßig nicht so<br />

drastisch l<strong>im</strong>itiert.<br />

1.3.3 Promiskuitive Beziehungen<br />

Seit <strong>de</strong>n fünfziger Jahren hat die Bereitschaft zur Variation <strong>de</strong>r sexuellen Praktiken <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Beziehung zu an<strong>de</strong>ren Partnern zugenommen. Je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>uten die Ergebnisse <strong>de</strong>r wichtigs-<br />

ten empirischen Studien darauf hin. In ihrer Untersuchung zum Sexualverhalten <strong>de</strong>s Mannes<br />

gehen Kinsey u.a. (1948/1967) da<strong>von</strong> aus, dass etwa die Hälfte <strong>de</strong>r Männer außereheliche<br />

Beziehungen unterhalten. Für Frauen stellen Kinsey u.a. (1953/1967) fest, dass etwa 17% <strong>im</strong><br />

Alter <strong>von</strong> 29-40 Jahren außereheliche Partnerschaften eingehen. L.v. Frie<strong>de</strong>burg (1953) zu-<br />

folge unterhalten 23% <strong>de</strong>r Männer <strong>und</strong> 10% <strong>de</strong>r Frauen sexuelle Beziehungen neben <strong>de</strong>r Ehe.<br />

Wottawa (1979) zufolge haben 28% <strong>de</strong>r Ehefrauen schon einmal außerehelichen Verkehr ge-<br />

habt, bei <strong>de</strong>n Männern betrug <strong>de</strong>r Anteil 53%. Hite (1988) konstatiert, dass 70% <strong>de</strong>r Frauen,<br />

die mehr als fünf Jahre <strong>und</strong> 72% <strong>de</strong>r Männer, die mehr als zwei Jahre verheiratet sind, schon<br />

außerpartnerschaftliche Beziehungen hatten. Schnabl (1988, S. 522) schreibt aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

empirischen Daten: „In min<strong>de</strong>stens je<strong>de</strong>r zweiten Ehe hatte min<strong>de</strong>stens ein Partner min<strong>de</strong>stens<br />

einmal außereheliche Beziehungen. Damit sollen gemeint sein: erotische <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r sexuelle<br />

Beziehungen zwischen Partnern, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen min<strong>de</strong>stens einer mit einer an<strong>de</strong>ren Person verhei-<br />

ratet ist o<strong>de</strong>r in eheähnlicher Gemeinschaft lebt.“ Promiskuitive Sexualkontakte scheinen<br />

46 Weil insbeson<strong>de</strong>re Männer wissen, dass sie alleine auf <strong>de</strong>r Suche nach neuen Partnerinnen möglicherweise<br />

chancenlos sind, nehmen sie mit ihrer Gefährtin vorlieb. Man könnte hier - ganz <strong>im</strong> Sinne Eckert u.a. (1989)<br />

- <strong>von</strong> Konsensfiktionen sprechen, die auch in ‚normalen’ Ehen zur Herstellung eines best<strong>im</strong>mten Ausmaßes<br />

an Konsens benötigt wer<strong>de</strong>n. Diese Konstruktionen sind für die Kontinuität <strong>de</strong>r Partnerschaft wichtig: "Die<br />

Beziehungen leben <strong>von</strong> jenem Vertrauen in vorhan<strong>de</strong>nen Konsens <strong>und</strong> wären ohne es nicht <strong>de</strong>nkbar. Tatsächlich<br />

überzieht die Konsensunterstellung nicht nur <strong>de</strong>n faktisch gegebenen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n je möglichen.<br />

Aber gera<strong>de</strong> dieser Kredit - <strong>de</strong>r sich als solcher nicht durchschaut - hält die Beziehungen aufrecht." (ebd., S.<br />

53). Unter Knappheitsbedingungen ist aber sogar die durchschaute Fiktionalität <strong>de</strong>s Konsens noch tragfähig,<br />

<strong>de</strong>nn nicht wenigen <strong>de</strong>r Befragten ist die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit <strong>und</strong> Anspruch <strong>im</strong> Verlaufe <strong>de</strong>r<br />

Beziehung durchaus bewusst gewor<strong>de</strong>n. Insofern ist das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Konsensfiktionen nur bedingt anwendbar.<br />

81


mittlerweile also ein verbreitetes Phänomen zu sein. 47 Auch ein Teil <strong>de</strong>r hetero- <strong>und</strong> homose-<br />

xuellen Sadomasochisten mit <strong>und</strong> ohne festen Partner unterhält Int<strong>im</strong>beziehungen zu ver-<br />

schie<strong>de</strong>nen Personen. Für die partnerlosen Personen ist dies oft <strong>de</strong>r einzige Weg, mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger regelmäßig sexuelle Kontakte zu haben. Bei <strong>de</strong>njenigen, die in einer festen Bezie-<br />

hung leben, <strong>im</strong>pliziert die Entscheidung für einen Lebenspartner aber nicht - wie <strong>im</strong> Falle<br />

monogamer Beziehungen - die Festlegung auf einen Sexualpartner. Bei<strong>de</strong> sind sich darüber<br />

einig, dass <strong>de</strong>r Kontakt zu an<strong>de</strong>ren Sexualpartnern wichtig <strong>und</strong> legit<strong>im</strong> ist. Oft spielen dabei<br />

Tauscharrangements <strong>im</strong> weitesten Sinn eine Rolle, so dass auch die auf <strong>de</strong>m Beziehungsmarkt<br />

weniger erfolgreichen Männer Partnerinnen fin<strong>de</strong>n können. Die beson<strong>de</strong>ren Bedingungen auf<br />

<strong>de</strong>n ‚Liebesmärkten’ in <strong>de</strong>r sadomasochistischen Spezialkultur schaffen so Gelegenheiten für<br />

das Einüben promiskuitiver Verhaltensformen, ähnlich, wie sie bei <strong>de</strong>n Schwulen zu fin<strong>de</strong>n<br />

sind:<br />

Lisa: Mein Traum war <strong>im</strong>mer, mit zwei Männern zu schlafen, <strong>und</strong> ich habe das<br />

dann irgendwann vor ein paar Jahren erlebt. Da war es ein Fiasko. Heute ist es<br />

an<strong>de</strong>rs. Heute treffen mein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> ich uns regelmäßig mit noch einem Mann.<br />

Und wir machen uns einen richtig schönen sexuellen Abend mit SM. Und ich<br />

kriege wirklich alles als Frau. Ich genieße das (38 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Albert: Mein Partner hat noch an<strong>de</strong>re Fre<strong>und</strong>e, mit <strong>de</strong>nen ist er auch schon in Urlaub<br />

gefahren <strong>und</strong> nicht mit mir. Was nicht weiter schl<strong>im</strong>m ist, ich bin dann mit<br />

einem an<strong>de</strong>ren schwulen Fre<strong>und</strong> in Urlaub gefahren. Wenn ich mir das recht überlege,<br />

ist das schon erstaunlich, dass da keine Eifersucht aufkommt. Aber wir kennen<br />

uns alle kreuz <strong>und</strong> quer. Wir schätzen uns menschlich <strong>und</strong> fin<strong>de</strong>n uns sympathisch.<br />

Deswegen ist das vielleicht so. Vielleicht wäre es was an<strong>de</strong>res, wenn ich<br />

seine Fre<strong>und</strong>e unsympathisch fän<strong>de</strong> (25 Jahre, M, schwul).<br />

Lina: Heute habe ich keine feste Zweierkiste mehr, weil ich nicht monogam bin<br />

<strong>und</strong> so etwas nicht vertrage. Ich habe viele Liebesbeziehungen nebeneinan<strong>de</strong>r,<br />

<strong>und</strong> habe <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r die Ten<strong>de</strong>nz, ‚Symbiose <strong>und</strong> Beziehung, bis dass <strong>de</strong>r Tod<br />

uns schei<strong>de</strong>t’. Und dann irgendwann, manchmal mit großen Schmerzen, manchmal<br />

ohne Schmerzen, ist die Kiste aus (33 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Sexuelle Kontakte zu an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb bei diesen Sadomasochisten keineswegs zu<br />

einem Vabanque-Spiel, in <strong>de</strong>m die Beziehung zum Lebenspartner je<strong>de</strong>s mal riskiert wird. Im<br />

Gegenteil, das promiskuitive Sexualverhalten kann die Lebensgemeinschaft stabilisieren,<br />

<strong>de</strong>nn die ‚amourösen Abenteuer’ wer<strong>de</strong>n als aus <strong>de</strong>r Beziehung ausgelagerte Formen <strong>de</strong>r indi-<br />

47 Die dargestellten Forschungsergebnisse bestärken zwar die Vermutung, wonach promiskuitives Sexualverhalten<br />

zugenommen hat, ihre Generalisierbarkeit ist aber eingeschränkt: Erstens gibt es keine zuverlässigen<br />

<strong>und</strong> kontinuierlich erhobenen Zahlen <strong>und</strong> zweitens sind die Stichproben <strong>de</strong>r einzelnen Studien zumeist<br />

nicht repräsentativ.<br />

82


viduellen Bedürfnisbefriedigung <strong>und</strong> keineswegs als Attacke auf die Partnerschaft interpre-<br />

tiert. Dementsprechend können die Optionen für die Befriedigung sexueller Wünsche in pro-<br />

miskuitiven Partnerschaften gewählt wer<strong>de</strong>n. Sie wer<strong>de</strong>n in verschie<strong>de</strong>nen personellen Kons-<br />

tellationen (z.B. mit <strong>de</strong>m eigenen Partner <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren gleichzeitig o<strong>de</strong>r <strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r unab-<br />

hängig) realisiert <strong>und</strong> zumeist nicht verhe<strong>im</strong>licht. 48 Die sexuellen Vorstellungen wer<strong>de</strong>n in<br />

diesen Paarbeziehungen nach <strong>de</strong>m Motto ‚Erlaubt ist, was gefällt’ verwirklicht. Promiskuität<br />

wird aber nicht - wie in <strong>de</strong>n sechziger Jahren - als das En<strong>de</strong> repressiver Strukturen (vgl.<br />

Schra<strong>de</strong>r-Klebert 1969) o<strong>de</strong>r als das I<strong>de</strong>al einer erotischen Partnerschaftskultur i<strong>de</strong>ologisiert<br />

<strong>und</strong> stilisiert. Der Umgang mit <strong>de</strong>r sexuellen Treue ist pragmatisch, ganz <strong>im</strong> Sinne einer Ab-<br />

wägung <strong>von</strong> persönlichen Vor- <strong>und</strong> Nachteilen. 49 Promiskuität ist hier die beidseitige Einlö-<br />

sung eines Individualitätsanspruches. Das Paar begreift sich nicht als ‚Wir’, son<strong>de</strong>rn als ‚Ich’<br />

<strong>und</strong> ‚Ich’. Es gilt nicht mehr - wie <strong>im</strong> romantischen Liebesi<strong>de</strong>al 50 - eine paarzentrierte eigene<br />

Welt zu erschaffen. Vielmehr ist die Paarbeziehung in einen Partialisierungsprozess einge-<br />

b<strong>und</strong>en, <strong>de</strong>r die Rolle <strong>de</strong>r Eheleute in <strong>im</strong>mer mehr Teilrollen zerlegt, die wie<strong>de</strong>rum mit <strong>de</strong>r<br />

Partizipation an je spezifischen Sinnwelten verb<strong>und</strong>en sind. Sicherlich gibt es gemeinsame<br />

Interessen <strong>und</strong> emotionale Bindungen, es herrscht aber kein Gemeinsamkeitszwang.<br />

Die in diesen Beispielen offenk<strong>und</strong>ig wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Individualisierung <strong>von</strong> Interessen <strong>und</strong> Le-<br />

benslagen ist ein charakteristisches Merkmal <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne. 51 Sie dringt auch in Räume wie<br />

die <strong>de</strong>r Sexualität vor. Waren vormals traditionelle Moral, Fortpflanzungspflicht respektive -<br />

gefahr o<strong>de</strong>r auch die Paar-Verpflichtung zentrale Regulative für das sexuelle Verhalten, so ist<br />

es heute für einen best<strong>im</strong>mten Personenkreis das individuelle Bedürfnis. Sexuelle Treue er-<br />

scheint als ein Wert, <strong>de</strong>r sowohl mit Individualismus wie auch mit Selbstverwirklichung in-<br />

kompatibel ist. Einige Paare praktizieren <strong>de</strong>mentsprechend eine Partnerschaft, in <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

48 Im weitesten Sinne erinnern diese Figurationen persönlicher Beziehungen an das Konzept <strong>de</strong>r 'Open Marria-<br />

ge' (vgl. O'Neill/O'Neill 1972).<br />

49 Die Beson<strong>de</strong>rheit dieser promiskuitiven Verhaltensformen wird vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>von</strong> solchen monogamen<br />

Orientierungen <strong>de</strong>utlich, wo schon <strong>de</strong>r Blick zu einem an<strong>de</strong>ren Sexualpartner aus einem 'Beziehungszwang'<br />

<strong>und</strong> nicht aus einem 'Beziehungsbedürfnis' heraus tabu ist: In diesen 'zwanghaften' Beziehungen bleiben<br />

solche Wünsche in <strong>de</strong>r 'wirklichen Welt' verboten <strong>und</strong> auf die 'Phantasie-Welt' <strong>de</strong>s Einzelnen beschränkt.<br />

Bei<strong>de</strong> Partner leben in solchen Fällen <strong>von</strong> <strong>de</strong>r gegenseitig bekräftigten Vorstellung, dass ihnen ihr praktiziertes<br />

Sexualleben gefällt. Der "nomische Apparat" (Berger/Kellner 1965, S. 221) dieser Beziehungen lässt die<br />

Realisierung darüber hinausgehen<strong>de</strong>r sexueller Wünsche nicht zu, weil sie nicht in die gemeinsam konstruierte<br />

Wirklichkeit passen. Die Personen bleiben in diesen Fällen letztendlich 'int<strong>im</strong>ate strangers' (vgl. Rubin<br />

1983), <strong>de</strong>nen die tatsächlichen Bedürfnisse <strong>de</strong>s Gegenübers fremd sind. Die Gemeinsamkeiten dieser Paare<br />

basieren zu einem beträchtlichen Teil auf Verstehensunterstellungen <strong>und</strong> fiktiven Verständnissen (vgl. Hahn<br />

1989).<br />

50 Vgl. Dischner (1979); Luhmann (1982); Tyrell (1987)<br />

51 Vgl. Beck/Beck-Gernshe<strong>im</strong> (1990); Heitmeyer/Olk (1990); Winter/Eckert (1990)<br />

83


sexuelle Beziehungen durchaus ein mehr an Gemeinsamkeit be<strong>de</strong>uten können, <strong>und</strong> die Mono-<br />

gamie ihre normative Kraft als Glücksi<strong>de</strong>al verliert. Die ausschließliche moralische Legit<strong>im</strong>a-<br />

tion bloß dyadischer Beziehungsmuster ist für diesen Personenkreis nur das Überbleibsel kle-<br />

rikalen Denkens.<br />

Festzuhalten ist, dass Promiskuität <strong>und</strong> Monogamie als ‚gleichberechtigte’ Beziehungsmuster<br />

<strong>im</strong> SM-Bereich zu fin<strong>de</strong>n sind. Diejenigen, die das Bedürfnis haben, monogam zu leben, er-<br />

füllen sich diesen Wunsch genauso selbstverständlich wie diejenigen, die über <strong>de</strong>n Lebens-<br />

partner hinaus noch weitere Sexualkontakte haben wollen. Während Erstere die Partnerschaft<br />

als gemeinsames <strong>und</strong> exklusives Projekt <strong>de</strong>finieren, gehen Letztere eine solche generelle Ver-<br />

pflichtung nicht ein. Ob die Etablierung dieser Beziehungsmuster an best<strong>im</strong>mte Spezialkultu-<br />

ren geb<strong>und</strong>en ist, o<strong>de</strong>r ob sie in ähnlicher Weise für an<strong>de</strong>re Teile <strong>de</strong>r Gesellschaft nachzu-<br />

zeichnen sind, kann mit <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Datenmaterial nicht entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. 52<br />

1.3.4 Gruppenveranstaltungen <strong>und</strong> Feten<br />

Seit <strong>de</strong>n fünfziger <strong>und</strong> verstärkt seit <strong>de</strong>n sechziger Jahren ist <strong>de</strong>r Gruppensex einer breiteren<br />

Öffentlichkeit bekannt gewor<strong>de</strong>n: „Manche Paare sagten, sie betrieben das Swingen schon<br />

seit zwanzig Jahren, aber alle schienen darin überein zu st<strong>im</strong>men, dass <strong>de</strong>r Partnertausch sei-<br />

nen großen Aufschwung 1963 <strong>und</strong> 1964 erlebte, etwa zu <strong>de</strong>r Zeit, als die Antibabypille popu-<br />

lär wur<strong>de</strong>“ (Bartell 1972, S. 14). Nach<strong>de</strong>m sich die Antibabypille als zuverlässiges Verhü-<br />

tungsmittel durchgesetzt hatte <strong>und</strong> die gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen liberalisiert wur<strong>de</strong>n (Un-<br />

zucht, Kuppelei), nahm die Zahl <strong>de</strong>r Gruppensex-Anhänger beträchtlich zu (vgl. ebd.). Schon<br />

bald konstituierte sich eine regelrechte Szene mit eigenen Zeitschriften, Kontaktmagazinen<br />

<strong>und</strong> Treffpunkten. Die sexuelle Aktivität in <strong>de</strong>r Gruppe ist aber nicht auf ‚normale’ heterose-<br />

xuelle Kreise beschränkt. Sie kommt auch <strong>im</strong> Bereich an<strong>de</strong>rer Sexualitäten vor.<br />

52 Burkart (1991) hat eine qualitative Studie zum Zusammenhang <strong>von</strong> gesellschaftlicher Individualisierung <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>von</strong> Treue durchgeführt. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Promiskuität trotz Partnerschaft in<br />

<strong>de</strong>n einzelnen Milieus (Alternativ-, Aka<strong>de</strong>miker- <strong>und</strong> Arbeitermilieu sowie technisch-innovatives <strong>und</strong> ländliches<br />

Milieu) eine unterschiedliche Akzeptanz erfährt. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> Arbeitermilieu wur<strong>de</strong> Untreue entschie<strong>de</strong>n<br />

abgelehnt. In <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Milieus - <strong>im</strong> ländlichen etwas abgeschwächt - gehen die Personen hingegen<br />

eher bedürfnisorientiert <strong>und</strong> 'individualisiert' mit diesem Problem um. Burkart (1991, S. 506) bemerkt<br />

zusammenfassend: "Individualisierung (ist) kein gradliniger, reibungsloser <strong>und</strong> universeller Trend. Er läuft in<br />

verschie<strong>de</strong>nen Milieus mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ab, <strong>und</strong> daher ist eher eine Polarisierung zwischen<br />

Familialismus <strong>und</strong> Individualismus zu erwarten (...) <strong>und</strong> damit zwischen einem rigi<strong>de</strong>n <strong>und</strong> einem flexiblen<br />

Treue-Prinzip. Selbst wenn <strong>de</strong>r Individualisierungsprozeß zu einem Be<strong>de</strong>utungsverlust <strong>von</strong> Treue führen<br />

wür<strong>de</strong>, müßte man da<strong>von</strong> ausgehen, daß dies nur für spezifische Milieus gilt" (ebd., S. 506).<br />

84


So inszenieren auch homo- <strong>und</strong> heterosexuelle Sadomasochisten ihre Sexualität als Gruppen-<br />

Happening. Die Rahmen für solche Veranstaltungen können sehr unterschiedlich sein. Die<br />

private Party ist genauso zu nennen wie <strong>de</strong>r Abend in einem Club, einem Dominastudio o<strong>de</strong>r<br />

die Großveranstaltung. Manche Anbieter organisieren Veranstaltungen, an <strong>de</strong>nen bis zu 1000<br />

Personen teilnehmen. Sie wer<strong>de</strong>n hauptsächlich <strong>von</strong> Kleidungs- <strong>und</strong> Materialfetischisten be-<br />

sucht. Aber auch Sadomasochisten, die sich dort gerne <strong>im</strong> bizarren Outfit zeigen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

sehen wollen, kommen dort hin. Diese bizarren Bälle fin<strong>de</strong>n allerdings nur ein- bis zwe<strong>im</strong>al<br />

jährlich statt. Daneben haben sich kommerzielle <strong>und</strong> private Agenturen gebil<strong>de</strong>t, die Gruppen-<br />

SM-Aben<strong>de</strong> organisieren. Sie bieten <strong>de</strong>n Teilnehmern die entsprechen<strong>de</strong>n Räumlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Geräte bis hin zur Übernachtung mit Frühstück an. Beinahe alle Formen <strong>de</strong>r privaten <strong>und</strong><br />

kommerziellen Gesellungsorganisation sind also vertreten. Im Folgen<strong>de</strong>n soll aber nicht wei-<br />

ter auf die Organisationsaspekte eingegangen wer<strong>de</strong>n. Die Analyse fokussiert auf die Offen-<br />

beziehungsweise Geschlossenheit <strong>de</strong>r Gruppen sowie ihre spezifischen Erfahrungsmöglich-<br />

keiten. Unter dieser Fragestellung wer<strong>de</strong>n themenzentrierte SM-Inszenierungen dargestellt;<br />

<strong>de</strong>s Weiteren Regeln, die in diesen Settings eine Rolle spielen.<br />

Offenheit <strong>und</strong> Abschottung bei Gruppenveranstaltungen<br />

Die sexuelle Betätigung in <strong>de</strong>r Gruppe spielt in <strong>de</strong>n erotischen Phantasien eine wichtige Rol-<br />

le. 53 Einige Menschen wollen diese Bedürfnisse auch ausleben <strong>und</strong> suchen Aufnahme in einen<br />

erotischen Zirkel. Kann aber je<strong>de</strong>r ohne Weiteres an erotisch geb<strong>und</strong>enen Gruppen teilneh-<br />

men, o<strong>de</strong>r sind nicht gera<strong>de</strong> hier beson<strong>de</strong>re Zugangshemmnisse zu überwin<strong>de</strong>n? Die Beant-<br />

wortung dieser Frage ist <strong>von</strong> <strong>de</strong>r jeweiligen Veranstaltungsform abhängig. Fetisch-Bälle, SM-<br />

Discos o<strong>de</strong>r ‚Painballs’ sind mehr o<strong>de</strong>r weniger öffentliche Veranstaltungen. In <strong>de</strong>r Regel<br />

kann je<strong>de</strong>r mit entsprechen<strong>de</strong>m Outfit <strong>und</strong> einer Eintrittskarte teilnehmen. In <strong>de</strong>n kleineren,<br />

überwiegend privat organisierten Zirkeln, gibt es hingegen Zugangsbeschränkungen. Nur die<br />

persönliche Empfehlung öffnet die Türen zu diesen Gruppen:<br />

René: Es gibt die allgemein bekannten großen Partys, zu <strong>de</strong>nen <strong>im</strong> Prinzip je<strong>de</strong>r<br />

gehen kann. Dann gibt es aber auch noch die an<strong>de</strong>re Seite. Das sind dann an<strong>de</strong>re<br />

Kreise. Das spielt sich in kleinen Zirkeln ab, meistens in einem Privathaus. Da<br />

kommen dann so zwanzig Leute. (...) Das ist eigentlich am schönsten.<br />

53 Hartmann (1989, S. 37) hat die Inhalte sexueller Phantasien untersucht <strong>und</strong> bil<strong>de</strong>t dabei drei größere Kategorien<br />

(Int<strong>im</strong>ität <strong>und</strong> Romantik, Ausprobieren <strong>und</strong> Vielfalt sowie sadomasochistische Themen). Zur zweiten<br />

bemerkt <strong>de</strong>r Autor: "Eine zweite, häufig vorfindbare D<strong>im</strong>ension ist diejenige vom Typ 'Ausprobieren' bzw.<br />

'Vielfalt', <strong>de</strong>ren Vorstellungsinhalte am ehesten in die Richtung Promiskuität o<strong>de</strong>r Gruppensex gehen (...)."<br />

85


F: Wie fin<strong>de</strong>t man <strong>de</strong>n Zugang zu solchen Privatzirkeln?<br />

René: Man muss die Leute kennen, die in so einer Gruppe integriert sind. Wenn<br />

man Glück hat, wird man dahin empfohlen. So kommen auch hin <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r<br />

Neulinge. Die wer<strong>de</strong>n aber sehr sorgsam ausgesucht. In <strong>de</strong>n USA bin ich in mehreren<br />

solcher Zirkel. Aber nur weil ich persönlich dorthin empfohlen wur<strong>de</strong>. Sonst<br />

hat man keine Chance, in <strong>de</strong>n Kreis aufgenommen zu wer<strong>de</strong>n, das muss ich betonen<br />

(42 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Franziska: Die Leute in meinem Zirkel sind gesiebt. (...) Wenn mich jemand anruft,<br />

dann entschei<strong>de</strong> ich oft schon be<strong>im</strong> Anruf, ob ich das Gespräch überhaupt<br />

fortführe. Das offenbart sich mir schon sehr bald. Das merkt man an <strong>de</strong>r Art zu<br />

sprechen, am Tonfall, am Gebrauch <strong>de</strong>r Worte usw. Da treffe ich schon eine<br />

Auswahl. Die zweite Auswahl fin<strong>de</strong>t dann statt, wenn ich <strong>de</strong>n Betreffen<strong>de</strong>n sehe<br />

(55 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Ähnliches gilt für die SM-Lesben. Sie inszenieren ihren Sadomasochismus als ‚invisible li-<br />

ves’ (vgl. Unruh 1983) ausgesprochen öffentlichkeitsfern. Der Zugang zu <strong>und</strong> die Integration<br />

in ihre Gruppen ist selbst für Lesben problematisch:<br />

Janine: Adressen <strong>und</strong> Kontakte sind bei uns so eine Sache. Da kommt noch lange<br />

nicht je<strong>de</strong> dran. Eine, die sich eingeschlichen hat <strong>und</strong> nichts mit SM am Hut hat,<br />

die fällt sofort auf. Du musst quasi empfohlen wer<strong>de</strong>n, sonst läuft nichts (33 Jahre,<br />

S/M, lesbisch).<br />

Allerdings sind es insbeson<strong>de</strong>re feministisch orientierte Lesben, die sich rigoros abkapseln.<br />

An<strong>de</strong>re lesbische Sadomasochistinnen sind hingegen gelegentlich auf Hetero-Veranstaltungen<br />

zu fin<strong>de</strong>n <strong>und</strong> beschäftigen sich dort auch <strong>im</strong> Rahmen ihrer SM-Neigung mit Männern. Bei<br />

<strong>de</strong>n Schwulen ist insbeson<strong>de</strong>re die Aufnahme in einen Club keineswegs selbstverständlich.<br />

Ihre Darkrooms <strong>und</strong> Le<strong>de</strong>rbars sind dagegen recht einfach zugänglich <strong>und</strong> bil<strong>de</strong>n einen halb-<br />

öffentlichen Raum, <strong>de</strong>r eigentlich nur Frauen verschlossen ist (vgl. Wetzstein u.a. 1993).<br />

Mit <strong>de</strong>r Organisationsform hängt auch <strong>de</strong>r Grad <strong>de</strong>r Int<strong>im</strong>ität zusammen. Auf <strong>de</strong>n größeren<br />

Veranstaltungen ist <strong>de</strong>r sexuelle Aktionsradius ein<strong>de</strong>utig begrenzt. Erlaubt ist das bizarre Out-<br />

fit o<strong>de</strong>r auch die gekonnt umrahmte Nacktheit. Plau<strong>de</strong>rn, das obligatorische Büffet, Vorfüh-<br />

rungen, Shows sowie Tanz <strong>und</strong> Spiele bil<strong>de</strong>n die Aktivitäts-Schwerpunkte. SM-Handlungen<br />

kommen, je nach Gruppe, ange<strong>de</strong>utet <strong>im</strong> Rollenspiel o<strong>de</strong>r als Sklavenvorführungen, die auch<br />

etwas härter sein dürfen, vor. Wer diesen Rahmen überschreiten <strong>und</strong> selbst sadomasochisti-<br />

sche Aktionen durchführen will, muss in die dazu vorgesehenen ‚chambres separées’ auswei-<br />

chen o<strong>de</strong>r auf die oftmals anschließend stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Privattreffen warten. Von ihrer sozialen<br />

Konstruktion erinnern die Bälle <strong>und</strong> Tanzfeste damit am ehesten an Karnevalsveranstaltun-<br />

gen. Einige Regeln <strong>de</strong>s Alltags <strong>und</strong> best<strong>im</strong>mte Konventionen wer<strong>de</strong>n temporär außer Kraft<br />

86


gesetzt: 54 Frivolitäten sind erlaubt, in <strong>de</strong>r Regel sogar erwünscht. Die Kleidung ist reduziert<br />

auf ihre erotische Signalwirkung. Wie be<strong>im</strong> Karneval kann je<strong>de</strong>r in eine beliebige Rolle<br />

schlüpfen: die grausame Domina o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r hündische Sklave, <strong>de</strong>r Mann wird zur Frau <strong>und</strong><br />

umgekehrt. Doch auch hier wer<strong>de</strong>n „vereinbarte Grenzen etabliert, eine Definition <strong>de</strong>s zu ge-<br />

ringen <strong>und</strong> zu starken Engagements“ (Goffman 1980, S. 376) vorgenommen. Ein zu geringes<br />

Engagement könnte z.B. dann vorliegen, wenn jemand nicht <strong>de</strong>n gefor<strong>de</strong>rten Kleidungskon-<br />

ventionen bei einer Party entspricht. Der Ausschluss <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Veranstaltung kann die Folge<br />

sein. Wird trotz<strong>de</strong>m Zutritt gewährt, wartet zumeist die Rolle <strong>de</strong>s Außenseiters - etwa so, wie<br />

<strong>de</strong>r unverklei<strong>de</strong>te Besucher eines Masken- o<strong>de</strong>r Kostümballs - mit <strong>de</strong>m keiner so recht etwas<br />

anfangen kann. Umgekehrt kann auch das zu starke Engagement die Rahmenvorgaben verlet-<br />

zen, können etwa best<strong>im</strong>mte SM-Darbietungen in unerlaubten Situationen stattfin<strong>de</strong>n.<br />

Je vertrauter <strong>de</strong>r Teilnehmerkreis aber ist, <strong>de</strong>sto int<strong>im</strong>er wird die Atmosphäre. In diesem Am-<br />

biente sind auch drastische Aktionen erlaubt. So erinnert sich eine 43jährige heterosexuelle<br />

Sadistin:<br />

Auf <strong>de</strong>r letzten Fete ging ziemlich was ab. Die dauerte zwei Tage lang. Da hatten<br />

sie eine Frau zugenäht. Das war eine Sache. Das war nicht <strong>de</strong>r Geschmack <strong>von</strong><br />

vielen. Aber es ist komischerweise keiner weggegangen. Geguckt hat je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn<br />

es war einfach interessant. Allerdings wur<strong>de</strong> es <strong>von</strong> jeman<strong>de</strong>m gemacht, <strong>de</strong>r Ahnung<br />

hat. Es sah sehr schön aus. (...) An<strong>de</strong>re Paare machen was zusammen, mal<br />

kommen dritte <strong>und</strong> vierte dazu. Aber nicht so, wie be<strong>im</strong> Ru<strong>de</strong>lbumsen. Es geht<br />

um SM. Manchmal behan<strong>de</strong>ln auch mehrere Frauen einen Typen, z.B. die Ho<strong>de</strong>n<br />

an die Oberschenkel o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Schwanz an <strong>de</strong>n Bauch annähen, wenn es etwas<br />

Hartes sein soll. O<strong>de</strong>r eben Ho<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Penis so abbin<strong>de</strong>n, dass er um die doppelte<br />

Länge länger wird. O<strong>de</strong>r Bondage, dass sie sich absolut nicht mehr bewegen können.<br />

So in die Richtung, das sind eben harte Sachen. Die können sie normalerweise<br />

in einer großen Gruppe nicht so machen, weil das nicht je<strong>de</strong>r mag. Das haben<br />

wir halt öfters in einer kleineren Gruppe gemacht.<br />

Die Personen in einer Kleingruppe sind sich meistens schon länger bekannt. Dementspre-<br />

chend weiß je<strong>de</strong>r um die Unverträglichkeiten bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Teilnehmern. So ist normaler-<br />

weise sichergestellt, dass Geschmäcker <strong>und</strong> Toleranzgrenzen das gleiche Niveau haben. Trotz<br />

<strong>de</strong>r weit gefassten Grenzen gibt es einen kleinsten gemeinsamen Nenner, <strong>de</strong>r nicht verletzt<br />

wer<strong>de</strong>n soll. Insbeson<strong>de</strong>re dann, wenn Ekelbarrieren überschritten wer<strong>de</strong>n, entstehen häufig<br />

negative St<strong>im</strong>mungen, die das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Veranstaltung be<strong>de</strong>uten. Auf Dauer kann eine sexuel-<br />

54 So bemerkt Runkel (1986, S. 101): "Im Karneval artikuliert sich in spielerischer Form das Unterdrückte <strong>und</strong><br />

Verdrängte. Es treten freiere Formen <strong>de</strong>r Sexualität <strong>und</strong> die alte Sehnsucht <strong>de</strong>r Frauen nach Abschaffung <strong>de</strong>r<br />

Männerherrschaft auf, z.B. am Schwerdonnerstag (Altweiberfastnacht), an <strong>de</strong>m <strong>im</strong> Rheinland noch <strong>im</strong>mer<br />

die Frauen (Möhnen) umherziehen, um <strong>de</strong>n Männern <strong>de</strong>n Schlips, ein Phallussymbol, abzuschnei<strong>de</strong>n."<br />

87


le Gruppe nur dann bestehen, wenn es ihren Mitglie<strong>de</strong>rn gelingt, die Aversionen <strong>von</strong> Einzel-<br />

nen gegenüber best<strong>im</strong>mten Negativ-St<strong>im</strong>uli nicht zu provozieren <strong>und</strong> die jeweiligen Bedürf-<br />

nisse zu versöhnen. Wohl auch <strong>de</strong>shalb sind Gruppeninitiativen, die versuchen, alle sexuelle<br />

Orientierungen in gemeinsamen Veranstaltungen zu integrieren, häufig zum Scheitern verur-<br />

teilt.<br />

Die Funktionen <strong>de</strong>r Gruppe<br />

Das Interesse an Aktivitäten in <strong>de</strong>r Gruppe ist recht stabil. Die einzelnen Personen sind teil-<br />

weise mehrere Jahre in eine Gruppe involviert <strong>und</strong> dort sexuell aktiv. An dieser Stelle stellt<br />

sich die Frage nach <strong>de</strong>n Motiven für die Gruppenzugehörigkeit. Was macht die Faszination<br />

<strong>de</strong>s Gruppenerlebnisses aus, <strong>und</strong> was treibt <strong>de</strong>n Einzelnen mitunter über einen sehr langen<br />

Zeitraum <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r zu diesen Veranstaltungen? Maßgebliche Be<strong>de</strong>utung kommt <strong>de</strong>m<br />

„Sehen <strong>und</strong> Gesehenwer<strong>de</strong>n“ zu. Die Präsentation <strong>de</strong>s eigenen (nackten, halbnackten o<strong>de</strong>r<br />

verklei<strong>de</strong>ten) Körpers o<strong>de</strong>r das Anschauen <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Teilnehmern wird zu einer wichtigen<br />

Faszinationsquelle. Die Gruppe konstituiert so eine Situation, in <strong>de</strong>r die Schaulust bisweilen<br />

sogar erwünscht ist. Damit unterschei<strong>de</strong>n sich die gruppengeb<strong>und</strong>enen <strong>von</strong> einigen an<strong>de</strong>ren<br />

Ausprägungen <strong>de</strong>s Exhibitionismus <strong>und</strong> Voyeurismus, die durch Anonymität <strong>und</strong> He<strong>im</strong>lich-<br />

keit charakterisierbar sind <strong>und</strong> auf einer „vorpersonalen Ebene“ (Schorsch 1980b, S. 124)<br />

verbleiben.<br />

Roman: SM in <strong>de</strong>r Gruppe ist ein sehr interessanter Aspekt. (...) Das ist sicherlich<br />

so eine Art <strong>von</strong> Vorführeffekt. Dass da noch jemand ist. Das ist nicht nur so eine<br />

ganz enge Beziehung zwischen ihr <strong>und</strong> mir, son<strong>de</strong>rn da ist noch eine an<strong>de</strong>re Person<br />

o<strong>de</strong>r zwei. Das ist so eine Quasi-Öffentlichkeit. Also ich wür<strong>de</strong> es sicherlich<br />

nie in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit tun, aber in diesem Rahmen ist es mir möglich, sehr int<strong>im</strong><br />

zu wer<strong>de</strong>n (40 Jahre, S/M, heterosexuell)<br />

Christa: Also, was ich eben gerne mache, das ist in Verbindung mit Öffentlichkeit.<br />

Also ich gucke gerne zu, ich mache auch gerne was. Das ist das, was mich<br />

dann daran reizt <strong>und</strong> eben, ja, dieses hautnahe Mitkriegen <strong>von</strong> <strong>de</strong>m, was an<strong>de</strong>re<br />

machen. Das kenne ich eben nur aus <strong>de</strong>r SM-Szene. Sonst läuft das Vögeln he<strong>im</strong>lich<br />

zu zweit ab. Und wie es an<strong>de</strong>re machen, wie sie überhaupt da rangehen, keine<br />

Ahnung. Nur in <strong>de</strong>r SM-Szene habe ich wirklich was <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren mitbekommen.<br />

Es gibt da keine falsche Scham, aber auch keinen Zwang. Und das mag ich eigentlich<br />

so an <strong>de</strong>r Gruppe (28 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Christine: Ich mache auch gerne Gruppensex, aber die Gelegenheit ist natürlich<br />

äußerst selten. (...) Als ich das das erste Mal gemacht habe, da ging es mir Tage<br />

danach völlig gut. Dann habe ich gemerkt, das ist schon was, was mir völlig Spaß<br />

88


macht, was mir am meisten bringt. Ich habe das sehr gerne, wenn ich an<strong>de</strong>ren zuschauen<br />

kann o<strong>de</strong>r auch <strong>von</strong> ihnen lernen kann (26 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Eine weitere Funktion kommt <strong>de</strong>r Gruppe als Partnersuch- <strong>und</strong> Tauschbörse zu. Befreit vom<br />

Zwang <strong>de</strong>s Verbergens <strong>de</strong>r Neigung spielen sich Flirt <strong>und</strong> Anmachen genauso ab, wie es bei<br />

Nicht-Sadomasochisten <strong>de</strong>r Fall ist. Die Partner in <strong>de</strong>r Gruppe können beständig wechseln,<br />

etwa durch <strong>de</strong>n Austausch <strong>de</strong>r Sklaven. Dadurch wird die Gruppe auch zu einem Lern- <strong>und</strong><br />

Exper<strong>im</strong>entierfeld, wo Praktiken <strong>und</strong> Variationen hautnah erlebt <strong>und</strong> ausprobiert wer<strong>de</strong>n kön-<br />

nen.<br />

Lisa: Die Treffen sind einfach schön. Da lernst du mal wie<strong>de</strong>r jemand kennen <strong>und</strong><br />

machst vielleicht mal was mit <strong>de</strong>m <strong>und</strong> so weiter. Das ist das Gute an <strong>de</strong>r Gruppe,<br />

du lernst eben <strong>im</strong>mer Leute kennen, kannst Kontakte aufbauen (38 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Oliver: Mit <strong>de</strong>r Zeit fin<strong>de</strong>t sich eine Gruppe, die sich schon länger kennt. Das ist<br />

auch wichtig wegen <strong>de</strong>r Kontakte. Da sagt <strong>de</strong>r eine: ‚Guck mal, <strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>n, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> mal gern mit dir.’ Und da macht man die Connection <strong>und</strong> geht mal zusammen<br />

in die Kammer rein. Durch ein Gespräch weißt du auch, was <strong>de</strong>rjenige<br />

<strong>von</strong> dir will, o<strong>de</strong>r was ich <strong>von</strong> <strong>de</strong>m will. Auf je<strong>de</strong>n Fall ist es eine Möglichkeit,<br />

Sexpartner zu fin<strong>de</strong>n (29 Jahre, S/M, schwul)<br />

Auch eine therapeutische Funktion <strong>de</strong>r Gruppe darf nicht übersehen wer<strong>de</strong>n. Sie konstituiert<br />

einen Raum, wo ohne Scheu <strong>und</strong> Ängste über die eigene Neigung gere<strong>de</strong>t <strong>und</strong> diskutiert wer-<br />

<strong>de</strong>n kann. Nicht selten ist <strong>de</strong>r Eintritt in eine Gruppe für <strong>de</strong>n Einzelnen ein befreien<strong>de</strong>s Erleb-<br />

nis. Übereinst<strong>im</strong>mend berichten viele Befragte, dass das Kennenlernen <strong>von</strong> Gleichgesinnten<br />

<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nsdruck ihrer Neigung erheblich reduziert o<strong>de</strong>r gar gänzlich el<strong>im</strong>iniert hat: „Die<br />

positive Bewertung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>vianten Interessen innerhalb <strong>de</strong>s subkulturellen Raums ist mehr als<br />

eine Voraussetzung <strong>de</strong>r partnerschaftlichen Beziehung. Sie ist für viele Betroffene bereits<br />

Teil-Erfüllung ihrer Wünsche, dann nämlich, wenn direkte Begegnungen unmöglich o<strong>de</strong>r<br />

selten sind. (...) Die Entlastung, die in einer indirekten o<strong>de</strong>r direkten Verbindung zu Gleichge-<br />

sinnten besteht, die Befreiung <strong>von</strong> Schuldgefühlen <strong>und</strong> das Aufkommen manchmal kämpferi-<br />

schen Selbstbewußtseins, die ‚Selbstakzeptation’ sind Möglichkeiten <strong>de</strong>r subkulturellen Or-<br />

ganisation“ (Spengler 1979, S. 39).<br />

Inszenierungen <strong>und</strong> Theaterstücke<br />

Eine beson<strong>de</strong>re Erlebnisform wird durch die Inszenierung <strong>de</strong>s Gruppenerlebnisses mit einem<br />

best<strong>im</strong>mten Handlungshintergr<strong>und</strong> erzeugt. Wie bei einem Theaterstück wer<strong>de</strong>n Rollen an die<br />

Teilnehmer vergeben. Es gibt einen o<strong>de</strong>r mehrere Regisseure (zumeist die Vertreter <strong>de</strong>r S-<br />

89


Position), die das Drehbuch <strong>und</strong> die Dramaturgie festlegen. Solche Gruppen-Happenings be-<br />

dürfen einer längeren Vorbereitung, damit die entsprechen<strong>de</strong>n Räumlichkeiten, Requisiten<br />

etc. beschafft wer<strong>de</strong>n können. Die Mitspieler wer<strong>de</strong>n zumeist lange vorher eingela<strong>de</strong>n <strong>und</strong> in<br />

die Rolle eingewiesen. Solche Veranstaltungen wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Domina-Studios für interessierte<br />

K<strong>und</strong>en o<strong>de</strong>r auch <strong>von</strong> privaten Zirkeln organisiert. Thematisch drehen sich alle Inszenierun-<br />

gen um das Spiel <strong>von</strong> Macht <strong>und</strong> Erniedrigung, <strong>von</strong> Folter <strong>und</strong> Schmerz o<strong>de</strong>r Strafe <strong>und</strong> Ge-<br />

horsam. Die gesamte Themenvielfalt <strong>de</strong>r populären Kultur o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r üppige historische<br />

F<strong>und</strong>us wer<strong>de</strong>n als Vorlagen bemüht. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich z.B. um mittelalterliche Kerker-<br />

Szenarien, Zofenspiele o<strong>de</strong>r Gerichtsverhandlungen mit anschließen<strong>de</strong>n Verurteilungen.<br />

Daneben können auch Bücher, wie z.B. die ‚Geschichte <strong>de</strong>r O’, die Vorlage für ein Theater-<br />

spiel liefern. Eine beson<strong>de</strong>re Variante <strong>de</strong>s Strafthemas ist die Schulerziehung. Der passive<br />

Teil schlüpft in die Rolle <strong>de</strong>s Schülers, während <strong>de</strong>r aktive Part <strong>de</strong>n Lehrer spielt. Die Strafe,<br />

die <strong>de</strong>r Schüler für Falschlösungen o<strong>de</strong>r Fehlverhalten erhält, wird in Form <strong>von</strong> Stockschlä-<br />

gen erteilt. Nicht zuletzt wer<strong>de</strong>n auch religiöse Themen verwen<strong>de</strong>t, beispielsweise Kreuzi-<br />

gungen o<strong>de</strong>r die Umgestaltung eines Passionsspiels. Bei <strong>de</strong>n Schwulen gibt es als Son<strong>de</strong>rform<br />

das Drill-Lager, das paramilitärische Rahmen adaptiert.<br />

Ferdinand: Mir war die Teilnahme an einer recht genau inszenierten Jesus-Kreuzigung<br />

mit verteilten Rollen (Pilatus, Schergen, Schächer...) vergönnt. In verteilten<br />

Rollen stan<strong>de</strong>n die Texte <strong>und</strong> Handlungen <strong>von</strong> vornherein fest. Der zu Kreuzigen<strong>de</strong><br />

hatte alles genau vorbereitet. Ca. acht Personen waren verklei<strong>de</strong>t <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>m<br />

notwendigen Instrumentarium versehen. Solche Inszenierungen wer<strong>de</strong>n aber eher<br />

selten geplant <strong>und</strong> durchgeführt (43 Jahre, S/M, bisexuell).<br />

Ralf: Ich habe Inszenierungen <strong>im</strong> Stile <strong>de</strong>s Mittelalters erlebt. Ich war ein Lakai.<br />

Es nahmen ca. dreißig Personen teil. Dabei sind natürlich Requisiten erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Ca. zwei- bis dre<strong>im</strong>al <strong>im</strong> Jahr fin<strong>de</strong>t so etwas auf einer Burg mit Folterkammer<br />

statt (39 Jahre, M, bisexuell)<br />

Lina: Ich hatte mal eine Fre<strong>und</strong>in auf <strong>de</strong>r Bühne getopt. Die musste zu <strong>de</strong>r Zeit<br />

gera<strong>de</strong> Diät leben, weil sie sich auf einen Kickbox-Kampf vorbereitet hat, <strong>und</strong> ich<br />

habe sie dann vor <strong>de</strong>n ganzen Zuschauerinnen gezwungen, so richtig viel zu essen.<br />

Auch das Publikum habe ich mitgetopt. Meine Fre<strong>und</strong>in musste zu <strong>de</strong>nen<br />

hinkriechen <strong>und</strong> sich füttern lassen. (...) Ich habe sie dann auch gefickt auf <strong>de</strong>r<br />

Bühne, mit <strong>de</strong>r Hand. Sie ist völlig abgefahren darauf, es vor Publikum zu machen.<br />

Natürlich habe ich dann auch zwischendurch Dinge gemacht, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen ich<br />

wusste, die macht sie überhaupt nicht gerne, z.B., sie hasst Ketten. Wenn ich sie<br />

dann in Ketten gelegt habe, hat sie <strong>im</strong>mer das Gesicht verzogen <strong>und</strong> ist wütend<br />

gewor<strong>de</strong>n <strong>und</strong> hat mich angespuckt, <strong>und</strong> dann konnte ich sie wie<strong>de</strong>r bestrafen dafür<br />

(33 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Thomas: Ich mache gerne Uniformspiele <strong>und</strong> wir versuchen, solche Sessions so<br />

perfekt wie möglich in einem ‚Military Camp’ zu inszenieren. Da gibt es dann<br />

90


Rekruten <strong>und</strong> einen o<strong>de</strong>r manchmal auch mehrere Ausbil<strong>de</strong>r. Wenn ich jetzt z.B.<br />

Rekrut bin, dann wer<strong>de</strong> ich da durch Wald <strong>und</strong> Wiesen gejagt, ich muss mich in<br />

<strong>de</strong>n Schlamm fallen lassen <strong>und</strong> so weiter. Natürlich fin<strong>de</strong>n die Ausbil<strong>de</strong>r <strong>im</strong>mer<br />

einen Gr<strong>und</strong>, um einen zu bestrafen. (...) Manchmal wirst du dann für St<strong>und</strong>en an<br />

einen Baum angeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> keiner kümmert sich mehr um dich (29 Jahre, S/M,<br />

schwul).<br />

Die beson<strong>de</strong>ren Reize bei diesen Inszenierungen sind die vielfältigen Möglichkeiten, <strong>de</strong>n sa-<br />

domasochistischen Arrangements ihre Beliebigkeit <strong>und</strong> Willkürlichkeit zu nehmen. Eingebet-<br />

tet in einen entsprechen<strong>de</strong>n Handlungsrahmen wer<strong>de</strong>n Strafe <strong>und</strong> Schmerz zu einer dramatur-<br />

gischen Notwendigkeit:<br />

Marko: Ich fin<strong>de</strong> es absurd, ‚gr<strong>und</strong>los’ ge<strong>de</strong>mütigt <strong>und</strong> bestraft zu wer<strong>de</strong>n. Ich<br />

möchte, dass dies <strong>im</strong> Rahmen einer ausgedachten ‚realen’ Situation geschieht. So<br />

ist es viel leichter möglich, zu vergessen, dass man ja aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s eigenen Wunsches<br />

dominiert wird - <strong>und</strong> eventuell sogar dafür bezahlt hat. Wenn eine Geschichte<br />

mit Requisiten etc. inszeniert wird, kann man sich leichter <strong>de</strong>r Illusion<br />

hingeben, dass das Ganze einem aufgezwungen wird, dass man hilflos <strong>und</strong> ausgeliefert<br />

ist (43 Jahre, M., heterosexuell).<br />

Nicht die Anonymität <strong>de</strong>r ‚Perversion’, die ‚Triebsituation’ o<strong>de</strong>r das Gutdünken <strong>de</strong>s dominan-<br />

ten Teils for<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Schmerz, die Erniedrigung <strong>und</strong> Demütigung, son<strong>de</strong>rn das Skript <strong>de</strong>s<br />

Spiels. Manche Akteure, die ihr Tun als krankhaft <strong>und</strong> regressiv empfin<strong>de</strong>n, können sich für<br />

<strong>de</strong>n Zeitraum <strong>de</strong>r Inszenierung vom Lei<strong>de</strong>nsdruck befreien. Sie verschmelzen in <strong>de</strong>r Phantasie<br />

<strong>und</strong> <strong>im</strong> Tun mit <strong>de</strong>m Spielrahmen. Die Theateraufführungen sind <strong>de</strong>shalb auch ein Versuch,<br />

die Phantasie wirklich wer<strong>de</strong>n zu lassen. Die Grenzen <strong>de</strong>r Wirklichkeit sind es aber, die <strong>im</strong>-<br />

mer wie<strong>de</strong>r für Brüche sorgen <strong>und</strong> die Fiktion auflösen:<br />

Reinhold: Ich fin<strong>de</strong>, es kann leicht ins Lächerliche entgleiten, wenn eine Inszenierung<br />

zu dick aufgetragen wird. Reizvoller ist es fast <strong>im</strong>mer, eine entsprechen<strong>de</strong><br />

St<strong>im</strong>mung herzustellen. Ein Beispiel: Wollte man eine Lehrer/Schüler-Situation<br />

herstellen, ist es wichtig, die verbal-psychologische St<strong>im</strong>mung zwischen Lehrer<br />

<strong>und</strong> Schüler(in) herzustellen <strong>und</strong> darauf zu achten, dass die vorhan<strong>de</strong>nen Accessoires<br />

<strong>de</strong>m nicht wi<strong>de</strong>rsprechen. Also, in diesem Fall nicht unbedingt eine Schülerin<br />

mit Straps <strong>und</strong> High-Heels. Das ist auf je<strong>de</strong>n Fall unglaubwürdig. (...) Das<br />

Faszinieren<strong>de</strong> ist zum einen die Lust am Spiel schlechthin <strong>und</strong> zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r<br />

Versuch, sich möglichst dicht <strong>de</strong>r Realität zu nähern, die ja die Vorbil<strong>de</strong>r für SM-<br />

Inszenierungen liefert, aber eben nicht erreicht wer<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> soll (57 Jahre,<br />

M., heterosexuell).<br />

Einige Sadomasochisten nehmen wegen <strong>de</strong>n <strong>de</strong>sillusioniern<strong>de</strong>n Realitätseinbrüchen nicht an<br />

diesen Spielen teil. Sie fürchten, dass die Umsetzungsversuche ihrer Phantasie die Vollkom-<br />

menheit raubt.<br />

91


Regeln <strong>und</strong> Best<strong>im</strong>mungen in <strong>de</strong>r Gruppe<br />

Weinberg (1973) hat <strong>de</strong>n Umgang mit sexueller Schamhaftigkeit in FKK-Lagern untersucht.<br />

Schamhaftigkeit <strong>und</strong> Nacktheit - so gängige Vorstellungen - passen nicht zusammen: „Die<br />

Vorstellung, daß diese Kleidungsschranke plötzlich nicht mehr existiert, lässt sofort Bil<strong>de</strong>r<br />

<strong>von</strong> zügellosen sexuellen Wünschen, Promiskuität, Verlegenheit, Eifersucht <strong>und</strong> Schamgefühl<br />

entstehen“ (ebd., S. 244). Dieser Einschätzung ist Weinberg empirisch nachgegangen. Er hat<br />

festgestellt, dass FKK-Anhänger Nacktheit neu <strong>de</strong>finieren. Nacktheit hat keinen Bezug zur<br />

Sexualität, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>n Lagern gibt es einen strengen Regelkanon, <strong>de</strong>r die Situation entsexua-<br />

lisiert: Witze mit sexuellem Inhalt, Gespräche über Sex, Körperhaltungen, die als sexuelles<br />

Signal interpretiert wer<strong>de</strong>n können, etwa das Spreizen <strong>de</strong>r Beine bei Frauen o<strong>de</strong>r auch das<br />

Anstarren <strong>von</strong> Personen wer<strong>de</strong>n nicht gedul<strong>de</strong>t. 55 Alle Anwesen<strong>de</strong>n überwachen die Einhal-<br />

tung dieser Regeln <strong>und</strong> obwohl sich in einem FKK-Lager nur nackte Menschen begegnen,<br />

benehmen sie sich so, als seien sie beklei<strong>de</strong>t. Bei <strong>de</strong>r SM-Gruppenveranstaltung han<strong>de</strong>lt es<br />

sich per se um eine sexuell orientierte Situation. Aber auch hier bil<strong>de</strong>n sich verschie<strong>de</strong>ne Re-<br />

geln heraus.<br />

1) Um Neulingen <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>n Gruppenevents zu erleichtern, gibt es <strong>im</strong> weitesten Sin-<br />

ne Initiationsregeln: Das ist natürlich alles neu, ist doch ganz klar. Da guckst du erstmal.<br />

Mir war auch nicht danach, irgendwas zu machen. Aber das Angenehme in dieser Gruppe<br />

ist, die machen dir <strong>de</strong>n Einstieg eben sehr einfach. Die kriegen das auch schon mit <strong>und</strong><br />

lassen dich erstmal da sitzen <strong>und</strong> gucken. (...) Wenn sich <strong>de</strong>r erste Eindruck gesetzt hat,<br />

helfen die einem schon weiter. Wenn sich die Novizen für <strong>de</strong>n Verbleib in Gruppe ent-<br />

schie<strong>de</strong>n haben, wer<strong>de</strong>n sie in die Regeln <strong>und</strong> Gepflogenheiten eingewiesen. Sie wer<strong>de</strong>n<br />

gleichsam in das Gruppenleben hineinsozialisiert. Erst dann sind sie akzeptierte Mitglie<strong>de</strong>r.<br />

2) Für <strong>de</strong>n Umgang innerhalb <strong>de</strong>r Gruppe ist die Freiwilligkeit die wichtigste Regel. Niemand<br />

darf zu etwas gezwungen wer<strong>de</strong>n: Wichtig ist, dass alles freiwillig ist. Ich meine, wenn ich<br />

da zu etwas gezwungen wer<strong>de</strong>, dann wür<strong>de</strong> ich ausrasten. Aber ich kann mich nicht entsin-<br />

nen, dass das schon einmal vorgekommen ist. Gera<strong>de</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Gruppenveranstal-<br />

tungen ist Einhaltung <strong>de</strong>r Freiwilligkeitsbest<strong>im</strong>mungen unverzichtbar <strong>und</strong> wer gegen die-<br />

sen Gr<strong>und</strong>satz verstößt, wird normalerweise sofort ausgeschlossen.<br />

3) Eng mit <strong>de</strong>r vorhergehen<strong>de</strong>n Regel ist die Best<strong>im</strong>mung verb<strong>und</strong>en, wonach die individuel-<br />

len Geschmacks- <strong>und</strong> Ekelgrenzen akzeptiert wer<strong>de</strong>n müssen: Wenn jemand einer Frau die<br />

55 Weinberg (1973, S. 247) bemerkt, dass scheinbar niemand <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Nacktheit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Anwesen<strong>de</strong>n Notiz<br />

n<strong>im</strong>mt: "Alle gucken in <strong>de</strong>n H<strong>im</strong>mel, nicht einer guckt nach unten."<br />

92


Schamlippen zunähen will, dann soll er es bitte in einem Eckchen o<strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>ren<br />

Raum machen <strong>und</strong> sagen: ‚Da drüben wird das gemacht, wen es interessiert, <strong>de</strong>r soll zu-<br />

gucken’. Die Verletzung <strong>von</strong> Ekelgrenzen kann mitunter die ganze St<strong>im</strong>mung ver<strong>de</strong>rben<br />

<strong>und</strong> das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Veranstaltung be<strong>de</strong>uten.<br />

4) Eine weitere Regel besagt, dass bestehen<strong>de</strong> persönliche Beziehungen respektiert wer<strong>de</strong>n<br />

müssen: Es ist üblich bei solchen Treffen, dass man <strong>im</strong>mer die Domina fragt ‚Darf ich<br />

das? Darf ich Deinen Sklaven haben? Darf ich das machen?’ Das ist eigentlich üblich,<br />

dass man da höflich fragt. Die Vorstellung, wonach Gruppenveranstaltungen ein regelloses<br />

‚Ru<strong>de</strong>lbumsen’ sind, kann nicht aufrecht gehalten wer<strong>de</strong>n. Aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r spezifischen<br />

Machtsituation <strong>im</strong> SM-Arrangement ist es üblich, dass <strong>de</strong>r dominante Partner in die Be-<br />

handlung seines Sklaven einwilligen muss. Das umgekehrte Einverständnis ist allerdings<br />

nicht erfor<strong>de</strong>rlich, wenngleich vor <strong>de</strong>r Veranstaltung <strong>de</strong>s Öfteren zwischen aktivem <strong>und</strong><br />

passivem Partner entsprechen<strong>de</strong> Übereinkünfte getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />

5) Neben diesen allgemeinen Regeln gibt es zahlreiche gruppenspezifische Übereinkünfte. So<br />

ist z.B. in einigen Gruppen <strong>de</strong>r Geschlechtsverkehr untersagt: Sie müssen eines verstehen.<br />

Bei diesen Partys gibt es keinen Geschlechtsverkehr, wenn es eine richtige Sache ist.<br />

Höchstens Ersatzhandlungen am Mann o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Frau sind zugelassen. Hinzu kommt,<br />

dass das Spektrum <strong>de</strong>r erlaubten Praktiken variiert. Was in <strong>de</strong>r einen Gruppe als zu hart<br />

abgelehnt wird, ist in einer an<strong>de</strong>ren völlig normal. Auch die Handhabung <strong>von</strong> homosexuel-<br />

len Aktivitäten ist uneinheitlich; bei manchen Gruppen sind sie erlaubt, bei an<strong>de</strong>ren wer-<br />

<strong>de</strong>n sie toleriert, <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>rum bei an<strong>de</strong>ren sind sie untersagt.<br />

6) Schließlich gelten in <strong>de</strong>r Gruppe noch verschie<strong>de</strong>ne weitere Regeln, die auch in <strong>de</strong>r Zwei-<br />

erbeziehung gelten, etwa Grenzen, Stopco<strong>de</strong>s etc. Sie sollen ein mehr o<strong>de</strong>r weniger siche-<br />

res sadomasochistisches Arrangement gewährleisten (vgl. Kap. III.1.5).<br />

Dieser Verhaltensco<strong>de</strong>x fin<strong>de</strong>t sich sowohl bei homo- als auch heterosexuellen Sadoma-<br />

sochisten. Selbst in <strong>de</strong>r scheinbar anarchischen Situation <strong>de</strong>s Darkrooms gibt es Basisregeln,<br />

die <strong>de</strong>n Radius <strong>de</strong>s Einzelnen begrenzen.<br />

1.3.5 Exkurs: Die professionelle Domina-Szene<br />

Hinter <strong>de</strong>r Kellertür öffnet sich <strong>de</strong>r purpurrote Samtvorhang <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Blick fällt in<br />

einen kleinen, mit rotem Teppichbo<strong>de</strong>n ausgelegten Raum. In <strong>de</strong>r Ecke stehen eine<br />

schwarze Le<strong>de</strong>rcouch <strong>und</strong> ein Glastisch. Es ist ziemlich dunkel, <strong>und</strong> nur das<br />

schwache Rotlicht lässt die Umgebung erkennen. An <strong>de</strong>n weißen Wän<strong>de</strong>n hängen<br />

gerahmte Zeichnungen, die verschie<strong>de</strong>ne SM-Praktiken zeigen. Ein langer Gang<br />

93


mit vielen Türen führt zu verschie<strong>de</strong>nen Z<strong>im</strong>mern. Der nächste Raum ist mit<br />

dunklem Holz verklei<strong>de</strong>t <strong>und</strong> teilweise mit Balken <strong>und</strong> Verstrebungen versehen.<br />

Der Fußbo<strong>de</strong>n ist mit schwarzem PVC ausgelegt. An <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n hängen<br />

schmie<strong>de</strong>eiserne Werkzeuge <strong>und</strong> Le<strong>de</strong>rkleidung: Peitschen in unterschiedlichen<br />

Ausführungen, Rohrstöcke, Zaumzeug, Handschellen, Fesseln, High-Heel-<br />

Oberschenkelstiefel aus Le<strong>de</strong>r, Pranger, Flaschenzug, Andreaskreuz, Sling,<br />

Streckbank, diverse Dildos u.v.m. In einer Ecke steht ein Käfig <strong>und</strong> mitten <strong>im</strong><br />

Raum eine Streckbank. Der nächste Raum ist mit schwarz-roter Lackfolie verklei<strong>de</strong>t<br />

<strong>und</strong> mit schwarzem PVC ausgelegt. An einer Wand steht ein Bett, das mit<br />

Gummibettwäsche bezogen ist: ein Laken <strong>und</strong> ein Kopfkissenbezug aus rotem Latex.<br />

An Haken <strong>und</strong> Klei<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>rn hängt Gummikleidung in allen Variationen<br />

<strong>und</strong> Farben: schwarz, rot, lila, Gummisäcke, Ganzanzüge, Gumm<strong>im</strong>asken, Gummistrümpfe.<br />

Gummi <strong>und</strong> schwarzer PVC best<strong>im</strong>men auch das Ambiente <strong>de</strong>s<br />

nächsten Raumes. Über einem großen roten Gummibett ist an <strong>de</strong>r Decke ein Spiegel<br />

installiert. An einer Wand steht eine ca. 2,50 m lange Wanne <strong>und</strong> ein Stuhl,<br />

<strong>de</strong>r aussieht, wie <strong>de</strong>r be<strong>im</strong> Gynäkologen. Dann wie<strong>de</strong>r ein langer Flur mit verschie<strong>de</strong>nen<br />

Türen. Weißer PVC-Bo<strong>de</strong>n, weiße Wän<strong>de</strong>, an <strong>de</strong>nen breite Aluminiumleisten<br />

befestigt sind, auf <strong>de</strong>nen ‚Station A3’, ‚Zum OP’ <strong>und</strong> ‚Zu <strong>de</strong>n Krankenz<strong>im</strong>mern’<br />

geschrieben steht. An <strong>de</strong>r Seite steht eine Bahre auf Rollen. Am En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Ganges befin<strong>de</strong>t sich ein Empfangschalter: Werbegeschenke <strong>von</strong> Pharmakonzernen,<br />

Kugelschreiber, Terminkalen<strong>de</strong>r, Neonröhren an <strong>de</strong>r Decke, Telefon. Dahinter<br />

steht ein Schreibtisch mit einer Schreibmaschine. Im nächsten Raum: In <strong>de</strong>r<br />

Mitte eine riesige OP-Lampe, darunter ein Operationstisch, an <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n<br />

Schränke aus Chrom. Eine Schubla<strong>de</strong> ist geöffnet. Verschie<strong>de</strong>nes chirurgisches<br />

Besteck ist dort einsortiert. Auf <strong>de</strong>n Schränken liegen Spritzen in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Größen, Mullbin<strong>de</strong>n, OP-Handschuhe; große, dicke, bis zum Oberarm reichen<strong>de</strong><br />

Gummihandschuhe, Geburtszangen, eine Gasmaske, verschie<strong>de</strong>ne Katheter mit<br />

Urinbeutel, Vibratoren, Klistierbecher <strong>und</strong> -schläuche, Schüsseln, Wäscheklammern,<br />

Desinfektionsmittel, Alkohol, Milchpumpen, Wattetupfer. In einer abgetrennten<br />

Ecke steht ein gynäkologischer Stuhl. Von hier aus führt ein Flur zu <strong>de</strong>n<br />

Krankenz<strong>im</strong>mern. Ihre Einrichtung besteht aus einem Krankenbett, einem Nachttisch,<br />

einem Wäscheschrank, einem Fernseher <strong>und</strong> - einem Kreuz an <strong>de</strong>r Wand.<br />

In dieser Beobachtungssequenz wer<strong>de</strong>n die verschie<strong>de</strong>nen Räume eines professionellen Do-<br />

mina-Studios beschrieben. 56 Für einen St<strong>und</strong>ensatz zwischen 200 <strong>und</strong> 600 DM können sich<br />

hier die Besucher <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Domina ‚behan<strong>de</strong>ln’ lassen.<br />

56 Die großen <strong>und</strong> bekannten Domina-Studios sind ähnlich ausgestattet. Manche Studios haben zusätzlich für<br />

Win<strong>de</strong>lsex eine Babyecke mit Bausteinen, Schnullern <strong>und</strong> Rasseln o<strong>de</strong>r für die Schulerziehung ein Klassenz<strong>im</strong>mer<br />

mit Schulbänken, Tafel <strong>und</strong> Rohrstock eingerichtet. Entsprechend <strong>de</strong>r jeweiligen Preisklasse variiert<br />

die Ausstattung <strong>de</strong>r Studios beträchtlich.<br />

94


Abb.: „Behandlungsraum“ mit Werkzeugen <strong>und</strong> Foltergeräten<br />

(Quelle: www.avalon-berlin.<strong>de</strong>)<br />

Wie ein K<strong>und</strong>e <strong>de</strong>n Weg zu einem Domina-Studio fin<strong>de</strong>t, welches Selbstverständnis für die<br />

Frauen typisch ist <strong>und</strong> wie <strong>de</strong>ren Bild aussieht, das sie <strong>von</strong> ihren K<strong>und</strong>en haben, ist <strong>im</strong> Fol-<br />

gen<strong>de</strong>n dargestellt; ebenso die Verflechtung <strong>von</strong> Domina- <strong>und</strong> Prostitutions-Szene.<br />

Der Weg in das Studio<br />

Dominas stellen ihr Studio in Form <strong>von</strong> Annoncen in <strong>de</strong>n einschlägigen Magazinen vor. Im-<br />

mer mehr sind solche Angebote in <strong>de</strong>r Tagespresse <strong>und</strong> vereinzelt auch in Wochenzeitungen<br />

wie <strong>de</strong>r ‘Zeit’ zu fin<strong>de</strong>n. Dann sind die Texte allerdings codiert. Der Anzeigentext, <strong>de</strong>r häufig<br />

mit Photos versehen ist, beschreibt das Repertoire <strong>de</strong>r einzelnen Praktiken <strong>und</strong> die Ansprech-<br />

möglichkeiten für <strong>de</strong>n K<strong>und</strong>en. Hier einige Beispiele:<br />

Einfühlsame Dominanz durch die ungewöhnliche Madame X. Le<strong>de</strong>r, Gummi,<br />

Lack in separaten, st<strong>im</strong>ulieren<strong>de</strong>n Räumen mit technischen Überraschungen. Heiße<br />

u. st<strong>im</strong>mungsvolle Behandlungen, auch mit attraktiver Zofe. Das Studio <strong>de</strong>r<br />

Exclusivität. Diskret, Perfekt, Gekonnt.<br />

Immer eine Peitschenlänge voraus! Salon X. Beson<strong>de</strong>rheiten: Neuer Soft-Erziehungsraum<br />

mit raffinierter Ausstattung. Jetzt auch: Gummi-, Klinikstation <strong>und</strong><br />

TV-Umklei<strong>de</strong>kabinett. Blutjunge Sex-Sklavin X (s. Bild). Aufstellung verschie<strong>de</strong>ner<br />

Programmangebote für <strong>de</strong>n S/M-Neuling.<br />

Gräfin X. Höre - Du unterwürfige Seele! Endlich bin ich für Dich da! Agil, weiblich<br />

<strong>und</strong> sehr vollbusig. Eine Herrscherin mit Format. Ich wer<strong>de</strong> Dich, auf meine<br />

95


subtile Art, in die Welt Deiner gewagten Träume führen. Kein Wunsch bleibt ungehört,<br />

keine Neigung ungeachtet. Auch mit körperlichem Kontakt mit mir. Softstreng,<br />

auch medizinisch (Safer-Sex). Ich weiß, Du wirst mir hörig sein! Ruf an!<br />

Rassige Domina, sehr sauber <strong>und</strong> erfahren, erfüllt alle Wünsche. In meinem voll<br />

eingerichteten Kabinett können wir die tollsten Unterwerfungsspiele treiben (Anal,<br />

NS, Doktorspiele, Klistier, TV-Erziehung usw.). Anfänger führe ich gerne<br />

ein.<br />

Nach <strong>de</strong>r Lektüre <strong>de</strong>r Anzeigentexte <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Entscheidung für ein best<strong>im</strong>mtes Angebot stellt<br />

<strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e <strong>de</strong>n ersten Kontakt üblicherweise über das Telefon her. 57 Dadurch kann er in ei-<br />

nem ersten Gespräch unverbindlich prüfen, ob ihm das Angebot zusagt. Gegebenenfalls wird<br />

ein Termin vereinbart <strong>und</strong> - soweit <strong>im</strong> Kontaktführer nicht aufgeführt - die Adresse bekannt<br />

gegeben. Kommt es dann zu einem Studiobesuch, ist zu klären, welche konkreten Wünsche<br />

an die Domina herangetragen wer<strong>de</strong>n, welches die bevorzugten Praktiken sind, aber auch<br />

welche Grenzen <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Domina akzeptiert wer<strong>de</strong>n sollen. Für diese Aushandlungsphase gibt<br />

es unterschiedliche Möglichkeiten:<br />

Hanna: Es gibt Gäste, die kommen hierher <strong>und</strong> wissen genau, was sie wollen. Das<br />

ist eigentlich recht gut. Ich will zwar nicht alles konkret wissen, aber ich brauche<br />

drei, vier Anhaltspunkte, <strong>und</strong> daraus mache ich dann irgen<strong>de</strong>in Programm. Dann<br />

gibt es wie<strong>de</strong>rum die an<strong>de</strong>ren, die alles bis in das kleinste Detail ausgeklügelt aufgeschrieben<br />

mitbringen. Das ist mir schon wie<strong>de</strong>r viel zu sehr festgelegt, <strong>de</strong>nn als<br />

Domina will man noch einen gewissen Freiraum haben. Und dann gibt es die, die<br />

sich so schämen, dass sie überhaupt nicht damit herüberkommen, was los ist. Da<br />

fängt dann eigentlich die richtige Arbeit an. Die meisten genieren sich so, dass sie<br />

sich mir <strong>im</strong> Gespräch nicht offenbaren <strong>und</strong> herumdrucksen. Für diese Fälle habe<br />

ich dann einen Fragebogen, wo sie diverse Dinge ankreuzen können, damit ich<br />

weiß, in welche Richtung die Ten<strong>de</strong>nz geht. Dann kann ich wenigstens einen Ansatzpunkt<br />

für ein Gespräch fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn es ist ja schwer, an so jeman<strong>de</strong>n ranzukommen,<br />

<strong>und</strong> irgendwo ist die Zeit begrenzt. (...) Oftmals weiß ich aber auch einfach<br />

so aus <strong>de</strong>r Erfahrung heraus, was einer will, wenn er mein Studio betritt. Man<br />

erkennt auch am Verhalten mancher Leute bereits, wie sie veranlagt sind (38 Jahre,<br />

Domina, Studioinhaberin).<br />

Schambarrieren <strong>und</strong> Hemmschwellen machen es vielen K<strong>und</strong>en schwer, über ihre Neigung zu<br />

sprechen. Deshalb hängt es wesentlich vom Geschick <strong>de</strong>r Domina ab, ob <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e zufrie-<br />

<strong>de</strong>ngestellt wer<strong>de</strong>n kann. Manche Dominas sind dazu übergegangen, einfach aufschreiben zu<br />

lassen, was <strong>de</strong>r Einzelne bevorzugt. An<strong>de</strong>re K<strong>und</strong>en formulieren ihre Phantasien <strong>und</strong> Wün-<br />

57 Manche <strong>de</strong>r Studios wollen keine Laufk<strong>und</strong>schaft, weshalb sie nur unter Angabe <strong>de</strong>r Telefonnummer inserieren.<br />

Um zu vermei<strong>de</strong>n, dass ein K<strong>und</strong>e aus Zeitmangel abgewiesen wer<strong>de</strong>n muss, arbeiten aber auch diejenigen,<br />

die unter Angabe ihrer Anschrift inserieren, in <strong>de</strong>r Regel nach festen Terminen.<br />

96


sche in Form pornographischer Erzählungen bereits zuhause o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Büro. Einige <strong>de</strong>r Domi-<br />

nas haben <strong>im</strong> Hinblick auf die knapp bemessene Zeit <strong>von</strong> ihren Stammk<strong>und</strong>en Karteikarten<br />

o<strong>de</strong>r Register angelegt, so dass sie wissen, um welchen K<strong>und</strong>entyp es sich han<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> nicht<br />

je<strong>de</strong>s mal erneut ausdiskutiert wer<strong>de</strong>n muss, was möglich ist <strong>und</strong> was nicht.<br />

Die Tätigkeit einer Domina<br />

Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Dominatätigkeit steht die Behandlung <strong>de</strong>s einzelnen K<strong>und</strong>en, wobei häu-<br />

fig eine Sklavin o<strong>de</strong>r Zofe assistiert. Bei <strong>de</strong>n <strong>von</strong> uns befragten Dominas han<strong>de</strong>lt es sich um<br />

Frauen <strong>im</strong> Alter zwischen 26 <strong>und</strong> 55 Jahren, die oftmals <strong>von</strong> ihrer Statur her eher korpulent<br />

sind. An<strong>de</strong>rs verhält es sich bei <strong>de</strong>n Sklavinnen <strong>und</strong> Zofen, die in <strong>de</strong>n Studios beschäftigt<br />

sind. Sie sind in <strong>de</strong>r Regel zwischen 20 <strong>und</strong> 30 Jahren alt <strong>und</strong> entsprechen eher einem allge-<br />

meinen Schönheitsi<strong>de</strong>al. Nach Aussagen <strong>de</strong>r Studioinhaberinnen kommen die Sklavinnen <strong>und</strong><br />

Zofen aus <strong>de</strong>m Prostitutionsmilieu <strong>und</strong> kehren oftmals in diesen Bereich zurück.<br />

Abb.: Dominas mit Sklave <strong>im</strong> Studio (Quelle: www.avalon-berlin.<strong>de</strong>)<br />

Der Erfolg eines Studios hängt da<strong>von</strong> ab, wie die Domina die sehr disparaten Ansinnen <strong>de</strong>r<br />

einzelnen K<strong>und</strong>en befriedigen kann. Ohne ein entsprechen<strong>de</strong>s Equipment ist dies kaum mög-<br />

lich, was wie<strong>de</strong>r zum Anfang dieses Kapitels zurückführt, nämlich zur Gestaltung eines Stu-<br />

dios. Die verschie<strong>de</strong>nen Abteilungen <strong>und</strong> Räume sind Ausdruck einer sehr spezifischen Nach-<br />

97


frage durch die K<strong>und</strong>en. Neben <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Praktiken in <strong>de</strong>r Einzelbehandlung 58 bieten<br />

die Studios auch Son<strong>de</strong>rveranstaltungen an. Partys, Motto-Aben<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r die Vorführung <strong>von</strong><br />

Transvestiten <strong>und</strong> Transsexuellen zu best<strong>im</strong>mten Terminen gelten als beson<strong>de</strong>re Attraktion.<br />

Zu diesen Veranstaltungen wer<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>ne Privatpersonen eingela<strong>de</strong>n, die einen Unkos-<br />

tenbeitrag <strong>von</strong> 200 bis 500 DM pro Person <strong>und</strong> Abend entrichten <strong>und</strong> damit am Gruppen-<br />

Event teilnehmen können. Manche Dominas haben einen speziellen Raum eingerichtet, <strong>de</strong>n<br />

sie an verschie<strong>de</strong>ne Clubs o<strong>de</strong>r Zirkel vermieten:<br />

Kassandra: In meinem Studio gibt es einmal die normalen Öffnungstage. Da stehe<br />

ich mit meiner Sklavin <strong>und</strong> vielleicht noch die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Gastdomina o<strong>de</strong>r<br />

-sklavin zur Verfügung. Ich habe oft irgendwelche Frauen, die dann eben zusätzlich<br />

da sind. Und dann gibt es die großen Partys, die vorher unter verschie<strong>de</strong>nen<br />

Gesichtspunkten festgelegt sind, zum Beispiel ‚Paarabend’ o<strong>de</strong>r ‚Anfängerparty’<br />

o<strong>de</strong>r ‚Insi<strong>de</strong>rtreff’, das ist eigentlich die Fortführung <strong>von</strong> diesem Damenzirkel, wo<br />

es darum geht, dass ich alle möglichen Frauen, die ich kenne, dominante Frauen<br />

in erster Linie, einla<strong>de</strong>. Die kommen dann mit Partner <strong>und</strong> dann gibt es hier sozusagen<br />

‚Action’. Dann gibt es noch <strong>de</strong>n ‚Sklavinnenabend’, das ist also die umgekehrte<br />

Situation, da kommen M-Frauen mit ihren Partnern <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong> ihnen<br />

vorgeführt. Es sind auch aktive Männer dabei, die schauen sich das Ganze an.<br />

Dann gibt es das ‚Café TV/TS’ für Transvestiten, Transsexuelle <strong>und</strong> so weiter.<br />

Und ‚Rubber Event’, also Gummiabend - ich glaube, das ist so in etwa alles. Und<br />

diese großen Partys wer<strong>de</strong>n dann in regelmäßigen Abstän<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rholt <strong>und</strong> absichtlich<br />

<strong>im</strong>mer unter dieses große Motto gestellt, weil man da viel besser aussortieren<br />

kann. (...) Und dann gibt es mitunter kleine Geschichten, die ich auch <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>de</strong>r mache. Zum Beispiel ruft mich <strong>de</strong>r R. an <strong>und</strong> sagt zu mir, er wür<strong>de</strong><br />

gern mal wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r H. vorbeikommen, ob ich nicht irgendwas hätte in nächster<br />

Zeit. Und dann rufen auch die R. <strong>und</strong> <strong>de</strong>r G. aus <strong>de</strong>m Ausland an - sie ist auch<br />

maso -, sie wür<strong>de</strong>n auch gern mal wie<strong>de</strong>r vorbeikommen. Und dann fängt es bei<br />

mir wie<strong>de</strong>r zu rattern an <strong>und</strong> ich <strong>de</strong>nke: ‚Aha, ja, genau, das könnte ich doch wie<strong>de</strong>r<br />

verbin<strong>de</strong>n’ (35 Jahre, Domina, Studioinhaberin).<br />

An solchen Veranstaltungen nehmen nicht nur Männer, son<strong>de</strong>rn auch Frauen teil, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen<br />

einige ein privates Interesse mit <strong>de</strong>m SM-Erlebnis <strong>im</strong> Studio verbin<strong>de</strong>n. Die sogenannten<br />

Damenzirkel sind ein Beispiel für das Engagement <strong>de</strong>r privaten Dominas. Ähnlich wie an<strong>de</strong>re<br />

am Wochenen<strong>de</strong> die Tanzparty bei Fre<strong>und</strong>en besuchen, kommen (Ehe)Paare zu einer vorher<br />

angekündigten Veranstaltung in das Domina-Studio. Es kommt auch vor, dass Gastgeber<br />

(Clubs <strong>und</strong> Privatpersonen) <strong>von</strong> Veranstaltungen für ihre Zwecke professionelle Dominas<br />

engagieren, die dann als Höhepunkt <strong>de</strong>s Abends beispielsweise ein Programm (Sklavenvor-<br />

führung o<strong>de</strong>r -behandlung) anbieten. Ein Gr<strong>und</strong> für das Zurückgreifen auf kommerzielle An-<br />

58 Zu <strong>de</strong>n einzelnen Praktiken vgl.: Kap. III.1.5.1<br />

98


gebote ist sicherlich <strong>de</strong>r Mangel an Frauen in <strong>de</strong>r SM-Szene. Gleichzeitig bil<strong>de</strong>n diese ver-<br />

schie<strong>de</strong>nen Angebote eine Schnittmenge zwischen kommerzieller <strong>und</strong> privater SM-Szene.<br />

Auch wenn eine Domina flexibel auf die unterschiedlichen Wünsche <strong>und</strong> Phantasien <strong>de</strong>r<br />

K<strong>und</strong>en eingehen kann, so be<strong>de</strong>utet das noch lange nicht, dass <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e in einem professio-<br />

nellen Domina-Studio für Geld alles kaufen kann. Für die Domina ist <strong>de</strong>r Geschlechtsverkehr,<br />

oft auch schon die Berührung <strong>de</strong>r nackten Haut durch <strong>de</strong>n K<strong>und</strong>en, ausgeschlossen. (Es gibt<br />

nur wenige Ausnahmen.) Wünscht <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e dies <strong>de</strong>nnoch, so kommt hierfür die Sklavin<br />

o<strong>de</strong>r Zofe in Frage. Aber auch nicht je<strong>de</strong> Domina ist hiermit einverstan<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> nicht je<strong>de</strong><br />

Sklavin ist hierzu bereit. Auch sadistische Wünsche können <strong>im</strong> Domina-Studio nicht <strong>im</strong>mer<br />

erfüllt wer<strong>de</strong>n. Je nach<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n die K<strong>und</strong>en entwe<strong>de</strong>r gleich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Domina abgewiesen,<br />

o<strong>de</strong>r <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Sklavin befriedigt:<br />

Kassandra: Was wir überhaupt nicht machen, ist Geschlechtsverkehr. Also wenn<br />

jemand Geschlechtsverkehr will, schicke ich ihn weg. Auch mit <strong>de</strong>r Sklavin nicht.<br />

(...) Nein. Das ist für mich einfach nicht okay, das <strong>von</strong> ihr zu verlangen. Da wür<strong>de</strong><br />

ich mir vorkommen wie eine Zuhälterin o<strong>de</strong>r sonst irgendwas. Kann ich nicht.<br />

Wenn sie das wollte, dann könnte sie es natürlich tun. Angenommen, sie hat da<br />

richtig Lust drauf, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r gefällt ihr. Aber bei ihr ist da wenig Gefahr, weil sie<br />

einfach nicht auf Männer abfährt. Deswegen wür<strong>de</strong> ich das noch weniger <strong>von</strong> ihr<br />

verlangen, das wür<strong>de</strong> ihr ja psychisch scha<strong>de</strong>n. (...) Was ich auch nicht mache,<br />

sind Dinge, die mich körperlich betreffen. Viele wollen die Domina mit <strong>de</strong>r Zunge<br />

befriedigen. Das mache ich auch nicht, aber die Sklavin muss das schon machen.<br />

Das kann man <strong>de</strong>n Leuten nicht ver<strong>de</strong>nken. Aber wenn einer das bei mir will, <strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong> ich wegschicken, dann wür<strong>de</strong> ich sagen: ‚Es tut mir leid, das mache ich<br />

nicht’ (35 Jahre, Domina, Studioinhaberin).<br />

Erklärt sich eine Sklavin bereit, sadistische Handlungen über sich ergehen zu lassen, 59 ist es<br />

üblich, dass die Domina die Situation durch häufiges Betreten <strong>de</strong>s Raumes kontrolliert <strong>und</strong><br />

prüft, ob <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e nicht zu weit geht. Oftmals können durch die extremen Wünsche man-<br />

59 Girtler (1990, S. 243f) bemerkt dazu, dass nur wenig Prostituierte, mit <strong>de</strong>nen er sprach, damit einverstan<strong>de</strong>n<br />

waren, "selbst geschlagen o<strong>de</strong>r gemartert zu wer<strong>de</strong>n. Ich hörte allerdings auch <strong>von</strong> Frauen, die gegen entsprechen<strong>de</strong><br />

Bezahlung Auspeitschungen über sich ergehen lassen. So hätte eine Dirne in einer Nacht 40.000<br />

Schilling <strong>von</strong> einem Herrn verdient, <strong>de</strong>r für je<strong>de</strong>n Peitschenhieb auf ihr Gesäß 1000 Schilling gezahlt habe.<br />

Sadistische Neigungen an<strong>de</strong>rer Art wer<strong>de</strong>n allerdings häufig an Dirnen herangetragen. Auf solche Neigungen<br />

<strong>de</strong>utet ein interessantes makabres Inventar in mancher 'strengen Kammer' hin, nämlich ein dunkler Sarg mit<br />

Guckloch. Über einen Gast, für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sarg wichtig ist, wur<strong>de</strong> mir erzählt: 'In <strong>de</strong>n Sarg legt sich das Weib<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Beste steht neben <strong>de</strong>m Sarg <strong>und</strong> spritzt neben <strong>de</strong>m Sarg ab. Im Sarg kann er sie auch pu<strong>de</strong>rn.' Von<br />

einer Dirne, die nach eigenen Aussagen die besteingerichtete 'strenge Kammer' Wiens hat, weiß ich, daß ein<br />

regelmäßig sie aufsuchen<strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e es wünschte, eine mit einem Brautkleid angetane Dirne in <strong>de</strong>n Sarg zu<br />

zwingen. Diese Frau spielt dabei <strong>de</strong>m Mann vor, sie wür<strong>de</strong> dies nicht wollen, <strong>und</strong> wehrt sich. Den Gast erfüllt<br />

es mit Befriedigung, wenn er die 'Braut' schließlich überwältigt <strong>und</strong> <strong>im</strong> Sarg liegen hat, auf <strong>de</strong>n er dann<br />

<strong>de</strong>n Sarg<strong>de</strong>ckel nagelt. (...) Der K<strong>und</strong>e erhält so seine sexuelle Erlösung."<br />

99


cher K<strong>und</strong>en auch Probleme entstehen, <strong>de</strong>nn Domina-Studios wer<strong>de</strong>n auch zu einer Art Auf-<br />

fangbecken für Personen mit extremen <strong>und</strong> bizarren Vorstellungen:<br />

Hanna: Ich hatte einen Fall, <strong>de</strong>r ist je<strong>de</strong>s mal gekommen, hat sich auf extremste<br />

Art <strong>und</strong> Weise quälen lassen, d.h. brennen<strong>de</strong> Zigaretten ausdrücken, Rheumasalbe<br />

auf die Fußsohlen, Stockschläge auf die Fußsohlen, also richtig so wie man gehört<br />

hat, dass Kriegsgefangene in <strong>de</strong>n letzten Kriegen gefoltert wur<strong>de</strong>n. Bis er mir<br />

dann erzählt hat, dass er in <strong>de</strong>r Nähe einer Schule wohnt <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer Mädchen belästigt.<br />

Ich habe es anfangs nicht geglaubt, habe das Ganze nachgeprüft. Es war<br />

wirklich eine Schule in <strong>de</strong>r Nähe. Und dann kam mir <strong>de</strong>r Gedanke, ob ich mich<br />

nicht an die Polizei wen<strong>de</strong>, weil das für mich schon ein Psychopath war. Der hat<br />

gemeint, wenn er sich dann auf gemeinste Art <strong>und</strong> Weise quälen lässt, dass das für<br />

ihn eine Art Absolution ist. So wie ein Katholik bei <strong>de</strong>r Beichte. Der kam mir<br />

dann aber lei<strong>de</strong>r nicht mehr unter die Finger. Ich fin<strong>de</strong>, bei so einem Menschen<br />

sollte man sich doch überlegen, ob das nicht doch eine Gefahr für die Allgemeinheit<br />

darstellt. So jemand müsste man in Behandlung geben. Zumin<strong>de</strong>stens in eine<br />

Therapie (38 Jahre, Domina, Studioinhaberin).<br />

Danuta: Da habe ich jetzt am Dienstag eine Behandlung, das verkrafte ich psychisch<br />

nicht. Und zwar bin ich gegen Tiersex <strong>und</strong> gegen Kin<strong>de</strong>rsex. Da habe ich<br />

also einen Gast, <strong>de</strong>r <strong>im</strong>mer auf kleine Mädchen angesprochen hat. Er sagt, er<br />

treibt es mit kleinen Mädchen. Er lockt die in sein Landhaus, streichelt ihre Brüste,<br />

ihre Muschi <strong>und</strong> so. Das ist ein schwieriger Fall für mich, weil ich nicht einschätzen<br />

kann, ob er nur phantasiert o<strong>de</strong>r es wirklich macht. Diese Kleine, die hier<br />

als Sklavin arbeitet, auf die ist er jetzt ganz heiß, weil die so kindlich ist. Und da<br />

habe ich Schwierigkeiten. Mit allen Dingen, die ich selber hasse, habe ich<br />

Schwierigkeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass er sowas tatsächlich macht. Man<br />

kann sich doch nicht einfach in so eine Rolle hineinversetzen. Und <strong>de</strong>r strengt<br />

mich an. Wenn ich mit <strong>de</strong>m Mann drei St<strong>und</strong>en arbeite, dann bin ich geschafft.<br />

Dann sind wir alle geschafft hier.<br />

F: Mir ist nicht ganz klar, was jemand, <strong>de</strong>r eine Neigung für Kin<strong>de</strong>rsex hat, in einem<br />

Domina-Studio sucht?<br />

Danuta: Das ist seine Wunschvorstellung <strong>und</strong> das möchte er sich bei uns austreiben<br />

lassen. Er kommt in die Klinik, dass man ihm das austreibt, dass er sowas<br />

wie<strong>de</strong>r gemacht hat. Dann sage ich zu ihm: ‚Na, hast Du es wie<strong>de</strong>r mit Mädchen<br />

getrieben? Wie alt war die Kleine <strong>de</strong>nn, die du wie<strong>de</strong>r in das Landhaus gelockt<br />

hast? Sage mir mal, was du mit ihr gemacht hast!’ Dann holt er seinen Penis raus,<br />

streichelt <strong>de</strong>n. Ich sage: ‚Fin<strong>de</strong>st du das nicht schweinisch, sowas? Hast du sie<br />

auch geküsst? Dann musst du heute wie<strong>de</strong>r bestraft wer<strong>de</strong>n!’ (48 Jahre, Domina,<br />

Studioinhaberin).<br />

Neben <strong>de</strong>m Umstand, dass bei solchen K<strong>und</strong>en die Toleranzgrenzen <strong>de</strong>r Domina <strong>und</strong> ihrer<br />

Sklavin auf die Probe gestellt wer<strong>de</strong>n, ist mitunter auch nicht klar, ob die K<strong>und</strong>en nicht wirk-<br />

lich in verschie<strong>de</strong>ne Sexual<strong>de</strong>likte verwickelt sind. Aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r anonymen Studiosituation<br />

100


können manche Besucher ihren persönlichen Hintergr<strong>und</strong> leicht verbergen, auch wenn dies<br />

nicht die Regel ist.<br />

Verflechtung mit <strong>de</strong>r Prostitutions-Szene<br />

Die Prostitution in <strong>de</strong>r ‚strengen Kammer’ (vgl. Girtler 1990) ist eine beson<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r<br />

Wohnungsprostitution, wo <strong>im</strong> Gegensatz zu <strong>de</strong>n sonst üblichen Praktiken auch Spezialbe-<br />

handlungen <strong>von</strong> normalen Prostituierten angeboten wer<strong>de</strong>n. 60 Daneben spielen perverse Prak-<br />

tiken auch bei <strong>de</strong>r Straßenprostitution eine Rolle: „Nicht untypisch für die Prostitution auf <strong>de</strong>r<br />

Straße scheint auch folgen<strong>de</strong> Erzählung eines Zuhälters zu sein: ‚Von einem Gogl allein hat<br />

meine Alte nur für das Hineinscheißen in sein Auto dreieinhalbtausend Schilling kassiert. Der<br />

Mann ist alle zwei, drei Monate gekommen <strong>und</strong> meist dann, wenn er einen neuen Wagen hat-<br />

te“ (ebd. S. 233). Daneben berichtet Girtler <strong>von</strong> Prostituierten, die auf <strong>de</strong>m Straßenstrich ar-<br />

beiten <strong>und</strong> sich ein „perverses Kisterl“ (ebd. S. 243) angeschafft haben, um <strong>de</strong>m K<strong>und</strong>en eine<br />

strenge Behandlung zu ermöglichen. Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich um einen kleinen Kasten o<strong>de</strong>r<br />

Koffer, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n unterschiedlichsten SM-Werkzeugen ausgestattet ist. Viele Prostituierte<br />

lehnen sadomasochistische Praktiken aber mit <strong>de</strong>m Hinweis ab, so etwas Perverses nicht mit-<br />

zumachen. 61 Wenn aber beispielsweise Straßen-Prostituierte bereit sind, auf diese Son<strong>de</strong>rwün-<br />

sche einzugehen, so zu einem weit höheren Preis, als sie für normalen Geschlechtsverkehr<br />

erhalten.<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r Straßen- <strong>und</strong> Wohnungsprostitution arbeiten die meisten Frauen für einen Zu-<br />

hälter: „Der Zuhälter ist es, <strong>de</strong>r in gewisser Weise <strong>de</strong>n Strich bzw. die Prostitution überhaupt<br />

möglich macht. Er ist es, <strong>de</strong>r nicht nur darauf achtet, daß <strong>de</strong>r Strich funktioniert, son<strong>de</strong>rn er ist<br />

für die Prostituierte so etwas wie eine Bezugsperson, die sie vor diversen Problemen schützt<br />

<strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r menschlich-int<strong>im</strong>e Kontakte möglich sind. Das heißt jedoch nicht, daß die Bezie-<br />

60 Auf eine ähnliche Situation verweisen Janus u.a. (1979, S. 11), wenn sie die Be<strong>de</strong>utung sadomasochistischer<br />

Sexualpraktiken für eine "höhere Ebene" <strong>de</strong>r Prostitution unterstreichen, nämlich für <strong>de</strong>n Kreis <strong>de</strong>r "Elite-<br />

Callgirls". Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um Prostituierte, die "nicht <strong>de</strong>r landläufigen Vorstellung <strong>von</strong> einer 'Hure'"<br />

entsprechen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Klientel sich ausschließlich aus "Vertretern <strong>de</strong>r Macht" (ebd. S. 14) - beispielsweise<br />

Rechtsanwälte, Gesetzgeber <strong>und</strong> Richter - zusammensetzt. Auch Stein (1974) fand in ihrer Call-Girl-Studie<br />

heraus, dass Sadomasochismus <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Prostitution praktiziert wird.<br />

61 Auch Girtler (1990, S. 232) bemerkt, dass "nicht je<strong>de</strong> Prostituierte daran interessiert (ist), daran mitzutun."<br />

Unter Zuhältern wer<strong>de</strong>n Freier mit sadomasochistischen o<strong>de</strong>r bizarren Neigungen oftmals als Perverse belächelt:<br />

Die Domina ist nur für das Perverse. Zum Anketten, Auspeitschen <strong>und</strong> so. Ich habe mich schon oft gefragt,<br />

wie so eine Domina überhaupt auf <strong>de</strong>n K<strong>und</strong>en eingehen kann. Z.B. einen Einlauf machen o<strong>de</strong>r so was,<br />

das ist doch ekelhaft. Ich kann die Typen auch nicht verstehen. Ich lasse mich doch auch nicht anpissen o<strong>de</strong>r<br />

anscheißen auf gut Deutsch gesagt <strong>und</strong> lege dafür auch noch Geld hin. Die müssen doch alle irgendwie eine<br />

Macke haben.<br />

101


hungen zwischen Prostituierter <strong>und</strong> Zuhälter <strong>im</strong>mer partnerschaftliche sind, (...) son<strong>de</strong>rn daß<br />

auch Gewalt die Kommunikation best<strong>im</strong>mt“ (Girtler 1990, S. 83). Zu Beginn unserer Studie<br />

sprachen wir mit einem Zuhälter, <strong>de</strong>r angab, dass auch Dominas nicht ohne Zuhälter arbeiten<br />

können. Er erklärte dies wie folgt:<br />

Wenn z.B. eine Domina ein Studio aufmacht, dann frisst die unser Geld weg mit<br />

ihrer ganzen Stammk<strong>und</strong>schaft. Das geht nicht. Das können wir [die führen<strong>de</strong>n<br />

Zuhälter <strong>de</strong>r Stadt] nicht zulassen. Dann wird <strong>de</strong>r Rat einberufen, <strong>und</strong> wir sitzen<br />

dann am Stammtisch, <strong>und</strong> dann wird bere<strong>de</strong>t, was zu tun ist. Da wird abgest<strong>im</strong>mt.<br />

Wenn wir beschlossen haben, dass ein Club geschlossen wird, dann wird z.B. in<br />

einer Nacht- <strong>und</strong> Nebelaktion das Studio <strong>de</strong>moliert. Es gibt auch noch an<strong>de</strong>re Metho<strong>de</strong>n:<br />

Man schickt z.B. einen getarnten Freier hoch, <strong>de</strong>r klingelt ganz normal<br />

<strong>und</strong> geht rein <strong>und</strong> haut alles kurz <strong>und</strong> klein.<br />

Die Dominas bewerten das an<strong>de</strong>rs. Sie berichten, dass Zuhälterei nicht zwangsläufig mit <strong>de</strong>m<br />

Dominagewerbe verb<strong>und</strong>en sein muss. Sicherlich gibt es einige Studios, die durch Zuhälter<br />

kontrolliert wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> dies insbeson<strong>de</strong>re dann, wenn die Domina vorher als Prostituierte<br />

gearbeitet <strong>und</strong> sich <strong>im</strong> gleichen Ort ‘auf pervers’ spezialisiert hat. Häufig sind die Studios<br />

aber ganz aus <strong>de</strong>n ‚Sperrbezirken’ ausgelagert. Die Domina arbeitet als eigenständige Ge-<br />

schäftsfrau o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st als Leiterin <strong>de</strong>s Etablissements:<br />

Hanna: Der Bereich <strong>de</strong>r Zuhälterei, <strong>de</strong>r war schon <strong>im</strong>mer in diesem Milieu gegeben.<br />

Dass irgendwelche Frauen mit irgendwelchen Leuten aus dieser Szene Kontakt<br />

kriegen, notgedrungen o<strong>de</strong>r gewollt, das ist auch gegeben. Aber ich sage mir<br />

<strong>im</strong>mer: Wer sich in die Gefahr begibt, kommt darin um. Es kommt <strong>im</strong>mer darauf<br />

an, wo man sich hinbegibt. Wenn man als Domina meint, man muss in die<br />

Stammdiskotheken o<strong>de</strong>r in die Milieukneipen gehen <strong>und</strong> sich da publik machen,<br />

ist natürlich die Gefahr da, dass man solche Leute auf sich aufmerksam macht, die<br />

da vielleicht Geld riechen. Wenn man sich aber nur auf seinen Job konzentriert<br />

<strong>und</strong> ein normal geregeltes Privatleben hat, ist die Gefahr so gut wie nicht gegeben.<br />

Die Repressalien <strong>von</strong> früher sind <strong>im</strong>mer mehr am nachlassen, die Frauen sind<br />

emanzipierter gewor<strong>de</strong>n. Mittlerweile gibt es sehr viele Vereinigungen, wie die<br />

‚HWG’ in Frankfurt, dann gibt es ‚Straps <strong>und</strong> Grips’ oben in Münster u.s.w. Ich<br />

habe da mit einigen Leuten Kontakt. Es ist so, dass schon ein gewisser Schutz da<br />

ist. Zwar nicht <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n selbst, aber dadurch, dass die ganze Grauzone<br />

etwas lockerer gewor<strong>de</strong>n ist. Es gibt zwar die Sperrgebiete <strong>und</strong> gewisse Auflagen<br />

für die Frauen, die <strong>de</strong>r normalen Prostitution o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Studiobereich nachgehen.<br />

Aber dadurch, dass da eine an<strong>de</strong>re Zusammenarbeit stattfin<strong>de</strong>t, <strong>und</strong> dass das Ganze<br />

ein bisschen mehr an die Öffentlichkeit kommt, <strong>und</strong> nicht mehr so <strong>de</strong>r verruchte<br />

Touch da ist, kann man sich halt zu gewissen Dingen offizieller äußern. Dadurch<br />

ist auch die Zuhälterei sehr ins Hintertreffen geraten (38 Jahre, Domina,<br />

Studioinhaberin).<br />

Aber nicht nur durch eigenständige Organisation <strong>und</strong> ‚Unternehmensführung’ unterschei<strong>de</strong>t<br />

sich das Dominagewerbe <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Prostitution. Sie distanzieren sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>n ‘Nutten’ <strong>und</strong><br />

102


verstehen sich nicht als Prostituierte, son<strong>de</strong>rn eher als ‚Therapeutinnen’, die Erziehungsfehler<br />

kompensieren, gesellschaftlich stigmatisierte Wünsche erfüllen <strong>und</strong> Bedürfnisse <strong>von</strong> Men-<br />

schen befriedigen, die sonst nirgends ausgelebt wer<strong>de</strong>n können.<br />

1.4 Co<strong>de</strong>s <strong>und</strong> Symbole<br />

Auch in <strong>de</strong>n sadomasochistischen Spezialkulturen bil<strong>de</strong>n sich - genau wie in an<strong>de</strong>ren Berei-<br />

chen 62 - typische Wissensvorräte aus. Die sozialen Regeln bei Gruppeninszenierungen o<strong>de</strong>r<br />

best<strong>im</strong>mte Fertigkeiten (z.B. bei Bondage-Praktiken) sind Beispiele für dieses Szenewissen.<br />

Daneben gibt es zahlreiche Symbole <strong>und</strong> Co<strong>de</strong>s als Elemente dieser spezialkultur-typischen<br />

Relevanzsysteme, die <strong>de</strong>r Außenseiter nicht ohne Weiteres <strong>de</strong>codieren kann. Ihre Funktionen<br />

sind <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n dargestellt. Dabei sind zwei größere Bereiche zu unterschei<strong>de</strong>n: 1) Die<br />

spezifischen verbalen Sprachco<strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>n Kontaktanzeigen <strong>und</strong> 2) die symbolvermittelten -<br />

non-verbalen Be<strong>de</strong>utungsträger (Kleidung, Schmuck etc.). Letztere haben auch fetischistische<br />

Funktionen, die <strong>im</strong> Anschluss dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

1.4.1 Kontaktanzeigen<br />

Medien spielen in <strong>de</strong>n sadomasochistischen Spezialkulturen eine wichtige Rolle (vgl. Wetz-<br />

stein u.a. 1993). Ein großer Teil <strong>de</strong>r Print- <strong>und</strong> <strong>de</strong>r elektronischen Medien dient dabei An<strong>im</strong>a-<br />

tionszwecken. Es gibt aber auch zahlreiche Kontaktzeitschriften, in <strong>de</strong>nen Interessierte nach<br />

persönlichen Beziehungen suchen o<strong>de</strong>r sie anbieten. In je<strong>de</strong>m Szenegeschäft sind solche Kon-<br />

taktführer zu fin<strong>de</strong>n. Dies war nicht <strong>im</strong>mer so. Bis in die siebziger Jahre hinein gab es keine<br />

ausgeprägte subkulturelle Organisation <strong>und</strong> kaum Medien für solche spezialisierten Interes-<br />

sen. Was aber nicht heißen soll, dass keine Kontakte über Medien geknüpft wur<strong>de</strong>n:<br />

Dorothea: Anzeigen gibt es eigentlich schon sehr lange. Die waren früher allerdings<br />

ziemlich verschlüsselt. Also nicht so offen, wie man das heute formuliert.<br />

Heute gibt es ja Hefte, in <strong>de</strong>nen stehen Anzeigen drin, die sind ja nun wirklich<br />

<strong>de</strong>ftig, so dass ich mich manchmal w<strong>und</strong>ere, was für Worte da gebraucht wer<strong>de</strong>n.<br />

Aber früher hat man ja diese Anzeigen verschlüsselt abgefasst. Die Zeitungen hätten<br />

das ja auch gar nicht aufgenommen, wenn man das an<strong>de</strong>rs formuliert hätte.<br />

Sogar heute gibt es Zeitungen, in <strong>de</strong>nen man sehr vorsichtig formulieren muss (50<br />

Jahre, S., heterosexuell).<br />

62 Als Beispiele können hier etwa die Welten <strong>de</strong>r Vi<strong>de</strong>ofans (vgl. Eckert u.a. 1990; Vogelgesang 1991), <strong>de</strong>r<br />

Computerfreaks (vgl. Eckert u.a. 1991), die Bodybuilding-Kultur (vgl. Honer 1985) o<strong>de</strong>r auch die Do-ityourself-Bastler<br />

(vgl. Hitzler/Honer 1988) genannt wer<strong>de</strong>n.<br />

103


Die normalen, <strong>und</strong> überall erhältlichen Tages- <strong>und</strong> Wochenzeitungen sowie Stadtmagazine<br />

wur<strong>de</strong>n (<strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n auch noch heute) dazu genutzt, Such-Annoncen aufzugeben o<strong>de</strong>r SM-<br />

Dienste anzubieten. Um aber in einer Tageszeitung überhaupt gedruckt zu wer<strong>de</strong>n, muss <strong>de</strong>r<br />

sadomasochistische <strong>Kontext</strong> <strong>de</strong>r Annonce verschleiert wer<strong>de</strong>n. Für die Praktiken <strong>und</strong> Neigun-<br />

gen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb entsprechen<strong>de</strong> sprachliche Co<strong>de</strong>s verwen<strong>de</strong>t.<br />

Wo wer<strong>de</strong>n Sprösslinge, Ehefrauen, Fre<strong>und</strong>innen, Fre<strong>und</strong>e noch mit <strong>de</strong>m Rohrstock<br />

erzogen? Gepflegter Pädagoge möchte mit Rat <strong>und</strong> Tat zur Seite stehen. Erzieher,<br />

mit komplett eingerichtetem Erziehungsraum, erteilt solventen Damen,<br />

Herrn <strong>und</strong> Paaren einfühlsame Erziehungshilfe. Wochenend- <strong>und</strong> Langzeitbehandlung<br />

möglich.<br />

Englän<strong>de</strong>rin. Erfahrene Internatslady <strong>und</strong> zu<strong>de</strong>m examinierte Krankenschwester<br />

mit speziellen Erziehungsmetho<strong>de</strong>n erteilt englischen Unterricht - eigenes Privathaus,<br />

zweckmäßige Räume, herrisch, einfühlsam, konsequent mit Sinn für Individualität.<br />

Straflos ungezogen sein kannst Du - kleiner großer Bub - bei mir nicht. Du siehst<br />

ein, dass nur die strenge Hand Deiner erfahrenen Erzieherin Dich zu einem wirklich<br />

nützlichen Glied <strong>de</strong>r Gesellschaft formt. Erziehungsbedürftige Knaben bewerben<br />

sich unter (...).<br />

Die Schönheit <strong>und</strong> die gleichzeitige Strenge Deiner jungen Erzieherin wer<strong>de</strong>n<br />

Dich zunächst verwirren. Ihr Niveau <strong>und</strong> ihr ausgezeichnetes Benehmen lassen<br />

Dir Deine fehlen<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>rstube bewusst wer<strong>de</strong>n. Du siehst ein, dass bei Dir nur<br />

die gute alte englische Erziehung fruchtet (...).<br />

In <strong>de</strong>n Anzeigentexten wird die nichtsexuelle <strong>Kontext</strong>ierung <strong>de</strong>s sexuell motivierten Anlie-<br />

gens <strong>de</strong>utlich. Das Wechselspiel <strong>von</strong> Beherrschung <strong>und</strong> Erniedrigung wird beispielsweise<br />

hinter <strong>de</strong>r Metapher <strong>de</strong>r ‘Erziehung’ verborgen, wobei <strong>de</strong>r Erziehungsbegriff für verschie<strong>de</strong>ne<br />

flagellantische Praktiken steht, etwa die ‘englische Erziehung’ mit <strong>de</strong>m Rohrstock. In vielen<br />

Anzeigen ist das Spektrum an Erziehungsmitteln aber weiter gefasst. Gera<strong>de</strong> wenn in <strong>de</strong>n<br />

SM-Annoncen <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s ‘toleranten Paares’ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ‘tabulosen Beziehung’ verwen<strong>de</strong>t<br />

wird, ist damit eine ganze Palette verschie<strong>de</strong>ner sadomasochistischer <strong>und</strong> ‘bizarrer’ Praktiken<br />

angesprochen: Fesselungen, anale Praktiken, Klistiere, Na<strong>de</strong>ln etc. wer<strong>de</strong>n in diesem Zusam-<br />

menhang eingesetzt. Diese begrifflich neutrale Thematisierung sexueller Wünsche wird ins-<br />

beson<strong>de</strong>re in vielen Szene-Magazinen <strong>und</strong> Hardcore-Heften durch eine direktere Begriffswahl<br />

ersetzt. Hier besteht kein umfassen<strong>de</strong>r Codierzwang <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentsprechend wer<strong>de</strong>n die sexuel-<br />

len Verhaltensformen mit einem umgangssprachlichen o<strong>de</strong>r szenegebräuchlichen Vokabular<br />

beschrieben.<br />

Schwanger? Williges Ficktier sucht Leute, die Lust auf einen dicken Bauch <strong>und</strong><br />

pralle Titten haben. Wer hat Erfahrung <strong>im</strong> Umgang mit einer solchen Deckstute?<br />

104


Keine finanziellen Interessen. Aber genaue Angaben, was man bei <strong>de</strong>r Dressur berücksichtigen<br />

muss. Echter Erfahrungsaustausch gesucht. Wie kann man z.B. die<br />

Milchproduktion <strong>de</strong>r Stute steigern etc.? Kontakt zu SM-Arzt/Hebamme für<br />

Hausgeburt gesucht.<br />

Eine scharfe, tabulose Wichserin bin ich, 26 Jahre jung, schlank <strong>und</strong> ständig<br />

feucht in meiner Möse. Für frivole Spielchen suche ich geile Herrn mit außergewöhnlicher<br />

Sexneigung (z.B. NS, Kaviar, Wichser, Fußanbeter, Achselschweiß-<br />

<strong>und</strong> Mösensaftlecker etc.). Gera<strong>de</strong> ganz ausgefallene Erotik macht mich an, also<br />

nur keine Hemmungen!<br />

Er (26, 170cm, schlank) sucht Paar o<strong>de</strong>r Sie (auch mehrere Fre<strong>und</strong>innen, ...) für<br />

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spen<strong>de</strong> <strong>und</strong> schlucke restlos alles.<br />

Paar, Mitte Dreißig, sie dominant, attraktiv, durchsetzungswillig, er <strong>de</strong>vot, abgerichtet,<br />

sucht Kontakt zu Kastrationswilligen, Semi-Kastrierten, Kastraten, Sklaven<br />

mit übermäßigem Geschlechtstrieb <strong>und</strong> allen Interessenten, die dieses Thema<br />

interessiert, erregt <strong>und</strong> fasziniert. Äußerste Diskretion.<br />

Es fällt auf, dass für beson<strong>de</strong>rs tabuisierte Bereiche nach wie vor Co<strong>de</strong>s verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Ein gutes Beispiel sind die Begriffe ‘Kaviar’ <strong>und</strong> ‘Natursekt’, die für die Bezeichnung <strong>von</strong><br />

Exkrementen verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Weil diese Praktiken <strong>von</strong> vielen Sadomasochisten als be-<br />

son<strong>de</strong>rs ekelhaft abgelehnt wer<strong>de</strong>n, soll die positive Attribuierung <strong>im</strong> Begriff die negative<br />

Be<strong>de</strong>utung abmil<strong>de</strong>rn. Die Verwendung dieses spezifischen Vokabulars beschränkt sich aber<br />

nicht auf die Schriftsprache. Auch in <strong>de</strong>r gesprochenen Sprache wer<strong>de</strong>n diese Metaphern ver-<br />

wen<strong>de</strong>t, wie wir bei unseren Exkursionen in das Untersuchungsfeld feststellen konnten.<br />

‘Schoko’ <strong>und</strong> ‘Dirty’ sind dabei weitere Begriffe für Fäkalpraktiken, ‘Nektar’ ist eine Um-<br />

schreibung für die verschie<strong>de</strong>nsten Körperflüssigkeiten (z.B. Urin, Schei<strong>de</strong>nflüssigkeit,<br />

Sperma), ‘Nursing’ steht für bizarren Kliniksex, ‘Reitunterricht’ ist eine spezielle Form <strong>de</strong>r<br />

‘Sklavenerziehung’. Die Liste solcher Co<strong>de</strong>s ließe sich beinahe beliebig erweitern. Häufig<br />

stammen diese Begriffe aus an<strong>de</strong>ren Sinnsystemen (z.B. die zahlreichen Erziehungsmeta-<br />

phern) <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong> SM-Bereich verfrem<strong>de</strong>t eingesetzt. Damit soll zum einen die Harmlo-<br />

sigkeit <strong>de</strong>s Tuns suggeriert, zum an<strong>de</strong>ren sollen Frem<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r Kommunikation ausgeschlos-<br />

sen wer<strong>de</strong>n. Die Neubesetzung sprachlichen Sinns wird auf diese Weise zu einem Mittel <strong>de</strong>r<br />

sozialen Ausgrenzung <strong>und</strong> zur Gehe<strong>im</strong>haltungsstrategie.<br />

105


1.4.2 Kleidung <strong>und</strong> Schmuck<br />

Typischerweise differenzieren sich in Subkulturen spezifische Stilmuster aus. Die allgemeine<br />

Funktion <strong>von</strong> Stilen beschreibt Soeffner (1986, S. 319) folgen<strong>de</strong>rmaßen: „Es ist eine sichtba-<br />

re, einheitsstiften<strong>de</strong> Präsentation, in die je<strong>de</strong> Einzelhandlung <strong>und</strong> je<strong>de</strong>s Detail mit <strong>de</strong>m Ziel<br />

eingearbeitet ist, eine homogene Figuration o<strong>de</strong>r Gestalt - <strong>de</strong>n Stil - zu bil<strong>de</strong>n <strong>und</strong> darzustel-<br />

len. Stil zu haben - in diesem Sinne - be<strong>de</strong>utet fähig zu sein, bewusst für an<strong>de</strong>re <strong>und</strong> auch für<br />

das eigene Selbstbild eine einheitliche Interpretation anzubieten <strong>und</strong> zu inszenieren.“ Illustra-<br />

tive Beispiele hierfür sind beispielsweise die Punks (vgl. ebd.) o<strong>de</strong>r die Motorrad-Rocker<br />

(vgl. Willis 1981). Letztere zielen bei ihren Inszenierungsformen darauf ab, einen betont<br />

männlichen Habitus nach außen zu <strong>de</strong>monstrieren: Le<strong>de</strong>rkleidung, Abzeichen, Bart <strong>und</strong> -<br />

nicht zu vergessen - das Motorrad sind Kernstücke dieser Macho-Emblematik. Daneben hat<br />

Stil eine wichtige ästhetische Funktion, ist gleichsam „eine ästhetisieren<strong>de</strong> Überhöhung <strong>de</strong>s<br />

Alltäglichen“ (Soeffner 1986, S. 319), <strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>r Rocker etwa das chromblitzen<strong>de</strong> Motor-<br />

rad, <strong>de</strong>ssen Tank mit <strong>de</strong>r Darstellung einer nackten Frau o<strong>de</strong>r einem Fantasy-Motiv bemalt ist.<br />

Auch <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r sadomasochistischen Szenen gibt es ähnliche Ästhetizismen. Die spezi-<br />

fische Bekleidung - <strong>von</strong> Le<strong>de</strong>r über Latex <strong>und</strong> Sei<strong>de</strong> bis Gummi - ist für ihre Träger <strong>im</strong>mer<br />

auch ästhetischer Ausdruck. Wie wichtig gera<strong>de</strong> <strong>im</strong> SM-Bereich das ‚Dressing for pleasure’<br />

gewor<strong>de</strong>n ist, zeigten uns die Besuche in Le<strong>de</strong>rstudios <strong>und</strong> SM-Lä<strong>de</strong>n. Die Auswahl eines<br />

Gummiklei<strong>de</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Accessoires o<strong>de</strong>r einer Le<strong>de</strong>rkombination unterschei-<br />

<strong>de</strong>t sich in nichts <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Kauf eines Abendklei<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r eines Fracks. Mo<strong>de</strong>zeitschriften,<br />

Beratung durch die Verkäufer <strong>und</strong> unzählige Mo<strong>de</strong>llvarianten sind auch in <strong>de</strong>n SM-Boutiquen<br />

mittlerweile Alltag. 63 Die führen<strong>de</strong>n Hersteller kreieren jährlich neue Kollektionen, die zum<br />

Teil I<strong>de</strong>en <strong>und</strong> Anregungen aus <strong>de</strong>r Haute Couture aufgreifen. Umgekehrt erhält auch die<br />

Mainstream-Mo<strong>de</strong> entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Impulse aus <strong>de</strong>r SM-Szene. Ästhetik, Mo<strong>de</strong> <strong>und</strong> Design<br />

sind also Bereiche, die für die Kleidungsstile in <strong>de</strong>r sadomasochistischen Spezialkultur <strong>im</strong>mer<br />

wichtiger wer<strong>de</strong>n. Die Kleidung <strong>und</strong> - nicht zu vergessen - <strong>de</strong>r Schmuck sind aber nicht nur<br />

ästhetischer Ausdruck. Schmuck <strong>und</strong> Kleidung haben verschie<strong>de</strong>ne Be<strong>de</strong>utungsebenen. Sie<br />

63 Dies war nicht <strong>im</strong>mer so. Früher stand sehr oft nur das Material an sich <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong>. Einer <strong>de</strong>r Befragten,<br />

<strong>de</strong>r schon seit über 25 Jahren zur Szene gehört, zeigte uns seine Katalogsammlung aus diesem Zeitraum mit<br />

<strong>de</strong>r Bemerkung: Gummiklei<strong>de</strong>r beispielsweise waren gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r sechziger Jahre in <strong>de</strong>r Regel formlose<br />

Säcke <strong>und</strong> erinnerten mitunter stark an Mülltüten. Heute ist - bis auf <strong>de</strong>n Unterschied <strong>im</strong> Material - kaum<br />

noch ein Unterschied zur Alltagsmo<strong>de</strong> zu bemerken. Viele dieser Kleidungsstücke wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Übrigen aus<br />

Großbritannien <strong>im</strong>portiert.<br />

106


sind z.B. he<strong>im</strong>liche Erkennungs- o<strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rungszeichen für eine eventuelle Beziehungs-<br />

aufnahme: 64<br />

Andreas: Letztendlich signalisierst <strong>und</strong> dokumentierst du mit <strong>de</strong>r Kleidung was zu<br />

irgendwelchen Leuten, die gegebenenfalls zukünftig Partner sein könnten. Wenn<br />

ich in so einem Hawaiihemd dasitze, <strong>de</strong>nkst du nicht, dass ich vielleicht ein Sadomann<br />

bin. Wenn ich in Le<strong>de</strong>r dasitze, assoziierst du ganz einfach: ‚Halt, stopp<br />

mal, <strong>de</strong>r könnte was mit <strong>de</strong>r Geschichte zu tun haben’ (30 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Kleidung <strong>und</strong> Schmuck können aber zur Verstärkung <strong>de</strong>s rollenspezifischen Habitus genutzt<br />

wer<strong>de</strong>n. Ein Ring o<strong>de</strong>r ein Halsreif sind z.B. Ikonen <strong>de</strong>r Unterwerfung. Der dominante Teil<br />

trägt vorzugsweise Le<strong>de</strong>rkleidung, Stiefel <strong>und</strong> als Herrschaftsrequisit die Peitsche. Auffallend<br />

ist auch, dass <strong>de</strong>r Körper fast ganz be<strong>de</strong>ckt ist. Dadurch soll die Unnahbarkeit <strong>und</strong> Überlegen-<br />

heit, z.B. <strong>de</strong>r Domina, symbolisiert wer<strong>de</strong>n. Masochisten <strong>und</strong> Sklaven tragen hingegen wenig<br />

Kleidung. Oft han<strong>de</strong>lt es sich um ein einfaches Riemengeschirr (Harness) <strong>und</strong> ein le<strong>de</strong>rnes,<br />

mit Nieten <strong>und</strong> Ringen versehenes Halsband.<br />

Abb.: Sklaven-Halsreif aus Stahl <strong>und</strong> Sklaven-Le<strong>de</strong>rhalsband<br />

(Quellen: www.puls-drugstore.<strong>de</strong> <strong>und</strong> www.suleika.<strong>de</strong>)<br />

Ein weiteres Requisit ist die Maske. Sie hilft sowohl <strong>de</strong>m Masochisten als auch <strong>de</strong>m Sadisten<br />

dabei, best<strong>im</strong>mte Veranstaltungen anonym besuchen zu können; sichert also Diskretion.<br />

Gleichzeitig kann sie dazu genutzt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Träger am Sprechen, Sehen <strong>und</strong> Hören zu<br />

hin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> dadurch noch manipulierbarer zu machen. Auch die Maske ist eine Möglichkeit,<br />

die passive Rolle zu akzentuieren.<br />

64 Die schwulen Sadomasochisten haben - trotz einiger Übereinst<strong>im</strong>mungen (z.B. dass eine Uniform als Zeichen<br />

für Dominanz interpretiert wird) - ein eigenes Co<strong>de</strong>-System entwickelt, das die sexuellen Nuancen <strong>und</strong><br />

Interessen wesentlich differenzierter wie<strong>de</strong>rgibt (vgl. Wetzstein u.a. 1993).<br />

107


Abb.: Sklaven-Masken aus Le<strong>de</strong>r (Quelle: www.puls-drugstore.<strong>de</strong>)<br />

F: Was ist das <strong>de</strong>nn für ein Ring, <strong>de</strong>n sie um <strong>de</strong>n Hals tragen?<br />

Maja: Das ist E<strong>de</strong>lstahl. Da gibt es zwei Schlüsselchen dazu, mit so einem kleinen<br />

Draht. Die zwei Schlüsselchen hat jetzt halt mein Fre<strong>und</strong>. Also ich muss, wenn<br />

ich das Ding mal abnehmen will, ihn fragen, ob ich es abnehmen kann. (...) Es<br />

zeigt, dass ich seine Sklavin bin.<br />

F: Und dieser Ring am Finger?<br />

Maja: Kennen Sie die Geschichte <strong>de</strong>r O? Ich meine <strong>de</strong>n Film. Da trägt sie halt am<br />

Zeigefinger einen ziemlichen breiten großen Ring. Die Be<strong>de</strong>utung ist, wenn man<br />

<strong>de</strong>n rechts trägt, dann ist man Masochistin <strong>und</strong> links ist man Sadistin (20 Jahre,<br />

M, heterosexuell).<br />

Kurt: Ich trage z.B. gerne Gummikleidung. Ich trage auch Damenwäsche, Korsetts<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>rgleichen, aber keine Uniformen. Die Kleidung erhöht meine Erregung<br />

<strong>und</strong> verstärkt meine SM-Rolle. Stiefel sind das Symbol für Herrschaft, eine<br />

Halskette o<strong>de</strong>r eine Maske sind dagegen Symbole für Unterwerfung (28 Jahre,<br />

S/M, heterosexuell).<br />

Arnold: Le<strong>de</strong>rstiefel <strong>und</strong> selbstverständlich die Peitsche sind für mich ein Symbol<br />

<strong>de</strong>r Herrschaft. Nackte Füße als Gegensatz dazu ein Zeichen <strong>de</strong>r Unterwerfung.<br />

Ach, wollte man alle aufzählen, man käme an kein En<strong>de</strong> (64 Jahre, M, bisexuell).<br />

Durch diese Codifizierung wer<strong>de</strong>n Kleidung <strong>und</strong> Schmuck auch zu Mitteln <strong>de</strong>r Kommu-<br />

nikation. Dies soll anhand <strong>de</strong>s Luhmannschen Kommunikationsbegriffs erläutert wer<strong>de</strong>n.<br />

108


Luhmann versteht Kommunikation als dreiteiligen Selektionsprozess, 65 wobei <strong>de</strong>r Absen<strong>de</strong>r<br />

in einer ersten Selektion eine Information aus <strong>de</strong>r Gesamtheit <strong>de</strong>r Möglichkeiten auswählt. In<br />

<strong>de</strong>r zweiten entschei<strong>de</strong>t er, wie die Information mitgeteilt wer<strong>de</strong>n soll. Die dritte Selektion<br />

erfolgt durch <strong>de</strong>n Empfänger, in<strong>de</strong>m er Information <strong>und</strong> Mitteilung trennt, was wie<strong>de</strong>rum die<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>s Verstehens ist. Das Verstehen wird durch Feedbacks an <strong>de</strong>n Sen<strong>de</strong>r zurückge-<br />

mel<strong>de</strong>t. Kommunikation ist also als gemeinsame Aktualisierung <strong>von</strong> Sinn zu begreifen, als die<br />

Synthese <strong>von</strong> Information, Mitteilung <strong>und</strong> Verstehen. Dabei ist Kommunikation nicht not-<br />

wendigerweise an verbale o<strong>de</strong>r schriftliche Formen geb<strong>und</strong>en. 66<br />

Im Falle <strong>de</strong>r nonverbalen SM-Kommunikation hat <strong>de</strong>r Absen<strong>de</strong>r eine zweifache Selektion<br />

getroffen, nämlich die Selektion <strong>de</strong>r Information (z.B. Ich bin Masochist) <strong>und</strong> die <strong>de</strong>r Mittei-<br />

lung (z.B. <strong>de</strong>r Ring am rechten Finger), also die Entscheidung darüber ob <strong>und</strong> wie die Infor-<br />

mation mitgeteilt wer<strong>de</strong>n soll. Aber erst wenn auch auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Empfangs eine Selektion<br />

getroffen wer<strong>de</strong>n kann, z.B. ‚Da ist ein Masochist, <strong>de</strong>r vielleicht einen Partner sucht’ o<strong>de</strong>r<br />

‚Sie ist die Herrin <strong>und</strong> ich <strong>de</strong>r Diener’ <strong>und</strong> das Verstehen <strong>de</strong>m Sen<strong>de</strong>r bestätigt wird, entsteht<br />

Kommunikation. Die Gelegenheiten für diese Kommunikationen sind zum Beispiel in <strong>de</strong>r<br />

Gruppe (etwa eine Kontaktofferte) o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r sexuellen Interaktion (etwa die Betonung <strong>de</strong>r<br />

Rollenpräferenz als nonverbales Dialogelement) gegeben. Weil die mitgeteilten Informatio-<br />

nen <strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>s Sadomasochismus zu einem sehr spezifischen ‚Sinnprozessieren’ gehören,<br />

ist die Zahl <strong>de</strong>r potentiell Verstehen<strong>de</strong>n recht gering.<br />

Außerhalb <strong>de</strong>r Sinn- <strong>und</strong> Sozialwelt ‚Sadomasochismus’ gibt es ohnehin - <strong>von</strong> Einzelfällen<br />

abgesehen - nieman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n mitgeteilten Sinn entschlüsseln kann. Allerdings ist bei die-<br />

sen Co<strong>de</strong>s ein generalisiertes Verstehen überhaupt nicht intendiert. Das Gegenteil ist <strong>de</strong>r Fall.<br />

Die Transformation allgemeiner Be<strong>de</strong>utungen in spezifische <strong>Kontext</strong>e verän<strong>de</strong>rt ihren Sinn<br />

<strong>und</strong> verhin<strong>de</strong>rt so das Verstehen durch Außenstehen<strong>de</strong>. Das gilt nicht nur für die symbolver-<br />

65 "Geht man vom Sinnbegriff aus, ist als erstes klar, daß Kommunikation <strong>im</strong>mer eine selektives Schema ist.<br />

Sinn läßt keine an<strong>de</strong>re Wahl als zu wählen. Kommunikation greift aus <strong>de</strong>m je aktuellen Verweisungshorizont,<br />

<strong>de</strong>n sie selbst erst konstituiert, etwas heraus <strong>und</strong> läßt an<strong>de</strong>res beiseite. Kommunikation ist Prozessieren<br />

<strong>von</strong> Selektion. Sie selektiert freilich nicht so, wie man aus einem Vorrat das ein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re herausgreift.<br />

(...) Die Selektion, die in <strong>de</strong>r Kommunikation aktualisiert wird, konstituiert ihren eigenen Horizont; sie<br />

konstituiert das, was sie wählt, schon als Selektion, nämlich als Information. Das, was sie mitteilt, wird nicht<br />

nur ausgewählt, es ist selbst schon Auswahl <strong>und</strong> wird <strong>de</strong>shalb mitgeteilt. Kommunikation muß <strong>de</strong>shalb nicht<br />

als zweistelliger, son<strong>de</strong>rn als dreistelliger Selektionsprozeß gesehen wer<strong>de</strong>n. Es geht nicht nur um Absendung<br />

<strong>und</strong> Empfang mit jeweils selektiver Aufmerksamkeit, vielmehr ist die Selektivität <strong>de</strong>r Information<br />

selbst ein Moment <strong>de</strong>s Kommunikationsprozesses, weil nur <strong>im</strong> Hinblick auf sie selektive Aufmerksamkeit<br />

aktiviert wer<strong>de</strong>n kann" (Luhmann 1984, S. 194f).<br />

66 "Kommunikation ist unter <strong>de</strong>r gleichen Bedingung auch ohne Sprache möglich, etwa durch ein Lächeln,<br />

durch fragen<strong>de</strong> Blicke, durch Kleidung, durch Abwesenheit <strong>und</strong> ganz allgemein <strong>und</strong> typisch durch Abweichen<br />

<strong>von</strong> Erwartungen, <strong>de</strong>ren Bekanntheit man unterstellen kann" (Luhmann 1984, S. 208).<br />

109


mittelte Kommunikation, son<strong>de</strong>rn auch - wie gezeigt - für die sprachlichen Co<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>n Kon-<br />

taktanzeigen <strong>von</strong> Sadomasochisten. In Bezug auf die Kleidung spielen neben <strong>de</strong>r Mitteilungs-<br />

funktion auch fetischistische Be<strong>de</strong>utungen eine Rolle. Fetische sind mitunter ein wichtiger<br />

Teil <strong>von</strong> SM-Inszenierungen.<br />

1.4.3 Fetischismus <strong>und</strong> Sadomasochismus<br />

Der Begriff <strong>de</strong>s Fetischismus wur<strong>de</strong> 1887 <strong>von</strong> Binet eingeführt <strong>und</strong> be<strong>de</strong>utet <strong>im</strong> weitesten<br />

Sinne die Fixierung sexueller Interessen auf best<strong>im</strong>mte Gegenstän<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Körperteile. Dabei<br />

gibt es kaum etwas, was nicht schon einmal irgendwo zum Fetisch gemacht wur<strong>de</strong>. Auch <strong>im</strong><br />

SM-Bereich spielen Fetische eine wichtige Rolle. So hat schon Spengler (1979, S. 98f) in<br />

seiner Studie festgestellt: „Fetischismus <strong>und</strong> Sadomasochismus sind in dieser Gruppe un-<br />

trennbar miteinan<strong>de</strong>r verb<strong>und</strong>en. Ausgesprochene Fetischisten, bei <strong>de</strong>nen sadomasochistische<br />

Elemente stark in <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong> getreten sind, wer<strong>de</strong>n offenbar in die Subkultur integriert.“<br />

Insgesamt ist die SM-Szene zugleich auch Auffangbecken für die fetischistisch orientierten<br />

Personen.<br />

Der wichtigste Fetisch <strong>im</strong> SM-Bereich ist das schwarze Le<strong>de</strong>r. Es spielt bei hetero- <strong>und</strong> ho-<br />

mosexuellen Personen eine zentrale Rolle. Insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>n Schwulen ist das Le<strong>de</strong>r ein<br />

Kultobjekt wie kaum ein an<strong>de</strong>res (vgl. Wetzstein u.a. 1993). Schon <strong>de</strong>r spezifische Geruch ist<br />

ein Gr<strong>und</strong> für die Anziehungskraft dieses Materials. Be<strong>im</strong> enganliegen<strong>de</strong>n Le<strong>de</strong>r kommt eine<br />

weitere Funktion hinzu, es „ist eine blanke, spiegeln<strong>de</strong> Oberfläche mit einer Neigung dazu,<br />

die natürlichen Körperformen zu betonen. Es verstärkt die Wirkung je<strong>de</strong>r einzelnen Bewe-<br />

gung <strong>und</strong> daher auch die Ausstrahlung all <strong>de</strong>ssen, was schon <strong>von</strong> Natur aus für <strong>de</strong>n Träger<br />

spricht. Es arbeitet das Offensichtliche klarer heraus <strong>und</strong> gibt ihm eine zusätzliche D<strong>im</strong>ensi-<br />

on“ (Farren 1987, S. 110). Entschei<strong>de</strong>nd für die Verwendung <strong>von</strong> schwarzem Le<strong>de</strong>r ist aber<br />

seine Machtsymbolik. Wie Uniformen steht es für eine polarisierte Machtstruktur, in welcher<br />

<strong>de</strong>r Träger die dominante Rolle ausübt.<br />

Gummi <strong>und</strong> Latex sind weitere Materialien, die in <strong>de</strong>r SM-Szene eine wichtige Rolle spielen.<br />

Sie sind <strong>im</strong> Vergleich zum Le<strong>de</strong>r noch körperbetonter (<strong>de</strong>r Szenebegriff ‘skin two’ bringt dies<br />

zum Ausdruck). Bei bei<strong>de</strong>n kommt hinzu, dass sie die Transpiration verstärken. Das Schwit-<br />

zen in diesen Materialien wird als beson<strong>de</strong>rs angenehm empf<strong>und</strong>en. Auch <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit best<strong>im</strong>mten Fäkalpraktiken spielen diese Materialien eine Rolle: Zum einen, weil sich die<br />

Träger bei <strong>de</strong>r symbolischen Erniedrigung durch Exkremente nicht tatsächlich verunreinigen,<br />

zum an<strong>de</strong>ren sind sie abwaschbar, was ein wichtiger Hygiene-Aspekt ist. Neben diesen For-<br />

men <strong>de</strong>s ‚Materialfetischismus’ sind auch Uniformen <strong>und</strong> Arbeitskleidungen, bei Schwulen<br />

110


noch die Jeans, <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung. Einer <strong>de</strong>r Befragten war Wäschefetischist <strong>und</strong> sammelte die<br />

getragene Wäsche <strong>von</strong> Prostituierten. An<strong>de</strong>re wie<strong>de</strong>rum sind fasziniert <strong>von</strong> High-Heels o<strong>de</strong>r<br />

Militärstiefeln. Auch Körperteile können fetischistische Funktionen übernehmen, wobei ins-<br />

beson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r masochistischen Orientierung <strong>de</strong>r Fußfetischismus <strong>de</strong>s Öfteren genannt<br />

wird. Bei <strong>de</strong>n Schwulen kann <strong>de</strong>r Bart als Ausdruck <strong>von</strong> Maskulinität Fetischcharakter ge-<br />

winnen. Das gleiche gilt für Tätowierungen.<br />

Aber auch aus <strong>de</strong>m engeren sadomasochistischen Bereich kommen zahlreiche Fetische, etwa<br />

die Werkzeuge, Peitschen <strong>und</strong> Fesseln. 67 Sie übernehmen eine dominanz- bzw. submissions-<br />

verstärken<strong>de</strong> Funktion, ähnlich <strong>de</strong>r Kommunikationsfunktion <strong>de</strong>s Outfits. Dies trifft insbe-<br />

son<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>njenigen Personen zu, die pr<strong>im</strong>är sadomasochistisch orientiert sind. Bei ihnen<br />

hat <strong>de</strong>r Fetisch mehr <strong>de</strong>n Charakter einer Beigabe. Von ihnen müssen diejenigen unterschie-<br />

<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die ausschließlich auf einen best<strong>im</strong>mten Körperteil o<strong>de</strong>r Gegenstand fixiert sind.<br />

Weil manche Fetischismen aber zur SM-Situation passen, etwa das <strong>de</strong>vote Verhalten eines<br />

Fußfetischisten, können sie auch ohne größere Probleme in die SM-Situation integriert wer-<br />

<strong>de</strong>n:<br />

Ernst: Ich kann mir alle sadomasochistischen Praktiken vorstellen, <strong>von</strong> ihr als<br />

Teppich, als Fußabstreifer benutzt, getreten zu wer<strong>de</strong>n, ihr die Füße küssen o<strong>de</strong>r<br />

lecken zu müssen. Aber das kann natürlich auch mehr sein: Mein Brustkorb wird<br />

<strong>von</strong> ihr aufgeschlitzt <strong>und</strong> sie wühlt ihre Füße in das Innnere hinein. Die Phantasie<br />

ist <strong>von</strong> mir nicht persönlich, sie ist in einem ganz normalen Film vorgekommen,<br />

wo eine Frau <strong>de</strong>m Mann nachgebrüllt hat, dass sie ihn ihn so sehr hasst, dass sie<br />

am liebsten seinen Brustkorb aufschnei<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> <strong>und</strong> mit ihren Füßen in seine offene<br />

Brust reintreten wür<strong>de</strong>. Und da habe ich mir das erregend vorgestellt. Ich<br />

stelle mir sehr gerne vor, dass meine Haut z.B. abgezogen wird <strong>und</strong> ewig z.B. als<br />

Schuh, als Sohle, als Matratze o<strong>de</strong>r als Fußmatte dient (18 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Marlene: Mein Fre<strong>und</strong> steht ja unhe<strong>im</strong>lich auf diese Gummisachen. Irgendwann<br />

hatte er sich dann so einen Gummisack gekauft, in <strong>de</strong>n ich ihn einpacken musste.<br />

Das ging so weit, dass ich irgendwann das Gefühl hatte, völlig überflüssig zu sein.<br />

Ich war nur noch eine Puppe, die ihn in diesen Gummisack hinein manövriert, <strong>und</strong><br />

dann war meine Aufgabe erfüllt. Er hat sich <strong>im</strong> En<strong>de</strong>ffekt nur noch um seinen Fetisch<br />

gekümmert. Mittlerweile hat sich das Ganze aber wie<strong>de</strong>r gebessert (27 Jahre,<br />

S, heterosexuell).<br />

67 Larose (1989, S. 121ff) teilt sexuelle Fetische in zwei größere Bereiche ein: a) die Körperfetische, die nochmal<br />

in Körperteile sowie Gerüche <strong>und</strong> Ausscheidungen unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n; b) die Objekte, die in Kleidung<br />

<strong>und</strong> Gegenstän<strong>de</strong> aufgeteilt wer<strong>de</strong>n. Als Fetische beschreibt Steele (1998) in ihrer Publikation ‚Fetisch,<br />

Mo<strong>de</strong> Sex <strong>und</strong> Macht’ das Korsett, Schuhe, Fetischstiefel, Catsuits, Unterwäsche, Satin, Gummi, Le<strong>de</strong>r sowie<br />

Tatoos <strong>und</strong> Piercing.<br />

111


Barbara: Le<strong>de</strong>r mag ich einfach, weil es ein absolut anschmiegsames Material ist.<br />

Ich trage es gerne auf <strong>de</strong>r Haut, weil, es hat so etwas <strong>von</strong> - ich kann es schwer beschreiben<br />

-, anschmiegsam trifft es nicht, es ist irgendwie noch was an<strong>de</strong>res (...).<br />

Ich mag auch zum Beispiel <strong>de</strong>n Le<strong>de</strong>rduft. Also wenn ich <strong>im</strong> La<strong>de</strong>n ein Paket mit<br />

Le<strong>de</strong>rsachen frisch aufmache, dann könnte ich mich je<strong>de</strong>s mal reinlegen, das ist<br />

w<strong>und</strong>ervoll, wie das nach Le<strong>de</strong>r duftet, das ist toll. Und was mich an Gummi fasziniert,<br />

ist dieses Total-an-die-Haut-anlehnen <strong>und</strong> dieses Schwitzen unter Gummi,<br />

so dass es sich noch mehr anlehnt <strong>und</strong> man <strong>im</strong> Prinzip so ein Gefühl hat, wie: ‚Eigentlich<br />

habe ich nichts an <strong>und</strong> trotz<strong>de</strong>m habe ich was an’. Das muss ein bisschen<br />

glitschig sein. (...) Ich für mich habe verschie<strong>de</strong>ne Fetische <strong>und</strong> einer da<strong>von</strong> ist<br />

Le<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re ist Gummi (31 Jahre, S/M lesbisch).<br />

Frank: Also was mich schon <strong>im</strong>mer fasziniert hat, sind Männer mit Bärten, die<br />

auch sonst ziemlich stark behaart waren. Manchmal, wenn ich <strong>im</strong> Schw<strong>im</strong>mbad<br />

bin, <strong>und</strong> ich sehe so einen breiten, total behaarten Oberkörper, dann muss ich mir<br />

einen wichsen gehen (37 Jahre, S/M, schwul).<br />

Fetische haben <strong>im</strong> SM-Bereich also eher <strong>de</strong>n Charakter eines Accessoires <strong>und</strong> sind weniger<br />

ein Gegenstand, auf <strong>de</strong>n die jeweilige Person fixiert ist. Dies zeigt sich auch daran, dass Feti-<br />

sche häufig in die Partnersexualität integriert sind <strong>und</strong> nur sehr selten <strong>de</strong>n Partner <strong>im</strong> sexuel-<br />

len Szenario in <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong> drängen. Diese unterschiedlichen Gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Partnerbezogen-<br />

heit betonen auch Bräutigam/Clement (1989, S. 151): „Unterschiedlich ist <strong>de</strong>r Grad, in <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Fetisch in die partnerschaftliche Sexualität integriert ist. Dies kann bei einer fetischisti-<br />

schen Besetzung <strong>von</strong> Körperteilen (Busen, Gesäß, Fuß, Haare) so weitgehend sein, dass <strong>de</strong>r<br />

Fetischcharakter kaum auffällt. Er kann zur sexuellen St<strong>im</strong>ulation <strong>de</strong>s Partners bewusst einge-<br />

setzt o<strong>de</strong>r toleriert wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r Geschlechtsverkehr in best<strong>im</strong>mter Kleidung (z.B. Strap-<br />

se, Unterwäsche, Strümpfe, Stiefel), aus best<strong>im</strong>mtem Material (Samt, Le<strong>de</strong>r, Sei<strong>de</strong>) präferiert<br />

wird o<strong>de</strong>r ausschließlich möglich ist. Schließlich kann <strong>de</strong>r Fetisch ganz losgelöst <strong>von</strong> <strong>de</strong>r<br />

partnerschaftlichen Sexualität <strong>und</strong> seinerseits ein Partneräquivalent sein, z.B. wenn in einen<br />

Schuh o<strong>de</strong>r ein Stück Unterwäsche masturbiert wird.“<br />

1.5 Das sadomasochistische Szenario<br />

„Über meinen Sklavengurt erhalte ich nun ein starkes, breites Gummikorsett um<br />

die Hüften verpaßt, das Herrin Elisabeth mit aller Macht anzieht, so daß ich jeweils<br />

nur noch flach atmen kann. Nun wer<strong>de</strong> ich, bäuchlings über die Rücklehne<br />

unseres Fauteuils gebeugt, mit allen Vieren an Beinen <strong>und</strong> Armlehnen festgezurrt.<br />

Zum Schluß knebelt mich meine Herrin mit einem aufblasbaren Gummiknebel,<br />

will sie doch <strong>von</strong> meinem mit Sicherheit zu erwarten<strong>de</strong>n schmerzvollem Gestöhn<br />

auf keinen Fall belästigt wer<strong>de</strong>n. Genußvoll sucht sich Herrin Elisabeth nun unter<br />

<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Dildos in ihrem Schrank das Passen<strong>de</strong> aus, um mich anal zu ficken.<br />

Denn sie weiß, daß dies für mich <strong>de</strong>r letzte, extremste Akt <strong>de</strong>r Unterwerfung<br />

ist, <strong>de</strong>r mir tief innerlich wi<strong>de</strong>rsteht <strong>und</strong> <strong>de</strong>n ich doch <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r herbeisehne.<br />

112


Dabei ist <strong>de</strong>r Kunstschwanz, <strong>de</strong>n meine Herrin nun vor meinen Augen genüßlich<br />

umschnallt <strong>de</strong>sto größer, je schwerwiegen<strong>de</strong>r die Verfehlungen <strong>und</strong> Unterlassungen<br />

sind, die sie mir vorhalten kann“ (aus: Sadanas Nr. 61, S. 42).<br />

Die Vorstellungen über das, was sadomasochistische Praktiken sind, variieren individuell.<br />

Das gilt für die Auffassungen in Wissenschaft <strong>und</strong> Öffentlichkeit, aber auch für die Protago-<br />

nisten selbst. Wie weit das Spektrum sadomasochistischer Praktiken reicht, ist <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n<br />

dargestellt. Anschließend ist untersucht, welche sozialen Mechanismen <strong>de</strong>m SM-Arrangement<br />

zugr<strong>und</strong>e liegen.<br />

1.5.1 Die Praktiken<br />

Die Praktiken konstitutieren <strong>de</strong>n äußeren Handlungsrahmen <strong>de</strong>s SM-Szenarios. Aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Variationsvielfalt <strong>und</strong> <strong>de</strong>m damit verb<strong>und</strong>enen Problem <strong>de</strong>r Darstellbarkeit ist es sinnvoll,<br />

eine Kategorisierung vorzunehmen. Entsprechend <strong>de</strong>s ethnographischen Forschungsansatzes<br />

orientiert sich die folgen<strong>de</strong> Klassifikation an <strong>de</strong>n Einteilungen, wie sie häufig in <strong>de</strong>r Szene<br />

vorzufin<strong>de</strong>n sind. Im einzelnen: a) Verbale Mittel, b) Flagellantismus, c) Bondage <strong>und</strong> d) bi-<br />

zarre Praktiken. Diese Darstellung 68 beschränkt sich auf die wichtigsten Praktiken <strong>und</strong> ver-<br />

nachlässigt eine ganze Reihe weiterer exotischer <strong>und</strong> extremer Arrangements. Szeneneulinge<br />

o<strong>de</strong>r Interessierte erhalten in <strong>de</strong>n aktuellen (Szene)Publikationen ‘Das SM-Handbuch’<br />

(Gr<strong>im</strong>me 2000), das ‘Lexikon <strong>de</strong>s Sadomasochismus’ (Hoffmann 2001) sowie ‘Die Wahl <strong>de</strong>r<br />

Qual’ (Passig/Strübel 2000) einen Überblick über die Ausdifferenzierung <strong>de</strong>r Spielarten <strong>de</strong>s<br />

Sadomasochismus.<br />

a) Verbale Mittel<br />

Die nonverbale Kommunikation durch Kleidung, Erkennungszeichen <strong>und</strong> Körperhaltung<br />

spielt - wie bereits gezeigt - in <strong>de</strong>r sadomasochistischen Interaktion eine wichtige Rolle. Die<br />

Sprache ist typischerweise - gera<strong>de</strong> dann, wenn es Berührungen mit einer größeren Öffent-<br />

lichkeit gibt - codiert. Sie entzieht sich dadurch <strong>de</strong>m allgemeinen Verständnis. Im Schutz <strong>de</strong>r<br />

SM-Enklave wird die sprachliche Metaphorik <strong>und</strong> Umschreibung aber hinfällig. Sie wird <strong>de</strong>s<br />

68 Die Einteilungsversuche in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Literatur sind unterschiedlich. Weinberg u.a. (1984) beispielsweise<br />

unterschei<strong>de</strong>n zwischen physiologischer <strong>und</strong> psychologischer St<strong>im</strong>ulation sowie Bondage-<br />

Praktiken. Greene/Greene (1974) trennen Bondage-, Schmerz- <strong>und</strong> Unterdrückungspraktiken sowie Fäkalvariationen.<br />

Janus u.a. (1979) unterschei<strong>de</strong>n zwischen Flagellation, sprachlicher <strong>und</strong> psychischer Demütigung<br />

sowie Fesselungen. Weitere Kategorisierungen fin<strong>de</strong>n sich in: Moser (1988); Schiller (1987).<br />

113


Öfteren durch die Drastik pornographischer Direktheit ersetzt. Die Sprache hat dabei eine<br />

doppelte Funktion. Zunächst einmal wer<strong>de</strong>n die sprachlichen Ausgestaltungen rollenspezi-<br />

fisch als Elemente <strong>von</strong> Herrschaft <strong>und</strong> Demut eingesetzt. Die dominante Person kommandiert,<br />

befiehlt, dul<strong>de</strong>t keinen Wi<strong>de</strong>rspruch. Der passive Teil bittet <strong>und</strong> fleht. Neben diesen generel-<br />

len Merkmalen lassen sich weitere rollengeb<strong>und</strong>ene Nuancen feststellen, die sich in verschie-<br />

<strong>de</strong>nen Sprachkonventionen dokumentieren. Es han<strong>de</strong>lt sich dabei nicht um verbindliche Sze-<br />

neregeln, son<strong>de</strong>rn um individuell ausgehan<strong>de</strong>lte Absprachen. So darf <strong>de</strong>r <strong>de</strong>vote Partner oft<br />

nur dann re<strong>de</strong>n, wenn er gefragt wird. Auch seine Demut muss durch das sprachliche Verhal-<br />

ten unter Beweis gestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ferdinand: Ich muss meine Frau dann auch <strong>de</strong>vot ansprechen. Ich bin eben ihr<br />

Sklave <strong>und</strong> muss mich vorsehen. In <strong>de</strong>r Regel darf ich erst dann sprechen, wenn<br />

die Herrin es wünscht. Das gilt erst recht bei Veranstaltungen, wenn ich da vorgezeigt<br />

wer<strong>de</strong>. Da kann ein Wort zuviel schon eine schwere Strafe be<strong>de</strong>uten (36 Jahre,<br />

S/M, heterosexuell).<br />

Roswitha: Den Herrn, <strong>de</strong>n ich mir ausgesucht habe o<strong>de</strong>r umgekehrt, <strong>de</strong>r mich<br />

dann erwählt hat, spreche ich als Herr <strong>und</strong> als Meister an. Totalen Respekt vor<br />

diesem Menschen heißt, ihm in je<strong>de</strong>r Beziehung meine Unterwerfung darzulegen.<br />

Sei es, dass ich zurückhaltend bin, etwas sage, wenn ich gefragt wer<strong>de</strong>, aber nicht<br />

zu viel spreche <strong>und</strong> in gewissen Situationen garnichts sage, höflich bleibe, ihm zu<br />

Diensten stehe (35 Jahre, M, bisexuell).<br />

Neben <strong>de</strong>r Aufgabe als Verstärker <strong>de</strong>r Rollenasymmetrie ist eine weitere Be<strong>de</strong>utung festzu-<br />

halten. Durch ein bewusst ‚ordinäres’ Vokabular wird die Tabulosigkeit <strong>de</strong>r Handlung <strong>und</strong><br />

ihre Ausklammerung aus <strong>de</strong>m Alltag symbolisiert. Die Sprache ist somit zugleich ein Distink-<br />

tionselement, um die Exklusivität <strong>de</strong>r SM-Situation zu betonen. Genau wie die Le<strong>de</strong>rkleidung<br />

ist sie zugleich Signum <strong>und</strong> Konstituens <strong>de</strong>r Normalitätsabweichung. Die Übertretung <strong>de</strong>r<br />

konventionellen Geschmacksgrenzen durch die spezifische Sprache verfeinert als stilistisches<br />

Surplus die SM-Situation. Sie ist ein Utensil wie das raffinierte Accessoire, die Peitsche o<strong>de</strong>r<br />

die Handschellen.<br />

Joseph: Verbal-Erotik ist für mich sehr st<strong>im</strong>ulierend. Je ordinärer die Domina<br />

spricht, mit Ausdrücken wie Schwein, Sau, dreckiger Arschlecker, Sohn einer<br />

pisswütigen Zuchthaushure, geiler Bock, Ficksau, Leck mir die Fotze sauber, du<br />

<strong>im</strong>potenter Jammerlappen, jetzt wichse dich, du Hurensohn usw., sind Ausdrücke,<br />

welche in unterschiedlichen Nuancen <strong>de</strong>n Reiz einer Erziehung erhöhen können<br />

(55 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Karin: Das Verbale spielt zur St<strong>im</strong>ulation eine unglaubliche Rolle. Wenn er vor<br />

mir winselt <strong>und</strong> bettelt, kann ich ihn durch meine Wortwahl noch zusätzlich erniedrigen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>mütigen, wenn ich zum Beispiel sage, ‚Na, was ist <strong>de</strong>nn mit meinem<br />

kleinen Schlappschwanz heute, kriegt er wie<strong>de</strong>r keinen hoch’ o<strong>de</strong>r ‚Wage es<br />

114


nicht, dich zu befriedigen, du kleiner Toilettenwichser’ (28 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Stefan: Ich kann Männer nur ertragen, wenn sie mit Flegelsworten mit mir re<strong>de</strong>n.<br />

Das ist die einzige Form <strong>von</strong> Liebe, die für mich annehmbar ist. (...) Ich war mal<br />

bei so einem Erotik-Workshop. Da haben mich vier Leute gleichzeitig massiert,<br />

ganz liebevoll <strong>und</strong> haben gefragt: Wie geht es dir jetzt? Da bekomm ich einen<br />

Alptraum o<strong>de</strong>r Migräneanfälle. Mir war so schlecht, dass ich kurz vor <strong>de</strong>m Erbrechen<br />

stand (40 Jahre, M, schwul).<br />

Anastasia: Als Aktive ist es manchmal auch schön, wenn ich mich einen Dreck<br />

um eine feine Sprache bemühen muss <strong>und</strong> einfach sagen kann, was ich <strong>de</strong>nke. Ich<br />

sage manchmal bei Tisch: ‚Unter <strong>de</strong>n Tisch mit dir, du geile Wildkatze, <strong>und</strong> lecke<br />

mir die Muschi’ (35 Jahre, S, lesbisch).<br />

Diese Stilmittel fin<strong>de</strong>n sich in entsprechen<strong>de</strong>r Form auch in <strong>de</strong>n Medien-Welten <strong>de</strong>r Porno-<br />

graphie. 69 Häufig wer<strong>de</strong>n pornographische Darstellungen (nicht nur aus <strong>de</strong>m SM-Bereich) in<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Öffentlichkeit o<strong>de</strong>r in feministischen Kreisen vorzugsweise als die Darstel-<br />

lung einer reduktionistisch-mechanistischen Sexualität o<strong>de</strong>r als die symbolischen Co<strong>de</strong>s für<br />

eine spezifische Grammatik <strong>de</strong>r Geschlechter (etwa <strong>im</strong> Sinne einer Entweihung bzw. Entwür-<br />

digung <strong>de</strong>r Frau) interpretiert. Das ist zumin<strong>de</strong>st eine stark verkürzte Sichtweise. Alltags- <strong>und</strong><br />

Mediensexualität sind auch durch ästhetische resp. semantische Strukturen (wie die Machtse-<br />

mantik <strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>r sadomasochistischen Sprache o<strong>de</strong>r die distinktive Funktion dieses abwei-<br />

69<br />

Der Blick auf typische Dialoge aus verschie<strong>de</strong>nen SM-Pornofilmen ver<strong>de</strong>utlicht die Parallelen auf <strong>de</strong>r<br />

sprachlichen Ebene:<br />

Sklave: Oh, Herrin, Sie sind so gut zu mir.<br />

Domina: Jetzt aber nicht mehr, Du hast mir die Stiefel vollgewichst. Komm, leck mir die Stiefel ab. Leck<br />

<strong>de</strong>ine Sauerei auf. Ja, leck. Schmeckt das gut?<br />

S.: Ja, Herrin.<br />

D.: Ja, <strong>de</strong>ine eigene Schweinerei, die Du veranstaltet hast. Magst Du das?<br />

S.: Ja, Herrin.<br />

D.: Wenn ich sage, dass Du wichsen sollst, dann heißt das noch nicht, dass Du auf meine Stiefel wichsen<br />

sollst. Ja, leck weiter. Immer weiter. Die Stiefel sind noch nicht sauber, das reicht mir noch nicht.<br />

S.: Jawohl Herrin.<br />

D.: Die müssen richtig blinken <strong>und</strong> blitzen wie eine Luxusl<strong>im</strong>usine. Ja, mach weiter. So ist brav. Sklave, das<br />

hast Du gut gemacht. Zur Belohnung darfst Du in <strong>de</strong>n Käfig <strong>und</strong> dann wer<strong>de</strong> ich dich anpissen. Sag mir, dass<br />

ich Dir in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong> pissen soll!<br />

S.: Bitte piss mir in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong>. Du bist so gut zu mir Herrin.<br />

D.: Das hast Du auch verdient (aus <strong>de</strong>m Film: Die pissen<strong>de</strong> Domina).<br />

Los, worauf wartest du, auf die Knie, du Sklavensau. Leck ihn <strong>und</strong> schieb ihn dir in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong> <strong>und</strong> saug dabei.<br />

Ja, so, (...) dass mir die Arschbacken zusammenfallen. Ja weißt du was, du bist eine dreckige läufige<br />

Hündin, wenn du nicht alles machst, was ich dir sage, dann kriegst du die Peitsche (aus <strong>de</strong>m Film: Schwarzes<br />

Le<strong>de</strong>r).<br />

Herrin: Küß' meine Füße. Richtig, so ist es gut. Komm du Hurensohn. (...) Gleich wer<strong>de</strong> ich dich auspeitschen<br />

du Sklave.<br />

Sklave: Ich freu' mich drauf.<br />

Herrin: Halt's Maul Sklave, du hast gar nichts zu mel<strong>de</strong>n.(aus <strong>de</strong>m Film: Peitschen-Exzesse).<br />

115


chen<strong>de</strong>n Sprachgebrauchs generell) miteinan<strong>de</strong>r verwoben. So ist z.B. das Sprachverhalten in<br />

<strong>de</strong>r Pornographie ein spezifisches ästhetisches Ritual, das - genau wie die tatsächliche Insze-<br />

nierung mancher Sexualitätsformen auch - die Geschmackskonventionen <strong>de</strong>s Alltags zu zer-<br />

schlagen versucht. Wer die pornographische Sprache als bloßen Vulgarismus o<strong>de</strong>r als Folge<br />

<strong>de</strong>r Männerlastigkeit <strong>de</strong>r Gesellschaft abtut, <strong>de</strong>r verkennt, dass in <strong>de</strong>r Sexualität eigene Ästhe-<br />

tiken <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utungen etabliert wor<strong>de</strong>n sind. Sie wer<strong>de</strong>n auch über die Szenegrenzen hinweg<br />

kultiviert. Die Negativ-Ästhetik dient als Distinktionsmittel gegenüber <strong>de</strong>r mehrheitlichen<br />

Kultur <strong>de</strong>r ‚Anständigkeit’. 70<br />

Diese abweichen<strong>de</strong>n Formsprachen sind aber kein Spezifikum <strong>de</strong>r Pornographie. Sie sind<br />

vielmehr in eine lange Tradition ‚abweichen<strong>de</strong>r Ästhetik’ eingebettet. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Marquis <strong>de</strong><br />

Sa<strong>de</strong> verwen<strong>de</strong>t für die Beschreibung seiner fiktiven Orgien eine Sprache, die jenseits aller<br />

Normen steht. Die stilistischen Mittel - etwa die pornographische Direktheit <strong>de</strong>r Szenen o<strong>de</strong>r<br />

die Akribie <strong>de</strong>r Beschreibung <strong>von</strong> ‚Perversionen’, Sexualität <strong>und</strong> Gewalt - sind eine provo-<br />

kante Abweichung <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Geschmacksnormen <strong>de</strong>r Mehrheit. 71<br />

b) Flagellation<br />

Die religiöse, kultische <strong>und</strong> juristische Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Flagellantismus ist vielfach dokumen-<br />

tiert 72 <strong>und</strong> zu erklären versucht wor<strong>de</strong>n. 73 Auf diese Aspekte soll an dieser Stelle nicht weiter<br />

eingegangen wer<strong>de</strong>n. Vielmehr möchte ich mich auf die sexuelle Seite <strong>de</strong>r Flagellation be-<br />

70 Zur Ikonographie <strong>und</strong> Semantik <strong>de</strong>s pornographischen Genres vgl. Eckert (u.a. 1990).<br />

71 Die etymologische Rückführung <strong>de</strong>s Begriffs Sadismus auf <strong>de</strong>n umstrittenen Marquis <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong> verweist auf<br />

seine Be<strong>de</strong>utung für die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit diesem Bereich <strong>de</strong>r Sexualität. Sein Werk umfasst neben<br />

Romanen auch Geschichten, Re<strong>de</strong>n, Traktate, Theaterstücke, Fragmente <strong>und</strong> Briefe. Er beschreibt dort sämtliche<br />

Formen abweichen<strong>de</strong>r Sexualität, <strong>von</strong> inzestuösen Praktiken bis hin zu ritualisierten Menschenopfern.<br />

Seine Hauptpersonen (männliche <strong>und</strong> weibliche Libertins) lehnen alle moralischen <strong>und</strong> kulturellen Gebote<br />

ab. Und diese Negierung <strong>von</strong> Normen <strong>und</strong> Normbefolgung hebt <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m pornographischen Einerlei<br />

hervor. Böhme (1984, S. 185) schreibt dazu: „Sa<strong>de</strong>s Romane sind eher philosophische als pornographische.<br />

Unendlich, wie das Sperma <strong>de</strong>r Libertins, strömt auch <strong>de</strong>ren philosophischer Diskurs.“<br />

72 Vgl. Dalarun (1986); Hy<strong>de</strong> (1964); Leibbrand/Leibbrand (1972)<br />

73 Sehr oft wird dabei ein Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Restriktion <strong>und</strong> individueller Obsession<br />

hergestellt: "Als man aber das Triebleben durch ein ausgeklügeltes System <strong>von</strong> Schlägen, durch die obere<br />

<strong>und</strong> untere Disziplin, scheinbar wirksam unterdrückt <strong>und</strong> die sexuellen Anfechtungen augenscheinlich nie<strong>de</strong>rgekämpft<br />

hatte, möchte man die Schläge nicht mehr missen. Der Trieb, nun pervertiert, brach sich wie<strong>de</strong>r<br />

Bahn: die Flagellation ersetzte die nicht erlaubte Sexualität, wenigstens teilweise, wur<strong>de</strong> Selbstzweck, zum<br />

Akt an sich" (Farin 1991, S. 12). Systematisch ist <strong>de</strong>r englische Kulturhistoriker Steven Marcus (1979) diesen<br />

Fragen nachgegangen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Brown (1991) <strong>und</strong> Ussel<br />

(1977).<br />

116


schränken, wie sie seit <strong>de</strong>m 17. Jahrh<strong>und</strong>ert in zahlreichen literarischen Beispielen - insbe-<br />

son<strong>de</strong>re aus England - beschrieben ist. Welche Rolle das Auspeitschen <strong>und</strong> Schlagen heute in<br />

<strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Szenen spielt, ver<strong>de</strong>utlichen die folgen<strong>de</strong>n Interviewausschnitte:<br />

Alice: Ich übe die aktive Rolle einer Eheherrin aus. Am meisten spricht mich das<br />

Auspeitschen meines Ehesklaven an, was ich auch praktiziere. Das SM-Spiel liefert<br />

<strong>de</strong>n Rahmen für Erotik <strong>und</strong> sexuelle Erfüllung. Speziell freue ich mich, <strong>de</strong>n<br />

zum Auspeitschen bereit gemachten Sklaven zu betrachten, ihn unter <strong>de</strong>n Peitschenschlägen<br />

zucken zu sehen <strong>und</strong> ihn stöhnen zu hören. Ich genieße die roten<br />

Striemen auf <strong>de</strong>n gepeitschten Körperflächen. Lust bereitet es mir auch, <strong>de</strong>n Arsch<br />

<strong>de</strong>s Ehesklaven mit Gummischwänzen zu ficken (51 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Hans-Jörg: Eine Striemenhose ist sehr ansprechend (...). Da hat man einen nackten<br />

Hintern <strong>und</strong> Schenkel. Dann wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n linken Po drei vier Striemen<br />

senkrecht <strong>und</strong> auf <strong>de</strong>n rechten Po drei vier Striemen senkrecht <strong>und</strong> dann wagerecht<br />

verpasst. Am Schluss ist es so, als hätte er eine Karohose an, in Form <strong>von</strong><br />

roten Striemen. Das kann man mit <strong>de</strong>r Reitpeitsche sehr gut. Wenn man sie nur<br />

halb durchzieht, gibt es schon Striemen, die aufgehen <strong>und</strong> bluten. Das ist sehr<br />

schmerzhaft (57 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Christine: Ich peitsche ganz gerne. (...) Also weil ich mir die kommerziell hergestellten<br />

Peitschen nicht leisten kann <strong>und</strong> will, bin ich zum Selberbasteln übergegangen,<br />

vorwiegend mit Le<strong>de</strong>rriemen. Je dünner <strong>und</strong> härter das Le<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>sto härter<br />

ist dann auch die Peitsche. Aus weichem Le<strong>de</strong>r <strong>und</strong> etwas breiteren Streifen,<br />

das macht eigentlich nur noch Krach <strong>und</strong> kribbelt ein bisschen, aber es tut nicht<br />

weh (26 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Entsprechend <strong>de</strong>r jeweiligen Rollenverteilung hat <strong>de</strong>r Flagellantismus eine aktive <strong>und</strong> eine<br />

passive Ausprägung. 74 Mit Hilfe <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nsten Schlagwerkzeuge (Peitschen, Rohrstö-<br />

cke, Gerten etc.) wird <strong>de</strong>r masochistische Teil vom aktiven Partner behan<strong>de</strong>lt. Die Wirkung<br />

<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Schlaginstrumente ist unterschiedlich. Manche erzeugen nur eine gerötete<br />

Haut, an<strong>de</strong>re blutige Striemen, Platzw<strong>und</strong>en o<strong>de</strong>r blaue Flecken.<br />

In <strong>de</strong>m bereits erwähnten SM-Handbuch unterschei<strong>de</strong>t Gr<strong>im</strong>me (2000, S. 56ff) in seinem Ka-<br />

pitel ‘Über das Schlagen’ folgen<strong>de</strong> Utensilien:<br />

„Riemenpeitsche: Unterschie<strong>de</strong> in Größe, Länge, Dicke, Anzahl <strong>und</strong> Elastizität<br />

<strong>de</strong>r Peitschenriemen. (...) Die Riemen sind üblicherweise aus Le<strong>de</strong>r, können aber<br />

74 Janus u.a. (1979, S. 122) bemerken, dass vor allem Männer die passive Flagellation nachfragen: "Die Anzahl<br />

<strong>de</strong>r Männer, die sexuelle Befriedigung nur empfin<strong>de</strong>n, wenn sie Flagellation erlei<strong>de</strong>n, steigt ständig an <strong>und</strong><br />

ein unverhältnismäßig hoher Prozentsatz da<strong>von</strong> sind Politiker. Es trifft sich gut für die Mädchen, daß das<br />

Verhältnis zwischen Empfängern <strong>und</strong> Verabreichen <strong>von</strong> Flagellation unter ihren K<strong>und</strong>en etwa acht zu eins<br />

beträgt."<br />

117


auch aus an<strong>de</strong>ren Materialien sein. (...) Mit Samtschnüren versehen, sind diese<br />

Peitschen so weich, daß man sie als Effektpeitschen bezeichnet. (...) Die En<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Riemen können ein enormes Tempo <strong>und</strong> damit eine sehr große Kraft entwickeln.<br />

(...)<br />

Geißel: Ähnlich <strong>de</strong>r Riemenpeitsche, doch sind es hier meistens weniger Stränge,<br />

die außer<strong>de</strong>m geflochten o<strong>de</strong>r geknotet sind. Hierdurch hat ein Schlag mit <strong>de</strong>r<br />

Geißel mehr Masse <strong>und</strong> kann je nach Schlagstärke schnell zu blauen Striemen<br />

führen. (...)<br />

Tawse: Auch Riemen genannt. Unterschie<strong>de</strong> in Länge, Dicke, einfach o<strong>de</strong>r doppelt<br />

gespalten. Kurze leichte Tawsen fühlen sich ähnlich wie eine Hand o<strong>de</strong>r ein<br />

Gürtel an. Schwere Tawsen erzeugen rasch blaue Flecken (...)<br />

Reitgerte: Lang <strong>und</strong> dünn, am En<strong>de</strong> mit einem elastischen Bändchen. (...) Macht<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger <strong>de</strong>utliche Doppelstriemen, die bei günstiger Disposition <strong>von</strong><br />

mehreren St<strong>und</strong>en bis zu Wochen sichtbar sein können. (...)<br />

Springstock: Kürzer als die Gerte, oft mit Le<strong>de</strong>r überzogen (...). Gut für zielgenaue<br />

Schlagübungen, weil die Lasche auch sehr wirkungsvoll alleine auftrifft. (...)<br />

Rohrstock: (Geeignet sind spanisches Rohr, Rattan o<strong>de</strong>r Thairohr, ungeeignet ist<br />

Bambus wegen seiner scharfen Splitter...). Be<strong>im</strong> Kauf sollte man darauf achten,<br />

daß das Rohr gera<strong>de</strong> schwingt <strong>und</strong> nicht unkontrolliert zur Seite wegrutscht. (...)<br />

Bullenpeitsche: Sehr eindrucksvoll, teilweise mehrere Meter lang, je nach Qualität<br />

aus min<strong>de</strong>stens 8 bis zu 32 Le<strong>de</strong>rriemen geflochten. (...) Da sie wegen ihrer<br />

Länge sehr schwer zu kontrollieren ist, besteht Verletzungsgefahr; trifft das En<strong>de</strong><br />

mit erheblich mehr Wucht auf, ist gleich die Haut durch. (...)<br />

H<strong>und</strong>epeitsche: Teilweise aus mehreren Lagen Le<strong>de</strong>r genäht o<strong>de</strong>r geflochten.<br />

Kann sowohl als Leine (hat am dickeren En<strong>de</strong> einen Karabiner) als auch als<br />

Schlaginstrument eingesetzt wer<strong>de</strong>n (...).<br />

Pad<strong>de</strong>l: Unterschiedliche Mo<strong>de</strong>lle, vom Le<strong>de</strong>rpad<strong>de</strong>l über abgewan<strong>de</strong>lte Tischtennis-<br />

<strong>und</strong> Jokarischläger bis zu extra aus gutem Holz hergestellten Geräten mit<br />

Löchern (geringerer Luftwi<strong>de</strong>rstand, dafür größerer Schmerz). (...) Zu erwähnen<br />

sind noch Haushaltsgegenstän<strong>de</strong> wie Kochlöffel, Pantoffel, die aus viktorianischen<br />

Erzählungen bekannte Haarbürste, Teppichklopfer <strong>und</strong> Gürtel. Diese Geräte<br />

eignen sich natürlich genauso wie die eigene Hand. Sie sind preiswert <strong>und</strong> können<br />

unauffällig in <strong>de</strong>r Wohnung herumliegen, ohne daß an<strong>de</strong>re Leute o<strong>de</strong>r die eigenen<br />

Kin<strong>de</strong>r auf dumme Gedanken kommen, aber <strong>de</strong>n meisten fehlt das Flair <strong>de</strong>s ‘echten’<br />

SM-Spielzeugs.“<br />

118


Abb: Flaggelationswerkzeuge (Quellen: www.puls-drugstore.<strong>de</strong> <strong>und</strong> www.kastleys.<strong>de</strong>)<br />

Diese Übersicht zeigt noch einmal die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Flagellationspraktiken. Die Hilfsmittel<br />

sind stark ausdifferenziert mit jeweils unterschiedlichen Wirkungsgra<strong>de</strong>n. Was die geschlage-<br />

ne Person ertragen kann, ist starken individuellen Schwankungen unterworfen. Einige berich-<br />

teten, dass fünfzig Schläge mit <strong>de</strong>m Rohrstock die absolute Grenze sei, an<strong>de</strong>re ertragen das<br />

Zehn- bis Zwanzigfache. Bevorzugtes - aber nicht ausschließliches - Ziel <strong>de</strong>r ‘Geißel-Lust’ ist<br />

das Gesäß. Damit solcherlei Malträtierungen nicht zu ernsthaften Verletzungen führen, muss<br />

<strong>de</strong>r Flagellieren<strong>de</strong> eine gewisse Geschicklichkeit erlangen. Er darf keinesfalls blindwütig los-<br />

schlagen. Die Flagellation ist <strong>de</strong>s Öfteren in beson<strong>de</strong>re thematische Rahmen eingebettet: ‘Die<br />

strenge Lehrerin züchtigt das ungehorsame Kind’ o<strong>de</strong>r ‘Der Sklave soll für seine Verfehlun-<br />

gen bestraft wer<strong>de</strong>n’. Nicht umsonst wer<strong>de</strong>n diese Praktiken <strong>von</strong> vielen Szenemitglie<strong>de</strong>rn<br />

auch als ‘Erziehung’ bezeichnet.<br />

c) Bondage<br />

Fesselungspraktiken (Bondage) haben nicht selten fetischistische Ursprünge. Seile, Schnüre,<br />

Korsetts, Gürtel etc. spielen in <strong>de</strong>r Vorstellungswelt mancher Bondage-Anhänger eine wichti-<br />

ge Rolle. Die ‚Fesselungs-Manie’ existiert in fetischisierter Form als eigenständige Neigung<br />

unabhängig vom Sadomasochismus. Sie kann aber auch Bestandteil sadomasochistischer<br />

Handlungen sein, weil Fesseln wehrlos macht. Fesselungen erfolgen in unterschiedlichen<br />

Formen <strong>und</strong> mit unterschiedlichen Materialien. Gr<strong>und</strong>sätzlich unterschei<strong>de</strong>n sich Teilfesse-<br />

lungen <strong>von</strong> Ganzkörperfesselungen. Für bei<strong>de</strong>s sind Stricke, Ketten, Hand- <strong>und</strong> Fußschellen<br />

o<strong>de</strong>r Le<strong>de</strong>rbän<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Le<strong>de</strong>rmanschetten, Elastikbin<strong>de</strong>n, Pfer<strong>de</strong>bandagen, Schals <strong>und</strong> Halstü-<br />

cher o<strong>de</strong>r auch Bettlaken gebräuchlich.<br />

119


Abb.: Faustfessel <strong>und</strong> Hand-/Fußfessel mit Ketten (Quelle: www.suleika.<strong>de</strong>)<br />

Soll <strong>de</strong>r passive Teil nur bewegungsunfähig gemacht wer<strong>de</strong>n, wird er nicht selten an ein And-<br />

reaskreuz o<strong>de</strong>r an an<strong>de</strong>re Vorrichtungen (etwa Wand- <strong>und</strong> Deckenhaken, Streckbank, Fessel-<br />

rahmen, Fesselbank) geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> dann unter Umstän<strong>de</strong>n auch ausgepeitscht o<strong>de</strong>r mit an<strong>de</strong>-<br />

ren Werkzeugen ‚behan<strong>de</strong>lt’. Schließlich stellt auch das Einsperren in einen Käfig eine Form<br />

<strong>de</strong>s Bondage dar.<br />

Abb.: Sklavenkäfig (Quelle: www.puls-drugstore.<strong>de</strong>)<br />

Fesselungen können aber auch dazu dienen, best<strong>im</strong>mte Körperhaltungen <strong>und</strong> ästhetische Ef-<br />

fekte zu erzeugen. Son<strong>de</strong>rformen sind noch die Verwendung <strong>von</strong> Haushaltsplastikfolie (Ein-<br />

wickeln <strong>de</strong>s ganzen Körpers), das Fesselgeschirr aus Le<strong>de</strong>r, Stahl o<strong>de</strong>r Ketten (Harness), Cor-<br />

sagen, Zwangsjacken, <strong>de</strong>r Bondage-Sack für Kopf, Arme, Beine o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n ganzen Körper. Die<br />

diversen Fesselungsutensilien haben allerdings nicht selten Fetischcharakter.<br />

120


Abb.: Ganzkörper-Bondage <strong>im</strong> Gummianzug (Quelle: www.avalon-berlin.<strong>de</strong>)<br />

Helmut: Mit Fesselungen kannst du auch best<strong>im</strong>mte Dinge betonen. Z.B., wenn<br />

du die Arme auf <strong>de</strong>n Rücken bin<strong>de</strong>st <strong>und</strong> die Ellenbogen zusammenbin<strong>de</strong>st, dann<br />

wird <strong>de</strong>r ganze Brustkorb herausgehoben <strong>und</strong> betont. Dann kannst du zum Fesseln<br />

auch eine alte Gardinenschnurr nehmen, ein schönes weiches Band, <strong>und</strong> du<br />

machst das sorgfältig, so dass die Knoten nicht sichtbar sind. Du kannst das <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Ausführung schön machen o<strong>de</strong>r lausig. Der Effekt ist für das Opfer<br />

unter Umstän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r gleiche, weil es das sowieso nicht sieht <strong>und</strong> sich nicht befreien<br />

kann. (...) Um das I<strong>de</strong>al hinzubekommen, gehört Ästhetik dazu. Da gehören<br />

<strong>im</strong> weiteren Sinne noch best<strong>im</strong>mte Le<strong>de</strong>rgeschichten dazu, die ich einfach schön<br />

fin<strong>de</strong>. Le<strong>de</strong>rmanschetten kann man auch auf verschie<strong>de</strong>ne Art herstellen. Hier so<br />

was, das wür<strong>de</strong> ich noch nicht einmal einem H<strong>und</strong> anlegen. Es gibt aber auch Sachen,<br />

da merkt man, da war jemand wirklich mit Hingabe dabei <strong>und</strong> <strong>de</strong>r weiß genau,<br />

worauf es ankommt (28 Jahre, S/M, heterosexuell).<br />

Carola: Das Festbin<strong>de</strong>n gehört dazu, es unterstreicht es noch. Ein einfacher Hanfstrick<br />

o<strong>de</strong>r eben Ketten, dann kann <strong>de</strong>r stärkste Typ nichts mehr machen. Du<br />

kannst mit ihm machen, was du willst, er ist ausgeliefert (26 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Vanna: Was ich schön fin<strong>de</strong>, ist Bondage. Sich festbin<strong>de</strong>n <strong>und</strong> fesseln zu lassen,<br />

fin<strong>de</strong> ich unhe<strong>im</strong>lich geil. Das Gefühl, sich dabei nicht bewegen zu können <strong>und</strong><br />

warten zu müssen, auf das was passiert, das ist sehr spannend. Da ist auch Geborgenheit<br />

mit dabei. Du kannst auch Bondage machen <strong>und</strong> Kuschelsex praktizieren,<br />

da musst du nicht <strong>im</strong>mer nur harten SM mit verbin<strong>de</strong>n, das ist in so einer Grauzone,<br />

so dazwischen (22 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Angesichts manch waghalsiger, akrobatischer Figuration ist es beinahe schon unerlässlich,<br />

dass <strong>de</strong>r Gefesselte sehr gelenkig sein muss. Vorbildcharakter haben hier die japanische Bon-<br />

dage Art <strong>und</strong> die vielen Zeichnungen aus <strong>de</strong>n Comics. Gera<strong>de</strong> Comics sind gleichsam die<br />

121


i<strong>de</strong>altypische Vorgabe, <strong>de</strong>nen manche nachzueifern versuchen <strong>und</strong> doch <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n<br />

physiologischen Wirklichkeiten scheitern: ‘Ich bin nunmal keine Gwendoline aus diesen Hef-<br />

ten <strong>und</strong> <strong>de</strong>swegen kann er mich da nicht so drehen <strong>und</strong> zusammenbin<strong>de</strong>n, wie es ihm vielleicht<br />

vorschwebt.’<br />

Eine Bondage-Son<strong>de</strong>rform ist das Abbin<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Geschlechtsteilen. Dazu wer<strong>de</strong>n sehr dünne<br />

Schnüre verwen<strong>de</strong>t. Gera<strong>de</strong> bei solchen extremen Fesselungen ist die Gefahr <strong>von</strong> Durchblu-<br />

tungsstörungen gegeben <strong>und</strong> <strong>de</strong>swegen ist es unter Sadomasochisten guter Rat, sich nicht <strong>von</strong><br />

Anfängern <strong>de</strong>rartig fesseln zu lassen. 75<br />

d) Bizarre Praktiken<br />

Bizarre Praktiken dienen <strong>de</strong>r gezielten Betonung <strong>von</strong> best<strong>im</strong>mten Effekten, etwa <strong>de</strong>m<br />

Schmerzerlebnis. Die verwen<strong>de</strong>ten Hilfsmittel sind vielfältig: Klistier, Na<strong>de</strong>ln, Klammern,<br />

Gummi, Fäkalien, Strom, Rasierklingen, Rasur, Keuschheitsgürtel, Int<strong>im</strong>schmuck, Gewichte,<br />

Handschellen, Ketten, Dornenkränze, Katheter, usw. Auch seltene Praktiken wie das Wickeln<br />

mit Win<strong>de</strong>ln (bei <strong>de</strong>nen sich gemäß psychoanalytischer Vorstellungen Konflikte mit <strong>de</strong>r Rein-<br />

lichkeitserziehung manifestieren) wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Szene nachgefragt. Gelegentlich wer<strong>de</strong>n sie<br />

auch mit best<strong>im</strong>mten Strafritualen kombiniert.<br />

Abb.: Brustwarzenklemmen, Gewichte <strong>und</strong> Reizstromgerät<br />

(Quellen: www.puls-drugstore.<strong>de</strong> <strong>und</strong> www.cosmic-ware.<strong>de</strong>)<br />

75 Einen Überblick zu <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Formen <strong>de</strong>s Bondage gibt das Bondage-Handbuch <strong>von</strong> Gr<strong>im</strong>me<br />

(1999). Es enthält Anleitungen, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sicherheitstipps. Zum Thema Bondage in <strong>de</strong>r Literatur vgl.<br />

Wetzstein u.a. (1993).<br />

122


Abb.: Keuschheitsgürtel für Mann <strong>und</strong> Frau (Quelle: www.kastleys.<strong>de</strong>)<br />

Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang <strong>de</strong>r ‚Kliniksex’, wo krankenhausähnliche<br />

Arrangements zur St<strong>im</strong>ulation eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Sie fin<strong>de</strong>n zumeist in nachgestellten OP-<br />

o<strong>de</strong>r Praxisräumen statt <strong>und</strong> die Akteure sind entsprechend geklei<strong>de</strong>t (etwa die Domina als<br />

Krankenschwester).<br />

Abb.: Klinikraum <strong>im</strong> Domina-Studio (Quelle: www.avalon-berlin.<strong>de</strong>)<br />

123


Abb. Domina als Krankenschwester bei <strong>de</strong>r „Katheterbehandlung“ eines Sklaven in Gum-<br />

m<strong>im</strong>aske <strong>und</strong> Haushaltsfolie (Quelle: www.avalon-berlin.<strong>de</strong>)<br />

Auch die Durchbohrung <strong>von</strong> Brustwarzen <strong>und</strong> Schamlippen, Ho<strong>de</strong>n, Eichel <strong>und</strong> Vorhaut ist<br />

keineswegs selten. Ähnlich wie bei <strong>de</strong>n Int<strong>im</strong>schmuckträgern wer<strong>de</strong>n an diesen Körperteilen<br />

Ringe <strong>und</strong> Haken angebracht. Während <strong>de</strong>r Int<strong>im</strong>schmuck dort hauptsächlich ein ästhetisches<br />

Surplus o<strong>de</strong>r ein fetischistischer Gegenstand ist, dienen diese Vorrichtungen bei <strong>de</strong>n Sadoma-<br />

sochisten häufig <strong>de</strong>m Anhängen <strong>von</strong> Ketten <strong>und</strong> Gewichten. 76<br />

Die Analpenetration mit übergroßen Dildos o<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Hand (nicht nur bei Homosexuellen),<br />

Beträufeln mit heißem Wachs, das nach <strong>de</strong>m Erkalten mit einer Gerte wie<strong>de</strong>r weggeschlagen<br />

wird, das ‚Streicheln’ mit Brennnesseln o<strong>de</strong>r das Trinken <strong>von</strong> Urin <strong>und</strong> das Verspeisen <strong>von</strong><br />

Fäkalien sind weitere Beispiele für diese Bizarr-Praktiken.<br />

Sven: Was für mich bis jetzt am schwersten erträglich war, das waren Brennnesseln.<br />

Da hat sie mich mal dazwischen gehabt, mit Brennnesseln. Das war also<br />

mehr als ein Streuselkuchen. Wobei das Peitschen damit noch erträglich ist, aber<br />

das Streicheln damit ist unerträglich. Vor allen Dingen <strong>im</strong> Genitalbereich. Das<br />

war am härtesten an <strong>de</strong>r Grenze <strong>von</strong> <strong>de</strong>m, was ich bisher erlebt habe. Und da habe<br />

ich noch 24 St<strong>und</strong>en später noch daran zu <strong>de</strong>nken gehabt (50 Jahre, M, heterosexuell).<br />

76 Die Gewichte für die Brustwarzen <strong>und</strong> die Geschlechtsteile können oftmals mehrere Kilo wiegen <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n<br />

mitunter während <strong>de</strong>r ganzen Inszenierung getragen. Damit kontinuierliche Steigerungsmöglichkeiten gegeben<br />

sind, besitzen manche Sadomasochisten ein ganzes Set an Gewichten, die dann nach <strong>und</strong> nach angehängt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

124


Fritz: Meine Vorlieben in <strong>de</strong>n Praktiken liegen <strong>im</strong> Gefesselt Sein, wehrlos <strong>und</strong> fixiert<br />

zu sein sowie <strong>im</strong> Flagellantismus. Wenn aber ein guter Meister (unter erzieherischem<br />

Druck bin ich auch bisexuell) o<strong>de</strong>r eine gute Meisterin da ist, dann ist<br />

es in <strong>de</strong>ssen Entscheidungsbereich, was die Strafmaße sind. Da habe ich schon einiges<br />

erlebt <strong>und</strong> praktiziert <strong>und</strong> tue es noch: z.B. Na<strong>de</strong>ln, Nähen, Wachs, Elektro,<br />

Gewichte, Klammern, Klistiere, NS, Vorführungen, Analbehandlungen etc. etc.<br />

(...) Es steigert das Lustgefühl, gezwungen zu sein, sein Int<strong>im</strong>stes <strong>de</strong>mütigend<br />

preiszugeben (34 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Ralf: Ich habe keine speziellen Wünsche an Praktiken. Alles, was <strong>von</strong> mir verlangt<br />

wird, mache ich mit o<strong>de</strong>r lasse ich mit mir machen. Aufgeilen tun mich nur<br />

wenige Praktiken, z.B. Dehnung meines Poloches bis zum Faustfick, Klistiere <strong>und</strong><br />

Bondage. Erdul<strong>de</strong>n muss ich allerdings alle er<strong>de</strong>nklichen Praktiken, die es gibt.<br />

Als echter Sklave ist es für mich selbstverständlich, alle Wünsche <strong>und</strong> Befehle<br />

meiner Herrschaft zu erfüllen <strong>und</strong> zu erdul<strong>de</strong>n, auch wenn ich sexuell nichts da<strong>von</strong><br />

habe. Meine Erfüllung ist es, wenn meine Herrschaft befriedigt <strong>und</strong> glücklich<br />

ist (39 Jahre, M, bisexuell).<br />

Sandra: SM funktioniert nur, wenn ich Vertrauen habe. Ein gutes Beispiel: Fisten.<br />

Ich muss eigentlich rein körperlich schon ein total offenes Vertrauen haben, wenn<br />

ich das mache, sonst klappt das einfach nicht. Was du in <strong>de</strong>m Moment machst, ist<br />

<strong>de</strong>in Leben in das <strong>von</strong> einer an<strong>de</strong>ren Frau zu legen. Wenn die durchdreht, o<strong>de</strong>r eine<br />

falsche Bewegung macht, dann war es das (27 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Martin: Und die Gummistiefel kannst du dir bis obenhin vollpissen lassen <strong>und</strong><br />

kannst da drin rumwatscheln <strong>und</strong> du hast natürlich ein unhe<strong>im</strong>lich angenehmes<br />

Gefühl auf <strong>de</strong>r Haut. Ja also, wenn du jetzt da mal so 4-5 St<strong>und</strong>en in Gummi rumgelaufen<br />

bist, das ist unhe<strong>im</strong>lich geil. Du schwitzt da drunter <strong>und</strong> das ist schon ein<br />

gutes Gefühl (54 Jahre, S, schwul).<br />

Der Sadomasochismus ist also ein Erlebnisfeld, das die Ausgestaltungsformen relativ offen<br />

lässt. Die angewen<strong>de</strong>ten Praktiken wer<strong>de</strong>n individuell ausgehan<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentsprechend<br />

125


groß ist die Variationsbreite. Eine typische SM-Praktik gibt es nicht. 77 Allenfalls <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Be-<br />

<strong>de</strong>utung, die ihnen die Sadomasochisten zumessen, genießen Flagellantismus <strong>und</strong> Bondage<br />

eine gewisse Son<strong>de</strong>rstellung, <strong>de</strong>nn ihnen haftet das Flair <strong>de</strong>r klassischen SM-Praktik an. Sie<br />

wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Szene als unzweifelhaft dazugehörig akzeptiert. Individuell ist die Anwendung<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Praktiken unterschiedlich. Manche Personen fin<strong>de</strong>n nur an einer best<strong>im</strong>mten<br />

Form (z.B. Flagellation) sadomasochistischer Äußerung Gefallen <strong>und</strong> lehnen alles, was dar-<br />

über hinausgeht, entschie<strong>de</strong>n ab. Gegenüber manchen Praktiken bestehen unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

sogar richtige Ekelbarrieren. Bei an<strong>de</strong>ren wie<strong>de</strong>rum ist die Anwendung <strong>von</strong> unterschiedlichen<br />

Praktiken zu beobachten, frei nach <strong>de</strong>m Motto eines Betroffenen: ‚Alles, was erniedrigt, wird<br />

ausgeführt’. Mit diesen unterschiedlichen Präferenzen ist auch die Konstitution <strong>von</strong> best<strong>im</strong>m-<br />

ten Szene-internen Gruppierungen verb<strong>und</strong>en. Flagellanten bil<strong>de</strong>n eine ‚Sub-Szene’, Bonda-<br />

ge-Anhänger o<strong>de</strong>r Fetischisten ebenso. Je stärker die Unverträglichkeiten zwischen <strong>de</strong>n ein-<br />

zelnen Gruppen sind, <strong>de</strong>sto ausgeprägter wer<strong>de</strong>n auch die Distinktionen zwischen ihnen.<br />

Gruppen, in <strong>de</strong>nen sich Personen zusammenfin<strong>de</strong>n, die eine Abneigung gegen Fäkalpraktiken<br />

haben, distanzieren sich z.B. auf das Entschie<strong>de</strong>nste <strong>von</strong> <strong>de</strong>n ‚Perversen’, die solche Prakti-<br />

ken präferieren.<br />

77 Auch Breslow u.a. (1985, S. 315) stellen fest, dass es keine spezifischen SM-Praktiken gibt, wie die folgen<strong>de</strong><br />

Tabelle ver<strong>de</strong>utlicht:<br />

Preferences of Sadomasochistic Sexual Interests<br />

______________________________________<br />

Interest Male (%) Female (%)<br />

______________________________________<br />

Spanking 79 80<br />

Master-slave-realtionsship 79 76<br />

Oral sex 77 90<br />

Masturbation 70 73<br />

Bondage 67 88<br />

Humiliation 65 61<br />

Erotic lingerie 63 88<br />

Restraint 60 83<br />

Anal sex 58 51<br />

Pain 51 34<br />

Whipping 47 39<br />

Rubber/leather 42 42<br />

Boots/Shoes 40 49<br />

Verbal Abuse 40 51<br />

Stringent Bondage 39 54<br />

Enemas 33 22<br />

Torture 32 32<br />

Gol<strong>de</strong>n Showers 30 37<br />

Transvestism 28 20<br />

Petticoat punishment 25 20<br />

Toilet activities 19 12<br />

_____________________________________<br />

126


Mit <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Szene-Einbindung verän<strong>de</strong>rt sich häufig das sexuelle Verhalten <strong>und</strong> die<br />

Bereitschaft, mehr zu riskieren. Das Gefühl für die harten <strong>und</strong> weichen Praktiken kann sich<br />

verschieben. Was am Anfang vielleicht als zu schmerzhaft o<strong>de</strong>r zu abstoßend abgelehnt wur-<br />

<strong>de</strong>, kann bei einem Teil <strong>de</strong>r Befragten zu einer selbstverständlichen SM-Praktik wer<strong>de</strong>n. Se-<br />

xuelle Verhaltensweisen wer<strong>de</strong>n so individuell erweitert. Von einem pathologischen Reizstei-<br />

gerungszwang kann allerdings nicht gesprochen wer<strong>de</strong>n.<br />

1.5.2 Die sozialen Mechanismen <strong>im</strong> SM-Arrangement<br />

Wie bereits gezeigt, ist die sadomasochistische Inszenierung gelegentlich mit best<strong>im</strong>mten<br />

thematischen Fokussierungen verb<strong>und</strong>en, etwa die antike Sklavenversteigerung o<strong>de</strong>r die<br />

Schulst<strong>und</strong>e. Aber auch wenn dieses dramaturgische Mittel nicht eingesetzt wird, zeichnen<br />

sich die Interaktionen durch einen best<strong>im</strong>mten Aufbau aus. Was <strong>von</strong> außen wie eine sinnlose<br />

Aneinan<strong>de</strong>rreihung <strong>von</strong> Praktiken erscheint, gehorcht tatsächlich <strong>de</strong>r Logik <strong>von</strong> Dominanz<br />

<strong>und</strong> Submission. Der Szenebegriff ‘Abrichtung’ bezeichnet diese interne Dramaturgie tref-<br />

fend. Im Zentrum <strong>de</strong>r Abrichtung stehen nicht selten flagellantische Praktiken o<strong>de</strong>r Fesselun-<br />

gen. Sie wer<strong>de</strong>n je nach Präferenz durch die verschie<strong>de</strong>nsten Maßnahmen ergänzt. Nicht sel-<br />

ten wer<strong>de</strong>n für diese Handlungssequenzen genaue ‘Abstraf- <strong>und</strong> Sklavenerziehungspläne’<br />

aufgestellt. 78 Dadurch wer<strong>de</strong>n die <strong>de</strong>vianten Praktiken inhaltlich, wie formal strukturiert <strong>und</strong><br />

78 Einige <strong>de</strong>r <strong>von</strong> uns befragten Personen haben uns ihre privaten Abstrafpläne zugeschickt. Ein Auszug aus <strong>de</strong>n<br />

Behandlungsmaßnahmen für eine Sklavin: Befestigung <strong>von</strong> Armen in Manschetten am obersten Punkt <strong>de</strong>r<br />

Balken vom Spreizbalken, anschließend Beine ebenfalls gespreizt festmachen: Abrasur (nass) <strong>de</strong>r Schamhaare<br />

<strong>und</strong> eincremen <strong>de</strong>r Scham (kurzfristig Gewichte entfernen, dann wie<strong>de</strong>r anhängen). Heißes Kerzenwachs<br />

auf Schamlippen, Kitzler <strong>und</strong> Umgebung auftropfen lassen, anschließend mit breitem Holzlineal (Gewichte<br />

entfernen) mit steigen<strong>de</strong>r Kraft einschlagen. Diese Maßnahmen sind aus <strong>de</strong>r Stufe zwei eines insgesamt vierstufigen<br />

Strafplans entnommen.<br />

Ähnlich das ‘Handbuch für Sklaven’. Es enthält Tips, wie man einen Sklaven fin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> wie man ihn ‘richtig’<br />

behan<strong>de</strong>lt. Daneben schil<strong>de</strong>rt es verschie<strong>de</strong>ne Möglichkeiten, zu was <strong>de</strong>r Sklave ‘ausgebil<strong>de</strong>t’ wer<strong>de</strong>n<br />

kann: Der persönliche Körpersklave soll die Herrin mit <strong>de</strong>r Zunge reinigen, <strong>de</strong>r Toilettensklave dient für die<br />

Fäkalvariationen, an<strong>de</strong>re sollen die Hausarbeit (natürlich in entsprechen<strong>de</strong>r Kleidung) übernehmen können<br />

<strong>und</strong> nicht zuletzt können Sklaven gegen Geld an an<strong>de</strong>re ausgeliehen wer<strong>de</strong>n. Dieses Buch ist ohne Angabe<br />

eines Autors in einem nie<strong>de</strong>rländischen Verlag erschienen. Es wird nicht über <strong>de</strong>n Buchhan<strong>de</strong>l, son<strong>de</strong>rn über<br />

die diversen Sex-Shops- <strong>und</strong> Lä<strong>de</strong>n vertrieben. Es wen<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n einleiten<strong>de</strong>n Worten an <strong>de</strong>n<br />

interessierten Leser: "S/M-Anhänger sind gewöhnlich normal in je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Beziehung, sie sind einfach<br />

aufgeklärte Menschen, die <strong>de</strong>n Genuß einer Herrin-Sklave-Beziehung erfahren haben, sei es als Zusatz o<strong>de</strong>r<br />

Ersatz zu normalem Sex. Wenn zwei Partner sich bereit erklären, ein <strong>de</strong>rartiges Übereinkommen zu treffen<br />

<strong>und</strong> innerhalb vorbest<strong>im</strong>mter Grenzen zu bleiben, dann besteht überhaupt keine Gefahr darin. Es gibt viele<br />

Stufen <strong>von</strong> S/M, die sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Unterrock-Dressur <strong>und</strong> einfachen Hausarbeiten bis zu grausamen Züchtigungen<br />

gefesselter Opfer erstrecken. Je<strong>de</strong>r Sklave ist an<strong>de</strong>rs, <strong>und</strong> die Herrin muss sich entsprechend verhalten.<br />

Viele Menschen haben Angst davor, sich auf eine <strong>de</strong>rartige Beziehung einzulassen, <strong>de</strong>nn sie sind dazu<br />

gebracht wor<strong>de</strong>n zu glauben, was sie in <strong>de</strong>n Buchlä<strong>de</strong>n für Erwachsene gelesen haben, in Büchern wo <strong>de</strong>r<br />

Sklave tagelang mit Peitschen geschlagen wird. Das ist Unsinn. Viele für bei<strong>de</strong> Teile befriedigen<strong>de</strong> Sitzungen<br />

wer<strong>de</strong>n ohne einen einzigen Peitschenhieb o<strong>de</strong>r einem Schlagholz abgehalten. (...) Die Absicht dieses<br />

127


gewinnen einen verbindlichen Charakter. Eine ähnliche Funktion kommt <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Szene<br />

verbreiteten ‘Sklavenverträgen’ zu. Herrin <strong>und</strong> Sklave beispielsweise unterzeichnen bei<strong>de</strong><br />

einen Vertrag, <strong>de</strong>r einen best<strong>im</strong>mten Rahmen für die SM-Beziehung <strong>de</strong>finiert. Dabei sind<br />

diese ‚Pläne’ z.T. sehr <strong>de</strong>tailliert ausgestaltet, was sich auch in <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>rung<br />

dokumentiert:<br />

Hartwig/Heidrun: Nach<strong>de</strong>m wir anfangs sehr wahllos praktiziert haben, haben wir<br />

seit einigen Jahren eine feste Regelung eingeführt. Jeweils wochenweise wechselt<br />

die Reihenfolge: Herrin/Sklave, Herr/Sklavin. Dafür muss je<strong>de</strong>r ein sogenanntes<br />

Strafbuch führen. Darin sind sämtliche Verfehlungen, die zur Zucht führen, aufzulisten.<br />

Das Strafmaß legt jeweils <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Dominieren<strong>de</strong> fest. Wi<strong>de</strong>rspruch ist<br />

nicht erlaubt. Die Zuchtwoche beginnt jeweils um Mitternacht <strong>von</strong> Sonntag auf<br />

Montag <strong>und</strong> en<strong>de</strong>t dann acht Tage später zur gleichen Zeit. Die Zucht kann sowohl<br />

nachts als auch tags erfolgen. Wir bevorzugen folgen<strong>de</strong> Zuchtmittel: Ganzkörper-Auspeitschen,<br />

Genitalschmuck, Natursekt-Duschen, Klistier, Rasieren,<br />

Strafkleidung, Fesselung. (...) Unser Schlafz<strong>im</strong>mer haben wir als Zuchtraum ausgerüstet.<br />

Dort fin<strong>de</strong>t auch die Abstrafung statt, es sei <strong>de</strong>nn, es ist Besuch da, <strong>und</strong><br />

einer <strong>von</strong> uns bei<strong>de</strong>n wird vorgeführt. In <strong>de</strong>r Regel läuft die sexuelle Zucht so ab:<br />

• splitternackt ausziehen<br />

• Geschlechtsteile ausgiebig <strong>und</strong> intensiv präsentieren,<br />

• Beine breit spreizen <strong>und</strong> hinknien,<br />

• Hintern hoch recken, bis Pobacken stramm sind o<strong>de</strong>r auf eines <strong>de</strong>r Geräte fesseln<br />

• Geschlechtsteile feucht fummeln, knabbern <strong>und</strong> beißen,<br />

• auspeitschen: Striemen, blutige Knötchen, blaue Flecken,<br />

• Schmücken: Gewichte, Klammern, Ketten am ganzen Körper,<br />

• Natursekt zum Duschen ablassen,<br />

• Klistier vorbereiten: z.B. Pfeffer, Sekt, Urin-Gemisch,<br />

• Schamhaare rasieren, mit einer Flüssigkeit einreiben, die auf <strong>de</strong>r Haut brennt,<br />

• <strong>und</strong>, wie schon geschrieben, Vorführung bei Besuch.<br />

So - dann noch zwei aktuelle Erlebnisse. Zuerst <strong>von</strong> mir. Ich kam nach Hause,<br />

meine Frau pfiff mich in das Zuchtz<strong>im</strong>mer. Sie lag nackt auf <strong>de</strong>m Bett <strong>und</strong> las mir<br />

meinen Strafkatalog vor. Ich musste mich ebenfalls völlig ausziehen. Das erste,<br />

was sie <strong>von</strong> mir verlangte, war, ihr einen Orgasmus zu lecken. Dann spannte sie<br />

mich über <strong>de</strong>n Bock <strong>und</strong> verabreichte mir tausend Hiebe, bis mein Hintern wie<br />

Feuer brannte <strong>und</strong> blutige Knötchen sichtbar wur<strong>de</strong>n. Dann musste ich mich in die<br />

Ba<strong>de</strong>wanne legen <strong>und</strong> sie verpasste mir <strong>von</strong> oben bis unten eine Natursektdusche.<br />

Abtrocknen durfte ich mich nicht. Sie hängte mir Gewichte an die Ho<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />

setzte Klammern auf meinen gestriemten Hintern. Und dann kam Besuch. Ich<br />

musste mich vor sie hinknien, <strong>de</strong>n Kopf zwischen ihren Beinen, so dass ich mit<br />

<strong>de</strong>m M<strong>und</strong> ihre nackte Schei<strong>de</strong> erreichen konnte. Sie unterhielt sich angeregt mit<br />

Buches ist es, ihnen zu sagen, wie es <strong>im</strong> wirklichen Leben vor sich geht (...). Eine neue Perspektive eröffnet<br />

sich vor ihren Augen; mißachten sie sich nicht <strong>und</strong> sie wer<strong>de</strong>n das äußerste an sexueller Lust fin<strong>de</strong>n."<br />

128


ihrem Besuch <strong>und</strong> wenn ich es ihr genug tat, bekam ich einen Rohrstock in meiner<br />

Poritze zu spüren. Sie hatte mir die Penis-Manschette übergezogen <strong>und</strong> die Nägel<br />

stachen ins Fleisch. Alles tat mir weh. Anschließend wur<strong>de</strong> es dann noch ein sehr<br />

gemütlicher <strong>und</strong> intensiver Abend. Dann zu ihr: Nach<strong>de</strong>m ich ihr Strafbuch gelesen<br />

hatte, beschloss ich, sie sonntags früh zu züchtigen. Sie lag nackt bäuchlings<br />

schlafend <strong>im</strong> Bett. Ich zog ihr 100 mit <strong>de</strong>r H<strong>und</strong>epeitsche über die rosigen Pobacken.<br />

Ihr Hintern schwoll leicht an. Ich schnallte sie aufs Andreaskreuz, wobei ihre<br />

Fußspitzen <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n nicht berühren konnten. Sie bekam fünfzig Schläge mit<br />

<strong>de</strong>m dünnen Rohrstock auf ihre Brüste <strong>und</strong> fünfzig mit <strong>de</strong>r Fünfschwänzigen auf<br />

ihre Schei<strong>de</strong>. Ich hängte ihr Ketten <strong>und</strong> Gewichte an Brüste <strong>und</strong> Schamlippen.<br />

Nach zwei St<strong>und</strong>en am Kreuz erlöste ich sie. Sie musste sich hin knien <strong>und</strong> wur<strong>de</strong><br />

gefesselt. Mit <strong>de</strong>m Pad<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r Rute <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Klopfer bearbeitete ich ihre Schenkel<br />

<strong>und</strong> die Pobacken, bis blaue Flecken sichtbar wur<strong>de</strong>n. Dann musste sie meinen<br />

Penis auslutschen <strong>und</strong> bekam ein Drei-Liter-Klistier. Ihr Bauch wur<strong>de</strong> prall <strong>und</strong><br />

r<strong>und</strong>. Ich stopfte einen Pfropfen in <strong>de</strong>n Anus, damit sie sich nicht gleich entleeren<br />

konnte. Ich zog ihr noch zwanzig Schläge über die Fußsohlen (...) (aus einem<br />

Brief, ohne Altersangabe, bei<strong>de</strong> S/M <strong>und</strong> heterosexuell).<br />

Solche Handlungen können nur in hierarchisierten Beziehungen verwirklicht wer<strong>de</strong>n. Dem-<br />

entsprechend polarisiert ist die Rollenverteilung. Ausgestattet mit einer virtuellen <strong>und</strong> situati-<br />

onsgeb<strong>und</strong>enen Machtbefugnis, übt die aktive Person eine umfassen<strong>de</strong> Kontrolle aus. Sie be-<br />

st<strong>im</strong>mt <strong>de</strong>n Ablauf <strong>und</strong> die Inhalte <strong>de</strong>s Arrangements. Gleichzeitig baut sie um ihre Person<br />

eine Aura <strong>de</strong>r Unnahbarkeit auf. Eine Domina beispielsweise lässt sich nur in Ausnahmefällen<br />

<strong>von</strong> ihren K<strong>und</strong>en berühren o<strong>de</strong>r hat gar Geschlechtsverkehr mit ihnen. Will <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e sexu-<br />

elle Befriedigung, muss er masturbieren o<strong>de</strong>r sich mit einer Sklavin begnügen. Aus <strong>de</strong>r Per-<br />

spektive <strong>de</strong>s K<strong>und</strong>en könnte man mit S<strong>im</strong>mel (1908/1968, S. 265) formulieren: „Dem ‚be<strong>de</strong>u-<br />

ten<strong>de</strong>n’ Menschen gegenüber besteht ein innerer Zwang zum Distanzhalten, <strong>de</strong>r selbst <strong>im</strong> in-<br />

t<strong>im</strong>en Verhältnis mit ihm nicht verschwin<strong>de</strong>t (...).“ Die soziale Distanz ist auch <strong>im</strong> SM-<br />

Bereich ein Mittel zur Kontrolle <strong>und</strong> Machtausübung. Ein masochistischer Mann beschreibt<br />

dieses Verhältnis folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

Marius: Be<strong>im</strong> SM ist das an<strong>de</strong>rs. Ein Koitus mit <strong>de</strong>r Herrin wird gar nicht erst angestrebt.<br />

Es wür<strong>de</strong> <strong>im</strong> Wi<strong>de</strong>rspruch stehen zu <strong>de</strong>r Rollenverteilung (Wobei ich unter<br />

‚Rolle’ nicht eine Schauspielerrolle verstehe). Die Königin schläft normalerweise<br />

nicht mit ihrem Schuhputzer. Zumin<strong>de</strong>stens kann es <strong>de</strong>r Schuhputzer nicht<br />

anstreben. Die Königin könnte es befehlen. So hat es mir einmal eine Domina befohlen<br />

<strong>und</strong> während <strong>de</strong>s Koitus, als es beson<strong>de</strong>rs schön zu wer<strong>de</strong>n anfing, brach<br />

sie ihn abrupt ab <strong>und</strong> peitschte mich wegen dieses Vergehens. Man kann also sagen,<br />

dass dies auch kein Koitus war (49 Jahre, M., heterosexuell).<br />

Die Wünsche <strong>und</strong> Befehle <strong>de</strong>s dominanten Teils haben einen verpflichten<strong>de</strong>n Charakter <strong>und</strong><br />

müssen - sofern sie nicht <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>r vereinbarten Grenzen überschreiten (vgl. Kap.<br />

III.1.7 <strong>und</strong> 1.8) - vom masochistischen Part bedingungslos befolgt wer<strong>de</strong>n. Dieser liefert sich<br />

also Situation <strong>und</strong> Person regelrecht aus. Die Gra<strong>de</strong> dieser Selbstauslieferung sind allerdings<br />

129


variabel <strong>und</strong> richten sich nach <strong>de</strong>n jeweils individuellen Grenzen. Während die passive Person<br />

sich in <strong>de</strong>r Regel nur auf ‚einfache’ Variationen einlässt, fügt sich <strong>de</strong>r ‚absolut hörige Sklave’<br />

beinahe ohne Einschränkungen in sein submissives Los. Weil die passive Person aber fast<br />

<strong>im</strong>mer best<strong>im</strong>mte Grenzen vorgibt, sind manche Sadomasochisten <strong>de</strong>r Meinung, dass die<br />

Handlung eigentlich durch die untergeordnete Person best<strong>im</strong>mt wird. Dies trifft sicherlich <strong>im</strong><br />

Hinblick auf die Aushandlung <strong>de</strong>r Rahmenbedingungen zu (Wer als Passiver z.B. Handlun-<br />

gen mit Fäkalien ablehnt, kann dies auch in <strong>de</strong>r Regel durchsetzen). Innerhalb dieser <strong>de</strong>finier-<br />

ten Grenzen best<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> agiert aber <strong>de</strong>r Sadist, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ‚Masochist’ liefert sich - allerdings<br />

<strong>von</strong> ihm selbst initiiert - seinen Handlungen aus.<br />

Dabei wer<strong>de</strong>n nicht nur physiologische, son<strong>de</strong>rn auch psychologische (Unterdrückungs-) Me-<br />

chanismen aktiviert, wobei zwei gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> Aspekte herauszustellen sind. Erstens ist hier<br />

die Verletzung <strong>de</strong>r Schamgefühle <strong>de</strong>s ‚Opfers’ zu nennen. Um dies zu erreichen, ist die öf-<br />

fentliche Vorführung ein beliebtes Mittel, etwa <strong>de</strong>n nackten Sklaven einfach nur unter beklei-<br />

<strong>de</strong>ten Menschen vorzuführen, seine körperlichen Makel o<strong>de</strong>r best<strong>im</strong>mte Verrichtungen einge-<br />

hend zu präsentieren:<br />

Werner: Sehr unangenehm ist es für mich, wenn mich meine Herrin dann in <strong>de</strong>n<br />

Raum hinausführt <strong>und</strong> ich bin vollkommen nackt, während alle an<strong>de</strong>ren beklei<strong>de</strong>t<br />

sind. Da sind dann auch frem<strong>de</strong> Leute, <strong>und</strong> das ist schon sehr unangenehm.<br />

Schl<strong>im</strong>m ist es auch, wenn ich mich falsch benommen habe, <strong>und</strong> sie mich richtig<br />

zurechtweisen muss. Dann wer<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>n Leuten vorgeführt, <strong>und</strong> ich muss auf <strong>de</strong>n<br />

Tisch. Sie beschreibt <strong>und</strong> präsentiert <strong>de</strong>n Gästen dann meinen Körper. Nach <strong>de</strong>m<br />

Motto ‚Hat er nicht eine beson<strong>de</strong>rs muskulöse Brust?’ o<strong>de</strong>r ‚Ist das nicht ein richtiger<br />

Hengst?’. Dazu muss ich sagen, dass ich eine sehr schmächtige Figur habe<br />

<strong>und</strong> nur 1,60 m groß bin. Das Allerschl<strong>im</strong>mste war allerdings, als mich die Herrin<br />

einmal wegen einer an<strong>de</strong>ren Frau bestrafte. Vor etwa zwanzig Leuten habe ich ein<br />

grauenhaftes Klistier bekommen <strong>und</strong> sie hat mich mit einem Tampon verschlossen.<br />

Unter <strong>de</strong>r Androhung noch ein zweites Klistier zu bekommen, musste ich<br />

mich absolut zusammenreißen. Die Schmerzen <strong>und</strong> das Unbehagen waren schon<br />

nach wenigen Minuten beinahe unerträglich <strong>und</strong> alle haben mich beobachtet.<br />

Dann hat meine Herrin einen E<strong>im</strong>er gebracht <strong>und</strong> ich durfte mich vor <strong>de</strong>n ganzen<br />

Anwesen<strong>de</strong>n entleeren. Das ist klar, dass das dann sehr laut <strong>und</strong> unangenehm ist.<br />

Noch nie habe ich mich mehr ge<strong>de</strong>mütigt gefühlt. An<strong>de</strong>rerseits war ich glücklich,<br />

dass ich auch diese Prüfung bestan<strong>de</strong>n habe (43 Jahre, M., heterosexuell).<br />

Die Verletzung <strong>de</strong>r Schamgefühle kann - das macht dieses Beispiel <strong>de</strong>utlich - zu einem sehr<br />

subtilen Entwürdigungsmechanismus ausgebaut wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Terminologie <strong>von</strong> Goffman<br />

(1986) könnte man auch <strong>von</strong> rituellen Entweihungen sprechen.<br />

Der zweite Mechanismus zielt auf die Entpersonalisierung <strong>de</strong>r passiven Person. Sie wird -<br />

eingebettet in entsprechen<strong>de</strong> Handlungszusammenhänge - als Gegenstand behan<strong>de</strong>lt:<br />

130


Helga: Mein Herr hatte einmal Besuch <strong>von</strong> einer an<strong>de</strong>ren Frau, <strong>und</strong> ich musste<br />

dabei sein. Das war folgen<strong>de</strong>rmaßen: Die bei<strong>de</strong>n haben sich auf <strong>de</strong>m Sofa vergnügt,<br />

<strong>und</strong> ich musste Getränke servieren. Ich musste sie aber nicht nur bringen,<br />

ich musste mich auch hinknien <strong>und</strong> als Tisch dienen. Wenn sie dann getrunken<br />

hatten, haben sie die Gläser auf meinem Rücken abgestellt <strong>und</strong> sie durften nicht<br />

umfallen. Dann hat mein Herr mit dieser Frau geschlafen. Als sie fertig waren,<br />

musste ich Aschenbecher <strong>und</strong> Zigaretten besorgen <strong>und</strong> dann wie<strong>de</strong>r Tisch sein.<br />

Sie haben geraucht <strong>und</strong> die Füße auf meinen Rücken gelegt (34 Jahre, M., heterosexuell).<br />

Die Benutzung <strong>und</strong> Verdinglichung <strong>de</strong>s Sklaven als Tisch o<strong>de</strong>r als Fußabtreter ist eine <strong>de</strong>r<br />

tiefgreifendsten Demütigungsformen. 79 Mit ihr geht eine temporäre ‚Ent-I<strong>de</strong>ntifizierung’ (vgl.<br />

Strauss 1968) einher, die durch das Tragen <strong>von</strong> Masken noch zusätzlich akzentuiert wer<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

Goffman (1986) zeigt, dass alltägliche Umgangsformen durch ein beträchtliches Maß an ri-<br />

tualisierten Handlungen geprägt wer<strong>de</strong>n. So sind best<strong>im</strong>mte ‚Zuvorkommensheitsrituale’<br />

(z.B. Respektbezeugungen bei Begrüßungen) <strong>und</strong> ‚Vermeidungsrituale’ (z.B. das Ansprechen<br />

<strong>von</strong> Personen mit <strong>de</strong>m Nachnamen als Zeichen <strong>de</strong>r Respektierung <strong>von</strong> sozialer Distanz) ty-<br />

pisch für die Interaktion mit an<strong>de</strong>ren Menschen. Die meisten dieser Rituale sind Handlungs-<br />

orientierungen, die während <strong>de</strong>s sozialen Kontakts mit an<strong>de</strong>ren nicht reflektiert wer<strong>de</strong>n. Sie<br />

bleiben zumeist in einer Art halb-bewusstem Zustand <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>re bei Situatio-<br />

nen verwen<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>nen Verhaltensunsicherheiten auftauchen können. Diese Rituale dienen<br />

also letztlich dazu, die Erwartbarkeit <strong>von</strong> Handlungen sicherzustellen <strong>und</strong> gleichzeitig die<br />

„i<strong>de</strong>elle Sphäre“ (S<strong>im</strong>mel 1908/1968, S. 265) vor <strong>de</strong>m ‚unbefugten’ Eindringen frem<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r<br />

unerwünschter Personen zu schützen. Zur Respektierung dieser Persönlichkeitssphäre zählt<br />

z.B. die Berücksichtigung <strong>und</strong> Achtung <strong>de</strong>r individuellen Schamgrenzen o<strong>de</strong>r auch best<strong>im</strong>mte<br />

Formen <strong>de</strong>r Ehrerbietung.<br />

79 Die Vorstellung, Menschen als Gegenstän<strong>de</strong> zu nutzen, taucht auch in einigen Werken <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong>s auf. So etwa<br />

die Folgen<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Roman Juliette: "Sie sehen, daß dieser Tisch, diese Lüster, diese Sessel, nur aus Mädchengruppen<br />

bestehen, die kunstvoll arrangiert sind. Meine Gerichte wer<strong>de</strong>n ganz heiß auf die Hüften dieser<br />

Geschöpfe gestellt, meine Kerzen stecken in ihren Votzen, <strong>und</strong> mein Hintern wird, wenn er sich in <strong>de</strong>n Sessel<br />

nie<strong>de</strong>rläßt, genauso wie <strong>de</strong>r Ihre, <strong>von</strong> <strong>de</strong>n weichen Gesichtern o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n weißen Brüsten dieser Mädchen gestützt<br />

wer<strong>de</strong>n. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen, ihre Röcke hochzuheben <strong>und</strong> Sie, meine Herren, ihre Hosen<br />

herunterzuziehen, damit nach <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, das Fleisch auf <strong>de</strong>m Fleisch ruhen kann.<br />

(...) Zwölf Mädchen <strong>im</strong> Alter <strong>von</strong> zwanzig bis fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahren servierten <strong>und</strong> die Schüsseln auf <strong>de</strong>n<br />

leben<strong>de</strong>n Tischen <strong>und</strong> da sie aus Silber <strong>und</strong> sehr heiß waren <strong>und</strong> die Hintern <strong>und</strong> Brüste <strong>de</strong>r Geschöpfe, die<br />

diese Tische bil<strong>de</strong>ten, verbrannten, entstand eine sehr lustige zucken<strong>de</strong> Bewegung, die <strong>de</strong>m Rollen <strong>de</strong>r Meereswogen<br />

glich. Mehr als zwanzig Vorgerichte o<strong>de</strong>r Fleischplatten garnierten <strong>de</strong>n Tisch <strong>und</strong> auf Beistelltischchen,<br />

die jeweils aus vier Mädchen gebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die sich auf das kleinste Zeichen hin näherten,<br />

wur<strong>de</strong>n Weine je<strong>de</strong>r Art bereitgestellt" (<strong>de</strong> Sa<strong>de</strong>, Die Geschichte <strong>de</strong>r Juliette, zit. nach <strong>de</strong>r Ausgabe hrsg. <strong>von</strong><br />

M. Luckow: Marquis <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong>, Ausgewählte Werke (Bd. 5). Frankfurt/M. 1972, S. 122/123).<br />

131


Auch in <strong>de</strong>r SM-Interaktion wer<strong>de</strong>n Rituale 80 eingesetzt. Sie sind hier keine <strong>im</strong>pliziten, son-<br />

<strong>de</strong>rn explizite Handlungsregulative. Neben <strong>de</strong>r Bewusstheit ihrer Verwendung gibt es weitere<br />

Unterschie<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>n Alltagsritualen. Zuvorkommenheits- <strong>und</strong> Vermeidungsrituale beispiels-<br />

weise wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n SM-Enklaven übersteigert verwen<strong>de</strong>t. Es reicht nicht, wenn <strong>de</strong>r Sklave<br />

zur Domina ‚Guten Tag, Frau Schmitt’ sagen wür<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn er muss beispielsweise bei <strong>de</strong>r<br />

Begrüßung auf die Knie fallen <strong>und</strong> seine Herrin durch Fußküsse <strong>und</strong> übergebührliche Huldi-<br />

gungen begrüßen. Auf Außenstehen<strong>de</strong> wirkt das zumeist theatralisch übertrieben, in <strong>de</strong>r SM-<br />

Situation ist es gleichwohl ein wichtiges Element. An<strong>de</strong>re Rituale haben die Funktion <strong>de</strong>r<br />

Entweihung. Sie reichen weit in die Persönlichkeitssphäre hinein <strong>und</strong> machen auch nicht vor<br />

<strong>de</strong>n ‚w<strong>und</strong>en’ Punkten einer Person halt. Sie zielen <strong>im</strong> Gegenteil darauf ab, die betreffen<strong>de</strong><br />

Person erniedrigen <strong>und</strong> <strong>de</strong>mütigen zu können. Die SM-Fähigkeit <strong>de</strong>s Sklaven hängt wesent-<br />

lich da<strong>von</strong> ab, dass er Image-Verletzungen - das ‚Gesicht verlieren’ - als Erwartung an sich<br />

akzeptiert. Je besser die jeweiligen Akteure sich dabei kennen, <strong>de</strong>sto eher wissen sie um die<br />

beson<strong>de</strong>rs verletzbaren physischen <strong>und</strong> psychischen Punkte bei ihrem Gegenüber. Diese<br />

Kenntnisse wer<strong>de</strong>n für die Gestaltung <strong>de</strong>s Szenarios ausgenutzt. Die ritualisierte Verletzung<br />

<strong>de</strong>s Schamgefühls durch die öffentliche Vorführung o<strong>de</strong>r best<strong>im</strong>mte Formen <strong>de</strong>r Entweihung<br />

sind Mittel dazu. Neben <strong>de</strong>n bekräftigen<strong>de</strong>n (die zumeist <strong>de</strong>r Sklave erbringt), gibt es auch<br />

eine ganze Reihe <strong>von</strong> negativen Ritualen, die nicht nur als Reaktion auf unterbliebene Re-<br />

spektbezeugungen begriffen wer<strong>de</strong>n können. Diese Handlungen erfolgen auch dann, wenn <strong>de</strong>r<br />

Sklave sich mustergültig verhält. So entsteht eine paradoxe Situation: Zum einen stellt die<br />

Ritualisierung Verhaltensschablonen zur Verfügung, um Handlung <strong>und</strong> Erwartung voraus-<br />

sehbar zu machen, zum an<strong>de</strong>ren ist gera<strong>de</strong> die permanente Verletzung <strong>de</strong>r Erwartung (durch<br />

die aktive Person) maßgeblicher Teil <strong>de</strong>r SM-Rituale. Der Sklave kann, vereinfacht ausge-<br />

drückt, gemessen an <strong>de</strong>r Reaktion (Bestätigung) <strong>de</strong>s dominanten Teils, nie etwas richtig ma-<br />

chen, weil fast <strong>im</strong>mer negative Sanktionen erfolgen. Diese Willkürlichkeit <strong>de</strong>s Verhaltens ist<br />

intendiert, <strong>de</strong>nn so kann das Ritual unentwegt fortgeführt wer<strong>de</strong>n:<br />

Martin: 1985 habe ich <strong>de</strong>n wahrscheinlich wahnsinnigsten Schmerz erlebt. Nach<strong>de</strong>m<br />

die Erziehungsst<strong>und</strong>e zu En<strong>de</strong> war <strong>und</strong> ich vor <strong>de</strong>r ganz jungen Herrin zu<br />

En<strong>de</strong> onaniert hatte, erklärte sie mir, dass sie mich jetzt entschädigen wer<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn<br />

meine stark strapazierte Eichel müsse jetzt gepflegt wer<strong>de</strong>n, sie habe dafür einen<br />

Balsam. Sie rieb mir, <strong>de</strong>m voll Ernüchterten, die Eichel mit Rheumabalsam ein<br />

<strong>und</strong> versprach mir eine sehr lin<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Wirkung, ohne zu verraten, dass es Rheumabalsam<br />

ist. Ich kniete vor ihr, bedankte mich für alles, zog mich an <strong>und</strong> bat um<br />

Entlassung. Draußen auf <strong>de</strong>r Straße begann <strong>de</strong>r Balsam seine Wirkung zu zeigen.<br />

Es brannte <strong>im</strong>mer schl<strong>im</strong>mer, ich war ganz ratlos. Was sollte ich hier auf <strong>de</strong>r Stra-<br />

80<br />

Zum ‚Ritual’ als Mittel <strong>de</strong>r Kommunikation <strong>und</strong> Orientierungshilfe in <strong>de</strong>r sozialen Interaktion vgl. die Arbeiten<br />

<strong>von</strong> Douglas (1986) o<strong>de</strong>r Soeffner (1992).<br />

132


ße tun? Nach längerem Herumirren fand ich eine Gastwirtschaft, setzte mich in<br />

eine Ecke, legte <strong>de</strong>n Mantel über meinen Schoß <strong>und</strong> nahm unter <strong>de</strong>r Tisch<strong>de</strong>cke<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Mantel, ungesehen <strong>von</strong> allen mein Glied heraus, wischte es erst einmal<br />

ab, kühlte es dann mit meinem Bier. Ich litt einfach unsagbare Schmerzen, die<br />

Tränen liefen mir ungewollt aus <strong>de</strong>n Augen, ich litt <strong>und</strong> litt <strong>und</strong> litt. Diese<br />

Schmerzen kann man nicht beschreiben. Nach einer halben St<strong>und</strong>e etwa ließen die<br />

Schmerzen dann langsam nach. Ich zahlte <strong>und</strong> ging. Zu Hause angekommen nahm<br />

ich <strong>de</strong>n Telefonhörer, rief die junge Herrin an <strong>und</strong> bedankte mich vielmals für die<br />

fre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong> rücksichtsvolle Behandlung. Ihre Reaktion lautete einfach ‚Idiot’<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Hörer knallte in die Gabel. Wenige Tage später war ich wie<strong>de</strong>r da. Ich<br />

wollte Buße tun, weil ich <strong>de</strong>n köstlichen Balsam abgewischt hatte, <strong>de</strong>n sie mir gegen<br />

meine Schmerzen gegeben hatte (58 Jahre, M. heterosexuell).<br />

Ein an<strong>de</strong>rer Aspekt kommt noch hinzu. Im Bereich <strong>von</strong> totalen Institutionen beschreibt Goff-<br />

man (1973) einen Prozess, <strong>de</strong>n er als Diskulturation bezeichnet: „Der Neuling kommt mit<br />

einem best<strong>im</strong>mten Bild <strong>von</strong> sich selbst in die Anstalt, welches durch best<strong>im</strong>mte stabile soziale<br />

Bedingungen seiner he<strong>im</strong>ischen Umgebung ermöglicht wur<strong>de</strong>. Be<strong>im</strong> Eintritt wird er sofort <strong>de</strong>r<br />

Hilfe beraubt, die diese Bedingungen ihm boten“ (ebd., S. 25). Dazu wer<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>ne<br />

Maßnahmen eingeleitet. An erster Stelle steht <strong>de</strong>r Entzug <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätsausrüstung: Der per-<br />

sönliche Besitz (wie Kleidung, Uhren, Schreibutensilien, Radios, Bücher etc.) wird eingezo-<br />

gen <strong>und</strong> gegen eine Anstaltsuniform eingetauscht. Der Name wird durch eine Nummer er-<br />

setzt, die selbstbest<strong>im</strong>mte Verfügbarkeit über <strong>de</strong>n eigenen Körper wird z.B. durch best<strong>im</strong>mte<br />

Nacktheitsrituale nicht mehr gewährleistet. Ein ähnlicher Prozess fin<strong>de</strong>t <strong>im</strong> SM-Arrangement<br />

statt. Durch <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>r alltäglichen I<strong>de</strong>ntitätsrequisiten <strong>und</strong> die Reduktion auf <strong>de</strong>n Kör-<br />

per sind <strong>de</strong>m Sklaven die Möglichkeiten seiner alltäglichen Rollen nicht mehr gegeben. So ist<br />

auch <strong>de</strong>r ‘Firmenboss <strong>im</strong> Studio keine Autoritätsperson mehr, son<strong>de</strong>rn nur ein einfacher Skla-<br />

ve’.<br />

Im Unterschied zur totalen Institution sind diese Mechanismen <strong>im</strong> SM-Bereich aber freiwillig,<br />

gespielt <strong>und</strong> temporär. Die Akteure geben ihre Alltags-I<strong>de</strong>ntität an <strong>de</strong>r Tür zum ehelichen<br />

Folterraum o<strong>de</strong>r zum Dominastudio ab. Sie erhalten sie erst dann wie<strong>de</strong>r zurück, wenn die<br />

Situation verlassen wird (vgl. Kap. III.1.8). Diese bei<strong>de</strong>n Punkte markieren die Grenzen <strong>de</strong>s<br />

SM-Rahmens, <strong>de</strong>r durch verschie<strong>de</strong>ne Modulationen vom Alltag abgetrennt ist. ‚Module’ sind<br />

dabei folgen<strong>de</strong>rmaßen <strong>de</strong>finiert: „Darunter verstehe ich das System <strong>von</strong> Konventionen, wo-<br />

durch eine best<strong>im</strong>mte Tätigkeit, die bereits <strong>im</strong> Rahmen eines pr<strong>im</strong>ären Rahmens sinnvoll ist,<br />

in etwas transformiert wird, das dieser Tätigkeit nachgebil<strong>de</strong>t ist, <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Beteiligten aber als<br />

etwas ganz an<strong>de</strong>res gesehen wird“ (Goffman 1980, S. 55). Die Modulationen verschie<strong>de</strong>ner<br />

Alltagsrituale durch Hyperritualisierungen, Verzerrungen <strong>de</strong>s Wechselspiels <strong>von</strong> Erwartung<br />

<strong>und</strong> Bestätigung o<strong>de</strong>r - nicht zu vergessen - <strong>de</strong>r Verlust <strong>de</strong>r alltäglichen Requisiten, machen<br />

die Eigenart <strong>de</strong>s SM-Arrangements maßgeblich aus.<br />

133


1.6 Faszination, Gefühle <strong>und</strong> Erlebnismuster<br />

Die Inszenierungsformen <strong>de</strong>s Sadomasochismus <strong>und</strong> die zugr<strong>und</strong>e liegen<strong>de</strong>n Mechanismen<br />

sagen noch nichts über die Gefühle <strong>und</strong> Erfahrungen aus, die die einzelnen Personen in die-<br />

sem Bereich machen. Bei ihrer Darstellung ist zu berücksichtigen, dass manche Personen sich<br />

auf eine best<strong>im</strong>mte Form sadomasochistischen Erlebens spezialisiert haben <strong>und</strong> z.B. nur<br />

Submissions- o<strong>de</strong>r nur Dominanz-Erfahrungen suchen. An<strong>de</strong>re wie<strong>de</strong>rum trachten sowohl<br />

nach best<strong>im</strong>mten Unterwerfungs- als auch nach Ekel- o<strong>de</strong>r Schmerzerlebnissen. Bei ihnen<br />

grün<strong>de</strong>t die Faszination <strong>de</strong>s Sadomasochismus in einem ganzen Ensemble <strong>von</strong> Gefühlszu-<br />

stän<strong>de</strong>n, die die Kategorien ‘Dominanz’, ‘Submission’, ‘Schmerz <strong>und</strong> Ekel’ unterteilt wer<strong>de</strong>n<br />

können. Es ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass sich in <strong>de</strong>n spezifischen Gefühlslagen die jeweiligen<br />

individuellen Be<strong>de</strong>utungsrahmen konstituieren. Die <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n dargestellten Gefühlsmus-<br />

ter sind i<strong>de</strong>altypische Vereinfachungen, die <strong>im</strong> Alltag <strong>de</strong>r Akteure noch wesentlich varianten-<br />

reicher vorzufin<strong>de</strong>n sind. Der analytische Zugang <strong>und</strong> die Darstellbarkeit haben diese Reduk-<br />

tionen notwendig gemacht.<br />

1.6.1 Das erotisierte Herrschaftsverhältnis<br />

Abb. Dominas <strong>und</strong> Sklaven <strong>im</strong> Gummianzug bzw. mit Le<strong>de</strong>rmaske <strong>und</strong> „Harness“<br />

(Quellen: www.avalon.<strong>de</strong> <strong>und</strong> www.sin-l<strong>im</strong>its.ch)<br />

134


Typisch für das sadomasochistische Arrangement ist die bereits erwähnte Polarisierung <strong>de</strong>r<br />

Akteure in zwei entgegengesetzte Rollenmuster: „Sadomasochism, then, is an activity in<br />

which participants place themselves in dominant or submissive roles. To some <strong>de</strong>gree, the<br />

participants we observe were acting out sexual fantasies, which left room for a great <strong>de</strong>al of<br />

elaboration in these basic roles” (Weinberg u.a. 1984, S. 383). Ergänzend ist mit Schorsch<br />

(1980b, S. 128) zu bemerken: „Sadomasochistische Wünsche können sich nur in aktiver o<strong>de</strong>r<br />

nur in passiver Form äußern o<strong>de</strong>r alternierend aktiv <strong>und</strong> passiv.“ Aus <strong>de</strong>r Differenz <strong>von</strong> Sub-<br />

mission <strong>und</strong> Dominanz resultieren unterschiedliche Erfahrungen <strong>und</strong> Gefühle, die <strong>im</strong> Folgen-<br />

<strong>de</strong>n dargestellt sind.<br />

Dominanz<br />

Die Trennung <strong>von</strong> Macht <strong>und</strong> Sexualität ist als kulturelle Norm etabliert. Macht darf ihr zu-<br />

folge nicht dazu verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, sexuelle Handlungen zu verlangen o<strong>de</strong>r zu erzwingen.<br />

Demgegenüber erscheint das SM-Ritual normwidrig. Die Basis dieser Rituale ist aber die<br />

Freiwilligkeit. Das SM-Arrangements ist eine „private little Comedia <strong>de</strong>ll’Arte“ (Gree-<br />

ne/Greene 1974, S. 177), die auf gegenseitigem Einverständnis beruht <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>r „Macht (...)<br />

<strong>de</strong>r Machtlosigkeit gleich (ist)“ (Ehrenreich u.a. 1988, S. 35). Dennoch fin<strong>de</strong>n sich hier die<br />

Rollenmuster <strong>de</strong>s ‘Herrn’ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ‘Meisterin’, mithin <strong>de</strong>utliche Verweise auf explizite<br />

Machtansprüche. Im SM-Rahmen wer<strong>de</strong>n also in einem freiwilligen Arrangement intensive<br />

Machtzeremonielle inszeniert. Ihre Be<strong>de</strong>utung <strong>und</strong> die Erfahrungen, die in diesem beson<strong>de</strong>ren<br />

Raum möglich sind, erklären die Befragten folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

Ferdinand: Meine Dominanz übe ich aus, um meinen Partner sich hilflos win<strong>de</strong>n<br />

zu sehen, seine Unsicherheit zu riechen <strong>und</strong> seine Angst zu fühlen. Ich genieße es,<br />

wenn seine Scham ihn überwältigt, <strong>und</strong> wenn die Geilheit trotz aller Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong><br />

Besitz <strong>von</strong> ihm ergreift. Sicher auch, weil ich mich mit meinem Opfer i<strong>de</strong>ntifiziere<br />

(43 Jahre, S/M, bisexuell).<br />

Carola: Also die Befriedigung einfach <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>ssen, dass ich die Macht habe,<br />

mit <strong>de</strong>m Mann o<strong>de</strong>r auch mit <strong>de</strong>r Frau machen zu können, was ich will. Und Befriedigung<br />

- das kann ich nicht erklären. Das ist ein Ding, was ich nicht erklären<br />

kann. Das ist jetzt nicht so dieser Orgasmus, <strong>de</strong>n man wie be<strong>im</strong> Sex kriegt, son<strong>de</strong>rn<br />

es hat mit Kopf <strong>und</strong> Seele zu tun. Die befreien sich dann einfach, <strong>und</strong> zwar<br />

auch wenn man das in <strong>de</strong>m Moment nicht auslebt (26 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Bianca: Faszinierend an unseren Erziehungsst<strong>und</strong>en ist, dass mein Mann für mich<br />

was macht <strong>und</strong> zwar freiwillig, das ist wichtig. Ich bin<strong>de</strong> ihn auch nie fest. Das<br />

können sehr viele Schläge sein, sehr hart. Und er sieht auch danach nicht <strong>im</strong>mer<br />

sehr schön aus. Mir bringt es einfach Spaß <strong>und</strong> eine Befriedigung. (...) Mir macht<br />

es einfach Spaß, dass er was für mich tut (40 Jahre, S, heterosexuell).<br />

135


Joach<strong>im</strong>: Die Illusion <strong>von</strong> Machtgefühl, <strong>de</strong>r totalen Unterwerfung eines Menschen,<br />

die (theoretische) Möglichkeit, uneingeschränkt alles mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren machen<br />

zu können, was gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Sinn kommt, turnt mich unhe<strong>im</strong>lich an (40<br />

Jahre, S/M, schwul).<br />

Katrin: Es hat einfach viel damit zu tun, die an<strong>de</strong>re zu beherrschen, ja, richtige<br />

Macht über sie zu haben. Das Gefühl, sie macht alles für mich. Das gibt mir Ruhe<br />

<strong>und</strong> Lust, es befriedigt (32 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Mit <strong>de</strong>m subjektiven Gefühl <strong>de</strong>s Herrschens können Lustgefühle entstehen resp. damit ver-<br />

b<strong>und</strong>en sein. Für diese Zustän<strong>de</strong> scheint es vermutlich eine biophysiologische Basis zu geben:<br />

Dominante Individuen produzieren unter Anspannung (was <strong>im</strong> SM-Ritual zumeist <strong>de</strong>r Fall<br />

ist) körpereigene Stoffe (Testosteron), die sexuell st<strong>im</strong>ulierend sein können. Diese Reaktionen<br />

wur<strong>de</strong>n allerdings erst bei Pr<strong>im</strong>aten untersucht. Die Übertragbarkeit in <strong>de</strong>n Humanbereich<br />

wur<strong>de</strong> bislang nicht ausreichend geprüft. Ob es sich bei Dominanz <strong>und</strong> Submission um<br />

Gr<strong>und</strong>d<strong>im</strong>ensionen <strong>von</strong> Emotionen - genau wie beispielsweise Lust <strong>und</strong> Unlust - han<strong>de</strong>lt, ist<br />

ebenfalls wenig erforscht (vgl. Birbaumer 1983). Über diesen Aspekt dominanten Verhaltens<br />

lassen sich <strong>de</strong>shalb zur Zeit nur Vermutungen anstellen. Über die Verbindung <strong>von</strong> Gewalt <strong>und</strong><br />

Lust könnten auch die Exper<strong>im</strong>ente <strong>von</strong> Malamuth u.a. 81 Aufschluss geben. Sie haben ge-<br />

zeigt, dass Versuchspersonen, die zuvor sexuell erregt wur<strong>de</strong>n, sich anschließend in einer<br />

Versuchssituation eher aggressiv verhielten. Auch <strong>de</strong>r umgekehrte Weg erbrachte ein ähnli-<br />

ches Ergebnis: Nach<strong>de</strong>m Versuchspersonen aggressiv st<strong>im</strong>uliert wur<strong>de</strong>n, zeigten sie einer<br />

anschließen<strong>de</strong>n Versuchssituation ein höheres sexuelles Erregungsniveau. Die enge Verbin-<br />

dung <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> Aggression wird dabei auf die spezifische Organisation <strong>de</strong>s l<strong>im</strong>bi-<br />

schen Systems <strong>und</strong> auf best<strong>im</strong>mte hormonelle Einflüsse zurückgeführt. Dieser Ansatz könnte<br />

auch für die Erklärung <strong>de</strong>s SM-Verhaltens herangezogen wer<strong>de</strong>n. Jemand, <strong>de</strong>r in einer sexuel-<br />

len Situation Macht (Aggression) ausübt, wird dadurch auch sexuell stärker st<strong>im</strong>uliert. Diese<br />

These ist allerdings bislang empirisch kaum belegt.<br />

Dominante Verhaltensmuster können auch ein Versuch sein, Nähe gegenüber <strong>de</strong>m Partner<br />

herzustellen. Die Befragten gebrauchen dafür Begriffe wie ‘aufbrechen’, ‘durchdringen’,<br />

‘auflösen’ o<strong>de</strong>r ‘verschmelzen’. An<strong>de</strong>re Personen erschließen sich durch die masochistischen<br />

‘Opfer’ das Gefühl <strong>de</strong>r Sicherheit vor <strong>de</strong>m Partnerverlust. Die Torturen, die <strong>de</strong>r Masochist auf<br />

sich n<strong>im</strong>mt, wer<strong>de</strong>n zu einem symbolischem Treue-Eid für die aktive Person: ‘Sie zeigt mir<br />

dadurch, dass sie alles auf sich n<strong>im</strong>mt, dass sie mir gehört’. Hinter diesen unterschiedlichen<br />

81 Im Einzelnen kann auf die folgen<strong>de</strong>n Arbeiten hingewiesen wer<strong>de</strong>n: Malamuth u.a. (1977); (1980a); (1980b);<br />

(1980c) sowie Jaffe u.a. (1974).<br />

136


Be<strong>de</strong>utungen verbirgt sich vermutlich das gleiche Motiv, das <strong>von</strong> Reinelt (1989, S. 135/136)<br />

als generelles Merkmal <strong>von</strong> Perversionen beschrieben wird:<br />

„Im perversen Akt wird über die Sexualisierung die Distanz zwischen <strong>de</strong>m Devianten<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Objekt seines Verlangens reduziert. (...) Außer<strong>de</strong>m können über<br />

eine <strong>de</strong>rartige ‚Distanzreduktion durch Sexualisierung’ Handlungen vorgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n, die ohne sexuelle Erregung als unangenehm o<strong>de</strong>r ekelerregend empf<strong>und</strong>en<br />

wer<strong>de</strong>n. Das heißt, daß durch die Sexualisierung ängstigen<strong>de</strong>, unangenehme,<br />

schmerzhafte Situationen vorübergehend verän<strong>de</strong>rt erlebt wer<strong>de</strong>n. Sie ermöglicht<br />

eine Form <strong>de</strong>r Nähe <strong>und</strong> Int<strong>im</strong>ität, die sonst nicht geleistet wer<strong>de</strong>n kann (...).“<br />

Aber auch die umgekehrte Situation ist vorfindbar. SM wird als ein Schutz vor zu int<strong>im</strong>en<br />

persönlichen Beziehungen gesehen: ‘Es ist kein Mensch, zu <strong>de</strong>m ich eine gefühlsmäßige Be-<br />

ziehung habe, son<strong>de</strong>rn ein Objekt. Dieser Mensch kann mich nicht verletzen. Das heißt, ich<br />

habe eigentlich eine Angst in mir, eine Unsicherheit, verletzt zu wer<strong>de</strong>n. Die ist in <strong>de</strong>m Mo-<br />

ment, wo ich die Sadisten-Stellung einnehme, überw<strong>und</strong>en. Das ist für mich sicherlich <strong>de</strong>r<br />

Kern <strong>de</strong>r Sache, diese absolute Objektivierung <strong>de</strong>s Gegenüber, wenn ich dominiere’. Empi-<br />

risch f<strong>und</strong>ierte Erklärungen für diese spezifische Funktion <strong>von</strong> Nähe <strong>und</strong> Distanz liegen aller-<br />

dings nicht vor. 82<br />

Über diese psycho-physiologischen Aspekte hinaus könnten auch Zusammenhänge zwischen<br />

gesellschaftlichem (beruflichem) Status <strong>und</strong> SM-Präferenzen, wie sie in einigen amerikani-<br />

schen Studien thematisiert wer<strong>de</strong>n, eine Rolle spielen. Einige Autoren vertreten dabei die<br />

Auffassung, dass Personen, die <strong>im</strong> Beruf überdurchschnittlich hohe Entscheidungsbefugnisse<br />

haben, eher dazu neigen, sich in <strong>de</strong>r SM-Rolle <strong>de</strong>vot zu verhalten. Sadomasochismus wird <strong>im</strong><br />

weitesten Sinne als die Kompensation beruflicher Erfahrung <strong>und</strong> Wirklichkeit verstan<strong>de</strong>n.<br />

Janus u.a. (1979, S. 190) schreiben dazu: „Sie wer<strong>de</strong>n durch ein starkes Bedürfnis zu herr-<br />

schen charakterisiert, das in einem prekären Gleichgewicht zu einem ebenso intensiven Be-<br />

dürfnis nach Unterwerfung steht.“<br />

Die statistische Auswertung <strong>de</strong>r <strong>von</strong> uns befragten Personen hinsichtlich <strong>de</strong>r Merkmale ‚Füh-<br />

rungskräfte/Nicht-Führungskräfte’ <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Rollenpräferenz ergab folgen<strong>de</strong> Verteilung:<br />

82 Die Psychoanalyse beispielsweise begreift das sadistische <strong>und</strong> masochistische Han<strong>de</strong>ln als Folge <strong>de</strong>r Ablösungsproblematik<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>r Mutter in <strong>de</strong>r ödipalen Phase. Einerseits manifestiert sich hier die Angst, sich <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>r Mutter lösen zu müssen, an<strong>de</strong>rerseits die Befürchtung, sich nicht lösen zu können: "In <strong>de</strong>r sadomasochistischen<br />

Perversion wie<strong>de</strong>rholt sich die ungelöste, präödipale Mutterbeziehung mit <strong>de</strong>r Problematik <strong>von</strong><br />

Ablösung <strong>und</strong> Verschmelzung" (Becker/Schorscch 1980, S. 179).<br />

137


Tab.: Beruflicher Status <strong>und</strong> SM-Rolle<br />

Präferierte SM-Rolle Führungskräfte Nicht-<br />

Führungskräfte<br />

Aktiv 37,8% 28,9%<br />

Wechselnd 8,9% 30,9%<br />

Passiv 53,3% 40,2%<br />

Gesamt: 100,0% 100,0%<br />

Unter <strong>de</strong>m Vorbehalt <strong>de</strong>r nur bedingten Generalisierbarkeit dieser Daten ist festzustellen, dass<br />

insgesamt mehr Personen, die <strong>im</strong> beruflichen Bereich als Führungskräfte einzustufen sind, <strong>de</strong>r<br />

passiven Orientierung zugeordnet wer<strong>de</strong>n können. Umgekehrt fin<strong>de</strong>n sich unter <strong>de</strong>n Nicht-<br />

Führungskräften sowohl passiv orientierte Personen wie auch solche, die <strong>de</strong>n statusnie<strong>de</strong>ren<br />

<strong>und</strong> autoritätsarmen Berufsalltag mit <strong>de</strong>r scheinbaren Allmacht <strong>de</strong>s sadomasochistischen Ar-<br />

rangements verbin<strong>de</strong>n. Auch wenn es also Verknüpfungen zwischen diesen bei<strong>de</strong>n Variablen<br />

gibt, lässt sich auf <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>lage bisheriger Forschungsergebnisse noch nichts über die Rich-<br />

tung dieser Zusammenhänge sagen. Unsere Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass Verbin-<br />

dungen nicht nur, wie bisher vermutet, <strong>im</strong> Sinne einer Verknüpfung <strong>von</strong> beruflicher Macht<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>voter Sexualität, son<strong>de</strong>rn auch <strong>im</strong> umgekehrten Fall, nämlich <strong>de</strong>r Allianz <strong>von</strong> sexueller<br />

All- <strong>und</strong> beruflicher Ohnmacht bestehen könnten. Das Bild <strong>de</strong>s mächtigen Firmenchefs, <strong>de</strong>r<br />

vor seiner Domina kriecht, müsste je<strong>de</strong>nfalls um das Bild <strong>de</strong>r kleinen Angestellten, die ihren<br />

Partner knechtet, ergänzt wer<strong>de</strong>n: ‘Ein an<strong>de</strong>rer Punkt ist, dass ich auf die Art meine Domi-<br />

nanz ausleben kann, als Gegensatz zu meinem normalen Leben. Da bin ich ja nur die Sekretä-<br />

rin. So wie <strong>de</strong>r Direktor mal was machen möchte, was ihm gesagt wird, mache ich etwas, wo<br />

ich best<strong>im</strong>mten kann. Das ist ja nicht nur gespielt. Wenn sich da ein Professor auf einmal<br />

nackt auszieht <strong>und</strong> sich bückt <strong>und</strong> sich <strong>de</strong>n Po versohlen lässt, <strong>de</strong>r spürt doch ganz gemischte<br />

Gefühle. Erotik, Scham <strong>und</strong> was das alles so ist. Und das spüre ich wie<strong>de</strong>rum, dass <strong>de</strong>r das<br />

spürt. Dann spüre ich schon eine gewisse Macht in mir <strong>und</strong> fin<strong>de</strong> das schon toll, dass <strong>de</strong>r das<br />

in meinem Beisein macht.’ Diese Antwort einer ‘Sadistin’ könnte ein Hinweis dafür sein, dass<br />

diese Effekte auch über die Geschlechtergrenzen verlaufen (vgl. Kap. III.1.9).<br />

Submission<br />

Eskapa (1988, S. 85f) beschreibt die masochistische Orientierung folgen<strong>de</strong>rmaßen: „Maso-<br />

chismus be<strong>de</strong>utet Befriedigung durch Selbstverleugnung, Erniedrigung <strong>und</strong> Schmerzen (...),<br />

be<strong>de</strong>utet sexuelle Befriedigung durch Unterwerfung unter geistigen <strong>und</strong> körperlichen<br />

Schmerz. Masochisten sind Menschen, die <strong>de</strong>n Schmerz jeglicher an<strong>de</strong>rer sexueller Aktivität<br />

138


vorziehen.“ Ob das Phänomen <strong>de</strong>s Masochismus auf diese einfache Aussage reduzierbar ist,<br />

scheint mehr als fraglich, <strong>de</strong>nn die Interviews verweisen hier auf weitaus komplexere Erleb-<br />

nisformen. Die Schlüsselfaszination für die passive Person resultiert maßgeblich aus <strong>de</strong>m Ge-<br />

fühl <strong>de</strong>s ‘Sich-fallen-lassen-könnens’, in<strong>de</strong>m die alltägliche Selbstkontrolle außer Kraft ge-<br />

setzt wird. Der Masochist liefert sich einer Situation aus, die ihm sämtliche Gestaltungsoptio-<br />

nen entzieht. Er ist Teil <strong>de</strong>s Regie-Spiels <strong>de</strong>s aktiven Partners. Nicht die Alltagskonventionen,<br />

son<strong>de</strong>rn das Gehorsamkeitsverlangen sind handlungsleitend. Wenn die dominante Frau <strong>de</strong>n<br />

Sklaven vor einem Publikum zur Masturbation auffor<strong>de</strong>rt, gelten we<strong>de</strong>r die Regeln <strong>de</strong>s All-<br />

tags noch individuelle Schamgefühle, die solche Handlungen normalerweise in verborgene<br />

Bereiche abdrängen. Der Masochist wird dadurch - unabhängig da<strong>von</strong>, wie ‚pervers’ <strong>und</strong><br />

‚abweichend’ sein Verhalten auch sein mag - <strong>von</strong> Rechtfertigungszwängen entlastet. Er hat<br />

keine Schuld an <strong>de</strong>m, was er tut, <strong>und</strong> er muss auch keine Schamgefühle <strong>de</strong>swegen haben,<br />

schließlich ist alles vorgeschrieben <strong>und</strong> befohlen wor<strong>de</strong>n.<br />

Gudrun: Es ist diese Sehnsucht, mich fallen zu lassen o<strong>de</strong>r kontrolliert zu wer<strong>de</strong>n.<br />

O<strong>de</strong>r aufzuhören, Selbstkontrolle über mich auszuüben. (...) Ich habe hinterher oft<br />

Gefühle <strong>von</strong> Erlösung <strong>und</strong> das ist, wie wenn alles <strong>von</strong> mir abgenommen wäre. (...)<br />

Das ist das Schöne daran. Es ist wie so eine Erlösung <strong>von</strong> <strong>de</strong>m, was man sonst<br />

<strong>im</strong>mer macht. O<strong>de</strong>r <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Leben, was ich unter meiner Kontrolle habe. Und<br />

Kontrolle zu haben, das ist ja <strong>im</strong>mer auch sehr anstrengend. In <strong>de</strong>m Moment, wo<br />

ich gefesselt bin, da muss ich alles auf mich zukommen lassen <strong>und</strong> ich kann überhaupt<br />

keine Abwehr aufbauen (30 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Alfred: Eine wesentliche Komponente ist die Verlagerung <strong>de</strong>r Verantwortung für<br />

die eigene Person auf jemand an<strong>de</strong>res <strong>und</strong> dadurch die Auslösung eines Gefühls<br />

<strong>de</strong>s Wohlbefin<strong>de</strong>ns, <strong>de</strong>r Unbeschwertheit, die für mich fast Voraussetzung für das<br />

Erleben <strong>von</strong> Sexualität ist. Ich bin ansonsten <strong>im</strong>mer einer, <strong>de</strong>r sich nicht fallenlassen<br />

kann, ich kann nicht genug abschalten (37 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Hans-Jörg: Wenn ich splitternackt o<strong>de</strong>r gefesselt da vorgeführt wer<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r unter<br />

vier Augen, das ist egal, dann ist das schrecklich aufregend. Wenn ich dann festgeb<strong>und</strong>en<br />

bin, liegt die Befreiung eigentlich darin, dass ich nicht mehr verantwortlich<br />

bin für das, was ich da mache, ich wer<strong>de</strong> ja gezwungen dazu. Und ich bin<br />

gänzlich frei, <strong>de</strong>nn ich tue ja nichts böses, ich wer<strong>de</strong> ja gezwungen das zu tun. Ich<br />

habe kein schlechtes Gewissen, <strong>im</strong> Gegenteil, ich bin befreit, losgelöst <strong>und</strong> ruhig<br />

(57 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Anne: Wenn ich gefesselt bin <strong>und</strong> meine Augen verb<strong>und</strong>en sind, habe ich nur<br />

noch die Möglichkeit zu fühlen, zu hören, zu riechen, zu schmecken. Dadurch,<br />

dass ich nicht mit <strong>de</strong>n Augen erleben o<strong>de</strong>r vorhersehen kann was passiert, wirkt<br />

alles viel erregen<strong>de</strong>r. Ich bin dann <strong>de</strong>r Partnerin vollkommen ausgeliefert <strong>und</strong> das<br />

gefällt mir. (...) SM erleichtert das Loslassen, spielt <strong>de</strong>m Kopf Streiche, in<strong>de</strong>m es<br />

mir das Gefühl gibt, keine an<strong>de</strong>re Chance zu haben, als mich hinzugeben (23 Jahre,<br />

S/M, lesbisch).<br />

139


Thomas: Diese Praktiken machen mir Lust o<strong>de</strong>r erzeugen bei mir ein Lustgefühl.<br />

In <strong>de</strong>r passiven Rolle dieses Ausgeliefertsein, nichts tun können. Gleichzeitig fühle<br />

ich mich dadurch erleichtert, ich brauche nichts zu tun <strong>und</strong> ich brauche nichts<br />

zu <strong>de</strong>nken (29 Jahre, S/M, schwul).<br />

Diese Entlastungsfunktion 83 ist bei manchen - wie gezeigt - schon in <strong>de</strong>r Phantasie als<br />

Wunsch angelegt, z.B. als Überwältigungsphantasie <strong>und</strong> fin<strong>de</strong>t ihre Fortsetzung <strong>im</strong> realen<br />

Verhalten. Masochismus ist also auch eine Form <strong>de</strong>s Ausstiegs aus <strong>de</strong>n normativen Zwängen<br />

wie auch <strong>de</strong>r Selbstkontrolle <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit. Je weiter <strong>de</strong>r Ausstieg vom Alltag<br />

wegführt, <strong>de</strong>sto höher wird aber auch <strong>de</strong>r Preis, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Masochist zahlen muss. Sich schlagen<br />

<strong>und</strong> fesseln lassen, Exkremente verspeisen <strong>und</strong> Schmerzen erlei<strong>de</strong>n (vgl. Kap. III.1.5.1) sind<br />

nur einige <strong>de</strong>r Opfer, die ein solcher ‚Ausbruchsversuch’ (vgl. Cohen/Taylor 1977) for<strong>de</strong>rt.<br />

Vielleicht ist gera<strong>de</strong> die größtmögliche Diskrepanz zwischen Alltag <strong>und</strong> Enklave das Faszi-<br />

nieren<strong>de</strong> an dieser Rolle. Sie wäre dann bei Firmenchefs, Politikern o<strong>de</strong>r Managern, wenn sie<br />

beispielsweise über <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n eines Dominastudios rutschen o<strong>de</strong>r Sklavendienste leisten, am<br />

größten. Dabei geht es vermutlich nicht um die Kompensation <strong>von</strong> Macht o<strong>de</strong>r Ohnmacht<br />

o<strong>de</strong>r bei Frauen auch nicht um eine spezifische Reaktionsform auf die Jahrtausen<strong>de</strong> währen<strong>de</strong><br />

Knechtung <strong>im</strong> Patriarchat. Hier konstituieren sich vielmehr spezifische Formen <strong>von</strong> Grenzer-<br />

fahrungen, die <strong>de</strong>r Alltag nicht mehr erlaubt.<br />

An die masochistische Rolle sind neben <strong>de</strong>n Gratifikationen, die <strong>de</strong>r Masochist aus <strong>de</strong>r Ent-<br />

lastungs- <strong>und</strong> I<strong>de</strong>ntitätsfunktion seiner Rolle zieht, noch weitere Entschädigungen geknüpft.<br />

In<strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r Masochist ausliefert <strong>und</strong> damit <strong>de</strong>m Dominanzanspruch <strong>de</strong>s aktiven Partners<br />

entgegenkommt, kann er sich <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n Befriedigung <strong>de</strong>r eigenen Bedürfnisse hinge-<br />

ben, während sich <strong>de</strong>r aktive Partner um das - <strong>im</strong> weitesten Sinne - Wohlergehen <strong>de</strong>s Dieners<br />

kümmern <strong>und</strong> das Szenario auch noch spannend inszenieren muss. Die aktiven Personen müs-<br />

sen hingegen viel stärker auf ihre Selbstkontrolle achten, um <strong>im</strong> Spiel mit <strong>de</strong>n Grenzen keine<br />

Verletzungen zu riskieren.<br />

83 Stein (1974, S. 263) hat <strong>im</strong> übrigen in ihrer Studie einen ähnlichen Zusammenhang herausgestellt: "The<br />

Slave scenes then appeared to function therapeutically by allowing clients to enjoy various sexual practices<br />

without guilt, to relieve anxieties by a symbolic retreat into childhood, to compensate for sadistic or domineering<br />

behavior in other areas of their life, to act <strong>im</strong>pulses toward a pleasurable end. The sessions certainly<br />

enabled the men to relieve sexual tensions by acting our fairly strong <strong>de</strong>sires they would otherwise have to<br />

suppress."<br />

140


1.6.2 Schmerz <strong>und</strong> Ekel<br />

Die Darstellung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Praktiken hat <strong>de</strong>utlich gemacht, dass <strong>im</strong> sadomasochisti-<br />

schen Ritual auch das Schmerz-Zufügen resp. -Erlei<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r die Verletzung best<strong>im</strong>mter E-<br />

kelgrenzen eine Rolle spielen. Ihre Be<strong>de</strong>utung ist <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n dargestellt.<br />

Der Schmerz<br />

Die Schmerzforschung ist ein verhältnismäßig junger Zweig <strong>de</strong>r Neurophysiologie <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Biopsychologie. Dementsprechend gibt es nur wenig gesichertes Wissen über <strong>de</strong>n Schmerz.<br />

Fest steht, dass Menschen ebenso wie tierische Organismen über spezielle Sensoren verfügen,<br />

die nur durch gewebsschädigen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r bedrohen<strong>de</strong> Reize (Noxen) erregt wer<strong>de</strong>n. Die Rezep-<br />

toren bezeichnet man als Nociceptoren, die auf mechanische, thermische <strong>und</strong> chemische Ein-<br />

flüsse reagieren können. Manche Nociceptoren sind un<strong>im</strong>odal, d.h. sie antworten nur auf eine<br />

best<strong>im</strong>mte Reizart; die meisten sind jedoch polymodal <strong>und</strong> können durch verschie<strong>de</strong>ne Reiz-<br />

arten aktiviert wer<strong>de</strong>n. Die Aufnahme, Weiterleitung <strong>und</strong> zentralnervöse Verarbeitung noxi-<br />

scher Signale bezeichnet man als Nociception. Die Erregung <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Sensoren<br />

löst die subjektive Empfindung ‚Schmerz’ aus. Dieser wie<strong>de</strong>rum signalisiert, dass entwe<strong>de</strong>r<br />

<strong>von</strong> außen o<strong>de</strong>r <strong>von</strong> innen kommen<strong>de</strong> Reize <strong>de</strong>m Körper Scha<strong>de</strong>n zuzufügen drohen. 84 Das<br />

Schmerzerlebnis ist be<strong>im</strong> einzelnen Menschen zumeist mit Unlustgefühlen verb<strong>und</strong>en: „Der<br />

unseeligen Koppelung <strong>von</strong> körperlichem Schmerz <strong>und</strong> Angst können wir überall begegnen: in<br />

<strong>de</strong>n Warte- <strong>und</strong> Behandlungsz<strong>im</strong>mern <strong>von</strong> Zahnärzten, in <strong>de</strong>n Kreißsälen <strong>de</strong>r Krankenhäuser,<br />

am extremsten jedoch auf <strong>de</strong>n onkologischen Stationen. Immer wie<strong>de</strong>r treffen wir Menschen,<br />

die nicht die Krankheit ängstigt, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Schmerz; Menschen, die nicht <strong>de</strong>r Tod ängstigt,<br />

son<strong>de</strong>rn das mit Schmerzen verb<strong>und</strong>ene Sterben“ (Keeser 1990, S. 48). Damit wird <strong>de</strong>utlich,<br />

dass Schmerz sehr häufig Abwehr- <strong>und</strong> Fluchtreaktionen auslöst. Schmerzsituationen wer<strong>de</strong>n<br />

nach Möglichkeit gemie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>m alltäglichen Erfahrungsrepertoire ferngehalten.<br />

An<strong>de</strong>rs <strong>im</strong> sadomasochistischen Rahmen. Bereits die frühen Sexualwissenschaftler weisen auf<br />

die wichtige Rolle <strong>de</strong>s Schmerzes für das sadomasochistische Erlebnis hin. Auch Weinberg<br />

u.a. (1984, S. 382) betonen diesen Sachverhalt: “Most lay and professional discussions of<br />

sadomasochitic emphasize the physical pain involved.” Im sadomasochistischen Arrangement<br />

kann <strong>de</strong>r Schmerz Teil <strong>de</strong>s Herrschafts- <strong>und</strong> Unterwerfungsrituals sein. Er wird zumeist nur<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>r passiven Person ertragen. Der aktive Teil versichert sich auf diese Weise <strong>de</strong>r Unter-<br />

84 Zur Schmerzforschung vgl.: Birbaumer/Schmidt(1990); Euler/Mandl(1983); Keeser u.a. (1982); Pöp-<br />

pel/Bullinger(1990); Schmidt/Thews(1987).<br />

141


würfigkeit, Demut <strong>und</strong> Aufopferung seines masochistischen Partners. Die Erfahrungen <strong>de</strong>s<br />

aktiven Teils lassen sich am ehesten mit Vergewisserung <strong>und</strong> Bestätigung <strong>de</strong>r Macht be-<br />

schreiben. Es ist aber auch <strong>de</strong>nkbar, dass das Foltern <strong>und</strong> Quälen an sich Lustgefühle erzeugt.<br />

In <strong>de</strong>r Phantasie - so berichten einige <strong>de</strong>r Befragten - haben diese Vorstellungen durchaus eine<br />

st<strong>im</strong>ulieren<strong>de</strong> Funktion. Allerdings lehnen sie die Umsetzung aus moralischen Grün<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />

wegen möglicher negativer Sanktionen ab. Dieser Umstand darf aber nicht dahingehend ver-<br />

stan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, als gäbe es diese ‚Folterpraktiken’ nicht. Sie wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Szene totge-<br />

schwiegen, weil sie nicht selten mit Verletzungen <strong>de</strong>s Freiwilligkeitsgebotes einhergehen <strong>und</strong><br />

die Sadomasochisten als Gesamtheit diskreditieren. 85 Für einen Teil <strong>de</strong>r passiv orientierten<br />

Personen ist <strong>de</strong>r Schmerz während <strong>de</strong>s SM-Rituals ein notwendiges Übel <strong>und</strong> keineswegs nur<br />

eine angenehme Erfahrung. Masochisten erlei<strong>de</strong>n die Qual als <strong>de</strong>n signifikantesten Ausdruck<br />

<strong>von</strong> Selbstaufgabe <strong>und</strong> Ohnmacht:<br />

Nikolaus: Schmerz fügt sie mir zu. Sie fragt nicht, ob sie darf o<strong>de</strong>r ob ich es will,<br />

sie tut es, mit verschie<strong>de</strong>nen Schmerzgra<strong>de</strong>n. Die geringen Gra<strong>de</strong> empfin<strong>de</strong> ich<br />

unter Umstän<strong>de</strong>n direkt angenehm. Da spüre ich meine Herrin, die ich <strong>im</strong> Normalsex<br />

ja sonst ohnehin nie zu spüren bekomme. An <strong>de</strong>n Geschlechtsteilen, am<br />

Anus <strong>und</strong> vor allem an <strong>de</strong>n Brustwarzen habe ich diesen leichten Schmerz beson<strong>de</strong>rs<br />

gern. Aber dann kommen höhere Schmerzgra<strong>de</strong>, die schwer zu verkraften<br />

sind. Nur: wer fragt danach? Ich habe mich unterworfen, ich muss es erdul<strong>de</strong>n.<br />

Ich besch<strong>im</strong>pfe mich dann selbst laut als Feigling <strong>und</strong> Schwächling, dass mir das<br />

weh tut. Ich bitte die Herrin aufzuhören, aber sie verhöhnt mich nur <strong>und</strong> lacht<br />

(wahnsinnig <strong>de</strong>mütigend) <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Schmerz kann auch in das Unerträgliche gesteigert<br />

wer<strong>de</strong>n. (...) Ich schreie, bitte um Gna<strong>de</strong>, die nicht gewährt wird - aber hinterher<br />

bedanke ich mich, <strong>und</strong> dieser Dank ist trotz<strong>de</strong>m echt <strong>und</strong> nicht nur befohlen<br />

o<strong>de</strong>r gespielt. Da ich meine Herrin oft wechsle, ist es nicht nötig, die Schmerzintensität<br />

zu steigern, um <strong>de</strong>n ‚Spaß’, wie sie es nennen, zu erhöhen. Schmerzen<br />

machen natürlich keinen Spaß, aber eine Luststeigerung ist es schon. Wür<strong>de</strong> ich<br />

einen Salon verlassen, ohne Schmerz empf<strong>und</strong>en zu haben, so hätte ich nichts erlebt.<br />

Der Schmerz, <strong>de</strong>r mir zugefügt wird, also Strafe ohne Gr<strong>und</strong>, da ich doch gar<br />

kein Verschul<strong>de</strong>n auf mich gezogen habe, <strong>de</strong>mütigt mich sehr stark <strong>und</strong> je größer<br />

<strong>de</strong>r Schmerz war, um so tiefer die Demütigung (64 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Neben dieser Personengruppe gibt es aber auch Masochisten, die aus <strong>de</strong>m unmittelbaren<br />

Schmerzerlebnis Lust gewinnen. 86 Dabei geht es nicht nur um Unterwerfung, son<strong>de</strong>rn um eine<br />

spezifische Steigerung <strong>de</strong>s Lusterlebnisses durch Schmerz:<br />

85 Auf diese Frage wer<strong>de</strong> ich ausführlich in Kap. III.1.7 eingehen, wenn es um die Verletzung <strong>von</strong> Grenzen <strong>und</strong><br />

Regeln <strong>im</strong> sadomasochistischen Arrangement geht.<br />

86 Schrenck-Notzing(1902) hat für diesen Sachverhalt <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Algolagnie eingeführt.<br />

142


Maria: Es kommt drauf an, ob man sich gegen <strong>de</strong>n Schmerz wehrt o<strong>de</strong>r ob man<br />

sich reinfallen lässt. Es gibt also die Momente, wo man Wut verspürt, über diese<br />

Schmerzen. Die Wut, <strong>im</strong> En<strong>de</strong>ffekt hilflos zu sein, zu sagen, was mache ich eigentlich<br />

hier? Ich bin hier gefesselt, lasse mich schlagen. Dann tut es auch weh.<br />

Wenn man sich dann aber wie<strong>de</strong>r fallen lässt in <strong>de</strong>n Schmerz <strong>und</strong> in seinen Körper<br />

reinhorcht, merkt man, dass dieser Schmerz einfach gut tut. Man wird eben feucht<br />

o<strong>de</strong>r erregt, wenn man sich da reinfallen lässt. Dieser Schmerz ist dann einfach<br />

aufgeilend (25 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Vanessa: Bei mir ist es eher so, dass es das Schmerzerlebnis an sich ist, um das es<br />

mir geht. Großen Schmerz zu empfin<strong>de</strong>n, während du die Möglichkeit hast, dich<br />

reinfallen zu lassen, erzeugt erst mal Adrenalin <strong>im</strong> Blut <strong>und</strong> hinterlässt - wenn du<br />

durch bist - ein sehr sehr angenehmes gutes Gefühl. (...) Da ist es tatsächlich so<br />

eine ganz eigene Schmerzgeilheit, wo mich die Schläge geil machen. Nach je<strong>de</strong>m<br />

Schlag ist die Geilheit da. Und dann will ich noch mal <strong>und</strong> noch mal genau diesen<br />

Kick haben (30 Jahre, S/M, heterosexuell).<br />

Jonathan: Schmerz ist ein unerlässlicher Bestandteil <strong>de</strong>r SM-Begegnung, ja <strong>de</strong>r<br />

eigentliche Antrieb dafür. Bondage allein fän<strong>de</strong> ich fad. Der Schmerz ist etwas,<br />

wovor ich mich fürchte, doch zugleich sehne ich ihn herbei. Natürlich ist er luststeigernd,<br />

<strong>de</strong>nn ich will ihn ja dann <strong>im</strong>mer noch (etwas) stärker spüren: noch mehr<br />

kräftigere Peitschenhiebe, gesteigerte Stromstärke <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r Impulsfolge, schärfer<br />

zubeißen<strong>de</strong> Brustklammern, wiewohl das zum Allerunangenehmsten gehört, dann<br />

lieber drei Kilo Gewicht an <strong>de</strong>n Ho<strong>de</strong>n. Im Laufe <strong>de</strong>r Zeit tritt sicherlich eine gewisse<br />

Vermin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Schmerzempfindlichkeit, eine Anhebung <strong>de</strong>r Reizschwelle<br />

ein, die mich nach <strong>de</strong>r Steigerung <strong>de</strong>s Schmerzes rufen lässt. Das gilt aber,<br />

glaube ich, nicht für alle Körperteile gleichermaßen. An meinen Genitalien<br />

halte ich viel mehr aus als vor einigen Jahren, an <strong>de</strong>n Brustwarzen hingegen beinahe<br />

weniger - <strong>und</strong> trotz<strong>de</strong>m will ich auch hier <strong>de</strong>n stärkeren Reiz. Man lässt sich<br />

<strong>im</strong>mer weiter hineingleiten in das Schattenreich <strong>de</strong>r Tortur, wünscht sich <strong>im</strong>mer<br />

noch ein bisschen mehr, riskiert auch <strong>im</strong>mer noch ein Weniges mehr (62 Jahre, M,<br />

heterosexuell).<br />

Manfred: Die ersten 30 bis 50 Rohrstockhiebe tun mir <strong>im</strong>mer noch genauso weh<br />

wie je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren normalen Menschen auch. Bloß dann setzt so eine Art, wie<br />

soll man sagen, Schmerzwollust ein o<strong>de</strong>r so, <strong>und</strong> dann nehmen auch die Schmerzen<br />

ab. Ich empfin<strong>de</strong> das nicht mehr als richtig körperlichen Schmerz. (...) In je<strong>de</strong>m<br />

Fall macht es geil (25 Jahre, M, schwul).<br />

Inge: Die Schmerzen empfin<strong>de</strong>st du nach einer gewissen Zeit nicht mehr so sehr,<br />

du bist dann einfach nur angeturnt <strong>und</strong> genießt die Situation. Wenn ich nicht geschlagen<br />

wer<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Schmerz nicht spüre, sind meine Empfindungen viel geringer<br />

be<strong>im</strong> Sex (26 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Hier stellt sich die Frage, wie die Schmerzen überhaupt ertragen wer<strong>de</strong>n können, <strong>und</strong> wie<br />

diese Schmerzen mit <strong>de</strong>m Lusterlebnis zusammenhängen. Zunächst einmal ist festzuhalten,<br />

dass die Schmerztoleranzschwelle (Bezeichnung für <strong>de</strong>n Punkt in einem Exper<strong>im</strong>ent, an <strong>de</strong>m<br />

143


die noxische Reizung so weit geht, dass <strong>de</strong>r Schmerz nicht mehr ertragen wer<strong>de</strong>n kann) indi-<br />

viduell unterschiedlich ist. Was <strong>de</strong>m einen weh tut, kann <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re noch gut verkraften.<br />

Möglicherweise liegt also bei einigen Sadomasochisten die Toleranzgrenze ohnehin schon<br />

höher als bei an<strong>de</strong>ren Menschen. 87 Zu<strong>de</strong>m sind normale Reaktionen auf schmerzhafte Reize<br />

nicht angeboren, son<strong>de</strong>rn müssen in einer frühen Entwicklungsphase erlernt wer<strong>de</strong>n. 88 Ent-<br />

sprechend könnten vielleicht auch best<strong>im</strong>mte Entwicklungsstörungen für eine drastische De-<br />

sensibilisierung <strong>von</strong> Nociceptoren verantwortlich gemacht wer<strong>de</strong>n, so dass bei manchen Sa-<br />

domasochisten die Noxen erst auf einem recht hohen Niveau Schmerzempfindungen auslö-<br />

sen. Jedoch liegen entsprechen<strong>de</strong> exper<strong>im</strong>entelle Untersuchungen nicht vor.<br />

Wichtig sind auch die endogenen Schmerzkontrollsysteme, die das Schmerzerlebnis blockie-<br />

ren können. Eines <strong>von</strong> ihnen wirkt in <strong>de</strong>r Verbindung <strong>von</strong> Opiatrezeptoren <strong>und</strong> ihnen zugehö-<br />

rige körpereigenen Ligan<strong>de</strong>n (Endorphine, Enkephaline <strong>und</strong> Dynorphine). Aufgr<strong>und</strong> spezifi-<br />

scher Rezeptoren an <strong>de</strong>n Neuronen <strong>de</strong>s nociceptiven Systems können diese körpereigenen<br />

Opiate sehr gezielt wirken. Schmerzempfindungen können dadurch - analog zu <strong>de</strong>r Wir-<br />

kungsweise <strong>von</strong> körperfrem<strong>de</strong>n Schmerzmitteln - reduziert o<strong>de</strong>r ganz unterdrückt wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine an<strong>de</strong>re Form endogener Schmerzkontrolle ist möglicherweise <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

best<strong>im</strong>mten elektrophysiologischen Prozessen <strong>im</strong> Gehirn zu sehen. Larbig u.a. (1982) weisen<br />

darauf hin, dass z.B. bei Fakiren o<strong>de</strong>r Feuerläufern ein Zustand kortiko-subkortikaler Dissozi-<br />

ationen (Hirnschlaf-körperliche Aktivität) zu beobachten ist, <strong>de</strong>r mit erhöhten Thetaaktivitä-<br />

ten verb<strong>und</strong>en ist: „Das ekstatische, hypermotorische Tanzen <strong>de</strong>s Pyrovaten auf <strong>de</strong>r Glut bei<br />

eingeschränkter Aufmerksamkeit auf Musik, Ikonen, religiöse Vorstellungen, kombiniert mit<br />

‚schlafen<strong>de</strong>n’ Hirnteilen (erhöhte Thetaaktivität, entsprechend Schlafstadium 3-4), ist ver-<br />

gleichbar mit somnambulen Reaktionen o<strong>de</strong>r hysterischen ‚fugues’. Diese psychopathologi-<br />

schen Zustän<strong>de</strong> sind ebenfalls charakterisiert durch motorische ‚automatisierte’ Aktivität bei<br />

gleichzeitigem Hirnschlaf“ (ebd. S. 108/109). Vergleichbare Zustän<strong>de</strong> sind bei <strong>de</strong>r sexuellen<br />

Erregung, insbeson<strong>de</strong>re be<strong>im</strong> Orgasmus nachzuweisen: „Während <strong>de</strong>s sexuellen Höhepunktes<br />

87 Exper<strong>im</strong>ente haben gezeigt, dass die Schmerztoleranz <strong>im</strong> interkulturellen Vergleich unterschiedlich ist: "In<br />

einer Studie in <strong>de</strong>n USA wur<strong>de</strong>n beispielsweise jüdische, italienische <strong>und</strong> indianische Hausfrauen miteinan<strong>de</strong>r<br />

verglichen. Obwohl es bei <strong>de</strong>n drei Bevölkerungsgruppen keine Unterschie<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Schmerzschwellen<br />

gab, zeigten die Italienerinnen eine erheblich geringere Schmerztoleranz als die Jüdinnen o<strong>de</strong>r die Indianerinnen.<br />

Das entspricht <strong>de</strong>m durch die Karl-May-Tradition genährten Klischee, daß Indianer mehr Schmerz<br />

aushalten können" (Pöppel 1982, S. 240).<br />

88 So bemerken Birbaumer/Schmidt(1990, S. 352): "Bleiben diese frühkindlichen Erfahrungen aus, so lassen sie<br />

sich später nur schwer erlernen: Junge H<strong>und</strong>e, die in <strong>de</strong>n ersten 8 Lebensmonaten vor allen schädigen<strong>de</strong>n<br />

Reizen bewahrt wur<strong>de</strong>n, waren unfähig, auf Schmerzen angemessen zu reagieren, <strong>und</strong> lernten dies nur langsam<br />

<strong>und</strong> unvollkommen. Sie schnupperten <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r an offenen Flammen <strong>und</strong> ließen sich Na<strong>de</strong>ln tief in<br />

die Haut stechen, ohne mehr als lokale reflektorische Zuckungen zu zeigen. Vergleichbare Beobachtungen<br />

wur<strong>de</strong>n auch an jungen Rhesusaffen erhoben."<br />

144


ist die Umgebungs- <strong>und</strong> Schmerzwahrnehmung reduziert bzw. ausgeschaltet. S<strong>im</strong>ultane EEG-<br />

Bef<strong>und</strong>e zu diesem Zeitpunkt zeigen erhöhte Thetaaktivität (4Hz) über <strong>de</strong>r rechten Hemisphä-<br />

re“ (ebd. S. 109). Best<strong>im</strong>mte chemische <strong>und</strong> elektrophysiologische Prozesse können - wenn-<br />

gleich hier noch weitere Forschungsergebnisse abzuwarten sind - also in einen Zusammen-<br />

hang mit <strong>de</strong>m Schmerzempfin<strong>de</strong>n gebracht wer<strong>de</strong>n. Auch bei Sadomasochisten spielen mög-<br />

licherweise - so die Konsequenz aus diesen Hypothesen - solche Potentiale bei <strong>de</strong>r Reduktion<br />

<strong>de</strong>s Schmerzempfin<strong>de</strong>ns eine Rolle. 89 Aber auch situationale Variablen könnten eine Rolle<br />

spielen. Wenn viele <strong>de</strong>r Befragten berichten, dass <strong>de</strong>r Schmerz in an<strong>de</strong>ren Situationen nach<br />

wie vor als unangenehm erlebt wird, <strong>und</strong> dass sie dort auf Schmerz mit Angst reagieren,<br />

könnte dies ein Hinweis hierfür sein:<br />

Lisa: Also wenn ich mir <strong>de</strong>n Fuß breche, dann ist das etwas an<strong>de</strong>res, o<strong>de</strong>r wenn<br />

<strong>de</strong>r Zahnarzt mit <strong>de</strong>r Spritze kommt. Ich war vor kurzem noch da, da kriege ich<br />

Angst, da kriege ich feuchte Hän<strong>de</strong>. O<strong>de</strong>r ich habe mir jetzt eine Rippe angeknackst,<br />

ich war drei Tage kein Mensch mehr, weil ich Schmerzen hatte. Ich hatte<br />

aber keine sexuelle Lust gehabt, das sind körperliche Schmerzen, die mir weh tun.<br />

Die Schmerzen, die ich lustvoll empfin<strong>de</strong>, gehen nur in Verbindung mit <strong>de</strong>m Sexuellen.<br />

Also normale Schmerzen empfin<strong>de</strong> ich genauso als Schmerz wie an<strong>de</strong>re<br />

(38 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Konrad: Der Schmerz, <strong>de</strong>n man empfin<strong>de</strong>t, bereitet gleichzeitig Lust, aber nur<br />

weil diese Situation so ist. Ich kann mir vorstellen, wenn ich genau die gleiche<br />

Handlung ohne eine Erektion zu haben an mir vollziehe, dann empfin<strong>de</strong> ich nur<br />

<strong>de</strong>n Schmerz, dann habe ich eigentlich gar nicht <strong>de</strong>n Gedanken dabei, dass mir<br />

genau dieses gut tut (38 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Der Zusammenhang <strong>von</strong> Situationsbedingungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n komplexen neurophysiologischen<br />

Vorgängen wird <strong>von</strong> Birbaumer/Schmidt (1990, S. 352) herausgestellt: „Außer<strong>de</strong>m ist für<br />

eine Schmerzbewertung oft entschei<strong>de</strong>nd, unter welchen Umstän<strong>de</strong>n ein Schmerzereignis<br />

auftritt. So ist gut bekannt, dass bei Kriegsverw<strong>und</strong>ungen <strong>de</strong>r Bedarf an schmerzstillen<strong>de</strong>n<br />

Mitteln weitaus geringer ist, als bei vergleichbaren Verletzungen <strong>im</strong> Zivilleben. Anscheinend<br />

vermin<strong>de</strong>rt die Aussicht auf die baldige He<strong>im</strong>reise <strong>und</strong> das Glücksgefühl, die Schlacht über-<br />

lebt zu haben, Schmerzwahrnehmung <strong>und</strong> -bewertung in einem erheblichen Ausmaß.“ In die-<br />

sem Zusammenhang weist Bullinger (1990, S. 277) darauf hin, dass best<strong>im</strong>mte <strong>im</strong>aginative<br />

Techniken die Schmerzhaftigkeit <strong>von</strong> noxischen Reizen reduzieren können: Neben Tagträu-<br />

men <strong>und</strong> Phantasien erweisen sich auch „die Um<strong>de</strong>finition <strong>de</strong>s Schmerzreizes als willkomme-<br />

89 Auf die Be<strong>de</strong>utung dieser Schmerzkontrollsysteme <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Phänomen <strong>de</strong>s Sadomasochismus<br />

hat z.B. Mass (1983, S. 53) hingewiesen: "Like heroin and morphin, the endorphins have recently<br />

been discovered to be addictive. Perhaps the incorporation of pain into sexual activity ist actually a mechanism<br />

for releasing or augmenting the release of this substances in the brain."<br />

145


ne Erfahrung (z.B. als angenehm erlebter Kältereiz bei <strong>de</strong>r Vorstellung sich in <strong>de</strong>r Wüste zu<br />

befin<strong>de</strong>n) o<strong>de</strong>r die <strong>im</strong>aginative Transformation <strong>de</strong>s <strong>Kontext</strong>es (z.B. sich in einer vorgestellten<br />

Szene befin<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schmerz eine an<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung gewinnt)“ als effektive Schmerz-<br />

reduktionsstrategien. Die Aufladung <strong>de</strong>s SM-Rituals durch sexuelle Reize könnte ein ver-<br />

gleichbarer Mechanismus sein. Schmerz wird dadurch nicht nur erträglich, son<strong>de</strong>rn bekommt<br />

möglicherweise eine an<strong>de</strong>re subjektive Be<strong>de</strong>utung, nämlich die <strong>de</strong>s Lustgefühls o<strong>de</strong>r wird zu<br />

einer gänzlich an<strong>de</strong>ren Gefühlsqualität, wie Pöppel (1982, S. 244) es formuliert: „Vielleicht<br />

ist die Ekstase, wie sie durch extreme Situationen ausgelöst wird, jener Zustand, in <strong>de</strong>m größ-<br />

te Lust <strong>und</strong> tiefster Schmerz sich vereinen <strong>und</strong> durch ihre Integration eine neue Erlebnisqua-<br />

lität entstehen lassen.“<br />

Der Ekel<br />

Ganz allgemein formuliert ist <strong>de</strong>r Ekel ein unlustbetontes Gefühl <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rwillens, das ge-<br />

genüber best<strong>im</strong>mten Reizen aufgebaut wird. Ekel kann sich auf Objekte wie z.B. Speisen,<br />

Getränke o<strong>de</strong>r Ausscheidungen o<strong>de</strong>r aber auf Menschen, beziehungsweise auf best<strong>im</strong>mte<br />

menschliche Verhaltensformen beziehen. In <strong>de</strong>n Interviews, die wir mit Sadomasochisten<br />

geführt haben, wur<strong>de</strong> die Frage nach Ekelerlebnissen <strong>im</strong>mer auf Praktiken bezogen, die sich<br />

um Exkremente drehen. Ihre Thematisierung löste zumeist Verlegenheit <strong>und</strong> Ausweichreakti-<br />

onen aus. Während die einzelnen Personen sehr offen über ihre übrigen SM-Erfahrungen<br />

sprechen konnten, ließ die Gesprächsbereitschaft bei dieser Frage merklich nach. Die wenigen<br />

Antworten hierzu erreichten uns in <strong>de</strong>r Mehrzahl auf schriftlichem Weg.<br />

Ohne darauf einzugehen, woher die einzelnen Aversionen stammen, <strong>und</strong> welche Ursachen für<br />

sie verantwortlich gemacht wer<strong>de</strong>n müssen, haben die Gesprächs- <strong>und</strong> Interviewpartner <strong>von</strong><br />

ganz unterschiedlichen Ekelformen berichtet. Heterosexuelle Männer berichteten <strong>von</strong> Ekelge-<br />

fühlen, wenn sie sich sexuelle Kontakte mit einem an<strong>de</strong>ren Mann vorstellten. Sie gaben an,<br />

solche Handlungen nur unter <strong>de</strong>m entschie<strong>de</strong>nsten Druck einer dominanten Frau ausüben zu<br />

können. Aber selbst dann wird z.B. <strong>de</strong>r ‚Befehl’, einen an<strong>de</strong>ren Mann zu st<strong>im</strong>ulieren, nur mit<br />

Wi<strong>de</strong>rwillen o<strong>de</strong>r überhaupt nicht ausgeübt.<br />

Franz-Joseph: Ich könnte mich schütteln vor Ekel, wenn ich mir vorstelle, es mit<br />

einem Mann machen zu müssen. Also ein Mann ist für mich absolut tabu. Das ist<br />

nur Ekel. Ich kann das nicht erklären. Ich kenne einige Homosexuelle <strong>und</strong> komme<br />

mit ihnen sehr gut aus. Wenn ich mir aber vorstelle, ich müsste einen Schwanz in<br />

<strong>de</strong>n M<strong>und</strong> nehmen o<strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>m die Eier ablecken o<strong>de</strong>r einen Mann in <strong>de</strong>n<br />

Arsch ficken, dann bin ich schon dicht am Kotzen. (...) Eine Domina hat das einmal<br />

<strong>von</strong> mir verlangt <strong>und</strong> da habe ich alle Kontakte zu ihr abgebrochen. Das ist<br />

146


noch nicht einmal für eine ansonsten verehrungswürdige Frau möglich (56 Jahre,<br />

M, heterosexuell).<br />

An<strong>de</strong>re Personen vermei<strong>de</strong>n hingegen jegliche orale o<strong>de</strong>r anale Praktiken. Manche Frauen<br />

haben einen unüberwindbaren Ekel vor Sperma. Gemeinsam ist diesen Aversionen, dass sie -<br />

sofern sie <strong>de</strong>m dominanten Partner bekannt sind - als Anknüpfungspunkt für Unterwerfungs-<br />

rituale genutzt wer<strong>de</strong>n. Die Reaktionen <strong>de</strong>r Betroffenen auf diese Reize wer<strong>de</strong>n übereinst<strong>im</strong>-<br />

mend als körperlicher Wi<strong>de</strong>rwille - unter Umstän<strong>de</strong>n mit Brechreiz verb<strong>und</strong>en - beschrieben,<br />

also ein Verhalten, wie es universell bei Ekelsituationen vorkommt. 90 Ekelreaktionen zeigten<br />

sich bei <strong>de</strong>n Befragten insgesamt am <strong>de</strong>utlichsten in Bezug auf Exkremente. Diese Form <strong>de</strong>s<br />

Ekelerlebens ist vornehmlich auf die passive Rolle beschränkt. Zwar haben <strong>von</strong> uns befragte<br />

S-Personen auch vom Ekel gegenüber best<strong>im</strong>mten Praktiken gesprochen, sie sind aber <strong>de</strong>n<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Situationen nicht so direkt ausgesetzt, weil sie aufgr<strong>und</strong> ihres Status größere<br />

Entscheidungsfreiheiten haben. Sicherlich können auch die Masochisten Praktiken mit Ex-<br />

krementen aus ihrem SM-Spektrum ausklammern, manche <strong>von</strong> ihnen suchen aber gera<strong>de</strong> -<br />

entsprechend einem radikalen Rollenverständnis - die Überschreitung dieser Grenzen, die<br />

nachgera<strong>de</strong> als signifikantester Beleg für eine <strong>de</strong>vote Haltung erbracht wird:<br />

Egmont: In <strong>de</strong>r Phantasie wer<strong>de</strong> ich gerne zu best<strong>im</strong>mten Praktiken gezwungen.<br />

In <strong>de</strong>r Wirklichkeit ist es aber die Hölle für mich. Natursekt, Kaviar <strong>und</strong> homosexuelle<br />

Handlungen sind mir zutiefst zuwi<strong>de</strong>r. Was an diesen Praktiken so abstoßend<br />

ist, kann ich nicht sagen, aber es ist eben abstoßend. (...) Genauso fin<strong>de</strong> ich<br />

orale Praktiken ekelhaft. Ich wür<strong>de</strong> einer Frau niemals freiwillig orale Dienste tun<br />

(52 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Nikolaus: Dann verlangte sie <strong>von</strong> mir, in eine unausgewaschene Urinflasche zu<br />

urinieren, um dann mein eigenes Zeug zu trinken. Aber ich war kurz zuvor auf <strong>de</strong>r<br />

Toilette gewesen, <strong>und</strong> außer<strong>de</strong>m verwehrte die Aussicht auf das Kommen<strong>de</strong><br />

schon rein psychisch <strong>de</strong>n Harnstrahl. ‚Dann wer<strong>de</strong> ich es dir halt mit <strong>de</strong>m Katheter<br />

holen!’ brüllte sie mich an. Da ich aber soeben eine Prostataoperation hinter<br />

mir hatte, bat ich sie, flehte sie an, zu hören, dass <strong>de</strong>r Arzt gesagt hatte: ‚Katheter<br />

nur <strong>im</strong> Krankenhaus setzen lassen’. Sie akzeptierte diese wahrheitsgemäße Ausre<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> brüllte mich an: ‚Ich habe auch noch an<strong>de</strong>re Mittel du Schwein’. Und ich<br />

musste hinter ihr herkriechen durch <strong>de</strong>n Flur, zu einem Raum, <strong>de</strong>ssen Tür sie öff-<br />

90 Ekelreize lösen in allen Kulturen die gleichen Reaktionsmuster aus. Die evolutionstheoretische Erklärung<br />

könnte hierfür eine Begründung liefern: "Wenn uns etwas anekelt, möchten wir es beseitigen o<strong>de</strong>r in einer<br />

Weise verän<strong>de</strong>rn, daß es nicht länger ekelerregend ist. In <strong>de</strong>r Evolution hat Ekel wahrscheinlich dabei geholfen,<br />

Organismen zu motivieren, die Umwelt ausreichend hygienisch zu erhalten <strong>und</strong> sie da<strong>von</strong> abzuhalten,<br />

verdorbene Nahrung zu essen <strong>und</strong> verschmutztes Wasser zu trinken. Ekel ist kein perfekter Detektor <strong>von</strong> gefährlicher<br />

Verunreinigung, aber er hilft. Ferner spielt Ekel wahrscheinlich eine Rolle bei <strong>de</strong>r Erhaltung <strong>de</strong>r<br />

körperlichen Hygiene" (Izard 1981, S. 376f). Die Auslöser für Ekelreaktionen sind aber kulturell codiert <strong>und</strong><br />

variieren <strong>im</strong> interkulturellen Vergleich beträchtlich.<br />

147


nete. Es war die Toilette. ‚Sauf sie aus, du Sau!’. Was sollte ich tun? Ich war verängstigt,<br />

ich fürchtete mich vor weiterer Strafe, nach<strong>de</strong>m ich schon zwei Befehle<br />

nicht ausgeführt hatte. (...) Ich soff. Es war wohl das Schl<strong>im</strong>mste meines Lebens.<br />

(...) Praktiken wie Kaviar, erzwungene homosexuelle Kontakte (anal <strong>und</strong> oral)<br />

sind fürchterlich, aber es macht <strong>de</strong>vot, <strong>de</strong>mütigt unter die Macht <strong>de</strong>r Herrin. Erregend<br />

daran ist, dass ich ihnen unterworfen bin, nicht weiß, was sie heute für mich<br />

ausgedacht hat, welcher Laune ich unterworfen bin. Erregend ist, darum zu bitten,<br />

sie möge doch diese o<strong>de</strong>r jene Praktik nicht an mir ausüben, was dann brüsk abgelehnt<br />

wird, <strong>und</strong> ich muss es dul<strong>de</strong>n. Ja, ich wür<strong>de</strong> sagen, das geilt auf. (...) Es fällt<br />

mir keine einzige Situation ein, die ich positiv empfin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Alles ist negativ:<br />

<strong>von</strong> Schmerz, Ekel, Demut <strong>und</strong> Angst geprägt. Zumin<strong>de</strong>st körperlich spielen sich<br />

nur negative Gefühle <strong>und</strong> Erlebnisse ab (64 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Fäkale Praktiken kommen vergleichsweise häufig bei homosexuellen Sadomasochisten vor. 91<br />

In seinem Interview mit Hubert Fichte unterstreicht Hans Eppendorfer (1977, S. 107) die Be-<br />

<strong>de</strong>utung <strong>von</strong> Fäkalpraktiken in <strong>de</strong>r schwulen Le<strong>de</strong>rszene: „Natürlich spielt Kot eine Rolle.<br />

Natürlich sind Leute dabei, die Kot fressen, die sich mit <strong>de</strong>m Kot beschmieren lassen, die<br />

einen kotigen Hintern auslecken, wie Leute dreckige Stiefel ablecken. (...) Auch Kotorgien<br />

hat es gegeben, es hat <strong>im</strong> Park also mehrmals sehr heftig nach Scheiße gestunken. Daß man<br />

sich dann mit dieser kotigen Faust, diesem kotigen Arm, dieser kotigen Hand wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Körper, die Brustwarzen beschmieren ließ. Daß sie sich <strong>de</strong>n Le<strong>de</strong>roverall aufmachten <strong>und</strong><br />

sich <strong>de</strong>n Körper einseifen ließen.“ Wichtiger noch als diese Kot- sind die Urin-Rituale. Sie<br />

sind unter <strong>de</strong>n SM-Schwulen ein weit verbreitetes Phänomen.<br />

Kot wie auch Urin lösen nicht in allen Fällen Ekelreaktionen aus:<br />

Bernd: Für mich ist einfach die Faszination an Dirty-Sex, sich gehen zu lassen.<br />

Eben die gesellschaftlichen Konventionen völlig außer acht zu lassen. Es ist vielleicht<br />

so dieses <strong>de</strong>rbere, männlichere, was damit als Wunsch ein Stückchen näher<br />

kommt. (...) Wenn man mit <strong>de</strong>m Motorrad rausfährt, kann man sich draußen auch<br />

anpissen <strong>und</strong> dann halt weiterfahren. Es ist die Faszination die Sau rauszulassen.<br />

Sich so geben zu dürfen, wie man es <strong>im</strong> Alltag nicht darf, wie man es zu Hause in<br />

<strong>de</strong>r Wohnung nicht kann, wie man es in <strong>de</strong>r Kindheit nicht gedurft hat. Ich fin<strong>de</strong><br />

es auch geil, sich anzuscheißen. Daran ist faszinierend, total Schwein sein zu können.<br />

Das ist, glaube ich, so die extremste Form, die möglich ist. Weil gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

ganze Bereich Scheiße ist sehr mit Tabus belegt. Und so ein Tabu zu durchbrechen<br />

ist faszinierend. Es ist die extremste Form <strong>von</strong> Sex. Da ist man einfach nur<br />

Tier (37 Jahre, M, schwul).<br />

91 "Il s'agit donc d'une variante <strong>de</strong> comportements sexuels où les déjetions jouent un rôle <strong>im</strong>portant, un peu<br />

mieux connu dans la sous-culture gay mai également pratiquée dans le mon<strong>de</strong> hétérosexuel" (Holland 1989,<br />

S. 139).<br />

148


SM-Lesben haben sich zu diesen Formen sexuellen Verhaltens nicht geäußert. Das Fehlen<br />

solcher Praktiken in <strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>rungen ihres SM-Verhaltens ist aber vermutlich mehr das<br />

Resultat <strong>de</strong>r bei ihnen zu beobachten<strong>de</strong>n Unsicherheit <strong>im</strong> Umgang mit ihren Neigungen als<br />

ein Beleg für die Nichtexistenz fäkaler Handlungen in ihren Arrangements. 92<br />

Das Beschmieren mit <strong>und</strong> das Essen bzw. Trinken <strong>von</strong> Fäkalien stellt ein Demutsritual dar.<br />

Die zivilisatorisch entstan<strong>de</strong>ne „Ächtung <strong>de</strong>r menschlichen Exkremente“ (Gleichmann 1982,<br />

S. 277) wird auf die eigene Rolle übertragen. Die ‚Selbstentweihung’ durch Fäkalien ist eine<br />

<strong>Grenzerfahrung</strong>, die sich jenseits <strong>de</strong>r gelten<strong>de</strong>n sozialen <strong>und</strong> kulturellen Regeln abspielt. Ob<br />

neben diesen soziogenetischen Ausformungen auch biogenetische Faktoren eine Rolle spie-<br />

len, kann gegenwärtig nicht beurteilt wer<strong>de</strong>n. Über die physiologische Basis <strong>de</strong>s Ekels ist so<br />

gut wie nichts bekannt, was aber auch für an<strong>de</strong>re Gefühlsqualitäten (Trauer, Furcht, Freu<strong>de</strong><br />

etc.) gilt: „Alle Versuche, die verschie<strong>de</strong>nen Gefühlsqualitäten anhand <strong>de</strong>r Aktivität best<strong>im</strong>m-<br />

ter Hirnareale o<strong>de</strong>r anhand <strong>von</strong> Reaktionen <strong>de</strong>s autonomen o<strong>de</strong>r hormonellen Systems zu un-<br />

terschei<strong>de</strong>n, sind aber bisher gescheitert“ (Asendorf 1990, S. 108). Für <strong>de</strong>n ganzen Bereich<br />

<strong>de</strong>r Ekelforschung hat auch nach mehreren Jahrzehnten die Feststellung <strong>von</strong> Kolanai (1929, S.<br />

122) noch ihre Gültigkeit: „Das Problem <strong>de</strong>s Ekels ist, soweit unsere Kenntnis reicht, bisher<br />

arg vernachlässigt wor<strong>de</strong>n. Verglichen mit <strong>de</strong>m wissenschaftlich-psychologischen <strong>und</strong> meta-<br />

physischen Interesse, das sich <strong>de</strong>m Haß <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Angst, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r ‚Unlust’ gar zu schweigen,<br />

zugewandt hat, stellt <strong>de</strong>r Ekel, obwohl ein gewöhnlicher <strong>und</strong> recht prägnanter Bestandteil <strong>de</strong>s<br />

Gefühlslebens, ein unbearbeitetes, unerforschtes Gebiet dar.“<br />

Auf eine wichtige Differenzierung muss noch hingewiesen wer<strong>de</strong>n. Manche Personen sind<br />

<strong>von</strong> diesen Fäkalpraktiken fasziniert <strong>und</strong> fin<strong>de</strong>n es erregend, sich beschmutzen zu lassen o<strong>de</strong>r<br />

jeman<strong>de</strong>n zu beschmutzen resp. Exkremente zu essen o<strong>de</strong>r zu trinken. In diesen Fällen sind<br />

Koprophilie (Koprophagie) <strong>und</strong> Urolagnie nicht zwangsläufig mit Ekelreaktionen verb<strong>und</strong>en,<br />

wie Boss (1947/1984, S. 81) beschreibt: „Da<strong>von</strong> kann in<strong>de</strong>ssen bei unserem Rico Daterra<br />

schon <strong>de</strong>shalb nicht die Re<strong>de</strong> sein, weil <strong>de</strong>rartige Ekelschranken gegenüber <strong>de</strong>m Kot über-<br />

haupt <strong>und</strong> zum vornherein bei ihm gar nie bestan<strong>de</strong>n haben; er daher auch gar nicht gegen sie<br />

angehen konnte (...). Im Gegensatz zum Fetischisten Konrad Schwing haben nun, wenn wir<br />

die ganzen perversen Beziehungsmöglichkeiten unseres koprophilen Rico Daterra zusammen-<br />

fassen wollen, die Schranken seines nur noch ‚wurmhaften’ Sich-Verhaltenkönnens das Er-<br />

92 Auf die Möglichkeit, (Natur)Sekt <strong>und</strong> Kaviar in eine lesbische SM-Beziehung zu integrieren, weist Califia<br />

(1981b, S. 276f) hin: "Da Pisse <strong>und</strong> Scheiße mit Dreck gleichgesetzt wer<strong>de</strong>n, können sie auch symbolisch zur<br />

Erniedrigung eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Die Int<strong>im</strong>ität, die in <strong>de</strong>r Kontrolle über jemands Ausscheidung liegt, kann<br />

bewirken, dass sich <strong>de</strong>ine Partnerin hilflos, akzeptiert <strong>und</strong> geborgen fühlt. (...) Eine gute Investition für Sekt<strong>und</strong>-Kaviar-Fans<br />

ist eine Gummiunterlage um <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>in Bett zu schonen."<br />

149


scheinenlassen auch <strong>von</strong> bloß noch vergegenwärtigten Liebespartnerinnen innerhalb seiner<br />

ätherischen Phantasiewelt verunmöglicht. Die selben Schranken verschlossen ihm <strong>de</strong>n eroti-<br />

schen Zugang zur weiblichen Leiblichkeit bis auf <strong>de</strong>n einen Leihbezirk <strong>de</strong>s Mastdarmes <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>s Kotes. Nur diese Leibregionen waren für ihn noch offen geblieben als die Eintrittspforten<br />

zum ‚zeitvergessenen Glück’ <strong>und</strong> zu einem ‚Zuhause’ <strong>de</strong>s lieben<strong>de</strong>n Miteinan<strong>de</strong>rseins.“ Bei<br />

solchen Fällen han<strong>de</strong>lt es sich um eine ausschließliche Neigung, die nur sehr bedingt mit sa-<br />

domasochistischen Orientierungen in Verbindung gebracht wer<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> möglicherweise<br />

mit fetischistischen Verhaltensformen zusammenhängt.<br />

1.6.3 Sadomasochismus als Außeralltäglichkeit <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong><br />

Im Sadomasochismus wer<strong>de</strong>n sexuelle Erlebensformen durch Elemente aus an<strong>de</strong>ren Emotio-<br />

nen (z.B. Angst, Ekel, Aggression, Furcht) angereichert. Dabei wer<strong>de</strong>n Intensitätsstufen ange-<br />

strebt, die be<strong>im</strong> normalen Sex nicht erreicht wer<strong>de</strong>n können. Gleichwohl ist auch <strong>de</strong>r normale<br />

Sex ein Spiel mit diesen Grenzen: „Die mit Schmerzen bef<strong>und</strong>ene Reizung <strong>de</strong>s Sexualpartners<br />

durch Beißen, Kratzen o<strong>de</strong>r Kneifen bei <strong>de</strong>r Aufnahme <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r Durchführung sexueller Be-<br />

ziehungen ist unter <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten ethnischen Gruppen außeror<strong>de</strong>ntlich verbreitet. Auch<br />

bei fast allen Tierarten, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Säugerwildformen, wur<strong>de</strong>n bisher ähnliche Erschei-<br />

nungen beobachtet. Diese auffällige Parallelität zwischen ähnlichen Verhaltensweisen <strong>de</strong>s<br />

Menschen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r unter ihm stehen<strong>de</strong>n Säuger <strong>und</strong> die Häufigkeit <strong>de</strong>s Auftretens auch in <strong>de</strong>m<br />

außerhalb <strong>de</strong>s sadomasochistischen Formkreises sich abspielen<strong>de</strong>n Sexualverhalten <strong>von</strong><br />

menschlichen Individuen aller Gruppen, legt <strong>de</strong>n begrün<strong>de</strong>ten Schluß nahe, daß <strong>im</strong> Zufügen<br />

<strong>und</strong> Erdul<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Schmerzen geringerer Intensitätsgra<strong>de</strong> für viele Lebewesen ein zusätzlicher<br />

sexueller Reiz liegen muß. Auch in <strong>de</strong>r menschlichen Geschlechtsliebe außerhalb jeglicher<br />

perverser Fixierungen bewegt sich vieles, was zum Liebesspiel <strong>und</strong> koitalen Vollzug gehört,<br />

auf jenem schmalen Grat zwischen Lust <strong>und</strong> Qual. (...) Die Perversionsform <strong>de</strong>s Sadomaso-<br />

chismus besteht wenigstens zum Teil lediglich in einer quantitativen Verzerrung <strong>von</strong> wahr-<br />

scheinlich in <strong>de</strong>n meisten Menschen angelegten Möglichkeiten, auf leichten Schmerz sexuell<br />

zu reagieren. Ein Großteil <strong>de</strong>r häufigsten sadomasochistischen Reaktionsweisen stellt also<br />

lediglich eine Verstärkung <strong>und</strong> Vergröberung (dieser) Ten<strong>de</strong>nzen dar (...)“ (Keupp 1971, S.<br />

189). Was Keupp hier speziell für <strong>de</strong>n Schmerz vermutet, ist bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Elementen <strong>de</strong>s<br />

sadomasochistischen Verhaltens ähnlich gegeben:<br />

Gilda: SM ist ein viel intensiveres Beschäftigen mit <strong>de</strong>m Körper. Ich habe bei<br />

normaler Sexualität das Problem, zu sanft gestreichelt zu wer<strong>de</strong>n, es ist mir unangenehm.<br />

Ich habe ein sehr schönes Gefühl, wenn ich eben feste angepackt wer<strong>de</strong>,<br />

wenn ich Kraft spüre. Dann ist es dieses Wan<strong>de</strong>rn, diese Gratwan<strong>de</strong>rung auf <strong>de</strong>r<br />

Schwelle zwischen Lust <strong>und</strong> Schmerz. (...) Es ist bei mir <strong>de</strong>r Wunsch, einmal<br />

150


ohnmächtig zu wer<strong>de</strong>n. Ich bin es noch nie gewesen. Ich treibe eigentlich meine<br />

Partner daraufhin. Ich möchte es einmal erleben, einfach ganz willenlos <strong>und</strong> hilflos<br />

zu sein. Ich glaube, es ist eine Art To<strong>de</strong>ssehnsucht, diesen kleinen Tod einmal<br />

zu erleben (35 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Horst: Alles was mit Gewalt, Schmerzen zufügen <strong>und</strong> Verletzungen zufügen zu<br />

tun hat, hat auch mit sich-außer-sich-fühlen o<strong>de</strong>r mit grenzüberschreiten<strong>de</strong>m Verhalten<br />

zu tun. (...) Also das Maß an Anvertrauen, das fin<strong>de</strong> ich extrem groß in so<br />

einer SM-Beziehung. O<strong>de</strong>r auch <strong>von</strong> Geborgenheit <strong>und</strong> Sich-fallen-lassen-können<br />

<strong>und</strong> sich voll <strong>und</strong> ganz hinzugeben o<strong>de</strong>r aufzugeben, ich <strong>de</strong>nke, das ist größer als<br />

sonst in einer sexuellen Beziehung. (...) Es hat für mich schon die Funktion zu sehen,<br />

dass ich so sein kann, wie ich sonst nirgendwo sein kann. Und auch zu sehen,<br />

dass sie alles akzeptiert, was ich mache. Also, dass sie alles praktisch grenzenlos<br />

o<strong>de</strong>r unbegrenzt hinnehmen kann. Das fin<strong>de</strong>t man normal eigentlich nicht. Das<br />

fin<strong>de</strong> ich ist schon etwas beson<strong>de</strong>res <strong>und</strong> keineswegs selbstverständlich, son<strong>de</strong>rn<br />

außergewöhnlich (38 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Ferdinand: Bei<strong>de</strong> Partner durchbrechen Barrieren, die Konvention <strong>und</strong> Angst errichtet<br />

haben. Sie durchbrechen Grenzen <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n damit zu Grenzgängern, die<br />

auch Risiken eingehen. Meine Gefühle zu beschreiben, gelingt mir nur ansatzweise<br />

<strong>und</strong> über ‚Bil<strong>de</strong>r’: Abstreifen <strong>von</strong> Sicherheit, Panzerung <strong>und</strong> Schwere - dafür<br />

Durchblutung, Atem, Unruhe. Es erhebt sich ein Wi<strong>de</strong>rstreit zwischen Gedanken<br />

<strong>und</strong> Gefühlen. So kann ich absolut darüber entschei<strong>de</strong>n, was ‚wir’ als nächstes<br />

tun. Gefühle oszillieren zwischen uns, meine Freiheit <strong>und</strong> Verantwortung berühren<br />

Angst <strong>und</strong> Auflösung meines Partners. Der normale Koitus bietet in seiner<br />

einförmigen Wie<strong>de</strong>rholung zwar Selbstvergewisserung, He<strong>im</strong>at, Stabilität, kann<br />

sich aber auch in Routine ermü<strong>de</strong>n. Es steht fast alles fest, die einfach <strong>de</strong>finierten<br />

Rollen sind verteilt <strong>und</strong> Überraschung bleibt aus (43 Jahre, S/M, bisexuell).<br />

Theodor: Das Haupterlebnis ist eine schwer beschreibbare Steigerung <strong>de</strong>s Lebensgefühls,<br />

die Befriedigung <strong>de</strong>s Existenzhungers. Die gleiche Antwort wür<strong>de</strong> ich auf<br />

die Frage geben: Warum fahren Sie überschnell Auto, warum gehen Sie klettern?<br />

Über <strong>de</strong>n Körper breitet sich erst Spannung <strong>und</strong> dann tiefe Wärme aus. Es sind<br />

Orgasmen an<strong>de</strong>rer Art möglich, das ist schwer zu beschreiben, es ist, wie wenn<br />

man in weiches, warmes Gold getaucht wür<strong>de</strong> (58 Jahre, S/M, heterosexuell).<br />

Miriam: SM ist für mich (...) eine orgiastische Feier, in <strong>de</strong>r Schmerz zugefügt o<strong>de</strong>r<br />

empfangen wird, in <strong>de</strong>r hygienische Überlegungen vorübergehend aussetzen,<br />

in <strong>de</strong>r ‚gekleckert’ wird. Hier wird verschwen<strong>de</strong>t, nicht nur Materielles, son<strong>de</strong>rn<br />

auch Energie als sexuelle, <strong>und</strong> - Gefühl. An<strong>de</strong>rs als beispielsweise <strong>de</strong> Sa<strong>de</strong> ergötze<br />

ich mich nicht an tatsächlichem Unwohlsein meiner Partnerin (...), son<strong>de</strong>rn an<br />

<strong>de</strong>r Ekstase, die mein oft schmerzvolles Vorgehen auslöst. (...) Mithilfe <strong>von</strong> SM-<br />

Praktiken habe ich, sofern sie gewollt waren, je<strong>de</strong>nfalls eine Intensität <strong>de</strong>s Erlebens<br />

erreicht, die mir in ‚normalen’ Beziehungen selten möglich waren (27 Jahre,<br />

S, lesbisch).<br />

Sebastian: Ich liebe <strong>de</strong>n Vorgang, allmählich in Fesseln gelegt zu wer<strong>de</strong>n, meine<br />

Freiheit aufzugeben <strong>und</strong> zugleich eine neue zu gewinnen: die Ekstase, das Außer-<br />

151


mir-sein (...), ein wenig die Kontrolle über mich zu verlieren, sie abzugeben an<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, verantwortungslos <strong>im</strong> wörtlichen Sinne. Ich erlebe mich als Körper,<br />

Gefühl <strong>und</strong> Kopf, <strong>und</strong> dabei nicht allein zu sein. Auch die Erschütterungen <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>ren mitzuspüren, sich durch Berührungen mitzuteilen. Die körperlichen Reize<br />

bringen meinen Körper zum Zucken, zum Schwitzen, aufbäumen. Ich erlebe mich<br />

sehr elementar (47 Jahre, M, schwul)<br />

Diese Interviewpassagen ver<strong>de</strong>utlichen, dass außeralltägliche Erfahrungen <strong>und</strong> das Tangieren<br />

bzw. Überschreiten individueller physischer wie auch psychischer Grenzen eine zentrale Rol-<br />

le spielen (vgl. Kap IV.). Ohnmacht, To<strong>de</strong>ssehnsucht, Sich-Fallen-Lassen, Überwindung <strong>von</strong><br />

Konventionen <strong>und</strong> zivilisatorischen Standards, Abstreifen <strong>von</strong> Routinen <strong>und</strong> Sicherheit sind<br />

Emotionen <strong>und</strong> Erfahrungen, die <strong>im</strong> Verhältnis <strong>von</strong> Dominanz <strong>und</strong> Submission, <strong>im</strong> Ausleben<br />

<strong>von</strong> Macht <strong>und</strong> <strong>im</strong> Erleben <strong>de</strong>r Demütigung, <strong>im</strong> Ekelerlebnis o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Schmerz ermöglicht<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

1.7 Das Problem <strong>de</strong>r Gewalt<br />

Das sadomasochistische Verhalten macht Erfahrungen möglich, die auch in an<strong>de</strong>ren Extrem-<br />

bereichen gemacht wer<strong>de</strong>n können. Seine ‚Einzigartigkeit’ gewinnt <strong>de</strong>r Sadomasochismus<br />

durch die Synthetisierung <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> Gewalt, wobei die Grenzen <strong>de</strong>s normalen Emp-<br />

findungsspektrums häufig überschritten wer<strong>de</strong>n. Verletzungen o<strong>de</strong>r dauerhafte Schä<strong>de</strong>n, in<br />

Einzelfällen mit To<strong>de</strong>sfolge, 93 können die Konsequenzen einer entgleisten Aktion sein. Die<br />

93 Nach Becker/Schorsch (1977, S. 51 ) realisiert sich Sadomasochismus "vor allem in sadomasochistischen<br />

Gruppenarrangements in <strong>de</strong>r Subkultur Gleichgesinnter, in Salons, Privatzirkeln, Bor<strong>de</strong>llen; Nichtinteressierte<br />

erfahren da<strong>von</strong> meistens nichts; sehr selten schließlich sind kr<strong>im</strong>inelle Realisierungen in Form <strong>von</strong> sadistischen<br />

Gewaltakten." SM-Delikte mit Tötungsfolge kommen - soweit unsere Metho<strong>de</strong> eine solche Feststellung<br />

zuläßt - äußerst selten vor. Tauchen sie aber <strong>de</strong>nnoch auf, so sind die Ermittlungsbehör<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Gutachter<br />

bei <strong>de</strong>r Beurteilung häufig ratlos: "Die Automatik, mit <strong>de</strong>r sexuelle Tötungen juristisch in <strong>de</strong>r Regel als<br />

'Mord' qualifiziert wer<strong>de</strong>n, beruht vor allem auf <strong>de</strong>m rationalen Konstrukt eines 'Motivs zur Befriedigung <strong>de</strong>s<br />

Geschlechtstriebs'. Dieses ist angesichts eines jeweils komplexen psychischen (psychopathologischen) Geschehens<br />

ein Fremdkörper <strong>und</strong> wird als eine Schablone gehandhabt, die <strong>von</strong> außen an ein Geschehen angelegt<br />

wird <strong>und</strong> zur Ausblendung <strong>de</strong>r psychischen Hintergrün<strong>de</strong> verführt. Die folgenschwere Bewertung eines<br />

Tötungs<strong>de</strong>likts als Mord o<strong>de</strong>r Totschlag basiert auf Kriterien, die in <strong>de</strong>r psychischen Realität keine Entsprechungen<br />

haben" (Schorsch 1987a, S. 126). Eine an<strong>de</strong>re Reaktion ist die Psychiatrisierung solcher Fälle, d.h.<br />

statt Gefängnisstrafen droht die Kasernierung in <strong>de</strong>r Psychiatrie. So etwa auch in einem uns bekannt gewor<strong>de</strong>nen<br />

Fall: Ja, das ganze war so: An meinem Arbeitsplatz habe ich eine Frau kennen gelernt, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r ich<br />

sehr schnell wusste, dass sie auf Sadomasochismus steht. (...) Irgendwann war ich mit ihr <strong>und</strong> ihrer Fre<strong>und</strong>in<br />

unterwegs in Kneipen <strong>und</strong> wir haben ziemlich viel getrunken. Die bei<strong>de</strong>n haben mich zu sich nach Hause<br />

mitgenommen, <strong>und</strong> es wur<strong>de</strong> ein richtiges Saufgelage. Die bei<strong>de</strong>n hatten sehr schnell raus, dass ich so eine<br />

masochistische Neigung habe <strong>und</strong> darauf stehe, anal genommen zu wer<strong>de</strong>n. Sie haben sich dann richtiggehend<br />

an mir vergangen, was ich ja auch wollte. (...) Es war viel Alkohol <strong>im</strong> Spiel bei dieser Sache <strong>und</strong> irgendwann<br />

entglitt die Situation dahingehend, dass die anfingen, mir Filme <strong>von</strong> schwarzen Messen <strong>und</strong> so ein<br />

Horrorzeugs mit Zerstückelungen vorzuführen <strong>und</strong> mir damit drohten, dass sie mir <strong>de</strong>n Schwanz abschnei<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>n <strong>und</strong> fielen wie die Hyänen über mich her. Ich hatte Angst, dass sie es tun wür<strong>de</strong>n. Da<strong>von</strong> bin ich also<br />

heute noch überzeugt, dass sie es getan hätten. Ich habe dann wie wild um mich geschlagen <strong>und</strong> bin ab-<br />

152


Gewaltaffinität, die sadomasochistischen Praktiken inhärent ist, markiert also Problemberei-<br />

che, die sich in juristischen, therapeutischen, medizinischen <strong>und</strong> moralischen Diskursen nie-<br />

<strong>de</strong>rschlagen. Die therapeutischen, medizinischen <strong>und</strong> moralischen Diskurse habe ich bereits in<br />

Kap. III.1.1 dargestellt. Deshalb möchte ich mich hier auf die Skizzierung <strong>de</strong>s rechtlichen<br />

Rahmen beschränken. Vorher möchte ich jedoch darstellen, wie die Betroffenen selbst mit<br />

diesem Problem umgehen.<br />

Der Umgang mit <strong>de</strong>r Gewalt<br />

Die Verletzungsgefahr einerseits, moralische Be<strong>de</strong>nken <strong>und</strong> strafrechtliche Verfolgung an<strong>de</strong>-<br />

rerseits bedrohen die Akteure <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Fortbestand ihrer Beziehungen. Es ist <strong>de</strong>shalb zu ver-<br />

muten, dass sie für diese beson<strong>de</strong>re Arena eigene Strategien <strong>de</strong>s Risikomanagements entwi-<br />

ckelt haben. Die Vermeidung <strong>de</strong>r Gefahr <strong>von</strong> Verletzungen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren negativen Folgen ist<br />

ein charakteristisches Merkmal <strong>von</strong> sadomasochistischen Arrangements. Um die jeweiligen<br />

Sessions möglichst unbescha<strong>de</strong>t zu überstehen, ist es für die Akteure wichtig, das Risiko zu<br />

min<strong>im</strong>ieren.<br />

Die Teilnahme an einer SM-Handlung ist, darauf habe ich bereits mehrfach in an<strong>de</strong>ren Zu-<br />

sammenhängen hingewiesen, freiwillig. Niemand wird zur Teilnahme an einem solchen Ar-<br />

rangement gezwungen, aber auch niemand kann garantieren, dass es nicht zu Gefährdungen<br />

kommen kann. Risiken müssen - genau wie bspw. be<strong>im</strong> Boxen o<strong>de</strong>r Bungee-Jumping - ein-<br />

kalkuliert wer<strong>de</strong>n. Sie sind sogar notwendig, <strong>de</strong>nn aus ihnen resultiert ein maßgeblicher Teil<br />

<strong>de</strong>r Faszinationskraft <strong>von</strong> extremen Verhaltensbereichen. 94 Aber wie bei gefährlichen Sportar-<br />

ten auch, hat sich in <strong>de</strong>r SM-Szene ein umfangreicher Regelco<strong>de</strong>x herausgebil<strong>de</strong>t. Im Unter-<br />

schied zu <strong>de</strong>n Best<strong>im</strong>mungen <strong>de</strong>r meisten sportlichen Disziplinen <strong>und</strong> ihren institutionalisier-<br />

ten Kontrollorganen (z.B. auch bei <strong>de</strong>n Paintball-Spielern), sind die sadomasochistischen<br />

gehauen. Mehr weiß ich nicht mehr. Sie wur<strong>de</strong>n dann ein paar Tage später tot in ihrer Wohnung aufgef<strong>und</strong>en.<br />

Die wirkliche To<strong>de</strong>sursache konnte nie geklärt wer<strong>de</strong>n. Ich habe das zu Protokoll gegeben, dass die mir<br />

<strong>de</strong>n Schwanz abschnei<strong>de</strong>n wollten <strong>und</strong> auch das mit <strong>de</strong>r schwarzen Messe <strong>und</strong> diesen fürchterlichen Filmen,<br />

aber ich glaube, man hat mir das nicht abgenommen. Sie haben gar nicht richtig zugehört. Sie <strong>de</strong>nken, ich<br />

habe das konstruiert, um mich zu entlasten. Der Täter befin<strong>de</strong>t sich zur Zeit in einer psychiatrischen Klinik<br />

<strong>und</strong> hat eigenen Aussagen zufolge keine Möglichkeit, die tatsächlichen Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tathergangs aufzuschlüsseln.<br />

Auch wenn wir diesen Einzelfall nicht beurteilen können, verweist die Handhabung dieser Delikte<br />

doch auf die gr<strong>und</strong>sätzlichen Probleme bei ihrer Beurteilung.<br />

94 Schmidt (1988, S. 115) betont <strong>de</strong>n Aspekt <strong>de</strong>s Risikos auch für die Sexualität: "Risiko <strong>und</strong> Gefahr, Kampf,<br />

Konfliktlösung - dies ist die Dramaturgie beson<strong>de</strong>rs intensiven Begehrens <strong>und</strong> Erlebens; ohne Risiko, ohne<br />

Angst, ohne Feindseligkeit, ohne Rache, ohne Triumph - zumin<strong>de</strong>st in Spuren - resultiert sexuelle Gleichgültigkeit<br />

<strong>und</strong> Langeweile <strong>im</strong> Sexuellen. Dieses Bild <strong>von</strong> Erotik ist schockierend <strong>und</strong> zeigt zugleich, daß die<br />

Vorstellung einer nur zärtlichen, friedfertig-lustvollen Sexualität irreal, ja, beinahe antisexuell ist."<br />

153


Normen in keiner Satzung schriftlich fixiert. 95 Auch gibt es keine formellen Kontroll- <strong>und</strong><br />

Sanktionsinstitutionen.<br />

Die einzelnen Regeln können an dieser Stelle aufgr<strong>und</strong> ihrer Vielfalt nicht aufgezählt wer<strong>de</strong>n.<br />

Einige sollen aber <strong>de</strong>r Anschaulichkeit wegen erwähnt sein. So ist z.B. das Schlagen auf be-<br />

st<strong>im</strong>mte, beson<strong>de</strong>rs verletzungsträchtige Körperteile (z.B. Nieren, Ho<strong>de</strong>n) genauso untersagt<br />

wie das unsachgemäße Anbringen <strong>von</strong> Na<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n zu eng geb<strong>und</strong>enen Stricken bei Bon-<br />

dage-Praktiken, so dass die Durchblutung unterbrochen wird. In fast allen Arrangements wird<br />

zu<strong>de</strong>m ein sogenannter ‚Stop-Co<strong>de</strong>’ vereinbart. Er ist gleichsam das Sicherungsnetz <strong>de</strong>r ‚Ak-<br />

robaten’. Hierbei kann es sich um ein best<strong>im</strong>mtes Wort han<strong>de</strong>ln, wobei meistens ein Begriff<br />

aus nichtsadomasochistischen <strong>Kontext</strong>en gewählt wird, um eine versehentliche Verwendung<br />

auszuschließen. Vor allem in Situationen, in <strong>de</strong>nen sich die passive Person nicht artikulieren<br />

kann, etwa wegen einer Maske, wird ein best<strong>im</strong>mtes Zeichen z.B. mit <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n als Stop-<br />

co<strong>de</strong> benutzt. Generell dient diese Sicherheitsvorkehrung zum Schutz <strong>de</strong>s passiven Akteurs.<br />

Während die ‘Flehrufe, Bitten <strong>und</strong> Klagen’ <strong>de</strong>s Masochisten, z.B. während einer Flagellation,<br />

<strong>de</strong>n dominieren<strong>de</strong>n Partner dazu an<strong>im</strong>ieren sollen, mehr zu wagen, be<strong>de</strong>utet die Verwendung<br />

<strong>de</strong>s Stop-Co<strong>de</strong>s das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Handlung. Die Respektierung <strong>de</strong>r Stopzeichen ist neben <strong>de</strong>r<br />

Freiwilligkeitsdoktrin eine <strong>de</strong>r wichtigsten Szene-Regeln. Nur wenige Sadomasochisten ver-<br />

zichten auf <strong>de</strong>n Stopco<strong>de</strong>. Für sie wäre seine Verwendung eine Beschneidung <strong>de</strong>r Erlebnis-<br />

möglichkeiten <strong>von</strong> SM, <strong>de</strong>nn eine gewisse Risikolust ‘bringt noch mehr Kicks’. Allerdings<br />

wer<strong>de</strong>n solche Arrangements ohne Netz in <strong>de</strong>r Regel nur unter Personen getroffen, die sich<br />

sehr vertraut sind.<br />

Fritz: Für alle Fälle muss mit <strong>de</strong>m Meister bzw. <strong>de</strong>r Meisterin ein Co<strong>de</strong>x vereinbart<br />

sein, <strong>de</strong>r ein Beendigen einer Sitzung ermöglicht. Das kann ein best<strong>im</strong>mtes<br />

Wort sein, das auch eingehalten wer<strong>de</strong>n sollte, jedoch nur wenn offensichtlich eine<br />

Notlage entstan<strong>de</strong>n ist, die gefährlich ist (34 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Hubertus: Regeln, die vorher aufgestellt wur<strong>de</strong>n, sollten für alle Beteiligten absolut<br />

verbindlich sein. Natürlich ist das Theorie. Wenn ein Part das Gefühl hat, sein<br />

Gegenüber gibt zu erkennen, dass die vorher aufgestellten Regeln hinfällig sein<br />

sollen - why not? Je<strong>de</strong>nfalls halte ich es für angebracht <strong>und</strong> vernünftig, vorher<br />

halbwegs zu klären, innerhalb welches Rahmens sich Aktionen bewegen können<br />

<strong>und</strong> was <strong>de</strong>finitiv nicht geht, ohne dass vorher noch einmal <strong>de</strong>finitiv nachgefragt<br />

wird (33 Jahre, S, heterosexuell).<br />

95 In <strong>de</strong>n letzten Jahren fin<strong>de</strong>n sich vereinzelt Versuche, Sicherheitsregeln zu verschriftlichen <strong>und</strong> allen Interessierten<br />

zugänglich zu machen. So ist z.B. das ‚Safety Manual’ <strong>von</strong> P. Califia (1984) mit dieser Intention für<br />

lesbische Sadomasochistinnen geschrieben wor<strong>de</strong>n.<br />

154


Diana: Wenn ich nicht das Gefühl habe, mit ihm machen zu können, was ich will<br />

<strong>und</strong> er das mir überlässt, ist das für mich keine akzeptable SM-Beziehung. Wenn<br />

mir gegenüber aber jemand zum Ausdruck bringt, dass er es nicht mehr akzeptiert,<br />

kann ich <strong>de</strong>swegen aber nicht ausrasten, son<strong>de</strong>rn muss aufhören. Die Regeln best<strong>im</strong>mt<br />

halt <strong>de</strong>r passive Part <strong>und</strong> sie sind verbindlich. Als aktiver Part habe ich dafür<br />

die Entscheidung, ob ich mit <strong>de</strong>m Typ überhaupt was anfangen will, wenn er<br />

mir zu viele Regeln auftischt (24 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Dietmar: Ich kenne das nur so, dass man vorher ein Co<strong>de</strong>wort vereinbart, damit<br />

man als Aktiver weiß, wann Schluss ist. Also wenn <strong>de</strong>r Sadist weitergehen wür<strong>de</strong>,<br />

als <strong>de</strong>r Masochist will, <strong>im</strong> tiefsten Seelengr<strong>und</strong>e wäre die SM-Nummer zu En<strong>de</strong>.<br />

In <strong>de</strong>m Moment, wo du weiter gehen wür<strong>de</strong>st, wür<strong>de</strong> die Geilheit aufhören. Dann<br />

wür<strong>de</strong> die Lust zu Schmerz (37 Jahre, S, schwul).<br />

Lina: Ich verabre<strong>de</strong> mit meinen Fre<strong>und</strong>innen <strong>im</strong>mer vorher, wann Schluss ist. Das<br />

ist ganz wichtig. Und das Stopwort musst du kennen <strong>und</strong> sofort drauf reagieren.<br />

O<strong>de</strong>r du kennst dich so gut <strong>und</strong> weißt: ‚Aha, wenn sie jetzt das Stopwort sagt,<br />

dann möchte sie gern noch eine Sek<strong>und</strong>e mehr’, aber dann musst du dich<br />

wahnsinnig gut kennen (33 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Wer solche Regeln nicht befolgt <strong>und</strong> das Stopzeichen o<strong>de</strong>r gar das Freiwilligkeitsgebot ver-<br />

letzt, kann - sofern es bekannt wird - in <strong>de</strong>r Szene geächtet wer<strong>de</strong>n: Wer einmal die Kontrolle<br />

verloren hat, <strong>de</strong>m wird es vielleicht nachgesehen, wer <strong>im</strong>mer die Kontrolle verliert, wird aus<br />

Treffen, Partys <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren Veranstaltungen ausgeschlossen. Deshalb ist eine <strong>de</strong>r wichtigsten<br />

Regeln für die aktive Person, dass sie <strong>im</strong>mer ein recht hohes Selbstkontrollniveau haben muss<br />

<strong>und</strong> sich auch in ekstatischen Zustän<strong>de</strong>n nie völlig gehen lassen kann (vgl. Kap. III.1.6.1). Die<br />

Einhaltung dieser Regeln kann aber nur ansatzweise kontrolliert wer<strong>de</strong>n: So gibt es auf <strong>de</strong>n<br />

zahlreichen Partys fast <strong>im</strong>mer eine Person, ‘die die Augen aufhält, sich ein bisschen umschaut<br />

<strong>und</strong> darauf achtet, dass nichts Ernstes passiert’. Wird eine Aktion zu drastisch, so schreiten<br />

die an<strong>de</strong>ren ein. Im Bereich <strong>de</strong>r Zweierbeziehungen bestehen diese Kontrollmöglichkeiten<br />

nicht. Hier muss das Vertrauen darüber entschei<strong>de</strong>n, wie weit sich <strong>de</strong>r einzelne auf die SM-<br />

Aktion einlässt. Fin<strong>de</strong>t die Begegnung mit einer frem<strong>de</strong>n Person statt, wer<strong>de</strong>n häufig bei<br />

Fre<strong>und</strong>en Adressen <strong>und</strong> Telefonnummer hinterlegt. Ist nach einem best<strong>im</strong>mten Zeitraum kei-<br />

ne Rückmeldung erfolgt, wird Alarm geschlagen: Die Bekannten rufen unter <strong>de</strong>r entsprechen-<br />

<strong>de</strong>n Nummer an o<strong>de</strong>r fahren auch zu <strong>de</strong>r Adresse hin, um zu kontrollieren, ob alles in Ord-<br />

nung ist. Wird die Situation als gefährlich eingeschätzt, alarmiert man die Polizei.<br />

Dieses Regel- <strong>und</strong> Kontrollsystem ist in SM-Gruppen unerlässlich. Eine völlig anomische<br />

Situation wäre gefährlich, weil nicht selten körperliche <strong>und</strong> psychische Grenzen berührt wer-<br />

<strong>de</strong>n. Deshalb beziehen sich viele Regeln <strong>im</strong> weitesten Sinne auf die Unversehrtheit <strong>de</strong>s Maso-<br />

155


chisten. Wie in an<strong>de</strong>ren - scheinbar regellosen - sozialen Subsystemen 96 wer<strong>de</strong>n also eigene<br />

Normen ausdifferenziert. Sie treten in das Vakuum, das durch die Ausblendung gesellschaft-<br />

licher Konventionen <strong>und</strong> Vorschriften entsteht. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> stellt sich die Frage,<br />

ob die involvierten Akteure Sadomasochismus überhaupt als Gewalt empfin<strong>de</strong>n:<br />

Manfred: Ich meine, früher ist Christoph Columbus losgezogen <strong>und</strong> die hatten<br />

Angst, dass die Er<strong>de</strong> platt ist <strong>und</strong> sie irgendwann runterfallen. Heute die Segler,<br />

die hören vorher <strong>de</strong>n Wetterbericht, haben ihre Seekarte dabei <strong>und</strong> sagen: ‚Die<br />

<strong>und</strong> die R<strong>und</strong>e machen wir. Und wenn eine Flaute kommt, dann haben wir noch<br />

unseren Außenbordmotor dabei.’ Ja, in <strong>de</strong>r Relation sehe ich das. (...) Ja, Christoph<br />

Columbus <strong>und</strong> seine Mannschaft, die haben halt noch was riskiert. Die hätten<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>r platten Scheibe stürzen können, in - die Hölle vielleicht. Und die Segler<br />

heute, die riskieren eigentlich nichts mehr.<br />

F: Und was be<strong>de</strong>utet das für SM?<br />

Manfred: Na ja, bei einer Folterung, da ist es eben auch brutal hart <strong>und</strong> du weißt<br />

nicht, ob du da noch lebend rauskommst. Und bei SM-Sachen schon. Da guckst<br />

du vorher, wie die St<strong>im</strong>mung so ist - das Analoge zum Wetterbericht - ob <strong>de</strong>nn<br />

heute überhaupt ein günstiger Tag ist. Und suchst dir die Route aus, eben anhand<br />

<strong>de</strong>iner Kondition, so was du dir so zutraust, st<strong>im</strong>mst dich eben mit einem Partner<br />

ab. Was er abkann o<strong>de</strong>r was so in seinen Grenzen liegt <strong>und</strong> natürlich auch, was in<br />

meinen sadistischen Grenzen liegt (32 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Rena: Ich <strong>de</strong>nke, wenn zwei Menschen irgendwie miteinan<strong>de</strong>r Sexualität praktizieren,<br />

die übers Softe hinausgeht <strong>und</strong> mit Schmerzen zu tun hat, ist das <strong>de</strong>ren Sache<br />

<strong>und</strong> so lange in Ordnung, wie bei<strong>de</strong> das wollen. Aber in <strong>de</strong>m Augenblick, wo<br />

einer anfängt, jemand an<strong>de</strong>rem was antun zu wollen, was <strong>de</strong>r nicht will, dann<br />

fängt für mich Gewalt an. Dann ist das nicht mehr zu akzeptieren (40 Jahre, M,<br />

heterosexuell).<br />

Diana: Was ist SM, wenn nicht Gewalt? Aber es ist eine an<strong>de</strong>re Gewalt. Wenn ich<br />

jeman<strong>de</strong>m etwas antue <strong>und</strong> dieser das akzeptiert, ist das dann Gewalt? Ich verstehe<br />

Gewalt an<strong>de</strong>rs. Das ist für mich je<strong>de</strong>nfalls <strong>von</strong> gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung, ob es<br />

freiwillig ist o<strong>de</strong>r nicht (24 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Nikolaus: Gewalt gibt es in meinen Verhältnissen nicht. Abgesehen da<strong>von</strong>, dass<br />

die Herrin mich mit Gewalt gar nicht bezwingen könnte, braucht sie nur mit <strong>de</strong>m<br />

Finger zu schnippen <strong>und</strong> ich tue alles, was verlangt wird. Sie braucht mich nicht<br />

96 So hat sich z.B. unter Computerfreaks - insbeson<strong>de</strong>re in Hackerkreisen - die Regel durchgesetzt, dass es zwar<br />

völlig legit<strong>im</strong> ist, in frem<strong>de</strong>n Rechnern zu wil<strong>de</strong>rn, das Verän<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Zerstören <strong>von</strong> Datenbestän<strong>de</strong>n ist aber<br />

geächtet (vgl. Eckert u.a. 1991). Auch in Rockergruppen (vgl. S<strong>im</strong>on 1989) o<strong>de</strong>r jugendlichen Cliquen<br />

<strong>und</strong> Gruppen (vgl. Liebel 1990) lassen sich ähnliche Entwicklungen nachzeichnen.<br />

156


mit Gewalt in <strong>de</strong>n Käfig zu sperren, ihr Befehl genügt, <strong>und</strong> ich krieche in <strong>de</strong>n<br />

engsten Käfig (64 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Natalie: Ich sehe SM als Spiel <strong>und</strong> nicht als so ernst, wie das manche vermuten.<br />

Also ich sehe das auch nicht als Ausdruck <strong>von</strong> Gewalt an <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Person, wie<br />

das z.B. häufig <strong>von</strong> Leuten so beurteilt wird <strong>und</strong> wo gleich gesagt wird: ‚Ich will<br />

ja keinem an<strong>de</strong>ren weh tun.’ Wenn Schmerz mit Lust verb<strong>und</strong>en ist, dann ist das<br />

ein Spiel <strong>und</strong> nicht Gewalt. Gewalt wäre für mich, jeman<strong>de</strong>m etwas anzutun, was<br />

er nicht will (34 Jahre, S, lesbisch).<br />

Wenngleich sadomasochistische Praktiken vor<strong>de</strong>rgründig das Zufügen resp. Erlei<strong>de</strong>n <strong>von</strong><br />

Gewalt be<strong>de</strong>uten, so bleiben sie letztlich doch Elemente eines fiktionales Spiels. In ihm ist <strong>de</strong>r<br />

Einzelne Extremreizen ausgesetzt, die er freiwillig erleben will <strong>und</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen er weiß, dass<br />

er sie je<strong>de</strong>rzeit been<strong>de</strong>n kann. So ähnlich wie mo<strong>de</strong>rne elektronische Medien <strong>im</strong> Cyberspace<br />

unmittelbare <strong>und</strong> ‚echte’ Erlebnisse bieten können, ist auch <strong>de</strong>r SM-Rahmen eine S<strong>im</strong>ulation,<br />

in <strong>de</strong>r - verb<strong>und</strong>en mit gewissen Risiken - außeralltägliche Erlebnisse <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong>en<br />

möglich sind. Durch ein umfassen<strong>de</strong>s Regelsystem <strong>und</strong> <strong>de</strong>m letztendlichen Bewusstsein <strong>de</strong>s<br />

‚So-tun-als-ob’ bietet das SM-Arrangement virtuelle Erlebnisse. Erst wenn Grenzen verletzt<br />

<strong>und</strong> Gebote missachtet wer<strong>de</strong>n, wird aus <strong>de</strong>m Spiel eine gefährliche <strong>und</strong> dann auch bedrohli-<br />

che Wirklichkeit.<br />

Die Überschreitung <strong>de</strong>r Grenzen<br />

Im I<strong>de</strong>alfall einer SM-Beziehung kommt es nicht zu negativen Erlebnissen. Durch best<strong>im</strong>mte<br />

Reglementierungen <strong>und</strong> die Antizipation einer funktionieren<strong>de</strong>n Affektkontrolle versucht je-<br />

<strong>de</strong>r für sich, Kontrollverluste, die zu psychischen o<strong>de</strong>r körperlichen Schä<strong>de</strong>n führen können,<br />

auszuschließen. Der Alltag <strong>de</strong>s Sadomasochismus weicht aber gelegentlich <strong>von</strong> diesem I<strong>de</strong>al<br />

ab. Durch enthemmtes Verhalten, auf <strong>de</strong>r passiven wie auf <strong>de</strong>r aktiven Seite, kann das Gefühl<br />

für die Grenzen verloren gehen. Geht eine solche Übertretung gut aus, können die beteiligten<br />

Personen eine neue positive <strong>Grenzerfahrung</strong> für sich verbuchen. Ist <strong>de</strong>r Einzelne aber durch<br />

das Arrangement überfor<strong>de</strong>rt, kann er Scha<strong>de</strong>n da<strong>von</strong> tragen.<br />

Neben körperlichen sind auch psychische Schädigungen festzustellen. Sie äußern sich z.B. in<br />

Angstgefühlen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Verlust <strong>de</strong>s Vertrauens gegenüber an<strong>de</strong>ren Personen. Während Sa-<br />

domasochismus <strong>von</strong> vielen Personen ohne Probleme in die Sexualität integriert ist <strong>und</strong> damit<br />

auch ein Stück Normalität darstellt, sind solche negativen Einbrüche häufig die Ursache für<br />

Probleme. So kommen manche <strong>de</strong>r Betroffenen nach einem solchen Ereignis nicht mehr mit<br />

ihrer sadomasochistischen Orientierung zurecht. Misstrauen <strong>und</strong> Angst bei <strong>de</strong>n masochisti-<br />

schen Personen, <strong>und</strong> die Furcht bei <strong>de</strong>r aktiven Person vor einem erneuten Kontrollverlust<br />

157


können z.B. die Beziehungsaufnahme zu an<strong>de</strong>ren Personen erheblich erschweren resp. un-<br />

möglich machen:<br />

Brigitte: Ich habe <strong>im</strong>mer gesagt, dass mir so eine totale Versklavung nicht passieren<br />

wür<strong>de</strong>, <strong>und</strong> gera<strong>de</strong> mir ist es doch passiert. Das war eine ganz subtile Angelegenheit,<br />

wie versucht wur<strong>de</strong>, meine Psyche zu brechen, zu zerstören, <strong>und</strong> zu <strong>de</strong>m<br />

Zeitpunkt, als es passierte, hätte ich mich mit Hän<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Füßen dagegen gewehrt,<br />

wenn einer gesagt hätte, dass ich mich selbst aufgebe. Es war absolut totaler<br />

Psychoterror <strong>und</strong> doch freiwillig <strong>und</strong> mit meinem vollkommenen persönlichen<br />

Einverständnis, weil es geschickt eingefä<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong> - eigentlich die reinste Gehirnwäsche.<br />

Das hat mit Lust nichts mehr zu tun. Aber zum damaligen Zeitpunkt<br />

hat man es geschafft mir einzure<strong>de</strong>n, dass es für mich das Beste <strong>und</strong> die vollkommene<br />

Selbstverwirklichung ist, <strong>und</strong> ich habe diese Argumentation bis in die<br />

letzte Faser meiner Person aufgenommen <strong>und</strong> selbst daran geglaubt. Das hat <strong>de</strong>struktive<br />

Formen angenommen (38 Jahre M, heterosexuell).<br />

Sven: Mein Fre<strong>und</strong> hat mal eine sehr negative Erfahrung gemacht <strong>und</strong> zwar bei<br />

Leuten, mit <strong>de</strong>nen er schon sehr lange in Kontakt gestan<strong>de</strong>n hat, also wo er ganz<br />

regelmäßig hingegangen ist. Also <strong>im</strong>mer wenn die angerufen haben, hatte er da<br />

anzutanzen <strong>und</strong> da nahmen die ihn dazwischen <strong>und</strong> be<strong>im</strong> letzten Mal, wo er dagewesen<br />

ist, hatten die etwas zu viel getrunken <strong>und</strong> haben die Grenzen nicht mehr<br />

gekannt <strong>und</strong> da ist er, so wie er war, geflohen - mitten in <strong>de</strong>r Nacht. Und seit<strong>de</strong>m<br />

hat er unwahrscheinliche Angst (50 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Nicht selten ist für die ‘Opfer’ therapeutische Hilfe notwendig, um <strong>de</strong>rartige negative Erfah-<br />

rungen zu verarbeiten. Gera<strong>de</strong> weil Vertrauen für sadomasochistische Inszenierungen uner-<br />

lässlich ist, müssen manche <strong>de</strong>r Betroffenen nach solchen Erlebnissen das Gr<strong>und</strong>vertrauen <strong>im</strong><br />

Umgang mit an<strong>de</strong>ren Sadomasochisten wie<strong>de</strong>r lernen. Um die Verarbeitung dieser Vorfälle zu<br />

erleichtern, haben sich mittlerweile Selbsthilfegruppen gebil<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>nen Sadomasochisten<br />

ihre Erfahrungen austauschen <strong>und</strong> ihre Erlebnisse zu bewältigen versuchen.<br />

Therapiebedürftig ist aber unter Umstän<strong>de</strong>n nicht nur das Opfer, son<strong>de</strong>rn vor allem <strong>de</strong>r ‘Tä-<br />

ter’, wie das folgen<strong>de</strong> Beispiel einer Misshandlung zeigt: 97<br />

Bianca: Da wür<strong>de</strong> ich keine Hand für ins Feuer legen, dass dann nichts Schl<strong>im</strong>mes<br />

passiert. Ich weiß es <strong>von</strong> einem Fre<strong>und</strong>. Dessen Frau, die hat ihn <strong>im</strong>mer wohin geschickt,<br />

meistens zu Paaren. Irgendwann ist er nach Hause gekommen, da hat er<br />

97 Straffällig gewor<strong>de</strong>ne Sadisten bedürfen zumeist therapeutischer Hilfe <strong>und</strong> Schorsch (1987b, S. 131) zufolge<br />

sind Erfolgschancen einer Behandlung recht hoch: "Zusammenfassend lassen unsere Ergebnisse die Schlußfolgerung<br />

zu, daß es, auch wenn man die Therapieerfolge kritisch bewertet, möglich ist, bei über <strong>de</strong>r Hälfte<br />

<strong>de</strong>r Sexualstraftäter eine erfolgreiche ambulante Psychotherapie durchzuführen. Dieses Ergebnis ist ermutigend,<br />

be<strong>de</strong>nkt man die große Skepsis, die nicht nur seitens <strong>de</strong>r Justiz gegenüber Psychotherapie überhaupt,<br />

son<strong>de</strong>rn auch <strong>und</strong> vor allem seitens <strong>de</strong>r Psychotherapeuten hinsichtlich <strong>de</strong>r Therapierbarkeit <strong>von</strong> Straftätern,<br />

speziell wenn sie eine Perversionssymptomatik haben, geäußert wird."<br />

158


keine Fingernägel mehr gehabt. Da ist er einem richtigen Sadisten in die Hän<strong>de</strong><br />

gefallen, <strong>de</strong>r nicht danach gefragt hat, ob er mit diesem o<strong>de</strong>r jenem einverstan<strong>de</strong>n<br />

ist. Der hat ihn ans Andreaskreuz geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ihm die Fingernägel ausgezogen.<br />

Was sollte er <strong>de</strong>nn da machen? (...) Der hat sich die Fingernägel nicht absichtlich<br />

rausziehen lassen. Das war was, wo er an einen richtigen Sadisten kam. Wie <strong>de</strong>r<br />

das gemacht hat, da konnte er nicht mehr loskommen. Da nutzte ihm sogar sein<br />

Karate nichts. Hinterher, wie er dann los war, was wollte er da ohne Fingernägel<br />

machen? Das war wahrscheinlich nur ein irrer Schmerz. Mit Anzeigen kommen<br />

sie auch nicht weiter. Weil sie sind ja selber schuld, sie gehen ja freiwillig dahin.<br />

(...) Ich wür<strong>de</strong> mich nie als richtige Sadistin in diesem Sinne bezeichnen. Ein Sadist<br />

ist für mich ein kranker Mensch, <strong>de</strong>r zerstören <strong>und</strong> wirklich verletzen will, so<br />

wie <strong>de</strong>r Typ mit <strong>de</strong>n Fingernägeln. SM soll aber Spaß machen, auch wenn es<br />

manchmal ein bisschen weh tut. Einem [wirklichen] Sadisten macht es auch Spaß,<br />

aber erst dann, wenn es normalerweise so weit ist, dass man aufhören sollte, wenn<br />

man die Grenze <strong>de</strong>r Freiwilligkeit überschreitet (40 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Rex: Also wie manche Leute SM verherrlichen, das kann ich nicht verstehen. Natürlich<br />

läuft <strong>im</strong> Großen <strong>und</strong> Ganzen alles nach Regeln <strong>und</strong> Vereinbarungen <strong>und</strong><br />

mit Freiwilligkeit <strong>und</strong> so weiter. Aber man muss doch auch mal ganz ein<strong>de</strong>utig<br />

sagen, dass Regeln verletzt <strong>und</strong> Grenzen überschritten wer<strong>de</strong>n. Das ist sicher nicht<br />

wünschenswert <strong>und</strong> auch nicht unproblematisch. Aber das gibt es in <strong>de</strong>r SM-<br />

Szene <strong>und</strong> das möchte ich doch mal feststellen. Ich möchte damit nicht behaupten,<br />

dass das schlechthin typisch ist für SM, man muss da ja sehr vorsichtig sein, um<br />

funktionieren<strong>de</strong> SM-Beziehungen <strong>und</strong> -Aktionen nicht zu kr<strong>im</strong>inalisieren o<strong>de</strong>r pathologisieren,<br />

aber es kommt halt hin <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r vor (35 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Aus strafrechtlicher Perspektive liegen in diesen Fällen also Körperverletzungen gemäß §223<br />

(Körperverletzung) o<strong>de</strong>r §224 StGb (schwere Körperverletzung) vor. Solche erzwungenen<br />

Handlungen sind <strong>von</strong> daher generell strafbar. Gleichzeitig machen die Befragten <strong>de</strong>utlich,<br />

dass es sich bei solchen Gewalthandlungen um Ausnahmen han<strong>de</strong>lt. Im Normalfall fin<strong>de</strong>n<br />

SM-Handlungen unter <strong>de</strong>r Voraussetzung <strong>de</strong>r Einwilligung statt, ähnlich wie <strong>de</strong>r ärztliche<br />

Eingriff <strong>und</strong> Verletzungen <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong> Sportveranstaltungen. Vom Selbstverständnis <strong>de</strong>r<br />

Betroffenen ausgehend sind sadomasochistische Handlungen <strong>de</strong>shalb Son<strong>de</strong>rformen, die nicht<br />

als Körperverletzung geahn<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n können. Der Gesetzgeber ist hier aber an<strong>de</strong>rer Auffas-<br />

sung: „Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung <strong>de</strong>s Verletzten vorn<strong>im</strong>mt, han<strong>de</strong>lt nur<br />

dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz <strong>de</strong>r Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt“<br />

(§226a StGb). Die Sittenwidrigkeit nach §226a wird be<strong>im</strong> Sadomasochismus angenommen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>mzufolge wäre je<strong>de</strong> sadomasochistische Körperverletzung strafbar, <strong>de</strong>nn die Einwilli-<br />

gung <strong>de</strong>r passiven Person ist unter rechtlichen Gesichtspunkten hinfällig. 98 Problematisch ist<br />

98 Einen guten Überblick zur Vorgeschichte dieses Gesetzes gibt Sitzmann (1991, S. 72f): "Einer <strong>de</strong>r ersten, <strong>de</strong>r<br />

sich - wenn auch nur am Ran<strong>de</strong> - mit <strong>de</strong>r Strafbarkeit einer Körperverletzung auf Verlangen auseinan<strong>de</strong>rsetzte,<br />

war Erich Wulffen. Er vertrat die prinzipielle Straflosigkeit <strong>de</strong>r Beteiligten. Die Handlungen seien zwar<br />

tatbeständig Körperverletzungen, jedoch greife <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>satz rechtfertigend ein.<br />

159


die genauere Best<strong>im</strong>mung <strong>de</strong>s Begriffs ‚Sittenwidrigkeit’. Er erweist sich bei <strong>de</strong>r Findung<br />

einer klaren Rechtslage als das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Hin<strong>de</strong>rnis <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentsprechend wird <strong>de</strong>r §226<br />

unterschiedlich gehandhabt: „Hinsichtlich <strong>de</strong>r Strafbarkeit sado-masochistischer Körperver-<br />

letzungen ist zu differenzieren: nicht je<strong>de</strong>, namentlich nicht die lediglich <strong>von</strong> §223 <strong>und</strong> §223a<br />

erfaßte Tat ist bei vorliegen<strong>de</strong>r Einwilligung <strong>de</strong>s Masochisten strafbar. Dem Verdikt <strong>de</strong>r Sit-<br />

tenwidrigkeit unterfallen daher nur die Körperverletzungen nach §224ff. Zur Begründung<br />

dient ein gewan<strong>de</strong>ltes Verständnis vom Inhalt <strong>de</strong>s Begriffs . Auf bloße Mo-<br />

ralwidrigkeit kommt es nicht (mehr) an, entschei<strong>de</strong>nd kann nur sein, inwieweit das Verhalten<br />

in seinen Ursachen <strong>und</strong> Konsequenzen sozialwidrig ist. Der seinen Partner zu einer schweren<br />

Körperverletzung best<strong>im</strong>men<strong>de</strong> Masochist ist nicht wegen Anstiftung zu schwerer Körperver-<br />

letzung strafbar, da seine körperliche Integrität ihm selbst gegenüber - außer bei Verstümme-<br />

lung zu <strong>de</strong>liktischen Zwecken - strafrechtlich ungeschützt ist“ (Sitzmann 1991, S. 81).<br />

Die Verwendung <strong>de</strong>s Begriffes <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit ist umstritten. Er kann <strong>im</strong>mer nur vor <strong>de</strong>m<br />

Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Annahme eines einheitlichen Sittlichkeits- <strong>und</strong> Moralempfin<strong>de</strong>ns in <strong>de</strong>r Be-<br />

völkerung formuliert wer<strong>de</strong>n. Solcherlei Vorstellungen können angesichts fortschreiten<strong>de</strong>r<br />

Differenzierungs- <strong>und</strong> Pluralisierungseffekte in <strong>de</strong>r Gesellschaft aber nicht mehr ohne Weite-<br />

res angenommen wer<strong>de</strong>n, ohne die Ansprüche <strong>von</strong> Minoritäten zu beschnei<strong>de</strong>n. In<strong>de</strong>ssen ist<br />

aus strafrechtlicher Sicht noch eine an<strong>de</strong>re Frage interessant. Bevor geklärt wer<strong>de</strong>n kann, ob<br />

gemäß §226a <strong>de</strong>r Einwilligung die rechtfertigen<strong>de</strong> Wirkung zu versagen ist, muss die Reich-<br />

weite <strong>de</strong>r Einwilligung geklärt sein. Sie bezieht sich nur auf <strong>de</strong>n Bereich, mit <strong>de</strong>m die passive<br />

Person vorab in einer Absprache einverstan<strong>de</strong>n war. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass blei-<br />

ben<strong>de</strong> Schädigungen (z.B. Kastration, Amputation), wie sie gelegentlich vorkommen sollen,<br />

generell <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Einwilligung ausgenommen sind.<br />

Das Kr<strong>im</strong>inalitätsfeld <strong>im</strong> Bereich SM ist aber nicht nur auf <strong>de</strong>n Tatbestand <strong>de</strong>r Körperver-<br />

letzung zu beschränken, son<strong>de</strong>rn muss weitergefasst wer<strong>de</strong>n. So kommen z.B. auch Er-<br />

pressungen vor. Sie sind <strong>im</strong> Domina- <strong>und</strong> Prostitutions- wie auch <strong>im</strong> semiprofessionellen Be-<br />

reich - wenn auch nicht an <strong>de</strong>r Tagesordnung, so doch hin <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r - zu fin<strong>de</strong>n. Auch Frei-<br />

Dies gelte aber dann nicht, wenn <strong>de</strong>r Masochist min<strong>de</strong>rjährig sei o<strong>de</strong>r infolge übermäßiger Flagellation sterbe.<br />

(...) En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zwanziger Jahre beschäftigte sich erstmals die höchstrichterliche Rechtsprechung mit diesem<br />

Problemkreis. Da bei sadomasochistischen Praktiken die Körperverletzungen zu <br />

erfolgten, verstoße die Tat trotz einer Einwilligung gegen die guten Sitten. Die Einwilligung sei daher rechtlich<br />

be<strong>de</strong>utungslos. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, dass bereits vor Einführung <strong>de</strong>s §226a am<br />

26.5.1933 für die Beurteilung <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit auf <strong>de</strong>n Tatzweck abgestellt wur<strong>de</strong>. Nach Einführung <strong>de</strong>s<br />

§226a wird ausdrücklich hervorgehoben, dass es für das Verdikt <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit ausschließlich auf die<br />

Sittenwidrigkeit <strong>de</strong>r Tat <strong>und</strong> nicht auf die <strong>de</strong>r Einwilligung ankomme. Eine sadomasochistische Körperverletzung<br />

sei sittenwidrig, da zum einen nicht <strong>de</strong>r Masochist, son<strong>de</strong>rn die Gesellschaftsordnung durch die Anwendung<br />

<strong>de</strong>s §226a geschützt wer<strong>de</strong>, Masochisten ansonsten auch in ein <br />

wür<strong>de</strong>n <strong>und</strong> gingen."<br />

160


heitsberaubungen, z.B. bei erzwungener ‘Sklaverei’, können als spezifisches SM-Delikt ange-<br />

führt wer<strong>de</strong>n. Da wir zu diesen Aspekten kein Datenmaterial erhoben haben, müssen sich die<br />

Ausführungen an dieser Stelle auf die bloße Feststellung beschränken.<br />

1.8 Die Trennung <strong>von</strong> Alltag <strong>und</strong> Sadomasochismus<br />

Die Verwirklichungschancen <strong>de</strong>r sadomasochistischen Neigung in einer persönlichen Bezie-<br />

hung - sei es in <strong>de</strong>r Gruppe o<strong>de</strong>r einer Partnerschaft - entschei<strong>de</strong>n maßgeblich darüber, ob<br />

Sadomasochisten mit ihrer Neigung zurechtkommen. Aber auch die Trennung <strong>von</strong> Alltag <strong>und</strong><br />

SM ist entschei<strong>de</strong>nd für die Integrierbarkeit dieser Neigung.<br />

Wird <strong>de</strong>r Sadomasochismus Teil <strong>de</strong>s Alltags, so han<strong>de</strong>lt es sich zumeist um ein spielerisches<br />

Agreement. Die Erweiterung <strong>de</strong>s Außeralltäglichen in die Alltäglichkeit schafft eine zusätzli-<br />

che Reizquelle durch die Einbeziehung <strong>von</strong> Unbeteiligten: Sie können als nichtsahnen<strong>de</strong> Zeu-<br />

gen (‘Beson<strong>de</strong>rs lustig ist es, wenn ich mit meiner Fre<strong>und</strong>in <strong>im</strong> Café sitze, <strong>und</strong> ihr <strong>de</strong>n Dildo,<br />

<strong>de</strong>n wir ihr vorher eingeführt haben, aufpumpe, ohne dass es jemand merkt’) o<strong>de</strong>r als unfrei-<br />

willige Teilnehmer (‘Die Leute schauen schon ganz merkwürdig, wenn ich meinen Macker -<br />

<strong>und</strong> er ist <strong>im</strong>merhin 1,90 Meter groß, also eine <strong>im</strong>posante Erscheinung - an einer Kette durch<br />

die Fußgängerzone zerre’) eine Rolle spielen. Auch dieses Ergebnis ist ein Beleg für die Vir-<br />

tualität <strong>de</strong>r Rollenmuster. Bei an<strong>de</strong>ren beschränken sich dominante o<strong>de</strong>r passive Verhaltens-<br />

formen explizit nur auf best<strong>im</strong>mte Son<strong>de</strong>rsituationen <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n ansonsten aus <strong>de</strong>m Alltag<br />

ferngehalten. Dazu entwickeln die Akteure regelrechte Ein- <strong>und</strong> Austrittssymboliken. Eine<br />

Vereinbarung, ein best<strong>im</strong>mtes Zeichen o<strong>de</strong>r einfach nur die Kleidung <strong>de</strong>uten an, dass die all-<br />

täglichen Regeln nicht mehr gelten <strong>und</strong> das ‘Spiel’ beginnt. In an<strong>de</strong>ren Fällen ist die räumli-<br />

che Auslagerung, etwa <strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>s häuslichen ‘Folterkellers’ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Dominastudios, Zei-<br />

chen für <strong>de</strong>n Austritt aus <strong>de</strong>m Alltag. In ihn wird erst dann wie<strong>de</strong>rzurückgekehrt, wenn die<br />

SM-Handlung been<strong>de</strong>t ist:<br />

Veronika: Man kann es nur so abgrenzen, in<strong>de</strong>m man sagt, das eine ist ein Spiel<br />

<strong>und</strong> das an<strong>de</strong>re ist die Realität. In <strong>de</strong>m Moment, wo man das Spiel beginnt, hebt<br />

sich das ab, vielleicht durch Kleidung o<strong>de</strong>r durch Situationswechsel, durch Signale,<br />

durch Raumwechsel, durch Utensilien, wie auch <strong>im</strong>mer. Es gibt ja verschie<strong>de</strong>ne<br />

Möglichkeiten. Das ist ja wie eine Rolle, in die man hineinschlüpft. (...) Wenn<br />

ich also jetzt sage: ‚So, game over’, wie man das so schön be<strong>im</strong> Computer sagt,<br />

wür<strong>de</strong> ich mich umziehen o<strong>de</strong>r mich optisch verän<strong>de</strong>rn (35 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Alice: Wegen Zeitmangel <strong>de</strong>s Ehesklaven muss ich meine Interessen an SM <strong>im</strong><br />

Wesentlichen auf die erotisch-sexuelle Situation beschränken. Wenn <strong>de</strong>r Sklave<br />

mehr verfügbar wäre, wäre eine Aus<strong>de</strong>hnung meiner Herrinnen-Rolle ein Stück<br />

161


weit in <strong>de</strong>n Alltag <strong>de</strong>nkbar. Ansatzweise geschieht das schon jetzt für gewisse<br />

Haus- <strong>und</strong> Gartenarbeiten <strong>de</strong>s Sklaven. Ansonsten sind meine SM-Rolle <strong>und</strong> meine<br />

Alltagsrolle nicht i<strong>de</strong>ntisch. Meine Alltagsrolle ist eher partnerschaftlich, aber<br />

innerhalb <strong>de</strong>s traditionellen Ehemusters, da ich Hausfrau bin. Ich möchte meinen<br />

Mann aber auch nicht ganz als Sklaven haben (51 Jahre, S, heterosexuell).<br />

Marion: Ich habe da für mich einen Kunstgriff. Mein normaler Name ist [Name]<br />

<strong>und</strong> ich habe mir einen zweiten Namen gegeben <strong>und</strong> dieser Name heißt Liesel <strong>und</strong><br />

das ist sozusagen mein Theatername <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gebrauch <strong>von</strong> <strong>de</strong>m einen <strong>und</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Namen kann gleichzeitig die Zäsur be<strong>de</strong>uten. Also ich nehme jetzt<br />

mal als Beispiel die Geschichte, die ich dir erzählt habe, mit <strong>de</strong>m Mann, mit <strong>de</strong>m<br />

ich be<strong>im</strong> Essen war <strong>und</strong> so weiter. Da hätte es nach <strong>de</strong>m Essen z.B. passieren<br />

können, dass wir noch re<strong>de</strong>n <strong>und</strong> er hat vorher gesagt ‚Marion, willst Du noch einen<br />

Wein?’ <strong>und</strong> dann aber ‚Liesel, ich <strong>de</strong>nke, es ist Zeit, dass Du Dich umziehen<br />

gehst!’. Und in <strong>de</strong>m Moment wäre die an<strong>de</strong>re Welt da (36 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Jürgen: Manchmal <strong>de</strong>nke ich, wenn du mit an<strong>de</strong>ren herrschend umgehen kannst,<br />

dann kannst du es <strong>im</strong> Büro auch mal tun. Einen herrschen<strong>de</strong>n Ton vielleicht, aber<br />

in Handlungen nicht. (...) Mein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> ich, wir haben <strong>im</strong> Allgemeinen nicht<br />

so ein Verhältnis. Wir haben kein Master-Sklave-Verhältnis. (...) Unser SM-<br />

Verhältnis beschränkt sich auf sexuelle Taten. Das geht nicht in <strong>de</strong>n Alltag rein<br />

(35 Jahre, S, schwul).<br />

Brigitte: SM ist reiner Showeffekt <strong>und</strong> In-Szene-setzen <strong>von</strong> irgendwelchen Dingen,<br />

ein gegenseitiges Verhan<strong>de</strong>ln über die Dinge <strong>und</strong> sich klar sein, was da nun<br />

abläuft. Das hat jetzt nichts mit irgendwelchen Torturen o<strong>de</strong>r Rollenverhalten ansonsten<br />

<strong>im</strong> Alltag zu tun (27 Jahre, SM, lesbisch).<br />

Auf die geschil<strong>de</strong>rten Trennregeln kann <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r ‚Modulation’ (vgl. Goffman 1980)<br />

angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n ich schon für die Beschreibung <strong>de</strong>s SM-Rahmens gebraucht habe.<br />

Die Modulationen erlauben nicht nur spezifische Transformationen <strong>von</strong> Sinn, son<strong>de</strong>rn trennen<br />

auch durch spezifische Regeln verschie<strong>de</strong>ne Rahmen. So wissen z.B. die Beteiligten, „daß<br />

eine systematische Umwandlung erfolgt, die das, was in ihren Augen vor sich geht, gr<strong>und</strong>le-<br />

gend neubest<strong>im</strong>mt“ (ebd., S. 57). Gleichzeitig sind bei diesen Transformationen Hinweise<br />

gegeben, wann sie beginnen <strong>und</strong> wann sie en<strong>de</strong>n, „nämlich zeitliche ‚Klammern’, auf <strong>de</strong>ren<br />

Wirkungsbereich die Transformation beschränkt sein soll“ (ebd.). Diese spezifischen Klam-<br />

mern sind für <strong>de</strong>n SM-Rahmen typisch.<br />

Aber nicht <strong>im</strong>mer gelingt <strong>de</strong>r Ausstieg aus <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rsituation. Die Verhaltensmuster verlän-<br />

gern sich unbewusst in <strong>de</strong>n Alltag, wie etwa in <strong>de</strong>m folgen<strong>de</strong>n Fall eines homosexuellen Ma-<br />

sochisten:<br />

Ich hatte z.B. eine Autopanne <strong>und</strong> habe <strong>de</strong>n ADAC rufen müssen, auf <strong>de</strong>r Autobahn.<br />

Dann kam dieser ADAC-Mann. Das war ein unglaublich viriler Mensch,<br />

162


mit Tätowierungen. Da bin ich vor ihm auf die Knie gegangen <strong>und</strong> habe angefangen,<br />

seine Stiefel zu lecken. Dafür konnte er ja gar nichts. Da war <strong>de</strong>r so<br />

furchtbar erschrocken, dass er in sein Auto gegangen ist <strong>und</strong> sich verbarrikadiert<br />

hat. Dann hat er das Knöpfchen heruntergedrückt <strong>und</strong> ist nicht mehr rausgekommen.<br />

Ich musste <strong>de</strong>m dann sagen, dass ich nicht richtig ticke. Nicht nur mein Motor<br />

ist out of or<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn ich ticke auch nicht ganz richtig. Der Mann hat dann<br />

zwar mit Distanz meinen Motor repariert, aber (...). Das ist mir ein paar Mal passiert.<br />

Bauarbeiter, die haben ja auch gar keine Antenne für sowas: Ich habe jeman<strong>de</strong>n<br />

gesehen, <strong>de</strong>r hat sich gera<strong>de</strong> umgezogen, <strong>de</strong>r stand in <strong>de</strong>r Unterhose in<br />

dieser Baubaracke. Plötzlich habe ich we<strong>de</strong>r Weg noch Steg gesehen <strong>und</strong> bin dann<br />

mitten in die Baustelle gefahren. Die Bauarbeiter haben furchtbar geflucht. Aber<br />

sowas, das kann man ja gar nicht erklären. Diese Betriebsstörungen möchte ich<br />

natürlich tunlichst vermei<strong>de</strong>n.<br />

Der Phantasie kommt hier die Auslöserfunktion für eine Handlung zu, die, was Ausführung<br />

<strong>und</strong> Konsequenzen anbelangt, nicht reflektiert <strong>und</strong> mehr o<strong>de</strong>r weniger in einem halbbewuss-<br />

ten Zustand verbleibt.<br />

Neben solchen kurzen Kontrollverlusten <strong>und</strong> Aussetzern, fin<strong>de</strong>t sich aber auch die bewusste<br />

<strong>und</strong> zielgerichtete Verlängerung sadomasochistischer Verhaltensformen in <strong>de</strong>n Alltag. Eine<br />

umfassend hierarchisierte Lebensführung wird in <strong>de</strong>n Phantasien als beson<strong>de</strong>rs faszinierend<br />

herbeigesehnt. So ist z.B. die Vorstellung, irgendwo ‘in Stellung gehen zu können <strong>und</strong> schwe-<br />

re körperliche Arbeit für wenig Geld <strong>und</strong> viele Schläge unter <strong>de</strong>r Aufsicht einer strengen Her-<br />

rin’ leisten zu dürfen, ein Wunschtraum mancher Masochisten. Diese Sehnsüchte verbleiben<br />

aber zumeist in <strong>de</strong>r Phantasie. Allerdings fin<strong>de</strong>n sich - wenn auch als sehr seltene Ausnahme -<br />

solche Arrangements in <strong>de</strong>r Wirklichkeit. Gehen diese Extremausprägungen sadomasochisti-<br />

schen Verhaltens mit erzwungener Versklavung <strong>und</strong> Beschlagnahmung <strong>de</strong>s Eigentums einher,<br />

müssen sie Gegenstand strafrechtlicher Verfolgungen sein.<br />

Insgesamt sind solche Fälle aber eine Seltenheit. Autoritäres <strong>und</strong> submissives Verhalten,<br />

Machtansprüche <strong>und</strong> Devotheit sind <strong>im</strong> Regelfall Elemente eines Spiels, die <strong>im</strong> Alltag keinen<br />

Platz haben. Das zeigt sich beispielsweise auch an <strong>de</strong>n politischen Einstellungen <strong>de</strong>r befragten<br />

Personen, die gera<strong>de</strong> nicht durch autoritäre o<strong>de</strong>r gar faschistische Orientierungen geprägt<br />

sind:<br />

Jochen: Wenn ich mich umgucke in unserer politischen Landschaft, dann sehe ich<br />

nur Trümmer. Das ist mit ein Gr<strong>und</strong>, warum ich keine öffentliche Parteiarbeit leiste.<br />

Könnte ich niemals machen, weil keine Partei das alles umfasst, was mich interessiert.<br />

Aber ökologisch <strong>und</strong> wirtschaftlich <strong>und</strong> die Sachen, die mich jetzt hier direkt<br />

betreffen ja, wür<strong>de</strong> ich schon sagen, dass ich da gemäßigte linke Positionen<br />

einnehme. Sagen wir mal Realos. Ich könnte, wenn ich Politik machen wür<strong>de</strong>,<br />

mich bei <strong>de</strong>n Realos ganz gut vorstellen (27 Jahre, S, heterosexuell).<br />

163


Melitta: Parteien reiten viel auf Führerfiguren, aber da bin ich dagegen. Das geht<br />

einfach nicht, dass alles <strong>von</strong> einem Mann ausgeht <strong>und</strong> dass einer alles vertritt. (...)<br />

Ich hab so das Gefühl, wenn irgen<strong>de</strong>ine I<strong>de</strong>ologie dahintersteckt - egal was - dann<br />

klappt es nach kurzer Zeit nicht mehr. Ob das eine zu grüne o<strong>de</strong>r zu sozialistische<br />

I<strong>de</strong>ologie ist, auch eine zu kapitalistische I<strong>de</strong>ologie ist, dann läuft es nicht (30 Jahre,<br />

S, heterosexuell).<br />

Roswitha: Ich möchte es mal so sagen. Ich bin ein frei <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r<br />

seine Meinung vertreten kann <strong>und</strong> (...) an<strong>de</strong>re Menschen auch frei <strong>de</strong>nken <strong>und</strong> re<strong>de</strong>n<br />

lässt <strong>und</strong> für <strong>de</strong>n die Menschlichkeit an höchster Stelle steht (38 Jahre, M, heterosexuell).<br />

Diana: Also politisch wür<strong>de</strong> ich sagen, dass ich links bin. Ich fin<strong>de</strong> auch <strong>im</strong>mer<br />

diese Fragen, wenn man bei SM Macht ausübt, ob man die dann auch in <strong>de</strong>r politischen<br />

Einstellung hat, doof. Das eine hat doch mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren nichts zu tun.<br />

Ich engagiere mich in <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsbewegung <strong>und</strong> wür<strong>de</strong> nie Parteien wählen, die<br />

für Gewalt sind. Das sind doch zwei ganz verschie<strong>de</strong>ne Sachen, SM <strong>und</strong> Politik<br />

(24 Jahre, S/M, lesbisch).<br />

Manfred: Ich bin Zivildienstleisten<strong>de</strong>r <strong>und</strong> habe meine sehr eigene <strong>und</strong> sehr f<strong>und</strong>ierte<br />

Meinung über staatliche Gewaltstrukturen, die nicht zu vergleichen sind mit<br />

irgendwelchen spielerischen Sexformen. Letzteres baut auf Gegenseitigkeit, auf<br />

Wohlwollen <strong>und</strong> auch auf Einverständnis auf. Überhaupt nicht zu vergleichen mit<br />

Aggressionen, wo <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> ist <strong>und</strong> das nicht will <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re das<br />

durchsetzen will. Das ist überhaupt nicht zu vergleichen, <strong>de</strong>shalb habe ich auch<br />

keine Probleme damit. (...) Bevor es mit manchen Leuten zur Sache geht, politisiere<br />

ich manchmal erst mal eine Viertelst<strong>und</strong>e, meistens über Anarchismus <strong>und</strong><br />

Gewaltfreiheit <strong>und</strong> über Basis<strong>de</strong>mokratie (25 Jahre, M, schwul).<br />

Die Vorstellung, dass für Sadisten generell ein autoritärer <strong>und</strong> für Masochisten ein obrig-<br />

keitshöriger Habitus typisch ist, <strong>de</strong>r sich auch in <strong>de</strong>n politischen Auffassungen <strong>und</strong> Meinun-<br />

gen nie<strong>de</strong>rschlägt, ist also sicherlich nicht zutreffend. Es mag durchaus sein, dass die eine<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Person nicht nur in ihrer Sexualität, son<strong>de</strong>rn auch in an<strong>de</strong>ren Bereichen dominant<br />

agiert. Aber dies ist keine symptomatische SM-Erscheinung. Genau so, wie sich autoritäre<br />

politische Einstellungen in an<strong>de</strong>ren Bevölkerungssegmenten fin<strong>de</strong>n, gibt es linksalternativ,<br />

liberal o<strong>de</strong>r konservativ eingestellte Sadomasochisten. Auch gelegentlich zu beobachten<strong>de</strong><br />

Symbole wie Hakenkreuze, Uniformen, Le<strong>de</strong>rstiefel o<strong>de</strong>r die entsprechen<strong>de</strong>n Mützen können<br />

nicht als Ausdruck einer faschistischen Weltanschauung gewertet wer<strong>de</strong>n. Sie sind Teil einer<br />

sub-, besser spezialkulturellen Emblematik <strong>und</strong> Bricolage-Improvisation, die durch spezifi-<br />

sche Aneignungen <strong>und</strong> Um<strong>de</strong>utungen mit einer szenetypischen Semantik belegt sind.<br />

164


1.9 Frauen <strong>und</strong> Sadomasochismus<br />

Das Themenfeld Frauen <strong>und</strong> Sadomasochismus ist in <strong>de</strong>r theoretischen Literatur schon seit<br />

Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrh<strong>und</strong>erts berücksichtigt wor<strong>de</strong>n. Wie die an<strong>de</strong>ren Perversionen, war <strong>de</strong>r<br />

‚Masochismus <strong>de</strong>r Frau’, <strong>und</strong> um ihn geht es fast ausschließlich in diesen Schriften, Gegens-<br />

tand sexualwissenschaftlicher <strong>und</strong> medizinisch-psychiatrischer Arbeiten. Bevor ich die Er-<br />

gebnisse aus <strong>de</strong>n Interviews mit SM-praktizieren<strong>de</strong>n Frauen darstelle, sollen die wichtigsten<br />

Ansichten <strong>de</strong>r frühen Sexualwissenschaft <strong>und</strong> Psychoanalyse zum weiblichen Masochismus<br />

<strong>und</strong> die Fortführung <strong>de</strong>r Debatte in <strong>de</strong>r Frauenbewegung dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

1.9.1 Weiblicher Sadomasochismus in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Diskussion<br />

Krafft-Ebing (1886/1984, S. 155) zufolge stellt <strong>de</strong>r Masochismus eine „krankhafte Ausartung<br />

spezifisch weiblicher psychischer Eigentümlichkeit“ dar. Das Dienen sei gleichsam <strong>de</strong>r Natur<br />

<strong>von</strong> Frauen inhärent. Demnach resultiere <strong>de</strong>r weibliche Masochismus aus <strong>de</strong>n ohnehin schon<br />

bestehen<strong>de</strong>n natürlichen Verhaltensdispositionen sowie <strong>de</strong>n kulturellen <strong>und</strong> sozialen Prägun-<br />

gen, die dieses Verhalten noch verstärken. Krafft-Ebing räumt zwar ein, dass sich masochisti-<br />

sches Sexualverhalten auch bei Männern zeige (<strong>und</strong> hat in diesem Zusammenhang fast nur<br />

männliche Fallbeispiele zusammengetragen), kann dafür aber keine schlüssige Erklärung an-<br />

geben. Auch Sigm<strong>und</strong> Freud geht <strong>von</strong> best<strong>im</strong>mten geschlechtsspezifischen Eigenschaften aus.<br />

Er sieht aber auch das prägen<strong>de</strong> soziale Bedingungsgefüge: „Die <strong>de</strong>m Weib konstitutionell<br />

vorgeschriebene <strong>und</strong> sozial auferlegte Unterdrückung seiner Aggression begünstigt die Aus-<br />

bildung starker masochistischer Regungen, <strong>de</strong>nen es ja gelingt, die nach innen gewen<strong>de</strong>ten<br />

<strong>de</strong>struktiven Ten<strong>de</strong>nzen erotisch zu bin<strong>de</strong>n. Der Masochismus ist also, wie man sagt, echt<br />

weiblich“ (Freud 1933, S. 123). Auch wenn Freud hier soziale Codierungen <strong>de</strong>s Verhaltens<br />

einräumt, so sind Masochismus <strong>und</strong> Passivität für ihn typisch weibliche, invariante Verhal-<br />

tensmerkmale. 99<br />

99 Ähnlich wie sein Zeitgenosse Krafft-Ebing führt er seine Vorstellungen über <strong>de</strong>n femininen Masochismus<br />

ausschließlich auf Erfahrungen mit männlichen Fallbeispielen zurück: "Wir kennen diese Art <strong>de</strong>s Masochismus<br />

be<strong>im</strong> Manne (auf <strong>de</strong>n ich mich aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Materials beschränke) in zureichen<strong>de</strong>r Weise aus<br />

<strong>de</strong>n Phantasien masochistischer (häufig darum <strong>im</strong>potenter) Personen, die entwe<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n onanistischen Akt<br />

auslaufen o<strong>de</strong>r für sich allein die Sexualbefriedigung darstellen." Er fährt fort: "Hat man aber die Gelegenheit<br />

Fälle zu studieren, in <strong>de</strong>nen die masochistischen Phantasien eine beson<strong>de</strong>rs reiche Verarbeitung erfahren, so<br />

macht man leicht die Ent<strong>de</strong>ckung, daß sie die Person in eine für die Weiblichkeit charakteristische Situation<br />

versetzen, also Kastriertwer<strong>de</strong>n, Koitiertwer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Gebären be<strong>de</strong>uten. Ich habe darum diese Erscheinungsform<br />

<strong>de</strong>s Masochismus <strong>de</strong>n femininen (...) genannt" (Freud 1940, S. 374).<br />

165


Insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n Arbeiten <strong>de</strong>r Psychoanalytikerinnen Helene Deutsch <strong>und</strong> Marie Bonapar-<br />

te wer<strong>de</strong>n diese Thesen fortgeführt. In <strong>de</strong>r Einleitung zu ihrem ersten Band über die Psycho-<br />

logie <strong>de</strong>r Frau beschreibt Deutsch (1948, S. 5) „Narzismus, Passivität <strong>und</strong> Masochismus“ als<br />

die „drei wesentlichen Züge <strong>de</strong>r Weiblichkeit.“ Aktivität sieht sie dagegen als Domäne <strong>de</strong>s<br />

Mannes. So fährt sie in ihren Ausführungen über die weibliche Sexualität (ebd. S. 199ff) wie<br />

folgt fort: „Die Anschauung (...), dass für <strong>de</strong>n psychologischen Begriff ‚Weiblichkeit’ zwei<br />

Eigenschaften charakteristisch sind, nämlich: Passivität <strong>und</strong> Masochismus, hat sich durch<br />

jahrelange klinische Erfahrungen sowie durch direkte Beobachtungen an Tieren weiter befes-<br />

tigt. (...) Wenn ich also auch ohne Weiteres die Be<strong>de</strong>utung äusserer Einflüsse auf die Stellung<br />

<strong>de</strong>s Weibes anerkenne, so halte ich doch daran fest, dass in quantitativ wechseln<strong>de</strong>r Vertei-<br />

lung <strong>und</strong> in verschie<strong>de</strong>nen Äußerungsformen die Gr<strong>und</strong>einheit: Weiblich-passiv, Männlich-<br />

aktiv in allen unserer Beobachtung zugänglichen Kulturen, Nationen <strong>und</strong> Rassen als individu-<br />

elle Eigenschaft <strong>de</strong>r Geschlechter erhalten ist.“ Wenn Deutsch auch ausdrücklich darauf hin-<br />

weist, dass <strong>de</strong>r weibliche Masochismus nicht mit <strong>de</strong>r bewussten sexuellen Perversion <strong>de</strong>s Ma-<br />

sochisten verwechselt wer<strong>de</strong>n darf (ebd. S. 219), so sind ihrer Meinung nach die Erfahrungen<br />

<strong>de</strong>r Frau <strong>im</strong> Geschlechtsverkehr, bei <strong>de</strong>r Geburt <strong>und</strong> sogar in <strong>de</strong>r Mutter-Kind-Beziehung mit<br />

masochistischer Lust verb<strong>und</strong>en. Ähnlich argumentiert Bonaparte (1935, S. 24) wenn sie be-<br />

hauptet, <strong>de</strong>r Masochismus sei eigentlich feminin. Für sie ist „die Frau bezüglich <strong>de</strong>r eigentli-<br />

chen Fortpflanzungsfunktionen - Menstruation, Defloration, Schwangerschaft <strong>und</strong> Entbin-<br />

dung - schon biologisch <strong>de</strong>m Schmerz geweiht. Die Natur scheint ohne Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>m Weibe<br />

Schmerz - <strong>und</strong> zwar in hohen Dosen - aufzuerlegen, da es nur passiv <strong>de</strong>n vorgeschriebenen<br />

Ablauf zu erdul<strong>de</strong>n hat.“<br />

Die Annahme einer pr<strong>im</strong>är passiven Verhaltensdisposition bei Frauen als gleichsam anthropo-<br />

logisches Merkmal ist für Krafft-Ebing <strong>und</strong> die an<strong>de</strong>ren Vertreter <strong>de</strong>r frühen Sexualwissen-<br />

schaft wie auch Freud <strong>und</strong> die Psychoanalyse charakteristisch. Bezogen auf das Phänomen<br />

<strong>de</strong>s Sadomasochismus wird dies an <strong>de</strong>r begrifflichen Einengung auf <strong>de</strong>n Masochismus augen-<br />

scheinlich. Die Möglichkeit eines weiblichen Sadismus wird <strong>von</strong> vornherein ausgeklammert.<br />

Einige Vertreter <strong>de</strong>r Psychoanalyse betonen kulturelle Aspekte <strong>und</strong> kritisieren diese Auffas-<br />

sungen. So revidiert Horney (1934, S. 390) als eine <strong>de</strong>r ersten die Annahmen über die natürli-<br />

che Passivität <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Masochismus <strong>de</strong>r Frau: „Weibliche Züge sind, obwohl an <strong>und</strong> für sich<br />

nicht masochistischer Natur, geeignet zum Ausdruck masochistischer Züge; diese hingegen<br />

kommen <strong>von</strong> Quellen, die mit Feminität nichts zu tun haben. Die Bereitwilligkeit, mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Masochismus sich mit weiblichen Zügen verknüpft, ist zwei Faktoren zuzuschreiben, <strong>de</strong>ren<br />

je<strong>de</strong>r ein eigenes Studium erfor<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>: es sind dies <strong>de</strong>r kulturelle <strong>und</strong> <strong>de</strong>r biologische<br />

Faktor.“ Die kulturellen Aspekte formulierte sie in ihrer späteren Arbeit über die weibliche<br />

Psychologie (Horney 1967, S. 232f): “The problem of feminine masochism cannot be related<br />

166


to factors inherent in the anatomical-physiological-psychic chracteristics of woman alone, but<br />

must be consi<strong>de</strong>red as <strong>im</strong>portantly conditioned by the culture-complex or social organization<br />

in which the particular masochistic woman has <strong>de</strong>veloped. (...) It is clear, however, that the<br />

<strong>im</strong>portance of anatomical-psychological-psychic factors has been greatly overest<strong>im</strong>ated by<br />

some writers on this subject.” Ähnlich argumentieren Thompson (1942) <strong>und</strong> Robertiello<br />

(1970) wenn sie darauf hinweisen, dass häufig kulturspezifische Beson<strong>de</strong>rheiten verall-<br />

gemeinert wur<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Masochismus als normales Verhalten <strong>de</strong>r Frau zu beschreiben.<br />

Zusammenfassend muss festgestellt wer<strong>de</strong>n, dass we<strong>de</strong>r Krafft-Ebing noch die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Vertreter <strong>de</strong>r Psychoanalyse <strong>de</strong>n Masochismus als bio-psychologisches Schicksal <strong>von</strong> Frauen<br />

haben nachweisen können. Deshalb ist Blum (1981, S. 142) zuzust<strong>im</strong>men, wenn er schreibt:<br />

„Es gibt keinen Beweis dafür, daß <strong>de</strong>r weibliche Mensch mehr dazu begabt ist, aus Schmerz<br />

Lust zu gewinnen (...), es gibt mannigfaltige, wenn nicht zwangsläufig gleiche sadomasochis-<br />

tische Ten<strong>de</strong>nzen bei bei<strong>de</strong>n Geschlechtern. (...) Sadomasochismus ist universal in <strong>de</strong>r<br />

Menschheit, doch ich wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Masochismus nicht als ein wesentliches o<strong>de</strong>r organisieren<strong>de</strong>s<br />

Attribut <strong>de</strong>r reifen Weiblichkeit ansehen. Hypothesen, die die Weiblichkeit in Ableitung <strong>und</strong><br />

Funktion als sek<strong>und</strong>är zur Männlichkeit ansahen, waren mit einem masochistischen Entwick-<br />

lungsmo<strong>de</strong>ll verb<strong>und</strong>en. Diese antiquierten Formulierungen beruhten auf beschränkten analy-<br />

tischen Daten, Konstruktionen <strong>und</strong> Entwicklungskenntnissen.“ So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich,<br />

dass auch die Hauptströmung psychoanalytischen Denkens heute die Vorstellung eines weib-<br />

lichen Masochismus ablehnt (vgl. Benjamin 1990). Kritik an <strong>de</strong>r Auffassung, wonach Weib-<br />

lichkeit, Passivität <strong>und</strong> Masochismus notwendigerweise zusammengehören, kommt vor allem<br />

aus feministischen Denkrichtungen. So schreibt Chodorow (1990, S. 185): „Freud beschrieb<br />

nur selten die Entwicklung <strong>von</strong> Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft. Oft stellte er nur<br />

unbegrün<strong>de</strong>te Behauptungen auf (...). Die meisten da<strong>von</strong> sind klinisch absolut unberechtigt.<br />

(...) Vielmehr entstan<strong>de</strong>n sie aus unhinterfragten Annahmen einer patriarchalen Kultur, aus<br />

Freuds persönlicher Blindheit, seiner Frauenverachtung <strong>und</strong> seinem Weiberhaß, aus biologi-<br />

schen Ableitungen, die durch seine Arbeit nicht gerechtfertigt waren, aus einem patriarchalen<br />

Wertsystem <strong>und</strong> einer Evolutionstheorie, die diese Werte rationalisierte.“ 100<br />

100 Zur ausführlichen Kritik an biologistisch-<strong>de</strong>terministisch orientierten Erklärungsversuchen weiblicher Passivität/Masochismus<br />

seien hier einige Arbeiten genannt: Baker-Miller (1976); Bernard (1981); Burgard/Rommelspacher<br />

(1989); Caplan (1986); Hagemann-White (1979); Kaplan (1991); Millet (1974; 1979).<br />

167


1.9.2 Die SM-Debatte in <strong>de</strong>r Frauenbewegung<br />

1.9.2.1 Frauen <strong>und</strong> SM - Ein Boom-Thema zu Beginn <strong>de</strong>r 90er Jahre<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r achtziger, Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre wird <strong>de</strong>r Sadomasochismus <strong>von</strong> Frauen über<br />

Publikumszeitschriften wie z.B. ‚Der Spiegel’ o<strong>de</strong>r ‚Stern’ <strong>und</strong> Frauenmagazine wie ‚Petra’,<br />

‚Cosmopolitan’, ‚Elle’, ‚Viva’, o<strong>de</strong>r ‚Marie Claire’ verstärkt in die Öffentlichkeit getragen.<br />

Häufig han<strong>de</strong>lt es sich um Reportagen über professionelle Dominas, die ihr Gewerbe vorstel-<br />

len. 101 Neben Berichten über <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s käuflichen Sadomasochismus erscheinen auch<br />

zahlreiche Selbstbekenntnisse über die private Passion. Frauen berichten, wie sie Lust durch<br />

sadomasochistische Sexualpraktiken erfahren <strong>und</strong> „mit <strong>de</strong>r Lust am Lei<strong>de</strong>n leben wollen“<br />

(Posche 1990, S. 69). Die Flut <strong>von</strong> Zeitschriftenartikeln zu diesem Thema wird durch eine<br />

Reihe <strong>von</strong> Buchpublikationen vergrößert. Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n Frauen auf <strong>de</strong>m SM-Markt zu einer<br />

<strong>im</strong>mer wichtigeren Konsumentengruppe. Ehrenreich u.a. (1988, S. 113) beschreiben dies am<br />

Beispiel <strong>de</strong>r USA: „He<strong>im</strong>partys, wie sie in diesem kleinen Industriegewerbe harmlos genannt<br />

wer<strong>de</strong>n, sind eine beliebte Metho<strong>de</strong> bei Frauen, erotische Ausrüstungsgegenstän<strong>de</strong> zu erwer-<br />

ben <strong>und</strong> zugleich eine Sexexpertin ins Wohnz<strong>im</strong>mer zu la<strong>de</strong>n. ‚Tupperware’-Partys, bei <strong>de</strong>nen<br />

Sexhilfen statt Plastikbehälter verkauft wer<strong>de</strong>n, sind heute keine Seltenheit mehr.“ Dass auf<br />

solchen Veranstaltungen für Frauen nicht nur etablierte Erotikartikel (wie z.B. <strong>de</strong>r Vibrator),<br />

son<strong>de</strong>rn auch SM-Accessoires angeboten <strong>und</strong> verkauft wer<strong>de</strong>n, ist mittlerweile schon beinahe<br />

selbstverständlich: „So waren es auch die entsprechen<strong>de</strong>n Gegenstän<strong>de</strong>, die S/M für die bei<br />

Jane Cooper versammelten Frauen in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s Möglichen treten ließen. Eingeführt in<br />

Form <strong>von</strong> Waren, mit Preis <strong>und</strong> sogar in verschie<strong>de</strong>nen Größen, war S/M nicht mehr bizarr<br />

o<strong>de</strong>r abstoßend, son<strong>de</strong>rn einfach etwas, das die neugierige K<strong>und</strong>in ausprobieren konnte“ (ebd.<br />

S. 132f). Sadomasochistische Frauen sind also - dass lässt sich an dieser Stelle zusammenfas-<br />

send feststellen - zumin<strong>de</strong>st hinsichtlich <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit, die ihnen in Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />

Medien geschenkt wird - kein Randphänomen.<br />

Auch wenn Feministinnen die Verbindung Weiblichkeit-Passivität-Masochismus beinahe<br />

einhellig ablehnen, wird Sadomasochismus aber keineswegs einheitlich diskutiert. So wird<br />

<strong>und</strong> wur<strong>de</strong> die Verbindung <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> Gewalt als Quelle sexueller Lust in großen<br />

Teilen <strong>de</strong>r Frauenbewegung gera<strong>de</strong>zu als Erbsün<strong>de</strong> verteufelt. ‚Schmetterlingszarte Berüh-<br />

rungen’ (vgl. Hei<strong>de</strong>r 1986) gehörten zum Weiblichkeitsi<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r siebziger Jahre. Zu Beginn<br />

<strong>de</strong>r achtziger Jahre ent<strong>de</strong>ckte man auch innerhalb <strong>de</strong>r Frauenbewegung eine neue Sinnlich-<br />

101 Vgl. Pott (1991); Der Spiegel (1/86a); Thönnissen (1988)<br />

168


keit, die die Verbindung <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> Gewalt mit einbezog. Dieser Trend stößt keines-<br />

wegs bei allen Frauen auf Verständnis <strong>und</strong> Akzeptanz. Die Befürworterinnen <strong>de</strong>s Sadomaso-<br />

chismus verstehen sich als Protagonistinnen einer Gegenkultur zum Schmusesex (radi-<br />

kal)feministischer Positionen. Die Gegnerinnen sehen darin hingegen die Untergrabung ihres<br />

langjährigen Kampfes gegen Gewalt <strong>und</strong> Unterdrückung durch das Patriarchat. Sie befürch-<br />

ten, das Bekenntnis <strong>von</strong> Frauen, sadistische, aber vor allem masochistische Sexualpraktiken<br />

zu genießen, führe zur Legit<strong>im</strong>ierung <strong>von</strong> Männergewalt <strong>und</strong> zu Problemen für die Öffent-<br />

lichkeitsarbeit <strong>im</strong> Zusammenhang mit Gewalt gegen o<strong>de</strong>r Misshandlung <strong>von</strong> Frauen. 102 Dis-<br />

kutiert wer<strong>de</strong>n dabei sowohl weibliche Masochismusphantasien als auch <strong>de</strong>r praktizierte Sa-<br />

domasochismus <strong>von</strong> Frauen.<br />

1.9.2.2 Weibliche Sexualphantasien<br />

Die Diskussion um das Thema Frauen <strong>und</strong> Sadomasochismus wur<strong>de</strong> 1977 durch zwei Artikel<br />

zu masochistischen Sexualphantasien in <strong>de</strong>r Zeitschrift Emma (9/77; 11/77) entfacht. Es kam<br />

zu unerwarteten Reaktionen verb<strong>und</strong>en mit einer Flut <strong>von</strong> Leserbriefen, in <strong>de</strong>nen Frauen ihre<br />

masochistischen Phantasien beschreiben. Kurz darauf veröffentlichte Nancy Friday (1978)<br />

eine Sammlung sexueller Phantasien <strong>von</strong> Frauen. Sie hatte in <strong>de</strong>n USA über Zeitschriften <strong>und</strong><br />

Annoncen um Schil<strong>de</strong>rungen weiblicher Sexualphantasien gebeten, <strong>und</strong> obwohl keine thema-<br />

tischen Einschränkungen <strong>von</strong> ihr vorgegeben wur<strong>de</strong>n, stellte sich heraus, dass die meisten<br />

weiblichen Sexualphantasien masochistische Inhalte aufweisen. 103 Ihre Veröffentlichung hat<br />

zu heftigen Kontroversen innerhalb <strong>de</strong>r Frauenbewegung geführt.<br />

Ein Teil <strong>de</strong>r Feministinnen bezweifelt, dass in weiblichen Sexualphantasien Gewalt vor-<br />

kommt <strong>und</strong> verweist solche Vorstellungen in das Reich patriarchaler Fabeln <strong>und</strong> Erfindungs-<br />

102 Die Vertreterinnen dieser Positionen stützen sich dabei auf laborexper<strong>im</strong>entelle Untersuchungen, in <strong>de</strong>nen<br />

beispielsweise <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>s Sadomasochismus in Erotica auf die Reaktionen <strong>und</strong> Einstellungen zur Vergewaltigung<br />

<strong>und</strong> ihrer Darstellung gezeigt wer<strong>de</strong>n sollte. Feshbach/Mallamuth (1983, S. 145) kommen in<br />

diesem Zusammenhang zu folgen<strong>de</strong>m Ergebnis: "Es scheint als wür<strong>de</strong>n die Männer, die vorher etwas über<br />

<strong>de</strong>n Genuß einer Frau an Mißhandlungen gelesen hatten, nun die Schmerzäußerungen <strong>de</strong>s Vergewaltigungsopfers<br />

als Zeichen sexueller Erregung <strong>de</strong>uten. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: Die Hemmungen, mit <strong>de</strong>nen man normalerweise<br />

auf Schmerzsignale reagiert, wur<strong>de</strong>n aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Konfrontation mit sadomasochistischem Material<br />

irgendwie verän<strong>de</strong>rt. Zu dieser Deutung paßt auch unsere Ent<strong>de</strong>ckung, daß für diese Männer die sexuelle Erregung<br />

um so stärker war, je stärker sie die Schmerzen <strong>de</strong>s Opfers einschätzten. (...) Es gab auch Hinweise<br />

dafür, daß sich die Männer mit <strong>de</strong>m Täter i<strong>de</strong>ntifizierten, - <strong>und</strong> daß sie eine Vergewaltigung sogar innerhalb<br />

ihres eigenen Verhaltensrahmens als vorstellbar ansahen."<br />

103 Aber nicht nur populärwissenschaftliche Textsammlungen zeigen, dass masochistische Vorstellungsinhalte<br />

wichtiger Bestandteil weiblicher Sexualphantasien sind. In diesem Zusammenhang sei auf die Arbeiten <strong>von</strong><br />

Crepault u.a.(1977); Knafo/Jaffe (1984); Lohs (1983); Talbot u.a. (1980); Trukenmüller (1982) verwiesen.<br />

169


kunst. An<strong>de</strong>re interpretieren weibliche Unterdrückungsphantasien als die Folge spezifischer<br />

Sozialisationserfahrung <strong>und</strong> Ohnmacht, nicht aber als einen Ausdruck weiblichen Masochis-<br />

mus. Sie gestehen zwar ein, dass Sex <strong>und</strong> Gewalt heute in <strong>de</strong>n Phantasien vieler Frauen mit-<br />

einan<strong>de</strong>r verb<strong>und</strong>en sind; dies sei jedoch anerzogen <strong>und</strong> angeprügelt. Lawrenz/Orzegowski<br />

(1988, S. 9) beispielsweise machen vor allem sozio-kulturelle Bedingungen für die Existenz<br />

masochistischer Sexualphantasien <strong>von</strong> Frauen verantwortlich. Sie versuchen, „die Verknüp-<br />

fungen zwischen sexuellen Phantasien, individueller Lebensgeschichte <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Weiblichkeitsbil<strong>de</strong>rn aufzu<strong>de</strong>cken (...)“, <strong>und</strong> sprechen in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> ‚Ge-<br />

wor<strong>de</strong>nheit’ <strong>und</strong> ‚Mehr<strong>de</strong>utigkeit’ solcher Phantasien. Frauen seien aufgr<strong>und</strong> spezifischer<br />

Sozialisationserfahrungen nicht in <strong>de</strong>r Lage, selbstbezogen zu entschei<strong>de</strong>n <strong>und</strong> zu han<strong>de</strong>ln.<br />

Der weibliche Charakter wer<strong>de</strong> in unserer Kultur seit jeher <strong>im</strong>mer mit Aufopferungsbereit-<br />

schaft <strong>und</strong> Verzicht auf <strong>de</strong>n eigenen Willen gleichgesetzt. Sie gehen sogar noch einen Schritt<br />

weiter <strong>und</strong> behaupten, Frauen fehle vor diesem Hintergr<strong>und</strong> die Kenntnis <strong>de</strong>s eigenen Wil-<br />

lens. Das, was sie als eigenen Willen empfin<strong>de</strong>n, sei die Verinnerlichung <strong>de</strong>r äußeren Unter-<br />

drückung, sie sind „schließlich tatsächlich, was die Gesellschaft [ihnen] vorschreibt zu sein“<br />

(ebd. S. 146f). Dies gelte auch für die Sexualität. Daher dürfe ihrem Verständnis nach <strong>de</strong>r<br />

Vorgang <strong>de</strong>r Erniedrigung nicht ignoriert <strong>und</strong> masochistische Sexualphantasien nicht glorifi-<br />

ziert wer<strong>de</strong>n. Das bei Frauen häufige Auftreten masochistischer Phantasieinhalte erscheine<br />

vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r spezifisch weiblichen Sozialisationserfahrungen nur als Folge ihrer<br />

realen Machtlosigkeit. Macht sei aber notwendiger Bestandteil <strong>de</strong>r Lust. An<strong>de</strong>rnfalls müsse<br />

die Lust an <strong>de</strong>r Macht eines an<strong>de</strong>ren teilnehmen, <strong>und</strong> sei es als Opfer. So ließen sich die Phan-<br />

tasiebil<strong>de</strong>r als Versuch <strong>de</strong>s Umgangs mit Unterdrückungsverhältnissen verstehen. Aus Unlust<br />

wür<strong>de</strong> Lust, wenn passiv erlittene Unterdrückung auf initivative Weise in kontrollierbare Situ-<br />

tationen verkehrt wer<strong>de</strong>n könne (vgl. ebd. S. 153). 104<br />

Der Wi<strong>de</strong>rstand <strong>von</strong> Feministinnen gegen die Unterstellung weiblicher Masochis-<br />

musphantasien machte auch vor <strong>de</strong>n „literarisch gestalteten Phantasien <strong>von</strong> Frauen“ (Deja<br />

1991, S. 31) nicht halt. Sie protestierten gegen die Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r freiwilligen Unterwerfung<br />

einer Frau in Pauline Réages Geschichte <strong>de</strong>r O 105 <strong>und</strong> auch die weibliche Autorenschaft die-<br />

104 Lawrenz/Orzegowski (1988) führen aufgr<strong>und</strong> ihrer Erfahrungen mit Frauen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Sommeruniversität<br />

<strong>de</strong>r Frauen unterschiedliche theoretische Erklärungen masochistischer Phantasien an. Die hier beschriebene<br />

mögliche Verflechtung masochistischer Phantasien mit gesellschaftlichen Strukturen wird jedoch <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>n Autorinnen selbst in <strong>de</strong>n Mittelpunkt gestellt <strong>und</strong> kann als stellvertretend für die Argumentation <strong>de</strong>r<br />

Gegnerinnen masochistischer Sexualphantasien <strong>von</strong> Frauen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

105 So z.B. Dworkin (1974) <strong>und</strong> Griffin (1981) <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r feministischen Antipornographiebewegung.<br />

170


ses Romans wur<strong>de</strong> häufig angezweifelt, obwohl sie seit langem bekannt ist. 106 Für gemäßigte-<br />

re Positionen wie beispielsweise Benjamin (1990, S. 81) hingegen ist es „aus psychoanalyti-<br />

scher Sicht (...) unbefriedigend, die Allgegenwart <strong>von</strong> Unterwerfungsphantasien <strong>im</strong> Liebesle-<br />

ben auf eine kulturelle Etikettierung o<strong>de</strong>r auf die allgemeine Geringschätzung <strong>de</strong>r Frau zu-<br />

rückzuführen. Wenn wir schon an<strong>de</strong>re als biologische Erklärungen für <strong>de</strong>n weiblichen Maso-<br />

chismus suchen, so fin<strong>de</strong>n wir diese nicht nur in <strong>de</strong>r Kultur, son<strong>de</strong>rn vor allem <strong>im</strong> Zusam-<br />

menwirken <strong>von</strong> kulturellen <strong>und</strong> psychischen Prozessen.“ Benjamin wen<strong>de</strong>t sich damit gegen<br />

einen feministischen Moralismus, wonach Frauen, die masochistische Sexualphantasien zei-<br />

gen o<strong>de</strong>r gar sexuellen Masochismus praktizieren, einem auf ‚Gehirnwäsche zurückgeführten<br />

Bewusstsein’ verhaftet sind. Ihr Argument ist, dass sich hinter <strong>de</strong>r Faszination <strong>von</strong> Macht <strong>und</strong><br />

Unterwerfung die Sehnsucht nach Anerkennung versteckt <strong>und</strong> an zentraler Stelle erotische<br />

Wünsche für masochistische Sexualphantasien o<strong>de</strong>r gar Beziehungen verantwortlich sind. 107<br />

Während einige Feministinnen noch über die Ursachen <strong>und</strong> die Frage <strong>de</strong>r Zulässigkeit maso-<br />

chistischer Phantasieinhalte streiten, haben sich an<strong>de</strong>re Frauen organisiert, um ihre sadomaso-<br />

chistischen Phantasien auszuleben.<br />

1.9.2.3 Praktizierter Sadomasochismus<br />

1978 grün<strong>de</strong>te die Feministin Pat Califia zusammen mit Gayle Rubin ‚Samois’, eine Organi-<br />

sation sadomasochistischer Lesbierinnen in <strong>de</strong>n USA 108 <strong>und</strong> löste mit ihrem 1980 zum ersten<br />

Mal erschienenen Buch ‚Sapphistrie’ in feministischen <strong>und</strong> lesbischen Kreisen eine heftige<br />

Diskussion über praktizierten Sadomasochismus aus. Sie vertritt darin einen ganz <strong>und</strong> gar<br />

positiven Standpunkt gegenüber solchen Sexualpraktiken. Sadomasochismus ist ihrer Mei-<br />

106 "Die Geschichte <strong>de</strong>r O wur<strong>de</strong> zum ersten Mal 1954 unter <strong>de</strong>m Pseudonym Pauline Réage in Paris veröffentlicht.<br />

Lange Zeit wur<strong>de</strong> darüber spekuliert, wer diesen Roman geschrieben hat. Heute gilt als gesichert,<br />

daß die am 23. September 1907 geborene französische Kritikerin <strong>und</strong> Übersetzerin Dominique Aury, die<br />

wie<strong>de</strong>rum eigentlich Anne Declos heißt, die Autorin ist" (Deja 1991, S. 35).<br />

107 "In <strong>de</strong>r Phantasie <strong>von</strong> <strong>de</strong>r erotischen Unterwerfung drückt sich <strong>de</strong>r Wunsch nach Unabhängigkeit <strong>und</strong> gleichzeitiger<br />

Anerkennung durch <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren aus. Die Impulse, die hinter erotischer Gewalt <strong>und</strong> Unterwerfung<br />

stehen, erwachsen, in wie entfrem<strong>de</strong>ter, beängstigen<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r pervertierter Form sie sich auch äußern mögen,<br />

aus tief verwurzelten Wünschen nach Eigenständigkeit <strong>und</strong> gleichzeitiger Überwindung <strong>de</strong>r eigenen Grenzen.<br />

(...) Das ursprüngliche erotische Moment, <strong>de</strong>r Wunsch nach Anerkennung (...) tritt heute offenbar <strong>im</strong> Sadomasochismus<br />

zutage" (Benjamin 1985, S. 90f).<br />

108 Mittlerweile gibt es auch in Europa ähnliche Zusammenschlüsse <strong>von</strong> lesbischen <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r heterosexuellen<br />

Frauen (<strong>und</strong> Männern). Beispiele sind die Gruppen Slechte Mei<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Wild Si<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, die<br />

<strong>von</strong> Maria Marcus mitgegrün<strong>de</strong>te dänische Gruppe Smil o<strong>de</strong>r die <strong>de</strong>utsche Gruppe Schlagseite. Einen ausführlichen<br />

Überblick über verschie<strong>de</strong>ne SM-Organisationen in Europa <strong>und</strong> <strong>de</strong>n USA gibt Balland (1989).<br />

171


nung nach nichts an<strong>de</strong>res als eine sexuelle Variante, die völlig zu Unrecht tabuisiert <strong>und</strong> ver-<br />

folgt wird. 109 Sexueller Sadomasochismus sei nicht als Gewaltakt zwischen Täter <strong>und</strong> Opfer<br />

zu verstehen. Vielmehr han<strong>de</strong>le es sich um eine freiwillige Handlung, ein erotisches Ritual<br />

zum Ausleben <strong>von</strong> Phantasien, in <strong>de</strong>nen eine Partnerin sexuell dominiert <strong>und</strong> die an<strong>de</strong>re Part-<br />

nerin sich sexuell unterwirft. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es für Califia nicht erstrebenswert, diese<br />

spielerischen Aktivitäten gesetzlich zu reglementieren. Das Gleiche gelte auch für heterose-<br />

xuellen Sadomasochismus.<br />

Aus dieser Argumentation heraus werfen SM-Anhängerinnen manchen Vertreterinnen femi-<br />

nistischer Fraktionen vor, Verhaltensnormen aufzustellen, sexuelle Min<strong>de</strong>rheiten zu unterdrü-<br />

cken <strong>und</strong> zu diskr<strong>im</strong>inieren: „Ich unterstütze we<strong>de</strong>r Vergewaltigung noch sexuellen Miss-<br />

brauch <strong>von</strong> Kin<strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Machtzuwachs <strong>de</strong>r Jugend. Meine Politik ist keine Sexual-<br />

politik <strong>von</strong> Herrschaft <strong>und</strong> Unterwerfung, son<strong>de</strong>rn eine Sexualität <strong>von</strong> Herrschaft <strong>und</strong> Unter-<br />

werfung, die ich kontrollieren kann. Sexualpolitik <strong>de</strong>finiert Sexualität als höher- <strong>und</strong> gerin-<br />

gerwertig. Sie versuchen, mich zu dominieren <strong>und</strong> meine Sexualität ihrem Wertesystem zu<br />

unterwerfen. Das ist Sexualfaschismus“ (Rubin, zit. nach Plogstedt 1982, S. 20). Auch Sich-<br />

termann (1985, S. 39f) wirft <strong>de</strong>r Frauenbewegung vor, an <strong>de</strong>r Domestizierung <strong>von</strong> Sexualität<br />

mitzuarbeiten, „in<strong>de</strong>m sie etwa glauben macht, es bräche ein sexueller Frie<strong>de</strong>n aus, sobald nur<br />

die Männer das Feld räumen o<strong>de</strong>r wenigstens <strong>de</strong>ssen <strong>von</strong> Frauen zu formulieren<strong>de</strong> friedlich-<br />

ein<strong>de</strong>utige Gesetzmäßigkeit respektieren“ <strong>und</strong> wen<strong>de</strong>t sich damit gegen die „Fiktion <strong>von</strong> Ei-<br />

erkuchensexualität, in <strong>de</strong>r zwei lächeln<strong>de</strong> Gesichter <strong>und</strong> vier offene Arme zufrie<strong>de</strong>n ineinan-<br />

<strong>de</strong>rsinken“ (ebd. S. 35). Dem Bild weiblich-friedlicher Sexualität stellt Sichtermann das <strong>de</strong>r<br />

‚Schmerz-Lust’ o<strong>de</strong>r ‚Militanz <strong>de</strong>s sexuellen Frie<strong>de</strong>ns’ gegenüber.<br />

Seit <strong>de</strong>r Veröffentlichung masochistischer Phantasien <strong>von</strong> Frauen <strong>und</strong> Califias Streitschrift<br />

zum praktizierten Sadomasochismus kreisen die Überlegungen <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r um die Frage,<br />

wie sich die Tatsache, dass weibliche Unterwerfung auch für Frauen zum erotischen Reiz<br />

wer<strong>de</strong>n kann, mit <strong>de</strong>n emanzipatorischen Vorstellungen <strong>und</strong> For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Frauenbewe-<br />

gung in Einklang bringen lässt. Die Gegenerinnen sagen ‚überhaupt nicht’. Sie verurteilen<br />

Sadomasochismus als die Verkörperung sexistischen Denkens <strong>und</strong> die Verinnerlichung patri-<br />

archalischer Strukturen, die nicht nur in heterosexuellen, son<strong>de</strong>rn auch in homosexuellen SM-<br />

Beziehungen zum Ausdruck kommen. Frauen, die die Position <strong>von</strong> Samois vertreten, wird<br />

vorgeworfen, sich nicht am Feminismus zu orientieren, son<strong>de</strong>rn unkritisch die Philosophie<br />

109 Ebenso wie Califia betont Benjamin (1990) <strong>de</strong>n Unterschied zwischen rituellen Akten <strong>von</strong> Macht <strong>und</strong> Unterwerfung,<br />

die subjektiv als lustvoll erlebt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Akten physischer Gewalt o<strong>de</strong>r Vergewaltigung, die<br />

unfreiwillig geschehen <strong>und</strong> keineswegs provoziert wor<strong>de</strong>n sind, Gewalt <strong>und</strong> Herrschaft in <strong>de</strong>r Politik o<strong>de</strong>r in<br />

sozialen Lebenszusammenhängen.<br />

172


<strong>de</strong>s ‚sexual liberation movement’ übernommen zu haben, wonach alles, was sich gut anfühlt,<br />

auch gut ist (vgl. Leidholdt 1982/83). Gleichsam als Antwort auf die Gründung <strong>von</strong> Samois<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Veröffentlichung <strong>von</strong> Sapphistrie erschien 1982 ‚Against Sadomasochism’ (vgl. Lin-<br />

<strong>de</strong>n u.a. 1982). Hier setzen sich unterschiedliche Autorinnen mit <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Vereinbarkeit<br />

emanzipatorischer Ziele mit sadomasochistischen Sexualphantasien resp. -praktiken ausein-<br />

an<strong>de</strong>r <strong>und</strong> stellen die Freiwilligkeit <strong>de</strong>s Verhaltens infrage. Auch an<strong>de</strong>re Frauen üben <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>de</strong>r harte Kritik an <strong>de</strong>r Befürwortung <strong>de</strong>s Sadomasochismus, <strong>de</strong>n sie als Derivat chauvini-<br />

stisch-pornographischer Inszenierungen <strong>de</strong>r Sexualität begreifen <strong>und</strong> wen<strong>de</strong>n sich gegen das<br />

„avantgardistische Kokettieren links-alternativer Libertins mit sexistischen Botschaften <strong>de</strong>r<br />

kommerziellen Pornoindustrie“ (Hei<strong>de</strong>r 1987, S. 42). Wenn Hei<strong>de</strong>r auch nicht dafür plädiert,<br />

<strong>de</strong>n Sadomasochisten ‚das Handwerk zu legen’, so kritisiert sie die Verherrlichung <strong>von</strong><br />

Macht, Gewalt <strong>und</strong> Unterwerfung in <strong>de</strong>r Sexualität, beispielsweise <strong>de</strong>n Fall, dass die Verlege-<br />

rin <strong>de</strong>s Konkursbuch-Verlages „das Photo eines nackt gefesselten Kin<strong>de</strong>s <strong>im</strong> Dienst an <strong>de</strong>r<br />

‚spielerischen Freiheit <strong>de</strong>r Lust’“ (ebd.) veröffentlicht. Sie wen<strong>de</strong>t sich damit gegen eine<br />

„Verbrämung sadomasochistisch strukturierter Verhältnisse“ (Hei<strong>de</strong>r 1986, S. 36) <strong>und</strong> gegen<br />

die Behauptung, Sexualität o<strong>de</strong>r Liebe seien gr<strong>und</strong>sätzlich gewalttätig <strong>und</strong> leidvoll. Hinzu<br />

kommt als wesentlicher Kritikpunkt, dass die Aufmachung <strong>de</strong>s SM-Rituals <strong>und</strong> <strong>de</strong>r -Akteure<br />

oftmals an faschistische Folterszenarien erinnere <strong>und</strong> nicht selten Ausdruck einer ebensolchen<br />

Gesinnung sei. Gera<strong>de</strong> die ‚militant’ gestylten Le<strong>de</strong>rmänner <strong>und</strong> Stiefellesben sind hier ange-<br />

sprochen.<br />

Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zwischen diesen bei<strong>de</strong>n Positionen wird mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten<br />

Mitteln geführt. Zur Propagierung ihrer Art <strong>von</strong> Sexualität veranstalten beispielsweise SM-<br />

Lesben in <strong>de</strong>n USA Demonstrationen <strong>und</strong> sonstige Veranstaltungen (vgl. Wetzstein u.a.<br />

1993). Feministinnen verteilen Flugblätter, in <strong>de</strong>nen sie <strong>de</strong>n Sadomasochistinnen die Glorifi-<br />

zierung <strong>von</strong> Herrschaft <strong>und</strong> Unterwerfung vorwerfen. In <strong>de</strong>n amerikanischen Buchlä<strong>de</strong>n fin-<br />

<strong>de</strong>n Diskussionen statt, ob man die Bücher boykottieren soll, in <strong>de</strong>n Frauenzentren Diskussio-<br />

nen, ob die SM-Gruppe sich dort treffen darf (vgl. Plogstedt 1987). In <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik<br />

fin<strong>de</strong>n trotz heftiger Proteste <strong>im</strong>mer mehr Frauen- o<strong>de</strong>r Lesbenveranstaltungen statt, auf <strong>de</strong>-<br />

nen SM-Filme gezeigt wer<strong>de</strong>n (vgl. Klausmann 1987). Es gibt spezielle Internetforen <strong>und</strong><br />

Gesprächskreise für SM-Lesben. Die Fronten haben sich <strong>de</strong>nnoch so weit verhärtet, dass eine<br />

Diskussion innerhalb <strong>de</strong>r Frauenbewegung um das Für <strong>und</strong> Wi<strong>de</strong>r sadomasochistischer Sexu-<br />

alpraktiken kaum mehr möglich zu sein scheint, 110 was sich auch in <strong>de</strong>n gelegentlichen Schlä-<br />

110 "Für viele Frauen ist schon die Kombination <strong>von</strong> Feminismus <strong>und</strong> Sadomasochismus (S/M) eine ungeheure<br />

Provokation (...) <strong>und</strong> ruft wüten<strong>de</strong> Empörung hervor" (Emma 4/82, S. 50). Diese Erfahrung konnten wir <strong>im</strong><br />

Rahmen unserer Datenerhebung machen, als uns <strong>von</strong> einer Frauen- <strong>und</strong> Lesbengruppe die Unterstützung mit<br />

173


gereien bei Treffen <strong>von</strong> Lesben <strong>und</strong> SM-Lesben zeigt, wie eine <strong>von</strong> uns befragte Sadomaso-<br />

chistin bemerkte.<br />

Typisch für die Diskussion <strong>und</strong> die Argumente ist, dass die SM-Debatte in <strong>de</strong>r Frauenbe-<br />

wegung <strong>im</strong>mer nur eine Masochismusdiskussion ist. Während die sexuelle Unterwerfung <strong>von</strong><br />

Frauen problematisiert wird, ist die (mögliche) Existenz <strong>von</strong> Sadistinnen kein Thema. Inner-<br />

halb <strong>de</strong>r Masochismusdiskussion zeigt sich, dass ein großes Spektrum <strong>von</strong> weiblichen Verhal-<br />

tensweisen als masochistisch bezeichnet wird. 111 Die einen sprechen vom sexuellen Maso-<br />

chismus, <strong>de</strong>r Erregung, St<strong>im</strong>ulans <strong>und</strong> Orgasmus be<strong>de</strong>utet. Daneben wird eine Art autoritärer<br />

(moralischer o<strong>de</strong>r kultureller) Masochismus diskutiert, die wi<strong>de</strong>rstandslose Unterordnung<br />

unter Autoritäten aller Art, <strong>und</strong> nicht zuletzt <strong>de</strong>r weibliche Masochismus, die Frauenrolle an<br />

sich, „die <strong>von</strong> einem Sklavenleben mit Befehlen, Verboten <strong>und</strong> raffinierten Strafen han<strong>de</strong>lt,<br />

die verinnerlichte Polizei, das schlechte Gewissen, das sofort in Aktion tritt, sobald wir keine<br />

guten Mütter, Geliebten, Hausfrauen usw. mehr sind“ (Marcus 1982/83, S. 95). 112 Die Prota-<br />

gonistinnen sadomasochistischer Praktiken möchten sexuellen Sadomasochismus aber los<br />

geslöst sehen <strong>von</strong> <strong>de</strong>n unterschiedlichen Formen subtiler Gewalt <strong>und</strong> Unterdrückung, <strong>von</strong><br />

hierarchischen Strukturen in unserer Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>im</strong> sozialen <strong>und</strong> politischen Leben. Die<br />

Gegnerinnen bestehen auf einer engen Verflechtung zwischen diesen unterschiedlichen Aus-<br />

drucksformen <strong>von</strong> Macht <strong>und</strong> Unterwerfung. Frauen, die sich jenseits feministisch-<br />

subkultureller Organisationsformen bewegen, Arbeiterinnen, Angestellte, Hausfrauen usw.,<br />

kommen in <strong>de</strong>n meisten Analysen überhaupt nicht zu Wort. Ich habe auch die Perspektive<br />

<strong>de</strong>rjenigen Frauen rekonstruiert, die ansonsten in Wissenschaft <strong>und</strong> Medien kaum Berücksich-<br />

tigung fin<strong>de</strong>n, vielleicht weil man sich <strong>von</strong> ihnen nichts son<strong>de</strong>rlich ‚Aufregen<strong>de</strong>s’ verspricht.<br />

<strong>de</strong>m Hinweis verweigert wur<strong>de</strong>: Wer behauptet, Frauen hätten auch noch Spaß daran, SM zu praktizieren,<br />

hat bei uns nichts zu suchen.<br />

111 Hierauf verweist auch Caplan (1986, S. 51): "Wie wir bereits festgestellt haben, hatte <strong>de</strong>r Begriff 'masochistisch'<br />

ursprünglich eine sehr spezifische Be<strong>de</strong>utung, nämlich Schmerz zu genießen. Inzwischen wird dieser<br />

äußerst spezielle Begriff jedoch auf eine Reihe <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren - meistens weiblichen - Verhaltensformen angewandt,<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch hat er seinen Beigeschmack <strong>von</strong> Krankhaftigkeit <strong>und</strong> Abnormität beibehalten. (...) Selbst<br />

zu Freuds Lebzeiten (war es) 'überraschend', daß sich <strong>de</strong>r Begriff 'Masochismus' in kurzer Zeit <strong>de</strong>rart verbreitet<br />

hatte <strong>und</strong> daß er auf die verschie<strong>de</strong>nsten Phänomene angewandt wur<strong>de</strong>, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen man früher nicht gedacht<br />

hätte, sie hätten mit Masochismus, so, wie man ihn ursprünglich verstand, etwas zu tun."<br />

112 Bereits Freud (1940) hat unterschiedliche Formen <strong>de</strong>s Masochismus beschrieben: a) Masochismus als Lebenseinstellung<br />

(moralischer Masochismus), b) Masochismus in seiner femininen Gestalt, als Ausdruck <strong>de</strong>s<br />

weiblichen Wesens (femininer Masochismus) <strong>und</strong> c) Masochismus in 'Reinkultur' als eine Beson<strong>de</strong>rheit sexueller<br />

Erregung (<strong>de</strong>r erogene Masochismus). Auch Reik (1941/1977) unterschied zwischen Masochismus<br />

als einer sexuellen Perversion <strong>und</strong> einer Lebenseinstellung, die <strong>de</strong>m Ich ein unterwürfiges <strong>und</strong> lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s<br />

Verhalten vorschreibt. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Annahmen <strong>de</strong>r Feministinnen beruht nach Meinung Freuds <strong>und</strong><br />

Reiks aber nicht <strong>de</strong>r sexuelle Masochismus auf <strong>de</strong>m sozialen, son<strong>de</strong>rn umgekehrt <strong>de</strong>r soziale Masochismus<br />

auf <strong>de</strong>m sexuellen: "Jene Form <strong>de</strong>s All-ro<strong>und</strong>-Masochismus, die wir hier als soziale beschreiben, hat sich aus<br />

<strong>de</strong>r sexuellen Triebneigung entwickelt" (ebd. S. 331).<br />

174


Zusammenfassung <strong>und</strong> Thesen<br />

In <strong>de</strong>r feministischen Debatte über <strong>de</strong>n Sadomasochismus - das hat die synoptische Durch-<br />

sicht <strong>und</strong> Analyse <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Literatur <strong>de</strong>utlich gemacht - wer<strong>de</strong>n sehr unterschiedli-<br />

che <strong>und</strong> z.T. gegensätzliche Standpunkte vertreten. Diese Auffassungen möchte ich zu zwei<br />

Thesen verdichten:<br />

These 1: Weiblicher Masochismus ist <strong>de</strong>r Ausdruck geschlechtsspezifischer Soziali-<br />

sationsverläufe <strong>und</strong> patriarchaler Machtfigurationen<br />

Masochistische Verhaltensweisen sind <strong>de</strong>r Versuch, die Erfahrung <strong>von</strong> Hilflosigkeit, Ohn-<br />

macht <strong>und</strong> Unterordnung durch entsprechen<strong>de</strong> Transformationsleistungen in Lusterlebnisse<br />

umzufunktionieren <strong>und</strong> aus diesen Gefühlen Befriedigung zu gewinnen. Die Prädisposition<br />

für diese Verhaltensform ist die Folge spezifischer Sozialisationsbedingungen <strong>von</strong> Frauen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r damit einhergehen<strong>de</strong>n gesellschaftlichen Machtlosigkeit. Dementsprechend gewinnen<br />

Frauen aus ihrer ‚Lust am Leid’ keine sexuelle Erfüllung o<strong>de</strong>r Befriedigung. Ihr Masochismus<br />

ist vielmehr eine Art opiatisches Surrogat, das die Last <strong>de</strong>s Frauseins unter <strong>de</strong>n Bedingungen<br />

patriarchaler Machtfigurationen erträglicher machen soll. Wenn über <strong>de</strong>n Masochismus <strong>de</strong>r<br />

Frau gesprochen wird, ist also ein sozialer Masochismus gemeint, <strong>de</strong>r sich allerdings auch <strong>im</strong><br />

sexuellen Verhalten manifestieren kann.<br />

These 2: Der Sadomasochismus <strong>von</strong> Frauen ist eine freiwillige sexuelle Erfahrung<br />

Auch wenn <strong>de</strong>r Sadomasochismus bei (Männern <strong>und</strong>) Frauen gelegentlich einen zwanghaften<br />

Charakter annehmen kann, ist die Umsetzung in ein entsprechen<strong>de</strong>s Verhalten zumeist ein<br />

willentlicher Wahlakt. Das tatsächliche Verhalten wird in verschie<strong>de</strong>nen Soziotopen kultiviert<br />

<strong>und</strong> ausgelebt. Frauen leben dabei keineswegs nur passive Sehnsüchte in Folge best<strong>im</strong>mter<br />

Kompensationszwänge aus, son<strong>de</strong>rn haben - genau wie Männer auch - Lust an <strong>de</strong>r Dominanz<br />

<strong>und</strong> am Herrschen. Die ‚grausame Frau’ ist <strong>de</strong>mnach nicht nur eine literarische Fiktion, son-<br />

<strong>de</strong>rn sie personalisiert sich auch in <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit. Die Erfahrungen, die durch<br />

submissive <strong>und</strong> dominante Verhaltensformen gemacht wer<strong>de</strong>n, äußern sich als sexuelle Lust<br />

<strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r psychische <strong>und</strong> physische Außeralltäglichkeits- <strong>und</strong> Ekstaseerfahrung.<br />

175


1.9.2.4 Frauen in <strong>de</strong>r SM-Szene<br />

Um zu prüfen, welche <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Thesen am ehesten empirisch zutrifft, habe ich Fallanalysen<br />

durchgeführt. Sie erlauben <strong>de</strong>m Forscher tiefergehen<strong>de</strong> Einsichten in schwer zugängliche Un-<br />

tersuchungsfel<strong>de</strong>r, in<strong>de</strong>m sie die Komplexität eines Falles erhalten <strong>und</strong> Zusammenhänge <strong>von</strong><br />

Funktions- <strong>und</strong> Lebensbereichen in <strong>de</strong>r Ganzheit <strong>de</strong>r Person sowie ihrem lebensgeschichtli-<br />

chen Hintergr<strong>und</strong> erfassen. Die biographischen Porträts <strong>von</strong> Frauen mit sadomasochistischen<br />

Interessen habe ich nach verschie<strong>de</strong>nen Aspekten strukturiert, die <strong>de</strong>n Schlüssel zum Phäno-<br />

men <strong>de</strong>s weiblichen Sadomasochismus liefern sollen:<br />

Abb.: Struktur <strong>de</strong>r Fallanalysen<br />

Biographischer Hintergr<strong>und</strong> Erziehung<br />

176<br />

Kindheit<br />

Jugend<br />

Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen Realisierung<br />

Partizipation<br />

Partner<br />

SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle Selbstbild<br />

Bewertung<br />

Emanzipation<br />

Durch die Einbeziehung <strong>de</strong>s ‚biographischen Hintergr<strong>und</strong>s’ lassen sich die spezifischen Sozi-<br />

alisationsverläufe nachzeichnen. Wenn ich durch dieses Vorgehen auch keine ätiologischen<br />

Aussagen treffen kann, so lässt sich mit diesen Daten doch die Frage beantworten, ob tatsäch-<br />

lich - wie <strong>von</strong> vielen Autorinnen <strong>und</strong> Autoren vermutet - traditionelle weibliche Erziehungs-<br />

inhalte eine prägen<strong>de</strong> Funktion übernehmen. In <strong>de</strong>r Kategorie ‚Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen’<br />

wer<strong>de</strong>n die spezifischen Realisierungs- <strong>und</strong> Partizipationsformen <strong>von</strong> SM <strong>und</strong> die Beziehun-<br />

gen zu <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Partnern dargestellt. Durch die Untersuchung dieser Frage möchte<br />

ich feststellen, ob überhaupt genuin weibliche Teilnahmeformen am Sadomasochismus exis-<br />

tieren. Die Ausprägung ‚SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle’ behan<strong>de</strong>lt die Art <strong>und</strong> Weise, wie die<br />

Neigungen in Bezug auf das Rollenverständnis als Frau einzuordnen sind <strong>und</strong> welche Formen<br />

<strong>de</strong>r Integration in alltägliche Lebenszusammenhänge beobachtbar sind. Gleichzeitig ist zu


fragen, wie die Erfahrungen mit sadomasochistischen Sexualpraktiken bewertet wer<strong>de</strong>n. Aber<br />

auch die Reflexion feministischer Auffassungen durch die Sadomasochistinnen geben Hin-<br />

weise auf ihr Selbstbild. Bei <strong>de</strong>n dargestellten Fallbeispielen han<strong>de</strong>lt es sich ausschließlich<br />

um heterosexuelle Frauen, die entwe<strong>de</strong>r passiv o<strong>de</strong>r aktiv sind. In einem Fall wechselt die<br />

Rollenpräferenz. Finanzielle Interessen spielen bei ihnen keine Rolle.<br />

1.9.2.5 Fallbeispiele masochistischer <strong>und</strong> sadistischer Frauen<br />

Fall 1: Vanessa - ...ich suche einen Typen, <strong>de</strong>r mich prügelt<br />

Den Kontakt zu Vanessa konnten wir über eine SM-Gruppe knüpfen. Wir besuchten sie in<br />

ihrer Wohnung, wo wir auch noch an<strong>de</strong>re SM-Interessierte interviewen konnten. Von ihrem<br />

äußeren Erscheinungsbild lassen sich keine Rückschlüsse auf ihre sadomasochistischen Nei-<br />

gungen schließen. Vanessa hat ein ruhiges, fre<strong>und</strong>liches <strong>und</strong> selbstsicheres Auftreten. Im<br />

Rahmen ihrer sadomasochistischen Neigungen n<strong>im</strong>mt sie partnerspezifisch sowohl die aktive<br />

als auch die passive Rolle ein.<br />

Allgemeine Lebensumstän<strong>de</strong><br />

Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Interviews ist Vannessa 30 Jahre alt <strong>und</strong> lebt in einer Großstadt. Sie hat<br />

eine feste Beziehung zu einem Mann, mit <strong>de</strong>m sie aber nicht zusammen wohnt, weil sie sich<br />

dadurch in ihrem Freiraum beschnitten fühlen wür<strong>de</strong>. Ihre Schul- <strong>und</strong> Berufsausbildung er-<br />

laubt es ihr, eine berufliche Position zu beklei<strong>de</strong>n, die ihr nicht nur finanzielle Unabhängig-<br />

keit, son<strong>de</strong>rn auch gesellschaftliche Macht gewährt: Sie ist Aka<strong>de</strong>mikerin <strong>und</strong> arbeitet für<br />

eine Computerfirma. Ihr Aufgabenprofil ist auf Selbständigkeit <strong>und</strong> Entscheidungsbefugnis<br />

angelegt.<br />

Biographischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Vanessa wuchs mit ihren Geschwistern auf <strong>de</strong>m Land auf. Sie hatte einen sehr strengen A-<br />

doptivvater, <strong>de</strong>n ihre Mutter heiratete, als sie fünf Jahre alt war. Er legte sehr viel Wert auf<br />

gute schulische Leistungen, was für Vanessa jedoch kein Problem war, da sie diesem An-<br />

spruch gerecht wer<strong>de</strong>n konnte. Dennoch hatte sie als Kind Angst vor ihrem Adoptivvater,<br />

weshalb sie ihrer Meinung nach als erwachsene Frau eine Zeit lang Depressionen hatte: Also<br />

177


wenn mein Vater nach Hause kam, ist <strong>von</strong> da ab je<strong>de</strong>r <strong>von</strong> uns auf Zehenspitzen getreten, hat<br />

die Türen vorsichtig zugemacht, sonst gab es wie<strong>de</strong>r Geschrei. Vanessas Mutter war auch<br />

berufstätig <strong>und</strong> hatte wenig Zeit, sich um ihre Kin<strong>de</strong>r zu kümmern: Sie konnte keinen ausglei-<br />

chen<strong>de</strong>n Pol zur strengen Erziehung meines Vaters darstellen. (...) Entwe<strong>de</strong>r gab es Stress mit<br />

meiner Alten o<strong>de</strong>r mit meinem Vater. Mit irgen<strong>de</strong>inem hattest du <strong>im</strong>mer Theater. Um dieser<br />

Situation auszuweichen, zog Vanessa mit 18 Jahren <strong>von</strong> Zuhause aus. In unserem Gespräch<br />

erwähnte sie noch, dass sie als Kind mit sechs o<strong>de</strong>r sieben Jahren sexuell missbraucht wor<strong>de</strong>n<br />

sei, konnte für sich hier jedoch keine f<strong>und</strong>ierten Zusammenhänge zu ihrer SM-Neigung for-<br />

mulieren. Dieses extreme Unter-Druck-Gesetztsein <strong>von</strong> Seiten ihres Adoptivvaters in <strong>de</strong>r<br />

Kindheit sieht sie aber ein<strong>de</strong>utig <strong>im</strong> Zusammenhang mit ihren masochistischen Neigungen.<br />

Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

Vanessa datiert ihre ersten sadomasochistischen Phantasien auf die Zeit vor <strong>de</strong>r Pubertät.<br />

Obwohl sie diese Phantasien auch gezielt zur Masturbation einsetzte, empfand sie ihre Vor-<br />

stellungen als sehr befremdlich <strong>und</strong> wollte sie <strong>de</strong>shalb zunächst nicht zulassen: Ich dachte,<br />

das ist irgendwie pervers, krank. Es ist eine Geschichte, die ganz klar in <strong>de</strong>r Phantasie blei-<br />

ben muss, weil es keine Leute gibt, die so etwas machen. Die Annahme, nicht normal zu sein<br />

<strong>und</strong> die eigenen sexuellen Phantasien <strong>de</strong>shalb niemals realisieren zu können, wur<strong>de</strong> durch die<br />

Rezeption verschie<strong>de</strong>ner pornographischer Medien verstärkt. Als Jugendliche stieß Vanessa<br />

auf ein SM-Magazin, in <strong>de</strong>m Erziehungsspiele dargestellt wur<strong>de</strong>n: Es ging um physische Er-<br />

niedrigung, die mich natürlich tierisch angemacht hat. Aber das ganze Drumherum kam mir<br />

einfach so lächerlich vor, dass ich mir nie <strong>im</strong> Leben vorstellen konnte, das mal zu praktizie-<br />

ren. Und ich dachte mir auch, ‚Du bist ganz schön neben <strong>de</strong>r Kappe. Es ist ganz faul, was ich<br />

mir an Phantasien vorstelle.’ Aus diesem Gr<strong>und</strong>e erzählte Vanessa zunächst nieman<strong>de</strong>m da-<br />

<strong>von</strong> <strong>und</strong> in ihren ersten Partnerbeziehungen spielten sadomasochistische Sexualpraktiken kei-<br />

ne Rolle.<br />

Ihren ersten sadomasochistischen Kontakt knüpfte Vanessa als junge Frau über eine Annonce.<br />

Die praktischen Erfahrungen, die sie dabei mit <strong>de</strong>m Sadomasochismus machte, waren negativ.<br />

Sie geriet an einen Mann, <strong>von</strong> <strong>de</strong>m sie gegen ihren Willen geprügelt <strong>und</strong> ge<strong>de</strong>mütigt wur<strong>de</strong>:<br />

Der Typ ist weitgehend ausgerastet <strong>und</strong> ich habe halt die dollste Prügel meines Lebens kas-<br />

siert. Auf <strong>de</strong>n Typen bin ich über eine Anzeige reingefallen. Ich war ganz frisch in <strong>de</strong>r ganzen<br />

Szene <strong>und</strong> bin halt blö<strong>de</strong> <strong>und</strong> dumm zu ihm in die Wohnung gegangen, ohne mich telefonisch<br />

zu covern o<strong>de</strong>r sonst irgendwas. Alles Sachen, die ich jetzt nicht mehr tun wür<strong>de</strong>. Dennoch<br />

ließ sich Vanessa nicht da<strong>von</strong> abhalten, auf eine weitere Kontaktanzeige zu antworten <strong>und</strong><br />

sich mit einem frem<strong>de</strong>n Mann zu treffen, <strong>de</strong>nn die Misshandlungssituation war trotz aller Ge-<br />

178


fahr aufregend für sie: Ich habe festgestellt, dass die Sachen, die in <strong>de</strong>r Scheißsituation am<br />

extremsten waren, mich <strong>von</strong> Kopf her am meisten gekickt haben. Nämlich die Situationen, wo<br />

ich ausgeliefert war, wo ich keinen Einfluss mehr hatte. Und dann habe ich gedacht, ‚Wenn es<br />

dich so anmacht, obwohl es so eine Scheißsituation war, dann schau dir doch noch ein paar<br />

Leute an. Vielleicht ist ja doch jemand dabei, <strong>de</strong>r halbwegs so drauf ist wie du.’ Bei ihrem<br />

nächsten Kontakt stellte sich heraus, dass Masochismus - entsprechend ihrer Vorstellungen -<br />

praktikabel ist.<br />

Nach<strong>de</strong>m Vanessa sich ungefähr ein Jahr lang über Kontaktanzeigen mit verschie<strong>de</strong>nen Män-<br />

nern getroffen hatte, um ihre passiven Neigungen zu realisieren, fand sie über Feten-Kontakte<br />

entsprechen<strong>de</strong> Partner für ihre dominanten Interessen. Heute realisiert Vanessa ihre masochis-<br />

tischen Neigungen ausschließlich in <strong>de</strong>r Beziehung zu ihrem festen Lebenspartner, wohinge-<br />

gen sie ihre dominanten Neigungen mit verschie<strong>de</strong>nen an<strong>de</strong>ren Männern auslebt. Aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r offenen Beziehung zwischen ihr <strong>und</strong> ihrem Lebenspartner ist das für bei<strong>de</strong> problemlos<br />

möglich.<br />

In <strong>de</strong>r Stadt, in <strong>de</strong>r Vanessa lebt, gibt es eine gut organisierte Szene, die regelmäßig verschie-<br />

<strong>de</strong>ne Veranstaltungen durchführt. Vanessa ist in diese Szene integriert <strong>und</strong> engagiert sich für<br />

die Interessen <strong>de</strong>r Sadomasochisten/Innen: Ich bin in zwei Gesprächsgruppen, in einem Ar-<br />

beitskreis, ich gehe zum Stammtisch, ich bin dabei, die Feten zu organisieren usw. Das heißt,<br />

ich bin in meinen Gruppenaktivitäten sowieso sehr weit in die Szene eingeb<strong>und</strong>en. (...) Wir<br />

wollen auch eine Frauengruppe ins Leben rufen. Wir haben uns bis jetzt ein paarmal getrof-<br />

fen, um über frauenspezifische Themen <strong>und</strong> Probleme zu diskutieren. Es ist aber noch nichts<br />

festes.<br />

SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle<br />

Vanessa hat heute keine Probleme mehr damit, sich offen zu ihren sadomasochistischen Nei-<br />

gungen zu bekennen. Hierauf verweisen auch die in ihrer Wohnung für je<strong>de</strong>n sichtbaren SM-<br />

Utensilien (Rohrstock, Krokodilklammern, Reitgerte etc.) sowie ihre Mitwirkung an einem<br />

Fernsehbeitrag zum Thema Sadomasochismus. Diese Situation war - wie bereits ange<strong>de</strong>utet -<br />

aber nicht <strong>im</strong>mer so. Vanessa bewegte sich lange Zeit in feministischen Kreisen <strong>und</strong> ihr Se-<br />

xualverhalten stand <strong>im</strong> krassen Gegensatz zu <strong>de</strong>n Anliegen feministischer Positionen: Ich hat-<br />

te Probleme, gera<strong>de</strong> als Frau, die gr<strong>und</strong>sätzlich gegen jegliche Gewalt <strong>und</strong> Unterdrückung<br />

<strong>von</strong> Frauen ist, hinzugehen <strong>und</strong> zu sagen, ‚Ich suche einen Typen, <strong>de</strong>r mich prügelt’ - anstatt<br />

allen Typen abzugewöhnen, dass sie Frauen prügeln. An <strong>de</strong>r Geschichte wäre ich fast zerris-<br />

sen. Darunter habe ich gelitten. (...) Durch die Symbolik, die in <strong>de</strong>m Ganzen drinliegt, schlägt<br />

179


das sehr, sehr in die ganzen Patriarchatskisten rein. Das ist extrem, sich gera<strong>de</strong> als Frau <strong>von</strong><br />

einem Typen vermachen zu lassen. Der feministische Frauenanspruch <strong>und</strong> das Selbstverständ-<br />

nis, das Vanessa als Frau hatte, ließ sich für sie zunächst also nur sehr schwer mit <strong>de</strong>r Tatsa-<br />

che vereinbaren, sich einem Mann - wenn auch nur sexuell - zu unterwerfen. Erst <strong>de</strong>r Einstieg<br />

<strong>und</strong> die Integration in eine organisierte Szene befreite sie <strong>von</strong> ihrem selbst auferlegten Stigma<br />

<strong>de</strong>r Außenseiterin: Als ich Leute aus <strong>de</strong>r Szene traf, habe ich festgestellt, dass an<strong>de</strong>re auch<br />

auf SM stehen <strong>und</strong> trotz<strong>de</strong>m herzerfrischend normal sind. Das war wirklich so eine richtige<br />

Befreiungsgeschichte. Leute zu treffen <strong>und</strong> festzustellen, die stehen darauf, die praktizieren es<br />

auch. Leute, die am ehesten so meiner sonstigen Szene <strong>von</strong> Leuten entsprechen, mit <strong>de</strong>nen ich<br />

mich umgebe, also etwa in meinem Alter sind <strong>und</strong> politisch halbwegs ähnlich <strong>de</strong>nken wie ich.<br />

Das hat mir total gut getan. Da hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass das irgendwie so ein<br />

Ding ist, das an mir an<strong>de</strong>rs ist, als an an<strong>de</strong>ren Leuten, son<strong>de</strong>rn ich habe mich halt wie<strong>de</strong>rge-<br />

f<strong>und</strong>en in <strong>de</strong>n Leuten, die das auch wollen.<br />

Die Frage, ‚Dürfen Frauen, die sich <strong>im</strong> Alltag feministischen I<strong>de</strong>alen verpflichtet fühlen, in<br />

ihrer Sexualität masochistisch sein?’, war für Vanessa ein großes Problem. Es brachte sie aber<br />

nicht nur in ständigen Konflikt mit sich selbst, son<strong>de</strong>rn vor allem mit ihrem sozialen Umfeld.<br />

Keine ihrer Fre<strong>und</strong>innen konnte verstehen, wie sie sich als selbstbewusste <strong>und</strong> emanzipierte<br />

Frau mit sadomasochistischen Sexualpraktiken i<strong>de</strong>ntifizieren konnte. Dennoch wur<strong>de</strong> dieser<br />

Umstand, so Vanessas Einschätzung, <strong>von</strong> Frauen, die nicht in die Frauenszene integriert wa-<br />

ren, - wenn auch mit Unbehagen - akzeptiert. An<strong>de</strong>rs verhielt es sich mit Feministinnen. Ins-<br />

beson<strong>de</strong>re durch ihr Eingeständnis, sich einem Mann sexuell zu unterwerfen, stieß sie in die-<br />

sen Reihen als Verräterin feministischer I<strong>de</strong>ale auf Ablehnung <strong>und</strong> Verachtung, wohingegen<br />

ihre sadistischen Interessen akzeptiert wur<strong>de</strong>n: Ich habe darüber meine zeitlebens beste<br />

Fre<strong>und</strong>in verloren. Der beson<strong>de</strong>re Clou an <strong>de</strong>m Ganzen ist, dass die eine SM-Lesbe ist, die<br />

auch sehr wohl selber SM macht. Aber ich mache es mit Typen <strong>und</strong> bin <strong>de</strong>shalb nicht mehr<br />

diskutabel. (...) SM-Lesben hatten nie ein Problem, wenn ich Typen vermacht habe, das hat<br />

<strong>de</strong>nen überhaupt nichts ausgemacht. Das fan<strong>de</strong>n sie total okay. Aber dann zu hören, dass ich<br />

jetzt einen Typen habe, <strong>de</strong>r mich vermacht, da war es vorbei.<br />

Vanessa hat versucht, diesen Konflikt zum einen dadurch zu lösen, dass sie sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r fe-<br />

ministischen Szene, mit <strong>de</strong>r sie ursprünglich assoziiert war, zurückgezogen hat: Ich bin es<br />

einfach leid, permanent diese Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen auszufechten. Die Toleranz, die ich ih-<br />

nen gewähre, ist <strong>von</strong> ihrer Seite nicht da. Die können mich nicht tolerieren. Sie sagen, dass<br />

ich mich in die patriarchalische Struktur stelle, die wir eigentlich alle überwin<strong>de</strong>n wollen. Ich<br />

sehe es aber nicht so. (...) Deswegen habe ich mich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r einen Welt auch völlig verab-<br />

schie<strong>de</strong>t <strong>und</strong> mache da auch selber nichts mehr, um <strong>de</strong>n Kontakt zu halten. Ich habe dieses<br />

Hin- <strong>und</strong> Hergerissensein nicht mehr ausgehalten. Zum an<strong>de</strong>ren lassen sich für Vanessa Fe-<br />

180


minismus <strong>und</strong> Sadomasochismus <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>und</strong> Masochismus <strong>im</strong> Beson<strong>de</strong>ren insofern<br />

miteinan<strong>de</strong>r vereinbaren, dass sie ihre SM-Rollen ein<strong>de</strong>utig <strong>von</strong> ihrer alltäglichen Rolle ab-<br />

grenzt. In ihre beruflichen <strong>und</strong> sonstigen sozialen Zusammenhängen möchte Vanessa Macht<br />

<strong>und</strong> Unterwerfung unter keinen Umstän<strong>de</strong>n miteinbeziehen: In meinem Alltag will ich das<br />

ganz klar nicht. Ich will in meinen alltäglichen Situationen mit allen Leuten, die ich treffe,<br />

gleichberechtigt umgehen. Also ich stehe nicht auf Konkurrenzkisten. Ich habe eine Weile <strong>im</strong><br />

Computervertrieb gearbeitet, was ein relativ hartes Ellenbogen-Business ist <strong>und</strong> habe genau<br />

<strong>de</strong>swegen aufgehört, weil ich keine Lust hatte, mich permanent in Konkurrenzsituationen zu<br />

stellen <strong>und</strong> permanent schmutzige Wäsche zu waschen, um meine Position zu behaupten. Ich<br />

suche Umgebungen, wo ich mit jeman<strong>de</strong>m zusammenarbeiten kann. Im Alltag interessieren<br />

mich solche Machtsituationen nicht. Innerhalb meiner SM- <strong>und</strong> Privat-Kisten um so mehr.<br />

Diese Einstellung sollte aber nicht als Bestätigung für die Weiterführung ihres sexuellen Ma-<br />

sochismus <strong>im</strong> Alltag verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn auch ihre passive Rolle <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Sexuali-<br />

tät steht in keinem Zusammenhang zu ihren sonstigen Verhaltensmustern. Vanessa beschreibt<br />

sich als eine Frau, für die Gleichberechtigung <strong>und</strong> Zusammenarbeit zwar einen sehr hohen<br />

Stellenwert einnehmen, die aber <strong>de</strong>nnoch eher dominant als <strong>de</strong>vot auftritt. Sie gibt an, ihre<br />

Interessen durchzusetzen <strong>und</strong> sich beispielsweise ihrem Partner <strong>im</strong> Alltag niemals unterzu-<br />

ordnen: Ich weiß sehr genau, was mein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> ich leben, ist eine völlig gleichberechtigte<br />

Partnerschaft, auch wenn er <strong>im</strong> sexuellen Bereich wirklich dominant ist. Es ist für uns bei<strong>de</strong><br />

völlig klar, dass ich mich bewusst unterwerfen will. Trotz<strong>de</strong>m wür<strong>de</strong> mich mein Fre<strong>und</strong> nie in<br />

seinem Leben schicken, seinen Kram abzuspülen o<strong>de</strong>r irgendwelche Sachen für ihn zu erledi-<br />

gen. Vanessa hat ein positives Männerbild <strong>und</strong> legt in Bezug auf ihre dominante Rolle <strong>im</strong><br />

SM-Spiel beson<strong>de</strong>ren Wert darauf, dass sie nicht als Männerhass interpretiert wird: Ich wür<strong>de</strong><br />

meine dominante Rolle nicht als Männerhass bezeichnen. Das ist bei mir halt ganz klar nicht<br />

so. Wie ich mich auch nicht <strong>von</strong> Typen vermachen lassen wür<strong>de</strong>, die das letztlich aus Angst<br />

vor Frauen o<strong>de</strong>r Frauenhass machen wür<strong>de</strong>n. Und das ist <strong>de</strong>r Unterschied zwischen <strong>de</strong>struk-<br />

tiven Leuten <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren SMlern, da mache ich einfach eine Trennung.<br />

Sie differenziert also ein<strong>de</strong>utig zwischen sexuellem Sadomasochismus <strong>und</strong> sozialen, kul-<br />

turellen o<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Formen <strong>de</strong>s Machtgebrauchs. Dominanz <strong>und</strong> Unterwerfung<br />

kommen für sie als mögliche Verhaltensdispositionen nur dann infrage, wenn sie spielerisch<br />

inszeniert <strong>und</strong> ausschließlich auf einen solchen Rahmen beschränkt sind. Unter dieser Prämis-<br />

se praktiziert sie ihre sadomasochistischen Neigungen. Sie glaubt, dass sie heute zwar in <strong>de</strong>r<br />

Lage ist, diese unterschiedlichen Bereiche einwandfrei <strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r abzugrenzen, räumt aber<br />

ein, dass es zu früheren Zeitpunkten Schnittmengen gegeben hat: Ich <strong>de</strong>nke, dass ich mir die<br />

Sachen vorher <strong>im</strong> Alltag abgeholt habe, die ich jetzt in meinen Privatbereich auslebe. Deswe-<br />

gen lasse ich mich jetzt <strong>im</strong> Alltag nicht mehr in solche Spiele reinziehen. (...) Es gab so Ver-<br />

181


wischungen. Früher war es so, dass ich mich beruflich für an<strong>de</strong>re aufgeopfert habe. Nach<strong>de</strong>m<br />

Vanessa diese Situation durchschaut hatte, begann sie, ihren Masochismus <strong>im</strong> sexuellen Be-<br />

reich auszuleben. Hierdurch, so ihre Meinung, ist sie <strong>im</strong> Alltag gelassener <strong>und</strong> selbstsicherer<br />

gewor<strong>de</strong>n: Seit ich dieses Coming-Out hatte, habe ich auch an persönlicher Sicherheit ge-<br />

wonnen. Ich bin auch beruflich erfolgreicher, seit ich mich selber nicht mehr so leicht in Fra-<br />

ge stelle.<br />

Vanessa möchte ihre bisherigen Erfahrungen <strong>im</strong> sadomasochistischen Bereich nicht missen<br />

<strong>und</strong> auch in Zukunft unter gar keinen Umstän<strong>de</strong>n darauf verzichten. Sie beansprucht für sich<br />

das Recht, entgegen <strong>de</strong>r Meinung an<strong>de</strong>rer zu han<strong>de</strong>ln, wenn es für sie persönlich mit größt-<br />

möglichem Wohlbefin<strong>de</strong>n verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> niemand unter ihrem Verhalten zu lei<strong>de</strong>n hat.<br />

Geschlagen zu wer<strong>de</strong>n, empfin<strong>de</strong>t sie nicht als Gewalt gegen Frauen generell, <strong>und</strong> dass ihr<br />

Masochismus mit gesellschaftlichen Strukturen verflochten sein könnte, ist für sie <strong>von</strong> gerin-<br />

ger Be<strong>de</strong>utung. Entschei<strong>de</strong>nd ist ihrer Meinung nach nur eines: Die Gewaltsituationen, die ich<br />

inszeniere, tun meiner Psyche gut. Das Gefühl habe ich, ganz ein<strong>de</strong>utig. Ich will mich nicht<br />

vom Sadomasochismus heilen lassen, dafür erlebe ich ihn als zu genussvoll <strong>und</strong> als zu selbst-<br />

verständlich. (...) Ich lasse es mir nicht mehr ausre<strong>de</strong>n. Dass ich persönlich auf Gewaltsitua-<br />

tionen stehe, hat nichts mit misshan<strong>de</strong>lten Frauen zu tun. Es ist mein Ding <strong>und</strong> dass ich mir<br />

Leute dazu suche, die auch darauf stehen, ist auch mein Ding. (...) Solange ich das Gefühl<br />

habe, dass es mir besser geht, wenn ich es auslebe, als wenn ich es nicht auslebe, fin<strong>de</strong> ich es<br />

legit<strong>im</strong>, es auszuleben. Ich wür<strong>de</strong> mir etwas nehmen, wenn ich es jetzt bleiben ließe mit <strong>de</strong>r<br />

Begründung, dass ich genau weiß, dass es möglicherweise aus <strong>de</strong>n patriarchalischen Struktu-<br />

ren gewachsen ist. Es mag ja sein, dass alles damit zusammenhängt. Ich kann nur sagen,<br />

wenn ich es mache, fühle ich mich insgesamt besser, als wenn ich es nicht mache. Also kann<br />

es für mich nicht verkehrt sein, es zu machen.<br />

Trotz dieser positiven Einstellung hat sie sich gegenüber <strong>de</strong>r SM-Szene eine kritische Distanz<br />

bewahren können. Gleichberechtigungsansprüche <strong>von</strong> Masochistinnen, die sie für sich selbst<br />

realisiert glaubt, sieht sie innerhalb <strong>de</strong>r SM-Szene nicht <strong>im</strong>mer gewahrt. Auch kommen ver-<br />

schie<strong>de</strong>ne Praktiken <strong>und</strong> Gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unterwerfung für sie nicht infrage. Dennoch sieht Vanes-<br />

sa sich nicht dazu berufen, an<strong>de</strong>re zu maßregeln <strong>und</strong> stellt die persönlichen Interessen, <strong>de</strong>n<br />

persönlichen Geschmack <strong>de</strong>s Einzelnen, über gesellschaftliche Werte. Für sich <strong>de</strong>finiert sie<br />

einen klar abgegrenzten Rahmen, innerhalb <strong>de</strong>ssen sie sich bewegt. Sich selbst vollkommen<br />

aufzugeben <strong>im</strong> Sinne eines Sklavinnendaseins o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re zu versklaven, lehnt sie ab.<br />

182


Fall 2: Carmen - ...ich fühle mich als Amazone <strong>de</strong>s 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

Der Kontakt zu Carmen wur<strong>de</strong> über eine professionelle Domina vermittelt, die wir kurz zuvor<br />

in ihrem Studio besuchten. Während <strong>de</strong>s Interviews war Carmen gera<strong>de</strong> zu Besuch in diesem<br />

Studio. Aus terminlichen Grün<strong>de</strong>n zog sie ein Telefoninterview vor, weshalb an dieser Stelle<br />

keine Aussagen über ihr Auftreten <strong>und</strong> äußeres Erscheinungsbild getroffen wer<strong>de</strong>n können.<br />

Im sadomasochistischen Arrangement n<strong>im</strong>mt Carmen ausschließlich die dominante Rolle ein.<br />

Allgemeine Lebensumstän<strong>de</strong><br />

Carmen ist zur Zeit <strong>de</strong>s Interviews 28 Jahre alt <strong>und</strong> lebt mit ihrem Partner in einer Großstadt.<br />

Sie hat ein fünfjähriges Studium in <strong>de</strong>r darstellen<strong>de</strong>n Kunst absolviert. Aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Grün<strong>de</strong>n musste sie diese Ausbildung jedoch unterbrechen. Mit ihrer beruflichen Situation ist<br />

sie zufrie<strong>de</strong>n. Sie beschreibt sich als erfolgreiche Geschäftsfrau, die selbständig in leiten<strong>de</strong>r<br />

Position Verantwortung zu tragen hat.<br />

Biographischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Carmen gibt an, dass ihr Verhalten <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>und</strong> speziell <strong>im</strong> sexuellen Bereich schon<br />

<strong>im</strong>mer dominant war. Diese Dominanz interpretiert sie <strong>im</strong> Zusammenhang mit Missstän<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> Fehlentwicklungen in <strong>de</strong>r Kindheit. Sie berichtet <strong>von</strong> prägen<strong>de</strong>n Erlebnissen, <strong>de</strong>nen sie<br />

als Kind ausgesetzt war: So musste ich als Kind miterleben, wie ein Elternteil das an<strong>de</strong>re be-<br />

trog, <strong>und</strong> zwar mehrfach, mit wechseln<strong>de</strong>n Partnern. Zwe<strong>im</strong>al war ich ungewollt direkte Zeu-<br />

gin dieser ‚Vergehen’ am Ehepartner. Eventuell liegt da ein Teil dieser Neigung begraben.<br />

Ich verspürte eine Eifersucht <strong>und</strong> einen gewissen Hass gegenüber diesen ‚Frem<strong>de</strong>n’, die das<br />

Familienleben <strong>und</strong> die Zeit meiner Eltern für mich noch mehr kürzten, die durch die Selb-<br />

ständigkeit meiner Eltern knapp gehalten waren. Ich wusste es <strong>von</strong> bei<strong>de</strong>n Elternteilen. Sie<br />

aber wie<strong>de</strong>rum nicht <strong>von</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>r sie ebenso betrog. Diese Mitwisserschaft lastete<br />

allein auf meinen, damals achtjährigen Schultern. In Bezug auf ihre Erziehung betont Car-<br />

men, dass sie sehr offen erzogen wur<strong>de</strong>. Neben <strong>de</strong>n Problemen in ihrer Kindheit versteht sie<br />

ihre sadomasochistischen Interessen auch als Konsequenz einer sexualfre<strong>und</strong>lichen Erzie-<br />

hung: Ich bin <strong>von</strong> zu Hause her so aufgewachsen, dass man <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Sexualität alles<br />

machen kann, wenn bei<strong>de</strong> es wollen. Auch Dinge, die <strong>im</strong> Allgemeinen abgelehnt wer<strong>de</strong>n. Se-<br />

xualität war nie etwas Schmutziges o<strong>de</strong>r etwas, worüber man überhaupt nicht spricht. Viel-<br />

leicht bin ich in Sachen Sexualität <strong>de</strong>shalb so frei erzogen, da meine Eltern zu diesem Zeit-<br />

punkt selbst so lebten (...). Deshalb hatte Carmen nie Probleme mit <strong>de</strong>r Sexualität <strong>im</strong> Allge-<br />

183


meinen <strong>und</strong> spezifischen Praktiken, die <strong>im</strong> gutbürgerlichen Sinn als nicht ‚normal’ <strong>de</strong>finiert<br />

sind.<br />

Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

Carmen beschreibt sich als aufgeschlossenen, exper<strong>im</strong>entierfreudigen Menschen. Bereits <strong>im</strong><br />

Alter <strong>von</strong> 16 Jahren hat sie Natursektspiele - eine ihrer bevorzugten Praktiken - ausprobiert:<br />

Ich fand es unhe<strong>im</strong>lich geil. Es hat mich unhe<strong>im</strong>lich angemacht, <strong>und</strong> ich war <strong>im</strong>mer froh,<br />

wenn ich jeman<strong>de</strong>n hatte, <strong>de</strong>r das auch mochte. Ihr Interesse an sadomasochistischen Sexual-<br />

praktiken wur<strong>de</strong> durch die Lektüre spezieller Medien st<strong>im</strong>uliert: Das war so, dass ich mit<br />

meinem jetzigen Partner Magazine <strong>und</strong> Fotografien in die Hän<strong>de</strong> bekam. (...) Es ist aber nicht<br />

so, dass ich nur durch <strong>de</strong>n Partner dazu gekommen bin. Er hat eigentlich bei mir was geför-<br />

<strong>de</strong>rt <strong>und</strong> etwas ins Rollen gebracht, was schon vorhan<strong>de</strong>n war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte<br />

Carmen keine praktischen Erfahrungen mit sadomasochistischen Sexualpraktiken. Da nun ihr<br />

Interesse durch Magazine <strong>und</strong> Fotos geweckt war, wollte sie diese spezielle Art <strong>de</strong>r Erotik<br />

auch in <strong>de</strong>r Praxis kennenlernen. Vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Informationen aus <strong>de</strong>n SM-<br />

Magazinen war für Carmen klar, dass eine Szene existierte. In <strong>de</strong>r Kontaktaufnahme zu In-<br />

si<strong>de</strong>rn sah sie die einzige Möglichkeit, ihre Neugier zu befriedigen. Als Frau lag es für sie<br />

nahe, <strong>de</strong>n Einstieg zunächst über eine an<strong>de</strong>re Frau, die bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet<br />

hat, zu versuchen. Die Tür in diese frem<strong>de</strong> Welt öffnete ihr schließlich die Anzeige einer pro-<br />

fessionellen Domina, die in einem Szene-Magazin einen privaten Damenzirkel vorstellte, <strong>de</strong>r<br />

um eine Dame erweitert wer<strong>de</strong>n sollte: Ich habe <strong>de</strong>n Entschluss gefaßt, die Phantasie in die<br />

Realität umzusetzen <strong>und</strong> habe die Katrin [Inhaberin eines bekannten Studios] angerufen.<br />

Carmen hatte eigentlich keine Vorstellung, welches Milieu sich hinter <strong>de</strong>r Anzeige verbirgt<br />

<strong>und</strong> war daher um so mehr überrascht, dass sich die Gesprächsebene auf einem für sie unver-<br />

mutet hohen Niveau befand. Sie ging da<strong>von</strong> aus, dass die meisten Frauen, die in diesen Studi-<br />

os sind, etwas lasterhaftes umgibt. Ich war also am Anfang sehr überrascht, auf welchem Ni-<br />

veau ich mich mit ihr unterhalten habe, weil das für mich eine sehr wichtige Sache ist. (...) Sie<br />

kennen ja die Katrin, dann wissen Sie, dass sie eine Frau ist, die Format hat, die Niveau hat.<br />

Das ist eigentlich <strong>de</strong>r Punkt gewesen, wo ich gesagt habe: ‚Okay, ich probiere das mal’. Also<br />

die Ausstrahlung <strong>von</strong> ihr war für mich ausschlaggebend, meinen Fuß überhaupt mal in ein<br />

Studio zu setzen. Diese lange ausführliche Unterhaltung <strong>und</strong> die Einsicht, dass ein Domi-<br />

nastudio durchaus eine für Carmens Geschmack niveauvolle Atmosphäre <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Kontakt zu<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Personen bietet, bewog sie zu <strong>de</strong>m Entschluss, Katrin unverbindlich in <strong>de</strong>ren<br />

Studio aufzusuchen, um die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Damenzirkels erläutert zu bekommen <strong>und</strong> für sich per-<br />

sönlich weiterzuentwickeln: Ich wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> Katrin zu einem Damenzirkel eingela<strong>de</strong>n, um in<br />

184


professioneller erotischer Atmosphäre erstmalig SM zu praktizieren. Selbstverständlich wur-<br />

<strong>de</strong> ich an diesem Abend mit Riten <strong>und</strong> Praktiken konfrontiert, die ich selbst noch nicht kannte,<br />

geschweige <strong>de</strong>nn ausprobiert habe. Ich war in einen Zirkel dominanter Frauen integriert <strong>und</strong><br />

habe eigentlich das erste Mal SM richtiggehend praktiziert, weil ich alle Gerätschaften hier<br />

vorfin<strong>de</strong>n konnte, die ich zu Hause natürlich nicht habe. Und es waren auch Dinge dabei, die<br />

ich wirklich zum ersten Mal in meinem Leben gesehen habe. Das war eine sehr interessante<br />

Erfahrung.<br />

Obwohl Carmens Wohnort <strong>und</strong> das Studio <strong>von</strong> Katrin sehr weit auseinan<strong>de</strong>r liegen, fährt<br />

Carmen seit diesem Zeitpunkt regelmäßig dort hin. Dabei sind aber nicht nur die <strong>von</strong> Katrin<br />

organisierten Damenzirkel für sie <strong>von</strong> Interesse, son<strong>de</strong>rn auch Party-Aben<strong>de</strong>, die unter ver-<br />

schie<strong>de</strong>nen Themen (Gummi, Fetisch etc.) <strong>im</strong> Studio veranstaltet wer<strong>de</strong>n. Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s<br />

Interviews besuchte sie - wie bereits erwähnt - gera<strong>de</strong> einmal wie<strong>de</strong>r das Studio, in <strong>de</strong>m noch<br />

am gleichen Abend eine SM-Party <strong>im</strong> engsten Kreis stattfin<strong>de</strong>n sollte, <strong>und</strong> berichtete uns, wie<br />

sie ihre SM-Events organisiert: Ich bin halt gestern schon angereist. Ich komme ja aus einer<br />

an<strong>de</strong>ren Stadt <strong>und</strong> das ist ja dann doch <strong>im</strong>mer mit einigen Problemen verb<strong>und</strong>en, Koffer pa-<br />

cken <strong>und</strong> so weiter. Dann bin ich für ein o<strong>de</strong>r zwei Tage hier. (...) Ich mache das halt einfach<br />

so aus Spaß. Ich mache das aus meinem eigenen Antrieb heraus. Die Motive sind Spaß, Lust<br />

<strong>und</strong> das echte Bedürfnis, Männer zu dominieren. In Katrins Studio besteht für Carmen stets<br />

die Gelegenheit, ihre sadistischen Neigungen auszuleben. Durch eine Ankündigung auf <strong>de</strong>m<br />

Telefonanrufbeantworter erfahren die Gäste <strong>de</strong>s Studios, wann sie als sogenannte Gastherrin<br />

anwesend ist: Also ich habe <strong>im</strong>mer die Möglichkeit, hierher zu kommen <strong>und</strong> wenn ich Lust<br />

habe, mache ich das auch. Ich muss es lediglich mit geschäftlichen Anliegen koordinieren.<br />

Wenn Carmen das Studio besucht, um ihre dominanten Neigungen auszuleben, kommt ihr<br />

Partner hin <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r mit. Er n<strong>im</strong>mt aber nicht an <strong>de</strong>n Veranstaltungen teil. Ihr Verhältnis<br />

<strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ene Praktiken sind für bei<strong>de</strong> eine ausschließlich int<strong>im</strong>e Angelegenheit, die<br />

keiner in die Studioatmosphäre <strong>und</strong> <strong>de</strong>n damit verb<strong>und</strong>enen Veranstaltungen übertragen<br />

möchte. Hin <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r reist Carmen auch auf Wunsch <strong>von</strong> Katrin an, mit <strong>de</strong>r sie mittlerwei-<br />

le befre<strong>und</strong>et ist. Verdienstausfall <strong>und</strong> Fahrtkosten wer<strong>de</strong>n dann <strong>von</strong> Katrin übernommen:<br />

Denn ich komme aus einer an<strong>de</strong>ren Stadt dann extra angereist <strong>und</strong> so weiter, dann n<strong>im</strong>mt<br />

man sich auch Urlaub. Aber das ist nicht das Eigentliche, was mich hierhertreibt. Carmen<br />

betont, dass sie das Studio nicht aus finanziellen Grün<strong>de</strong>n aufsucht <strong>und</strong> möchte unter keinen<br />

Umstän<strong>de</strong>n mit einer professionellen Domina verglichen wer<strong>de</strong>n: Das hieße, dass ich durch<br />

das Praktizieren <strong>von</strong> SM meinen Lebensunterhalt bestreite <strong>und</strong> das entspricht nicht <strong>de</strong>n Tat-<br />

sachen. Professionell <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> Gewandtheit <strong>und</strong> Erfahrung auf <strong>de</strong>m SM-Sektor, das<br />

kommt meinem jetzigen Entwicklungsstand, in <strong>de</strong>m ich mich befin<strong>de</strong>, nahe. Wichtig für mich<br />

ist, dass meine ausgelebte Neigung eine Lebensart <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> Verwirklichung <strong>und</strong> Ehrlich-<br />

185


keit mir selbst <strong>und</strong> meinem Partner <strong>und</strong> einem best<strong>im</strong>mten Teil meiner Umwelt gegenüber ist.<br />

Ihre Motive liegen in einem ganz an<strong>de</strong>ren Bereich.<br />

SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle<br />

Carmen beschreibt sich als einen Menschen, <strong>de</strong>r <strong>im</strong>mer schon ein ausgeprägtes Geltungs-<br />

bedürfnis hatte. Die Bestätigung ihres äußeren Erscheinungsbil<strong>de</strong>s als Frau <strong>und</strong> ihre Anerken-<br />

nung als sexuell begeherenswertes Wesen ist für sie die Schlüsselmotivation, Sadomasochis-<br />

mus zu praktizieren: Ich bin eine Gummifetischistin. Meine ganze Ausstattung ist alles in La-<br />

tex, schwarz glänzen<strong>de</strong>s, eng anliegen<strong>de</strong>s Latex. Der Körper wird in diesen Sachen i<strong>de</strong>ali-<br />

siert, gibt äußerlich ein ganz perfektes Bild <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Frau ab, das meiner Meinung nach auch<br />

dazu gehört, um jeman<strong>de</strong>n bestechen zu wollen. (...) Ich habe eigentlich <strong>im</strong>mer versucht <strong>und</strong><br />

es verstan<strong>de</strong>n, mich irgendwo in <strong>de</strong>n Mittelpunkt zu drängen. Ich habe das einfach genossen,<br />

bew<strong>und</strong>ert zu wer<strong>de</strong>n. Ich will bew<strong>und</strong>ert wer<strong>de</strong>n, ich will, dass man mich beachtet, begehrt,<br />

ja gera<strong>de</strong>zu vergöttert. Und diese Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Faszination, die verarbeite ich in mir zu<br />

einer Bestätigung, auf die ich theoretisch verzichten kann, es praktisch aber nicht möchte.<br />

Das Äußerliche gepaart mit meinem Wesen, meiner Wirkung <strong>und</strong> Ausstrahlung auf die Män-<br />

ner lässt mich je<strong>de</strong> Aktion als einen Auftritt empfin<strong>de</strong>n. Hätte ich mein abgebrochenes Studi-<br />

um vollen<strong>de</strong>t, wür<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>n gleichen Effekt bei einem meiner Auftritte empfin<strong>de</strong>n. Sicher ist<br />

das auch als eine Ersatzbefriedigung zu sehen. (...) Ich tauche bewusst <strong>und</strong> mit meiner ganzen<br />

Überzeugtheit in eine Welt <strong>de</strong>r Phantasie ein. Und mit mir meine männlichen Untergebenen.<br />

Carmens Vorliebe für Urinpraktiken wur<strong>de</strong> oben bereits ange<strong>de</strong>utet. Abgesehen da<strong>von</strong>, dass<br />

sie diese beson<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r Erotik sexuell als sehr st<strong>im</strong>ulierend empfin<strong>de</strong>t, be<strong>de</strong>utet die Be-<br />

reitschaft <strong>de</strong>r Männer, diese Praktik zuzulassen, eine beson<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r Ehrerbietung: Die<br />

Verabreichung <strong>von</strong> NS auf die verschie<strong>de</strong>nsten Arten <strong>und</strong> Weisen geht oft weit über die Phan-<br />

tasien meiner Opfer hinaus. NS ist ein menschliches Exkrement, das <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Kindheit an ta-<br />

buisiert wird, da z.B. in die Hosen machen als unsauber gilt, <strong>und</strong> länger andauern<strong>de</strong>s Bett-<br />

nässen als ein auf seelischen Ursachen begrün<strong>de</strong>tes Lei<strong>de</strong>n abgetan wird. Das Kind wird<br />

diesbezüglich zur Sauberkeit angehalten <strong>und</strong> außer auf <strong>de</strong>r Toilette ist NS kein Thema. Und<br />

plötzlich wird aus <strong>de</strong>m NS eine Angelegenheit, die unglaublich erregend wer<strong>de</strong>n kann. Da-<br />

durch führe ich die Männer mitunter auch in Situationen, in <strong>de</strong>nen ich die erste Frau bin, die<br />

überhaupt je NS mit ihnen praktiziert hat. Es gibt einige Männer, die das bei keiner an<strong>de</strong>ren<br />

Frau machen, das machen die nur mit mir. Das machen die nicht einmal mit <strong>de</strong>r Ehepartne-<br />

rin.<br />

186


Das sexuelle Erlebnis spielt für Carmen in <strong>de</strong>r Studioatmosphäre überhaupt keine Rolle. Für<br />

sie selbst ist die Befriedigung hier ausschließlich mentaler Natur: Und es ist auch nicht so,<br />

dass ich hier einen sexuellen Höhepunkt erlebe, wenn ich irgendjeman<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Int<strong>im</strong>bereich<br />

beispielsweise unter Strom setze. Das ist für mich eine rein mentale Befriedigung, keine kör-<br />

perliche. Das hat für mich eigentlich wenig mit Sexualität zu tun. Das ist lediglich ein Gefühl<br />

<strong>de</strong>r Bestätigung, das ich hier bekomme. Ich kriege hier <strong>im</strong> Studio wirklich keinen sexuellen<br />

Höhepunkt. Es ist ein Spiel mit meinem Körper, ja, aber mehr nicht. Das erwarte ich auch<br />

nicht. Ob ein Partner sexuelle Befriedigung erfährt o<strong>de</strong>r gar bis zum Orgasmus gelangt, ist ihr<br />

vollkommen gleichgültig: Von Anfang an stelle ich klar, dass ich bei einem Abend die gesam-<br />

te Gestaltung übernehme. Wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Gegenseite irgendwelche Einschränkungen be-<br />

gehrt, auf die ich Rücksicht nehmen soll, verliert diese Person mein Interesse. Ich spare mir<br />

meine Energie dann lieber für jeman<strong>de</strong>n auf, <strong>de</strong>r mir das Gefühl gibt, sich mir ganz auszulie-<br />

fern. An diesem Abend wer<strong>de</strong>n Praktiken ausgelebt, die auch über einen normalen Studioall-<br />

tag hinausgehen. Die müssen. Die können schreien, bis sie schwarz wer<strong>de</strong>n, dann kriegen sie<br />

einen Knebel in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong>, dann sind die m<strong>und</strong>tot. Dann müssen die das machen, was hier<br />

abläuft. Dann gibt es kein Pardon <strong>und</strong> auch kein Entgehen. (...) Also wenn ich auf so einem<br />

Damenzirkel bin, dann interessiert mich das nicht, ob da jemand zum Höhepunkt gekommen<br />

ist o<strong>de</strong>r nicht, son<strong>de</strong>rn mir geht es für mich dann nur um die Sachen, die ich in <strong>de</strong>m Moment<br />

mit ihm mache. Das ist mir dann egal, ob <strong>de</strong>r kommt o<strong>de</strong>r nicht. (...) Weiter ausgeführt sehe<br />

ich das Ganze als eine Verschmelzung eines grausamen Märchens an, in <strong>de</strong>m die Anmut <strong>und</strong><br />

die Nähe einer vollkommenen Märchenfigur nur dann genossen wer<strong>de</strong>n kann, wenn man be-<br />

reit ist, alles nur Er<strong>de</strong>nkliche dafür hinzugeben. Nur, dass aus diesem Märchen plötzlich Rea-<br />

lität wird <strong>und</strong> echte Opfer abverlangt wer<strong>de</strong>n. (...) Im Übrigen hat meine Person diese Domi-<br />

nanz <strong>und</strong> die Art <strong>de</strong>s Auslebens nicht erf<strong>und</strong>en. Von dieser weiblichen (Ab-)Art berichtet uns<br />

schon die Geschichte mit Überlieferungen aus <strong>de</strong>n Völkern <strong>de</strong>r Amazonen. Ich fühle mich, um<br />

die Sache auf einen Punkt zu bringen, als eine Amazone <strong>de</strong>s 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>de</strong>ren Waffen<br />

nicht kriegerisch <strong>und</strong> mor<strong>de</strong>nd sind, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren Waffen Weiblichkeit <strong>und</strong> Überlegenheit<br />

sind, erzielt durch meine Aura <strong>und</strong> Reflektion auf meine Aura be<strong>de</strong>uten <strong>und</strong> somit einen Sieg<br />

über ein best<strong>im</strong>mtes Gebiet nach sich ziehen, zu meiner Bestätigung <strong>und</strong> Befriedigung. (...)<br />

An<strong>de</strong>rs verhält es sich in <strong>de</strong>r (sexuellen) Beziehung zu ihrem Lebenspartner, die Carmen als<br />

als offen <strong>und</strong> vielfältig beschreibt. Hier können sadomasochistische Elemente mit einbezogen<br />

wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sind dann eng mit Carmens Sexualität verflochten. Auf die Erfahrungen <strong>im</strong> Stu-<br />

dio möchte Carmen <strong>de</strong>nnoch nicht verzichten, da diese, neben <strong>de</strong>r Sexualität in <strong>de</strong>r partner-<br />

schaftlichen Beziehung auch eine wichtige Rolle spielen: Ich differenziere zwischen meinem<br />

mentalen Höhepunkt <strong>und</strong> meinem körperlichen Höhepunkt, da ich <strong>de</strong>r Ansicht bin, dass Sex in<br />

Form <strong>von</strong> Geschlechtsverkehr in einem SM-Studio nicht praktikabel ist. Dieses Ausleben <strong>von</strong><br />

187


Gefühlen geistiger <strong>und</strong> körperlicher Art, was meine Person betrifft, ist meinem Partner <strong>und</strong><br />

mir vorbehalten. Geschlechtsverkehr mache ich nur mit meinem Partner, das hat in diesen<br />

Räumen nichts zu suchen.<br />

Trotz ihrer dominanten Neigungen <strong>im</strong> Allgemeinen sowie <strong>im</strong> SM-Bereich versteht Carmen<br />

sich nicht als durch <strong>und</strong> durch dominante Persönlichkeit. Sie beschreibt auch eine sehr sensib-<br />

le <strong>und</strong> feinfühlige Seite ihres Wesens, die sie lediglich nach außen hin nicht so gerne zeigen<br />

möchte: Ich bin keine Frau, die ausschließlich dominant ist. Das möchte ich an dieser Stelle<br />

nicht unerwähnt lassen. Ich bin auch <strong>de</strong>r Überzeugung, dass es keine Frau gibt, die wirklich<br />

nur dominant ist. Dominante Frauen haben nur <strong>de</strong>n Mut, eine weitere Seite <strong>von</strong> sich auszule-<br />

ben <strong>und</strong> sich voll damit zu i<strong>de</strong>ntifizieren. Ich bin viel zu sehr Frau, um nicht die an<strong>de</strong>re, sehr<br />

weiche, weibliche Seite ausleben zu wollen. Sadomasochismus gehört ebenso zu ihrem Leben<br />

wie normale Sexualität. Auch ist es für Carmen nur selbstverständlich, die sadomasochisti-<br />

schen Spiele <strong>von</strong> ihrem Alltag zu trennen. Eine ständige Dominanz wäre ihr zu anstrengend:<br />

Ich habe auch einen ganz normalen Liebesalltag. Der ist zwar sehr intensiv <strong>und</strong> sehr farben-<br />

reich, weil mein Partner <strong>und</strong> ich sehr offen sind für alles. Es ist also nicht so, dass ich meinen<br />

Partner ständig dominiere, ganz <strong>im</strong> Gegenteil. Unsere Beziehung basiert auf einer vollkom-<br />

menen Rücksichtnahme, sowohl <strong>von</strong> ihm als auch <strong>von</strong> mir. Da wür<strong>de</strong> ich also nie wagen, über<br />

best<strong>im</strong>mte Dinge hinauszugehen.<br />

Carmen beschreibt sich als überaus selbstbewusste Frau, die um ihre Qualitäten weiß. Diesen<br />

Eindruck bekam ich auch <strong>im</strong> Interview mit ihr. Aus ihrer dominanten Neigung macht sie kei-<br />

nen Hehl, auch wenn Geschäftspartner <strong>und</strong> Klienten beispielsweise nichts da<strong>von</strong> wissen:<br />

Trotz meiner beruflichen Stellung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Intoleranz <strong>de</strong>r Gesellschaft wage ich es, in extra-<br />

vagentem Outfit auf die Straße zu gehen, sei es zum Einkaufen, sei es zu Festivitäten, sei es zu<br />

privaten Treffen. Mit <strong>de</strong>m Ausleben ihrer sadomasochistischen Neigungen, ihrer dominanten<br />

A<strong>de</strong>r, hat Carmen keine Schwierigkeiten. Ihr Selbstbild gerät hierdurch keineswegs ins Wan-<br />

ken, <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>n unterschiedlichsten Gelegenheiten vertritt sie ihre Meinung: Ich vertrete<br />

meine Position lei<strong>de</strong>nschaftlich. Im Rahmen <strong>von</strong> Mo<strong>de</strong>nschauen o<strong>de</strong>r in Geschäften mache<br />

ich Frauen Mut, eine vielleicht <strong>im</strong> verborgenen liegen<strong>de</strong> Lei<strong>de</strong>nschaft ausfindig zu machen<br />

<strong>und</strong> bei einer etwaigen Existenz zu för<strong>de</strong>rn. Es liegt mir auch viel daran, <strong>de</strong>n Leuten, die mit<br />

dieser Seite <strong>de</strong>r Erotik oft Abartigkeit in einem Atemzug nennen, klarzumachen, dass es etwas<br />

Normales, etwas Legales ist. Es kommt <strong>im</strong>mer darauf an, wer etwas in welcher Weise prakti-<br />

ziert. Dann ist es nämlich eine ganz niveauvolle Art <strong>de</strong>r Erotik, eine bizarre Erotik auf höchs-<br />

tem Niveau. (...)<br />

Begriffe wie ‚Gewalt’ <strong>und</strong> ‚Feminismus’ spielen für Carmen <strong>im</strong> Zusammenhang mit Sadoma-<br />

sochismus keine Rolle, da es sich ihrer Meinung nach hier um völlig unterschiedliche Phäno-<br />

188


mene han<strong>de</strong>lt: Als Sadistin, Domina <strong>und</strong> Frau zu meiner eigenen Person kann ich nur sagen,<br />

dass hier zwischem <strong>de</strong>m Begriff Gewalt <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> Vergewaltigung <strong>und</strong> Brutalität zu unter-<br />

schei<strong>de</strong>n ist, da sich alle praktizieren<strong>de</strong>n SMler dieser Gewalt ja freiwillig unterwerfen. Es<br />

wür<strong>de</strong> mir nie in <strong>de</strong>n Sinn kommen, jeman<strong>de</strong>n zu überwältigen, <strong>de</strong>r kein Interesse an SM hat.<br />

Somit bringe ich Sexualität <strong>und</strong> Gewalt in ihrem ursprünglichen Sinne nicht in Verbindung<br />

<strong>und</strong> habe auch keine Probleme mit <strong>de</strong>r Thematik ‚Frauen <strong>und</strong> SM’.<br />

Carmen ist nicht bereit, ihre sadistischen Neigungen zu verdrängen o<strong>de</strong>r zu verhe<strong>im</strong>lichen.<br />

Der Verzicht wäre für sie mit <strong>de</strong>m Verlust <strong>von</strong> Lebensqualität verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ihre Zufrie<strong>de</strong>n-<br />

heit hätte darunter zu lei<strong>de</strong>n. Sie beschreibt ihre Erfahrungen <strong>im</strong> SM-Bereich als Gewinn für<br />

ihren Alltag: Ich konnte mich in verantwortlicher Position für die Belange <strong>de</strong>r Firma, z.B. bei<br />

Vertragsverhandlungen, besser druchsetzen. Ich fühlte mich durchaus auch Situationen ge-<br />

wachsen, die ich vor meiner Konfrontation mit meinen SM-Neigungen lieber jemand an<strong>de</strong>ren<br />

habe ausführen lassen. Das mag sich darin begrün<strong>de</strong>n, dass ein Großteil <strong>de</strong>r Gäste, die mit<br />

mir gemeinsam das Studio aufgesucht haben, um genau wie ich, ihre Interessen ausleben zu<br />

können, meistens Männer in Positionen waren, die mir bei Verhandlungen als gleichberech-<br />

tigte Partner gegenübersaßen. Ich übertrug in solchen Momenten meine Strategien in einer<br />

an<strong>de</strong>ren Form auf ein an<strong>de</strong>res Gebiet. Zusehends mit mehr Erfolg. Und das hat mich weiter-<br />

hin geprägt. Meine Kompromissbereitschaft, die oftmals <strong>de</strong>r Gegenpartei <strong>de</strong>n Vorzug ließ,<br />

wur<strong>de</strong> abgebaut <strong>und</strong> ich baute mich - <strong>und</strong> damit auch mehr Achtung vor mir selbst - auf.<br />

Fall 3: Maria - ...ich möchte mir ständig bewusst sein, dass ich eine Sklavin bin<br />

Das Interview mit Maria wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> Rahmen eines regelmäßigen Treffens <strong>von</strong> SM-<br />

Interessierten in <strong>de</strong>r Privatwohnung eines Gruppenmitglieds durchgeführt. In ihrem Auftreten<br />

wirkt sie selbstsicher <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich. Marias Kleidung <strong>und</strong> Schmuck an diesem Abend lassen<br />

schon auf ihre Neigungen schließen: <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong> SM n<strong>im</strong>mt sie ausschließlich die passive<br />

Rolle ein.<br />

Allgemeine Lebensumstän<strong>de</strong><br />

Als wir Maria zum Interview treffen, ist sie 25 Jahre alt <strong>und</strong> lebt in einer Großstadt, wo sie<br />

zusammen mit einer Fre<strong>und</strong>in eine eigene Wohnung hat. Ihre Tätigkeit als Kauffrau in <strong>de</strong>r<br />

Frem<strong>de</strong>nverkehrsbranche gewährt ihr finanzielle Unabhängigkeit.<br />

189


Biographischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Maria wen<strong>de</strong>t sich entschie<strong>de</strong>n gegen die These, ihr Masochismus entspringe ge-<br />

schlechtsspezifischen Sozialisationserfahrungen. Ihre Eltern legten sehr viel Wert darauf, sie<br />

zur Selbständigkeit hin zu erziehen. Entsprechend diesem Anspruch gestaltete sich auch das<br />

Familien- <strong>und</strong> Berufsleben <strong>von</strong> Vater <strong>und</strong> Mutter: Ich bin genau nicht passiv erzogen <strong>und</strong> in<br />

meiner Kindheit <strong>von</strong> meinen Eltern o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Schule unterdrückt wor<strong>de</strong>n. Mir ist genau das<br />

Gegenteil anerzogen wor<strong>de</strong>n. Ich habe 20 Jahre lang gehört, ‚Heirate nicht, kriege keine<br />

Kin<strong>de</strong>r, mach’ <strong>de</strong>ine Karriere, bin<strong>de</strong> dich nicht an einen Mann’. Genau das habe ich 20 Jahre<br />

mitgekriegt. Meine Eltern führten eigentlich eine wahnsinnig tolle Ehe. Bei<strong>de</strong> waren berufstä-<br />

tig. Der eine hat gearbeitet, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re hat auf die Kin<strong>de</strong>r aufgepasst, <strong>und</strong> zwar zu gleichen<br />

Teilen. Auch die Arbeit <strong>im</strong> Haushalt wur<strong>de</strong> zu gleichen Teilen <strong>von</strong> meinem Vater <strong>und</strong> <strong>von</strong><br />

meiner Mutter erledigt. Ich bin also in <strong>de</strong>r Hinsicht völlig anti-gesellschaftlich aufgewachsen.<br />

Also bei mir trifft die These vom anerzogenen Masochismus wirklich absolut nicht zu (...). Die<br />

Erfahrungen, die Maria <strong>im</strong> Laufe ihrer Biographie machte, erlauben also keine Rückschlüsse<br />

auf eine typisch weibliche Erziehung. Die elterliche Ehe, in <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> Partner gleichberechtigt<br />

han<strong>de</strong>ln konnten, war für Maria Vorbild für eine auf Gleichberechtigung basieren<strong>de</strong> Bezie-<br />

hung zwischen Mann <strong>und</strong> Frau <strong>und</strong> die Eltern legten sehr viel Wert darauf, sie als selbständi-<br />

ge, finanziell unabhängige Frau, die Karriere machen soll, zu erziehen. Ihre masochistischen<br />

Neigungen sieht Maria vielmehr als Veranlagung <strong>und</strong> sie datiert ihre ersten Phantasien <strong>und</strong><br />

Erlebnisse in das frühe Kin<strong>de</strong>salter: Phantasien hatte ich, seit ich <strong>de</strong>nken kann. Also noch vor<br />

<strong>de</strong>r pubertären Phase. Mit elf habe ich die erste SM-Geschichte geschrieben. (...) Und das<br />

habe ich auch noch in Erinnerung, dass ich das sehr genossen habe, damals. (...) Auch wenn<br />

ich jetzt so nicht sagen wür<strong>de</strong>, da war ich schon Masochistin, das waren aber die ersten Er-<br />

lebnisse.<br />

Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

Ihre ersten bewusst sadomasochistischen Erfahrungen machte Maria als junge Frau <strong>und</strong> geriet<br />

dabei in eine Situation, die für sie zu einem tragischen Ereignis wur<strong>de</strong>. Im Alter <strong>von</strong> 19 Jah-<br />

ren machte sie schlechte Erfahrungen mit einem dominanten Partner. Sie beschrieb nur an<strong>de</strong>u-<br />

tungsweise, was geschah: Ich hatte damals ohne Co<strong>de</strong>-Wort angefangen <strong>und</strong> hatte eben je-<br />

man<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r gesagt hat, es gibt kein Co<strong>de</strong>-Wort. Und ich sagte, ‚Klar, kein Co<strong>de</strong>-Wort’. Und<br />

da gab es eben Punkte, die ich aber lieber nicht erzählen möchte, mehrere verschie<strong>de</strong>ne, spä-<br />

ter dann einen, <strong>de</strong>r mich total erschreckt hat, als es einfach zu weit ging. Ich hatte kein Co<strong>de</strong>-<br />

Wort, ich musste da durch. Und das Vertrauen war einfach weg. Das war futsch. Und damit<br />

war auch die Trennung da. Diese Erfahrung hatte zur Konsequenz, dass sich Maria für meh-<br />

190


ere Jahre <strong>von</strong> sadomasochistischen Sexualpraktiken distanzierte, <strong>de</strong>r Wunsch nach Unterwer-<br />

fung aber weiterhin ihre Phantasien <strong>und</strong> Vorstellungen <strong>von</strong> Sexualität dominierte. In dieser<br />

Zeit litt sie unter ständigem Druck, an<strong>de</strong>rs zu sein, als die an<strong>de</strong>ren, was schließlich zu <strong>de</strong>m<br />

Versuch führte, diese ‚Krankheit’ zu therapieren: Also wenn man das so ent<strong>de</strong>ckt, vor allem<br />

am Anfang, dann weiß man schon, dass man nicht normal ist. Wenn man das erstemal direkt<br />

sagt, ‚Ich bin Masochist’, dann wür<strong>de</strong> man es schon am liebsten je<strong>de</strong>m erzählen, rausschrei-<br />

en, <strong>und</strong> möchte auch so akzeptiert wer<strong>de</strong>n. Aber die Angst ist zu groß, weil man sich fragt,<br />

‚Was halten die Leute <strong>von</strong> einem?’, <strong>und</strong> man hat Angst, dass auf einem rumgetrampelt wird.<br />

(...) Ich hatte Probleme damit, <strong>de</strong>shalb bin ich zum Psychiater gegangen. Ich habe gesagt,<br />

‚Ich bin ja nicht normal <strong>und</strong> habe versucht, das zu verdrängen. (...) Aber <strong>im</strong> En<strong>de</strong>ffekt habe<br />

ich die Phantasie eben doch <strong>im</strong>mer noch gehabt. Deshalb lebte sie ihre Bedürfnisse über Por-<br />

nohefte <strong>und</strong> -filme <strong>und</strong> über Zeitungsberichte <strong>von</strong> Vergewaltigungen aus. Irgendwann war <strong>de</strong>r<br />

Punkt erreicht, dass ihr die mediale Befriedigung nicht mehr genügte: Und da habe ich ir-<br />

gendwann gesagt, ‚Es muss wie<strong>de</strong>r sein’. Nach fünf Jahren Pause bin ich wie<strong>de</strong>r eingestie-<br />

gen. Da war es mit <strong>de</strong>n Dingern vorbei. Seit ich das wie<strong>de</strong>r auslebe, liegen die Heftchen rum.<br />

Ihr Negativerlebnis hat sie mittlerweile verarbeitet. Sie interpretiert es dahingehend, dass sie<br />

damals einfach an <strong>de</strong>n Falschen geraten ist. Im zweiten Anlauf hat sie es geschafft, sich in<br />

einer bestehen<strong>de</strong>n SM-Szene zu etablieren, wo sie auch regelmäßig an Veranstaltungen (wie<br />

z.B. Gruppentreffen <strong>und</strong> Feten) teiln<strong>im</strong>mt. Hier kann sie ihre Neigungen entsprechend ihren<br />

Vorstellungen realisieren.<br />

Differenziert man Sadomasochismus nach unterschiedlichen Gra<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Dominanz <strong>und</strong><br />

Submission, dann versteht Maria ihre passive Rolle ein<strong>de</strong>utig als die einer Sklavin. Sie ver-<br />

wen<strong>de</strong>t diesen Begriff um zu unterstreichen, dass sie ihren Wunsch nach Unterwerfung nicht<br />

nur zeitlich begrenzt, innerhalb eines best<strong>im</strong>mten Rahmens realisieren möchte: Für mich ist<br />

es ernst. (...) Früher war es so, dass ich dachte, das ist so eine Art Spiel. Man geht ins Schlaf-<br />

z<strong>im</strong>mer, macht die Tür zu <strong>und</strong> dann ist man die Sklavin. Aber ich habe inzwischen soviel er-<br />

lebt, dass ich merke, dass ich nur <strong>im</strong> Ganzen Sklavin sein kann. Dass ich eben nicht einfach<br />

die Tür zumachen will, um dann eine Sklavin zu sein, wie<strong>de</strong>r rauszugehen, um eine Frau zu<br />

sein. Das bringt mir nicht viel. (...) Ich meine, ein Schwuler ist auch nicht auf einmal hetero,<br />

wenn er über die Straße geht. Er ist schwul. Ich möchte mir eben ständig bewusst sein, dass<br />

ich eine Sklavin bin. Ich brauche eine feste Führung. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> gestaltet sich<br />

die Beziehung zu einem Partner, <strong>de</strong>m sie sich unterwirft, was beispielsweise be<strong>de</strong>utet, dass sie<br />

auch in seiner Abwesenheit seinen Befehlen Folge leistet.<br />

Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Interviews hat Maria einen Herrn, <strong>de</strong>r sie dominiert. Da dieser wie<strong>de</strong>rum<br />

eine feste Fre<strong>und</strong>in hat, kann Maria nur seine Zweitsklavin sein. Dieser Zustand ist für sie<br />

zwar nicht sehr befriedigend, aber eine ausreichen<strong>de</strong> Zwischenlösung, bis sie jeman<strong>de</strong>n ge-<br />

191


f<strong>und</strong>en hat, <strong>de</strong>n sie nicht mit einer an<strong>de</strong>ren Frau teilen muss: Ich strebe zwar etwas Festes an,<br />

aber <strong>im</strong> En<strong>de</strong>ffekt hilft mir das jetzt, über meine Phantasien hinwegzukommen <strong>und</strong> nicht un-<br />

bedingt je<strong>de</strong>n verbissen anzuspringen, wo es geht. Also ich strebe schon eine dauerhafte Be-<br />

ziehung an. Das Verhältnis <strong>von</strong> Dominanz <strong>und</strong> Unterwerfung haben Maria <strong>und</strong> ihr Herr über<br />

einen Vertrag geregelt, in <strong>de</strong>m sie ihm die Verfügungsgewalt über ihren Körper übertragen<br />

hat: Wir haben einen richtigen schriftlichen Vertrag, mit Blut unterzeichnet, <strong>de</strong>r besagt, dass<br />

er volle Verfügungsgewalt über meinen Körper hat.(...) Wir haben diesen Vertrag jetzt<br />

erstmal vorläufig für ein halbes Jahr, aber eben verlängerungsfähig gemacht.<br />

SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle<br />

Maria hat keine Probleme mit sich <strong>und</strong> ihrem sozialen Umfeld ob dieser Sklavinnenrolle. Ab-<br />

gesehen <strong>von</strong> ihrem Beruf, wo sie ihre Neigung verbergen muss, wissen Verwandte <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>von</strong> ihrer Lei<strong>de</strong>nschaft, sich einem Mann zu unterwerfen: Ich lebe zum Beispiel mit<br />

einer Fre<strong>und</strong>in zusammen, die normal ist. Sie weiß es. Meine an<strong>de</strong>re Fre<strong>und</strong>in, die ist auch<br />

normal <strong>und</strong> die weiß das auch. Meine Mutter weiß es. Es ist also so, dass die Leute, die mir<br />

wichtig sind, es wissen. Und die Leute, die mir nichts be<strong>de</strong>uten o<strong>de</strong>r Arbeitskollegen, warum<br />

soll ich <strong>de</strong>nen das erzählen? Wenn die mich so sehen wür<strong>de</strong>n, wie jetzt <strong>und</strong> ich wür<strong>de</strong> auch<br />

noch sagen ‚Ja, ich bin Masochistin’, die wür<strong>de</strong>n doch meinen, sie könnten mich dann je<strong>de</strong><br />

Pause flachlegen. Um Gottes willen. (...). Nicht nur an Gruppenaben<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch sonst<br />

weist ihr alltägliches Outfit auf ihre Neigungen <strong>und</strong> die Zugehörigkeit zur SM-Szene hin; Ma-<br />

ria ist in <strong>de</strong>r Regel ganz schwarz <strong>und</strong> sehr feminin geklei<strong>de</strong>t. Als wir sie kennenlernten, trug<br />

sie ein Kleid mit sehr vielen Schlitzen, ein H<strong>und</strong>ehalsband aus schwarzem Le<strong>de</strong>r mit Nieten<br />

beschlagen <strong>und</strong> hohe Schuhe. Wenn ihr Herr es verlangt, ist sie auch bereit, sich an <strong>de</strong>r Leine<br />

mit ihm in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu zeigen. Dies zeigte sich auch nach unserem Interview, als er<br />

sie abholte <strong>und</strong> an <strong>de</strong>r Leine aus <strong>de</strong>r Wohnung auf die Straße führte. Da<strong>von</strong> ausgenommen<br />

sind jedoch berufsbezogene Situationen. Wir trafen Maria zu einem späteren Zeitpunkt zufäl-<br />

lig an ihrem Arbeitsplatz, wo sie sich <strong>de</strong>rart bie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> brav präsentierte, dass sie fast nicht<br />

wie<strong>de</strong>rzuerkennen war.<br />

Sklavin zu sein ist für Maria nicht gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m Abtreten ihrer Rechte auf Selbst-<br />

verwirklichung <strong>und</strong> Entfaltung <strong>de</strong>r persönlichen Freiheit. Dies wird zum einen aus ihrem<br />

Verhalten in an<strong>de</strong>ren sozialen Lebenszusammenhängen <strong>de</strong>utlich: Natürlich kann ich als Skla-<br />

vin trotz<strong>de</strong>m eigene Bereiche haben, eigene Interessen. Ich kann meine Arbeit haben <strong>und</strong> man<br />

hat auch best<strong>im</strong>mt seine Fre<strong>und</strong>e. Das alles be<strong>de</strong>utet nicht, meinen Willen zu brechen, aber<br />

ihn zu biegen. In <strong>de</strong>r Beziehung, die ich jetzt habe, habe ich durchaus mein eigenes Leben.<br />

(...) Man ist trotz<strong>de</strong>m selbständig, man arbeitet, man tut <strong>und</strong> macht, <strong>und</strong> ich trage zum Bei-<br />

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spiel das Halsband auf <strong>de</strong>r Arbeit nicht, ansonsten <strong>im</strong>mer. Es ist mir eben ständig bewusst,<br />

dass ich eine Sklavin bin, aber ich bin trotz<strong>de</strong>m selbständig, kann trotz<strong>de</strong>m mit Leuten ver-<br />

han<strong>de</strong>ln, ich kann trotz<strong>de</strong>m meinen Willen durchsetzen. Zum an<strong>de</strong>ren relativiert sich ihr Skla-<br />

vinnenverhalten, berücksichtigt man die Einschränkungen, die sie selbst aus organisatorischen<br />

<strong>und</strong> moralischen Grün<strong>de</strong>n ihrem Herrn gegenüber formuliert hat, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r o.g. Vertrag <strong>de</strong>fi-<br />

niert Pflichten <strong>und</strong> Rechte auf bei<strong>de</strong>n Seiten. Auch Marias Herr als <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r eigentlich<br />

best<strong>im</strong>mt, wann sie sich treffen <strong>und</strong> was sie dann unternehmen, muss sich an best<strong>im</strong>mte Re-<br />

geln halten <strong>und</strong> beispielsweise ihre beruflichen Verpflichtungen berücksichtigen. Hinzu<br />

kommt, dass <strong>de</strong>r Vertrag ein fiktives Konstrukt darstellt <strong>und</strong> je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Unterzeichnen<strong>de</strong>n<br />

weiß, dass es keine gültigen Rechtsgr<strong>und</strong>lagen dafür gibt: Wenn eben Verleih-Aktionen sind,<br />

dann kommt mein Dienstplan eben dran <strong>und</strong> dann wird halt geguckt, wann ich Zeit habe <strong>und</strong><br />

dann wird das eben abgesprochen. Das ist zum Beispiel auch so, dass bei Verleih gewisse<br />

Tabus bestehen, wo ich gesagt habe, dass ich das auf keinen Fall will. Das sind Pinkel- <strong>und</strong><br />

Scheißespiele o<strong>de</strong>r Sachen mit viel Blut. (...) Wir akzeptieren uns eben <strong>de</strong>nnoch. Ich kann mit<br />

meinem Herrn diskutieren <strong>und</strong> ich kann ihm klarmachen, wer ich bin. Ich bin für ihn trotz<strong>de</strong>m<br />

ein Mensch. Also für mich ist wichtig, dass ich auch <strong>von</strong> meinem Herrn akzeptiert wer<strong>de</strong>. Au-<br />

ßer<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r Vertrag En<strong>de</strong>ffekt null <strong>und</strong> nichtig. Wenn man das jetzt ganz krass als norma-<br />

ler Mensch sieht, kann ich je<strong>de</strong>rzeit sagen, ‚Du kannst dir <strong>de</strong>inen Vertrag sonstwohin stecken,<br />

du kannst ihn zerknüllen <strong>und</strong> wegschmeißen’. Aber für mich ist es eben ein Vertrag, <strong>de</strong>r <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>r Ehre her bin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> <strong>de</strong>r eben <strong>im</strong> En<strong>de</strong>ffekt beidseitig o<strong>de</strong>r einseitig auflösbar ist. (...) SM<br />

macht man <strong>im</strong> En<strong>de</strong>ffekt, wenn man eben Lust hat.<br />

Maria begreift sich <strong>de</strong>shalb auch nicht als bemitlei<strong>de</strong>nswerte Frau, die unterworfen wur<strong>de</strong>,<br />

son<strong>de</strong>rn betont, dass sie sich bewusst <strong>und</strong> freiwillig einem Mann unterwirft, <strong>de</strong>n sie sich zu-<br />

<strong>de</strong>m vorher genau ausgesucht hat: Der Unterschied besteht in einer gewissen Freiwilligkeit.<br />

Ich meine, wenn jahrelang Frauen unterdrückt wor<strong>de</strong>n sind, gezwungen wur<strong>de</strong>n, am Herd<br />

<strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Küche zu stehen <strong>und</strong> in die Kirche zu gehen, dann ist das aus Zwang heraus ge-<br />

schehen. Das ist für mich dann ungeil. Was natürlich nicht heißen soll, dass eine Hausfrau<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich unemanzipiert ist. Es gibt Hausfrauen, die sind genauso emanzipiert wie eine<br />

Karrierefrau. So bezeichnet sich Maria trotz ihres Wunsches nach Unterwerfung als emanzi-<br />

pierte <strong>und</strong> selbständige Frau, die keineswegs in das Bild <strong>de</strong>s passiven Hausmütterchens paßt,<br />

das seine Erfüllung <strong>und</strong> Pflicht darin sieht, die Wünsche <strong>de</strong>s Mannes zu befriedigen. Sie ist<br />

durchaus in <strong>de</strong>r Lage, die eigenen Bedürnisse zu artikulieren <strong>und</strong> durchzusetzen: Also ich<br />

muss ehrlich sagen, ich bezeichne mich selber schon als emanzipiert. Nicht als Emanze, aber<br />

als emanzipiert. Also ich arbeite, ich bin eigentlich auch so erzogen wor<strong>de</strong>n. Ich bin zum Bei-<br />

spiel haushaltstechnisch eine absolute Niete. Also ich kann nicht kochen <strong>und</strong> ich sehe eigent-<br />

lich auch nicht meinen Sinn <strong>de</strong>s Lebens darin, irgendjeman<strong>de</strong>m hinterherzuräumen. Ich habe<br />

193


so eine Beziehung hinter mir, also eine ‚normale’ Beziehung, wo ich mit einem Pascha zu-<br />

sammen war. (...) Es gibt einen Unterschied zwischen Pascha <strong>und</strong> Herr <strong>und</strong> die meisten Sa-<br />

disten, die ich kenne, die kochen selber, die waschen selber ab, die kochen ihren Kaffee sel-<br />

ber, die staubsaugen selber. Wenn irgendwas ist, dann eher in <strong>de</strong>r Art <strong>von</strong> einer Inszenierung.<br />

Dass <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>r nackten Sklavin ein Schürzchen umbin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> sagt: „Jetzt mach’ <strong>de</strong>n Ab-<br />

wasch! Wenn du nicht in so <strong>und</strong> so lange fertig bist, dann...“ Aber das wür<strong>de</strong> nicht je<strong>de</strong>n Tag<br />

gehen, da wäre dann <strong>de</strong>r Kick raus. Das ist eigentlich nicht so mein Ding. Ich sehe mich als<br />

sehr emanzipierte Frau. Und ich bin auch nicht <strong>de</strong>r Typ, <strong>de</strong>m man so leicht über <strong>de</strong>n M<strong>und</strong><br />

fährt. Ich kann mich schon durchsetzen. Im Gegenteil, ich glaube, ich bin eher in <strong>de</strong>r norma-<br />

len Welt eine starke Frau. Also wenn ich normal jeman<strong>de</strong>n in einer Diskothek kennenlerne,<br />

dann sind das fast nur Männer, die eine starke Frau suchen, die einen Halt suchen. Was an-<br />

<strong>de</strong>res lerne ich gar nicht kennen. Durchweg keine Sadisten, eher Mamajungs. Das Ausleben<br />

ihrer masochistischen Neigugnen als Sklavin stellt ihrer Meinung nach selbst schon einen<br />

emanzipatorischen Akt dar. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r heutigen Zeit, in <strong>de</strong>r Gleichberechtigung einen<br />

wichtigen Stellenwert einn<strong>im</strong>mt, erfor<strong>de</strong>re das Eingeständnis <strong>und</strong> die Realisation sadomaso-<br />

chistischen <strong>und</strong> darum abweichen<strong>de</strong>n Verhaltens Ich-Stärke <strong>und</strong> Sicherheit: Ich sehe meinen<br />

Masochismus als Emanzipation. Weil ich mich wirklich insofern emanzipiere, dass ich das<br />

mache, wozu ich Lust habe, auch wenn es <strong>de</strong>n Feministinnen überhaupt nicht gefällt. Dass ich<br />

also Reizwäsche trage, wenn ich ‚will’, o<strong>de</strong>r dass ich eben angekettet auf die Straße gehe,<br />

wenn ich ‚will’. Und das ist auch eine Freiheit, meine Freiheit. Für die hat keine Feministin<br />

gekämpft. Ich kämpfe nicht, um in Latzhosen rumzurennen <strong>und</strong> Männerhasser zu sein. Ich<br />

mag Männer <strong>und</strong> ich akzeptiere sie. Ich lasse mir <strong>von</strong> ihnen nicht alles sagen, es sei <strong>de</strong>nn,<br />

mein Herr ist es, <strong>de</strong>r etwas verlangt. (...) Ich glaube, eine Frau o<strong>de</strong>r ein Mann, die o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

nicht selbstbewusst ist, kann sich auch gar nicht in die Situation hineinbegeben.<br />

Rassismus, Vergewaltigung, Kin<strong>de</strong>smisshandlung <strong>und</strong> Sklaverei sind für Maria tabu. Die<br />

Möglichkeit, auf ihre Sklavinnenrolle zu verzichten, erscheint ihr jedoch <strong>im</strong> Hinblick auf ihre<br />

bisherigen positiven wie auch negativen Erfahrungen ausgeschlossen <strong>und</strong> eine Sexualität, in<br />

<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> Partner gleichberechtigt sind, nicht wünschenswert: Ich mache meine Sachen ‚frei-<br />

willig’. Ich habe es mir ja ausgesucht. Ich bin nicht unterdrückt wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn ich habe<br />

gesagt, ‚Ich will unterdrückt wer<strong>de</strong>n. (...) Ich habe ja fünf Jahre, nach<strong>de</strong>m ich schon SM-<br />

Erfahrungen gemacht hatte, ‚normale’ Partnerschaften gehabt. Und ich habe einfach ge-<br />

merkt, mir fehlt irgendwas. (...) Also darauf möchte <strong>und</strong> kann ich auf keinen Fall verzichten.<br />

194


Fall 4: Eva - ...eine stinknormale Frau <strong>von</strong> nebenan<br />

Von einem gleichgesinnten Fre<strong>und</strong> erfuhr Eva <strong>von</strong> unserem Forschungsprojekt, woraufhin sie<br />

uns in einem ausführlichen Brief ihre Unterstützung anbot. Zum Interview lud sie uns in ihre<br />

Wohnung ein. Ihre Kleidung ist vollkommen unauffällig: we<strong>de</strong>r Schmuck noch spezifische<br />

Kleidungsstücke verraten etwas über ihre sadomasochistischen Neigungen. Eva macht einen<br />

sehr selbstsicheren, aber fre<strong>und</strong>lichen Eindruck. In Bezug auf SM n<strong>im</strong>mt sie ausschließlich<br />

die aktive Rolle ein.<br />

Lebensumstän<strong>de</strong><br />

Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Kontaktaufnahme ist sie 52 Jahre alt <strong>und</strong> lebt mit ihrem Mann, mit <strong>de</strong>m<br />

sie seit 30 Jahren verheiratet ist <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>r hat, in einer Großstadt. Eva sollte Abitur machen,<br />

hat aber gegen <strong>de</strong>n Willen ihrer Eltern mit mittlerer Reife eine Ausbildung an einer Fachschu-<br />

le als Erzieherin absolviert <strong>und</strong> ist seit ihrer Heirat Hausfrau.<br />

Biographischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Während <strong>de</strong>s Krieges <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n ersten Nachkriegsjahren wuchs Eva mit ihrer Schwester zu-<br />

sammen auf <strong>de</strong>m Land auf. Außer <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Bedingungen dieser Zeit weiß sie nichts<br />

Außergewöhnliches zu berichten. Sie sieht keine Verknüpfung zwischen sadomasochistischen<br />

Neigungen <strong>und</strong> spezifischen Kindheitserfahrungen o<strong>de</strong>r Erziehungsstilen. Sie versucht auch<br />

nicht, ihre dominanten Aktivitäten über eine mögliche Veranlagung zu erklären. Früher war<br />

da absolut nichts. Wenn irgendwelche Leute sagen, es läge an <strong>de</strong>r Kindheit <strong>und</strong> so, dann sehe<br />

ich das nicht so. (...) Ich habe eine sehr autoritäre Erziehung hinter mir, wie viele in meiner<br />

Generation. Aber meine Güte, das ist für mich kein Kriterium. Wir hatten, was wir brauchten<br />

<strong>und</strong> unsere Eltern taten verantwortlich für uns ihre Pflicht an uns Kin<strong>de</strong>rn. Ich habe keinen<br />

prügeln<strong>de</strong>n Vater gehabt <strong>und</strong> keine Mutter, die um sich geschlagen hat. Die waren streng,<br />

aber das war damals ja je<strong>de</strong>r. Auch bezüglich ihrer schulischen Erfahrungen schil<strong>de</strong>rt Eva<br />

keine nennenswerten Ereignisse: Ich kann mich an nichts Spektakuläres erinnern. Ich habe<br />

die Schule nie geliebt, war <strong>im</strong>mer eine mittlere bis gute Schülerin, nie herausragend, nie<br />

schlecht. (...) Um es aber nochmals zu sagen: Es ist schon möglich, dass Frauen vielleicht<br />

eher durch die Erziehung zum lieben, gehorsamen Mädchen <strong>und</strong> zu ebensolcher Frau zum<br />

Masochismus kommen. Aber genauso ist es doch auch vorstellbar, dass sie gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>swegen<br />

nicht masochistisch wer<strong>de</strong>n, weil sie sich eben wehren wollen. Ich hätte aufgr<strong>und</strong> meiner Er-<br />

195


ziehung ebenso masochistisch wer<strong>de</strong>n können. Es war durchaus drin. Ich war ja nicht schon<br />

<strong>im</strong>mer dominierend. Ich glaube nicht, dass masochistische Frauen dazu gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />

Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

Eva gehört zu <strong>de</strong>n Frauen, die über ihren (Lebens)Partner mit sadomasochistischen Praktiken<br />

konfrontiert wur<strong>de</strong>n. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie keinerlei Phantasien <strong>und</strong> Interessen in<br />

diesem Bereich: Das ist wie in vielen stinknormalen Ehen durch meinen Mann gewesen, <strong>de</strong>r<br />

Ambitionen hatte, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen er zunächst selber nichts wusste. Ich bin also eigentlich kein<br />

Typ, <strong>de</strong>r schon <strong>im</strong>mer dominant war, früher, <strong>im</strong> Gegenteil. Ich sagte ja bereits, ich wäre si-<br />

cherlich eine total brave, vielleicht sogar masochistische Frau gewesen, wenn ich einen an<strong>de</strong>-<br />

ren Mann gehabt hätte. Da hätte ich wahrscheinlich auch mitgemacht. Ich weiß allerdings<br />

nicht, ob ich Gefallen daran gef<strong>und</strong>en hätte. Ich bin also wirklich erst durch meine Ehe dazu-<br />

gekommen. Eva hat ihren Mann gegen <strong>de</strong>n Willen ihrer Eltern geheiratet <strong>und</strong> betont dabei<br />

ausdrücklich, dass es eine Liebesheirat war. Gleich zu Beginn ihrer Ehe stellte sich heraus,<br />

dass ihr Mann sadomasochistische Interessen hatte. Obwohl es ihr anfangs schwer gefallen<br />

ist, überhaupt Verständnis dafür zu haben, ging sie zunächst lediglich aus Zuneigung zu ih-<br />

rem Mann <strong>und</strong> <strong>de</strong>r guten Beziehung auf <strong>de</strong>ssen Bedürfnisse ein, ohne jedoch beson<strong>de</strong>ren Ge-<br />

fallen daran zu fin<strong>de</strong>n: Wir haben eben sehr gut zusammen harmoniert <strong>und</strong> ich war bereit,<br />

mitzumachen. Und mehr war das am Anfang nicht. Ich habe selber dann angefangen, dass ich<br />

erst einmal versucht habe, nur tolerant zu sein, zumal weil die Beziehung geklappt hat. Und<br />

dann habe ich versucht mitzumachen. Anfangs natürlich mit sehr, sehr viel Zurückhaltung<br />

<strong>und</strong> Vorbehalten; ich bin stockkonservativ erzogen <strong>und</strong> Sie können sich vorstellen, was das<br />

heißt, wenn man dann mit SM konfrontiert wird, auch wenn es ganz, ganz soft war. (...) Es ist<br />

erstaunlich, wie lernfähig man ist, wenn man nur will <strong>und</strong> sich ein bisschen Mühe gibt, wenn<br />

auch zuerst nur aus Liebe zu einem an<strong>de</strong>ren Menschen <strong>und</strong> nicht aus eigenem Wunsch <strong>und</strong><br />

Bedürfnis. Aus einer anfänglichen Toleranz <strong>und</strong> <strong>de</strong>m bloßen Mitmachen <strong>de</strong>m Partner zuliebe<br />

entwickelte sich bei ihr ein eigenständiges Interesse an <strong>de</strong>r aktiven Rolle: Und irgendwann<br />

habe ich die Neigungen <strong>und</strong> Wünsche akzeptiert <strong>und</strong> festgestellt, dass ich selbst Spaß daran<br />

habe. (...) Ich habe dann auch sehr schnell gemerkt, welche Möglichkeiten sich mir als aktive<br />

Frau erschlossen haben <strong>und</strong> sie <strong>im</strong>mer mehr ausgelebt: Macht zu haben über <strong>de</strong>n Mann, über<br />

seine Sexualität, über seinen Körper, ja über sein gesamtes Wohlbefin<strong>de</strong>n. Seit<strong>de</strong>m habe ich<br />

auf vielfältige Weise größten Genuss aus solchen Begegnungen gezogen <strong>und</strong> habe inzwischen<br />

ein ziemlich großes Selbstbewusstsein erlangt.<br />

Dominanz <strong>und</strong> Unterwerfung praktizierte Eva zunächst nur mit ihrem Ehemann, wobei sich<br />

die Aktivitäten in Richtung Erziehung <strong>und</strong> Flagellantismus entwickelten, weshalb sie auch<br />

196


nicht als Domina, son<strong>de</strong>rn eher als Erzieherin bezeichnet wer<strong>de</strong>n möchte. Die Ver-<br />

selbständigung <strong>und</strong> Vertiefung <strong>de</strong>s Interesses führte aber dazu, dass sie sich über Anzeigen<br />

auch an<strong>de</strong>re Kontakte suchte. So kann Eva mittlerweile auf eine Vielzahl unterschiedlicher<br />

Erfahrungen zurückblicken: Durch viele Umstän<strong>de</strong> <strong>und</strong> Ereignisse in meinem Leben bin ich<br />

zu <strong>de</strong>m gewor<strong>de</strong>n, was ich heute bin: Eine Erzieherin, Herrin <strong>und</strong> Gebieterin aus Lei<strong>de</strong>n-<br />

schaft <strong>und</strong> mit Spaß <strong>und</strong> Freu<strong>de</strong> daran, entsprechend veranlagte Männer in meine Dienste<br />

treten zu lassen. Auch auf viele Briefe solcher Männer, die mir schrieben, habe ich geantwor-<br />

tet. Mit vielen habe ich lange Gespräche geführt <strong>und</strong> einigen allein damit vieles geben kön-<br />

nen. Entsprechen<strong>de</strong> Anzeigen führen mich häufig in Versuchung, wie<strong>de</strong>r einmal zu reagieren.<br />

Eva betont, dass ihre erzieherischen Aktivitäten niemals mit einer professionellen, d.h. finan-<br />

ziellen Absicht verb<strong>und</strong>en waren, son<strong>de</strong>rn <strong>im</strong>mer nur aus Lei<strong>de</strong>nschaft <strong>und</strong> eigenem Spaß an<br />

<strong>de</strong>r Sache. Aus diesem Interesse heraus trifft sie sich nach ausführlichem Briefwechsel hin<br />

<strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r mit an<strong>de</strong>ren Männern, um ihre dominanten Neigungen auszuleben. Seit fünf Jah-<br />

ren hat sie eine reine SM-Beziehung zu einem Mann, <strong>de</strong>n sie regelmäßig für einen Tag be-<br />

sucht, um ihn zu dominieren: Ich fahre morgens hin <strong>und</strong> am späten Nachmittag zurück. Das<br />

zieht sich aber dann <strong>de</strong>n ganzen Tag durch.<br />

Auch über ihre persönlichen Beziehungen hinaus ist Eva <strong>im</strong> SM-Bereich engagiert. Sie<br />

schreibt sehr viel <strong>und</strong> hält auch verschie<strong>de</strong>ne SM-Erlebnisse schriftlich fest, um daraus zu<br />

lernen <strong>und</strong> möglicherweise auch mal sowas weiterzugeben. Desweiteren war Eva für ver-<br />

schie<strong>de</strong>ne kommerzielle SM-Magazine <strong>und</strong> -Zeitschriften als Schriftstellerin tätig, wobei sie<br />

in diesem Bereich schlechte Erfahrungen machen musste <strong>und</strong> ihre Texte <strong>de</strong>shalb nur noch für<br />

ein sehr ausgewähltes Publikum verfaßt: Ich habe eine beson<strong>de</strong>rs große Phantasie <strong>und</strong> eine<br />

enorme Vorstellungsgabe, die ich schon mehrfach dazu genutzt habe, überaus reizvolle <strong>und</strong><br />

sicherlich auch interessante Geschichten zu schreiben. Allerdings sind sie nur für SM-<br />

Menschen interessant <strong>und</strong> reizvoll <strong>und</strong> es gibt keine Möglichkeit, sie einem größeren Kreis<br />

zugängig zu machen; <strong>de</strong>nn einschlägige Magazine reißen sie mir zwar aus <strong>de</strong>r Hand <strong>und</strong> dru-<br />

cken sie auch, aber sie tun es für nicht einmal ein Danke, geschweige <strong>de</strong>nn ein Belegex-<br />

pemplar o<strong>de</strong>r gar ein Honorar. Sie wollen nur daran verdienen. Nur, ausbeuten lasse ich<br />

mich <strong>de</strong>nn doch nicht. So schreibe ich zwar, aber es gibt nur wenige Menschen, die es lesen<br />

<strong>und</strong> die ich sehr damit erfreuen kann. Ich habe zweifellos genügend Texte geschrieben. Die<br />

meisten Texte <strong>und</strong> Geschichten etc. habe ich für meinen Mann geschrieben. Ich habe aber<br />

auch schon beispielsweise für meinen Sklaven zum Geburtstag eine Geschichte verfaßt. Ich<br />

schreibe sehr viel auf meinen Bahnfahrten <strong>und</strong> es ist durchaus repräsentativ, was ich schrei-<br />

be: Gedanken, Leserbriefe <strong>und</strong> eben Geschichten. Für meinen Mann habe ich dann noch vor<br />

zwei Jahren eine Zeitschrift begonnen, ‚Utopie 2000’, an <strong>de</strong>r er viel Spaß hat, aber sie ist<br />

sehr auf ihn zugeschnitten. Ich habe auch Gedichte, Geschichten <strong>und</strong> Briefe als Danke <strong>von</strong><br />

197


Sklaven bekommen, auch <strong>von</strong> welchen, die auf meine Veröffentlichungen reagierten. Daneben<br />

hat Eva auch schon Fotos <strong>von</strong> sich zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. So zeigte sie<br />

uns ein Magazin, in <strong>de</strong>m sie in schwarzen Le<strong>de</strong>rstiefeln <strong>und</strong> Le<strong>de</strong>rrock mit einer Peitsche in<br />

<strong>de</strong>r Hand zu sehen war. Auf weitere Szenekontakte wie beispielsweise <strong>de</strong>n Besuch <strong>von</strong> Club-<br />

aben<strong>de</strong>n, Vorführungen etc. möchte sie jedoch verzichten, da ihr solche Veranstaltungen nicht<br />

authentisch genug erscheinen: Aber in keinem Fall könnte ich zu SM etwas sagen, wenn es um<br />

Szenen geht. Ich habe da hineingerochen, wie man sagt. Das Zurschaustellen in Clubs bei-<br />

spielsweise habe ich ein einziges Mal erlebt <strong>und</strong> es war, außer sehr unterhaltsam, eigentlich<br />

ziemlich aufgesetzt. (...) Ich habe eben ‚nur’ ganz private Erfahrungen, geboren aus <strong>de</strong>r eige-<br />

nen Lust <strong>und</strong> Lei<strong>de</strong>nschaft, <strong>de</strong>r eigenen Freu<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m eigenen Spaß an diesem Metier.<br />

SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle<br />

Eva ist eine Frau, die sehr vielseitig interessiert ist <strong>und</strong> ihr Freizeitverhalten aktiv gestaltet.<br />

Sie schreibt nicht nur <strong>im</strong> SM-Bereich, son<strong>de</strong>rn beispielsweise auch seit vierzig Jahren Tage-<br />

buch, seit über dreißig Jahren Familienchronik, Reiseberichte etc. Über Fre<strong>und</strong>e, Probleme,<br />

Schwierigkeiten tobe ich mich auch schriftlich aus <strong>und</strong> bewältige damit durchaus fast alle<br />

Schwierigkeiten. Schreiben ist meine große Lei<strong>de</strong>nschaft. Darüber hinaus ist sie engagierte<br />

Umweltschützerin, Hobbyschnei<strong>de</strong>rin <strong>und</strong> -photographin <strong>und</strong> n<strong>im</strong>mt in diesem Zusammen-<br />

hang aktiv am Vereinsleben teil. Sie hat ein positives Selbstbild <strong>und</strong> beschreibt sich als eine<br />

Frau, die mit sich <strong>und</strong> ihrem Leben r<strong>und</strong>um zufrie<strong>de</strong>n ist. In ihrer Beziehung zu ihrem Mann<br />

war <strong>und</strong> ist <strong>im</strong>mer genügend Freiraum für eigenständige Interessen <strong>und</strong> Unternehmungen,<br />

was <strong>von</strong> seiner Seite aus intensiv unterstützt wird. In ihrer Rolle als Hausfrau <strong>und</strong> Mutter fühlt<br />

sie sich wohl. Sie glaubt, ihre Kin<strong>de</strong>r liebevoll, unter großem Einsatz <strong>und</strong> mit viel Zuwendung<br />

erzogen zu haben. Auch in Bezug auf ihre sadomasochistischen Aktivitäten hat Eva keine<br />

Probleme. Sie wen<strong>de</strong>t sich entschie<strong>de</strong>n gegen die These, SM-Interessierte seien krank o<strong>de</strong>r<br />

pervers <strong>und</strong> begreift sich selbst als eine Frau, wie je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re: Wissen Sie, es ist mir wichtig,<br />

wenn sie unser Interview veröffentlichen sollten, dass es rüberkommt, dass ich eine ganz<br />

normale Frau bin, die mit bei<strong>de</strong>n Beinen voll <strong>im</strong> Leben steht. Darauf lege ich großen Wert,<br />

dass man sieht, das ist eine stinknormale Frau wie die <strong>von</strong> nebenan. Auch wenn sich SM<br />

manchmal durch unseren ganzen Ehealltag zieht, so sind es <strong>im</strong>mer nur Momente o<strong>de</strong>r Pha-<br />

sen. Es ist für mich ein Prickel, ein Flirren, das auch nach dreißig Jahren noch interessant<br />

ist. Weil sie aber mit Sicherheit zu wissen glaubt, dass ihre Fre<strong>und</strong>e sich <strong>von</strong> ihr <strong>und</strong> ihrem<br />

Mann distanzieren wür<strong>de</strong>n, wenn sie <strong>von</strong> ihrer Vorliebe für sadomasochistische Sexualprakti-<br />

ken wüssten, schweigt sie sich ihnen gegenüber darüber lieber aus: Ich habe keine Negativer-<br />

fahrungen mit Nicht-SM-Bekannten. Die wenigen, die wir haben, wür<strong>de</strong>n aber sofort weg<br />

198


sein, wenn sie es wüssten. Für Eva sind sadomasochistische Sexualpraktiken nicht mit Gewalt<br />

zu verwechseln, ein Gr<strong>und</strong>, weshalb sie die Argumentation <strong>de</strong>r Feministinnen nicht verstehen<br />

kann: Ich halte mich durchaus für emanzipiert, allerdings an<strong>de</strong>rs, als es Feministinnen mei-<br />

nen. (...) Ich kann auch nicht verstehen, warum sich Feministinnen über SM aufregen. Das ist<br />

doch keine Gewalt, das ist doch etwas ganz an<strong>de</strong>res. Hier treffen sich Menschen, die mitein-<br />

an<strong>de</strong>r auf ganz best<strong>im</strong>mten Wellenlängen harmonieren. Der Masochist will doch die Gewalt.<br />

Sie ist für ihn Lust. Sadismus scheint hier auch völlig falsch verstan<strong>de</strong>n zu wer<strong>de</strong>n. Bei<strong>de</strong> wol-<br />

len doch, was sie tun. Ein wahrer Sadist wür<strong>de</strong> hierauf keine Rücksicht nehmen. (...) Ich habe<br />

selbst schon eine masochistische Frau erlebt <strong>und</strong> bin <strong>de</strong>r Meinung, dass diese Frau <strong>de</strong>n <strong>de</strong>-<br />

mütigen<strong>de</strong>n, quälen<strong>de</strong>n, sexuell ausbeuten<strong>de</strong>n Mann genauso genossen hat, wie ich es eben<br />

<strong>von</strong> masochistischen Männern her kenne. Das heißt aber doch noch lange nicht, dass ich <strong>de</strong>r<br />

Meinung bin, dass Männer recht haben, wenn sie <strong>de</strong>nn pauschal meinen, Frauen müsste man<br />

es besorgen, die wollten es nicht an<strong>de</strong>rs. Das ist etwas ganz an<strong>de</strong>res. Das ist doch nicht das<br />

gleiche als wenn junge Frauen beispielsweise bei Männern bleiben, die gewalttätig sind.<br />

Mein Mann hätte mich ein einziges Mal in unserer Ehe vergewaltigt, wenn ich es als solches<br />

empf<strong>und</strong>en hätte. Ich wäre sofort weg gewesen. SM ist etwas ganz an<strong>de</strong>res.<br />

Ihre dominante Rolle <strong>im</strong> sadomasochistischen Arrangement möchte Eva nicht als Rache o<strong>de</strong>r<br />

gar Männerhaß verstan<strong>de</strong>n wissen, <strong>im</strong> Gegenteil; sie hat ein positives Männerbild: Als eine<br />

beson<strong>de</strong>rs wichtige Aussage möchte ich eine Feststellung an <strong>de</strong>n Anfang stellen: Ich mag<br />

Männer <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>und</strong> ‚dienen<strong>de</strong>’ Männer <strong>im</strong> Beson<strong>de</strong>ren. (...) Wenn ich mir da angu-<br />

cke, was ich da inzwischen kennengelernt habe, dann sage ich mir, also so gewalttätig sind<br />

die Männer gar nicht. (...) Ich bin nicht bereit, alle Männer als in irgen<strong>de</strong>iner Art gewalttätig<br />

anzusehen, wie ich - sieht man einmal da<strong>von</strong> ab, dass ich Pauschalisierungen nicht mag -<br />

auch nicht bereit bin, Frauen als in je<strong>de</strong>m Fall friedlieben<strong>de</strong>r anzusehen.<br />

Toleranz gegenüber <strong>de</strong>njenigen, die <strong>von</strong> <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Normen <strong>und</strong> Werten abwei-<br />

chen, for<strong>de</strong>rt sie für sich <strong>und</strong> für all diejenigen, die da<strong>von</strong> betroffen sind. Dies war auch ihr<br />

Motiv, uns bei unserer Studie zu unterstützen: Ich habe <strong>im</strong> Laufe <strong>von</strong> Gesprächen schon viel<br />

Negatives erfahren. Vor allen Dingen auch viel Schl<strong>im</strong>mes in <strong>de</strong>r Weise, dass die Leute auch<br />

nichts ausleben können. Nicht mal die kleinste Kleinigkeit. Und dann sind sie permanent<br />

frustriert. Wenn sie so eine Lei<strong>de</strong>nschaft haben, <strong>und</strong> die können es nirgendwo auslassen, das<br />

muss ein wahnsinniger Frust sein. Das sehe ich schon als sehr negativ. (...) Es müsste zumin-<br />

<strong>de</strong>st möglich sein, dazu stehen zu können, ohne gleich abzufallen o<strong>de</strong>r als krank o<strong>de</strong>r unnor-<br />

mal zu gelten. Auch Kontakte, wenigstens zu Gleichgesinnten, müssten leichter sein, offener.<br />

Ich bin aber nicht bereit, mich <strong>von</strong> intoleranten Menschen diskr<strong>im</strong>inieren zu lassen, die mich<br />

ja gar nicht verstehen wollen. Mich bedrückt in dieser Gesellschaft, dass ich sehr wohl mehr<br />

Toleranz unter Erwachsenen für möglich hielte. Ich behan<strong>de</strong>le Menschen, die meine Neigung<br />

199


nicht teilen können, doch auch nicht als unnormal. Denn wer maßt sich <strong>de</strong>nn an, zu best<strong>im</strong>-<br />

men, was eigentlich normal ist?<br />

Obwohl auch Eva als dominante Frau schon negative Erfahrungen machte, (beispielsweise in<br />

<strong>de</strong>m einen Fall, als sich ein sadistischer Mann als passiv ausgegeben hat, um auf diese Weise<br />

eine Frau zu fin<strong>de</strong>n, die wirklich nicht dominiert wer<strong>de</strong>n will), steht sie sadomasochistischen<br />

Sexualpraktiken insgesamt gesehen sehr positiv gegenüber. Ihr Resümee: Wenn ich auf meine<br />

Eltern gehört hätte <strong>und</strong> eine brave Tochter gewesen wäre, hätte ich meinen Mann niemals<br />

geheiratet. Welch ein Verlust wäre das in meinem Leben gewesen. Ich habe alles so gemacht,<br />

wie ich es mir wünschte - <strong>und</strong> nichts bereut. Seit ich SM mache, hat sich vieles geän<strong>de</strong>rt. Ich<br />

bin selbstbewusster, sicherer <strong>im</strong> Umgang mit Menschen gewor<strong>de</strong>n, ganz allgemein <strong>und</strong> insbe-<br />

son<strong>de</strong>re mit Männern, mit allen Männern! (...) Ich habe Männern gegenüber eine selbstbe-<br />

wusste Einstellung, auch als ganz ‚normale’ Frau. Ich begegne <strong>de</strong>n meisten Männern schließ-<br />

lich als ganz normale Frau. Mann spürt, ich lasse mich nicht in die Ecke drücken. (...) Mein<br />

Denken ist wesentlich großzügiger gewor<strong>de</strong>n, wenn es um menschliche ‚Schwächen’ geht, die<br />

ich bei an<strong>de</strong>ren tolerieren will. Letzteres habe ich auch früher schon versucht, aber heute<br />

gelingt es mir besser. Ich kann Sätze die so anfangen: die Lesben, die Schwulen, die Stu<strong>de</strong>n-<br />

ten, die Hausfrauen, die Männer, die Auslän<strong>de</strong>r, die Frauen, die Perversen, die Beamten, die<br />

Penner usw., einfach nicht ausstehen. Wir vergessen, dass wir alle Menschen sind, mit<br />

Schwächen, mit Fehlern, aber auch mit Stärken <strong>und</strong> vielen positiven Eigenschaften, die wir<br />

bei an<strong>de</strong>ren nur allzu vorschnell verdammen wollen. Vielleicht sogar, weil wir neidisch sind,<br />

dass an<strong>de</strong>re auch glücklich leben, zufrie<strong>de</strong>n sind, gut erzogene Kin<strong>de</strong>r haben usw., auch wenn<br />

sie ja alles so an<strong>de</strong>rs machen, als wir selbst. Wir meinen, je<strong>de</strong>r für sich, <strong>und</strong> ich nehme mich<br />

da nicht aus, auch wenn ich mich ständig bemühe, mich zu bessern, nur was wir selbst ma-<br />

chen ist <strong>im</strong>mer richtig. Nur das ist eben <strong>de</strong>r große Irrtum. Auch sollten ihrer Meinung nach<br />

insbeson<strong>de</strong>re Frauen für die Bedürfnisse ihrer Partner offener sein, was aber nicht be<strong>de</strong>uten<br />

soll, dass sie Sadomasochismus unter allen Umstän<strong>de</strong>n gegen ihren Willen praktizieren soll-<br />

ten rein aus <strong>de</strong>r Angst, ihre Männer an die Konkurrenz o<strong>de</strong>r an irgendwelche professionelle<br />

Frauen zu verlieren. Aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Erfahrung, die Eva mit ihrem Mann gemacht hat, aber<br />

auch vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> ihrer sonstigen Aktivitäten als Domina hält sie es für durchaus<br />

möglich, sadomasochistische Neigungen in einer guten Beziehung anzusprechen <strong>und</strong> zu prü-<br />

fen, inwieweit es sich innerhalb <strong>de</strong>r Partnerschaft realisieren lässt: Es gibt viele, zuviele Frau-<br />

en, die doch gar nicht bereit sind, auf ihre Männer einzugehen. Es gibt Frauen, die meinen,<br />

ihr Mann sei pervers - sie sagen wirklich pervers -, weil es ihn erregt, wenn sie ihm z.B. in<br />

schwarzen Strümpfen kommen. Sie sind <strong>de</strong>r Meinung, <strong>de</strong>r Mann solle dann zu einer Nutte<br />

gehen, mit solchen Gelüsten. Um was bringen sich diese Frauen? Sie könnten die Sexualität<br />

ihres Mannes beherrschen, wenn sie es nur wollten, <strong>und</strong> meinen <strong>de</strong>nnoch, <strong>de</strong>r Mann beherr-<br />

200


sche sie. Wer ist <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r auf Visionelles reagiert? Das sind doch die Männer.<br />

Warum sollte man diese Schwäche nicht nutzen, für sich? (...) Ich konnte S/M-veranlagte<br />

Männer überzeugen, Mut zu haben <strong>und</strong> mit ihren Frauen zu sprechen. In diesen Fällen, wo es<br />

die Männer getan haben, war es positiv. Die Frauen haben voll mitgemacht <strong>und</strong> sogar ‚har-<br />

ten’ SM nicht nur toleriert. Auf solche Erfolge bin ich dann beson<strong>de</strong>rs stolz, zumal mir sowohl<br />

die ehemaligen Sklaven als auch insbeson<strong>de</strong>re ihre Frauen sehr dankbar waren.<br />

Eva möchte nicht auf SM verzichten, auch wenn sie betont, dass sie - <strong>im</strong> Gegensatz zu vielen<br />

masochistischen Männern - nicht abhängig ist <strong>von</strong> dieser Art <strong>de</strong>r Sexualität. Auch ist es ihr<br />

mittlerweile nicht mehr ganz so wichtig, ihre Neigungen um je<strong>de</strong>n Preis zu verstecken <strong>und</strong> zu<br />

verschweigen. Ich lasse es heute durchaus schon mal raus. Auch um die Toleranz meiner<br />

Mitmenschen zu prüfen. Bei Männern habe ich da wesentlich bessere Karten. (...) In je<strong>de</strong>m<br />

Fall wer<strong>de</strong> ich nicht da<strong>von</strong> ablassen, son<strong>de</strong>rn eher noch mutiger dazu stehen!<br />

Fall 5: Dorothea - ...Konflikte habe ich nie gehabt<br />

Um <strong>de</strong>n umstän<strong>de</strong>halber verlorengegangenen Kontakt zu Gleichgesinnten wie<strong>de</strong>r aufnehmen<br />

zu können, annoncierte Dorothea in einem einschlägigen Szene-Magazin, so dass diese alten<br />

Bekannten sich nach ihrem Umzug unter einer neuen Telefonnummer wie<strong>de</strong>r bei ihr mel<strong>de</strong>n<br />

konnten. Auf diese Art <strong>und</strong> Weise konnten auch wir in Kontakt zu ihr treten. Nach anfängli-<br />

chem Zögern bestellte sie uns schließlich in ein Appartement, <strong>von</strong> <strong>de</strong>m sie sagte, dass es ei-<br />

nem Fre<strong>und</strong> gehöre <strong>und</strong> das bei uns <strong>de</strong>n Eindruck hinterließ, als wür<strong>de</strong> es ausschließlich zum<br />

Zwecke <strong>de</strong>r Realisierung sadomasochistischer Neigungen genutzt. Ganz <strong>im</strong> Gegenteil zur<br />

Ausstattung <strong>de</strong>s Appartements ist Dorothea bei unserem Treffen völlig unauffällig geklei<strong>de</strong>t.<br />

Sie macht auf uns einen ruhigen, aber selbstsicheren Eindruck. Ihre sadomasochistische Rolle<br />

<strong>de</strong>finiert sie als ausschließlich dominant.<br />

Lebensumstän<strong>de</strong><br />

Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Interviews ist Dorothea 50 Jahre alt. Sie hat studiert <strong>und</strong> bisher unter-<br />

schiedliche Berufe ausgeübt: Elektro-Ingenieurin, Dolmetscherin, Chefsekretärin, Lektorin<br />

<strong>und</strong> Nachhilfelehrerin. Sie lebt alleine in ihrem Haus in einer mittleren Stadt. Dorothea ist<br />

heterosexuell <strong>und</strong> seit mehr als 25 Jahren als dominante Frau in <strong>de</strong>r SM-Szene aktiv.<br />

201


Biographischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Dorothea hatte keine angenehme Kindheit <strong>und</strong> Jugend. Ihre Mutter war sehr religiös <strong>und</strong> hat<br />

versucht, sie entsprechend dieser Vorstellungen zu erziehen. Alles Weltliche, angenehme <strong>und</strong><br />

unterhaltsame Tätigkeiten waren für Dorothea verboten: Zum Beispiel das Spielen mit gleich-<br />

altrigen o<strong>de</strong>r älteren Kin<strong>de</strong>rn, das Lesen <strong>von</strong> Unterhaltungsliteratur, <strong>de</strong>r Besuch <strong>von</strong> Veran-<br />

staltungen eingeschlossen Kino, Theater, Jugendtreffen usw. Dorotheas Vater teilte die Auf-<br />

fassung <strong>de</strong>r Mutter nicht. Dementsprechend gestaltete sich das Zusammenleben <strong>de</strong>r Eheleute<br />

nicht sehr harmonisch <strong>und</strong> die Spannungen übetrugen sich auf Dorothea, bis die Eltern sich<br />

schei<strong>de</strong>n ließen: Und ich war natürlich betroffen <strong>von</strong> all diesem als Kind. (...) Ich bin da sehr<br />

viel hin- <strong>und</strong> hergeschoben wor<strong>de</strong>n <strong>und</strong> ausgenutzt <strong>und</strong> ausgespielt wor<strong>de</strong>n <strong>und</strong> mein Vater<br />

hat mich oft geschlagen, bloß um meiner Mutter damit eins auszuwischen. Also nicht, weil ich<br />

es vielleicht verdient gehabt hätte, son<strong>de</strong>rn eigentlich nur, um ihr damit etwas zuzufügen. Um<br />

sich <strong>de</strong>r repressiven Erziehung <strong>de</strong>r Mutter zu entziehen, hat Dorothea ihr Zuhause nach <strong>de</strong>r<br />

Pubertät verlassen. Sie war jedoch nicht in <strong>de</strong>r Lage, sich selbst zu unterhalten <strong>und</strong> ging aus<br />

wirtschaftlichen Grün<strong>de</strong>n eine Ehe ein, ohne Überzeung, bloß um nicht mehr zu Hause leben<br />

zu müssen. Zwischen <strong>de</strong>n Mißstän<strong>de</strong>n in ihrer Kindheit <strong>und</strong> Jugend, die sich auch durch<br />

Schwierigkeiten in <strong>de</strong>r Schule (Leistungsverweigerung, Sozialverhalten) äußerten, <strong>und</strong> ihren<br />

sadomasochistischen Aktivitäten sieht sie einen konkreten Zusammenhang: Kin<strong>de</strong>r, die aus<br />

solchen Familien kommen, die stehen ganz schlecht da, die sind unselbständig. Dorothea<br />

wollte nicht in eine solche Situation <strong>de</strong>r Unselbständigkeit geraten, son<strong>de</strong>rn wollte eigentlich<br />

schon <strong>im</strong> Leben stehen. Natürlich hat sich das irgendwie in mir nie<strong>de</strong>rgeschlagen, so dass ich<br />

mir gesagt habe: ‚Jetzt will ich aber da stehen, also jetzt will ich was sein! Jetzt will ich die<br />

Sachen in die Hand nehmen <strong>und</strong> jetzt will ich das dirigieren! Und ich will selber sehen, wie<br />

ich zurechtkomme.’ Und das hat wahrscheinlich dann meine dominante Neigung unterstützt<br />

<strong>und</strong> geför<strong>de</strong>rt. Sehr wahrscheinlich.<br />

Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

Ihre ersten praktischen Erfahrungen mit SM machte Dorothea als junge Frau. Sie las in einer<br />

allgemeinen Tageszeitung die Anzeige eines passiven Mannes, auf die sie antwortete <strong>und</strong> sich<br />

daraufhin mit ihm traf: Auf diese Anzeige habe ich geschrieben <strong>und</strong> wir haben dann unsere<br />

netten Spiele gemacht <strong>und</strong> so hat das damals vor langer Zeit angefangen.<br />

Seit diesem Zeitpunkt hat Dorothea ihr Interesse an SM intensiviert <strong>und</strong> kultiviert. Sie reali-<br />

siert ihre dominanten Neigungen mit unterschiedlichen Partnern, die sie über Kon-<br />

taktanzeigen o<strong>de</strong>r auch Clubaben<strong>de</strong> <strong>und</strong> ähnliches kennenlernt. Dorothea betont, dass sie kei-<br />

202


ne finanziellen Interessen mit Sadomasochismus verbin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> sich auch nicht als Handlange-<br />

rin masochistischer Männer versteht, son<strong>de</strong>rn ihr Interesse in <strong>de</strong>r Sache begrün<strong>de</strong>t liegt: Vor-<br />

ausschicken möchte ich vor allen Dingen, dass ich eine Privatperson bin. Dass ich also nichts<br />

mit dieser Profi-Szene zu tun habe, die ja allerorten auftaucht. In je<strong>de</strong>r größeren Stadt gibt es<br />

ja sogenannte ‚Studios’, die <strong>von</strong> Profi-Frauen betrieben wer<strong>de</strong>n, die ja eigentlich nur einen<br />

Zweck verfolgen - nämlich: Geld zu kassieren. Und zu diesen Personen zähle ich mich also<br />

absolut überhaupt nicht. Ich habe kein professionelles Studio, das ich betreibe. Son<strong>de</strong>rn ich<br />

bin eine Privatperson, die sich schon sehr lange mit diesem Thema befasst. Ich befasse mich<br />

hobbymäßig damit, das ist also nicht Gr<strong>und</strong>lage eines finanziellen Geschäftes, son<strong>de</strong>rn ich<br />

befasse mich einfach hobbymäßig damit.(...) Ich habe eine Passion. Ich tue das gerne. (...)<br />

Das ergreift mich.<br />

Mittlerweile hat Dorothea vielzählige Kontakte. Um ihre Person hat sich ein Kreis <strong>von</strong> SM-<br />

Interessierten aus <strong>de</strong>m In- <strong>und</strong> Ausland gebil<strong>de</strong>t, mit <strong>de</strong>nen sie teilweise eine int<strong>im</strong>e, fre<strong>und</strong>-<br />

schaftliche Beziehung verbin<strong>de</strong>t: Im Laufe <strong>de</strong>r Zeit habe ich einen netten Kreis um mich ge-<br />

schart. Das hat lange gedauert, das ist langsam gegangen, <strong>de</strong>nn ich habe eigentlich nie an-<br />

nonciert. Das ist ein kleiner Kreis, <strong>de</strong>r sehr exklusiv ist, was die Neigungen <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n<br />

Personen angeht. (...) Ich habe da sehr viel erlebt, ich habe sehr viele Leute studiert. Psycho-<br />

logisch gesehen. (...) Und in meinem Kreis haben die Leute alle großes Vertrauen zu mir <strong>und</strong><br />

sie berichten mir auch alles. Nicht nur, was in ihrem SM-Leben vorgeht, auch vieles darüber<br />

hinaus. Ich nehme an vielem Anteil, sie rufen mich oft an, sie fragen mich um Rat, sie sagen,<br />

‚Dies <strong>und</strong> das <strong>und</strong> jenes ist passiert, was kannst du mir dazu sagen?’.<br />

Dorothea legt sehr viel Wert auf Bildung <strong>im</strong> traditionell bürgerlichen Sinne <strong>und</strong> die Fähigkeit,<br />

‚guten SM’ zu praktizieren ist ihrer Meinung nach eng an <strong>de</strong>n jeweiligen Bildungsstand <strong>de</strong>r<br />

beteiligten Personen geknüpft: Also ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Frau, die keine<br />

Ausbildung in ihrem Leben genossen hat, die keine Möglichkeit gehabt hat, sich auch lebens-<br />

mäßig zu entwickeln, eine dominante Frau sein könnte. Kann ich mir absolut nicht vorstellen.<br />

Also eine gewisse Gr<strong>und</strong>lage muss da vorhan<strong>de</strong>n sein. Sie können jetzt sagen: Ja, gut, ein<br />

Fabrikmädchen kann auch eine Peitsche in die Hand nehmen <strong>und</strong> kann auch irgendjemand<br />

schlagen. Sicher, das kann sie. Warum soll sie es nicht können? Und vielleicht kann sie das<br />

sogar mit einiger Brutalität machen. Aber ob das dann das Gegebene ist, das ist die an<strong>de</strong>re<br />

Frage. (...) Sie wissen doch, je gebil<strong>de</strong>ter ein Mensch ist, <strong>de</strong>sto aufgeschlossener ist er, je<br />

mehr Hintergr<strong>und</strong> er hat, je mehr er studiert hat, <strong>de</strong>sto mehr kann er aufnehmen, erfassen,<br />

übersehen. Der steht doch auf einem ganz an<strong>de</strong>ren Po<strong>de</strong>st. (...) Also jemand, <strong>de</strong>r bloß in <strong>de</strong>r<br />

Hilfsschule war, <strong>de</strong>r kann best<strong>im</strong>mt nicht mit Integralrechnung umgehen. Und da fängt ja die<br />

Mathematik erst an, interessant zu wer<strong>de</strong>n. Und so ist das in diesem Bereich auch. (...) Des-<br />

wegen sagte ich ja, es kann auch ein Fabrikmädchen dominant sein <strong>und</strong> die kann auch einen<br />

203


Partner fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r zu ihr paßt. Warum nicht. Das kann sie. Aber sie hat natürlich nicht die-<br />

sen Facettenreichtum. Deshalb fin<strong>de</strong>n sich in Dorotheas Zirkel Personen (Männer <strong>und</strong> Frau-<br />

en) <strong>im</strong> Alter zwischen 20 <strong>und</strong> 80 Jahren, die vorwiegend aus <strong>de</strong>r Oberschicht kommen. Sie<br />

achtet sehr darauf, dass diese Zusammensetzung auch so bleibt <strong>und</strong> trifft ihre Entscheidung,<br />

jeman<strong>de</strong>n aufzunemen o<strong>de</strong>r nicht, vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> dieses Anspruchs: Es sind auch keine<br />

Leute aus irgendwelchen unteren Schichten. Das Niveau <strong>de</strong>r Leute in meinem Kreis ist<br />

durchweg ein gehobenes, <strong>und</strong> zwar in je<strong>de</strong>r Beziehung: geistig, kulturell <strong>und</strong> wirtschaftlich.<br />

Viele <strong>de</strong>r Leute sind Aka<strong>de</strong>miker. Ärzte, Anwälte, Wissenschaftler, Manager, Geistliche, viele<br />

sind beruflich gut gestellt, selbständig o<strong>de</strong>r in guten Positionen in <strong>de</strong>r Wirtschaft o<strong>de</strong>r be<strong>im</strong><br />

Staat. Jüngere Leute studieren noch o<strong>de</strong>r absolvieren langjährige Ausbildungen. Ich könnte<br />

natürlich einen Fabrikarbeiter in meinem Kreis aufnehmen o<strong>de</strong>r einen Bauhilfsarbeiter. Mit<br />

<strong>de</strong>m wür<strong>de</strong> ich aber nicht sehr glücklich wer<strong>de</strong>n.<br />

Dorothea hat eine Vielzahl <strong>von</strong> SM-Beziehungen zu verheirateten, passiven Männern, <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>nen einige eigens zu SM-Arrangements aus <strong>de</strong>m Ausland zu ihr nach Deutschland geflogen<br />

kommen. In <strong>de</strong>n meisten Fällen verbergen die ihr bekannten Sadomasochisten ihre Neigungen<br />

vor ihren Frauen <strong>und</strong> ihrer Familie. Deshalb ist die Kontaktaufnahme ja eine Einbahnstraße.<br />

Also ist die Kontaktaufnahme <strong>von</strong> mir zu einem SM-Partner meistens abgeschnitten. Da gibt<br />

es vielleicht, wenn ich das über <strong>de</strong>n Daumen peile, 20%, 30%, eher 20, wo ich in <strong>de</strong>r Lage<br />

bin, jeman<strong>de</strong>n anzurufen. Aber sonst fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Kontakt <strong>im</strong>mer <strong>von</strong> außen zu mir statt. (...)<br />

Aber zu Weihnachten o<strong>de</strong>r sonstigen Gelegenheiten kriege ich dann Karten <strong>und</strong> Briefe, da<br />

steht dann drauf: ‚Liebe Domina, ich bin Dir so dankbar, dass Du mich verstehst, dass ich<br />

mit Dir allen Ernstes alles erleben kann, was ich erleben möchte, dass Du mich nicht aus-<br />

lachst, dass Du mich nicht <strong>von</strong> Dir weist’. Das freut mich dann auch. Einige ihrer älteren<br />

Fre<strong>und</strong>e, Männer <strong>de</strong>r ersten St<strong>und</strong>e, sind mittlerweile schon verstorben. Nicht <strong>im</strong>mer erfährt<br />

Dorothea da<strong>von</strong>. Einige haben aber be<strong>im</strong> Notar eine Nachricht hinterlassen, da die Familie <strong>de</strong>r<br />

meist verheirateten Männer <strong>von</strong> <strong>de</strong>r SM-Beziehung schließlich nichts weiß.<br />

Im Laufe <strong>de</strong>r Jahre hat Dorothea die verschie<strong>de</strong>nsten Werkzeuge <strong>und</strong> Hilfsmittel gesammelt,<br />

die sie für ihr Hobby hat anfertigen lassen o<strong>de</strong>r auch selbst angefertigt hat. Mit diesen Utensi-<br />

lien <strong>und</strong> Möbeln hat sie einen Hobbyraum für private SM-Spiele eingerichtet, <strong>de</strong>n sie auch<br />

an<strong>de</strong>ren zur Verfügung stellt: Der Raum ist natürlich komplett eingerichtet. Was <strong>de</strong>nken Sie,<br />

da habe ich ja doch schon vor langer Zeit angefangen, mir alles Mögliche auszu<strong>de</strong>nken, was<br />

ich gerne hätte. Und das hat man damals ja alles nicht kaufen können. Da hat man ja He<strong>im</strong>-<br />

arbeit leisten müssen. Und da habe ich mir eben alles Mögliche ausgedacht, wie ich das<br />

möchte. Es ist so <strong>im</strong> Lauf <strong>de</strong>r Zeit entstan<strong>de</strong>n. Immer wie<strong>de</strong>r was, <strong>im</strong>mer noch was, <strong>im</strong>mer<br />

noch was. (...) Ich habe auch selber Sachen gemacht, nicht nur alles anfertigen lassen. (...)<br />

Den Raum kann man tatsächlich benutzen. (...) Wenn man eine Partnerin hat <strong>und</strong> möchte mit<br />

204


dieser Partnerin allein sein, unter sich, kann man diesen Raum benutzen. Ohne mich. Viele<br />

Leute haben ja keine Gelegenheit, wenn sie sich als Partner schon verstehen, ihre Handlun-<br />

gen dann durchzuführen, weil dann die Familie <strong>im</strong> Weg steht, weil die Kin<strong>de</strong>r da sind, die<br />

Schwiegermutter da ist, weil die Räumlichkeiten nicht passen, weil die Nachbarn aufpassen,<br />

<strong>und</strong>, <strong>und</strong>, <strong>und</strong>. Dann können die eben einfach gar nichts tun. Aber sie möchten gerne was tun.<br />

Und da habe ich gedacht: ‚Na ja, warum soll man <strong>de</strong>n Leuten nicht entgegenkommen?’ Da<br />

gibt es also sehr nette Paare, die mich besuchen <strong>und</strong> dann ihre Handlungen miteinan<strong>de</strong>r vor-<br />

nehmen. (...) Auch hier schau ich mir die Leute schon genau an, wer reinkommt <strong>und</strong> wer<br />

nicht. Also irgendwelche Schluris kommen zu mir nicht rein. (...) Die Auswahlkriterien sind<br />

vor allen Dingen Zuverlässigkeit, Diskretion <strong>und</strong> Korrektheit. Das sind drei Begriffe, das ist<br />

überhaupt oberstes Gebot, abgesehen vom Niveau. Aber das ist oberstes Gebot. (...) Darüber<br />

hinaus hat sie sich <strong>im</strong> SM-Bereich <strong>im</strong> Laufe <strong>de</strong>r Zeit ein umfangreiches medizinisches Hob-<br />

bywissen angeeignet: Ich habe <strong>im</strong>mer Privatstudien getrieben auf diesem Gebiet <strong>und</strong> kenne<br />

auch einige Ärzte, mit <strong>de</strong>nen ich viel diskutiert habe, so dass ich auf diesem Gebiet also sehr<br />

viel weiß. Ich wollte mal Medizin studieren, habe aber dann damals ein technisches Studium<br />

gewählt.<br />

SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle<br />

Dorothea beschreibt sich als eine selbstbewusste Frau, die vielseitig interessiert ist, vor allem<br />

sehr kunstbegeistert <strong>und</strong> -verständig. Also Musik, Literatur <strong>und</strong> Malerei sind für mich alles.<br />

Wegen ihrer dominanten Neigungen hatte Dorothea mit sich selbst niemals Probleme. Es gab<br />

für sie auch keine Konflikte mit an<strong>de</strong>ren, da sie ihre Lei<strong>de</strong>nschaft <strong>im</strong>mer gehe<strong>im</strong>gehalten hat.<br />

Über die Jahre hinweg hat sie in unterschiedlichen sozialen Bereichen unterschiedliche Rol-<br />

lenmuster ausgebil<strong>de</strong>t. In ihrem alltäglichen Umfeld, Nachbarn o<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>en gegenüber ist<br />

sie die bürgerliche Frau; <strong>im</strong> SM-Bereich hingegen die erfahrene Domina: Nein. Nein. Ich ha-<br />

be keine Konflikte gehabt. Das ist mein inneres Wesen <strong>und</strong> so bin ich. (...) Aber Sadomaso-<br />

chismus ist gesellschaftlich stark stigmatisiert. Wenn man das nach außen tragen wür<strong>de</strong>, dass<br />

man solche Neigungen hat, wür<strong>de</strong> man nicht akzeptiert wer<strong>de</strong>n. (...) Ganz klar. Ich könnte<br />

nicht bei meinen Nachbarn irgendwie <strong>de</strong>n Eindruck erwecken, dass mir diese Dinge Freu<strong>de</strong><br />

machen. Das könnte ich nicht. Ich führe also zwei Leben. O<strong>de</strong>r ich führe drei Leben, wenn Sie<br />

so wollen, <strong>und</strong> manchmal vier. Also ich habe wirklich verschie<strong>de</strong>ne Ebenen. Ich habe ein ge-<br />

sellschaftliches Leben, in <strong>de</strong>m ich mich bewege. Ich habe einen Fre<strong>und</strong>eskreis auch auf ge-<br />

sellschaftlicher Ebene natürlich. Einen sehr ausgeprägten Fre<strong>und</strong>eskreis. Und ich habe einen<br />

Fre<strong>und</strong>eskreis auf <strong>de</strong>r SM-Ebene. Die überschnei<strong>de</strong>n sich fast nicht. Es gibt vielleicht ein,<br />

205


zwei Personen, die sich überschnei<strong>de</strong>n. (...) Da wür<strong>de</strong> man anecken. Das geht nicht. Also auf<br />

gesellschaftlicher Ebene muss ich mich auch entsprechend verhalten. Wie alle an<strong>de</strong>ren.<br />

Fall 6: Marion - ...SM ist für mich die aktivste Seite <strong>von</strong> Sex<br />

Wir trafen Marion in einer Großstadt, wo sie gera<strong>de</strong> eine Woche Urlaub machte, um Gleich-<br />

gesinnte treffen zu können. Das Interview wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Wohnung eines ihrer Fre<strong>und</strong>e durch-<br />

geführt. Sie ist entsprechend ihrer sadomasochistischen Interessen ganz schwarz geklei<strong>de</strong>t,<br />

trägt hohe Stöckelschuhe, ist <strong>de</strong>zent geschminkt, hat aber grell rote Fingernägel. Marion hat<br />

ein ruhiges, fre<strong>und</strong>liches <strong>und</strong> selbstsicheres Auftreten. Im sadomasochistischen Arrangement<br />

n<strong>im</strong>mt sie vorzugsweise die masochistische Rolle ein. Ihre dominanten Phantasien lebt sie nur<br />

sehr selten aus.<br />

Lebensumstän<strong>de</strong><br />

Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Interviews ist Marion 36 Jahre alt <strong>und</strong> lebt ohne festen Partner in einer<br />

Großstadt. Sie ist als Freiberuflerin mit aka<strong>de</strong>mischem Abschluss tätig.<br />

Biographischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Nach ihrer Erziehung, Kindheit <strong>und</strong> Jugend befragt, weiß Marion nichts beson<strong>de</strong>res zu berich-<br />

ten, was ihrer Meinung nach <strong>im</strong> Zusammenhang mit SM stehen könnte. Über ihre Eltern sagt<br />

sie: Meine Eltern hatten nicht viel Zeit, waren ganz fre<strong>und</strong>lich zu mir. Ich hatte ein kühleres<br />

Verhältnis zu meiner Mutter. Zwischen mir <strong>und</strong> meinem Vater gab es eine ziemlich heiße Lie-<br />

be. Marion gibt aber an, dass sadomasochistische Phantasien <strong>und</strong> Vorstellungen bei ihr schon<br />

sehr früh vorhan<strong>de</strong>n gewesen seien: In meiner Kindheit war das so lange ich <strong>de</strong>nken kann da.<br />

Es war Sexualität <strong>und</strong> hatte damals aber noch keinen Namen. Es war etwas, das <strong>im</strong>mer viel<br />

mit Macht zu tun hatte. (...) Ich weiß nicht, ob mir jemand meine Neigungen eingere<strong>de</strong>t hat.<br />

Wenn es mir jemand eingere<strong>de</strong>t hat, dann war das wohl schon <strong>im</strong> dritten Lebensjahr.<br />

Zugang <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

Obwohl es Marion mit 15 Jahren eigentlich schon bewusst war, wo ihre sexuellen Interessen<br />

liegen, hat sie bis zum Erwachsenenalter keine Anstrengungen unternommen, diese zu reali-<br />

sieren. In Hochschul- <strong>und</strong> Stu<strong>de</strong>ntenkreisen, in <strong>de</strong>nen sie sich lange Zeit bewegte, war es<br />

206


nicht üblich, diese Art <strong>de</strong>r Sexualität zu diskutieren, geschweige <strong>de</strong>nn zu praktizieren. Erst <strong>im</strong><br />

Alter <strong>von</strong> 25 Jahren machte sie ihre ersten praktischen Erfahrungen. Sie begegnete einem<br />

Mann, <strong>de</strong>r sie dominierte: Ich bin vor knapp zehn Jahren, da war ich 25, einem Mann begeg-<br />

net, <strong>de</strong>r sowieso eine sehr starke erotische Ausstrahlung auf mich hatte. Der hat mich domi-<br />

niert, also in einer eher soften Art <strong>und</strong> Weise. Er hat mir die Hän<strong>de</strong> gefesselt <strong>und</strong> dann ein-<br />

fach sein Spiel gespielt. Und ich habe gemerkt, in<strong>de</strong>m er sein Spiel spielt, war das für mich<br />

ein phantastisches Erlebnis. Als ob sich die neue Welt für mich real macht. (...) Ich hatte Spu-<br />

ren an <strong>de</strong>n Handgelenken <strong>und</strong> ich war ungeheuer stolz darauf, weil ich dachte ‚Ich habe<br />

meins gef<strong>und</strong>en’. Der vorsichtige Versuch, mit an<strong>de</strong>ren über diese Erfahrung zu re<strong>de</strong>n, schlug<br />

jedoch fehl, woraufhin sie für eine lange Zeit keine Anstrengungen unternahm, diese Erfah-<br />

rung zu wie<strong>de</strong>rholen: Das war die Zeit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r siebziger in die achtziger Jahre rein, wo ich<br />

auch in Zusammenhängen gelebt habe, die man als Alternativbereich bezeichnen kann. So in<br />

<strong>de</strong>r Frauenbewegung <strong>und</strong> alles, was da so dran hing. Und da war so ziemlich das letzte, was<br />

angesagt war, zu thematisieren, dass Macht in <strong>de</strong>r Sexualität Lust machen kann. (...) Es wa-<br />

ren nur tasten<strong>de</strong> Versuche, Ansprechpartner zu fin<strong>de</strong>n <strong>und</strong> ich habe sie nicht gef<strong>und</strong>en. So<br />

ergab es sich, dass sadomasochistische Sexualität für Marion wie<strong>de</strong>r einige Jahre tabu war.<br />

Ausschlaggebend hierfür war auch die Schwierigkeit, einen entsprechen<strong>de</strong>n Partner zu fin<strong>de</strong>n:<br />

Ich bin nie auf jeman<strong>de</strong>n getroffen, <strong>de</strong>r mir da entsprochen hätte <strong>und</strong> ich habe auch keinen<br />

Weg gesehen, aktiv zu suchen. Weil, man erkennt einan<strong>de</strong>r nicht, man sieht es sich nicht an.<br />

(...) Ich wusste aber die ganzen Jahre ‚Das ist mein Ding <strong>und</strong> das bin ich eigentlich’. Ich kann<br />

Sexualität ansonsten auch genießen, aber je softer es ist, umso langweiliger ist es eigentlich<br />

<strong>und</strong> <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e suche ich was an<strong>de</strong>res. Geän<strong>de</strong>rt hat sich diese Situation für Marion <strong>im</strong> Alter<br />

<strong>von</strong> 33 Jahren, als sie zum erstenmal auf eine codierte Kontaktanzeige in einer allgemeinen<br />

<strong>de</strong>utschen Tageszeitung antwortete, in <strong>de</strong>r zwei Männer eine Geliebte suchten. Hieraus entwi-<br />

ckelte sich eine Dreierbeziehung, die drei Monate dauerte. Zu einem <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Männer hatte<br />

Marion darüber hinaus eine längere Beziehung, in <strong>de</strong>r sie ihre sadomasochistischen Neigun-<br />

gen ausleben konnte: Und dieser eine Mann, <strong>de</strong>r sozusagen übrig blieb, mit <strong>de</strong>m ich lange<br />

noch Kontakt hatte, <strong>de</strong>r hat eine ausgeprägt sadomasochistische A<strong>de</strong>r. Er liebt Fesselspiele,<br />

er liebt es auch zu schlagen <strong>und</strong> er hat auch die an<strong>de</strong>re Seite in sich, dass er auch unterwor-<br />

fen wer<strong>de</strong>n will. Und mit <strong>de</strong>m hatte ich die letzten zweieinhalb Jahre eine ganz lockere Bezie-<br />

hung. Wir haben uns alle vier, sechs o<strong>de</strong>r acht Wochen getroffen. Das war ein ganz lockeres<br />

Verhältnis. Damit war für mich <strong>de</strong>r Weg offen, das zu leben, was ich will.<br />

Seit<strong>de</strong>m lebt Marion ihre Neigungen regelmäßig aus <strong>und</strong> hat ihre Interessen <strong>und</strong> Aktivitäten<br />

in diesem Bereich ständig weiterentwickelt. Abgesehen <strong>von</strong> ihrer szenetypischen Kleidung<br />

hat sie sich spezielle Kleidungsstücke <strong>und</strong> Werkzeuge zugelegt: Ich habe eine schwarze Le-<br />

<strong>de</strong>rcorsage <strong>und</strong> auch noch Geschirr, ach das kennt ihr best<strong>im</strong>mt. Das ist so ein Konstrukt aus<br />

207


Le<strong>de</strong>rriemen mit Nieten, was dann z.B. nur so um die Brüste rumgeht mit einer leichten Ket-<br />

tenkonstruktion dann noch dabei. (...) Und was für mich ein sehr erotisches Objekt ist, das<br />

sind lange Le<strong>de</strong>rhandschuhe. (...) Ich habe für <strong>de</strong>n einen Mann ein Halsband gekauft. Dann<br />

habe ich mir ein Teil machen lassen. Das ist etwas ganz Beson<strong>de</strong>res. Eine Art Gürtel mit zwei<br />

Kunstglie<strong>de</strong>rn. Ich kann mir eines reintun <strong>und</strong> ich kann damit gleichzeitig jemand an<strong>de</strong>rs vö-<br />

geln. Das fin<strong>de</strong> ich als ein sehr reizvolles Instrument. Darüber hinaus manifestiert sich Mari-<br />

ons Interesse an sadomasochistischen Sexualpraktiken auch <strong>im</strong> literarischen Bereich. Sie liest<br />

sehr gerne <strong>und</strong> viel. Zeitschriften spielen für sie ebenso eine Rolle wie Bücher: Ich lese die<br />

‚Schlagzeilen’ <strong>und</strong> so ziemlich alles, was mit SM zu tun hat <strong>und</strong> was ich nicht sofort als größ-<br />

ten Blödsinn in die Ecke stelle. Größter Blödsinn sind für mich die ganz dümmliche Sorte <strong>von</strong><br />

Pornos, halt dumm geschriebene, platte Geschichten. Meistens <strong>von</strong> Männern mit wenig Ein-<br />

fühlungsvermögen in einer nur pur pornographischen Art <strong>und</strong> Weise. Also ich will jetzt nicht<br />

die ganze Pornokritik <strong>de</strong>r Frauenbewegung runterleiern, aber das ist es <strong>im</strong> wesentlichen. Also<br />

alles, in <strong>de</strong>m man nicht die Feinheit <strong>und</strong> das Spielerische <strong>und</strong> die Lust fin<strong>de</strong>n kann, die Sa-<br />

chen tu ich weg. Ansonsten lese ich alles, was mir dazu in die Finger kommt. Ich mag auch<br />

Pornos, wenn sie gut sind. SM-Pornos, aber auch an<strong>de</strong>re. Marion hat zu zwei organisierten<br />

SM-Gruppen Kontakt aufgenommen; einen Zirkel gibt es in <strong>de</strong>r Stadt, in <strong>de</strong>r sie lebt, eine<br />

an<strong>de</strong>re Gruppe ca. 500 km <strong>von</strong> ihrem Wohnsitz entfernt, was aber insofern für Marion un-<br />

problematisch ist, als sie dort bei einer Fre<strong>und</strong>in wohnen kann.<br />

SM-I<strong>de</strong>ntität <strong>und</strong> Alltagsrolle<br />

Der Kontakt zu Gleichgesinnten war für Marion <strong>von</strong> zentraler Be<strong>de</strong>utung, erfuhr sie hier doch<br />

zum erstenmal die positive Bewertung eines <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Gesellschaft als ‚<strong>de</strong>viant’ <strong>de</strong>finierten<br />

Bereiches <strong>und</strong> damit die Entlastung <strong>von</strong> Schuldgefühlen <strong>und</strong> Konflikten: Ich fand <strong>und</strong> fin<strong>de</strong> es<br />

<strong>im</strong>mer noch sehr, sehr schwer es zu leben. Worunter ich einfach sehr gelitten habe war die<br />

Einsamkeit, dass ich mit meiner Art <strong>von</strong> Sexualität alleine bin. Ich konnte mit diesem Mann zu<br />

tun haben <strong>und</strong> ich konnte versuchen, sonst über Anzeigen Kontakt zu Männern zu fin<strong>de</strong>n. Aber<br />

all das, was ich dabei erlebt habe, es waren w<strong>und</strong>erschöne Sachen <strong>und</strong> auch beschissene Ge-<br />

schichten, die mussten in mir drin bleiben, weil ich keinen Weg gesehen habe, es meinen<br />

Fre<strong>und</strong>innen o<strong>de</strong>r Bekannten gegenüber zu erzählen. Weil ich gemerkt habe, dass das auf<br />

sehr viel Unverständnis stößt <strong>und</strong> weil ich nieman<strong>de</strong>n zu missionieren habe <strong>und</strong> ich bin auch<br />

nicht sehr exhibitionistisch, dass ich das jetzt ausbreiten müsste an je<strong>de</strong>m Tisch. Und das hat<br />

dazu geführt, dass ich in mir sehr verkapselt war. (...) Und vor gut vier Wochen habe ich dann<br />

meinen ganzen Mut zusammen genommen. Ich wusste, dass es die Szene-Zeitschrift gibt <strong>und</strong><br />

habe sie gelesen <strong>und</strong> wusste, die machen ein Fest <strong>und</strong> wusste auch, dass es einen Stammtisch<br />

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gibt <strong>und</strong> habe meinen ganzen Mut zusammen genommen <strong>und</strong> bin für eine knappe Woche nach<br />

[Stadt] gefahren <strong>und</strong> bin in einem großen Kraftakt dann zu diesem Stammtisch gegangen.<br />

Und es ist sehr, sehr schön für mich, die Leute hier kennengelernt zu haben. Weil es das ers-<br />

temal in meinem Leben einfach normal gesehen wur<strong>de</strong>. (...) Es hat mich sehr frei gemacht, zu<br />

wissen, dass ich mit <strong>de</strong>n Leuten hier, die ich sehr mag, über alles re<strong>de</strong>n kann, wie es gute<br />

Fre<strong>und</strong>e tun o<strong>de</strong>r gute Bekannte. Also es fiel mir ein Stein vom Herzen.<br />

Für Marion sind sadomasochistische Sexualpraktiken unweigerlich Akte <strong>von</strong> Gewaltaus-<br />

übung, die aber, <strong>und</strong> das ist für sie entschei<strong>de</strong>nd, freiwillig <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>m Bewusstsein <strong>von</strong><br />

Dominanz <strong>und</strong> Unterwerfung geschehen: SM ist Gewalt, selbstverständlich. Für mich ist es<br />

aber eine <strong>im</strong>mer einverständliche <strong>und</strong> spielerische Gewalt, die zwei Leuten Lust macht. (...)<br />

Diese Entscheidung ist <strong>im</strong>mer freiwillig. (...) Da sollte mir mal einer unterkommen, <strong>de</strong>r mich<br />

zwingt, nein, das geht nicht. Das ist ein Geschenk, was ich jeman<strong>de</strong>m mache. Sie wen<strong>de</strong>t sich<br />

entschie<strong>de</strong>n gegen feministische Thesen, wonach Sadisten brutal <strong>und</strong> Masochistinnen bedau-<br />

ernswerte Geschöpfe seien <strong>und</strong> formuliert ein ausgesprochen positives Männerbild: Dass die<br />

Sadisten potentielle Vergewaltiger sind, kann ich nicht bestätigen. Meine einfühlsamsten<br />

Liebhaber hatte ich unter diesen Menschen gef<strong>und</strong>en. Ich habe, um es zu generalisieren, da<br />

Menschen getroffen, die sehr viel feiner <strong>und</strong> sensibler mit meinem Körper umgehen <strong>und</strong> sehr<br />

viel besser rauskriegen, was gut ist für mich <strong>und</strong> die sich mehr Zeit lassen <strong>und</strong> viel weniger<br />

auf sich gucken als viele an<strong>de</strong>re Männer, mit <strong>de</strong>nen ich zu tun hatte. Und potentielle Verge-<br />

waltigungssituationen, wo es wirklich gegen meinen Willen ging, die habe ich <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s<br />

sogenannten normalen Sex erlebt. Und <strong>de</strong>r Behauptung <strong>von</strong> <strong>de</strong>n armen Kreaturen wi<strong>de</strong>rspre-<br />

che ich auch. Gera<strong>de</strong> in ihrer passiven Rolle innerhalb eines sadomasochistischen Spiels sieht<br />

sie die aktive Seite ihrer Sexualität: SM ist für mich - auch wenn ich in <strong>de</strong>r masochistischen<br />

Rolle bin - die aktivste Seite <strong>von</strong> Sex, die es überhaupt gibt. Mich in halb zugesoffenem Kopf<br />

mit irgendjemand in <strong>de</strong>r Wohnung aufs Bett zu legen, da gehört nicht viel Verantwortung <strong>von</strong><br />

mir für mich dazu. Diese Sachen brauchten keine Entscheidung. Aber mir zu sagen <strong>und</strong> zu<br />

spüren, wenn ich jeman<strong>de</strong>m begegne, dass ich diesem Menschen vertraue, dass ich mir <strong>von</strong><br />

diesem Menschen die Augen verbin<strong>de</strong>n lasse, dass ich mich <strong>von</strong> diesem Menschen in einen<br />

Raum führen lasse, <strong>de</strong>n ich nicht kenne, das ist etwas an<strong>de</strong>res. Diese Sorte <strong>von</strong> Ausliefern,<br />

das ist eine so bewusste Entscheidung, da muss ich ‚Ja’ sagen <strong>und</strong> zwar ohne wenn <strong>und</strong> aber.<br />

Das ist die bewussteste Entscheidung für das, was passiert überhaupt. Das ist etwas Doppel-<br />

seitiges: Auf <strong>de</strong>r einen Seite sieht es so aus, als ob ich die Verantwortung völlig abgebe, so<br />

‚Ach, ich habe ja nix damit zu tun <strong>und</strong> bin ja gefesselt <strong>und</strong> was da passiert war ist überhaupt<br />

nicht mein Ding gewesen’. Das mag irgendwo auch ein Element da<strong>von</strong> sein, aber ich <strong>de</strong>nke es<br />

ist viel komplizierter, weil bevor ich mich in dieser Situation befin<strong>de</strong>, ich mich entschei<strong>de</strong>n<br />

muss, mich für diese Situation zu vergeben. (...) Ja, das ist eine schwierige Sache mit <strong>de</strong>n<br />

209


Begriffen. In <strong>de</strong>m Moment, wenn eine Frau sagt, ‚Ich könnte mir es jetzt toll vorstellen, wenn<br />

Du dies <strong>und</strong> jenes machst, wenn Du mich jetzt fesselst’, dann mag dieses Fesseln ganz furcht-<br />

bar passiv aussehen <strong>und</strong> irgendwo auch so sein, als Konsequenz. Aber das zu sagen, das heißt<br />

ja, ‚Ich bin hier <strong>und</strong> ich will was. Ich will was für mich <strong>und</strong> ich habe einen Vorschlag. Ich will<br />

das jetzt kriegen’. Und das ist das Aktive <strong>und</strong> das Offensive. (...) Ich bin gar nicht in <strong>de</strong>r<br />

machtlosen Position. Es ist nämlich ganz genau umgekehrt. Ich fühle eine große Macht, gera-<br />

<strong>de</strong> dadurch, wenn ich mich in die passive Rolle begebe. Es ist <strong>im</strong> En<strong>de</strong>ffekt <strong>im</strong>mer mein Spiel<br />

<strong>und</strong> er hat zu tun, was ich ihm befehle. Wenn es ihm dabei auch gut geht, dann ist das ja sehr<br />

schön. (...) Ich habe gelegentlich festgestellt, dass manche Männer <strong>von</strong> meiner Sexualität er-<br />

schrocken waren, also dass ich offenbar in <strong>de</strong>m, wie ich mich sexuell verhalte, für viele Män-<br />

ner zu offensiv bin. Damit scheinen manche Männer Probleme zu haben.<br />

Marions passive Rolle <strong>im</strong> sadomasochistischen Arrangement ist ausschließlich auf <strong>de</strong>n spiele-<br />

rischen Rahmen beschränkt. Masochismus, Passivität <strong>und</strong> Willenlosigkeit <strong>de</strong>m Partner ge-<br />

genüber haben für sie nichts <strong>im</strong> Alltag <strong>von</strong> Beziehungen zu suchen. Dementsprechend gestal-<br />

tet sich ihr Verhalten: Selbstverständlich halte ich jeman<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r zwei Tüten trägt, gerne die<br />

Tür auf. Selbstverständlich stehe ich auch gerne in einer R<strong>und</strong>e auf, um das Salzfäßchen zu<br />

holen. (...) Ich habe in meinen Beziehungen beispielsweise niemals die Hausarbeiten, Spülen<br />

<strong>und</strong> so, niemals alleine gemacht. Das mag es durchaus geben. Ich habe auch schon solche<br />

Frauen kennengelernt. Aber das ist nicht mein SM <strong>und</strong> das, was ich mir darunter vorstelle<br />

<strong>und</strong> wo die Grenzen sind. Ich höre auch <strong>von</strong> Frauen, die sich <strong>von</strong> ihrem Typen befehlen las-<br />

sen, wann sie das Haus verlassen dürfen <strong>und</strong> wann nicht <strong>und</strong> solche Geschichten. Das über-<br />

steigt mein Vorstellungsvermögen. Ich kann nur versuchen, das so hinzunehmen <strong>und</strong> zu sagen<br />

‚O.k., so etwas gibt es also auch in <strong>de</strong>r Welt’. Das hat aber mit meiner SM-Geschichte nichts<br />

zu tun <strong>und</strong> ich könnte mir auch nicht vorstellen, dass es irgendwann so sein wür<strong>de</strong>. Das wäre<br />

ja langweilig. Das ist ausgeschlossen. (...) Um mich <strong>von</strong> einem Mann dominieren zu lassen,<br />

grenze ich für die Situation einen Anfang <strong>und</strong> ein En<strong>de</strong> ab. Ganz klar. Es gibt <strong>im</strong>mer mal Si-<br />

tuationen, wo man mal be<strong>im</strong> Kaffeetrinken kleine Anspielungen macht o<strong>de</strong>r ansatzweise ein<br />

Spiel macht. Z.B. dass jemand Kaffee verschüttet <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re sagt <strong>im</strong> Scherz ‚20 Stock-<br />

schläge’. Das ist dann auf <strong>de</strong>r einen Seite so was wie ein Insi<strong>de</strong>rjoke, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite ist<br />

es aber auch wie ein Flirten miteinan<strong>de</strong>r. Und das sind die einzigen Punkte, wo sich Grenzen<br />

verwischen können. Im alltäglichen Leben <strong>de</strong>finiert sich Marion als eine selbstbewusste Frau,<br />

die sich für eine Sache engagieren kann. Ihre bisherigen politischen Aktivitäten mögen hierfür<br />

als Beleg gelten: Ich komme aus <strong>de</strong>r Gewerkschaftsjugendbewegung, war jahrelang in kom-<br />

munistisch-dogmatischen Gruppen <strong>und</strong> auch in <strong>de</strong>r Frauenbewegung. Auch wenn sie <strong>im</strong> Be-<br />

reich <strong>de</strong>r Politik mittlerweile nicht mehr so aktiv ist, weiß sie <strong>de</strong>nnoch ihre Meinung <strong>im</strong> Be-<br />

210


eich <strong>de</strong>s links-alternativen Spektrums zu vertreten <strong>und</strong> persönliche Interessen <strong>im</strong> Allgemei-<br />

nen durchzusetzen.<br />

Marion empfin<strong>de</strong>t es als beson<strong>de</strong>rs unangenehm, <strong>im</strong> Gehe<strong>im</strong>en agieren zu müssen, um über-<br />

haupt einen Partner fin<strong>de</strong>n zu können <strong>und</strong> wünscht sich für die Zukunft einen offeneren Um-<br />

gang mit sadomasochistischen Sexualpraktiken, <strong>de</strong>r das Fin<strong>de</strong>n eines geeigneten Partners er-<br />

möglicht: Ich kann also nur nochmal sagen, dass es nur mit äußersten Schwierigkeiten ver-<br />

b<strong>und</strong>en ist, einen Partner zu fin<strong>de</strong>n. Die Anzeigengeschichte ist komisch. Sie ist zeitraubend<br />

<strong>und</strong> das einzige gemeinsame ist ja zunächst einmal, dass man die gleichen sexuellen Vorlie-<br />

ben hat, sonst aber nichts. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich auf jeman<strong>de</strong>n treffe, <strong>de</strong>r mich<br />

nicht reizt, <strong>de</strong>r mir nicht schmeckt, <strong>de</strong>r mir nicht gefällt, wo keine Gemeinsamkeiten sind. Es<br />

wäre mir lieber, ich könnte jeman<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rs kennenlernen. Viel lockerer, ungezwungener.<br />

Bisher blieb mir aber nichts an<strong>de</strong>res übrig. Ich hoffe, es wird sich in Zukunft än<strong>de</strong>rn.<br />

Für Marion spielt es überhaupt keine Rolle, wo ihre sadomasochistischen, insbeson<strong>de</strong>re ihre<br />

masochistischen Neigungen herrühren. Das einzige, was ihrer Meinung nach zählt, ist, ob es<br />

für die betreffen<strong>de</strong> Person ein positives o<strong>de</strong>r negatives Erlebnis be<strong>de</strong>utet. In diesem Zusam-<br />

menhang wen<strong>de</strong>t sie sich gegen jedwe<strong>de</strong>n (feministischen) Dogmatismus, <strong>de</strong>r Frauen das<br />

Recht auf sexuelle Selbstverwirklichung abspricht: Wenn Feministinnen sagen, Masochismus<br />

wäre <strong>de</strong>r Frau anerzogen <strong>und</strong> es ist ja gar nicht ihr eigener Wunsch, da muss ich doch erst<br />

einmal fragen, was das Kriterium für <strong>de</strong>n eigenen Wunsch ist. Also da scheint mir umgekehrt<br />

bei <strong>de</strong>r Fragestellung <strong>de</strong>r Wunsch <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>s Gedankens gewesen zu sein. Es ist mir <strong>im</strong><br />

Moment auch ziemlich egal, wie sie es sehen <strong>und</strong> wo das herkommt: ob das was Angeborenes<br />

ist, ob in meiner Kindheit etwas gelaufen ist, was dazu geführt hat, ob es mir jemand eingere-<br />

<strong>de</strong>t hat. Ich weiß, was ich will <strong>und</strong> dass es mir gut tut. Und ich spreche je<strong>de</strong>m das Recht ab, in<br />

<strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Sexualität eine I<strong>de</strong>ologie drüber zu stülpen. Für manche Frauen mag das<br />

Ganze schlecht sein. Für wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Frauen sind Ehen schlecht o<strong>de</strong>r sie leben oft in lesbi-<br />

schen Beziehungen o<strong>de</strong>r haben keinen Typen. Der einzige Maßstab ist aber doch, ob es mir<br />

gut geht. Ich bin erwachsen genug <strong>und</strong> habe lange genug Sexualität gelebt, um zu wissen, was<br />

mir gut tut.<br />

1.9.2.6 Frauen zwischen Dominanz <strong>und</strong> Submission<br />

Die dargestellten Fälle zeigen, dass sich für Frauen mit sadomasochistischen Neigungen keine<br />

ähnlichen o<strong>de</strong>r gar einheitlichen Muster in Kindheit <strong>und</strong> Jugend nachzeichnen lassen. Insbe-<br />

son<strong>de</strong>re die Erziehungserfahrungen sind divergent. So fin<strong>de</strong>n sich sowohl bei sexuell domi-<br />

nanten als auch passiven Frauen autoritäre <strong>und</strong> liberale Erziehungsstile. Das gleiche gilt für<br />

211


die Erziehungsinhalte, die sich <strong>im</strong> Spektrum zwischen <strong>de</strong>r Vermittlung tradierter <strong>und</strong> emanzi-<br />

pierter Weiblichkeitskonzepte bewegen. Vanessa, eine in ihrer Sexualität sowohl masochisti-<br />

sche als auch sadistische Frau, war in ihrer Kindheit <strong>de</strong>r autoritären Erziehung ihres Adoptiv-<br />

vaters ausgesetzt. Im schulischen Bereich erwartete man <strong>von</strong> ihr - ebenso wie <strong>von</strong> ihren Brü-<br />

<strong>de</strong>rn - gute Leistungen. Carmen, eine Domina, wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> ihren Eltern sehr offen erzogen,<br />

berichtet aber <strong>von</strong> prägen<strong>de</strong>n Erlebnissen (<strong>de</strong>m Ehebruch ihrer Eltern), die sie <strong>im</strong> Zusammen-<br />

hang mit ihrer dominanten Neigung sieht. Für Eva, ebenfalls eine Domina, wäre es aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer autoritären Erziehung in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit <strong>de</strong>nkbar gewesen, eine Masochistin zu wer-<br />

<strong>de</strong>n. Dorothea, auch sadistisch orientiert, wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> ihrer Mutter sehr religiös erzogen <strong>und</strong><br />

litt unter <strong>de</strong>n Spannungen in <strong>de</strong>r elterlichen Ehe. Für Maria, eine Sklavin, lassen sich keine<br />

autoritären Familienstrukturen nachzeichnen. Sie wur<strong>de</strong> bewusst <strong>und</strong> konsequent zur Selb-<br />

ständigkeit <strong>und</strong> materiellen Unabhängigkeit <strong>von</strong> einem Mann erzogen <strong>und</strong> Marion, masochis-<br />

tisch orientiert, kann nichts Spektakuläres aus ihrer Kindheit berichten <strong>und</strong> wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> ihren<br />

Eltern ‚normal’ <strong>und</strong> ohne beson<strong>de</strong>re Auffälligkeiten erzogen.<br />

Sicherlich ist mit <strong>de</strong>n Eltern nur ein Teil <strong>de</strong>r möglichen Sozialisationsagenten angesprochen -<br />

Schule, Beruf, Freizeit, Medien etc. kommen <strong>im</strong> Entwicklungsprozess ebenfalls maßgebliche<br />

Be<strong>de</strong>utung zu -, aber es wird <strong>de</strong>utlich, dass eine lineare Kausalität zwischen <strong>de</strong>n Erfahrungen<br />

aus <strong>de</strong>r Sozialisation <strong>und</strong> <strong>de</strong>r sadomasochistischen Orientierung nicht besteht. Hinzu kommt:<br />

Wenn geschlechtsspezifische Sozialisationserfahrungen für weiblichen Masochismus verant-<br />

wortlich wären, müssten - dieser These entsprechend - Männer, die in einer patriarchalen Ge-<br />

sellschaft genau die gegenteiligen Erfahrungen machen, eher sadistisch orientiert sein. Dass<br />

<strong>de</strong>m nicht so ist, beschreibt bereits Reik (1941/1977). Er sieht <strong>de</strong>n Masochismus als die häu-<br />

figste Perversion bei Männern, wohingegen er seiner Meinung nach bei Frauen äußerst selten<br />

ist. Neuere Untersuchungen weisen ebenfalls darauf hin, dass vor allem Männer die Lust am<br />

Schmerz suchen. So schreibt beispielsweise Weinberg (1983, S. 107): “An interesting phe-<br />

nomen in the sadomasochistic world is what appears to be an overrepresantation of ‘domi-<br />

nant’ women and ‘submissive’ men. (...) The presence of high proportions of dominant<br />

women and submissive men in a society in which men are supposed to be aggressive and<br />

women are <strong>de</strong>fined as passive presents an interesting paradox (...).”<br />

Auch wenn sadomasochistische Sexualpraktiken nicht selten durch einen Mann angeregt wer-<br />

<strong>de</strong>n, machen sich die Frauen häufig <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Fremdinitiation frei <strong>und</strong> entwickeln einen eigenen<br />

Stil <strong>im</strong> Umgang mit <strong>de</strong>r schwarzen Sexualität. Für <strong>de</strong>n weiblichen Sadomasoch<strong>im</strong>us lassen<br />

sich, genau wie be<strong>im</strong> männlichen Pendant, best<strong>im</strong>mte Habitusformen <strong>und</strong> spezialkulturelle<br />

Integrationen aufzeigen. Vanessa ist in eine organisierte Szene eingeb<strong>und</strong>en. Sie engagiert<br />

sich in einem Arbeitskreis für Sadomasochismus <strong>und</strong> n<strong>im</strong>mt regelmäßig an verschie<strong>de</strong>nen<br />

Veranstaltungen wie Feten <strong>und</strong> Gesprächsaben<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong> SM teil. Als wir sie inter-<br />

212


viewten war sie gera<strong>de</strong> dabei, eine Frauengruppe zu organisieren, um frauenspezifische Prob-<br />

leme zu diskutieren. Unabhängig <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Interessen ihres Partner suchte Carmen <strong>de</strong>n Kon-<br />

takt zu einem professionellen Domina-Studio, wo sie ihre Neigungen heute realisiert. Trotz<br />

schlechter Erfahrungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r zeitweisen Distanzierung vom Sadomasochismus hat Maria<br />

zum Masochismus zurückgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> n<strong>im</strong>mt, ebenso wie Vanessa, an verschie<strong>de</strong>nen Grup-<br />

penveranstaltungen teil. Nach<strong>de</strong>m Eva <strong>de</strong>n Zugang zu SM über ihren Ehepartner gef<strong>und</strong>en<br />

hat, verselbständigte sich auch ihr Interesse. Neben ihrer Verbindung zu verschie<strong>de</strong>nen Skla-<br />

ven, betätigt sie sich innerhalb <strong>de</strong>r SM-Szene als Schriftstellerin für Magazine <strong>und</strong> Zeitschrif-<br />

ten o<strong>de</strong>r stellt Photos zur Veröffentlichung zur Verfügung. Dorothea hat ihr Interesse an SM<br />

unabhängig <strong>von</strong> einem Partner intensiviert <strong>und</strong> kultiviert, was sich in <strong>de</strong>m Umbau ihres Hob-<br />

byraumes zu einem SM-Studios ausdrückt. Marion hat sich diverse Werkzeuge <strong>und</strong> Klei-<br />

dungsstücke zugelegt, was als Ausdruck ihres eigenen Wunsches gewertet wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r Intensität <strong>de</strong>r Praktiken <strong>de</strong>s Erlebens lassen sich keine Unterschie<strong>de</strong> feststellen.<br />

Zwar gelangt das American Psychiatric Association’s 1980 Diagnostic Manual of mental Di-<br />

sor<strong>de</strong>rs (DSM-III) in diesem Zusammenhang zu <strong>de</strong>r Auffassung, dass härtere Formen <strong>de</strong>s<br />

Sadismus bei Frauen praktisch nie beobachtet wur<strong>de</strong>n (vgl. Mass 1983), aber die Tatsache,<br />

das solche Verhaltensweisen bislang nicht beobachtet wur<strong>de</strong>n, be<strong>de</strong>utet noch nicht, dass es sie<br />

nicht gäbe. Wir konnten bezüglich <strong>de</strong>r Härte <strong>de</strong>r präferierten Praktiken keine Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen sadistischen Männern <strong>und</strong> Frauen feststellen. Gleichzeitig wird aber <strong>de</strong>utlich, dass<br />

die Möglichkeiten, solche Interessen auszuleben, für dominante Frauen wesentlich günstiger<br />

sind als für Männer. Die Dominas - ob mit o<strong>de</strong>r ohne finanzielle Interessen - sind die Köni-<br />

ginnen in <strong>de</strong>r SM-Szene, die häufig ihren eigenen Hofstaat an masochistischen Männern <strong>und</strong><br />

Sklaven haben. Carmen, die ‚Freizeitdomina’ besucht regelmäßig sogenannte Damenzirkel<br />

in einem Dominastudio, wo sich masochistische Männer dominanten Frauen bedingungslos<br />

<strong>und</strong> ohne L<strong>im</strong>its ausliefern müssen. Eva hat neben ihrem festen Lebenspartner Sklaven, die<br />

sie regelmäßig für einen Tag besucht, um ihre sadistischen Bedürfnisse zu befriedigen. Ähn-<br />

lich Vanessa, <strong>de</strong>r ebenfalls mehrere Sklaven zur Verfügung stehen <strong>und</strong> Dorothea hat seit<br />

über 30 Jahren einen festen Zirkel <strong>von</strong> passiven Männern um sich geschart, die sie entspre-<br />

chend ihren Vorstellungen dominiert. Diese hier genannten Frauen sind keine Einzelfälle,<br />

son<strong>de</strong>rn durchaus typisch für Sadistinnen, die sich in <strong>de</strong>r Szene bewegen.<br />

Die Logik patriarchaler Unterdrückung verlängert sich also nicht (um es noch einmal zu wie-<br />

<strong>de</strong>rholen) - zumin<strong>de</strong>st was die <strong>von</strong> uns untersuchte SM-Szene angeht - in <strong>de</strong>n sexuellen Be-<br />

reich. Auch ist <strong>de</strong>r Sadomasochismus nur ein Teilaspekt <strong>de</strong>s jeweiligen I<strong>de</strong>ntitätsentwurfs.<br />

Wenn eine Frau in ihrer Sexualität gerne <strong>de</strong>vot sein möchte, be<strong>de</strong>utet das nicht zwangsläufig,<br />

dass dies ein Weg ist, ihre eigene Unterdrückung in an<strong>de</strong>ren Bereichen lustvoll zu erleben,<br />

etwa <strong>im</strong> <strong>Kontext</strong> beruflicher Abhängigkeit. Vanessa ist eine selbständige, beruflich erfolgrei-<br />

213


che <strong>und</strong> finanziell unabhängige Frau, <strong>und</strong> n<strong>im</strong>mt <strong>im</strong> sexuellen Bereich <strong>de</strong>nnoch gerne die pas-<br />

sive Rolle ein. Maria ist ebenfalls finanziell unabhängig <strong>und</strong> kann trotz ihrer Sklavinnenrolle<br />

in <strong>de</strong>r Freizeit noch eigene Bereiche haben. Auch Marion, die Masochistin, ist beruflich <strong>und</strong><br />

finanziell unabhängig <strong>und</strong> betrachtet ihre passive Sexualität nur als einen, <strong>von</strong> ihrer restlichen<br />

I<strong>de</strong>ntität unabhängigen Bereich. Umgekehrt sind sexuell dominante Frauen <strong>im</strong> Alltag nicht<br />

unbedingt dominant. Carmen, <strong>und</strong> Dorothea, die Dominas, führen mehrere Leben: Im sexu-<br />

ellen Bereich sind sie dominant, möchten diese Verhaltensweisen <strong>im</strong> Alltag jedoch vermei-<br />

<strong>de</strong>n. Eva ist mit ihrer Rolle als Mutter <strong>und</strong> Hausfrau r<strong>und</strong>um zufrie<strong>de</strong>n, aber <strong>de</strong>nnoch finan-<br />

ziell abhängig <strong>von</strong> ihrem Mann. Die Beispiele zeigen, dass masochistische o<strong>de</strong>r sadistische<br />

Frauen we<strong>de</strong>r notwendigerweise das He<strong>im</strong>chen am Herd noch die Karrierefrau sind, also ihre<br />

Familien- <strong>und</strong> Berufsrollen in die Sexualität we<strong>de</strong>r verlängern noch kompensieren.<br />

214


2. Paintballspieler - Normalität unter Gewaltverdacht<br />

Ein Waldstück in Deutschland. Menschen in Overalls, Gelän<strong>de</strong>stiefeln <strong>und</strong> Masken<br />

robben Hügel hinauf, verstecken sich <strong>im</strong> Dickicht. Plötzlich - Schüsse hallen<br />

wie aus Maschinengewehren.<br />

Eine militärische Übung als Vorbereitung auf eine kriegerische Auseinan<strong>de</strong>rsetzung o<strong>de</strong>r gar<br />

<strong>de</strong>r Ernstfall? Das sicherlich könnte man vermuten, wüsste man nicht, dass diese Szene Mo-<br />

mente eines Paintball-Turniers beschreibt, an <strong>de</strong>m ich <strong>im</strong> Sommer 1996 teilgenommen habe.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r allgemeinen Gewalt<strong>de</strong>batte gibt es heftige Diskussionen um Paintball o<strong>de</strong>r<br />

‘Gotcha’, einem Phänomen, das nach weit verbreiteter Meinung die ohnehin zunehmen<strong>de</strong><br />

Gewaltbereitschaft forciert, gesellschaftliche Werte <strong>und</strong> Ordnungen, ja <strong>de</strong>n sozialen Frie<strong>de</strong>n<br />

gefähr<strong>de</strong>t. In <strong>de</strong>r Regel han<strong>de</strong>lt es sich um junge Männer, die hier aktiv sind <strong>und</strong> <strong>de</strong>nen Ge-<br />

waltaffinität <strong>und</strong> aggressives Han<strong>de</strong>ln unterstellt wird. So wer<strong>de</strong>n Paintball- o<strong>de</strong>r Gotchaspie-<br />

ler häufig als aggressive Militaristen o<strong>de</strong>r selbsternannte Rambos bezeichnet, <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r<br />

Skinheadszene, neonazistischen Wehrsportgruppen o<strong>de</strong>r Söldnertrupps in Verbindung ge-<br />

bracht, die auf diese Weise militärische Übungen absolvierten. Jugendschützer befürchten, die<br />

Gewaltbereitschaft in <strong>de</strong>r Gesellschaft wer<strong>de</strong> durch solche Spiele weiter zunehmen.<br />

Paintballspieler sind mit waffenähnlichem Equipment, sogenannten ‘Markierern’ 113 ausgerüs-<br />

tet, die es erlauben, mit bunten Farbkugeln aus Gelatine (die zuweilen mit Erdbeer- o<strong>de</strong>r Pfef-<br />

ferminzgeschmack versehen sind) auf die Spieler <strong>de</strong>r gegnerischen Mannschaft zu schießen.<br />

Be<strong>im</strong> Aufprall platzen diese Kugeln <strong>und</strong> hinterlassen einen oft neonfarbenen Farbfleck<br />

(‚Splash’). Sie ‘markieren’ somit <strong>de</strong>n Gegenspieler, <strong>de</strong>r dann das Spielfeld verlassen muss<br />

<strong>und</strong> für <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>s Spiels ausschei<strong>de</strong>t.<br />

113 Im Rahmen <strong>de</strong>s Waffengesetzes sind Markierer ab <strong>de</strong>m 18. Lebensjahr in Spezialgeschäften o<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n<br />

Versandhan<strong>de</strong>l erhältlich.<br />

215


Abb.: Markierer <strong>und</strong> Paintballspieler mit Markierer <strong>und</strong> Schutzausrüstung<br />

(Quellen: www.paintball.<strong>de</strong> <strong>und</strong> CD- Fotosammlung ‘Xtreme sports’, Jörg Höhle )<br />

Diese quasi-kriegerische Handlung ist Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt <strong>de</strong>r kritischen Diskussionen um<br />

dieses Spiel. Schlagworte wie ‚Kriegsverherrlichung’, ‚Nationalsozialismus (Rechtsradika-<br />

lismus)’ <strong>und</strong> das ‚Schießen auf einen Menschen’ kennzeichnen die Richtung <strong>de</strong>r Kritik. Per-<br />

sonen als Zielobjekt seien nicht zu akzeptieren, so die Gegner, da hier gegen die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Menschen, <strong>und</strong> somit gegen das Gr<strong>und</strong>gesetz, verstoßen wer<strong>de</strong>. Daran än<strong>de</strong>re sich auch da-<br />

durch nichts, dass keine scharfe Munition zum Einsatz kommt, son<strong>de</strong>rn nur Farbkugeln.<br />

Schlagzeilen wie ‘Sport o<strong>de</strong>r Mord?’ dokumentieren <strong>de</strong>n Stand <strong>de</strong>r Diskussion <strong>und</strong> die Emo-<br />

tionalität, mit <strong>de</strong>r dieses Thema behan<strong>de</strong>lt wird. Durch die Aburteilung in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />

geraten die Paintballfans unter einen hohen Rechtfertigungsdruck.<br />

Die ablehnen<strong>de</strong> Haltung gegenüber Paintball <strong>und</strong> einer sich hierzulan<strong>de</strong> etablieren<strong>de</strong>n Szene<br />

ist nicht nur emotional-kognitiv, son<strong>de</strong>rn zeigt sich auch am konkreten Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>s Um-<br />

fel<strong>de</strong>s: Vor allem Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Suche nach einem geeigneten Spielfeld machen <strong>de</strong>n<br />

Paintballern zu schaffen. Aber auch mit einer Reihe <strong>von</strong> Anzeigen <strong>und</strong> juristischen Verfahren<br />

sehen sich die Akteure konfrontiert, teilweise mit <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n finanziellen Konse-<br />

quenzen. 114 Bemühungen <strong>de</strong>r Spieler, Paintball aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>s Subversiven zu lenken,<br />

laufen ins Leere o<strong>de</strong>r fruchten nur sehr langsam. Was bleibt, ist <strong>de</strong>r Rückzug auf privaten Bo-<br />

<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r, das ist üblich, die Militärgelän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r ‘Alliierten Streitkräfte’ (vor allem amerikani-<br />

sche <strong>und</strong> britische Einrichtungen) als Ausweichmöglichkeit zu nutzen.<br />

Ungeachtet <strong>de</strong>ssen hat sich Paintball über Amerika <strong>und</strong> England auch in Deutschland verbrei-<br />

tet <strong>und</strong> auch hierzulan<strong>de</strong> seit Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre eine funktionieren<strong>de</strong> Szene etabliert,<br />

114 Zur Finanzierung <strong>de</strong>r juristischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen hat die Paintball-Szene einen Spen<strong>de</strong>n-Fonds eingerichtet,<br />

<strong>de</strong>r bereits bis zum Mai 2000 weit über 60.000 DM erbracht hat.<br />

216


die über eigene Medien verfügt <strong>und</strong> miteinan<strong>de</strong>r kommuniziert. Die Magazine ‘Gotcha-<br />

Sports’ <strong>und</strong> ‘Xtreme-Sports - Paintball & More’ (erscheinen regelmäßig ca. halbjährlich) lie-<br />

fern <strong>de</strong>m Interessierten viele wichtige Informationen: Händleradressen <strong>und</strong> Shops, regionale<br />

Übersichten <strong>de</strong>r besten Spielfel<strong>de</strong>r (Indoor <strong>und</strong> Outdoor), technische Informationen zu Aus-<br />

rüstungsgegenstän<strong>de</strong>n (Markierer, Masken, Schutzbrillen, Anzüge), Events <strong>und</strong> Termine, ak-<br />

tuelle Tournament-Rankings, Teamübersichten regional sortiert nach Postleitzahlbereichen<br />

(Namen, Anschriften, Telefon/Fax, e-mail/Internet), Erfahrungsberichte <strong>und</strong> Reportagen <strong>von</strong><br />

Turnieren <strong>und</strong> Ligaspielen, ‘News Ticker’, Kleintanzeigen (Verkäufe, Kaufgesuche, Kontak-<br />

te), Hintergr<strong>und</strong>-Infos ‘Was ist Paintball?’/Historie <strong>und</strong> vieles mehr.<br />

Dazu einige Beispiele aus <strong>de</strong>m Inhalt <strong>von</strong> ‘Gotcha - Das Paintball-Magazin’, 115 Ausgabe<br />

4/97 (August/September): „Was ist Paintball? Fragen <strong>und</strong> Antworten; Paintball <strong>und</strong> die Me-<br />

dien; Liga Süd; 5. Eastern Trophy ‘97 - Turnierbericht aus Berlin; Who is Who?; Spielfeld-<br />

test; Procuct News; Clubverzeichnis; Paintball Flohmarkt.“<br />

Im Internet gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Homepages, wie Pommerening (in: Gotcha<br />

3/97, S. 32) unter <strong>de</strong>r Überschrift „News From Paintnet“ treffend bemerkt:<br />

„Bislang waren nur sehr wenige <strong>de</strong>utsche Homepages <strong>im</strong> Internet zu fin<strong>de</strong>n. Was<br />

sich jetzt aber in <strong>de</strong>n letzten Wochen auf diesem Sektor getan hat, ist einmalig.<br />

Immer mehr <strong>de</strong>utsche Paintballer o<strong>de</strong>r Vereine bringen ihre eigene Homepage ins<br />

Internet (...) Hier wird alles geboten <strong>und</strong> gezeigt, was unseren Paintballsport so<br />

attraktiv macht.“<br />

Das Ergebnis meiner Recherche vom August 1996 <strong>im</strong> Internet nach Eingabe <strong>de</strong>r Suchbegriffe<br />

‘Paintball’ o<strong>de</strong>r ‘Gotcha’ war negativ. Um damals entsprechen<strong>de</strong> Angebote <strong>im</strong> Internet zu<br />

fin<strong>de</strong>n, war die Kenntnis <strong>von</strong> ‘Adressen’ notwendig. Bereits ein Jahr später (September 1997)<br />

wur<strong>de</strong>n mir über die Suchmaschine Yahoo.com nach Eingabe <strong>de</strong>s Suchbegriffs ‘Paintball’<br />

294 ‘Site-Matches’ angezeigt. Im Juni 2001 schließlich erscheinen zu diesem Stichwort 346<br />

Treffer. Nahezu alle größeren Clubs <strong>und</strong> Vereine haben zum Teil recht professionelle, eigene<br />

Wegpages. Dort gibt es Informationen in Sachen Ausrüstung, Turnier- <strong>und</strong> Veranstaltungs-<br />

pläne, Erfahrungsberichte sowie Darstellungen <strong>de</strong>s Regelwerks <strong>und</strong> <strong>de</strong>r unterschiedlichen<br />

Varianten <strong>de</strong>s Paintball-Spiels.<br />

Darüber hinaus gibt es diverse Computerspiele (so z.B. die Paintball-Version <strong>de</strong>s Computer-<br />

spiels ‘Lemmings’, das mittlerweile Kultstatus erlangt hat) <strong>und</strong> Vi<strong>de</strong>os (Spielfilme <strong>und</strong> Do-<br />

kumentationen, Turnieraufzeichnungen). Personen unterschiedlicher Herkunft <strong>und</strong> Bildung<br />

115 Das Magazin wur<strong>de</strong> durch die bei<strong>de</strong>n Magazine ‘Gotcha-Sports’ <strong>und</strong> ‘Xtreme-Sports’ ersetzt.<br />

217


haben sich in Clubs <strong>und</strong> Vereinen organisiert, um über ‘mediale Trockenübungen’ hinaus<br />

ihrem Hobby zu frönen. Ohne Berücksichtigung kleinerer ‘Splittergruppen’ wer<strong>de</strong>n mittler-<br />

weile Zahlen zwischen 150 <strong>und</strong> 160 ‚Teams’ gehan<strong>de</strong>lt. Unter <strong>de</strong>r Rubrik ‚Teams auf einen<br />

Blick’ <strong>im</strong> Magazin ‚Xtreme sports’ (05/00, S. 38) wer<strong>de</strong>n, nach Postleistzahlen sortiert, 138<br />

Zusammenschlüsse <strong>von</strong> Paintballspielern (Ansprechpartner, Telefon/Fax, e-mail) aufgelistet.<br />

Verschie<strong>de</strong>ne kommerzielle Anbieter <strong>im</strong> In- <strong>und</strong> Ausland versorgen die Szene über <strong>de</strong>n Ver-<br />

sandhan<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> La<strong>de</strong>nverkauf (Waffenhandlungen) mit <strong>de</strong>m entsprechen<strong>de</strong>n (‘Outdoor-)<br />

Equipment’ r<strong>und</strong> um das Paintball-Spiel: Markierer, Ersatzteile <strong>und</strong> Farbkugeln (die <strong>im</strong> übri-<br />

gen in <strong>de</strong>r Szene kurz als ‘Paint’ bezeichnet wer<strong>de</strong>n), Schutzmasken, Stiefel, Anzüge, Fah-<br />

nen, Sticker u.v.m. Einzelne Schätzungen <strong>de</strong>r Szene gehen <strong>von</strong> 50.000 mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

organisierten Paintballspielern in Deutschland aus. Diese Zahl erscheint mit Blick auf die ge-<br />

schätzte bzw. ermittelte Anzahl <strong>de</strong>r Vereine <strong>und</strong> Clubs (Teams) jedoch übertrieben.<br />

In <strong>de</strong>n USA <strong>und</strong> auch <strong>im</strong> europäischen Ausland vermag Paintball kaum die Gemüter zu erre-<br />

gen. Paintball/Gotcha kommt ursprünglich aus <strong>de</strong>n USA (Gotya gesprochen Gotcha = Slang<br />

für ‘I got you’ - ich habe Dich erwischt!) <strong>und</strong> ist dort seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r siebziger, Anfang <strong>de</strong>r<br />

achtziger Jahre als Freizeitmuster, Action- <strong>und</strong> Adventurespiel sehr verbreitet. Gewaltverherr-<br />

lichung ist dort kaum ein Thema. ‘Martialische’ o<strong>de</strong>r ‘militärische’ Begriffe, die Aggression<br />

bis hin zu tödlicher Gewalt suggerieren (Dead-Zone, Terminators etc.), wer<strong>de</strong>n nicht proble-<br />

matisiert <strong>und</strong> auch nicht tabuisiert. Vielerorts gibt es spezielle Anlagen für Paintballer. Auch<br />

z.B. in England, Frankreich, <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n skandinavischen Län<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Spanien<br />

(vor allem auf <strong>de</strong>r Ferieninsel Mallorca) gibt es seit Mitte <strong>de</strong>r achtziger Jahre öffentliche<br />

Paintball-Gelän<strong>de</strong>. Vor allem in Japan - bekannt für Vi<strong>de</strong>os, Comics o<strong>de</strong>r Computerspiele, die<br />

bizarre Formen <strong>de</strong>s Sex <strong>und</strong> brutale Aggressionen thematisieren - <strong>und</strong> vereinzelt in <strong>de</strong>n USA,<br />

wer<strong>de</strong>n Extremformen <strong>de</strong>s Paintball popularisiert. Auf Spielfel<strong>de</strong>rn, die Kriegsschauplätzen<br />

aus <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg nachgestellt sind, wird z.T. in Original- SS-Uniformen Paintball<br />

gespielt. Die Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen wie auch <strong>de</strong>r internationalen Szene – so wur<strong>de</strong> mir in<br />

verschie<strong>de</strong>nen Gesprächen berichtet - distanziert sich jedoch <strong>von</strong> dieser Variante.<br />

Die intraszenischen Differenzen sowie die Reglementierung dieses ‘Spiels’ nach schriftlich<br />

fixierten Richtlinien, welche die Sicherheit <strong>und</strong> körperliche Unversehrtheit betreffen, wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>r allgemeinen Öffentlichkeit in Deutschland allerdings kaum wahrgenommen. Ebenso<br />

wenig wer<strong>de</strong>n biographische <strong>und</strong> aktuelle Bezugsrahmen (familiärer Hintergr<strong>und</strong>, Bildung<br />

<strong>und</strong> Beruf, soziales Umfeld) <strong>de</strong>r Akteure exakt hinterfragt, um auf diese Weise Thesen hin-<br />

sichtlich eines Gefährdungspotenzials ableiten bzw. wi<strong>de</strong>rlegen zu können. Mitnichten ma-<br />

chen sich die schärfsten Kritiker - <strong>und</strong> hier an vor<strong>de</strong>rster Front besorgte Bewahrpädagogen -<br />

die Mühe, mehr als werten<strong>de</strong> Sek<strong>und</strong>ärdaten zur Kenntnis zu nehmen, <strong>und</strong> sich <strong>de</strong>m Thema<br />

218


zunächst neutral-explorativ zu nähern. Will heißen: Der Versuch, Betroffene zu Wort kom-<br />

men zu lassen, zu beobachten <strong>und</strong> sogar selbst einmal am Geschehen teilzunehmen, um sich<br />

ein Urteil bil<strong>de</strong>n zu können, fin<strong>de</strong>t nicht statt.<br />

Dem Phänomen <strong>de</strong>s Paintballspiels wird <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n nachgegangen. Ich möchte die Frage<br />

beantworten, welcher ‘Sinn’ für die Akteure damit verb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> wie Gewalt <strong>de</strong>mnach bei<br />

<strong>de</strong>n etablierten Gruppen <strong>und</strong> Individuen zu verstehen ist.<br />

Zur Empirie<br />

Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2000 hatte ich intensiven Kontakt zur Szene, <strong>de</strong>r vereinzelt auch heute<br />

noch anhält. Insgesamt habe ich fünf Einzelinterviews sowie zwei ausführliche Gruppendis-<br />

kussionen mit Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Paintballszene durchführen können. Diese wur<strong>de</strong>n<br />

ergänzt durch eine Vielzahl telefonischer Interviews, teilnehmen<strong>de</strong>r Beobachtungen (bei <strong>de</strong>-<br />

nen ich weitere Kurzinterviews machen konnte), schriftlicher Dokumente, Korrespon<strong>de</strong>nz,<br />

Einsicht in die vereinseigene Datenbank (PC) eines Vereins, Fotos <strong>und</strong> Vi<strong>de</strong>o- bzw. Filmma-<br />

terial, Szene-Zeitschriften, Presseberichte sowie Recherchen <strong>im</strong> Internet. Im Wesentlichen<br />

fokussiert die Darstellung <strong>de</strong>r Paintballer auf eine Gruppe, die in <strong>de</strong>r Szene als ‘Little Devils’<br />

bekannt ist. Sie verzichtet bewusst auf Anonymität. Dies hängt - wie noch gezeigt wird - mit<br />

<strong>de</strong>m Selbstverständnis <strong>de</strong>r Gruppe <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit verb<strong>und</strong>enen Öffentlichkeitsarbeit ab. Sie<br />

versucht, Paintball aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>s Subversiven zu lenken <strong>und</strong> einer Kr<strong>im</strong>inalisierung<br />

<strong>de</strong>r Spieler entgegen zu wirken.<br />

Die Little Devils stehen stellvertretend für das Han<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> das Selbstverständnis <strong>de</strong>r Mehr-<br />

zahl <strong>de</strong>r Paintballspieler <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Szene. Meine Beobachtungen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s bereits<br />

erwähnten Turniers sowie Erfahrungen <strong>und</strong> Erkenntnisse aus meinen Interviews <strong>und</strong> Gesprä-<br />

chen mit an<strong>de</strong>ren Szenemitglie<strong>de</strong>rn, die nicht zu <strong>de</strong>n Little Devils gehören, erlauben diese<br />

Aussage.<br />

Paintball - Das Spiel<br />

Zunächst einmal ist Paintball eine Freizeitaktivität, die vorzugsweise <strong>von</strong> Männern, aber auch<br />

<strong>von</strong> einigen Frauen (in <strong>de</strong>n USA <strong>und</strong> Kanada gibt es reine Frauenteams) ausgeübt wird. Ge-<br />

nauer betrachtet han<strong>de</strong>lt es sich um ein Abenteuerspiel, das nach strengen Regeln <strong>und</strong> Sicher-<br />

heitsvorkehrungen betrieben wird, auch wenn dies für <strong>de</strong>n Außenstehen<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n ersten<br />

Blick nicht so erscheint. Wie <strong>im</strong> Sport üblich, wer<strong>de</strong>n Turniere veranstaltet, Liga-Spiele, Eu-<br />

ropa- <strong>und</strong> Weltmeisterschaften durchgeführt.<br />

219


Es gibt unterschiedliche Varianten <strong>de</strong>s Paintballspiels. Gespielt wird jedoch meist <strong>im</strong> Freien<br />

(seltener in geschlossenen Räumen, wie Kellern o<strong>de</strong>r alten Hallen) auf einem abgegrenzten<br />

<strong>und</strong> durch ein Netz nach außen gesicherten Spielfeld, das min<strong>de</strong>stens ca. 40x60 Meter misst.<br />

Paintball <strong>im</strong> Freien unterschei<strong>de</strong>t zwischen ‘Woodland’ <strong>und</strong> ‘Speedball’. Be<strong>im</strong> Woodland-<br />

Spiel umfasst das Spielfeld eine großzügige Fläche in einem Waldgebiet. Die zurückzulegen-<br />

<strong>de</strong>n Strecken sind z.T. enorm, das Gelän<strong>de</strong> u.U. anstrengend - weil hügelig <strong>und</strong> dicht bewach-<br />

sen. Das Spielfeld ist nicht mehr zu überblicken. Speedball hingegen ist auf eine kleine, offe-<br />

ne weil überschaubare Fläche begrenzt, <strong>und</strong> daher - wie <strong>de</strong>r Name vermuten lässt - viel<br />

schneller zu spielen. Speedballfel<strong>de</strong>r können <strong>im</strong> Rahmen eines Turniers in ein Woodland-<br />

Spielfeld integriert sein (siehe Abb. Spielfeldplan).<br />

Abb.: Speedball-Spielfeld mit Sicherheitsabsperrung (Netz) nach außen <strong>und</strong> Deckungsvor-<br />

richtungen/Holzwän<strong>de</strong> (Quelle: Fotosammlung <strong>de</strong>r ‘Little Devils’)<br />

Immer häufiger wer<strong>de</strong>n die Spiele auf ‘Sup’Air’-Fel<strong>de</strong>rn ausgetragen. Hier bestehen die De-<br />

ckungsvorrichtungen 116 aus aufblasbaren, bunten Barrika<strong>de</strong>n (pink, gelb, grün, lila, orange<br />

etc.). Die Etablierung dieser Variante kann als ‚Distanzierungsstrategie’ interpretiert wer<strong>de</strong>n:<br />

Die bunten Kegel <strong>und</strong> Zylin<strong>de</strong>r sollen mehr an Kin<strong>de</strong>r-Hüpfburgen <strong>de</strong>nn an Schützengräben<br />

erinnern <strong>und</strong> verleihen <strong>de</strong>m Spiel einen komischen Charakter.<br />

116 Dort, wo auf kleineren Spielfel<strong>de</strong>rn gespielt wird, also eher keine ‚natürlichen’ Deckungsvorrichtungen gegeben<br />

sind, wer<strong>de</strong>n häufig z.B. Strohballen o<strong>de</strong>r Gummireifen aufgestapelt, um sich so vor <strong>de</strong>m Markieren<br />

durch die Farbkugeln <strong>de</strong>s Gegners <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Spiel schützen zu können.<br />

220


Abb.: Sup’Air-Spielfeld (Quelle: CD- Fotosammlung ‘Xtreme sports’, Jörg Höhle)<br />

Abb.: Marshals <strong>und</strong> Teams auf Sup’Air-Spielfeld<br />

(Quelle: CD- Fotosammlung ‘Xtreme sports’, Jörg Höhle)<br />

Ungeachtet dieser Unterschie<strong>de</strong> kann die Gr<strong>und</strong>struktur <strong>de</strong>s Spiels an folgen<strong>de</strong>m Beispiel<br />

(Woodland) erläutert wer<strong>de</strong>n: An einem Spiel nehmen zwei Mannschaften teil (oftmals fünf<br />

Spieler pro Team, je nach <strong>de</strong>m zwischen zwei <strong>und</strong> zehn o<strong>de</strong>r mehr Spieler). Je<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mann-<br />

schaften erhält eine bunte Fahne. Auf <strong>de</strong>r einen Seite <strong>de</strong>s Spielfelds steht die Fahne <strong>von</strong><br />

Mannschaft A, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren die <strong>von</strong> Mannschaft B.<br />

221


Abb.: Spielfeldplan (Quelle: Deutscher Paintball Sport Verband - DPSV, Tournament/Game<br />

Regeln)<br />

Ziel <strong>de</strong>s Spiels ist es, die Fahne <strong>de</strong>r gegnerischen Mannschaft zu erobern <strong>und</strong> sie auf die eige-<br />

ne ‘Flagbase’ zu bringen (<strong>und</strong> dabei die eigene Fahne gleichzeitig vor <strong>de</strong>m Gegner zu schüt-<br />

zen). Wem das zuerst innerhalb <strong>de</strong>r Spielzeit <strong>von</strong> in <strong>de</strong>r Regel zwischen fünf <strong>und</strong> 20 Minuten<br />

gelingt, hat das Spiel gewonnen. Die Akteure haben die Möglichkeit, sich gegenseitig am<br />

Erreichen <strong>de</strong>r Fahne <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren durch ‘markieren’ zu hin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gegner noch zu mar-<br />

kieren, wenn er sie schon erreicht hat <strong>und</strong> versucht, sie auf die eigene Base zu bringen. Wer<br />

222


markiert ist (egal, ob an <strong>de</strong>r Ausrüstung o<strong>de</strong>r am Körper), schei<strong>de</strong>t aus (‚Player is out’). Ein<br />

Schiedsrichter (Marshal) n<strong>im</strong>mt <strong>de</strong>m Spieler die Mannschaftsbin<strong>de</strong> ab <strong>und</strong> er muss das Spiel-<br />

feld schnellstmöglich verlassen <strong>und</strong> sich in die ‘Neutral Zone’ (auch ‘Dead Zone’ o<strong>de</strong>r ‘Dead<br />

Man’s Zone’ genannt) begeben. Be<strong>im</strong> Verlassen <strong>de</strong>s Spielfel<strong>de</strong>s muss <strong>de</strong>r Spieler eine o<strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong> über <strong>de</strong>n Kopf heben <strong>und</strong> darf we<strong>de</strong>r mit seinen Teamkollegen kommunizieren<br />

noch ‘Paint’ o<strong>de</strong>r ‘Markierer’ austauschen. Auch in <strong>de</strong>r neutralen Zone ist das Verhalten wei-<br />

ter reglementiert: Die Spieler müssen sich - wie <strong>de</strong>r Name schon sagt - ‘neutral‘ verhalten,<br />

dürfen ihrer Mannschaft we<strong>de</strong>r Tipps zurufen noch am Markierer, <strong>de</strong>r hier abgelegt wer<strong>de</strong>n<br />

muss, ‘herumspielen’ bzw. dürfen keine Verän<strong>de</strong>rungen vornehmen.<br />

Die Little Devils<br />

Ich habe die ‘Little Devils’ über zweieinhalb Jahre (bis Anfang 1999) begleitet. Dabei konnte<br />

ich zu fast allen Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn Kontakt aufnehmen. Mit sechs Mitglie<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong>n aus-<br />

führliche Gespräche in Interviews <strong>und</strong> Gruppendiskussionen geführt, mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Kurz-<br />

gespräche, die als Gesprächs- <strong>und</strong> Gedächtnisprotokolle in die Auswertung mit eingeflossen<br />

sind. Die Teilnahme an einem Wochenendturnier, an Clubtreffen etc. ermöglichte die Beo-<br />

bachtung <strong>von</strong> Kleidungsstilen, Sozialverhalten o<strong>de</strong>r auch Gruppenstrukturen- <strong>und</strong> -<br />

hierarchien.<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich bei dieser Gruppe um einen eingetragenen Verein, <strong>de</strong>ssen 15 Mitglie<strong>de</strong>r mit<br />

einer Ausnahme junge Deutsche sind. Sporadisch kommen einige Interessierte zu Besuch, so<br />

dass noch ungefähr fünf Personen als lose assoziiert mitgerechnet wer<strong>de</strong>n können. Die Little<br />

Devils sind in <strong>de</strong>r Paintballszene bekannt <strong>und</strong> haben ein gutes Image als faire Spieler <strong>und</strong> en-<br />

gagierte Szenemitglie<strong>de</strong>r. Das jüngste Gruppenmitglied ist 18, das älteste 36 Jahre alt. Die<br />

meisten sind Anfang bis Mitte 20. Der harte Kern resp. die Gründungsmitglie<strong>de</strong>r kommen aus<br />

Reutlingen, einer Kreisstadt mit ca. 130.000 Einwohnern, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r näheren Umgebung.<br />

Typisch ist, dass die jungen Männer ohne beson<strong>de</strong>re biographische Auffälligkeiten sind:<br />

‘normale’ junge Erwachsene, die noch in <strong>de</strong>r Ausbildung sind o<strong>de</strong>r einer geregelten berufli-<br />

chen Tätigkeit nachgehen. Die Unauffälligkeit <strong>und</strong> biographische Normalität innerhalb dieser<br />

Gruppe <strong>de</strong>ckt sich mit meinen Beobachtungen innerhalb <strong>de</strong>r gesamten Szene, die ich <strong>im</strong><br />

Rahmen <strong>de</strong>r ‚Bielefeld open’ <strong>und</strong> <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Kontakten <strong>und</strong> Gesprächen machen<br />

konnte: Familienväter, die mit Ehefrau, Kind, Kin<strong>de</strong>rwagen <strong>und</strong> Kombi unterwegs sind <strong>und</strong><br />

Unternehmersöhne, die <strong>de</strong>n väterlichen Dach<strong>de</strong>ckerbetrieb leiten, sind hier ebenso vertreten<br />

223


wie Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Betriebswirtschaft, Informatik o<strong>de</strong>r Angestellte <strong>im</strong> öffentlichen Dienst. 117<br />

Einzige gemeinsame Merkmale sind die Lei<strong>de</strong>nschaft zum Abenteuer <strong>und</strong> - so scheint es zu-<br />

min<strong>de</strong>st - eine gesicherte finanzielle Situation, die es erlaubt, sich dieses teure Hobby leisten<br />

zu können. Immerhin kann eine gute Turnierausrüstung (Schutzmasken, Markierer etc.)<br />

durchaus zwischen zwei- <strong>und</strong> fünftausend Mark kosten. 118 Auch die regelmäßige Teilnahme<br />

an Turnieren etc. ist kostspielig. Hier schlagen Fahrtkosten zu <strong>de</strong>n Veranstaltungsorten <strong>im</strong> In-<br />

<strong>und</strong> Ausland, Teilnahmegebühren, vor allem aber <strong>de</strong>r Verbrauch an Farbkugeln zu Buche. Sie<br />

‚erleichtern <strong>de</strong>n Geldbeutel’ eines Einzelnen an einem Wochenen<strong>de</strong> um ca. 400 bis 500 Mark.<br />

2.1 Herkunft <strong>und</strong> aktuelle Lebenssituation<br />

Familie <strong>und</strong> private Situation<br />

Ihrer Herkunft nach sind die Befragten <strong>de</strong>r Mittelschicht bzw. <strong>de</strong>r gehobenen Mittelschicht<br />

zuzurechnen. Die Eltern verfügen über mittlere Bildungsabschlüsse (Hauptschule o<strong>de</strong>r Real-<br />

schule mit anschließen<strong>de</strong>r Berufsausbildung): Es sind Arbeiter o<strong>de</strong>r Angestellte, teilweise mit<br />

eigenem Haus. Einige <strong>de</strong>r Eltern haben einen höheren Bildungsabschluss (Abitur, Studium)<br />

<strong>und</strong> beklei<strong>de</strong>n gehobene Positionen (Geschäftsleitung, selbständige Unternehmer). Entspre-<br />

chend <strong>de</strong>r für diese Generation <strong>und</strong> Schicht typischen Rollenverteilungen sind es überwiegend<br />

die Väter, die für <strong>de</strong>n Unterhalt <strong>de</strong>r Familie sorgen. Nur einige <strong>de</strong>r Mütter sind berufstätig.<br />

Die meisten Gruppenmitglie<strong>de</strong>r haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern bzw. zu an<strong>de</strong>ren<br />

Familienmitglie<strong>de</strong>rn wie Geschwistern o<strong>de</strong>r Großeltern, was sich in regelmäßigen Besuchen<br />

zu Hause o<strong>de</strong>r in gemeinsamen Aktivitäten nie<strong>de</strong>rschlägt. Beispielsweise aber auch darin,<br />

dass sich die Eltern angesichts <strong>de</strong>r öffentlichen Kritik an Paintball um ihre Kin<strong>de</strong>r Sorgen<br />

machen:<br />

A: Meine Mutter macht sich Sorgen um meinen Sport <strong>und</strong> fragt <strong>im</strong>mer nach. Sie<br />

hat Angst, ich könnte verwahrlosen. (Gedächtnisprotokoll Clubtreffen)<br />

117 Während meiner Tätigkeit als Studienleiterin für die GIM, ein Marktforschungsinstitut in Hei<strong>de</strong>lberg, hatte<br />

ich Kontakt zu Mitarbeitern <strong>de</strong>r Marketingabteilungen unterschiedlicher, renommierter Konzerne. Dort sind<br />

mir Mitarbeiter (Führungsnachwuchskräfte) begegnet, die in ihrer Freizeit entwe<strong>de</strong>r regelmäßig Paintball<br />

spielen o<strong>de</strong>r dies sporadisch schon getan haben.<br />

118 Einsteigerausrüstungen zum Trainieren sind gebraucht aber auch schon ab ca. 400 DM erhältlich.<br />

224


A: Ich habe jetzt schon ein paar Wochen nix mehr mit meinen Eltern gemacht. Es<br />

wird Zeit, dass ich mal wie<strong>de</strong>r was mit <strong>de</strong>nen mach. Das ist mir auch sehr wichtig,<br />

weil sie sich in meiner Kindheit auch sehr um mich bemüht haben (Gedächtnisprotokoll<br />

Clubtreffen).<br />

A: Wir haben hier bei uns ja zwei Brü<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Verein. Die verstehn sich bombig.<br />

Das ist typisch dafür, dass Familie <strong>und</strong> Geschwister <strong>de</strong>n meisten wichtig sind. Das<br />

ist aber doch normal. (Gedächtnisprotokoll Clubtreffen)<br />

Meine Beobachtungen bestätigen diese Darstellungen: be<strong>im</strong> Besuch eines Gruppenmitglieds<br />

war <strong>de</strong>r Vater anwesend. Während <strong>de</strong>s Interviews reparierte er gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Wagen <strong>de</strong>s Sohnes,<br />

um ihm so die hohen Reparaturkosten zu ersparen. Schließlich telefonierte <strong>de</strong>r Interviewte<br />

mehrfach mit seinem Bru<strong>de</strong>r, um ein Treffen zu verabre<strong>de</strong>n.<br />

Einige <strong>de</strong>r jungen Männer haben eine feste Fre<strong>und</strong>in, die auch schon mal mit zu <strong>de</strong>n Turnie-<br />

ren fährt.<br />

Einzelgänger, die z.B. wie Söldner Eltern <strong>und</strong> Familie hinter sich gelassen haben, konnte ich<br />

we<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Little Devils noch in <strong>de</strong>r Szene antreffen.<br />

Wohnsituation<br />

Unauffällig <strong>und</strong> wenig außergewöhnlich ist auch die aktuelle Wohnsituation <strong>de</strong>r Vereinsmit-<br />

glie<strong>de</strong>r. Etwa die Hälfte <strong>de</strong>r Befragten wohnt noch bei <strong>de</strong>n Eltern. Dies erscheint heute für<br />

diese Altersgruppe <strong>im</strong> Allgemeinen typisch. So können Kosten reduziert <strong>und</strong> finanzielle Frei-<br />

räume für Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung, Studium, Hobbys <strong>und</strong> Freizeit geschaffen wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>re<br />

haben eine eigene Wohnung; alleine o<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>in zusammen.<br />

Wie oben bereits ange<strong>de</strong>utet, habe ich ein Vereinsmitglied zu Hause besucht. Die Wohnung<br />

liegt in einem Vorort <strong>von</strong> Reutlingen in einer ‘beschaulichen’ Wohngegend. Typisch sind<br />

Ein- <strong>und</strong> Mehrfamilienhäuser (bis max. sechs Wohneinheiten) <strong>und</strong> eine aufgelockerte Bau-<br />

weise mit Grünflächen <strong>und</strong> Vorgärten. Die Wohnung liegt <strong>im</strong> zweiten Stock eines Vier-<br />

Familienhauses, das vermutlich En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r sechziger, Anfang <strong>de</strong>r siebziger Jahre erbaut wur<strong>de</strong>.<br />

Es wirkt gepflegt. Vom Stil her kann die Wohnungseinrichtung als eine Mischung zwischen<br />

‘bürgerlich-konventionell’ <strong>und</strong> ‘alternativ’ beschrieben wer<strong>de</strong>n: Kiefernmöbel, bunt gemus-<br />

tertes Sofa, Kissen, bunte Teppiche, typisch <strong>de</strong>utsche Gardinen, Stereoanlage, CD-Stän<strong>de</strong>r<br />

etc. Es fin<strong>de</strong>n sich diverse Sammlerobjekte wie Plüschtiere o<strong>de</strong>r Comicfiguren (z.B. Snoopy)<br />

o<strong>de</strong>r MAD-Hefte. Der Gesamteindruck: or<strong>de</strong>ntlich <strong>und</strong> aufgeräumt.<br />

225


Die Wohngegen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r übrigen Mitglie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n mir als ‘normal’, ‘ländlich-ruhig’ <strong>und</strong> ‘gut<br />

bis gehoben’ beschrieben. Dort, wo das Niveau <strong>de</strong>r Wohngegend niedriger sei, könne dies auf<br />

die finanzielle Situation während <strong>de</strong>r Ausbildung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Studiums zurückgeführt wer<strong>de</strong>n. In<br />

jungen Jahren seien die Ansprüche noch nicht so hoch <strong>und</strong> könne man ganz gut vom Umfeld<br />

abstrahieren.<br />

A: Wir wohnen eigentlich alle in ganz normalen Gegen<strong>de</strong>n. Also so wie hier<br />

[meint Wohngegend, die oben beschrieben wur<strong>de</strong>; d.A.]. Also, da wo ich jetzt mit<br />

meiner Fre<strong>und</strong>in wohne, ist es vielleicht nicht so ruhig <strong>und</strong> beschaulich, aber<br />

wenn man, wie wir in unserem Alter, noch nicht so viel Geld hat, dann muss man<br />

eben Abstriche machen.<br />

Die Einrichtungen <strong>de</strong>r Paintballer wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong> ihnen selbst <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn als<br />

‘bunt gemischt’ beschrieben. Sie reichen <strong>von</strong> Flohmarktmöbeln über ‘Ikea’ bis hin zum ‘Ju-<br />

gendz<strong>im</strong>mer’.<br />

A1: Also einer <strong>von</strong> uns ist so <strong>im</strong> ‘American Style’ eingerichtet. Er hat ein Motorrad<br />

an <strong>de</strong>r Wand als Regal für die Stereoanlage. Und <strong>de</strong>r [nennt Name] hat die<br />

Wohnung <strong>im</strong> Sperrmüll-Stil eingerichtet [an<strong>de</strong>re lachen]. Ja ist doch so. Guck Dir<br />

doch mal <strong>de</strong>n Krempel an. Da ein französisches Bett, dann so ein alter Schrank...<br />

A2: Der ist antik...<br />

A1: Ja, aber alles doch kunterbunt. Und ein an<strong>de</strong>rer wohnt noch bei seinen Eltern.<br />

Der hat dort ein Jugendz<strong>im</strong>mer mit Aquarium <strong>und</strong> so. Und ne Katze. Der ist Tierliebhaber.<br />

Meine Wohnung, o<strong>de</strong>r besser die <strong>von</strong> meiner Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> mir, ist so<br />

<strong>im</strong> Ikea-Stil <strong>und</strong> auch ein bisschen Out-door-mäßig. Da stehen dann so Zubehör,<br />

Zelt, Kocher <strong>und</strong> so rum.<br />

Die Freizeitangebote in Reutlingen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Vororten bzw. in <strong>de</strong>n Wohngegen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Paint-<br />

baller beschreiben die Befragten als vielfältig, ‘wie in je<strong>de</strong>m Kaff’ <strong>und</strong> ‘typisch schwäbisch’.<br />

Sie reichten <strong>von</strong> einer Vielzahl diverser Sportmöglichkeiten in Vereinen bis hin zur ‘Narren-<br />

zunft’.<br />

Bildung <strong>und</strong> Arbeit<br />

Alle Befragten haben einen Schulabschluss <strong>und</strong> befin<strong>de</strong>n sich zur Zeit in <strong>de</strong>r Aus- o<strong>de</strong>r Wei-<br />

terbildung. Sie verfügen über ein eigenes Einkommen <strong>und</strong> sind somit finanziell unabhängig<br />

(<strong>von</strong> ihren Eltern). Das Spektrum reicht vom Hauptschulabschluss bis zum Universitätsdip-<br />

lom, vom Schreiner, Ver- <strong>und</strong> Entsorger, Werkzeugmacher, Automechaniker, Forstwirt,<br />

Großhan<strong>de</strong>lskaufmann bis hin zum Betriebswirt <strong>und</strong> Rechtsreferendar. Viele legen beson<strong>de</strong>-<br />

226


en Wert auf <strong>de</strong>n Beruf <strong>und</strong> entsprechen<strong>de</strong> Berufsbezeichnungen. Ein Beispiel hierfür ist <strong>de</strong>r<br />

‘Medienkoordinator <strong>im</strong> Prozesssupport <strong>und</strong> Kontaminationsmanagement’ bei etablierten Fir-<br />

men wie Da<strong>im</strong>lerChrysler o<strong>de</strong>r ähnliche.<br />

A1: Wie gesagt, bei uns ist alles vertreten. Das ist eine Mischung. Wir haben auch<br />

unser eigenes Geld. Wer noch studiert, <strong>de</strong>r jobbt <strong>und</strong> finanziert sich damit.<br />

A2: Einer war <strong>im</strong> Ausland, hat als Stu<strong>de</strong>nt ein Praktikum in Seoul gemacht. Der<br />

arbeitet mittlerweile, hat nen guten Job als Betriebswirt bekommen.<br />

Die familiären Hintergrün<strong>de</strong>, Bildungs- <strong>und</strong> Berufssituation verweisen auf Normalbiogra-<br />

phien <strong>und</strong> liefern keine Hinweise auf Beson<strong>de</strong>rheiten, die gewaltaffines Verhalten motivieren<br />

könnten.<br />

2.2 Die Gruppe<br />

Entstehung<br />

Der Verein ging aus einer zunächst losen Interessengemeinschaft hervor, die sich regelmäßig<br />

auf einem ‘halb-offiziellen’ Spielfeld getroffen hat, um Paintball zu spielen. Die Aktivitäten<br />

waren <strong>de</strong>r Polizei vor Ort bekannt <strong>und</strong> wur<strong>de</strong>n gedul<strong>de</strong>t:<br />

A: Wir haben uns ganz früher mal in <strong>de</strong>n Anfangszeiten vor unserem Verein halt<br />

kennengelernt auf nem Spielfeld in <strong>de</strong>r Nähe <strong>von</strong> Sigmaringen. Hat sich halt auch<br />

so rumgesproche, dass da die Möglichkeit besteht, legal <strong>und</strong> mit Einverständnis<br />

<strong>de</strong>r Polizei einmal zu spielen. Dann hat man sich da halt getroffe, miteinan<strong>de</strong>r gespielt.<br />

Es war dann das Interesse da, um gemeinsam was auf die Beine zu stellen,<br />

aber was Offizielles. (...) So sind wir halt zu unserer Vereinsgründung gekommen,<br />

dass die Leute halt doch ein bisschen aus recht unterschiedlichen Richtungen zusammengewürfelt<br />

sind. Eben halt die, die sich schon länger für Paintball engagiert<br />

haben <strong>und</strong> früher auf <strong>de</strong>m alten Spielgelän<strong>de</strong> Paintball gespielt haben.<br />

Weil die Mehrzahl <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r aus Reutlingen selbst o<strong>de</strong>r aus kleineren Orten in <strong>de</strong>r nähe-<br />

ren Umgebung kommt, hat man sich für <strong>de</strong>n Namen ‘Paintballspielergemeinschaft Reutlingen<br />

e.V.’ entschie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich als Team - worauf <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n noch eingegangen wird - <strong>de</strong>n<br />

Namen ‘Little Devils’ gegeben. Offiziell wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verein am 02.06.1994 gegrün<strong>de</strong>t <strong>und</strong><br />

kurze Zeit später be<strong>im</strong> Amtsgericht in das Vereinsregister eingetragen.<br />

Entsprechend <strong>de</strong>r Satzung hat <strong>de</strong>r Verein zum Ziel, Paintball in Deutschland bekannt zu ma-<br />

chen <strong>und</strong> zu ‘legalisieren’:<br />

227


„Zweck <strong>de</strong>r Vereins ist die Ausübung <strong>de</strong>s Paintball-Sportes, <strong>de</strong>ssen Verbreitung,<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Sportes, Sportgeistes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit <strong>im</strong> Zusammenhang stehen<strong>de</strong>n<br />

Interessen“ (aus <strong>de</strong>r Satzung vom 02.06.1994).<br />

Selbstverständnis<br />

Die Mitglie<strong>de</strong>r treffen sich regelmäßig, um neueste Informationen aus <strong>de</strong>r Szene auszutau-<br />

schen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Verein zu verwalten, um Spiele vorzubereiten etc. Treffpunkt ist häufig ein<br />

Club- <strong>und</strong> Vereinsraum, <strong>de</strong>r in einem Dachgeschossz<strong>im</strong>mer untergebracht ist, das zur Woh-<br />

nung eines Vereinsmitglieds gehört. Der Vereinsraum entpuppte sich als wahrer F<strong>und</strong>us für<br />

<strong>de</strong>n ethnographischen Forscher: Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Teamfotos in Bil<strong>de</strong>rrahmen <strong>und</strong> Passepartouts<br />

an <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n dokumentieren Teamfahrten zu Turnieren <strong>und</strong> Meisterschaften, Pokale auf<br />

Regalen zeugen <strong>von</strong> <strong>de</strong>r erfolgreichen Teilnahme an Paintballveranstaltungen <strong>und</strong> dokumen-<br />

tieren das soziale Ansehen (Fair-Play-Preis). T-Shirts mit Unterschriften, die <strong>von</strong> ‘gegneri-<br />

schen’ Mannschaften als Geschenk überreicht wur<strong>de</strong>n, vielzählige Zeitschriften r<strong>und</strong> um<br />

Paintball, chronologisch sortiert in Zeitschriftenstän<strong>de</strong>rn, Fotokisten <strong>und</strong> Alben, Dokumenta-<br />

tionsmappen für Sponsoren, Kisten mit Aufklebern, Geschenke für Austauschvereine etc.<br />

zeugen vom Engagement <strong>und</strong> Interesse am Paintballspiel. ‚Heiligtum’ ist ein Arbeitstisch, auf<br />

<strong>de</strong>m die Markierer abgelegt sind. Dort liegen verschie<strong>de</strong>ne Mo<strong>de</strong>lle; frisch ‚geputzt’, die Er-<br />

satzteile säuberlich sortiert.<br />

Überall zu sehen ist ‘<strong>de</strong>r kleine Teufel’, <strong>de</strong>n die Gruppe als ‘Symbol’ ihrer ‘Corporate I<strong>de</strong>nti-<br />

ty’ erhoben hat. Er ziert nicht nur Vereinsplakate, son<strong>de</strong>rn dient als Icon auf Stempeln, Brief-<br />

papier, Kleidungsstücken wie Kappen o<strong>de</strong>r Krawatten o<strong>de</strong>r kleinen Schnapsfläschchen, die<br />

die Mitglie<strong>de</strong>r auf Turnieren als Fre<strong>und</strong>schaftsgeschenke an an<strong>de</strong>re Vereine verteilen. Die<br />

Spieler legen Wert darauf, dass dieser Teufel nicht <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> Diabolismus, <strong>de</strong>s Bösen,<br />

Martialischen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n darf. Vielmehr han<strong>de</strong>le es sich bei dieser Wahl teilweise um<br />

Zufall, vor allem jedoch sei diese kleine Figur witzig gemeint:<br />

A: Wir sind zu <strong>de</strong>m Namen gekommen, weil uns damals jemand einen kleinen<br />

Stoffteufel als Glücksbringer geschenkt hat. [holt ein kleines Stofftier <strong>von</strong> einem<br />

<strong>de</strong>r Regale <strong>im</strong> Vereinsraum; L.S.]. Das fan<strong>de</strong>n wir irgendwie witzig. Ein Teufel<br />

überlistet an<strong>de</strong>re, das ist die Verbindung zu Paintball, mehr nicht.<br />

Wie bei vielen an<strong>de</strong>ren Vereinen auch, ist die Verwaltung gut organisiert <strong>und</strong> wird mittlerwei-<br />

le über ein entsprechen<strong>de</strong>s PC-Programm erledigt. Hier sind die (Spiel-)Daten <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r<br />

gespeichert, Fähigkeiten <strong>und</strong> Vorlieben o<strong>de</strong>r Turniererfahrungen jeweils in einer ,Spielerinfo’<br />

registriert.<br />

228


Abb.: Spielerinfo Little Devils<br />

229


Die Mitglie<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n regelmäßig über aktuelle Termine <strong>und</strong> Veranstaltungen informiert, wie<br />

die folgen<strong>de</strong> Übersicht zeigt:<br />

Abb.: Termininfo für Vereinsmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r PSG Reutlingen (Little Devils)<br />

Gespielt wird meist nur an Wochenen<strong>de</strong>n, da <strong>de</strong>r Verein über kein eigenes Spielfeld verfügt.<br />

Dann fahren die Mitglie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Regel gemeinsam zu einem <strong>de</strong>r vielen Turniere, Liga-<br />

Spiele o<strong>de</strong>r zu Meisterschaften, die <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r <strong>von</strong> unterschiedlichen Vereinen <strong>und</strong> Veran-<br />

staltern durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Die Little Devils nehmen dann entwe<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Funktion <strong>de</strong>r<br />

230


Schiedsrichter o<strong>de</strong>r auch Zuschauer teil, meistens jedoch als Mannschaft o<strong>de</strong>r Team, um<br />

selbst mitzuspielen.<br />

So z.B. <strong>im</strong> Juli 1996. Diese Fahrt, an <strong>de</strong>r ich teilgenommen habe, dauerte fast ein ganzes Wo-<br />

chenen<strong>de</strong>. Abfahrt war Freitagnacht bzw. Samstagmorgen zwei Uhr, Ziel eine Meisterschaft,<br />

ausgetragen in Bielefeld, die ‘Bielefeld - Open’. Insgesamt war <strong>de</strong>r Ausflug r<strong>und</strong>um nahezu<br />

perfekt organisiert: Ein Mtiglied <strong>de</strong>r Little Devils stellte einen Kleinbus zur Vefügung, an<strong>de</strong>re<br />

sorgten für Proviant, Getränke <strong>und</strong> Musik. An eine entsprechen<strong>de</strong> Zusatzausrüstung für mich<br />

als Gast war gedacht. So konnte das Turnier für die Little Devils gegen ca. zehn Uhr begin-<br />

nen. Es en<strong>de</strong>te am Abend gegen 19 Uhr mit <strong>de</strong>r Siegerehrung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verleihung <strong>de</strong>r Pokale.<br />

Nicht zuletzt aufgr<strong>und</strong> meines dilettantischen Anfängerspiels erzielten die Little Devils an<br />

diesem Tag keinen <strong>de</strong>r Siegerpokale. Allerdings wur<strong>de</strong>n sie als ‘Long-Distance-Runner’ aus-<br />

gezeichnet, das Team, das am weitesten angereist war. Als Anerkennung hierfür gab es ein T-<br />

Shirt. Die Rückkehr nach Reutlingen erfolgte am frühen Sonntagmorgen, da ich am späten<br />

Samstagabend noch eine Gruppendiskussion durchführte, an <strong>de</strong>r auch Szenemitglie<strong>de</strong>r aus<br />

an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>utschen Vereinen <strong>und</strong> Paintballteams beteiligt waren.<br />

Die Gruppe hat sich spezielle Anzüge zugelegt, in <strong>de</strong>nen sie an Wettkämpfen teiln<strong>im</strong>mt. Ei-<br />

nes dieser ‘Kostüme’ macht ihrem Namen alle Ehre: Rote Hosen <strong>und</strong> ein blaues Oberteil, da-<br />

zu eine Kappe mit roten Hörnern, die an einen Teufel erinnern.<br />

Abb.: Gruppenbild mit Forscherin (vorne Mitte): Turnierteam <strong>de</strong>r Little Devils <strong>im</strong> einheitli-<br />

chen Dress<br />

Im Laufe <strong>de</strong>r Zeit sind an<strong>de</strong>re Outfits hinzugekommen: silber-rot-schwarz ‘gesplasht’ (Splash<br />

= Farbklecks durch Paint), bunte Pullover mit schwarzen Armen <strong>und</strong> gelbem Schriftzug <strong>de</strong>s<br />

231


‘Sponsors’. Das Tragen solcher Kostüme ist in <strong>de</strong>r Szene keine Seltenheit. An<strong>de</strong>re Gruppen<br />

<strong>und</strong> Teams erscheinen zuweilen <strong>im</strong> Star-Trek-Outfit, <strong>im</strong> Kuh-Dress o<strong>de</strong>r in Postsäcken. Hier-<br />

bei han<strong>de</strong>lt es sich - wie noch gezeigt wird - um eine bewusste Distanzierung <strong>von</strong> militäri-<br />

schen Anmutungen. Die Kleidung <strong>im</strong> Alltag ist heterogen <strong>und</strong> keiner Szene ein<strong>de</strong>utig zuzu-<br />

ordnen.<br />

Weitere Turnierkleidung ist ein Anzug, <strong>de</strong>n die Devils ‘Crazy black splash’ nennen. Er be-<br />

steht aus einem gestreiften Fußballtrikot <strong>und</strong> einer schwarz-rot gemusterten Hose. Dieser Stil<br />

sei <strong>de</strong>m Moto-Cross-Bereich 119 entnommen.<br />

Die Little Devils sind – wie bereits erwähnt - in <strong>de</strong>r Szene mittlerweile gut bekannt <strong>und</strong> auf-<br />

gr<strong>und</strong> ihres Engagements für die Sache geschätzt. Mittlerweile wer<strong>de</strong>n sie <strong>von</strong> kommerziellen<br />

Anbietern <strong>von</strong> Paintballzubehör geför<strong>de</strong>rt:<br />

„Little Devils get powered & toxic!<br />

Die berühmt berüchtigten kleinen Teufelchen aus <strong>de</strong>m wil<strong>de</strong>n Sü<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n in<br />

Zukunft nicht nur durch neue Spieler, son<strong>de</strong>rn auch <strong>von</strong> OPM Paintballsportsupplies<br />

Germany <strong>und</strong> <strong>von</strong> VENOM - the toxic toys unterstützt. Mit dieser exkluiven<br />

Mischung aus Qualität, High Tech <strong>und</strong> ‘Frischfleisch’ hoffen die Devils<br />

dieses Jahr auf so vielen Turnieren wie möglich zu spielen <strong>und</strong> auch einige Erfolge<br />

zu erreichen“ (Gotcha 3/97, S. 13).<br />

Sponsoring ermöglicht es, die erheblichen Kosten dieses Hobbys ein wenig zu kompensieren.<br />

Zu<strong>de</strong>m trägt die För<strong>de</strong>rung durch einen bekannten Sponsor zum Ansehen eines Vereins in-<br />

nerhalb <strong>de</strong>r Szene bei <strong>und</strong> man hofft auf Synergieeffekte insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r Bewältigung<br />

<strong>de</strong>r PR-Arbeit.<br />

Die jugendkulturellen Bezugsszenen <strong>de</strong>r Gruppenmitglie<strong>de</strong>r sind heterogen. Ein Mitglied <strong>de</strong>r<br />

Gruppe sieht sich z.B. seit über 16 Jahren <strong>de</strong>n Pfadfin<strong>de</strong>rn verb<strong>und</strong>en, ein an<strong>de</strong>res fühlt sich<br />

zur Techno-Szene hingezogen, ein weiteres fühlt sich in die Kultur <strong>de</strong>r ‘PC-Adventure-<br />

Games’ involviert. Tatsächlich füllen ihre Adventure-Spiele einen kompletten CD-Stän<strong>de</strong>r,<br />

wie ich bei einem meiner Besuche feststellen konnte. Gemeinsame Interessen über Paintball<br />

hinaus sind innerhalb dieser Gruppe eher untypisch. Allerdings zeigt sich bei <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

an<strong>de</strong>rer Clubs <strong>und</strong> Vereine eine gewisse Affinität für Outdoor-Adventure-/Trecking-<br />

Aktivitäten <strong>und</strong> Adventure Games. Die Inhalte <strong>im</strong> Internet <strong>und</strong> Paintballmagazinen verweisen<br />

119 Das Equipment <strong>de</strong>r Paintball-Szene wird vielfach über Anbieter <strong>von</strong> Moto-Cross-Zubehör bezogen. Oft han<strong>de</strong>lt<br />

es sich hierbei um Kleidung o<strong>de</strong>r sonstiges Zubehör, das genuin für <strong>de</strong>n Moto-Cross-Bereich produziert<br />

<strong>und</strong> angeboten, dann aber <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Paintball-Szene angeeignet <strong>und</strong> umfunktioniert wur<strong>de</strong>n. Bekannte Firmen<br />

wie ‘GT’ o<strong>de</strong>r ‘Scott’ haben dies erkannt <strong>und</strong> produzieren mittlerweile speziell für die Paintball-Szene.<br />

232


auf Verbindungen zur Moto-Cross-Szene (hier: Quads = motorradähnliche, gelän<strong>de</strong>gängige<br />

Fahrzeuge mit vier Rä<strong>de</strong>rn).<br />

Die Kleidungsstile o<strong>de</strong>r Musikgeschmäcker sind ebenfalls heterogen: Techno <strong>und</strong> Rock <strong>und</strong><br />

Pop sind ebenso vertreten wie Klassik. Einzig gemeinsam ist allen eine gewisse Reaktanz<br />

gegenüber volkstümlicher Musik. Einer <strong>de</strong>r Befragten bringt es auf <strong>de</strong>n Punkt:<br />

A: Was unseren Stil angeht, ist das nicht einheitlich. Die einen mögen dies, die<br />

andren das. Ich bin mehr Woll-Pulli-mäßig angezogen, viele tragen Jeans <strong>und</strong><br />

Shirts, die einen hören Techno, die an<strong>de</strong>ren Pop, <strong>und</strong> ich hör ganz gerne Klassik.<br />

Meine Eltern kommen so aus Richtung intellektuelles Bildungsbürgertum wie<br />

man so schön sagt. Bei uns zu Hause hören wir viel Klassik. Einige hören auch<br />

ganz gerne Musicals. Was aber keiner <strong>von</strong> uns lei<strong>de</strong>n kann, ist Volksmusik.<br />

Die Behauptung <strong>von</strong> Stilpluralismus als typisch für die Gruppe bestätigte sich <strong>im</strong> Rahmen<br />

meiner Beobachtungen: Jeans <strong>und</strong> Sportbekleidung bekannter Markenartikelhersteller sind<br />

ebenso vertreten wie No-Name-Produkte, Birkenstock-Schuhe ebenso üblich wie Le<strong>de</strong>rstiefel,<br />

‘gestylte’ Kurzhaarfrisuren genauso vertreten wie lange Haare <strong>und</strong> Zöpfe. Das Musikreper-<br />

toire <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r bereits erwähnten Fahrt nach Bielefeld war vielfältig, für je<strong>de</strong>n Ge-<br />

schmack etwas dabei.<br />

Ebenso heterogen sind die weiteren Freizeitinteressen <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r. Sie reichen - wie bereits<br />

erwähnt - <strong>von</strong> Pfadfin<strong>de</strong>r-Aktivitäten o<strong>de</strong>r Reisen <strong>und</strong> Extrem-Tourismus über Aerobic,<br />

Computerspiele o<strong>de</strong>r Handball bis hin zum Sammeln <strong>von</strong> Cartoons o<strong>de</strong>r auch nur ‘Faulen-<br />

zen’.<br />

Trotz <strong>de</strong>s außergewöhnlichen Hobbys ‘Paintball’ verfolgt die Mehrzahl <strong>de</strong>r Vereinsmitglie<strong>de</strong>r<br />

eher konventionelle Lebensentwürfe (traditionelle Werteorientierung). Zwar ist Unabhängig-<br />

keit bei <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn dieser Gruppe ein wichtiger Wert (post-materialistische Werteorien-<br />

tierung), gleichzeitig jedoch spielt Sicherheit eine wichtige Rolle. Dies umfasst zum einen die<br />

berufliche Situation, zum an<strong>de</strong>ren die emotionale Sicherheit: Arbeitsplatzsicherung, Weiter-<br />

bildung <strong>und</strong> Karriere, Heiraten <strong>und</strong> Familie sind wichtige Themen:<br />

A1: Ich mag es, in einer gewissen Weise unabhängig zu sein. Dazu gehört für<br />

mich, ein langer Urlaub z.B. in Kanada, wo ich mal ganz auf mich gestellt bin,<br />

fernab <strong>von</strong> Straßen <strong>und</strong> Zivilisation - auch mit einem gewissen Risiko. Aber dieses<br />

Bedürfnis geht nicht so weit, dass ich mir vorstellen kann, irgendwann komplett<br />

auszusteigen. Ich wer<strong>de</strong> meine Fre<strong>und</strong>in irgendwann heiraten <strong>und</strong> wir wollen<br />

auch Kin<strong>de</strong>r. (...) Wichtig ist mir, einen guten Arbeitsplatz zu haben, eine gesicherte<br />

Existenz. (...) Ich fühle mich <strong>im</strong> Moment unterfor<strong>de</strong>rt in meinem Job, aber<br />

ich mach weiter. Kein Studium, eher eine praxisorientierte Weiterbildung. (...)<br />

233


A2: Ich mach ja auch gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Meister. Ich bin vom Arbeitgeber freigestellt,<br />

o<strong>de</strong>r besser: ich arbeite Schicht, Nachtschicht <strong>und</strong> Wechselschicht. Das lässt sich<br />

dann so einrichten, dass ich <strong>im</strong>mer frei hab, wenn Schule ist, viermal in <strong>de</strong>r Woche.<br />

(...) Heiraten ist bei mir <strong>und</strong> meiner Fre<strong>und</strong>in jetzt noch nicht angesagt. Aber<br />

irgendwann mal, werd ich auch daran <strong>de</strong>nken.<br />

Ihre politischen Haltungen beschreiben die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vereins als Spektrum <strong>von</strong> links-<br />

alternativ, rot-grün, über bürgerlich-konservative Muster bis hin zu ‘völlig egal”. Bei man-<br />

chen zeige sich eine gewisse Resignation <strong>und</strong> politisches Desinteresse, welches darin grün<strong>de</strong>,<br />

dass ‚an <strong>de</strong>r momentanen politischen Situation ohnehin nichts zu än<strong>de</strong>rn’ sei.<br />

In ihren mitmenschlichen Lebenszusammenhängen sehen sich die Little Devils als ‘normale’<br />

Menschen, die ihren Alltag ‘ruhig’ <strong>und</strong> ‘stressfrei’ bewältigen <strong>und</strong> die aggressive Konflikte<br />

eher vermei<strong>de</strong>n als sie zu suchen. Gleichsam als Beleg wird ausdrücklich darauf verwiesen,<br />

dass pazifistische Motive für die Wehrdienstverweigerung <strong>und</strong> Paintball als Hobby durchaus<br />

miteinan<strong>de</strong>r in Einklang zu bringen sind:<br />

A1: Wir sind eigentlich ganz normale Leute <strong>und</strong> das wollen wir auch zeigen. Wir<br />

gehen nicht einfach in <strong>de</strong>n Wald <strong>und</strong> ballern rum. Die Leute gibt es zwar, aber das<br />

sind nicht wir.<br />

A2: Ich bin jetzt seit 13 Jahren bei <strong>de</strong>n Pfadfin<strong>de</strong>rn, ich hab’ Zivildienst gemacht<br />

<strong>und</strong> ich wür<strong>de</strong> mich selbst als alles an<strong>de</strong>re als irgendwie einen gewalttätigen Menschen<br />

bezeichnen. Ich mag es auch, in meiner Freizeit mal öfters mit meinen<br />

Kumpels irgendwo am Feuer zu sitzen <strong>und</strong> was zu grillen <strong>und</strong> einfach zu schwätzen<br />

<strong>und</strong> net irgendwie jetzt zum Beispiel auf Sauftour zu gehen <strong>und</strong> dann, wie<br />

sagt man, einen drauf zu machen <strong>und</strong> dann irgendwo zu randalieren o<strong>de</strong>r sonst<br />

was. Also damit hab ich echt überhaupt nichts am Hut.<br />

A3: Und ich persönlich mag es mehr gemütlich, wie dass es irgendwo Stress gibt.<br />

A1: Also ich bin ja mehr ein lebhafter Typ. Aber grad was Konflikte anbetrifft<br />

<strong>und</strong> so, hab ich eigentlich auch wenig Interesse dran. Ich geh Streit meistens<br />

aus’m Weg, weil mir das zu blöd ist <strong>und</strong> ich <strong>de</strong>nk, man kann auch Probleme mit<br />

Re<strong>de</strong>n lösen. (...) Ich bin Fisch <strong>im</strong> Sternzeichen, <strong>und</strong> da heißt’s, man ist sensibel<br />

<strong>und</strong> so fühl ich mich auch. Ich bin ein bedächtiger Mensch <strong>und</strong> lass mich zu nix<br />

Brutalem hinreißen. Und ich spiele nicht nur Paintball, son<strong>de</strong>rn hab auch ganz<br />

normale an<strong>de</strong>re Interessen: Skating, Moutainbiking, mach Aerobic <strong>im</strong> Studio <strong>und</strong><br />

geh’ spazieren.<br />

234


Die Little Devils distanzieren sich <strong>von</strong> realer Gewalt <strong>und</strong> jedwe<strong>de</strong>n politischen Gruppierun-<br />

gen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r rechten Szene. Dies ist auch in <strong>de</strong>r Vereinssatzung festgelegt: 120 “Der<br />

Verein verfolgt keine politischen, religiösen o<strong>de</strong>r militärischen Zwecke. (...) Personen mit<br />

rassistischen, rechts- bzw. linksextremen politischen Ansichten ist die Mitgliedschaft ver-<br />

sagt.”<br />

So haben sich bei dieser Gruppe - wie in <strong>de</strong>r gesamten Paintball-Szene auch - spezifische<br />

Strategien etabliert, um sich <strong>von</strong> extremen politischen Gruppierungen, Militaristen <strong>und</strong> An-<br />

mutungen <strong>von</strong> realer Gewalt zu distanzieren. Erwähnt habe ich bereits die bunten Deckungs-<br />

vorrichtungen <strong>de</strong>s ‚Sup’Air’. Be<strong>de</strong>utsam erscheint in diesem Zusammenhang weiter das ‘No<br />

Camo’-Spiel. Gemeint ist - wie bereits ange<strong>de</strong>utet - oftmals in Phantasy-Anzügen anstatt in<br />

militärisch o<strong>de</strong>r martialisch anmuten<strong>de</strong>r Tarnkleidung zu spielen, um somit jeglichen Ver-<br />

gleich mit militaristischen Gruppen <strong>von</strong> vornherein auszuschließen. Zum an<strong>de</strong>ren ist es<br />

gleichsam ungeschriebenes Gesetz, keine roten Paintballs zu verwen<strong>de</strong>n, die <strong>im</strong> übrigen in<br />

Europa <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n USA gar nicht mehr o<strong>de</strong>r kaum noch produziert wür<strong>de</strong>n:<br />

A: Auf <strong>de</strong>n Turnieren wird in <strong>de</strong>r Regel No-Camo gespielt. Das kommt <strong>von</strong> Camouflage<br />

<strong>und</strong> heißt Tarnung. Wir vermei<strong>de</strong>n es, in Nato- o<strong>de</strong>r militärähnlichen<br />

Anzügen zu spielen. Wir wollen uns nicht klei<strong>de</strong>n wie Wehrsportgruppen, weil<br />

wir keine sind, auch wenn es aus spieltaktischen Grün<strong>de</strong>n sinnvoll wäre, Tarnkleidung<br />

zu tragen, weil man dann einfach schwerer zu sehen ist als in <strong>de</strong>n bunten<br />

Kostümen. In England o<strong>de</strong>r in Amerika lachen die zum Teil darüber, weil Tarnanzüge<br />

dort kein Problem sind. Wir benutzen absichtlich auch keine rote Paint, weil<br />

das gleich wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Anschein <strong>von</strong> Blut erweckt.<br />

Eine weitere Distanzierungsstrategie besteht darin, <strong>de</strong>n Begriff ‘Waffe’ auf das Paintballspiel<br />

nicht anzuwen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn <strong>im</strong>mer <strong>von</strong> einem Markierer zu sprechen. Dementsprechend wir-<br />

ken die Markierer oftmals eher wie bunte Spielzeuge. Nicht selten sind lila- o<strong>de</strong>r mintfarbene<br />

Markierer bei <strong>de</strong>n Turnieren zu sehen.<br />

120 Die Ablehnung gegenüber <strong>de</strong>r rechten Szene ist auch in einer Vielzahl an<strong>de</strong>rer Regelwerke <strong>de</strong>r Paintballszene<br />

schriftlich fixiert. So z.B. in <strong>de</strong>n Tournament/Game-Regeln <strong>de</strong>s ‘Deutschen Paintball Sportverbands’ o<strong>de</strong>r<br />

auch in an<strong>de</strong>ren speziellen Turnier-Richtlinien (national <strong>und</strong> international).<br />

235


Abb.: Die Little Devils bei einem internationalen Turnier in ‘No Camo’ (unten) <strong>und</strong> <strong>im</strong> Ver-<br />

gleich dazu eine britische Mannschaft <strong>im</strong> ‚Military-Look’ (Fotosammlung <strong>de</strong>r Little<br />

Devils)<br />

236


Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r PSG Reutlingen verstehen Paintball als Outdoor- <strong>und</strong> Abenteuersport, <strong>de</strong>r<br />

nichts mit Gewalt zu tun hat. Gewalt be<strong>de</strong>ute, jeman<strong>de</strong>m mit Absicht reale körperliche o<strong>de</strong>r<br />

seelische Schä<strong>de</strong>n zuzufügen. Dies sei be<strong>im</strong> Paintball nicht <strong>de</strong>r Fall, <strong>de</strong>nn Gewalt sei nur ge-<br />

spielt, gleichsam künstlich inszeniert in einem eigens dafür vorgesehenen Rahmen mit dop-<br />

peltem Netz <strong>und</strong> Bo<strong>de</strong>n:<br />

A: Also wir kriegen öfters das Argument: ‘Ja, ihr schießt auf an<strong>de</strong>re Leute. Ihr<br />

könnt die doch verletzen’. Nein, ich verletz <strong>de</strong>n ja eben nich, ich hab mit <strong>de</strong>m keinen<br />

persönlichen Kontakt. Er kriegt halt seinen Splat, aber das Splat kann man<br />

wegwischen. Ne scharfe Kugel kann ich nich wegwischen, das tut en bisschen<br />

mehr weh. Ich hab kein Interesse an scharfen Waffen <strong>und</strong> ich <strong>de</strong>nk auch, die meisten<br />

Paintballspieler <strong>de</strong>nken auch gar net an Krieg spielen o<strong>de</strong>r so. (...) Wir markieren<br />

aufeinan<strong>de</strong>r, wir schießen aufeinan<strong>de</strong>r, aber wir wissen ja genau, dass <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>rn nichts passiert. Der guckt sich an, ‘oh’ sagt <strong>de</strong>r, ‘da ist en grüner Klecks<br />

drauf, da muss ich be<strong>im</strong> nächsten Mal aufpassen, da war ich wohl zu risikofreudig’.<br />

Zum Vergleich führen die Paintballspieler ‘an<strong>de</strong>re’ Sportarten wie Fußball, Boxen o<strong>de</strong>r Fech-<br />

ten an, die gesellschaftlich nicht nur akzeptiert seien, son<strong>de</strong>rn auch geför<strong>de</strong>rt wür<strong>de</strong>n. Dabei -<br />

so ihre Meinung - erreiche Gewalt <strong>im</strong> Sinne körperlicher Schädigung be<strong>im</strong> Paintball nicht<br />

einmal das Niveau, das in an<strong>de</strong>ren Sportarten erlaubt ist. Für sie ist Paintball ungefährlicher<br />

<strong>und</strong> weniger moralisch verwerflich als das Boxen. Das Akzeptieren <strong>de</strong>s einen (Fechten, Box-<br />

kampf) <strong>und</strong> die Negation <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren (Paintball) empfin<strong>de</strong>n sie als Ungleichbehandlung <strong>und</strong><br />

als ein Messen mit zweierlei Maß:<br />

A2. Be<strong>im</strong> Fußball brechen sie sich die Knöchel o<strong>de</strong>r verletzen sich die Bän<strong>de</strong>r.<br />

Das ist so in Ordnung (...)<br />

A1: Was wir hier machen, ist doch noch viel harmloser als Fechten o<strong>de</strong>r Boxen.<br />

(...) Ich <strong>de</strong>nk, da beißt sich doch die Katze in <strong>de</strong>n Schwanz, weil wie ist es <strong>de</strong>nn,<br />

wenn se bei so einem Boxkampf für die teuerste Eintrittskarte 2.800 Mark bezahlen,<br />

nur dass se zugucken können, wie einer <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn die Fresse vollhaut <strong>und</strong><br />

möglichst gut ins Gesicht <strong>und</strong> am Kopf trifft, dass <strong>de</strong>r hinterher Hirnschädigungen<br />

hat <strong>und</strong> weiß nicht was noch alles. So Knochen gebrochen hat. Da wird dann gejubelt,<br />

da kommt dann die Presse: ‘Was für ein toller Kampf, <strong>und</strong> w<strong>und</strong>erbar’.<br />

A2: O<strong>de</strong>r be<strong>im</strong> Fechten.<br />

A1: Da geht man mit Messern aufeinan<strong>de</strong>r zu. Das heißt auch nicht gleich, dass<br />

<strong>de</strong>r Fechter dahe<strong>im</strong> das Messer n<strong>im</strong>mt, <strong>und</strong> je<strong>de</strong>n, wo’n dumm anmacht, gleich<br />

absticht, o<strong>de</strong>r? Ich fin<strong>de</strong> das sehr scha<strong>de</strong>, dass man uns das Schl<strong>im</strong>mste unterstellt<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren nicht.<br />

237


Im Hinblick auf diese Art <strong>de</strong>r Argumentation resp. <strong>de</strong>s Vergleichs mit Sportarten wie Boxen<br />

o<strong>de</strong>r Fechten verweist Binhack (1998, S. 120) in seiner ‚sportwissenschaftlichen Analyse’ 121<br />

auf einen seiner Meinung nach <strong>de</strong>utlichen ‘problematischen’ Unterschied, <strong>de</strong>r nämlich in <strong>de</strong>r<br />

wesentlich größeren Kampfdistanz be<strong>im</strong> Paintball/Gotcha bestün<strong>de</strong>: „Diese ist per se schon<br />

abstrakter als die Nähe <strong>de</strong>s ‘Auge in Auge“ mit <strong>de</strong>m Gegner, die ihn in seiner Körperlichkeit<br />

(...), mit einem Wort in seinem ‘Menschsein’ ganz konkret erfahrbar macht. (...) Er [<strong>de</strong>r Geg-<br />

ner; L.S.] wird verstärkt wahrgenommen als austauschbare, schemenhafte Figur, als bewegli-<br />

ches Ziel, das es als ‘ten<strong>de</strong>nzielles Neutrum’ gegen <strong>de</strong>ssen Wi<strong>de</strong>rstand zu ‘neutralisieren’ gilt.<br />

(...) Während an<strong>de</strong>ren Kampfsportarten stets ein struktureller Beziehungscharakter zugr<strong>und</strong>e<br />

liegt, lässt es die Struktur <strong>de</strong>s Gotcha-Spiels zu, daß man gera<strong>de</strong> bei seiner effizientesten Aus-<br />

führung gar keine unmittelbare Kampfbeziehung mehr eingehen muss. Völlig an<strong>de</strong>rs als bei-<br />

spielsweise das klassische Duell, das auch als Pistolenduell stets Ausdruck eines offenen, ak-<br />

tiven, reziprok-antagonistischen Kampfes zur Demonstration <strong>von</strong> Ehrenhaftigkeit war, legt<br />

das Gotcha-Spiel ein sehr effektives, überfallartiges Schießen aus <strong>de</strong>m Hinterhalt nahe (...).“<br />

Mit dieser Art <strong>de</strong>r Interpretation konfrontiert, argumentiert <strong>de</strong>r Teamcaptain <strong>de</strong>r Devils:<br />

A: Ja, sicher - fehlen<strong>de</strong> Distanz. Erstens hab’ ich keinen Feind o<strong>de</strong>r kein Opfer,<br />

son<strong>de</strong>rn einen Wettkampfgegner. Und zweitens: Klasse, be<strong>im</strong> Boxen seh ich <strong>de</strong>n<br />

vor mir, <strong>de</strong>r mir gera<strong>de</strong> das Nasenbein gebrochen hat <strong>und</strong> bekomme einen Hass<br />

auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r mir die Fresse poliert. Und außer<strong>de</strong>m: Warum zielt Paintball auf Töten<br />

<strong>und</strong> Fechten nicht? Wo gibt es <strong>de</strong>nn be<strong>im</strong> Fechten die meisten Punkte. Doch<br />

nicht für <strong>de</strong>n dicken Zeh. Das Fechten ist - wenn man <strong>de</strong>nn <strong>von</strong> Nachahmung <strong>de</strong>s<br />

Tötens spricht - doch genauso. Die meisten Punkte gibt es doch für die Brust.<br />

Aus soziologisch-ethnographischer Perspektive scheint ein Vergleich mit <strong>de</strong>m realen Hecken-<br />

schützenwesen, wie Binhack ihn untern<strong>im</strong>mt, <strong>von</strong> (zumin<strong>de</strong>st einem Teil) <strong>de</strong>r Strategie <strong>de</strong>s<br />

Paintballspiels her zulässig (schießen, in Deckung gehen). Aber - <strong>und</strong> das ist ein wesentlicher<br />

Unterschied - <strong>de</strong>r fiktive Charakter, die Einbindung in einen sozialen Rahmen (Das ‘Vorher’<br />

<strong>und</strong> ‘Nachher’) <strong>und</strong> <strong>de</strong>r spielerische Charakter (hier: Organisierte Turniere, Sicherheitsmaß-<br />

nahmen) dürfen in einer objektiven Diskussion nicht außer Acht gelassen wer<strong>de</strong>n. Konse-<br />

quent zu En<strong>de</strong> gedacht vergleicht Binhack die Fiktion <strong>de</strong>s Gotchaspiels mit <strong>de</strong>r Abstraktheit<br />

mo<strong>de</strong>rner Kriegsführung, wonach <strong>de</strong>r Gegner nicht mehr mit eigenen Hän<strong>de</strong>n getötet wer<strong>de</strong>n<br />

muss, son<strong>de</strong>rn aufgr<strong>und</strong> hochtechnisierter Waffensysteme per Knopfdruck <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>m Hin-<br />

121 Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass Binhacks Arbeit mehr einem moralischen Postulat als einer wissenschaftlich<br />

wert-neutral formulierten Analyse gleicht. Er beruft sich zu<strong>de</strong>m (mit Ausnahme <strong>von</strong> zwei persönlichen<br />

Gesprächen mit Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gotchaszene) ausschließlich auf Kurzberichte in <strong>de</strong>utschen TV-<br />

Kultur- <strong>und</strong> Nachrichtenmagazinen aus <strong>de</strong>n Jahren 1993/1994 sowie die Frankfurter Zeitung vom<br />

05.12.1994. Insgesamt erliegt er oberflächlichen, moralisch-gefälligen Interpretationsangeboten <strong>und</strong> vermag<br />

es nicht, dass Phänomen Paintball in seiner Komplexität zu erfassen.<br />

238


terhalt ausgeschaltet wird. Er unterstellt die Gefahr <strong>de</strong>s Verwischens <strong>von</strong> Spiel <strong>und</strong> Alltag, die<br />

größer sei, als beispielsweise bei kriegerischen Computerspielen. Die Differenzen scheinen<br />

<strong>de</strong>n hier befragten Paintballern jedoch nicht verloren gegangen zu sein. Im Gegenteil: Der<br />

selbstreflexive, kritische Umgang mit <strong>de</strong>m eigenen Faible, einer Vielzahl <strong>von</strong> Vorkehrungen<br />

<strong>und</strong> Reglementierungen zur Sicherheit <strong>de</strong>r Spieler <strong>und</strong> auch das Wissen um problematische<br />

Einzelfälle spricht gegen einen zu befürchten<strong>de</strong>n Realitätsverlust.<br />

Damit auch wirklich niemand zu Scha<strong>de</strong>n kommt, wird Sicherheit nicht nur groß geschrieben,<br />

son<strong>de</strong>rn ist oberstes Prinzip. Gilt es zwar, <strong>de</strong>n Gegner auf <strong>de</strong>m Spielfeld mit Farbkugeln zu<br />

treffen <strong>und</strong> damit zum Ausschei<strong>de</strong>n zu zwingen, verbirgt sich dahinter jedoch keineswegs<br />

unbesonnenes Han<strong>de</strong>ln. Nicht ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n kann, dass sich am Körper dort ein<br />

Hämatom bil<strong>de</strong>t, wo man <strong>von</strong> einer Farbkugel getroffen wird. Eine Spielerin berichtete mir<br />

bei <strong>de</strong>m bereits mehrfach zitierten Turnier <strong>von</strong> ihren Krampfa<strong>de</strong>rn, die vermutlich durch <strong>de</strong>n<br />

Aufprall <strong>de</strong>r Farbkugeln verursacht wur<strong>de</strong>n. Eine Vielzahl an Vorkehrungen soll jedoch<br />

ernsthaftere Verletzungen ausschließen.<br />

So musste ich, um mit <strong>de</strong>n Little Devils ein Turnier besuchen <strong>und</strong> am Paintballspiel teilneh-<br />

men zu dürfen, folgen<strong>de</strong> Erklärung unterzeichnen:<br />

„Es wur<strong>de</strong> mir erklärt, daß das Spiel große körperliche <strong>und</strong> geistige Anstrengungen<br />

erfor<strong>de</strong>rn kann. Daß es gefährlich sein kann, wenn ich nicht nach <strong>de</strong>n<br />

festgelegten Spielregeln, die ich gelesen habe, spiele. Daß ich mir Verletzungen<br />

zuziehen kann (Hämatome).<br />

Ich versichere, <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Spiels körperlich gewachsen zu sein. Daß<br />

ich Paintball als Sport <strong>und</strong> Spiel ansehe.<br />

Ich verpflichte mich, die Spiel- <strong>und</strong> Verhaltensregeln DPSV <strong>und</strong> die Anweisungen<br />

<strong>de</strong>r Schiedsrichter zu befolgen. Die Ausrüstung wie vorgeschrieben zu benutzen<br />

<strong>und</strong> nicht zur Schädigung Dritter einzusetzen. Meine Schutzkleidung (z.B.<br />

Brille) <strong>im</strong> Spiel- <strong>und</strong> Schußbereich zu tragen.“<br />

Deutlich wird hier, dass <strong>im</strong> Rahmen eines Spiels Sicherheitsvorkehrungen getroffen <strong>und</strong> zu-<br />

<strong>de</strong>m vom Turnierveranstalter überwacht wer<strong>de</strong>n. Der Deutsche Paintball-Sport-Verband<br />

(DPSV) hat in einem 35 Seiten umfassen<strong>de</strong>n Regelwerk u.a. Regeln zur Sicherheit <strong>de</strong>r Spieler<br />

<strong>de</strong>finiert, die bei Verstoß <strong>von</strong> ausgebil<strong>de</strong>ten, als ‘Marshals’ bezeichneten, Schiedsrichtern<br />

geahn<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Die ‘Marshals’ beobachten das Spielgeschehen <strong>und</strong> kontrollieren <strong>im</strong> Vor-<br />

feld die Zulässigkeit <strong>de</strong>r Markierer. Mit einem Chronographen, in <strong>de</strong>r Szene kurz ‘Chroni’<br />

genannt, wird die Schussgeschwindigkeit <strong>de</strong>r Markierer geprüft, bevor <strong>de</strong>r einzelne Spieler<br />

das Feld betreten darf. Ein best<strong>im</strong>mter Wert darf nämlich nicht überschritten wer<strong>de</strong>n, da<br />

Schutzbrillen <strong>und</strong> -masken <strong>de</strong>m Aufprall <strong>de</strong>r Farbkugeln ansonsten nicht standhalten könnten.<br />

239


Abb.: Vorschriftstafel <strong>und</strong> Chroni bei einem Turnier (Quelle: Gotcha 3/97, S. 33)<br />

Ebenso wird geprüft, ob an<strong>de</strong>re Manipulationen (insbeson<strong>de</strong>re am Markierer, aber auch an<br />

Schutzmasken <strong>und</strong> an<strong>de</strong>rem) vorgenommen wur<strong>de</strong>n, die nicht zulässig sind. Alkohol <strong>und</strong><br />

Drogen sind vor <strong>de</strong>m Spiel verboten. Jugendlichen unter 18 Jahren wird die Teilnahme ver-<br />

weigert, da die Markierer unter das Waffengesetz fallen.<br />

Wie ernst die Spieler diese Regeln nehmen, erläutert ein Spieler am Beispiel <strong>de</strong>r Gesichts-<br />

schutzmasken:<br />

A: Wenn man auf nem normalen Spielfeld spielt, dann is es <strong>im</strong>mer Pflicht, die<br />

Maske aufzuhaben <strong>und</strong> auch die best<strong>im</strong>mte Geschwindigkeit einzuhalten. (...)<br />

Man kriegt ansonsten keine Minuspunkte, son<strong>de</strong>rn man wird vom Turnier ausgeschlossen,<br />

wenn man gegen die Regeln verstößt, wie zum Beispiel auch die Maske<br />

auf <strong>de</strong>m Spielfeld runternehmen. (...) Also wir haben auch schon Leute gehabt,<br />

wo mal mitgehen wollten zum Spielen, die haben so ne Wochenendausrüstung<br />

gehabt so mit Schweißerbrille <strong>und</strong> so. Und da haben wir gesagt: ‘Nee, mit <strong>de</strong>r<br />

Maske spielst Du nich’. Und er so: ‘Wieso, warum nicht?’ Haben wir die Maske<br />

hingelegt <strong>und</strong> zwei-, dre<strong>im</strong>al darauf geschossen <strong>und</strong> da war das Glas kaputt. (...)<br />

Wir haben auch <strong>im</strong>mer genug Masken dabei, weil wir einfach <strong>de</strong>m Risiko aus<br />

<strong>de</strong>m Weg gehen wollen.<br />

Nahezu je<strong>de</strong> Ausgabe <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Paintballmagazine <strong>und</strong> auch die unterschiedlichen<br />

Websites <strong>de</strong>r Clubs <strong>und</strong> Vereine enthalten Übersichten zu Sicherheitsvorschriften <strong>und</strong> Verhal-<br />

tensmaßregeln. Dazu noch einmal ein Beispiel aus Xtreme Sports (05/00, S. 16f), das eine<br />

weitere wichtige, bisher noch nicht genannte Sicherheitsvorkehrung thematisiert - <strong>de</strong>r ‘Barrel<br />

Plug’ <strong>im</strong> Lauf <strong>de</strong>s Markierers, <strong>de</strong>r außerhalb <strong>de</strong>s Spielfel<strong>de</strong>s <strong>im</strong>mer zu verwen<strong>de</strong>n ist:<br />

240


„Barrel Plug - neben <strong>de</strong>r Maske einer <strong>de</strong>r wichtigsten Punkte in Sachen Sicherheit.<br />

Der Barrel Plug ist ein kleiner Stopfen aus Plastik o<strong>de</strong>r Hartgummi, <strong>de</strong>r sich<br />

außerhalb vom Spielfeld <strong>im</strong> Lauf <strong>de</strong>s Markierers befin<strong>de</strong>n muß. Löst sich versehentlich<br />

ein Ball, zerplatzt dieser <strong>und</strong> kann <strong>de</strong>n Lauf nicht verlassen. Somit eine<br />

<strong>de</strong>r wichtigsten Vorschriften, um Zuschauer <strong>und</strong> Unbeteiligte am Spiel nicht zu<br />

gefähr<strong>de</strong>n.“<br />

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Paintballspieler in ihrem Verhalten stark reglementiert<br />

sind. Nicht das Chaos regiert, son<strong>de</strong>rn die ‘Ordnung <strong>de</strong>r Dinge’.<br />

Nun stellt sich die Frage, was die Faszination an Paintball ausmacht? Hier treffen <strong>im</strong> wesent-<br />

lichen drei verschie<strong>de</strong>ne Motivstrukturen zusammen: Paintball vermittelt 1) außeralltägliche<br />

Erfahrungen, Nervenkitzel <strong>und</strong> Thrill, 2) Selbstbestätigung <strong>im</strong> Wettbewerb <strong>und</strong> 3) Wir-Gefühl<br />

<strong>und</strong> Teamgeist.<br />

1) Nervenkitzel: Die Suche nach Spannung, Nervenkitzel <strong>und</strong> Thrill sind zentrale Motive <strong>de</strong>s<br />

Paintball-Spielers. Das Ausmaß <strong>de</strong>r Entspannung korreliert mit <strong>de</strong>r vorhergehen<strong>de</strong>n An-<br />

spannung, <strong>de</strong>r sich die Spieler ausgesetzt sehen. Künstlich herbeigeführte Angst, gefahrlo-<br />

ses Spiel mit <strong>de</strong>r gespielten Gefahr, die als real empf<strong>und</strong>en wird. Authentizität verleiht <strong>de</strong>r<br />

einem gigantischen theatralen Spektakel gleichen<strong>de</strong> Rahmen, <strong>de</strong>r es erlaubt, für einen fest-<br />

gelegten Zeitraum in eine Rolle zu schlüpfen, die außeralltägliche (Körper-)Erfahrungen<br />

ermöglicht: Das Outdoor-Spielfeld als Ort, die Kleidung <strong>und</strong> diverse Utensilien spielen<br />

hierbei eine wichtige Rolle. Sie sind die Vehikel, die Authentizität transportieren. Auch<br />

wenn sich die damit verb<strong>und</strong>enen Emotionen für die Paintballer nur sehr schwer in Worte<br />

fassen lassen, versuchen sie zu beschreiben, wie es ihnen ergeht:<br />

A: Ich hab’ manchmal das Gefühl, meine eigene Angst zu riechen. Sicher weiß<br />

ich, dass mir nichts passieren kann. Es sind ja nur Farbkugeln. Aber auf <strong>de</strong>m<br />

Spielfeld verwischen Wirklichkeit <strong>und</strong> Spiel. Du merkst eigentlich nicht mehr,<br />

dass du nur vom Spielfeld runter musst, <strong>und</strong> schon bist du wie<strong>de</strong>r in einer an<strong>de</strong>ren<br />

Welt. Du glaubst, es ist echt <strong>und</strong> hast Angst. Angst getroffen zu wer<strong>de</strong>n, zu langsam<br />

zu sein, nicht schnell genug zu rennen, die Fahne zu verlieren. Du rennst, wie<br />

um <strong>de</strong>in Leben. Das Herz schlägt dir bis in <strong>de</strong>n Hals <strong>und</strong> du pinkelst fast in die<br />

Hose, so aufregend ist das. (...) Und hinterher bist du unhe<strong>im</strong>lich entspannt. Dein<br />

Körper, aber auch <strong>im</strong> Kopf ganz klar.<br />

A1: Es ist <strong>de</strong>r absolute Adrenalinkick. Manchmal siehst du <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren gar nicht.<br />

Die Fahne liegt vor dir, du liegst <strong>im</strong> Wald, <strong>und</strong> jetzt freie Fläche. Die Fahne vor<br />

dir, ist jetzt noch einer da, ist keiner da? Und dann, wenn du losrennst, dieser<br />

Adrenalinpush ist unbeschreiblich. (...) Werd ich erwischt, schaff ich’s bis zur<br />

Fahne, komm ich wie<strong>de</strong>r zurück, wo sind die an<strong>de</strong>ren? Und eben dieses ganze<br />

Drumherum, das ist eben das, was einem da <strong>de</strong>n sogenannten Kick gibt.<br />

241


A2: Du blickst um dich herum, ich schau mir alles an, ich lausch auch, ist was zu<br />

hören <strong>von</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Dann geh ich weiter vor, <strong>im</strong>mer das Ziel, die Fahne zu holen.<br />

Das Ganze spielt zusammen <strong>und</strong> auch die ganze Konzentration, die dazu nötig<br />

ist. Und dann, wenn ich es geschafft hab, die Erleichterung: Mensch, ich hab’s<br />

geschafft.<br />

Folgt man diesen Auführungen, sehen sich die Paintballspieler mehr als ‘Endorphin-Junkees’<br />

<strong>de</strong>nn als verstörte Militaristen (wie in <strong>de</strong>r Presse häufig dargestellt <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />

angeommen), die Farbwaffen (Markierer) gegen schwere MGs tauschten, sobald sich die Ge-<br />

legenheit dazu böte.<br />

2) Wettbewerb: Wie in vielen Sportarten auch, geht es <strong>im</strong> Paintball darum, <strong>de</strong>r Beste zu sein,<br />

körperlich <strong>und</strong> mental, <strong>und</strong> das Team damit zum Sieg zu führen:<br />

A: Das ist doch auch ein Gefühl <strong>de</strong>s Triumphes, dass er ihn besiegt hat. Das ist<br />

wie be<strong>im</strong> Fechten o<strong>de</strong>r be<strong>im</strong> Boxen auch.<br />

A: Es geht doch auch darum, sich vom Kopf her zu messen. Das ist doch auch<br />

Überlegung, Strategie. Be<strong>im</strong> Paintball braucht man nicht unbedingt einen absolut<br />

durchtrainierten Körper, son<strong>de</strong>rn es kommt auf das Denkvermögen an. Es gewinnt<br />

<strong>de</strong>r bessere Stratege, <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Überblick am besten behält. Das ist auch wie ein<br />

geistiges Kräftemessen.<br />

Hier wird thematisiert, was ob <strong>de</strong>s gewaltaffinen Charakters häufig übersehen wird: die Aktu-<br />

alisierung <strong>de</strong>r eigenen strategischen <strong>und</strong> damit geistig-intellektuellen Fähigkeiten. Das Spiel<br />

gewinnt, wer sich die Fahne erkämpft, <strong>und</strong> nicht, wer die meisten Treffer erzielt. Den Weg<br />

zur Fahne kann man theoretisch auch beschreiten, ohne <strong>de</strong>n Gegner ‘auszuschalten’, sofern<br />

man sich so geschickt verhält, dass man selbst nicht getroffen wird.<br />

3) Wir-Gefühl <strong>und</strong> Teamgeist: Wichtiges Motiv für die Teilnahme am Paintballspiel ist ein<br />

soziales Moment, dass nämlich Erfahrungen <strong>de</strong>s Zusammenhalts, <strong>de</strong>s ‘Füreinan<strong>de</strong>r-da-<br />

Seins’ gemacht wer<strong>de</strong>n können:<br />

A: Das ist auch das, was auch diesen Mannschaftscharakter ausmacht. Wenn dann<br />

irgendwelche dauernd irgendwelche Einzelaktionen machen, dass einer da<strong>von</strong>rennt<br />

<strong>und</strong> irgendwie wild in <strong>de</strong>r Gegend [auf <strong>de</strong>m Spielfeld: L.S.] rumballert o<strong>de</strong>r<br />

so was, das hat dann einfach keinen Wert. Da muss die Mannschaft einfach miteinan<strong>de</strong>r<br />

harmonieren.<br />

A: Im Mittelpunkt steht <strong>im</strong>mer das Team. Ich darf auf <strong>de</strong>m Spielfeld nicht nur an<br />

mich <strong>de</strong>nken, son<strong>de</strong>rn an die Mannschaft, gemeinsam zu gewinnen. Wenn ich<br />

mich dafür opfern muss <strong>und</strong> markiert wer<strong>de</strong>, damit die an<strong>de</strong>ren frei sind, die Fahne<br />

zu erobern, dann ist das o.k. Ich will mich ja auch blind auf die an<strong>de</strong>ren verlas-<br />

242


sen können, wissen, dass sie da sind, wenn ich sie brauche. (Postskript/Gesprächsprotokoll)<br />

Xtreme (05/99, S. 11) bringt es aus <strong>de</strong>r Szeneperspektive noch einmal auf <strong>de</strong>n Punkt:<br />

„Worin liegt <strong>de</strong>r Reiz? Paintball ist eine ungewöhnliche Mischung zwischen<br />

Einzel- <strong>und</strong> Mannschaftssport. Spieler müssen taktisch vorgehen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r<br />

ganzen Mannschaft han<strong>de</strong>ln. Unter Zeitdruck bringt diese Anfor<strong>de</strong>rung an Körper<br />

<strong>und</strong> Geist <strong>de</strong>n absoluten Kick.“<br />

Gemeinschaftserfahrungen wer<strong>de</strong>n be<strong>im</strong> Paintballspiel allerdings nicht nur auf <strong>de</strong>m Spielfeld<br />

selbst vermittelt; <strong>de</strong>r gesamte Rahmen transportiert soziale Nähe <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftliche Ver-<br />

b<strong>und</strong>enheit:<br />

A: Ich hab früher Fußball gespielt. Wenn da die Hackerei angefangen hat, war <strong>de</strong>r<br />

Streit da. Da ist es selten, dass man nach <strong>de</strong>m Spiel zu <strong>de</strong>m Team geht <strong>und</strong> mit<br />

<strong>de</strong>nen noch re<strong>de</strong>t. Be<strong>im</strong> Paintball ist es ‘ne ganz an<strong>de</strong>re Atmosphäre. Man geht<br />

vor’m Spiel <strong>und</strong> nach’m Spiel hin <strong>und</strong> setzt sich noch zusammen. Wir haben auch<br />

schon Sachen gehabt, dass zum Beispiel bei uns jetzt ein Markierer ausgefallen ist<br />

<strong>und</strong> wir keinen Ersatzmarkierer hatten. Da sind die vom an<strong>de</strong>rn Team hergekommen,<br />

obwohl wir gegen die gespielt haben, <strong>und</strong> haben uns ‘nen Markierer gegeben.<br />

So was festigt, auch gera<strong>de</strong> dadurch, dass wir ja alle en bisschen abgedrängt<br />

wer<strong>de</strong>n (...) Und abends nach ‘nem Turnier ist ja meistens auch die Player-Party.<br />

Da sitzen alle Mannschaften, die teilgenommen haben, zusammen, machen noch<br />

ein Festchen, <strong>und</strong> das ist ne w<strong>und</strong>erbare feine Sache. Und das ist eben auch ne Art<br />

<strong>von</strong> Gemeinschaft, die man sonst nicht viel o<strong>de</strong>r nicht oft erlebt in dieser Form.<br />

(...) Wir haben auch mal gegen <strong>de</strong>n Europameister gespielt <strong>und</strong> ich hab <strong>de</strong>n<br />

Teamcaptain <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen erwischt. Hinterher haben die <strong>de</strong>n gesucht, <strong>de</strong>r ihren<br />

Team-Captain markiert hat <strong>und</strong> wollten <strong>de</strong>m quasi noch gratulieren. Die haben<br />

dann noch ein T-Shirt mit ihren Unterschriften dagelassen. Und so geht das eben<br />

ab.<br />

So lautet dann auch das Motto in <strong>de</strong>r Szene: ‘We are one family’. Man versteht sich, was mit<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Gesten bezeugt wird. Nicht zuletzt ‘sitzt man in einem Boot”, beson<strong>de</strong>rs ge-<br />

genüber <strong>de</strong>n ‘Diffamierungen’ <strong>von</strong> außen.<br />

Den fre<strong>und</strong>lich-sozialen Umgang miteinan<strong>de</strong>r habe ich selbst erfahren. Als ich als Spielerin<br />

bei <strong>de</strong>r Bielefeld Open teilnahm, war mein Markierer <strong>de</strong>fekt. Ein frem<strong>de</strong>s Team (das zu die-<br />

sem Zeitpunkt die Teilnahme resp. Beobachtung durch eine Forscherin noch nicht realisiert<br />

hatte) war sofort bereit, mit einem an<strong>de</strong>ren Markierer auszuhelfen. Nach Veranstaltungsen<strong>de</strong><br />

wur<strong>de</strong>, wie <strong>im</strong> Interview beschrieben, bei bester St<strong>im</strong>mung gemeinsam gegessen <strong>und</strong> getrun-<br />

ken, wur<strong>de</strong>n die Sieger gefeiert, die fairsten Spieler geehrt.<br />

243


Diese differenzierte Betrachtung <strong>de</strong>r Motivstrukturen kann allerdings nur analytischer Natur<br />

sein. Denn auf <strong>de</strong>m Spielfeld, in <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>s Paintballspiels, amalgamieren Nervenkitzel<br />

<strong>und</strong> Thrill, Wettbewerb <strong>und</strong> Teamgeist in <strong>de</strong>r Handlung, ja sie bedingen sich gleichsam.<br />

Darüber hinaus spielt bei Männern die Inszenierung <strong>de</strong>r eigenen Männlichkeit <strong>und</strong> Coolness<br />

eine Rolle - fernab <strong>von</strong> ‘Weibergewäsch’ <strong>und</strong> feministischen Zwängen, <strong>de</strong>nen sie glauben,<br />

sich <strong>im</strong> Alltag unterwerfen zu müssen. Mit Sicherheit dient das Paintballspiel auch <strong>de</strong>m gere-<br />

gelten <strong>und</strong> kontrollierten Abbau <strong>von</strong> Aggressionen, <strong>de</strong>nen man <strong>im</strong> Alltag nicht nachgeben<br />

darf. Diese Motivstrukturen wur<strong>de</strong>n <strong>von</strong> <strong>de</strong>r hier zur Diskussion stehen<strong>de</strong>n Gruppe allerdings<br />

nicht explizit geäußert, treffen jedoch - wenn nicht auch auf diese – in je<strong>de</strong>m Fall auf an<strong>de</strong>re<br />

<strong>von</strong> mir befragte Paintballspieler zu. Schließlich spielt auch das Bedürfnis nach Distinktion<br />

eine Rolle. ‘An<strong>de</strong>rs zu sein als die an<strong>de</strong>ren’, einem exotischen Hobby nachzugehen, das nicht<br />

je<strong>de</strong>r betreibt <strong>und</strong> sich auch nicht je<strong>de</strong>r leisten kann.<br />

Zusammenleben <strong>und</strong> Struktur<br />

Die Best<strong>im</strong>mungen zur Mitgliedschaft <strong>im</strong> Verein sind <strong>im</strong> Wesentlichen in <strong>de</strong>r Satzung <strong>de</strong>fi-<br />

niert. Wie bereits erwähnt, ist hier - quasi <strong>de</strong> jure - festgelegt, dass Personen best<strong>im</strong>mter poli-<br />

tischer Couleur die Mitgliedschaft verweigert wird. Ebenso muss <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r Mitglied wer-<br />

<strong>de</strong>n will, zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Eintritts 18 Jahre alt sein. Das Alter <strong>und</strong> die politische Gesinnung<br />

<strong>de</strong>r Vereinsmitglie<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n geprüft <strong>und</strong> die Mitgliedschaft <strong>im</strong> Verein erfolgt erst nach be-<br />

stan<strong>de</strong>ner Probezeit. Ehe man Vereinsmitglied wer<strong>de</strong>n darf, muss man gleichsam einen Initia-<br />

tionsritus hinter sich bringen, an mehreren Turnieren teilgenommen, Integrität <strong>und</strong> ‘Correct-<br />

ness’ bewiesen haben. Der kritische Leser wür<strong>de</strong> zu Recht an dieser Stelle anmerken, dass es<br />

zwar ohne Weiteres möglich ist, anhand <strong>de</strong>s Personalausweises das Alter zu überprüfen, dass<br />

die politische Gesinnung jedoch nich einfach als Datum ‚objektiv’ abgerufen wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Dem ist zuzust<strong>im</strong>men <strong>und</strong> darauf hinzuweisen, dass hier <strong>im</strong> Stadium <strong>de</strong>s frühen Kontaktes<br />

eine gewisse Unsicherheit besteht, die sich <strong>im</strong> Verlauf einer längeren Beziehung jedoch auf-<br />

zulösen vermag.<br />

Zum ‚richtigen Verhalten’ gehört es auch, sich auch <strong>im</strong> ‘Eifer <strong>de</strong>s Gefechtes’ <strong>de</strong>r Sicherheits-<br />

best<strong>im</strong>mungen bewusst zu sein <strong>und</strong> sich entsprechend zu verhalten:<br />

A: Wir prüfen das auch eingehend. Es ist nicht so, dass einer sagt: ‘Hallo, ich will<br />

Paintball spielen’ <strong>und</strong> wir sagen: ‘Oh toll. Du kannst gleich mit’. Wir nehmen die<br />

Leute mit, fünf Spieltage, <strong>und</strong> schauen erst mal, wie die sich verhalten <strong>und</strong> so.<br />

Und dann klar, wir sind auch privat öfters zusammen, bei uns ist es ja mehr ein<br />

Fre<strong>und</strong>eskreis. Und wenn <strong>von</strong> außen einer reinkommt, wird erst mal eingehend<br />

geprüft. Sollte sich dann später herausstellen, dass er irgendwo in ‘nem rechten<br />

244


Feld tätig ist, fliegt <strong>de</strong>r sofort raus. Weil, das sind halt diese Leute, die machen<br />

unser Spiel kaputt.<br />

Wie in je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Verein auch, gibt es unterschiedliche Funktionen <strong>und</strong> Ämter, die <strong>von</strong><br />

verschie<strong>de</strong>nen Mitglie<strong>de</strong>rn ausgeübt wer<strong>de</strong>n. Vorstand, Kassenwart, Schriftführer etc. Ein<br />

wichtiges Amt ist das <strong>de</strong>s Pressesprechers: Er leistet Aufklärungsarbeit, schreibt Artikel für<br />

die (Lokal)Presse, gibt Radio- <strong>und</strong> ggf. auch Fernsehinterviews für Lokalsen<strong>de</strong>r. Zur Klärung<br />

<strong>und</strong> Verabschiedung wichtiger Entscheidungen fin<strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rversammlungen statt, <strong>im</strong><br />

Rahmen <strong>de</strong>rer <strong>de</strong>mokratisch abgest<strong>im</strong>mt wird.<br />

Unterschiedliche ‘Ämter’ <strong>und</strong> Funktionen gibt es auch innerhalb <strong>de</strong>r aktuellen Turnier- resp.<br />

Spielteams: Der Teamcaptain ist für die strategische Organisation <strong>und</strong> Aufgabenverteilung<br />

zuständig. Er teilt die Mannschaft sozusagen ein <strong>und</strong> hat das Sagen auf <strong>de</strong>m Spielfeld. Der<br />

Teamcaptain entschei<strong>de</strong>t vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r jeweiligen individuellen Spielerkompeten-<br />

zen wie Lauffähigkeit/Schnelligkeit, Treffsicherheit o<strong>de</strong>r strategischem Geschick <strong>und</strong> Spieler-<br />

fahrung über die grunsätzliche Teilnahme eines Spielers <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r über seine Funktion <strong>im</strong><br />

Geschehen. Ihm zur Seite steht <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong> Teamcaptain, <strong>de</strong>r ihn mit Rat <strong>und</strong> Tat un-<br />

terstützt.<br />

Die Besetzung <strong>de</strong>r formellen Ämter <strong>und</strong> Spielpositionen wie<strong>de</strong>rum ist abhängig <strong>von</strong> informel-<br />

len Hierarchien, die vor allem über spielerische Fähigkeiten <strong>de</strong>finiert sind. Aber auch soziale<br />

Kompetenz, das Engagement innerhalb <strong>de</strong>r Szene, für <strong>de</strong>n Verein, best<strong>im</strong>men das Ansehen<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Gruppe <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>s Einzelnen bei wichtigen Entscheidungen.<br />

Fre<strong>und</strong>schaft ist bei fast allen Befragten ein zentraler Wert. Dazu gehört das Gefühl, sich auf<br />

jeman<strong>de</strong>n verlassen zu können, jeman<strong>de</strong>m zu vertrauen <strong>und</strong> das Gefühl <strong>von</strong> Gemeinschaft<br />

<strong>und</strong> Zugehörigkeit.<br />

2.3 Wahrgenommene Gruppenperipherie<br />

Perzipierte Frem<strong>de</strong>inschätzung <strong>und</strong> eigene Bewertung<br />

Wie für die Paintball-Szene insgesamt bereits festgehalten wur<strong>de</strong>, hat die Öffentlichkeit, ha-<br />

ben Medien, Polizei <strong>und</strong> Vertreter öffentlicher Einrichtungen – wie bereits eingangs erwähnt -<br />

oft große Vorbehalte gegenüber Paintballspielern. Da<strong>von</strong> zeugen die folgen<strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>r<br />

Paintballspieler selbst:<br />

245


A1: Meine Mutter hat mal <strong>im</strong> Fernsehen so nen Bericht gesehen <strong>und</strong> dann kam sie<br />

hinterher zu mir: ‘Oh Gott, das sind ja Nazis <strong>und</strong> Du machst das doch auch’.<br />

A: Ich bin bei einer [nennt öffentlichen Arbeitgeber] angestellt. Wenn die wüsste,<br />

dass ich in meiner Freizeit Paintball spiele, könnte ich gehen. Ich habe das irgendwann<br />

mal ange<strong>de</strong>utet <strong>und</strong> mir kam das pure Entsetzen entgegen. (Beobachtungs-<br />

<strong>und</strong> Gesprächsprotokoll)<br />

A: Meine Fre<strong>und</strong>e <strong>de</strong>nken, dass ich Bürgerkrieg spiele. Da hab ich ihnen gesagt,<br />

dass sie dummes Zeug erzählen, <strong>und</strong> da haben sie dumm geguckt.<br />

Birgit Ebbert <strong>von</strong> <strong>de</strong>r ‘Aktion Jugendschutz’ kommentiert das Paintballspiel <strong>de</strong>r Little Devils<br />

so:<br />

„Es han<strong>de</strong>lt sich um ein Kriegsspiel mit <strong>de</strong>m echten Vorbild nachempf<strong>und</strong>enen<br />

Waffen. (...) Aggressionen wer<strong>de</strong>n nicht abgebaut, vielmehr ist oft das Gegenteil<br />

<strong>de</strong>r Fall, wenn nämlich <strong>de</strong>r sich als ‘King’ fühlen<strong>de</strong> getroffen wird, <strong>und</strong> ausschei<strong>de</strong>n<br />

muß“ (zitiert nach einem Interview <strong>im</strong> ‘Schwäbischen Tagblatt’ vom<br />

28.06.1997).<br />

Wie bereits erwähnt, ist es nicht ohne Weiteres möglich, neue Spielfel<strong>de</strong>r anzumieten bzw.<br />

Gr<strong>und</strong>stücke zu pachten, um darauf Paintball zu spielen. Deshalb vermuten die Paintballer<br />

hinter <strong>de</strong>njenigen, die ein Gr<strong>und</strong>stück bereitwillig zur Verfügung stellen, rechtsextremistische<br />

Orientierungen:<br />

A: Mit <strong>de</strong>r Jugend kann man meistens drüber re<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>n älteren Leuten wirds<br />

halt schwieriger, grad auch hier <strong>im</strong> schwäbischen Raum, weil die Leute halt meistens<br />

Dickschä<strong>de</strong>l sind. Und das ist auch das Problem bei <strong>de</strong>r Gelän<strong>de</strong>suche. Viele<br />

lassen große Gr<strong>und</strong>stücke einfach so verwil<strong>de</strong>rn. Wenn man dann hingeht <strong>und</strong><br />

fragt, ob mans pachten kann, sagen se: ‘Kein Problem’. Sobald man <strong>de</strong>nen aber<br />

dann erklärt, was man da drauf machen will, heißt es: ‘Oh, Ihr spielt Krieg <strong>und</strong> ihr<br />

seid Nazis’ <strong>und</strong> solche Sachen. Das sind halt die Argumente, die man meistens an<br />

<strong>de</strong>n Kopf geschmissen kriegt. Und diejenigen, die dann nix sagen o<strong>de</strong>r uns akzeptieren<br />

<strong>und</strong> ihre Gr<strong>und</strong>stücke zur Verfügung stellen wür<strong>de</strong>n, die sind uns nicht geheuer,<br />

weil es Altnazis sind.<br />

Öffentliche Waldstücke o<strong>de</strong>r ‘Sportstätten’ wer<strong>de</strong>n auch <strong>von</strong> <strong>de</strong>n zuständigen Behör<strong>de</strong>n für<br />

Paintballturniere nicht freigegeben:<br />

A: Also ich hab’ nen Haufen Schriftzeug da. Ich hab versucht, hier ein Öffentlichkeitsturnier<br />

zu machen, die Stadt angeschrieben <strong>und</strong> gefragt, wie es aussieht,<br />

ob wir ne Halle haben könnten. Da sind se dann mit irgenwelchen DIN-Normen<br />

gekommen, wo Paintball nicht drin ist.<br />

246


Die Reaktionen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Begründung für die Ablehnung sind <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n<br />

nocheinmal dokumentiert:<br />

„Mit Interesse haben wir die Ihrem Antrag vom 17.10.1994 beigelegten Informationen<br />

gelesen. Nach Ihrer Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Paintballspiels dürfte es sich hierbei<br />

vermutlich nicht um eine Spiel- o<strong>de</strong>r Sportart han<strong>de</strong>ln, die <strong>im</strong> Württembergischen<br />

Lan<strong>de</strong>ssportb<strong>und</strong> organisiert ist.<br />

Unsere städtischen Turn- <strong>und</strong> Sporthallen sind baulich so gestaltet, dass sie vorrangig<br />

<strong>de</strong>n Belangen <strong>de</strong>s Schulsports gerecht wer<strong>de</strong>n. Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n diese<br />

Sporträume auch Reutlinger Vereinen für Sportarten zur Verfügung gestellt,<br />

die in <strong>de</strong>r DIN 18032 Teil 1 als Hallensportarten aufgeführt sind. Dies trifft für<br />

das Paintballspiel lei<strong>de</strong>r ebensowenig zu, wie z.B. für die Sportarten Baseball,<br />

Radsport, Rollsport u.a.<br />

Auch die Mitbenutzung einer städtischen Sport-Freianlage können wir Ihnen lei<strong>de</strong>r<br />

nicht anbieten. Die städt. Sportplätze sind seit vielen Jahren so stark ausgelastet,<br />

dass wir keine weiteren Sportgruppen mehr berücksichtigen können.<br />

Wir bitten um Verständnis für diesen ablehnen<strong>de</strong>n Bescheid.“ (Auszug aus einen<br />

Schreiben <strong>de</strong>s Schul-, Kultur- <strong>und</strong> Sportamtes <strong>de</strong>r Stadt Reutlingen vom<br />

24.10.1994)<br />

In einem weiteren Schreiben heißt es:<br />

„Die Vergabe <strong>de</strong>r Turn- <strong>und</strong> Sporthallen erfolgt nach bestehen<strong>de</strong>n Richtlinien <strong>und</strong><br />

Normen. (...) ‘Paintball’ ist in dieser DIN nicht erwähnt.<br />

Darüber hinaus ist die Beschaffenheit <strong>de</strong>r Sporthallen nicht für eine Verunreinigung<br />

durch Farbstoffe ausgelegt.<br />

Auch <strong>de</strong>r Rechtsreferent <strong>de</strong>s Württembergischen Lan<strong>de</strong>ssportb<strong>und</strong>s hält es auch<br />

langfristig gesehen für völlig ausgeschlossen, dass ‘Paintball’ als Sportart anerkannt<br />

wird.<br />

Wir sehen <strong>de</strong>shalb keine Möglichkeit, Ihrer Bitte auf Überlassung einer Sporthalle<br />

für ein Paintballturnier entsprechen zu können. Bitte haben Sie dafür Verständnis.“<br />

(Auszug aus einem Schreiben <strong>de</strong>r SBG-Sportstätten-Betriebsgesellschaft<br />

Reutlingen mbH vom 29.11.1994)<br />

Insgesamt agieren die Paintballer unter einem extremen Normalitätsdruck, <strong>de</strong>r potenziell ein<br />

Bias <strong>de</strong>r Aussagen erzeugen kann. Dies aber eher dahingehend, dass einzelne problematische<br />

Vorkommnisse verharmlost resp. verschwiegen wer<strong>de</strong>n. Nicht anzunehmen ist jedoch, dass<br />

hierdurch <strong>de</strong>r Charakter <strong>de</strong>s Paintballspiels - wie vorliegend beschrieben - gr<strong>und</strong>sätzlich in<br />

Frage zu stellen ist hinsichtlich Motivation, Reglementierung etc.<br />

247


Außenbeziehungen<br />

Die Devils sind familiär eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die meisten haben noch weitere Hobbys. So ist ein<br />

Mitglied (wie bereits gezeigt) seit vielen Jahren <strong>de</strong>n Pfadfin<strong>de</strong>rn verb<strong>und</strong>en, ein an<strong>de</strong>res fühlt<br />

sich zur Techno-Szene hingezogen, ein weiteres interessiert sich für Computerspiele. Insge-<br />

samt ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass sie gesellschaftlich weitestgehend integriert sind <strong>und</strong> Isolati-<br />

on eher untypisch ist. Im Gegenteil: Auch mit ihrem Hobby gehen die Little Devils nach au-<br />

ßen, in <strong>de</strong>m sie nämlich für ihre Sache öffentlich werben <strong>und</strong> streiten.<br />

Wohlwissend um die Reaktanz, die Paintball in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit auslöst, haben die Akteure<br />

- wie wir gezeigt haben - Strategien entwickelt, sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Stigma <strong>de</strong>s kriegsverherrlichen-<br />

<strong>de</strong>n Aggressors zu befreien. Sie verpflichten sich auf Fairness, Sicherheit <strong>und</strong> Distanzierung<br />

zu radikalen politischen Gruppierungen. Diese Selbstverpflichtung über verschie<strong>de</strong>ne ‘PR-<br />

Aktivitäten’ an die Öffentlichkeit zu transportieren, gehört zu jenen selbstreflexiven Hand-<br />

lungsmustern, die für <strong>de</strong>n Verein <strong>und</strong> die organisierte Paintball-Szene typisch sind. Die PSG<br />

Reutlingen hat eine Vielzahl verschie<strong>de</strong>ner Aktivitäten aufzuweisen. Dazu gehören das Ver-<br />

fassen <strong>von</strong> Artikeln für Szene-Zeitschriften aber auch an<strong>de</strong>re Printmedien, Zeitungsinterviews<br />

o<strong>de</strong>r die Organisation <strong>von</strong> Informationsveranstaltungen über Paintball.<br />

Nach<strong>de</strong>m die Stadt Reutlingen keine Halle <strong>und</strong> auch keinen Ort für ein Paintballturnier zur<br />

Verfügung gestellt hat, entschloss man sich kurzerhand, eine sogenannte ‘Wan<strong>de</strong>rdisco’ na-<br />

mens ‘Charly 2000’ zu buchen. Nach <strong>de</strong>m Motto: ‘Kannst Du <strong>de</strong>n Feind nicht besiegen, dann<br />

mach’ ihn Dir zum Fre<strong>und</strong>’ wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m geplanten Turnier eine Tanzveranstaltung, die <strong>de</strong>n<br />

Rahmen für einen Informationsstand bot. Die Disco-Nacht mit ‘Charly 2000’ durfte dann in<br />

<strong>de</strong>r ‘Julius-Kemmler-Halle’ mit Unterstützung <strong>de</strong>r Stadt Reutlingen stattfin<strong>de</strong>n:<br />

„Da die Veranstaltung sehr kurzfristig geplant wur<strong>de</strong>, war es dann um so überraschen<strong>de</strong>r,<br />

als fast 1000 Jugendliche erschienen. Und Charly 2000 schaffte es <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>de</strong>r, die Menge zum Toben zu bringen. Auch die Paintball-<br />

Spielergemeinschaft hatte mit ihrem Infostand großen Erfolg <strong>und</strong> konnte sich großer<br />

Beliebtheit erfreuen. Im großen <strong>und</strong> ganzen ein riesen Erfolg für <strong>de</strong>n Verein,<br />

<strong>de</strong>r sich <strong>und</strong> seinen Sport vorstellte <strong>und</strong> für die Jugendlichen, die bis um 1.00 Uhr<br />

tanzen konnten, bis die Fetzen flogen“ (zit. nach ‘Betzinger Blättle, 02.10.1995)<br />

Auf diese Weise konnte <strong>de</strong>r Verein neue Mitglie<strong>de</strong>r gewinnen. Eine zweite Disco wur<strong>de</strong> kurz<br />

darauf organisiert. Auch diese war erfolgreich <strong>und</strong> schien hinsichtlich <strong>de</strong>r Imagearbeit <strong>im</strong> ge-<br />

fruchtet zu haben. Denn, so die Devils, das Echo in <strong>de</strong>r Tagespresse sei daraufhin recht posi-<br />

tiv gewesen.<br />

248


Devianz<br />

Wür<strong>de</strong> man man sich <strong>de</strong>n Blick <strong>de</strong>r Medien o<strong>de</strong>r öffentlicher Institutionen zu Eigen machen,<br />

so wäre zu vermuten, dass die ‘Konten’ <strong>de</strong>r Paintballer insbeson<strong>de</strong>re aufgr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Körperver-<br />

letzungen o<strong>de</strong>r Verstößen gegen die beson<strong>de</strong>ren Strafvorschriften gegen <strong>de</strong>n Rechtsextremis-<br />

mus 122 belastet wären <strong>und</strong> ganze Strafregister damit gefüllt wer<strong>de</strong>n könnten. Dies ist unzutref-<br />

fend: Keiner <strong>de</strong>r Spieler ist nach eigenen Aussagen bisher mit <strong>de</strong>m Gesetz in Konflikt gera-<br />

ten. Devianz <strong>im</strong> Sinne strafrechtlich relevanter Delikte spielt bei dieser Gruppe keine Rolle.<br />

2.4 Intergruppenbeziehungen<br />

Allianz <strong>und</strong> Ambivalenz<br />

Den bisherigen Ausführungen <strong>de</strong>r Paintballer folgend gilt in <strong>de</strong>r Konsequenz festzuhalten,<br />

dass für sie kein wirkliches Feindbild <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n kann. Gegner gibt es nur auf begrenzte<br />

Zeit <strong>und</strong> in einem begrenzten Relevanzrahmen; so, wie bei an<strong>de</strong>ren Sportarten auch:<br />

A: Man sagt zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Mannschaften zwar Gegner, aber das sagt man in je<strong>de</strong>r<br />

Sportart. Nachher begegnet man sich, man schwätzt, wechselt noch ein paar<br />

nette Worte, man macht Witze übereinan<strong>de</strong>r.<br />

Sobald das Spielfeld verlassen wird, ein Turnier zu En<strong>de</strong> ist, kehren die Beteiligten in ihre<br />

Alltagsrollen zurück, wer<strong>de</strong>n Tische ge<strong>de</strong>ckt, selbstgebackene Kuchen serviert. Die Siegereh-<br />

rung <strong>und</strong> die Verleihung <strong>de</strong>r Pokale können beginnen. Ein fast schon familiärer Kaffeeklatsch<br />

been<strong>de</strong>t einen erlebnisreichen Turniertag.<br />

Wie die Hooligans (vgl. Kap. III. 3) <strong>de</strong>finieren sie <strong>de</strong>n ‘sportlichen Gegner’ nicht als Feind,<br />

son<strong>de</strong>rn als ‘Erlebnisfre<strong>und</strong>’ <strong>und</strong> betonen <strong>de</strong>n kollegialen <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftlichen Charakter.<br />

Über spezifische Allianzen o<strong>de</strong>r ambivalente Haltungen wur<strong>de</strong> nicht gesprochen. Dies wi<strong>de</strong>r-<br />

spräche auch <strong>de</strong>m bereits zitierten Motto ‘We are one family’. Lediglich wie <strong>im</strong> Alltag aller<br />

Menschen gäbe es beson<strong>de</strong>re Sympathien <strong>und</strong> Antipathien. Letztere haben dann häufig mit<br />

<strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>s Engagements innerhalb <strong>de</strong>r Szene zu tun. Es reicht nicht, ein guter Sportler zu<br />

sein. Wer nur zum Spiel erscheint, sich sonst aber wenig für das Funktionieren <strong>de</strong>r Szene en-<br />

gagiert, ist bei <strong>de</strong>n Little Devils nicht gut gelitten.<br />

122 So z.B. Verstöße gegen <strong>de</strong>n Paragraphen 131 StGB, Gewaltdarstellung; Aufstachelung zum Rassenhass. Im<br />

Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> steht <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>r Gesellschaft vor sozialschädlicher Aggression <strong>und</strong> Hetze.<br />

249


Abgrenzung<br />

Deutliche Abgrenzungen formulieren die Gruppenmitglie<strong>de</strong>r allerdings gegenüber solchen<br />

Gruppierungen, die sich <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re durch ihr Verhalten, gleich welcher Art, in Gefahr brin-<br />

gen:<br />

A: Es gibt ja so Gestörte, die rasen mit zweih<strong>und</strong>ert über die Autobahn o<strong>de</strong>r<br />

schnallen sich aufs Dach drauf o<strong>de</strong>r stehen auf <strong>de</strong>r U-Bahn. Das find ich total beknackt.<br />

Da kann wirklich was passieren. (...) Das ist ja total beknackt, jetzt wirklich<br />

sein Leben zu riskieren. (...) Nicht zuletzt, weil die ja auch an<strong>de</strong>re gefähr<strong>de</strong>n<br />

können, wenn einer aggressiv Auto o<strong>de</strong>r Motorrad fährt. Da kann wirklich schon<br />

einer druff gehen. Dann ist’s aus, vorbei vielleicht.<br />

Ähnliches gilt - wie bereits mehrfach dargestellt - gegenüber Individuen mit vor allem rechter<br />

politischer Gesinnung. Dazu gehören sicher auch Personen aus <strong>de</strong>r ‘rechten Skinhead-Szene’,<br />

die glauben, militärische Übungen auf diese Weise durchführen zu können. Paintballer sol-<br />

cher Orientierung tauchten auf internationalen Turnieren schon einmal auf. Dies sei be<strong>de</strong>nk-<br />

lich, letztlich aber Sache <strong>de</strong>r Turnierleitung. Sie selbst, wie an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>utsche Teams auch - so<br />

die Devils - , wür<strong>de</strong>n ihnen als Leiter eines Turniers die Teilnahme verweigern <strong>und</strong> hätten<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Teilnahme eines rechtsorientierten Teams auch bereits ein Turnier verlassen.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re betonen sie noch einmal ihr Verhältnis zu <strong>de</strong>n in Japan <strong>und</strong> z.T. auch in <strong>de</strong>n<br />

USA praktizierten Paintball-Varianten:<br />

A1: Die Amis haben schon ein paar Irre dabei.<br />

A2: Aber noch bekloppter sind die Japaner. Die sind voll durchgeknallt. Wie die<br />

Paintball spielen, dafür hab ich kein Verständnis. Die s<strong>im</strong>ulieren alle möglichen<br />

Kriege, die es mal gegeben hat, spielen die nach. Die sind mir echt nicht geheuer.<br />

Das sind doch Psychopathen, aber keine Paintballer.<br />

Kein Verständnis zeigen die Little Devils auch für psychisch labile ‘Einzelkämpfer’, die ‚auf<br />

ungesichertem Gelän<strong>de</strong> planlos rumballern’, sich <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re gefähr<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m sie entspre-<br />

chen<strong>de</strong> Verhaltensmaßregeln missachten. Für diese ‘schwarzen Schafe’, die die Szene diskre-<br />

ditieren, haben die Paintballer nichts übrig <strong>und</strong> möchten auch nicht mit ihnen in Verbindung<br />

gebracht wer<strong>de</strong>n. Abgrenzung fin<strong>de</strong>t also nicht gegenüber an<strong>de</strong>ren Szenen, als vielmehr in-<br />

nerhalb <strong>de</strong>r eigenen Szene (intra-szenische Exklusion) statt. Distinktionen vollziehen sich hier<br />

sehr stark unter <strong>de</strong>m Normalitätsdruck. Gruppen, die das ohnehin negative Bild <strong>de</strong>r Paintbal-<br />

ler in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit durch rechtsextreme Parolen, militaristisches Auftreten etc. noch<br />

stärker verungl<strong>im</strong>pfen, wer<strong>de</strong>n ohne ‘Wenn <strong>und</strong> Aber’ abgelehnt. Sie bedrohen die eigene<br />

positive Selbst<strong>de</strong>finition als ‘Sportler’ in beson<strong>de</strong>rem Maße.<br />

250


2.5 Gruppenverlauf<br />

Die Gruppe hat sich zwischen 1996 <strong>und</strong> Anfang 2000 kaum verän<strong>de</strong>rt. Es hat zwar Zu- <strong>und</strong><br />

Abgänge gegeben, die mehr o<strong>de</strong>r weniger formellen Positionen sind jedoch noch <strong>im</strong>mer mit<br />

<strong>de</strong>nselben Personen besetzt.<br />

Die Little Devils haben sich noch besser in <strong>de</strong>r Szene etablieren können. Dies aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

spielerischen Fähigkeiten, vor allem aber wegen <strong>de</strong>s Engagements innerhalb <strong>de</strong>r Szene. Die<br />

Mitglie<strong>de</strong>r sind als Schiedsrichter auf Turnieren sehr gefragt, <strong>de</strong>r Teamchef hat lange Zeit<br />

Turnieranglisten betreut resp. herausgegeben. Auch sorgen die Little Devils für <strong>de</strong>n Nach-<br />

wuchs, die sogenannten ‘Rookies’. Es habe sich herumgesprochen, dass man ihnen gegenüber<br />

keinerlei Arroganz zeige. So ist <strong>de</strong>r Teamcaptain mittlerweile gleichzeitig auch Teamcaptain<br />

<strong>de</strong>r Nachwuchsspieler <strong>de</strong>r ‘Allstars’, <strong>de</strong>m erfolgreichsten Team in Deutschland.<br />

Die Gruppe verspürt aktuell eine leichte Normalisierungsten<strong>de</strong>nz. Der Druck <strong>von</strong> außen sei<br />

zwar <strong>im</strong>mer noch stark, habe aber <strong>im</strong> Vergleich zu vor ein o<strong>de</strong>r zwei Jahren abgenommen.<br />

Zwar plane die neue Regierung eine Verschärfung <strong>de</strong>r Gesetze, die Paintball problematisiere<br />

<strong>und</strong> zu weiteren Reglementierungen beitrage. Auf <strong>de</strong>r praktischen Ebene jedoch haben die<br />

Little Devils <strong>von</strong> einer Kreisstadt offiziell ein Spielfeld angeboten bekommen. Auf Turnieren<br />

lockern sich die krampfhaften Bemühungen <strong>de</strong>s Vermei<strong>de</strong>ns militärähnlicher Spielanzüge.<br />

Wohlwissend, dass es bisher zu keinem nennenswerten bzw. folgenschweren Zwischenfall<br />

gekommen ist <strong>und</strong> dass sich ‘Rechte’ in <strong>de</strong>r Szene bisher nicht etablieren konnten, traut man<br />

sich nun eher, funktional (Tarnung) sinnvolle ‘Armyhosen’ zu tragen, die bei Ravern <strong>und</strong><br />

Rappern ohnehin zulässig <strong>und</strong> üblich seien.<br />

Die Fähigkeit <strong>de</strong>s Thrillerlebens scheint nicht inflationär gewor<strong>de</strong>n zu sein. Die Gruppenmit-<br />

glie<strong>de</strong>r sehen keine Abnutzung o<strong>de</strong>r Gewöhnung <strong>im</strong> ‘Reizkonsum’, die stärkere o<strong>de</strong>r gar ‘rea-<br />

lere’ Erlebnisse abverlange. Allenfalls <strong>de</strong>r hohe Zeitaufwand, <strong>de</strong>n das Hobby erfor<strong>de</strong>re <strong>und</strong><br />

auch die hohen finanziellen Kosten wer<strong>de</strong>n gleichsam mit <strong>de</strong>n Jahren hinterfragt. Beruf, Zeit<br />

<strong>und</strong> Geld waren die Grün<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Ausstieg bei einigen Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn. Fre<strong>und</strong>schaft,<br />

Spaß, Erfolg <strong>und</strong> soziales Ansehen Motive für <strong>de</strong>n Einstieg bei <strong>de</strong>n Little Devils.<br />

251


3. Hooligans - Gewalt macht Spaß<br />

Besuch aus Deutschland ...<br />

„Als Markus Warnecke <strong>und</strong> 45 Gleichgesinnte (...) gegen Mitternacht am Busbahnhof<br />

Hannover <strong>de</strong>n Bussa-Nova-Reisebus bestiegen, hatte keiner <strong>von</strong> ihnen<br />

eine Eintrittskarte für das Spiel <strong>de</strong>r Nationalelf gegen Jugoslawien bei sich, dafür<br />

aber Massen <strong>von</strong> Bier <strong>und</strong> <strong>de</strong>n festen Willen, sich zu prügeln. ‘Wir sind Hooligans’,<br />

bekennt Jörg Draht, Organisator <strong>de</strong>r Fahrt, ‘einer gepflegten Schlägerei<br />

sind wir nicht abgeneigt’“ (Der Spiegel 1998, S. 74 – zu <strong>de</strong>n Ereignisse in Lens<br />

1998).<br />

Seit <strong>de</strong>m Brüsseler Heyseldrama 1985 evozieren gewaltbereite Fußballfans in <strong>de</strong>r breiten Öf-<br />

fentlichkeit Empörung <strong>und</strong> Bestürzung. Erneut wur<strong>de</strong> das Problem <strong>de</strong>r (Jugend)Gewalt in das<br />

Bewusstsein gerückt, als Hooligans aus Deutschland bei <strong>de</strong>r Fußballweltmeisterschaft in<br />

Frankreich bei Krawallen in <strong>de</strong>r nordfranzösischen Stadt Lens am 21. Juni 1998 <strong>de</strong>n Gendar-<br />

men Daniel Nivel so schwer verletzten, dass dieser wochenlang <strong>im</strong> Koma lag <strong>und</strong> bleiben<strong>de</strong><br />

Schä<strong>de</strong>n da<strong>von</strong> trug.<br />

Abb.: Tatfoto vom Juni 1998 in Lens: Ein Hooligan schlägt auf <strong>de</strong>n am Bo<strong>de</strong>n liegen<strong>de</strong>n<br />

Polizisten ein (Quelle: http://mainz-online.<strong>de</strong>)<br />

„Was <strong>im</strong> nordfranzösischen Lens (...) nach <strong>de</strong>m Spiel <strong>de</strong>r Deutschen gegen die<br />

Jugoslawen geschehen war, hatte ‘die Welt entsetzt’ (‘Bild’). Der Beinahe-<br />

Totschlag, <strong>von</strong> blindwütig prügeln<strong>de</strong>n Hooligans vollzogen an einem 43jährigen<br />

Polizisten, beherrschte tagelang die Medien, beschäftigte <strong>de</strong>n B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> wur<strong>de</strong><br />

zum politischen Zankapfel zwischen Deutschen <strong>und</strong> Franzosen. (...) Waren die<br />

französischen Sicherheitskräfte schlecht vorbereitet auf ein erwartbares, <strong>von</strong> Düsseldorfer<br />

LKA-Leuten angekündigtes Spektakel <strong>de</strong>r fliegen<strong>de</strong>n Fäuste? (...) Einig<br />

waren sich alle <strong>im</strong> empörten Aufschrei <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Verurteilung <strong>von</strong> Tat <strong>und</strong> Tätern.<br />

‘Gewaltverbrecher’ nannte sie Außenminister Klaus Kinkel <strong>und</strong> for<strong>de</strong>rte eine<br />

252


‘Hooligan-Datenbank’ (die es längst gibt). Von ‘kaum resozialisierbaren’ Tätern<br />

sprach Innenminister Manfred Kanther. Über ‘reisen<strong>de</strong> Gewalttäter’, die ‘<strong>de</strong>m<br />

Ansehen Deutschlands schwer gescha<strong>de</strong>t’ haben, klagte <strong>de</strong>r SPD-Agbeordnete<br />

Jürgen Meyer. DFB-Abgeor<strong>de</strong>nete waren <strong>de</strong>n Tränen nahe. Der Kanzler schämte<br />

sich stellvertretend für die ganze Nation“ (ebd. S. 73).<br />

Hooligans o<strong>de</strong>r Hools sind gewaltbereite Gruppen, die sich seit 1987 innerhalb <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Fußballszene ausbreiten <strong>und</strong> sich dabei an <strong>de</strong>n englischen Vorbil<strong>de</strong>rn orientieren. Sie sind<br />

Teil eines Randaletourismus, wie er <strong>im</strong> oben zitierten Spiegel-Artikel beschrieben wird: Ort<br />

<strong>und</strong> Zeit für körperliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen wer<strong>de</strong>n oftmals schon via Telefon/Handy o<strong>de</strong>r<br />

Internet verabre<strong>de</strong>t. In erster Linie geht es hier nicht unbedingt um Fußball, son<strong>de</strong>rn um die<br />

Schlacht nach <strong>de</strong>m Spiel.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r b<strong>und</strong>es<strong>de</strong>utschen Fankulturen unterschei<strong>de</strong>n Utz/Benke (1997, S. 103) die<br />

Gruppen <strong>de</strong>r Novizen, Kutten, Hools <strong>und</strong> Veteranen, „die sich hinsichtlich ihrer Figurations-<br />

struktur, <strong>de</strong>r Interpretation <strong>de</strong>r subkulturellen Wertvorstellungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r daraus resultieren-<br />

<strong>de</strong>n Logik ihres Ausschreitungsverhaltens unterschei<strong>de</strong>n.“ Die Novizen stoßen <strong>im</strong> Alter <strong>von</strong><br />

zwölf bis 16 Jahren zur Fankultur. Dieser „Einstieg“ kann Ausgangspunkt einer längeren<br />

Fankarriere sein. In <strong>de</strong>r Szene insgesamt haben die Novizen das geringste Ansehen; sie wer-<br />

<strong>de</strong>n als „Kin<strong>de</strong>r, Heuler- o<strong>de</strong>r Lutschermob“ (ebd., S. 106) verhöhnt <strong>und</strong> müssen sich zuerst<br />

ihre Sporen verdienen. Ist ihnen das gelungen, können sie möglicherweise zu Kuttenträgern<br />

aufsteigen. Kuttenträger sind Fangruppen, die ihre Vorliebe für ihren Verein durch Schals <strong>und</strong><br />

Mützen <strong>und</strong> die über <strong>und</strong> über mit Vereinsemblemen verzierte Jacke (Kutte) ausdrücken. Kut-<br />

ten gehören zu <strong>de</strong>n etablierten <strong>und</strong> anerkannten Fans <strong>und</strong> sind auch für Außenstehen<strong>de</strong> wäh-<br />

rend <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esligasaison be<strong>im</strong> samstäglichen Stadionbesuch leicht auszumachen. Der Vete-<br />

ran stellt <strong>de</strong>n Ausstiegstyp aus <strong>de</strong>r Fankultur dar. Er ist nur noch lose über Kneipen, Cliquen<br />

o<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>esgruppen an die Szene geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bewegt sich eher zurückhaltend in dieser<br />

Welt. Hooligans bezeichnen einen neuen Fantyp in <strong>de</strong>r b<strong>und</strong>es<strong>de</strong>utschen Fankultur <strong>und</strong> unter-<br />

schei<strong>de</strong>n sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>n übrigen Typen:<br />

„Sie rekrutieren sich zum Teil aus ehemaligen Kuttenträgern, die bereits eine Karriere<br />

als Novize hinter sich haben. Neuerdings scheinen sie direkt aus Novizenkreisen<br />

<strong>und</strong> jugendlichen Gruppen Zulauf zu haben, die keine spezifischen Fanerfahrungen<br />

mehr aufweisen, son<strong>de</strong>rn sich umweglos an die Hools anzuschließen<br />

versuchen. Die Hooligans sind für <strong>de</strong>n Außenstehen<strong>de</strong>n nicht auf <strong>de</strong>n ersten Blick<br />

wie etwa die gleichaltrigen Kuttenträger erkennbar. Zu ihrer ‘Standardausrüstung’<br />

gehören teure Jeans, Jogging-Bekleidung, Imitationen amerikanischer Baseballjacken<br />

<strong>und</strong> die ihrem Verständnis nach unverzichtbaren Regenschirme. Auch <strong>de</strong>n<br />

Hools dient die spezielle Kleidung als Mittel, sich gegenüber <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Typen<br />

<strong>de</strong>r Fankultur intern abzugrenzen <strong>und</strong> nach außen für die gegnerischen Hools<br />

leicht erkennbar zu sein. Daß das Tragen <strong>von</strong> Symbolen in <strong>de</strong>r Fanszene als abgrenzungsrelevantes<br />

Zugehörigkeitssymbol gelesen wird, zeigen Ausdrücke mit<br />

253


verächtlicher, abwerten<strong>de</strong>r Konnotation, mit <strong>de</strong>nen Hools Kuttenträger beschreiben:<br />

Kuttenlutscher, Kuttenaffe, Kuttenkin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r - in an<strong>de</strong>rer Stoßrichtung - Ass<strong>im</strong>ob.<br />

Die Hoolsfigurationen weisen keine formalisierte Binnenstruktur auf. Zugang<br />

<strong>und</strong> Mitgliedschaft ist für Außenstehen<strong>de</strong> nur sehr schwer zu erhalten. Da<br />

das Gruppenziel <strong>de</strong>r Hools <strong>im</strong> Unterschied zu <strong>de</strong>n Kuttenträgern vornehmlich darin<br />

besteht, gewalttätige Ausschreitungen relativ rational zu planen <strong>und</strong> durchzuführen,<br />

ist Zugang <strong>und</strong> Mitgliedschaft für an<strong>de</strong>re Fangruppen, beson<strong>de</strong>rs für Kuttenträger,<br />

wegen <strong>de</strong>r durch sie gegebenen Ent<strong>de</strong>ckungsgefahr seitens <strong>de</strong>r Polizei,<br />

nicht zu haben“ (ebd. 1997, S. 109f).<br />

Neben <strong>de</strong>r hier ausführlich zitierten Analyse <strong>von</strong> Utz/Benke gibt es eine Vielzahl <strong>de</strong>utsch-<br />

<strong>und</strong> englischsprachiger Literatur zum Phänomen <strong>de</strong>r Hooligans. International bemühen sich<br />

Journalisten sowie renommierte Wissenschaftler um ein adäquates Verständnis <strong>de</strong>r Interakti-<br />

ons- <strong>und</strong> Motivationsstrukturen. Hinweisen möchte ich auf die Studien <strong>von</strong> Deiters/Pilz<br />

(1998), Farin/Hauswald (1998), Gehrmann/Schnei<strong>de</strong>r (1998), Hahn u.a. (1988), Heitmey-<br />

er/Peter (1992), Matthesius (1992), Weis (1993). 123 Einen ausführlichen Erfahrungsbericht <strong>im</strong><br />

Sinne einer ethnographischen Analyse liefert die Schil<strong>de</strong>rung <strong>von</strong> Buford (1992), <strong>de</strong>r seine<br />

Erlebnisse mit <strong>de</strong>n gefürchteten englischen Hooligans in <strong>de</strong>n Fußballstadien Englands <strong>und</strong><br />

Europas beschreibt.<br />

Als Erklärung für die <strong>von</strong> Hooligans ausgeübte Gewalt wer<strong>de</strong>n häufig adoleszente I<strong>de</strong>ntitäts-<br />

krisen o<strong>de</strong>r makrosozial bedingte Sozialisations<strong>de</strong>fizite sowie gewisse Dispositionen für ge-<br />

walttätige Verhaltensweisen verantwortlich gemacht (vgl. Utz/Benke 1997). Auf diese Ursa-<br />

chen <strong>von</strong> (Jugend)Gewalt verweisen auch Eckert u.a. (1998; 2000), wenn sie vor allem Mehr-<br />

fach-Problemlagen hinsichtlich Herkunft, Familie <strong>und</strong> Ausbildung als ausschlaggegend be-<br />

zeichnen. Für die beson<strong>de</strong>rs realitätsnahen <strong>und</strong> gewaltaffinen Tripps <strong>de</strong>r <strong>von</strong> mir untersuchten<br />

Hooligans kann allerdings ein Zusammenhang zwischen Gewalt <strong>und</strong> benachteiligten Lebens-<br />

lagen so nicht notwendigerweise nachgezeichnet wer<strong>de</strong>n. Bei ihnen spielt die ‘Lust an <strong>de</strong>r<br />

Gewalt’ als Ausdruck <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m ‘ult<strong>im</strong>ativen Kick’ eine wichtigere Rolle. Diese<br />

emotionale D<strong>im</strong>ension kann bis zu einem gewissen Umfang auch für an<strong>de</strong>re gewaltaffine Ju-<br />

gendkulturen (Türkengangs, HipHopper, Skinheads o<strong>de</strong>r Punks) nachgezeichnet wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn<br />

fast <strong>im</strong>mer schwingt in <strong>de</strong>r gewaltaffinen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung auch Gewaltlust mit. Für die<br />

Hooligans lässt sich aber zeigen, dass diese Lustquelle nicht ‘Nebenprodukt’ ist, son<strong>de</strong>rn<br />

vielmehr <strong>im</strong> Zentrum eines bewusst herbeigführten, martialischen Erlebnistour<strong>im</strong>us steht.<br />

123 Vgl. auch Marsh u.a. (1978); Haferkamp (1987); Horak u.a. (1987)<br />

254


Zur empirischen Datenbasis<br />

Bei <strong>de</strong>n hier skizzierten Hooligans han<strong>de</strong>lt es sich um eine Gruppe <strong>von</strong> ca. 150 Mitglie<strong>de</strong>rn.<br />

Diese Zahl schließt allerdings die sogenannten ‘Mitläufer’ ein. Die Altersspanne reicht <strong>von</strong><br />

ca. zwölf (<strong>de</strong>r Nachwuchs) bis 35 (die Alten) Jahre. Zum harten Kern gehören vor allem die<br />

18- bis 26-Jährigen. Dies sind ca. 30 bis max. 50 Männer, die <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong> Fußballspielen<br />

<strong>und</strong> Kneipenbesuchen auch schon einmal ihre Fre<strong>und</strong>innen o<strong>de</strong>r Frauen mitbringen. Die<br />

Frauen sind allerdings - so meine Beobachtungen - nur ‘Gäste’. Die sozialen <strong>und</strong> familiären<br />

Herkunftslagen sind heterogen, die eingeschlagenen Ausbildungs- <strong>und</strong> Berufswege ebenso.<br />

Die Gruppe <strong>de</strong>finiert <strong>und</strong> profiliert sich über Fußball, mehr aber noch über die Gewaltrituale<br />

<strong>im</strong> Anschluss an die Fußballspiele.<br />

Die Daten zu diesem empirischen Portrait habe ich zwischen 1995 <strong>und</strong> 1999 erhoben. Der<br />

persönliche Kontakt zu <strong>de</strong>n Hooligans bestand zwischen 1995 <strong>und</strong> 1997. Die Informationen<br />

aus <strong>de</strong>n Jahren 1998 bis 1999 basieren auf einem Gespräch mit einem Experten <strong>de</strong>r Polizei,<br />

<strong>de</strong>r die Gruppe seit langem beobachtet <strong>und</strong> kennt, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>von</strong> mir auch schon vorher befragt<br />

wor<strong>de</strong>n war.<br />

Im einzelnen habe ich zwei ausführliche Interviews mit Hooligans sowie Expertengespräche<br />

mit Straßensozialarbeitern <strong>und</strong> Polizisten durchgeführt. Hinzu kommen zahlreiche Unterhal-<br />

tungen mit <strong>de</strong>n Hooligans <strong>und</strong> eine Reihe <strong>von</strong> (teilnehmen<strong>de</strong>n) Beobachtungen. Anlass für<br />

letztere waren zwei gemeinsame Stadionbesuche <strong>und</strong> eine Nonstop-24-St<strong>und</strong>en-Begleitung<br />

<strong>de</strong>r Hools an einem Wochenen<strong>de</strong>. Dass die <strong>im</strong>mens zeitaufwendige Datenerhebung bei dieser<br />

Gruppe keine Gruppendiskussionen o<strong>de</strong>r weitere aufgezeichnete Interviews erbracht hat, liegt<br />

an <strong>de</strong>r Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r Gruppe: Sie aktualisiert sich nur anlässlich <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Fuß-<br />

ballspiele mit anschließen<strong>de</strong>r Randale. Meine Begegnungen mit <strong>de</strong>r Gruppe fan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb in<br />

erster Linie während <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>r sogenannten ‘dritten Halbzeit’ statt. Von einer ‘geordne-<br />

ten’ Interviewsituation kann auch angesichts <strong>de</strong>s hohen Alkoholkonsums <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Schlägerei-<br />

en <strong>de</strong>shalb keine Re<strong>de</strong> sein.<br />

255


3.1 Herkunft <strong>und</strong> aktuelle Lebenssituation<br />

Familie<br />

‘Meine’ Hooligans stammen aus sehr unterschiedlichen Familienverhältnissen. Die sozialen<br />

Herkunftslagen reichen <strong>von</strong> <strong>de</strong>n unteren Schichten bis hin zum Großbürgertum <strong>und</strong> Unter-<br />

nehmerfamilien. Informationen aus Gesprächen mit <strong>de</strong>r Polizei <strong>und</strong> Straßensozialarbeitern,<br />

aber auch meine eigenen Recherchen zeigen, dass dabei das ganze Spektrum <strong>von</strong> ‘normalen’<br />

bis hin zu sehr problematischen Familiengeschichten vertreten ist. Einer <strong>de</strong>r Befragten, <strong>de</strong>r<br />

zum Untersuchungszeitpunkt gera<strong>de</strong> eine Umschulung <strong>im</strong> Handwerk machte, ist <strong>im</strong> He<strong>im</strong><br />

aufgewachsen, weil ihn seine Eltern - wie er sagt - ‘nicht erziehen konnten <strong>und</strong> abgeschoben<br />

haben’. So sei er ‘auf die schiefe Bahn geraten’, habe Kontakte in die kr<strong>im</strong>inelle Szene bis hin<br />

zur organisierten Kr<strong>im</strong>inalität. Zum Zeitpunkt meines letzten Gespräches erwartete ihn ein<br />

Verfahren wegen versuchten Mor<strong>de</strong>s. Er gab an, dass seine reichen Eltern gute Kontakte zum<br />

Gericht hätten <strong>und</strong> „wohl wegen ihres schlechten Gewissens“ eine Kaution für ihn hinterlegt<br />

hatten. So müsse er bis zur Verhandlung nicht in Untersuchungshaft. Dies wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn bestätigt.<br />

Typischer scheinen allerdings konventionelle Verhältnisse zu sein, wie das folgen<strong>de</strong> Beispiel<br />

stellvertretend zeigt. Es han<strong>de</strong>lt sich um einen jungen Mann, <strong>de</strong>r religiös erzogen wur<strong>de</strong>, was<br />

hier als Hinweis auf traditionell orientierte <strong>und</strong> ‘geordnete’ Familienverhältnisse interpretiert<br />

wer<strong>de</strong>n kann.<br />

A: Ich bin sehr streng katholisch erzogen wor<strong>de</strong>n, also war mal Messdiener.<br />

F: Ja.<br />

A: Ja, ich musste je<strong>de</strong>n Sonntag in die Kirche gehen, bis ich 14, 15 war, mit<br />

Fre<strong>und</strong>en dann statt zum Gottesdienst zu gehen, in ‘ne Kneipe gegangen bin <strong>und</strong><br />

geflippert habe <strong>und</strong> so, <strong>und</strong> als ich dann nach Hause kam <strong>und</strong> mein Vater gefragt<br />

hat, was <strong>de</strong>r Pfarrer gepredigt hat, <strong>und</strong> ich mir ja was ausgedacht habe <strong>und</strong> dann<br />

entwe<strong>de</strong>r Druck gekriegt habe, weil es nicht st<strong>im</strong>mte o<strong>de</strong>r, irgendwann haben’s<br />

<strong>de</strong>nn mal aufgegeben, dass ich also in die Kirche gehe <strong>und</strong> Messdiener mache <strong>und</strong><br />

so weiter <strong>und</strong> so fort. Gläubig bin ich eigentlich auch, kann man sagen, aber <strong>de</strong>swegen<br />

muss ich nicht je<strong>de</strong>n Tag in die Kirche rennen. Ich geh eigentlich nur in die<br />

Kirche, wenn mal ‘ne Hochzeit ist o<strong>de</strong>r ‘ne Taufe, Konfirmation, Kommunionfeier,<br />

ansonsten eigentlich nicht. Hat aber nach meiner Ansicht nichts mit <strong>de</strong>m Glauben<br />

zu tun. Irgendwo glaube ich, dass es so was gibt, aber, ja, warum auch nicht?<br />

Beten tu ich eigentlich nicht, brauche ich net (lacht).<br />

256


In <strong>de</strong>r Interviewpassage wird die Akzeptanz <strong>de</strong>s Jugendlichen in Bezug auf gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> religiöse Bräuche (z.B. Taufe, Konfirmation, Hochzeit) <strong>und</strong> damit auch seine Veranke-<br />

rung ins ‘normale Leben’ <strong>de</strong>utlich. Solche Ereignisse wer<strong>de</strong>n nicht in Zweifel gezogen, son-<br />

<strong>de</strong>rn als das ‘Fraglose’ (Schütz/Luckmann 1979) hingenommen. Dies weist ebenso auf eine<br />

Integration hin wie die Aussagen, die ich (nicht nur <strong>von</strong> diesem Jugendlichen) über die Zu-<br />

kunftsvorstellungen bezüglich <strong>de</strong>s privaten Lebens erhalten habe. Familie grün<strong>de</strong>n, Kin<strong>de</strong>r<br />

haben, Haus bauen, Auto besitzen, regelmäßig in Urlaub fahren <strong>und</strong> seinen Hobbys nachge-<br />

hen können - das sind die Eckpunkte <strong>de</strong>r Lebensplanung. Die älteren Hooligans sind teilweise<br />

verheiratet, haben Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> üben einen Beruf aus.<br />

A: Was mach ich? Montags pass’ ich normalerweise auf meine Zwerge auf abends,<br />

weil meine Lebensgefährtin ja bis zehn Uhr arbeitet, dienstags geh ich<br />

normal zum Training, Fußballtraining, donnerstags auch, freitags zieh ich um die<br />

Häuser, bisschen tanzen gehen o<strong>de</strong>r Billard spielen gehen. O<strong>de</strong>r es passiert ja auch<br />

mal, dass freitags dann Fußball ist, geht ja <strong>von</strong> Freitag bis Sonntag, kommt drauf<br />

an. Aber wenn freitags o<strong>de</strong>r sonntags Fußball ist, bin ich samstags zu Hause meist<br />

abends, muss ich nicht haben, dass ich weggehe. Ja, <strong>und</strong> sonntags spiel ich meist<br />

selber Fußball o<strong>de</strong>r ich geh dann ins Stadion, es kommt drauf an, was für’n Spiel,<br />

also en ganz normales Freizeitverhalten, mal Sauna, Schw<strong>im</strong>men. Das Übliche,<br />

Normale.<br />

Dass hier eine ausgesprochen konventionelle Orientierung vorliegt, wird <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ut-<br />

lich. So betonen die Befragten mehrfach, dass es sich bei ihnen in erster Linie nicht um rand-<br />

ständige Personen, gescheiterte Existenzen o<strong>de</strong>r ‘Verlierer’ han<strong>de</strong>lt:<br />

A: Ehm, wichtig vor allen Dingen zu schreiben wäre, dass Hooligans aus allen<br />

Schichten kommen, sogar weniger aus <strong>de</strong>n untersten Schichten, also mehr aus <strong>de</strong>r<br />

Normalbürgerschicht <strong>und</strong> auch obersten Schicht, dass die eigentlich nur sich austoben<br />

be<strong>im</strong> Fußball, das heißt also, <strong>im</strong> normalen bürgerlichen Leben ganz normale<br />

Leute sind, die ihrer Arbeit nachgehen, die auch Familie <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>r haben, die<br />

eigentlich so, ist zwar übertrieben, aber sonst keiner Fliege was zulei<strong>de</strong> tun.<br />

In einem Punkt wird die ‘Normalität’ <strong>de</strong>s bürgerlichen Lebens allerdings aufgebrochen: Das<br />

Wochenen<strong>de</strong> <strong>und</strong> seine ‘Ausbruchsversuche’ (vgl. Cohen & Taylor 1977) in Form <strong>de</strong>s Hooli-<br />

ganismus. Dies ist <strong>im</strong> vorliegen<strong>de</strong>n Interviewbeispiel auch in an<strong>de</strong>rer Sicht interessant. Zu-<br />

min<strong>de</strong>st bei diesem ‘Fußballrowdie’ trifft das typische Austrittsmuster aus Subkulturen, näm-<br />

lich über eine feste Partnerschaft, nicht zu. Trotz Ehe <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rn verbleibt er noch in <strong>de</strong>r<br />

Szene.<br />

257


Wohnsituation<br />

Die jungen Männer leben in einer Großstadt mit ca. 500.000 Einwohnern. Die konkrete<br />

Wohnsituation konnte nicht ermittelt wer<strong>de</strong>n. Die Hools befan<strong>de</strong>n sich zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r<br />

Interviewdurchführung unter massivem polizeilichen Verfolgungsdruck. Alle Hinweise auf<br />

die persönliche I<strong>de</strong>ntität wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Jugendlichen vermie<strong>de</strong>n. Eine Begehung<br />

<strong>de</strong>s Wohnviertels o<strong>de</strong>r gar <strong>de</strong>r Wohnungen konnte <strong>de</strong>shalb nicht stattfin<strong>de</strong>n. 124<br />

Bildung <strong>und</strong> Arbeit<br />

In <strong>de</strong>r Bildungs- <strong>und</strong> Ausbildungssituation <strong>de</strong>r Gruppenmitglie<strong>de</strong>r setzt sich die Heterogenität<br />

<strong>de</strong>r Herkunftsfamilien fort. Dazu ein Hooligan-Experte <strong>de</strong>r Polizei:<br />

A: Man kann sagen, es geht los <strong>von</strong> Son<strong>de</strong>rschülern, aber nicht überproportional,<br />

son<strong>de</strong>rn wirklich nur <strong>de</strong>r Ausnahmefall bis also Realschüler, aber auch Hauptschüler,<br />

Gymnasiasten auch, teilweise auch dabei gewesen, auch Leute, die natürlich<br />

nicht mehr zur Schule gehen, ist klar, die zwar noch schulpflichtig sind offiziell,<br />

aber dann irgend’ne berufsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Schule besuchen o<strong>de</strong>r ähnliches. Ohne<br />

dass man sagen kann, irgend’ne Schulform wäre überproportional vertreten.<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich also um eine Gruppe mit sehr verschie<strong>de</strong>nen Ausbildungsgra<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Berufen.<br />

Divergieren<strong>de</strong> soziale Startbedingungen <strong>und</strong> die darauf aufbauen<strong>de</strong>n Bildungsverläufe führen<br />

in entsprechend unterschiedliche Tätigkeitsfel<strong>de</strong>r. Vom Lehrling über <strong>de</strong>n Kaufmann bis hin<br />

zum Jura-Stu<strong>de</strong>nten ist alles vertreten. Ebenso gehören ‘gescheiterte Existenzen’ wie Alkoho-<br />

liker o<strong>de</strong>r Drogenabhängige - auch wenn dies <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn heruntergespielt<br />

wird - zur Clique. Sieht man einmal <strong>von</strong> letzteren ab, so zeichnet fast alle Jugendlichen ein<br />

pflichtbezogenes Arbeitsethos aus. Dies wird beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>m Bemühen <strong>de</strong>utlich, Beruf <strong>und</strong><br />

Karriere durch die <strong>de</strong>viante Lei<strong>de</strong>nschaft nicht zu gefähr<strong>de</strong>n.<br />

A: Aber ich sage mal, sobald ich irgendwas machen wür<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r irgendwas kommen<br />

wür<strong>de</strong>, wo ich die Gefahr sehen wür<strong>de</strong>, dass zum Beispiel mein Studium o<strong>de</strong>r<br />

meine Zukunft o<strong>de</strong>r so darunter zu lei<strong>de</strong>n hat, was ja nun bei meinem Studium<br />

auch schon an Kleinigkeiten manchmal hängen kann, wür<strong>de</strong> ich sofort sagen:<br />

“Nee, das war’s, das ist es mir nicht wert.”<br />

A: Hmhm. Auch in meinem Job will ich mich mal irgendwann weiterbil<strong>de</strong>n. (...)<br />

Ich muss irgendwo mein Ziel fin<strong>de</strong>n. Wann ich das fin<strong>de</strong>, weiß ich nicht, kann<br />

morgen sein, kann nächstes Jahr sein, das kann auch erst in fünf Jahren sein, aber<br />

124 Treffpunkte für die Interviews waren vor allem das Stadion <strong>und</strong> als ‘Locations’ <strong>de</strong>r Hools bekannte Kneipen.<br />

258


wenn ich so einigermaßen meine Ziele realisiert habe, dann will ich mich auch irgendwie<br />

mal ein bisschen mehr weiterbil<strong>de</strong>n. Nicht <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s wegen, son<strong>de</strong>rn<br />

einfach für mich selbst.<br />

Die berufliche Zukunftsorientierung steht ein<strong>de</strong>utig in Richtung gesellschaftlicher Etablie-<br />

rung. Sich <strong>de</strong>s Etikettierungspotenzials <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>s Prügelns auf <strong>de</strong>r Fußballbühne<br />

durchaus bewusst, fin<strong>de</strong>t eine klare Rationalisierung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns statt: Gewalt ja, Karriere-<br />

gefährdung nein. Auch wenn die Definition <strong>de</strong>r beruflichen Ziele vielleicht noch vage <strong>und</strong><br />

unabgeschlossen ist, geht die gr<strong>und</strong>sätzliche Orientierung klar in <strong>de</strong>n Bereich ‘legaler’ Karrie-<br />

ren. Eine materialistische Werthaltung ist dafür bezeichnend.<br />

3.2 Gruppenwirklichkeit<br />

Entstehung<br />

Die Ursprünge <strong>de</strong>r untersuchten Hooligangruppe sind nicht klar nachzuzeichnen. Es gibt aber<br />

in <strong>de</strong>n Gesprächen <strong>und</strong> Interviews Hinweise auf zwei verschie<strong>de</strong>ne Zugangsmuster. Eher sel-<br />

ten war <strong>de</strong>r Quereinstieg aus an<strong>de</strong>ren Szenen. Einige <strong>de</strong>r Hools haben sich vorher, z.T. auch<br />

noch während ihrer Hooligan-Zeit, in <strong>de</strong>r rechten Skinheadszene getummelt <strong>und</strong> dort auch<br />

schon erste Gewalterfahrungen gesammelt. Ohnehin scheint zwischen Skinhead- <strong>und</strong> Hooli-<br />

ganszene eine beständige Wan<strong>de</strong>rungsbewegung zu bestehen. Wohl auch <strong>de</strong>swegen wer<strong>de</strong>n<br />

die Hools als eher rechts eingestuft. Typischer als die Interszenenfluktuation ist aber <strong>de</strong>r Zu-<br />

gang über <strong>de</strong>n Fußball. Einige <strong>de</strong>r Befragten haben richtiggehen<strong>de</strong> Karrieren vom aktiven<br />

Jugendfußballer hin zum Hooligan durchlaufen:<br />

A: Der Einstieg war so mit 14 Jahren, war das halt so, da war ich auf meiner<br />

Schule mit’n paar Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> da sind wir dann halt mal zum Fußball hingegangen.<br />

Mich hat das durch ‘nen Nachbarn, <strong>de</strong>n ich früher mal hatte, auch schon interessiert.<br />

Der hat mich dann mal als ganz kleinen Steppke mitgenommen. Und ich<br />

war nun nicht so fußballverrückt, aber ich hatte auch mal Fußball gespielt. Und in<br />

<strong>de</strong>m Alter verfolgt, glaub ich, je<strong>de</strong>r Junge die B<strong>und</strong>esliga <strong>und</strong> wir sind dann halt<br />

auch mal hingegangen. Und auf <strong>de</strong>r Schule war’n dann halt noch’n paar Ältere,<br />

sag ich mal, die schon kurz vorm Abitur stan<strong>de</strong>n, die haben dann gefragt, ob wir<br />

nicht in so ‘ner Art Fanclub mitmachen wollen. Haben wir gesagt: “Ja, in Ordnung.”<br />

Und dann sind wir halt oft in diese Fankurve reingegangen <strong>und</strong> richtig so<br />

mit Singen <strong>und</strong> Tralala, also halt, was man so mit 13, 14 Jahren halt so macht, <strong>und</strong><br />

fan<strong>de</strong>n das auch alle ganz toll. Und irgendwann hab ich dann halt mal mitgekriegt,<br />

nach <strong>de</strong>m Spiel sind dann plötzlich alle aus dieser Kurve rausgelaufen. Und das<br />

war damals noch so, es waren halt viele Leute mit Trikots, Kutten o<strong>de</strong>r Bomber-<br />

Jacken <strong>und</strong> Jogging-Hosen <strong>und</strong> so was, also irgendwie noch, ja, wie soll ich sa-<br />

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gen, sah halt an<strong>de</strong>rs aus als heute. Und die sind halt alle in eine Richtung gerannt<br />

<strong>und</strong> dann bin ich dann mal hinterher gelaufen <strong>und</strong> dann hab ich halt gesehen, dass<br />

aus <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn Block, aus <strong>de</strong>m Gästeblock an<strong>de</strong>re rauskamen, <strong>und</strong> dass es dann<br />

halt zu Rumgelaufe <strong>und</strong> Prügeleien kam, <strong>und</strong> halt irgendwie dazwischen Polizei<br />

<strong>und</strong> ich fand das halt total aufregend, richtig spannend.<br />

In die gleiche Richtung weist das folgen<strong>de</strong> Beispiel. Hier wird zu<strong>de</strong>m <strong>de</strong>utlich, wie unter <strong>de</strong>m<br />

Einfluss <strong>de</strong>r Peergroup in <strong>de</strong>r Pubertät eine Interessenverschiebung stattfin<strong>de</strong>t. Der Jugend-<br />

fußballer verliert <strong>de</strong>n Anschluss an das Leistungsniveau <strong>de</strong>r Mannschaft, weil er abends mit<br />

seinen Fre<strong>und</strong>en durch die Diskotheken zieht. Als Folge muss er gezwungenermaßen das<br />

Fußballspielen aufgeben. Seinen Hooliganismus betreibt er quasi als Fortsetzung <strong>de</strong>s Fußball-<br />

hobbys mit an<strong>de</strong>ren Mitteln:<br />

A: Ja, angefangen hat’s, ja, mein Vater, <strong>de</strong>r hat früher selber Fußball gespielt, war<br />

fußballbegeistert.<br />

F: Hmhm<br />

A: Gut. Na, ja, auf je<strong>de</strong>n Fall war selber fußballbegeistert <strong>und</strong> mit sechs Jahren<br />

hat er mich <strong>im</strong> Fußballverein angemel<strong>de</strong>t <strong>und</strong> das hat mir auch Spaß gemacht. Na<br />

ja, <strong>und</strong> er hat dann auch je<strong>de</strong> Sportschau gesehen <strong>und</strong> so weiter. Und ist er mit mir<br />

auch ins Stadion gefahren. Also er war die ganze Woche auf Montage, dann kam<br />

er freitags nach Hause, geduscht, gegessen, Kaffee getrunken, dann ging’s meist<br />

ab ins Stadion. Ja, <strong>und</strong> so kam das Interesse überhaupt <strong>im</strong> Allgemeinen zum Fußball<br />

<strong>und</strong> ich war damals ein sehr guter Fußballspieler, hab mit 11 Jahren dann <strong>de</strong>n<br />

Verein gewechselt, also in ‘ne größere Stadt, <strong>de</strong>r jetzt auch weit entfernt war, also<br />

musste <strong>im</strong>mer mit <strong>de</strong>m Bus fast 13 km hin- <strong>und</strong> herfahren. Ja, war auch in <strong>de</strong>r<br />

Auswahl schon <strong>und</strong> natürlich hatte ich auch als Vorbild vielleicht mal Fußballprofi<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Ja, <strong>und</strong> als ich dann so 14, 15 wur<strong>de</strong>, ging das los, ne, Kumpels abends,<br />

schon in die Disko gegangen.<br />

F: Jetzt hier vom Fußball?<br />

A: Nee, nee, das kommt ja noch alles (lacht).<br />

F: Ah, so.<br />

A: So Kumpels, die ich so eben bei mir zu Hause hatte, ne, in ‘ne Disko gegangen,<br />

<strong>und</strong> was weiß ich, <strong>und</strong> ich wollte das auch mal mitmachen. Und meine Eltern,<br />

die waren dagegen, habe ich mich nachts <strong>im</strong>mer aus <strong>de</strong>m Z<strong>im</strong>mer geschlichen,<br />

ne, bis morgens, was weiß ich, <strong>und</strong> dann wie<strong>de</strong>r reingeschlichen. Ja, <strong>und</strong> das<br />

haben sie dann irgendwann mal spitzgekriegt <strong>und</strong> haben gesagt: “Wir geben nicht<br />

das viele Geld dafür aus, dass du hier <strong>de</strong>ine Partys machst.” Das heißt also, ich<br />

hab auch in <strong>de</strong>r Leistung dann nachgelassen, ne. Na ja, dann hab ich mich<br />

abgemel<strong>de</strong>t, hab ich so weiter Fußball gespielt <strong>und</strong> dann war auch erst ‘ne<br />

Zeitlang Ruhe, also auch mit Fußballstadion <strong>und</strong> so, <strong>und</strong> haste dann die erste<br />

Fre<strong>und</strong>in gehabt. Und angefangen hat es eigentlich richtig dann so Anfang <strong>de</strong>r<br />

260


habt. Und angefangen hat es eigentlich richtig dann so Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre.<br />

Hatte ich dann auch ‘ne Fre<strong>und</strong>in gehabt <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r bin ich dann zusammengezogen<br />

<strong>und</strong> dadurch hab ich Leute kennengelernt, die eben auch ins Fußballstadion<br />

fahren. Ja, <strong>und</strong> dann habe ich mich dazugesellt, angefangen als Schalträger, hab<br />

mir so’n Schal gekauft, nun, ging das weiter, so ‘ne Kutte gemacht <strong>und</strong> was es alles<br />

so gibt, Mütze <strong>und</strong> Fahne, <strong>und</strong> so ging ich dann richtig los ins Stadion. Nun,<br />

das hat mir irgendwie Spaß gemacht <strong>und</strong> dann bin ich mal be<strong>im</strong> Auswärtsspiel<br />

mitgewesen, <strong>und</strong> das war so ein halbes Derby. Und da hab ich dann eben so Hooligans<br />

kennengelernt, so die Leute, die ja auf Gewalt richtig aus waren. Und zwar<br />

hab ich das daran gemerkt, dass wir also, dass wir mit ‘nem Zug in <strong>de</strong>r Stadt waren,<br />

in ‘ne Straßenbahn reingegangen sind <strong>und</strong> die ist kaum losgefahren, dann<br />

hat’s schon gescheppert, ne, buff, alles kaputt gewesen, die ganze Straßenbahn<br />

<strong>und</strong> so weiter <strong>und</strong> so fort.<br />

Über diese unterschiedlichen Zugänge ist allmählich eine Gruppe entstan<strong>de</strong>n, die - wie bereits<br />

erwähnt - aus ca. 30 Mitglie<strong>de</strong>rn besteht. Die bis zu 100 Mitläufer kommen meist bei fußbal-<br />

lerischen Großereignissen dazu. Es liegt eine relativ hohe Fluktuation vor. Insbeson<strong>de</strong>re ältere<br />

Mitglie<strong>de</strong>r verlassen die Gruppe wegen Partnerschaft <strong>und</strong> Ehe, vor allem aber wegen laufen-<br />

<strong>de</strong>r (teilweise mehrfacher) Strafverfahren. Wer <strong>de</strong>n Ausstieg nicht ganz schafft, resp. <strong>de</strong>n<br />

Kontakt aufrecht erhalten will, bleibt mehr o<strong>de</strong>r weniger noch ‘lose’ assoziiert. Ein Mitarbei-<br />

ter <strong>de</strong>r Polizei konkretisiert die Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ausstiegs:<br />

A: Die Älteren gehen raus, die Jüngeren kommen nach, auch damit verb<strong>und</strong>en,<br />

dass eben die Älteren teilweise auch Strafverfahren offen haben. ‘Ne Zeit lang<br />

geht’s gut, <strong>de</strong>nn vielfach sind sie ja auch nur in Gewahrsamnahme, ohne Straftaten<br />

nachweisen zu können, aber irgendwann erwischt es <strong>de</strong>n einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

dann doch mal. Und wenn’s eben häufiger vorkommt, dann kriegen sie Bewährungsstrafe<br />

<strong>und</strong> dann ziehen die meisten sich dann irgendwann zurück.<br />

Auch in <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Polizei zeigt sich, dass die Mitgliedschaft in dieser Gruppe <strong>und</strong><br />

die Teilnahme an entsprechen<strong>de</strong>n gewalttätigen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit Kalkül verb<strong>und</strong>en<br />

ist. Kosten <strong>und</strong> Nutzen wer<strong>de</strong>n sorgfältig gegeneinan<strong>de</strong>r abgewogen. Die Konfrontation mit<br />

<strong>de</strong>m Gesetz, vor allem die möglichen Folgen, wer<strong>de</strong>n gescheut.<br />

Selbstverständnis<br />

Die Suche nach Gewalt <strong>und</strong> die mit ihr erlebten Gefühle sind - wie bei vielen an<strong>de</strong>ren Hooli-<br />

gangruppen auch - Kern <strong>de</strong>s Selbstverständnisses dieser Gruppe. Die Vorfreu<strong>de</strong> auf diese In-<br />

tensiverlebnisse beginnt oft schon in <strong>de</strong>r Nacht zuvor <strong>und</strong> äußert sich in Schlaflosigkeit <strong>und</strong><br />

Unrast. Der Tag beginnt früh, öfters sind auch lange Anfahrten in Kauf zu nehmen. Das Fuß-<br />

ballspiel, die Jagd durch die Straßen, die Verfolgung durch gegnerische Hools <strong>und</strong> Polizei<br />

<strong>und</strong> schließlich <strong>de</strong>r Kampf selbst erzeugen höchste emotionale Erregtheit, das Gefühl <strong>von</strong><br />

261


Angst <strong>und</strong> Nervenkitzel. Die eigentliche Schlägerei als Höhepunkt ist meist nur <strong>von</strong> kurzer<br />

Dauer. Die folgen<strong>de</strong>n Interviewpassagen können dies anschaulich vermitteln:<br />

A: Also das ist es aber, warum man das macht. Das ist nicht ‘ne Angst an sich, es<br />

ist halt ein Nervenkitzel. Von wirklich guten Sachen kriegt man Kribbeln <strong>im</strong><br />

Bauch <strong>und</strong> ist nervös. Und als ich früher halt so die ersten, als ich auswärts gefahren<br />

bin, dann irgendwann angefangen habe damit, konnte ich die Nacht vorher<br />

kaum schlafen. So ‘ne Mischung aus Angst <strong>und</strong> Freu<strong>de</strong> <strong>und</strong> überhaupt.<br />

A: Dieser Kick, dieses Bauchkribbeln ist genauso, wenn <strong>de</strong> dich frisch verliebst,<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>in Bauch kribbelt <strong>und</strong> <strong>de</strong>ine innerliche St<strong>im</strong>me sagt: Ah, das kann nicht<br />

sein, dass ich <strong>de</strong>n Menschen gut fin<strong>de</strong>. Aber man kann nichts dagegen tun. So ist<br />

das eben, man braucht das irgendwie. Früher war’s ja noch schl<strong>im</strong>mer, da bin ich<br />

schon ganz nervös morgens um fünfe aufgestan<strong>de</strong>n, hab erst mal gefrühstückt,<br />

Zeitung gelesen <strong>und</strong> so, <strong>und</strong> dann in Ruhe geduscht <strong>und</strong> fertig gemacht, Klamotten<br />

zusammengelegt <strong>und</strong>’n Film wahrscheinlich noch zwischendurch geguckt, bis<br />

es dann endlich los ging. So aufgeregt war ich, dass ich also wirklich kaum schlafen<br />

konnte die Nacht. Das Kribbeln, die Vorfreu<strong>de</strong> war schon <strong>im</strong>mer da. Das ist<br />

wie so ‘ne Droge. Man weiß, dass es Blödsinn ist, aber man macht’s trotz<strong>de</strong>m.<br />

Das ist genau wie wenn ich eine rauche, ich weiß, das ist absoluter Schwachsinn,<br />

aber ich mach’s trotz<strong>de</strong>m. Fun, einfach Spaß. In erster Linie natürlich fahr ich ins<br />

Stadion, um Fußball zu gucken. Was ja auch oft gesagt wird, die wollen nur zum<br />

Randale machen, was ja gar nicht st<strong>im</strong>mt. Ja, <strong>und</strong> dann die Action, hinterher, vorher,<br />

einfach nur so aus Spaß, das Kribbeln <strong>im</strong> Bauch, das gewisse, was passiert<br />

dann, ne, wenn se um ‘ne Ecke kommen <strong>und</strong> so, das gewisse, wie manche eben<br />

Bungeespringen machen. Keine weitere Be<strong>de</strong>utung. Einfach nur Spaß haben.<br />

A: Es ist ja auch be<strong>im</strong> Fußball so, dass diese Massenschlägereien meist nicht lange<br />

dauern, paar Sek<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> dann war’s das auch schon, weil entwe<strong>de</strong>r die Bullen<br />

kommen dazwischen o<strong>de</strong>r selten mal, wie jetzt zum Beispiel, letztes Jahr,<br />

wo’s wirklich also über Minuten hinaus geklatscht hat <strong>und</strong> ‘ne Jagerei ohne En<strong>de</strong><br />

war. So was ist selten passiert, aber da ist es passiert, <strong>und</strong> waren auch sehr viele<br />

Verletzte <strong>und</strong> alles. Aber in <strong>de</strong>n meisten Fällen kommt es entwe<strong>de</strong>r nicht dazu o<strong>de</strong>r<br />

es ist nur <strong>von</strong> kurzer Dauer <strong>und</strong> sind meist sowieso nur 10, 20 Prozent, die ja<br />

wirklich rangehen.<br />

Das Fußballspiel selbst wird zwar verfolgt, stößt aber nur auf min<strong>im</strong>ales Interesse. Beson<strong>de</strong>re<br />

- weil außeralltägliche Erfahrungen - machen die Hools nicht während <strong>de</strong>s Spiels, son<strong>de</strong>rn <strong>im</strong><br />

Anschluss daran. Ein Befragter vergleicht <strong>de</strong>n Erlebniswert <strong>de</strong>r Fanschlachten mit einem Ur-<br />

laub auf Mallorca. Vielen dient die Ferieninsel bereits seit längerem als Enklave, sich <strong>von</strong><br />

Alltagszwängen zu befreien, sexuellen Trieben unkontrolliert nachzugeben o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Rausch<br />

<strong>von</strong> Alkoholexzessen das zu tun, was zivilisierte Menschen normalerweise nicht tun wür<strong>de</strong>n:<br />

A: Aber wenn se be<strong>im</strong> Fußball sind, drehen se durch. Das heißt genauso, wenn ein<br />

normaler Bürger in Urlaub fliegt <strong>und</strong> <strong>de</strong>r lan<strong>de</strong>t auf Mallorca, dann ist er auch ein<br />

ganz an<strong>de</strong>rer Mensch. So kann man das be<strong>im</strong> Fußball auch beschreiben. Man ver-<br />

262


gisst sein Alter, die ganzen Sorgen, man will Fun haben, Spaß, man kann sich austoben<br />

<strong>und</strong> du darfst dich bloß nicht erwischen lassen. Wenn <strong>de</strong> <strong>im</strong> normalen Leben<br />

irgendwo was machst <strong>und</strong> so, dann hängen se dir gleich was weiß ich hinterher<br />

<strong>und</strong> wirst <strong>de</strong> gleich erwischt <strong>und</strong> so, <strong>und</strong> da kannst <strong>de</strong> also, da hast <strong>de</strong> mehr<br />

Bewegungsfreiheiten.<br />

Die Fanschlachten sind also auch Ausbruchsversuche aus <strong>de</strong>m Einerlei <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Zwängen <strong>de</strong>s<br />

Alltags. Beson<strong>de</strong>rs die großen internationalen Wettbewerbe wie Europa- <strong>und</strong> Weltmeister-<br />

schaften sind das Ziel aller ‘hooliganesken Urlaubsträume’. Schon lange vorher beginnt die<br />

Vorfreu<strong>de</strong> auf diese Großereignisse. Ein Polize<strong>im</strong>itarbeiter bemerkt dazu:<br />

A: In Hooligan-Kreisen freut man sich schon drauf. Da hört man also tatsächlich:<br />

„Mensch, nächstes Jahr England, geile Aktion, da geht’s wie<strong>de</strong>r gut ab.“ Weil die<br />

englischen Fans ja auch dafür bekannt sind <strong>und</strong> die sind ja auch verrückt in <strong>de</strong>m<br />

Bereich.<br />

Beson<strong>de</strong>rs wichtige Spektakel üben also schon lange <strong>im</strong> voraus eine beträchtliche Faszinati-<br />

onskraft aus. Wegen solcher Ereignisse wird unter Umstän<strong>de</strong>n auch <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Aus-<br />

stieg aus <strong>de</strong>r Szene verschoben. Zu groß sind die Verlockungen bevorstehen<strong>de</strong>r Fußball-<br />

Events. Hier entlang richtet sich teilweise die ‘Karriereplanung’ als Hooligan.<br />

A: In näherer Zeit wollt ich sowieso Schluss machen, weil ich manchmal <strong>de</strong>nke:<br />

Was hat das überhaupt für’n Sinn? Weil du läufst da wie so’n Irrer durch die Gegend<br />

<strong>und</strong> prügelst dich <strong>und</strong> riskierst en blaues Auge <strong>und</strong> so, <strong>und</strong> das war’s dann<br />

auch. Irgendwo ist das Schwachsinn. Aber auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seite, ich wollte mit 30<br />

aufhören, ich hab’s bis heute noch nicht geschafft.<br />

F: Was glaubst <strong>de</strong>, wo dran das liegt, dass du’s nicht geschafft hast?<br />

A: Das kribbelt <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r. Ich hab mir gesagt, ‘96, also jetzt nach<strong>de</strong>m ich’s<br />

mit 30 nicht geschafft hab (räuspert sich), ‘96 England ist Schluss, endgültig.<br />

F: Da fährst du aber nochmal hin?<br />

A: Hab ich vor, ja. Na, ja, jetzt ist ja ‘98 die Weltmeisterschaft in Frankreich.<br />

F: (lacht).<br />

A: Ist auch wie<strong>de</strong>r so’n Ding, da hab ich gedacht: Na, ja, dann aber, dann allerspätestens.<br />

Na, ja, <strong>und</strong> jetzt hat sich rausgestellt, dass <strong>im</strong> Jahr 2000 Belgien/Holland<br />

dran ist, Belgien/Holland, also die Europameisterschaft ist, <strong>und</strong> da ist es normalerweise<br />

<strong>im</strong>mer Pflicht, hinzufahren.<br />

263


Bei <strong>de</strong>n Herstellungsbedingungen <strong>de</strong>r Gewaltrituale selbst bleibt nichts <strong>de</strong>m Zufall überlas-<br />

sen. So sind die Fanschlachten nicht selten ‘Verabredungen’, die lange vorher schon sorgsam<br />

geplant wer<strong>de</strong>n. Durch diese Planungen muss einerseits gewährt sein, dass <strong>de</strong>r ‘Feind’ auch<br />

an Ort <strong>und</strong> Stelle ist. An<strong>de</strong>rerseits ist es wichtig, die Einsatzpläne <strong>und</strong> Präventivmanöver <strong>de</strong>r<br />

Polizei zu unterlaufen, was aber nicht <strong>im</strong>mer gelingt. Durchaus kann die geplante Adrenalin-<br />

Ekstase auch mit einer ‘Taxifahrt’ en<strong>de</strong>n (so nennen die befragten Hools das Abtransportieren<br />

mit <strong>de</strong>m Polizeiwagen). Gera<strong>de</strong> die strategische Herbeiführung <strong>de</strong>r Thrillerlebnisse macht<br />

<strong>de</strong>utlich, dass es sich bei <strong>de</strong>n Schlachten <strong>de</strong>r Hools nicht bloß um dumpfe Gewaltausschrei-<br />

tungen aufgr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Frustration <strong>und</strong> Monotonie han<strong>de</strong>lt, son<strong>de</strong>rn dass vielmehr Kalkül <strong>und</strong><br />

Rationalität <strong>im</strong> Sinne einer Erlebnistechnik einen wichtigen Anteil haben.<br />

A: Ja, <strong>und</strong> entwe<strong>de</strong>r man hat halt irgendwas mit jemand an<strong>de</strong>rs verabre<strong>de</strong>t, dass<br />

die wissen, wann wir kommen o<strong>de</strong>r wohin wir kommen, o<strong>de</strong>r wir wissen, wohin<br />

wir kommen sollen. O<strong>de</strong>r es ergibt sich halt so, dass wir natürlich versuchen an<br />

die ranzukommen <strong>und</strong> die versuchen an uns ranzukommen, sei es auf <strong>de</strong>m Weg<br />

zum Stadion, sei es <strong>im</strong> Stadion, sei es danach, sei es, dass wir uns in irgend’ner<br />

Kneipe treffen o<strong>de</strong>r wissen, wo die ihre Kneipe haben. Das kann man einfach<br />

nicht so sagen, das ist <strong>von</strong> Mal zu Mal auch so unterschiedlich.<br />

F: Hmhm.<br />

A: Es gibt halt an<strong>de</strong>re Städte, zu <strong>de</strong>nen wir Kontakt haben, dann wird vorher telefoniert,<br />

es gibt Städte, da fährt man hin auf Verdacht <strong>und</strong> weiß überhaupt nicht,<br />

was da nun ist <strong>und</strong> ob überhaupt dann was ist. Das kann man nicht pauschalisieren.<br />

Es ist aber zu beobachten, dass <strong>im</strong> Spiel mit diesen extremen Erlebnissen eine h<strong>und</strong>ertprozen-<br />

tige Sicherheit vor Ausschreitungen <strong>und</strong> Kontrollverlusten nie gewährleistet ist. Beson<strong>de</strong>rs<br />

wenn <strong>de</strong>r Alkoholpegel ein best<strong>im</strong>mtes Maß überschreitet, sind Eskalationen <strong>und</strong> Rahmenver-<br />

letzungen zu beobachten. Dann kommt es <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r auch innerhalb <strong>de</strong>r Gruppe zu Ge-<br />

walt:<br />

A: Wenn vielleicht mal was außer Kontrolle gerät, dann ist das sicherlich dadurch<br />

bedingt, dass viele Leute vielleicht in sich angestaute Aggressionen nicht unter<br />

Kontrolle kriegen, an<strong>de</strong>re Leute vielleicht aus Angst <strong>und</strong> aus Panik dann reagieren<br />

<strong>und</strong> durchdrehen <strong>und</strong> bei vielen Leuten halt einfach nur <strong>de</strong>r Adrenalinspiegel <strong>und</strong><br />

vielleicht auch mal das ein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Bier, das sie zuviel getrunken haben, mit<br />

‘ne Rolle spielen.<br />

Allerdings distanzieren sich die befragten Hools <strong>von</strong> solchen Kontrollverlusten, bei <strong>de</strong>nen<br />

Unbeteiligte zu Scha<strong>de</strong>n kommen o<strong>de</strong>r bloßer Vandalismus ausgelebt wird.<br />

264


A: Man kann mich beleidigen, man kann zu mir Arschloch sagen, das geht mir<br />

hintenrum vorbei, juckt mich nicht, interessiert mich nicht. Aber da ist mal ‘ne Situation<br />

gewesen, da war ich ziemlich stinkig, auf <strong>de</strong>n wollt ich drauf los. Und das<br />

hat man mir auch bestätigt, das hätte je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re genauso gemacht wie ich auch.<br />

Aber da gehört wirklich was zu, um mich da rauszukriegen, dass ich mich da<br />

rumprügeln wür<strong>de</strong>, aber <strong>de</strong>r hat’s geschafft. Ich hab mich zwar zurückgehalten,<br />

aber wenn se mich nicht zurückgehalten hätten, wär ich drauf losgegangen, ist<br />

noch gar nicht so lange her, aber <strong>im</strong> Allgemeinen kann man sagen, dann laß ich<br />

<strong>de</strong>njenigen da stehn. Gut, wenn er mich angreifen würd o<strong>de</strong>r so, wür<strong>de</strong> ich mich<br />

natürlich wehren, wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re auch. Im Großen <strong>und</strong> Ganzen bin ich’n lustiger<br />

Typ <strong>und</strong> geh eigentlich Streit <strong>und</strong> Ärger aus <strong>de</strong>m Wege. Ich will meinen Spaß haben,<br />

wenn ich ausgehe <strong>und</strong> will lachen.<br />

A: Ich persönlich halte da<strong>von</strong> absolut gar nichts <strong>von</strong> diesen ganzen Sachbeschädigungen<br />

<strong>und</strong> auch Plün<strong>de</strong>rungen, die ja auch schon vorgekommen sind. Und wenn<br />

du da nämlich richtig erwischt wirst, dann hast du nämlich nicht nur ‘ne <strong>de</strong>ftige<br />

Anzeige am Hals, dass du dafür abgehst, son<strong>de</strong>rn kost auch richtig Kohle.<br />

F: Und das bist du nicht bereit, zu riskieren?<br />

A: Nee, das wer<strong>de</strong> ich nicht, da hab ich mich auch rausgehalten. Ich war zwar dabei,<br />

aber ich bin <strong>im</strong> Hintergr<strong>und</strong> geblieben, da hab ich also mich wirklich rausgehalten,<br />

war keine Polizei da, gar nichts. Ich hätte da voll mitmachen können, aber<br />

ich wollt es nicht. [...] Genau wie auf <strong>de</strong>r einen Raststätte da, wo da auch hier ‘ne<br />

Bedienung ziemlich was <strong>de</strong>rbe abgekriegt hat, weil die einfach dazwischen war,<br />

fin<strong>de</strong> ich Scheiße, will ich mich nicht dazu zählen irgendwie, ne, ist nicht mein<br />

Ding. Da würd ich mich auch <strong>im</strong>mer raushalten auch.<br />

Noch <strong>de</strong>utlicher wird die Son<strong>de</strong>rstellung <strong>de</strong>r Fußballgewalt <strong>und</strong> das Bewusstsein bei <strong>de</strong>n be-<br />

fragten Hools über <strong>de</strong>n angemessenen Rahmen in <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Passage, wo <strong>de</strong>r Befragte <strong>de</strong>n<br />

Versuch untern<strong>im</strong>mt, Gewalt zu <strong>de</strong>finieren. Dabei wird sehr <strong>de</strong>utlich zwischen Gewalt <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>n Erlebnisfreu<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Kampf unterschie<strong>de</strong>n. Gewalt kommt <strong>im</strong> realen Alltag in zahlreichen<br />

Situationen vor. Was die Hools dagegen machen, ist aus ihrer Sicht eher Sport <strong>und</strong> Wettstreit,<br />

eine harte Freizeitbeschäftigung unter Männern:<br />

A: Was ist Gewalt? Gewalt ist für mich nicht das, was be<strong>im</strong> Fußball ist. Gewalt ist<br />

für mich eher, was schon <strong>im</strong> normalen Leben abgeht. Ob’s jetzt in <strong>de</strong>r Familie ist,<br />

wo <strong>de</strong>r Mann die Frau schlägt o<strong>de</strong>r die Kin<strong>de</strong>r misshan<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r Messerstecherei,<br />

o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>inen abknallt, o<strong>de</strong>r Gewalt gegen <strong>de</strong>n Staat. Zum Beispiel Linke gegen<br />

die Polizei, gegen die Staatsmacht, dass die mit Dingen was durchsetzen wollen,<br />

ach, wie soll ich das ausdrücken, die haben en best<strong>im</strong>mtes Ding, das passt <strong>de</strong>nen<br />

nicht <strong>und</strong> dann <strong>de</strong>nken die, jetzt muss man <strong>de</strong>m Staat mal was auf die Birne<br />

hauen <strong>und</strong> dann passiert es wie zum Beispiel traditionsmäßig am 1. Mai in Berlin<br />

o<strong>de</strong>r so, wo <strong>von</strong> vornherein schon feststeht, heute o<strong>de</strong>r morgen o<strong>de</strong>r übermorgen<br />

knallt es richtig gegen <strong>de</strong>n Staat. Das ist für mich Gewalt. Fußball würd ich nicht<br />

als Gewalt bezeichnen. Gewalt ist irgendwas Höheres für mich, nicht so ‘ne kleine<br />

265


Boxeinlage. Da müsst ja zum Beispiel <strong>im</strong> Sport Boxen, ja, Karate o<strong>de</strong>r so, auch<br />

was, muss ja auch Gewalt sein, ist ein ganzer normaler Sport. Wir sehn das eigentlich<br />

als Sport. Entwe<strong>de</strong>r bin ich besser als <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r vor mir steht o<strong>de</strong>r ich bin<br />

schlechter. Wie be<strong>im</strong> Boxen, entwe<strong>de</strong>r geb ich <strong>de</strong>m was auf die Glocke o<strong>de</strong>r er<br />

gibt mir was auf die Glocke. Und einer ist dann Weltmeister o<strong>de</strong>r Europameister<br />

<strong>und</strong> Deutscher Meister o<strong>de</strong>r sonst was, wir sehn das eher als Sport, en bisschen<br />

Fun, ein bisschen Action, Kribbeln <strong>im</strong> Bauch.<br />

Hooligan-Schlachten sind aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Akteure also keine ‘Gewalt’, son<strong>de</strong>rn Kräftemes-<br />

sen <strong>und</strong> St<strong>im</strong>ulation. Es ist eine rauhe Form <strong>de</strong>s ‘sensation seeking’ (Zuckerman/Bone 1972).<br />

Gleichzeitig bringt <strong>de</strong>r Erfolg <strong>im</strong> Kampf Anerkennung <strong>und</strong> Respekt sowohl innerhalb <strong>de</strong>r<br />

eigenen Gruppe als auch außerhalb in <strong>de</strong>r Szene. Dies wird in <strong>de</strong>n Interviews nicht explizit<br />

genannt. Zu stark dominiert <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>s aktiven Herbeiführens <strong>von</strong> Nervenkitzel <strong>und</strong><br />

Thrill. Beobachtungen, die ich bei <strong>de</strong>n obligatorischen <strong>und</strong> abschließen<strong>de</strong>n Trinkgelagen nach<br />

‘getaner Arbeit’ machen konnte, ver<strong>de</strong>utlichen aber die Wichtigkeit <strong>de</strong>s Kampferfolgs. Erfolg<br />

tritt nicht nur <strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>s Besiegens an<strong>de</strong>rer Gruppen ein, es reicht schon aus, ‘seinen Mann<br />

zu stehen’ <strong>und</strong> nicht zu kneifen. Die He<strong>im</strong>kehrer aus <strong>de</strong>r Schlacht sonnen sich in ihren Hel-<br />

<strong>de</strong>ntaten.<br />

Gegenüber <strong>de</strong>n Gefühlsbä<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Kampfes <strong>und</strong> <strong>de</strong>n anschließen<strong>de</strong>n ‘Würdigungen’ wer<strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>re Aspekte <strong>de</strong>r Selbst<strong>de</strong>finition, wie etwa jugendkulturelle Mo<strong>de</strong>n unwichtig. Bezüglich<br />

ihres Outfits sind die <strong>von</strong> mir befragen Hooligans keiner ein<strong>de</strong>utigen Richtung zuzuordnen.<br />

Wer es sich finanziell leisten kann, trägt Sportschuhe bekannter Sportartikelhersteller sowie<br />

Hosen, Jeans, Hem<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Jacken <strong>von</strong> führen<strong>de</strong>n Designern. Den sonnenbankgebräunten<br />

Muskelmann mit langem Haar <strong>und</strong> Zopf in lässiger Jeanshose <strong>und</strong> Le<strong>de</strong>rjacke traf ich ebenso<br />

an wie <strong>de</strong>n Kahlrasierten o<strong>de</strong>r extrem Kurzhaarigen <strong>im</strong> noblen Zwirn (Hemd aus Sei<strong>de</strong> mit<br />

Leinen, Krawatte, Markenjeans, hochglänzen<strong>de</strong> schwarze Le<strong>de</strong>rschuhe <strong>und</strong> Jacket). Zu fin<strong>de</strong>n<br />

war auch <strong>de</strong>r tätowierte Rockertyp in Le<strong>de</strong>rhose, schmutziger Jeansjacke mit abgeschnittenen<br />

Ärmeln, T-Shirt <strong>und</strong> Le<strong>de</strong>rstiefeln. Die Musik in <strong>de</strong>n unterschiedlichen Szene-Treffpunkten,<br />

lässt ebenfalls keine ein<strong>de</strong>utige Richtung erkennen: <strong>von</strong> Disco über Soul zu Rock-Pop o<strong>de</strong>r<br />

Reggae scheint es keine ein<strong>de</strong>utige Präferenz zu geben. Die Diversität modischer Stilattitü<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> musikalischer Geschmäcker ist in gewisser Weise ein Zeichen für <strong>de</strong>ren Beliebigkeit <strong>und</strong><br />

relative Be<strong>de</strong>utungslosigkeit bezüglich <strong>de</strong>r Selbst<strong>de</strong>finition <strong>de</strong>r Gruppe. Ähnlich unein<strong>de</strong>utig<br />

ist auch die politische Orientierung. An Politik sind die Befragten nicht interessiert, sie hat<br />

keinerlei Relevanz für ihr persönliches Leben. Allenfalls eine latent ‘rechte’ Orientierung<br />

lässt sich vermuten. Politische Aussagen bleiben stets unverbindlich <strong>und</strong> offen. Niemand äu-<br />

ßert Sympathie für radikale Positionen. Ein Hool sagt:<br />

A: Ich möchte an <strong>de</strong>r Gesellschaft an sich nichts än<strong>de</strong>rn. Und da ist es mir ehrlich<br />

egal, ob ich nun, sagen wir mal, die FDP mit <strong>de</strong>r CDU an <strong>de</strong>r Regierung habe o-<br />

266


<strong>de</strong>r die SPD mit <strong>de</strong>n GRÜNEN, das sind Kleinigkeiten, die einen sicherlich ab<br />

<strong>und</strong> zu mal betreffen, aber ansonsten fühl ich mich halt so wohl, dass ich mich<br />

halt politisch nicht in irgen<strong>de</strong>in Extrem schlagen möchte.<br />

Insgesamt ist festzuhalten, dass die untersuchte Gruppe intensive Gefühlsst<strong>im</strong>ulationen <strong>im</strong><br />

Kampf sucht. Ihr Selbstverständnis ist untrennbar mit dieser Motivation verb<strong>und</strong>en. Das be-<br />

son<strong>de</strong>re Erlebnis wird in beson<strong>de</strong>ren Ritualen zelebriert, die es <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Alltagsrealität abkop-<br />

peln, was aber nicht <strong>im</strong>mer gelingt. Das Beispiel <strong>de</strong>r Hools zeigt, dass <strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

Gefühlsproduktion völlig unerheblich gewor<strong>de</strong>n ist. Was <strong>de</strong>m Außenstehen<strong>de</strong>n als hasserfüll-<br />

te Schlägerei sozial <strong>de</strong>sintegrierter Personen erscheint, ist für die Insi<strong>de</strong>r ein kalkuliertes Spiel<br />

mit <strong>de</strong>m Risiko. Aber genau wie <strong>de</strong>r Bungee-Springer hat auch <strong>de</strong>r Hooligan eine Sicherung,<br />

die ihn in seiner Situation vor <strong>de</strong>m freien Fall in ‘unzivilisierte’ Zeiten bewahrt. Das Auffal-<br />

len<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Gewalt <strong>de</strong>r Hools ist ihre Konstruktion als Fiktion, unabhängig da<strong>von</strong>, wie real<br />

ihre Spiele wirken mögen. Man bezahlt zwar mit seinen echten Zähnen für <strong>de</strong>n Thrill, aber<br />

das machen Hochgeschwindigkeits-Biker, Boxer etc. auch. So kann auch Gewalt jenseits aller<br />

gesellschaftlichen Regeln zum Spiel wer<strong>de</strong>n. Gleichzeitig wird über <strong>de</strong>n Erfolg <strong>im</strong> Kampf <strong>und</strong><br />

das dadurch gewonnene Ansehen ein positiver Selbstwert generiert.<br />

Zusammenleben <strong>und</strong> Struktur<br />

Die untersuchte Gruppe besteht fast nur anlässlich <strong>de</strong>s Fußballspiels <strong>und</strong> <strong>de</strong>r daran anschlie-<br />

ßen<strong>de</strong>n Randale. Es han<strong>de</strong>lt sich in gewisser Weise um ein Zweckbündnis. Weitergehen<strong>de</strong><br />

Fre<strong>und</strong>schaften bestehen nur vereinzelt. Gemeinsame Aktivitäten über ‘<strong>de</strong>n Samstag’ hinaus<br />

sind bislang fast <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> San<strong>de</strong> verlaufen:<br />

A: Wenn Fußball vorbei ist, geht meist je<strong>de</strong>r seinen eigenen Weg. Gut, es gibt’n<br />

paar Leute, die sind untereinan<strong>de</strong>r auch so befre<strong>und</strong>et. Aber es ist nicht häufig so.<br />

Meist treffen sie sich alle be<strong>im</strong> Fußball <strong>und</strong> dann ist man eben Kamerad <strong>und</strong><br />

kumpelhaft, man trinkt einen zusammen <strong>und</strong> das geht meistens nach <strong>de</strong>m Fußball<br />

auseinan<strong>de</strong>r. Es ist mal so gewesen, dass wir vorgehabt haben: Ja, je<strong>de</strong>n Donnerstag<br />

treffen wir uns in <strong>de</strong>r Kneipe <strong>und</strong> <strong>im</strong> Monat zahlen wir je<strong>de</strong>r 10 Mark ein,<br />

dann machen wir ab <strong>und</strong> zu mal ‘ne Feier <strong>und</strong> das hat nicht lange gedauert, dann<br />

ist das auseinan<strong>de</strong>r gegangen, weil zu viele Leute dann auch nicht gekommen sind<br />

<strong>und</strong> so. Also das hat sich nie richtig irgendwie aufgebaut, ne.<br />

Die Gruppe ist klar strukturiert. Hierarchiebil<strong>de</strong>nd ist die Zugehörigkeit zum festen Kern ver-<br />

b<strong>und</strong>en mit entsprechen<strong>de</strong>n Aktivitäten <strong>und</strong> Mut. Wer mehr o<strong>de</strong>r weniger aus sicherer Entfer-<br />

nung nur <strong>de</strong>n Beobachter spielt, ist weniger akzeptiert. Ein Hool führt aus:<br />

A: Es gibt, es sch<strong>im</strong>pfen sich zwar viele Hooligans, aber man kann sagen, ja, viele<br />

Möchtegern-Hooligans, die sich einfach nur beweisen wollen vor an<strong>de</strong>rn Kumpels<br />

267


<strong>und</strong> so: Ja, ich geh zum Fußball <strong>und</strong> dann ging die Boxerei ab <strong>und</strong> die haben noch<br />

nie einen umgeboxt o<strong>de</strong>r mal eine gekriegt, aus <strong>de</strong>m einfachen Gr<strong>und</strong>e, weil se<br />

viel zu weit weg waren, das erst mal aus <strong>de</strong>r Ferne beobachtet haben. Das sind eigentlich<br />

sehr viele. Es gibt’n harten Kern <strong>und</strong> dann gibt es Mitläufer.<br />

Ansehen <strong>und</strong> Prestige wird nur <strong>de</strong>n ‘wirklichen Kämpfern’ zu Teil. Aber nicht nur <strong>de</strong>r kurz-<br />

fristige Erfolg, son<strong>de</strong>rn vor allem - eng damit verknüpft - eine entsprechen<strong>de</strong> Szenekarriere<br />

(‘Die Alten’) best<strong>im</strong>men <strong>de</strong>n Rang eines Gruppenmitglieds. Oben steht, wer lange <strong>und</strong> erfolg-<br />

reich dabei ist. Neulinge müssen sich zuerst einmal bewähren:<br />

A: Und, ja, was heißt Mutproben, wenn halt gesehen wur<strong>de</strong>, man hat halt schon<br />

mal am Anfang ein, zwei Mal was hinter die Löffel gekriegt sozusagen, also nicht<br />

schl<strong>im</strong>m, aber es wur<strong>de</strong> halt so gesagt: „Hier, geb mal’n Bier aus o<strong>de</strong>r sei froh,<br />

dass du mitfahren darfst. Und wenn ich dich nachher nicht vorne sehe, dann<br />

kriegst du nach <strong>de</strong>m Spiel <strong>von</strong> mir noch eine.“<br />

A: Akzeptiert wirst <strong>de</strong> eigentlich erst, wenn <strong>de</strong> richtig mit vorne dabei bist <strong>und</strong><br />

dich auch stellst, wenn die gegnerischen Hooligans kommen <strong>und</strong> nicht gleich wegrennst.<br />

Aber das kriegen die Leute nach ‘ner Zeit auch mit, wer mitmacht. Man<br />

muss sich das wirklich erkämpfen. Es gibt ja auch Nachwuchsleute, wenn die<br />

ewig da wegrennen, ja, dann kriegen die was aufs Maul, ist klar. Weil, ich weiß<br />

nicht, ist nun mal so.<br />

Die Alten sind nicht nur die Angesehensten, sie sorgen auch dafür - sofern das möglich ist -<br />

dass die Tradition <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re ihre Verkörperung durch best<strong>im</strong>mte Regeln (z.B. Verbot<br />

<strong>de</strong>s Waffengebrauchs) eingehalten wer<strong>de</strong>n. Abgeklärter als die jungen Nachwuchshools üben<br />

sie eine wichtige Kontrollfunktion in <strong>de</strong>r affektiv gela<strong>de</strong>nen Situation <strong>de</strong>r Schlägerei aus. Sie<br />

halten die jungen ‘Heißsporne’ vor <strong>de</strong>n ärgsten Ausschreitungen zurück. Kritisch anzumerken<br />

ist, dass ihnen das allerdings nicht <strong>im</strong>mer gelingt.<br />

F: Kriegen die Druck <strong>von</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn, wenn se das machen?<br />

A: Wenn se erwischt wer<strong>de</strong>n, ja. Zumin<strong>de</strong>st, es sind ja meist die Leute, die erst<br />

anfangen, die mehr hinten in <strong>de</strong>r Reihe stehen. Und die Leute, die zu <strong>de</strong>n Alten<br />

gehören, die packen sich die dann schon mal <strong>und</strong> geb’n ihnen zur Not auch eine<br />

aufs Maul, ne. Zum Beispiel war ein Spiel gewesen, da hat einer en Stein aufgehoben<br />

<strong>und</strong> da kam’n Alter an <strong>und</strong> sagte: „Ja, wenn du <strong>de</strong>n net gleich wegschmeißt,<br />

dann fliegst du da hinterher.“ Ich find’s nicht korrekt, ne. Weil dadurch<br />

ja wirklich viel passieren kann <strong>und</strong> richtig was, wenn du so’n Stein an <strong>de</strong>n Kopf<br />

kriegst, wenn <strong>de</strong>r unglücklich dann lan<strong>de</strong>t, ne, dann liegst <strong>de</strong> daneben.<br />

Der Einfluss <strong>de</strong>r Alten machte sich überall <strong>im</strong> Gruppenleben bemerkbar. Sie haben Vorbild-<br />

funktion. So gelang <strong>de</strong>r Kontakt zu dieser Szene über eine solche ‘zentrale Figur’:<br />

268


A: Wenn [nennt Namen] dich hierher bringt, dann hör’ ich dir wenigstens zu.<br />

In dieser hoch gewaltaffinen Gruppe wer<strong>de</strong>n best<strong>im</strong>mte Autoritäten selten in Frage gestellt.<br />

Möglicherweise ist diese Struktur <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>de</strong>m hohen Risiko <strong>im</strong> Gewaltritual<br />

zu sehen. Angesichts <strong>de</strong>r hohen Dynamik <strong>de</strong>r Situation können nicht hinterfragte Führerfigu-<br />

ren funktional sinnvoll sein.<br />

In <strong>de</strong>r Gruppe gibt es aber noch eine an<strong>de</strong>re wichtige Funktion. Vor <strong>de</strong>m Showdown haben<br />

alle ein mulmiges Gefühl o<strong>de</strong>r Angst - was auch <strong>von</strong> <strong>de</strong>n meisten offen eingestan<strong>de</strong>n wird.<br />

Hier helfen die ‘Pusher’, in<strong>de</strong>m sie st<strong>im</strong>ulieren, anfeuern, euphorisieren <strong>und</strong> so ein Gefühl <strong>de</strong>r<br />

Unbesiegbarkeit produzieren:<br />

A: Ich hab’s schon erlebt, dass sich Leute an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n gefasst haben <strong>und</strong> irgendwo<br />

raufgerannt sind, nur um sich gegenseitig zu pushen, <strong>und</strong> um sich gegenseitig<br />

vielleicht auch’n bisschen Mut zu machen <strong>und</strong>, also es ist halt ganz wichtig,<br />

diese Mischung aus Motivation <strong>und</strong> Gruppengefühl. Es gibt Leute, die können<br />

an<strong>de</strong>re so gut pushen, dass sie einfach keine Angst mehr haben o<strong>de</strong>r einfach gut<br />

drauf sind o<strong>de</strong>r so, gute St<strong>im</strong>mung verbreiten <strong>und</strong> dann natürlich auch halt die<br />

richtige St<strong>im</strong>mung kriegen, um zu sagen: Selbst, wenn ich umfalle o<strong>de</strong>r sonst was<br />

passiert, da muss ich jetzt durch, <strong>und</strong> zwar mit meinen Kollegen <strong>und</strong> mit meinen<br />

Fre<strong>und</strong>en zusammen.<br />

Diese Personen haben in gewissem Sinne die gleiche Funktion, wie die Trommler <strong>und</strong> Fah-<br />

nenträger in historischen Militärschlachten. Durch ihre ‘Motivationsarbeit’ wird es für <strong>de</strong>n<br />

Einzelnen subjektiv leichter, die Norm <strong>de</strong>r Tapferkeit einzuhalten: Es ist wichtig, nicht zu<br />

kneifen. Nur wenn niemand kneift, hat die Gruppe überhaupt eine Chance o<strong>de</strong>r besteht gar die<br />

Aussicht auf <strong>de</strong>n Sieg (<strong>und</strong> die anschließen<strong>de</strong> Siegesfeier). Dementsprechend wichtig ist Tap-<br />

ferkeit <strong>und</strong> Solidarität <strong>im</strong> Kampf.<br />

A: Da ist sicherlich was dran, man kennt sich, man weiß, dass man sich auf viele<br />

Leute verlassen kann <strong>und</strong> dieses Gruppengefühl kommt gera<strong>de</strong> <strong>im</strong>mer dann, wenn<br />

man irgendwo an<strong>de</strong>rs ist, ich sag mal, in ‘ner frem<strong>de</strong>n Stadt, wo man nicht weiß,<br />

was ist nun, <strong>und</strong> wenn man dann vielleicht nur mit 30 Leuten da ist, dann muss<br />

man sich halt irgendwie zusammengehörig fühlen, um überhaupt irgendwas hinzukriegen<br />

(...). Ich glaube, dass es auch ‘ne Sache war, warum es die Leute auch<br />

so zum Fußball hinzieht. Das ist halt irgendwie schon, du hast da Fre<strong>und</strong>e, für die<br />

du sonst was machen wür<strong>de</strong>st, auf die du dich verlassen kannst. du bist sicherlich<br />

nicht mit je<strong>de</strong>m gut Fre<strong>und</strong>, aber ich kann für mich persönlich sagen, dass ich da<br />

10 Leute rumlaufen habe, für die wür<strong>de</strong> ich, auf gut <strong>de</strong>utsch gesagt, in je<strong>de</strong>r Situation<br />

<strong>de</strong>s Lebens meinen Arsch hinhalten.<br />

Die erfahrene Solidarität <strong>im</strong> Kampf wird zu einem beson<strong>de</strong>ren Ausweis für Verlässlichkeit.<br />

Nur diejenigen, die mit ihrem Körper für mich einstehen, sind einen beson<strong>de</strong>ren Einsatz wert<br />

<strong>und</strong> - so ließe sich weiterführen - sind die Garanten für die interne Stabilität <strong>de</strong>s Rituals. Ge-<br />

269


a<strong>de</strong> weil dies so wichtig ist, wird diese Norm sehr stark <strong>im</strong> Ehrenco<strong>de</strong>x <strong>de</strong>r Gruppe veran-<br />

kert.<br />

Auch nach außen fin<strong>de</strong>n sich Normen <strong>und</strong> Trennregeln. Eine <strong>de</strong>r wichtigsten besagt, dass Au-<br />

ßenstehen<strong>de</strong> - wie bereits ange<strong>de</strong>utet - nicht in die Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen miteinbezogen wer-<br />

<strong>de</strong>n:<br />

A: Das sind doch genau solche Leute wie ich auch. Die fahren da auch hin, um<br />

Spaß zu haben. Das sind ja nicht irgendwelche Kutten o<strong>de</strong>r normale Leute, die<br />

zum Fußball gehen, Väter o<strong>de</strong>r sonst solche Leute, es sind ja nur diese Gruppierung,<br />

die auch darauf aus sind, ihre Kräfte zu messen, ne. So, <strong>und</strong> wenn ich zum<br />

Fußball fahre <strong>und</strong> will das, dann muß ich damit rechnen, dass ich richtig was aufs<br />

Maul kriege, entwe<strong>de</strong>r gib o<strong>de</strong>r stirb. Also es gibt nur zwei Möglichkeiten. Und<br />

dies Risiko geh ich <strong>von</strong> vornherein ein <strong>und</strong> das machen die Leute eben auch, ne.<br />

Die gehen dann genau das gleiche Risiko ein wie ich auch. Das ist ja nicht so,<br />

dass wir da irgendwelche Kutten da schlagen o<strong>de</strong>r so, die sind für uns total unwichtig,<br />

ne. Die stehn in ihrem Block da <strong>und</strong> machen da, singen ihre Lie<strong>de</strong>r <strong>und</strong><br />

was weiß ich, die sind passé, da wird nicht drangegangen.<br />

Die weitgehen<strong>de</strong> Einhaltung dieser ‘Trennregel’ wird <strong>von</strong> <strong>de</strong>m bereits zitierten Hooligan-<br />

Experten <strong>de</strong>r Polizei bestätigt:<br />

A: Also hier wirklich nur die Hooligans selbst <strong>und</strong> die suchen sich auch die an<strong>de</strong>ren<br />

Hooligans aus, die eben auch Randale haben wollen <strong>und</strong> da geht es dann eben<br />

zur Sache. Da ist es nicht so, dass irgendwelche Unbeteiligten größtenteils, klar,<br />

ein o<strong>de</strong>r zwei können <strong>im</strong>mer mal dazwischen kommen, aber Unbeteiligte eigentlich<br />

nicht.<br />

Die erlebniszentrierten Arrangements sind zusätzlich durch weitere Regeln abgesichert. Lan-<br />

ge Zeit zählte ein gewisses Fairplay, <strong>de</strong>r faire Faustkampf <strong>und</strong> damit das Verbot <strong>von</strong> Waffen<br />

zu <strong>de</strong>n ungeschriebenen Regeln <strong>de</strong>r Szene. Dazu ein Hooligan:<br />

A: Ich sag mal, solange die Leute wissen, wie es abzulaufen hat, solange die Leute<br />

sich da’n bisschen auskennen, es einigermaßen fair zur Sache geht, es gibt’n<br />

paar Regeln, liegt einer, dann liegt er. Und dann wird ihm entwe<strong>de</strong>r aufgeholfen<br />

o<strong>de</strong>r man lässt ihn gleich in Ruhe <strong>und</strong> gut, man macht halt möglichst nichts mit<br />

was an<strong>de</strong>rem als mit seiner Hand <strong>und</strong> o<strong>de</strong>r seinem Fuß. Weil, wie gesagt, man<br />

möchte ja nun auch keinen unbedingt irgendwas antun. Das sind halt so Deeskalationsregeln,<br />

sag ich mal.<br />

F: Und was wäre bei euch nicht korrekt <strong>im</strong> Verhalten?<br />

A: Zum Beispiel, wenn es Ausschreitungen gibt mit Gegenstän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r so, Steine<br />

schmeißen, Messer, Baseballschläger. Normalerweise ist es ja so, dass, es gibt da<br />

so ‘ne Art Gesetz, ne, ohne Waffen <strong>und</strong> wenn einer liegt, dann liegt <strong>de</strong>r, ne. Und<br />

270


da gibt’s aber genug Leute, die <strong>im</strong> Vorbeigehen nochmal richtig reintreten, ne,<br />

find ich Scheiße.<br />

Dieser Teil <strong>de</strong>s Ehrenco<strong>de</strong>x ist aber in <strong>de</strong>n letzten Jahren offensichtlich etwas brüchiger ge-<br />

wor<strong>de</strong>n. Dazu nochmals <strong>de</strong>r Polize<strong>im</strong>itarbeiter:<br />

A: Bei <strong>de</strong>n Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen selber, da gab es mal früher so’n Ehrenko<strong>de</strong>x,<br />

dass es hieß: Hooligans, die Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen sind <strong>im</strong>mer ohne Waffen, also<br />

nur Fäuste <strong>und</strong> Füße zum Treten <strong>und</strong> sobald einer auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> liegt, ist erledigt.<br />

Aber dies hat sich lei<strong>de</strong>r, wie man auch, wie öfter auch drinsteht, schon en bisschen<br />

geän<strong>de</strong>rt, dass also <strong>de</strong>nn die Leute, die auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> liegen, teilweise eben<br />

auch getreten wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> dass eben auch mit Biergläsern <strong>und</strong> weiß ich, mit<br />

Schlägern also irgendwie da zugelangt wird.<br />

Dazu bemerkt Heitmeyer in einem Interview in „Der Zeit“ (Die Zeit Nr. 27 vom 25.08.98, S.<br />

10):<br />

„Die Hemmschwellen wer<strong>de</strong>n niedriger, weil die Täter ihr Tun politisch begrün<strong>de</strong>n;<br />

<strong>de</strong>r Gegner wird erniedrigt <strong>und</strong> zum Freiwild erklärt. Außer<strong>de</strong>m lösen sich<br />

soziale Verankerungen auf mit <strong>de</strong>r Folge, daß es <strong>de</strong>n Tätern völlig egal gewor<strong>de</strong>n<br />

ist, wenn an<strong>de</strong>re zu Scha<strong>de</strong>n kommen. Schließlich schaukeln sich die Hooligans<br />

auf, es entsteht eine beson<strong>de</strong>re Dynamik, <strong>und</strong> gera<strong>de</strong> in diesen unstrukturierten<br />

Gruppen läuft die Gewalt schnell aus <strong>de</strong>m Ru<strong>de</strong>r. Nicht das Handy o<strong>de</strong>r die E-<br />

Mail-Adresse sind die neuen Wesensmerkmale <strong>de</strong>r Hooligans, son<strong>de</strong>rn ihre Unstrukturiertheit.<br />

Damit meine ich, daß sie sich an keine Regeln mehr halten <strong>und</strong><br />

keine Hemmschwellen mehr kennen. Natürlich haben Hooligans schon <strong>im</strong>mer mit<br />

<strong>de</strong>n Muskeln gespielt <strong>und</strong> zugeschlagen. (...) Heute aber ist die Gewalt enthemmt<br />

<strong>und</strong> unterliegt keinen sozialen Normen. (...) es kommt <strong>de</strong>n Tätern nicht mehr auf<br />

einen best<strong>im</strong>mten Gegner an. Die Opfer wer<strong>de</strong>n nach Belieben ausgesucht, <strong>und</strong><br />

auch die Art, wie sie malträtiert wer<strong>de</strong>n, ist nicht mehr kalkulierbar. Genau damit<br />

tut man sich schwer, <strong>und</strong> auch die Polizei ist machtlos, wenn sich größere Gruppen<br />

an absolut keine Regeln halten“.<br />

Gera<strong>de</strong> durch zunehmen<strong>de</strong> Ausschreitungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n offenbar enthemmten Waffengebrauch<br />

verliert die Szene an Authentizität. Nicht zuletzt <strong>de</strong>swegen wird schon seit einigen Jahren <strong>von</strong><br />

einem Teil <strong>de</strong>r Hools die Rückbesinnung auf alte Traditionen gefor<strong>de</strong>rt. ‘Faire Randale’ <strong>und</strong><br />

die Einsatzhaltung ‘Hooligans without Weapons’ (Weis 1993) wer<strong>de</strong>n zunehmend wie<strong>de</strong>r<br />

propagiert.<br />

271


3.3 Wahrgenommene Gruppenperipherie<br />

Perzipierte Frem<strong>de</strong>inschätzung <strong>und</strong> eigene Bewertung<br />

Intern besteht ein positives Selbstbild. Die Selbst<strong>de</strong>finition lautet - wie aufgezeigt - ‘Spaß<br />

haben’ o<strong>de</strong>r ‘mit Gleichgesinnten seinem Ding nachgehen’. Dies wird als absolut normal<br />

empf<strong>und</strong>en. Die Illegalität <strong>de</strong>r Sache <strong>und</strong> auch die mit <strong>de</strong>n Schlägereien verb<strong>und</strong>enen Gefah-<br />

ren können diese Einschätzung nicht beeinträchtigen.<br />

Extern erfährt die Gruppe dagegen keine positive Beurteilung. Ablehnung <strong>und</strong> negative Be-<br />

wertung erfolgt vor allem durch die Presse. In ihr wird nach Ansicht <strong>de</strong>r Befragten ein unzu-<br />

treffen<strong>de</strong>s <strong>und</strong> negatives Bild gezeichnet, das mit Hooliganismus nichts zu tun hat. Dort wür-<br />

<strong>de</strong> <strong>im</strong>mer <strong>von</strong> Massenschlägereien <strong>und</strong> <strong>de</strong>n gefähr<strong>de</strong>ten Stadionbesuchern gesprochen, was<br />

angesichts <strong>de</strong>r abgegrenzten Erlebnisräume nur sehr bedingt zutreffe.<br />

A: Man muss auch sehen, so Sachen, zum Beispiel, die <strong>im</strong>mer unhe<strong>im</strong>lich aufgebauscht<br />

wer<strong>de</strong>n. Das war zum Beispiel so, da hast du nun 200 Leute, 100 auf <strong>de</strong>r<br />

einen, 100 auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite. Und die können sonst was machen. Die können<br />

st<strong>und</strong>enlang gegeneinan<strong>de</strong>r vorgehen, das interessiert keine Sau. Nun ist zufällig<br />

mal’n Kamerateam in <strong>de</strong>r Nähe o<strong>de</strong>r ‘n Reporter o<strong>de</strong>r sonst irgendwas. Und dann<br />

gibt das da, irgendwo prügeln sich Leute <strong>und</strong> das sieht natürlich auch <strong>im</strong>mer gewaltvoll<br />

aus, wenn die ganze Straße, wenn man das <strong>im</strong> Fernsehen sieht bei Euro-<br />

o<strong>de</strong>r bei Län<strong>de</strong>rspielen, Europa-Pokalspielen o<strong>de</strong>r ja, bei irgendwelchen an<strong>de</strong>ren<br />

Sachen <strong>im</strong> Fernsehen das sieht, wie die so aufeinan<strong>de</strong>r zulaufen, das sieht natürlich<br />

nach so einer brutalen Gewalt aus.<br />

Auch wenn eine solche Aussage sicherlich als Verharmlosungsstrategie zu <strong>de</strong>uten ist, tragen<br />

die Medien mit ihrer Berichterstattung über die Hools nicht unbedingt <strong>im</strong>mer zur ‘Aufklä-<br />

rung’ bei. Im Gegenteil: Durch ihre teilweise einseitig-sensationsorientierte Darstellung ver-<br />

schärfen Medien die ‘Binarisierung’ <strong>von</strong> Wirklichkeitskonstruktionen. Dies gilt auch für die<br />

untersuchten Hools. Einerseits wer<strong>de</strong>n sie unnötig stigmatisiert, an<strong>de</strong>rerseits erfahren sie aus<br />

<strong>de</strong>n Medien, dass eine ‘gegnerische Gruppe zur Schlacht aufrüstet’ <strong>und</strong> die eigene Gruppe<br />

massiv bedroht ist. Medien wirken in diesen Fällen eskalierend.<br />

Außenbeziehungen<br />

Die befragten Hools sind in ein dichtes Netz <strong>von</strong> Außenbeziehungen eingeb<strong>und</strong>en. Ausbil-<br />

dung, Arbeit, zahlreiche an<strong>de</strong>re Freizeitaktivitäten, manchmal auch die Familie, schaffen ein<br />

integrieren<strong>de</strong>s Netz:<br />

272


A: Nee, das ist nicht nur bei meinen, also da muss ich sagen, gut, bei mir ist’s so,<br />

ich hab halt nun drei feste Fre<strong>und</strong>eskreise, das ist einmal <strong>de</strong>r Fußballfre<strong>und</strong>eskreis,<br />

dann die Leute, mit <strong>de</strong>nen ich studiere, da habe ich sehr viel Glück gehabt,<br />

dass ich da tolle Leute kennengelernt habe. Und halt so <strong>de</strong>r alte Fre<strong>und</strong>eskreis, <strong>de</strong>r<br />

halt, sag ich mal, aus <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> kommt, in <strong>de</strong>r ich früher aufgewachsen bin.<br />

Da sind halt die Fä<strong>de</strong>n auch noch nicht abgerissen, wir machen auch oft was<br />

zusammen, die ziehn jetzt halt auch alle hier her <strong>und</strong> es ist also nicht so, dass ich<br />

nur in eine Richtung fixiert bin. In letzter Zeit sicherlich öfter, weil es hat bei mir<br />

wie<strong>de</strong>r ein bisschen zugenommen <strong>und</strong> dadurch, dass ich mich mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

jetzt auch wesentlich besser versteh als früher, ist ja dieser Fußballfre<strong>und</strong>eskreis,<br />

so möchte ich ihn mal nennen, obwohl wir sicherlich mehr Gemeinsamkeiten haben<br />

als nur Fußball, ist schon <strong>im</strong> Moment sehr dominant.<br />

Das Hobby ist in <strong>de</strong>r Regel so angelegt, dass es möglichst nicht in an<strong>de</strong>re soziale Verkehrs-<br />

kreise hineinwirkt.<br />

A: Und die meisten haben ihre Fre<strong>und</strong>e doch schon woan<strong>de</strong>rs, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Kumpels,<br />

ich zum Beispiel auch, die zwar auch was mit Fußball irgendwie <strong>im</strong> Gange<br />

haben, aber keine Stadiongänger sind in <strong>de</strong>m Sinne, geschweige <strong>de</strong>nn überhaupt<br />

was mit Gewalt zu tun haben. Die haben an<strong>de</strong>re Interessen, ne, die ich dann mit<br />

<strong>de</strong>nen auch nachgehe aber die aber nicht mit zum Fußball gehen.<br />

F: Ist das so’ne Art Doppelleben o<strong>de</strong>r wäre das übertrieben, <strong>von</strong> ‘nem Doppelleben<br />

zu sprechen?<br />

A: Das ist übertrieben, nein, das ist übertrieben. Die wissen ja, was ich mache.<br />

Das kalkulierte Suchen nach Thrills be<strong>de</strong>utet also auch, die abweichen<strong>de</strong>n Aktivitäten kompa-<br />

tibel mit ‘normalen’ Sozialbeziehungen zu lassen. Dies scheint bei dieser Gruppe auch zu<br />

funktionieren. Es ist aber anzunehmen, dass Strafverfolgung <strong>und</strong> Bestrafung dieses Verhältnis<br />

stören. Entwe<strong>de</strong>r das Hobby wird dann aufgegeben o<strong>de</strong>r es setzt ein Weg in die Stigmatisie-<br />

rung ein. Auch dies unterstreicht <strong>de</strong>n Charakter einer Zweckgemeinschaft.<br />

Devianz<br />

Devianz entsteht bei <strong>de</strong>r untersuchten Gruppe fast nur <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Hooliga-<br />

nismus. Die bereits angeführten ‘Entgleisungen’ führen gelegentlich zu Übergriffen <strong>und</strong> Van-<br />

dalismus. Die strafrechtlichen Konsequenzen wer<strong>de</strong>n gefürchtet <strong>und</strong> führen - wie schon er-<br />

wähnt - nicht selten zum Ausstieg aus <strong>de</strong>r Szene. Das Hobby darf nicht das ‘übrige Leben’<br />

gefähr<strong>de</strong>n. Diese Ansicht stellen die Befragten <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r selbst als handlungsleitend her-<br />

aus. Polizei <strong>und</strong> Sozialarbeiter bestätigen diese Aussagen.<br />

273


3.4 Intergruppenbeziehungen<br />

Allianz <strong>und</strong> Ambivalenz<br />

Die Gruppe verbün<strong>de</strong>t sich gelegentlich mit an<strong>de</strong>ren Hooligangruppen, um einen gemeinsa-<br />

men Gegner zu bekämpfen. Ambivalente Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren Gruppen wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />

Interviews nicht thematisiert. Insgesamt scheinen diese bei<strong>de</strong>n Formen <strong>de</strong>r Intergruppenbe-<br />

ziehungen - sofern hier ein Bild darüber gezeichnet wer<strong>de</strong>n kann - fast o<strong>de</strong>r überhaupt nicht<br />

zu bestehen. Dies hängt vermutlich mit <strong>de</strong>r temporären Konstruktion <strong>de</strong>r Gruppe zusammen.<br />

Sie besteht - wie erwähnt - nur anlässlich <strong>von</strong> Fußballspielen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r unmittelbaren Zeit<br />

danach. Und dann ist eigentlich nur die Beschäftigung mit <strong>de</strong>m Gegner relevant. Dieser ist in<br />

gewisser Weise auch ein Fre<strong>und</strong>.<br />

Wie erklärt sich diese Paradoxie? Auf <strong>de</strong>n ersten Blick scheint die Hooliganwelt in viele La-<br />

ger aufgeteilt zu sein, die sich unversöhnlich, feindlich <strong>und</strong> hasserfüllt gegenüberstehen. Die-<br />

ses Bild st<strong>im</strong>mt aber nur wenig mit <strong>de</strong>r Realität überein. Die Konstruktionen haben einige<br />

Beson<strong>de</strong>rheiten, die in engem Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Erlebnisrationalität stehen. Obwohl die<br />

Rivalität mit Fäusten <strong>und</strong> Füßen bis zum k.o. ausgetragen wer<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> ‘richtig hinge-<br />

langt’ wird, ist das Verhältnis <strong>de</strong>r Gruppen untereinan<strong>de</strong>r nicht <strong>von</strong> Hass geprägt. Der Rivale,<br />

mit <strong>de</strong>m man sich auseinan<strong>de</strong>rsetzt, ist zumeist auch ein Fre<strong>und</strong>:<br />

A: Also prinzipiell gibt es erstmal kein Feindbild, son<strong>de</strong>rn das ist so ‘ne Art Städtewettkampf,<br />

sag ich mal. Es gibt halt die <strong>und</strong> die, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen weiß man, dass sie<br />

gut sind, <strong>und</strong> dann gibt es die <strong>und</strong> die, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen weiß man, dass sie nicht so gut<br />

sind. Dann weiß man, es gibt Faire, es gibt Unfaire, dann gibt es Leute, mit <strong>de</strong>nen<br />

trifft man sich <strong>und</strong> dann passiert was <strong>und</strong> dann geht man mit <strong>de</strong>nen dann ein Bier<br />

trinken. Manche haben Bekannte überall in je<strong>de</strong>r Stadt o<strong>de</strong>r auch Brieffre<strong>und</strong>schaften<br />

o<strong>de</strong>r man telefoniert vorher <strong>und</strong> viele Leute kennt man vom Sehen, sag<br />

ich mal, <strong>von</strong> Europapokalspielen, <strong>von</strong> Län<strong>de</strong>rspielen, wo halt alle zusammen sind,<br />

lernt man halt Leute kennen. Und insofern gibt es prinzipiell erst mal keine<br />

Feindbil<strong>de</strong>r. Dass man sicherlich mit einigen Vereinen schlechte Erfahrungen gemacht<br />

hat o<strong>de</strong>r mit einigen Leuten aus an<strong>de</strong>ren Städten, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb nicht so gut<br />

auf die zu sprechen ist, das ist schon so’ne Sache, aber ansonsten Feindbil<strong>de</strong>r an<br />

sich, sehe ich eigentlich nicht. Aber prinzipiell sind das halt Leute <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren<br />

Vereinen <strong>und</strong> da gibt es keinen großartigen Hass, also bei manchen schon, bei<br />

manchen nicht. Ich kann da, wie gesagt, nicht für alle sprechen. Die sind nun mal<br />

da, die wollen dasselbe wie wir <strong>und</strong>, also ich hab da keine Hassgefühle o<strong>de</strong>r so.<br />

Weiter führt <strong>de</strong>r Befragte in einem an<strong>de</strong>ren Gespräch aus:<br />

A: Das sind nicht Anhänger <strong>de</strong>r gegnerischen Mannschaft, das sind die Leute, die<br />

dieselben Interessen haben wie wir <strong>und</strong> sich uns halt gegenüberstellen wollen. Die<br />

274


sind nun mal da, die wollen dasselbe wie wir <strong>und</strong>, also ich hab da keine Hassgefühle<br />

o<strong>de</strong>r so. Was man so als Hass bezeichnet, ist vielleicht so ab <strong>und</strong> zu mein<br />

Adrenalinüberstoß, wenn nun gera<strong>de</strong> was passiert, dass man nun also total aufgekratzt<br />

<strong>und</strong> aufgedreht ist, aber Hass wür<strong>de</strong> ich sagen, nein (Gesprächs-protokoll).<br />

Demnach sprechen die Hools nicht <strong>von</strong> Fein<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn <strong>von</strong> Gegnern <strong>im</strong> Wettkampf. Die<br />

An<strong>de</strong>ren sind hier <strong>de</strong>r notwendige Part in <strong>de</strong>n Gewaltritualen zur Herstellung best<strong>im</strong>mter Ge-<br />

fühle. Die Konstruktion eines ‘guten Fein<strong>de</strong>s’, <strong>de</strong>r prinzipiell ebenbürtig ist <strong>und</strong> keineswegs<br />

gehasst wird, ist notwendig, damit es überhaupt zu <strong>de</strong>n gewaltsamen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />

kommt. Erst wenn die an<strong>de</strong>ren <strong>im</strong> Spiel mitmachen, seinen Sinn nicht weiter hinterfragen,<br />

kann Lustgewinn aus <strong>de</strong>n kollektiven Gewalt-Happenings erzielt wer<strong>de</strong>n. Hier liegt zwar ‘rea-<br />

le’ Gewalt vor, aber durch ‘Modulationen’ <strong>im</strong> Goffman’schen Sinne wird sie in einen an<strong>de</strong>ren<br />

Sinnkontext transformiert. Dies gilt auch für die Feindkonstruktion. Es ist ein ritualisiertes<br />

Spiel, ein ‘So-tun-als-Ob’, das allerdings sehr authentisch inszeniert ist. Der Echtheit wegen<br />

ist wie<strong>de</strong>rum die Rahmenkonstruktion sehr labil; aus <strong>de</strong>m Spiel wird sozusagen sehr leicht<br />

Ernst.<br />

Abgrenzung<br />

Die Fähigkeit zur Kontrolle <strong>de</strong>r Statuskämpfe <strong>und</strong> Erlebnisfreu<strong>de</strong>n darf aber nicht <strong>de</strong>n Blick<br />

dafür verstellen, dass es auch für die hier befragte Gruppe Feindmuster gibt. Während die<br />

Gegner in <strong>de</strong>r Erlebnisarena normalerweise nicht die eigene positive Distinktheit bedrohen,<br />

empfin<strong>de</strong>n die Befragten dies in Bezug auf zwei an<strong>de</strong>re Gruppen mit Nachdruck. Erstens sind<br />

hier gegnerische Hoolgruppen <strong>im</strong> unmittelbaren Nahraum zu nennen, d.h. rivalisieren<strong>de</strong> Cli-<br />

quen aus Nachbarstädten. Je<strong>de</strong>s ‘Lokal<strong>de</strong>rby’ hat seine beson<strong>de</strong>re Brisanz, weil man es <strong>de</strong>n<br />

Nachbarn, die <strong>im</strong>mer als Bedrohung <strong>de</strong>r eigenen Einmaligkeit <strong>und</strong> Beson<strong>de</strong>rheit präsent sind,<br />

in beson<strong>de</strong>rer Weise zeigen will.<br />

A: Feindbil<strong>de</strong>r kommen meist zustan<strong>de</strong> durch (...) wie soll ich das ausdrücken,<br />

durch regionale Fußballspieler. Mal’n Beispiel: Stadt X aus <strong>de</strong>m Nor<strong>de</strong>n spielt<br />

gegen Stadt Y aus <strong>de</strong>m Sü<strong>de</strong>n, so. Und das Fußballspiel ist in <strong>de</strong>r Stadt X, die aus<br />

Stadt Y kommen hoch, die klatschen sich, das war’s. Das ist kein Feindbild, we<strong>de</strong>r<br />

Feindbild noch sonst noch was. An<strong>de</strong>res Beispiel: Stadt X aus <strong>de</strong>m Nor<strong>de</strong>n<br />

spielt gegen Stadt Y aus <strong>de</strong>m Nor<strong>de</strong>n. Städte liegen nicht weit auseinan<strong>de</strong>r entfernt,<br />

<strong>und</strong> da ist, da geht das schon los, Vormachtstellung <strong>im</strong> Nor<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>im</strong><br />

Westen, gibt’s ja Schalke, Dortm<strong>und</strong>, Duisburg, was es da alles gibt, Düsseldorf,<br />

Köln. Je näher die, also ich hab das, das ist eigentlich so, je näher die Städte zusammen<br />

sind, <strong>de</strong>sto größer ist das Feindbild. Weil die haben ihre Region da <strong>und</strong><br />

die Nachbarstadt hat ihre Region <strong>und</strong> irgendwo will die besser sein als die. Das<br />

sind diese sogenannten Derbies. Und die hat man sehr schnell als Feindbild (...).<br />

Ja, das war früher schon so, das ist heute noch so <strong>und</strong> so was trägt sich auf die<br />

275


Generation irgendwie. Also es gab ja früher, gab es ja nicht diese Ausschreitung<br />

in <strong>de</strong>m Maße, diese Zusammenrottung, aber es gab schon <strong>im</strong>mer irgendwie be<strong>im</strong><br />

Fußball Schlägereien o<strong>de</strong>r so, das gab’s früher auch schon.<br />

Auch hier zeigt sich die beson<strong>de</strong>re Brisanz <strong>von</strong> Nähe <strong>im</strong> Zusammenhang <strong>von</strong> Distinktion. Die<br />

nahen Gruppen sind stets präsent <strong>und</strong> stellen die Überhöhungsansprüche einer Gruppe in Fra-<br />

ge, <strong>de</strong>nn sie leben fast <strong>im</strong> gleichen Lebensraum, gehen <strong>de</strong>n gleichen Aktivitäten nach, haben<br />

ein ähnliches Selbstverständnis. Diese Nähe lässt wenig Raum für ein positives Absetzen <strong>de</strong>r<br />

Eigengruppe.<br />

Zweitens wer<strong>de</strong>n zwei weitere Gruppen zum Feind. Hier amalgamiert das Feindbild auch mit<br />

irrationalen Hassgefühlen gegenüber <strong>de</strong>n Fans <strong>de</strong>s FC St. Pauli. Diese Ablehnung eint die <strong>von</strong><br />

uns untersuchte Gruppe mit vielen an<strong>de</strong>ren Hooligan-Gruppen in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik. Der FC<br />

St. Pauli hat eine beson<strong>de</strong>re Fangemein<strong>de</strong>, die zu einem größeren Anteil als an<strong>de</strong>rswo aus<br />

Punks, Autonomen etc. besteht. Die ten<strong>de</strong>nziell eher mit <strong>de</strong>m rechten Lager sympathisieren-<br />

<strong>de</strong>n Hools (dies aber keineswegs in Form einer direkten <strong>und</strong> bewussten Zuordnung, <strong>de</strong>nn<br />

niemand <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Befragten wür<strong>de</strong> sich als ‘rechts’ bezeichnen) lehnen diese ungewöhnlichen<br />

Fans ab. Zum einen weil es politische Differenzen gibt, zum an<strong>de</strong>ren - <strong>und</strong> das scheint mir<br />

wichtiger, weil die St. Paulianer das Bild <strong>de</strong>s Fußballfans in gewisser Weise auch karikieren.<br />

Aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r echten Hools sind die Fans vom Millerntor vor allem ‘Asoziale’, ‘Zecken’,<br />

‘Drogenabhängige’ etc., die <strong>de</strong>n Fußballsport verungl<strong>im</strong>pfen o<strong>de</strong>r gar verunreinigen. Gleich-<br />

zeitig stellen sie das auf Männlichkeit <strong>und</strong> Härte beruhen<strong>de</strong> Selbstbild in Frage. Deswegen<br />

stehen ihnen die meisten Hools unversöhnlich gegenüber. Hier fehlt <strong>de</strong>n Selbstdarstellungen<br />

<strong>de</strong>r Befragten auch jene Prägnanz, mit <strong>de</strong>r sie etwa die Produktion <strong>von</strong> Kicks <strong>und</strong> die Außer-<br />

alltäglichkeit ihres Hobbys beschreiben. Wenn es um die Fein<strong>de</strong> geht, wer<strong>de</strong>n die Beschrei-<br />

bungen schwammig <strong>und</strong> stereotyp (z.B. Linke, Zecken). In <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Interviewpassage<br />

zeigt sich dies beispielhaft:<br />

A: Ja, gut, wenn so’ne Mannschaft wie St. Pauli, das, die haben en Ruf nun mal,<br />

das sind Linke, Autonome, die sind in <strong>de</strong>r ganzen Szene irgendwo, also fast <strong>im</strong><br />

ganzen Land irgendwo sind die als Zecken angesehen <strong>und</strong> da geht das schon mal<br />

politischer zur Sache, aber nicht weil die Jungens rechts, son<strong>de</strong>rn einfach weil die<br />

da eben links sind, ne, Kiffer, Drogenabhängige <strong>und</strong> so weiter <strong>und</strong> so fort.<br />

Aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Eigengruppe bedrohen solche abweichen<strong>de</strong>n Fußballfans genauso wie die<br />

Hoolgruppe aus <strong>de</strong>r Nachbarstadt das eigene Selbstbild. Hier wird <strong>de</strong>r ‘rationale’ Rahmen <strong>de</strong>s<br />

Erlebnismanagements verlassen. Nicht die Produktion <strong>von</strong> Gefühlen spielt bei diesen Ausei-<br />

nan<strong>de</strong>rsetzungen eine Rolle. Gewalt ist hier vielmehr Ausdruck <strong>von</strong> Abwertung. Hier liegt ein<br />

typisches Beispiel einer Intergruppenrelation vor, wo über Stereotypisierung <strong>von</strong> Merkmalen<br />

(links, drogenabhängig etc.) ein Feindbild konstruiert wird. Die eigentliche Sache, <strong>de</strong>r Fuß-<br />

276


allsport, tritt dabei völlig in <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong>. Er liefert nur noch <strong>de</strong>n Aktualisierungsanlass<br />

für Gruppenauseinan<strong>de</strong>rsetzungen, die nicht mehr ritualisiert <strong>und</strong> kontrolliert als Spaß unter<br />

Fre<strong>und</strong>en ablaufen. Hier kommt es auch häufiger zu Ausschreitungen gegenüber Unbeteilig-<br />

ten. Den Hools sind dann nicht nur die St. Pauli-Fans, son<strong>de</strong>rn alle Punks als Gegner recht.<br />

Ohnehin hat sich das Feindbild ‘Punk’ in <strong>de</strong>r Hooliganszene mehr <strong>und</strong> mehr verselbständigt.<br />

Nach <strong>de</strong>m Spiel wird durch die entsprechen<strong>de</strong> Stadt gezogen, auf <strong>de</strong>r Suche nach Opfern.<br />

Gegenreaktionen <strong>de</strong>r ‘Opfer’ bleiben meist nicht aus.<br />

Zwischen <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Hooligangruppen ist Verständigung möglich, weil keine ‘echte’<br />

Feindschaft (<strong>von</strong> Ausnahmen abgesehen) besteht. Zu an<strong>de</strong>ren Gruppen wird (aus dargelegten<br />

Grün<strong>de</strong>n) keine Beziehung hergestellt, folglich sind keine Verständigungsprozesse erfor<strong>de</strong>r-<br />

lich. Eine Ausnahme sind die Derbyrivalen, die St. Pauli-Fans <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer mehr die Punks<br />

generell. Aus <strong>de</strong>n dargelegten Motiven sind hier keine rationalen Arrangements, son<strong>de</strong>rn Hass<br />

<strong>und</strong> Ablehnung bezeichnend. Verständigung ist in <strong>de</strong>r stark vorurteilsbela<strong>de</strong>nen Intergruppen-<br />

situation nicht möglich <strong>und</strong> nicht gewünscht.<br />

Auffallend bei <strong>de</strong>n Befragten ist - <strong>und</strong> dies ist ein wichtiger Bestandteil <strong>von</strong> Verstehensleis-<br />

tungen - die Fähigkeit, die eigene Position zu reflektieren <strong>und</strong> zu hinterfragen:<br />

A: Ja, natürlich musst du irgendwo’n Rad abhaben. Irgendwie hat man ‘ne Macke,<br />

wenn man so was macht. Aber es hat keinen Sinn irgendwie an<strong>de</strong>rn Leuten was<br />

aufs Maul zu hauen. Im En<strong>de</strong>ffekt, was hab ich da<strong>von</strong>, wenn ich jetzt aus ‘nem<br />

an<strong>de</strong>rem Verein irgendwem eine aufs Maul haue. Wenn <strong>de</strong> wirklich klar <strong>de</strong>nkst,<br />

hast <strong>de</strong> da<strong>von</strong> gar nichts.<br />

An an<strong>de</strong>rer Stelle doziert <strong>de</strong>r Befragte weiter über sein abweichen<strong>de</strong>s Hobby:<br />

A: Das ist ein Phänomen, was man eigentlich nicht erklären kann. Erklären schon,<br />

aber was ein Normal<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>r, wir sind auch normal<strong>de</strong>nken<strong>de</strong> Menschen, aber<br />

was’n ein Außenstehen<strong>de</strong>r eben nicht begreift, ne. Ich zum Beispiel begreife<br />

nicht, wie man Alkoholiker sein kann o<strong>de</strong>r drogenabhängig, das begreif ich zum<br />

Beispiel nicht. Ich versteh die Leute auch, die machen das, aus irgend’m Gr<strong>und</strong><br />

machen die das, ich würd die nie verurteilen <strong>de</strong>swegen. Genauso wie diejenigen<br />

nicht begreifen, dass ich zum Fußball fahre <strong>und</strong> mich da rumboxe.<br />

Prinzipielle Einsicht in Sinn <strong>und</strong> Unsinn <strong>de</strong>s eigenen Treibens besteht. Die Lebenspraxis zeigt<br />

aber, dass die Thrills viel zu wichtig sind, als dass sie einer Einsicht folgend geopfert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die zusätzliche Rationalisierung <strong>de</strong>s eigenen Han<strong>de</strong>lns (‘Ist ja nur Spaß’) <strong>und</strong> die damit <strong>im</strong>p-<br />

lizierte Folgenlosigkeit für an<strong>de</strong>re machen es zusätzlich leicht, die Einsicht ohne Konsequen-<br />

zen zu belassen.<br />

277


3.5 Gruppenverlauf<br />

Die Gruppe ist in ihrer Größe <strong>und</strong> Struktur ähnlich geblieben. Es hat hinsichtlich <strong>de</strong>s aktiven<br />

Verhaltens Abwan<strong>de</strong>rungen <strong>und</strong> Neuzugänge gegeben. Mit <strong>de</strong>r Zeit haben einige <strong>de</strong>r ‘Alten’<br />

<strong>de</strong>n Ausstieg geschafft. Aus familiären <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r beruflichen Grün<strong>de</strong>n ist für viele die Ära <strong>de</strong>s<br />

Nervenkitzels vorbei. Sie treffen sich allenfalls noch mit <strong>de</strong>n ‘Kumpels’ <strong>von</strong> früher zum Spiel,<br />

verlassen jedoch sozusagen das Feld vor Beginn <strong>de</strong>r dritten Halbzeit. Der ‘Nachwuchs’ hat<br />

sich hochgearbeitet. Damit wur<strong>de</strong>n Positionen innerhalb <strong>de</strong>r Hierarchie erhalten, die Perso-<br />

nen, die diese besetzen, jedoch teilweise ausgetauscht.<br />

Einige <strong>de</strong>r älteren Mitglie<strong>de</strong>r sind <strong>im</strong>mer noch aktiv dabei <strong>und</strong> es hat auch negative Verläufe<br />

gegeben. Nach Auskunft eines Mitarbeiters <strong>de</strong>r Polizei han<strong>de</strong>lt es sich dabei um diejenigen,<br />

die ihr Leben nur schwer <strong>im</strong> Griff haben. Wie zu Beginn gezeigt, besteht die skizzierte Grup-<br />

pe aus Personen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Auffällig ist, dass <strong>de</strong>njenigen<br />

<strong>de</strong>r Ausstieg gelungen scheint, die aus relativ geordneten Verhältnissen kommen, d.h., wo <strong>de</strong>r<br />

soziale Druck <strong>und</strong> berufliche wie familär-emotionale Zukunftsperspektiven wirksam gewor-<br />

<strong>de</strong>n sind. Immer noch dabei <strong>und</strong> - wie noch zu zeigen sein wird - auf einem höheren Gewalt-<br />

niveau <strong>und</strong> teilweise unter Verlust jeglicher Beschränkungen durch einen Ehrenko<strong>de</strong>x, sind<br />

eher diejenigen, die familäre, berufliche o<strong>de</strong>r Drogenprobleme haben. Demnach scheint zwi-<br />

schen <strong>de</strong>n Ausstiegschancen aus <strong>de</strong>r ‘Devianz’ <strong>und</strong> <strong>de</strong>m additiven Charakter <strong>de</strong>rselben ein<br />

enger Zusammenhang zu bestehen.<br />

Deutlich gesagt wer<strong>de</strong>n muss, dass es Verschiebungen hinsichtlich <strong>de</strong>s Gewaltniveaus <strong>und</strong><br />

eng damit verb<strong>und</strong>en Verän<strong>de</strong>rungen <strong>im</strong> Ehrenko<strong>de</strong>x <strong>de</strong>r Gruppe gegeben hat. Einige Mit-<br />

glie<strong>de</strong>r waren an <strong>de</strong>r Eskalation <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich betei-<br />

ligt. Nach Aussagen <strong>de</strong>r Polizei seien sie zwar nicht mit <strong>de</strong>r Absicht nach Frankreich gefah-<br />

ren, <strong>de</strong>n Konflikt mit <strong>de</strong>n französischen Kollegen zu suchen, in Ermangelung eines Gegners<br />

jedoch (die Hooligangruppen wur<strong>de</strong>n durch Bemühungen <strong>de</strong>r Polizei <strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r fern gehal-<br />

ten) wur<strong>de</strong> - wie durch die Medien hinreichend bekannt - die Staatsgewalt Ziel einer Gewalt-<br />

eskalation mit folgenschwerem Ausgang. Unter erheblichem Alkoholeinfluss wur<strong>de</strong> ein Poli-<br />

zist <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Hooligans fast zu To<strong>de</strong> geprügelt. Die Auflösung <strong>de</strong>s Ehrenko<strong>de</strong>xes, wonach<br />

Waffen verboten sein sollen <strong>und</strong> Gewalt dann ein En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t, wenn <strong>de</strong>r Schwächere am Bo-<br />

<strong>de</strong>n liegt, ist eine be<strong>de</strong>nkliche Entwicklung, die die Polizeiexperten beobachten. Das Mitfüh-<br />

ren <strong>von</strong> gefährlichen Waffen - Messern, Pistolen, Baseballschlägern - wird mittlerweile häufig<br />

stillschweigend <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn toleriert. Über die genauen Grün<strong>de</strong> kann mehr<br />

o<strong>de</strong>r weniger nur spekuliert wer<strong>de</strong>n. Jedoch gilt auch hier: Maßgeblich ist die soziale Einbin-<br />

dung <strong>de</strong>r ‘Täter’; die Tatsache o<strong>de</strong>r das Bewusstsein darum, ob es noch viel o<strong>de</strong>r wenig zu<br />

verlieren gibt. Es hat <strong>de</strong>n Anschein, dass die Hooliganszene zunehmend als Sammelbecken<br />

278


für ‘Sozialverlierer’ funktioniert. Damit wäre <strong>im</strong> Hinblick auf zunehmen<strong>de</strong> soziale Probleme,<br />

unter <strong>de</strong>nen insbeson<strong>de</strong>re Jugendliche innerhalb unserer Gesellschaft mehr <strong>und</strong> mehr zu lei-<br />

<strong>de</strong>n haben, eine weitere Eskalation zu befürchten. Hier scheint Sozial- <strong>und</strong> Fanarbeit dringend<br />

<strong>von</strong> Nöten. Insgesamt jedoch betrachtet sind Aktionen wie ‘Lens’ <strong>und</strong> damit einhergehend<br />

verheeren<strong>de</strong> Kontrollverluste <strong>im</strong>mer noch die Ausnahme. Sie stehen nicht für das traditionale<br />

Selbstverständnis <strong>von</strong> Hooligans <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>von</strong> mir untersuchten Szene-Mitglie<strong>de</strong>r.<br />

279


III. Spezialisierte Affektkulturen in <strong>de</strong>r Erlebnisgesellschaft<br />

1. Zur Erlebnisgesellschaft<br />

In <strong>de</strong>r Einleitung habe ich bereits dargestellt, wie vielfältig <strong>und</strong> teilweise originell sich die<br />

Suche <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Menschen nach <strong>de</strong>m ‘beson<strong>de</strong>ren Erlebnis’ gestaltet. Um Themen wie<br />

Ekstase, Tod, Traum, Phantasie, Meditation, Spiritualität, Sekten/Okkultismus, Drogen, Bio-<br />

energetik, mediale <strong>Grenzerfahrung</strong>en, Abenteuer, Reisen <strong>und</strong> Sport ließe sich eine noch län-<br />

gere Liste jeweils ausdifferenzierter Aktivitäten darstellen, die darauf abzielen, aus <strong>de</strong>r Routi-<br />

ne <strong>und</strong> Habitualisierung <strong>de</strong>s Alltags auszubrechen.<br />

In seinem umfangreichen Werk beschreibt Schulze (1993) die mo<strong>de</strong>rne ‘Erlebnisgesellschaft’,<br />

in <strong>de</strong>r sich die individuelle Gestaltung <strong>de</strong>s Lebens nicht mehr an äußeren Notwendigkeiten,<br />

am ‘Überleben’, orientiert, son<strong>de</strong>rn am ‘aufregen<strong>de</strong>n Leben’, das <strong>im</strong> Fokus menschlicher Be-<br />

dürfnisse steht. Er konstatiert:<br />

„Die Problemperspektive <strong>de</strong>s Lebens verlagert sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r instrumentellen auf<br />

die normative Ebene; an die Stelle <strong>de</strong>r technischen Frage ‘Wie erreiche ich X’ tritt<br />

die philosophische Frage ‘Was will ich eigentlich?’ (...) Auf die beispiellosen<br />

Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Situation in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten reagieren die Menschen<br />

mit einer Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r normalen existentiellen Problem<strong>de</strong>finition. Das Erleben<br />

<strong>de</strong>s Lebens rückt ins Zentrum. Unter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>s Imperativs ‘Erlebe Dein<br />

Leben’ entsteht eine sich perpetuieren<strong>de</strong> Handlungsdynamik, organisiert <strong>im</strong> Rahmen<br />

eines rasant wachsen<strong>de</strong>n Erlebnismarktes, <strong>de</strong>r kollektive Erlebnismuster beeinflusst<br />

<strong>und</strong> soziale Milieus als Erlebnisgemeinschaften prägt“ (ebd. 1993, S.<br />

34).<br />

Auch in seiner Begrifflichkeit hat das Phänomen in <strong>de</strong>n letzten Jahren einen regelrechten<br />

Boom erlebt. Der semantische Raum unserer Sprache stellt sich als ein einziges Erlebnis dar:<br />

Erlebnisorientierung, Erlebnismarkt, Erlebnispark, Erlebnisbad, Erlebnisreisen, Erlebnishun-<br />

ger, Erlebnismesse, Erlebnispädagogik, Erlebnismarketing, 125 Erlebniskauf, Erlebnisseminare<br />

- Erlebnisgesellschaft. Das Leben wird so gleichsam zu einem einzigen ‘Erlebnisprojekt’:<br />

125 Entsprechend <strong>de</strong>r üblichen Anglizismen in Werbung <strong>und</strong> Marketing distanziert man sich hier vom gleichsam<br />

provinziell anmuten<strong>de</strong>n Erlebnisbegriff <strong>und</strong> spricht schon längst vom ‘Event’. So gibt es <strong>de</strong>n regelmäßig<br />

stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n ‘Deutschen Eventmarketing-Kongress’ o<strong>de</strong>r auch die jährliche ‘World of Events’ als internationale<br />

Fachmesse für Event-Marketing.<br />

280


„All diese Ästhetisierung <strong>und</strong> Pseudo-Entästhetisierung <strong>von</strong> Produkten ist Teil eines<br />

umfassen<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>ls, <strong>de</strong>r nicht auf <strong>de</strong>n Markt <strong>de</strong>r Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

beschränkt bleibt. Leben schlechthin ist zum Erlebnisprojekt gewor<strong>de</strong>n. Zunehmend<br />

ist das alltägliche Wählen zwischen Möglichkeiten durch <strong>de</strong>n bloßen Erlebniswert<br />

<strong>de</strong>r gewählten Alternative motiviert: Konsumartikel, Eßgewohnheiten,<br />

Figuren <strong>de</strong>s politischen Lebens, Berufe, Partner, Wohnsitutationen, Kind o<strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>rlosigkeit. Der Begriff <strong>de</strong>s Erlebnisses ist mehr als ein Terminus <strong>de</strong>r Freizeitsoziologie.<br />

Er macht die mo<strong>de</strong>rne Art zu leben insgesamt zum Thema“ (ebd.<br />

1993, S. 13f). 126<br />

2. Spezialkulturen in <strong>de</strong>r Erlebnisgesellschaft<br />

Einen ähnlichen Ansatz haben die Trierer Soziologen entwickelt. Sie sprechen <strong>von</strong> speziali-<br />

sierten (Affekt)Kulturen, die sich in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaft herauskristallisieren. Ausge-<br />

hend <strong>von</strong> einer historisch-strukturtheoretischen Arbeit (vgl. Winter/Eckert 1990) wur<strong>de</strong>n ver-<br />

schie<strong>de</strong>nste Spezialkulturen in unterschiedlichen Studien (Gewalt/Horror, Sexuali-<br />

tät/Pornographie, Neue Medien/Computernetzwerke/Internet, agressionsaffine Jugendgrup-<br />

pen) nachgezeichnet. 127 Das Phänomen <strong>de</strong>r Spezialkulturen wird dabei wie folgt erklärt:<br />

„Zentrales Charakteristikum <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen, medienvermittelten Kultur scheint zu<br />

sein, spezifische Gefühlslagen <strong>und</strong> -praxen, die in <strong>de</strong>r bisherigen Geschichte <strong>de</strong>r<br />

Menschheit in religiöse, familiale, politische <strong>und</strong> militärische Symbolik eingeb<strong>und</strong>en<br />

waren, aus diesen übergreifen<strong>de</strong>n Sinnzusammenhängen herauszulösen<br />

<strong>und</strong> sie isoliert <strong>und</strong> spezialisiert zur ‘Wahl’ zu stellen. So lassen sich spezifische<br />

Meditationstechniken in <strong>de</strong>r Hoffnung auf spirituelle Erfahrungen einüben, ohne<br />

das Lehrgebäu<strong>de</strong> zu übernehmen, in <strong>de</strong>m sie entwickelt wor<strong>de</strong>n sind; so können<br />

die <strong>Grenzerfahrung</strong>en eines Überlebenstrainings ‘gebucht’ wer<strong>de</strong>n, ohne dass sie<br />

als Vorbereitung auf einen Krieg 'Sinn' machen; so sind symmetrische Kommunikationsformen<br />

erlernbar, ohne dass diese an genossenschaftlich-<strong>de</strong>mokratische<br />

Organisationsstrukturen geb<strong>und</strong>en wären. Liebe <strong>und</strong> Sexualität, die auch in <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit eher normativ als faktisch an Ehe <strong>und</strong> Familie geb<strong>und</strong>en waren,<br />

legit<strong>im</strong>ieren sich zusehends aus sich selbst. Nach<strong>de</strong>m die persönlichen Beziehungen<br />

heute weitestgehend aus <strong>de</strong>r Jurisdiktion <strong>und</strong> Kontrolle <strong>von</strong> Verwandtschaft<br />

<strong>und</strong> Nachbarschaft entlassen sind, ist nicht einfach ein ‘Freiraum’ entstan<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn eher ein Marktplatz, auf <strong>de</strong>m Menschen als Anbieter <strong>und</strong> Nachfrager <strong>von</strong><br />

Fre<strong>und</strong>schaft, Liebe, Geborgenheit <strong>und</strong> Abenteuer auftreten. Auf diesen Märkten<br />

differenzieren sich spezifische Sinnwelten heraus, die wir als Spezialkulturen bezeichnen.<br />

In ihnen fin<strong>de</strong>n sich Menschen zusammen, die eine gemeinsame Wahrnehmung<br />

<strong>de</strong>r Wirklichkeit o<strong>de</strong>r gemeinsame Interessen <strong>und</strong> Spezialisierungen<br />

126 Schon <strong>de</strong>r Autokauf hängt nicht mehr <strong>von</strong> funktionalen Aspekten ab, son<strong>de</strong>rn vom Erlebniswert, <strong>de</strong>n diese<br />

o<strong>de</strong>r jene Automarke vermittelt (BMW postuliert ‘Freu<strong>de</strong> am Fahren’ <strong>im</strong> Cla<strong>im</strong> <strong>de</strong>r Marke).<br />

127 Vgl. Eckert u.a. (1990; 1991); Eckert u.a. (2000); Wetzstein u.a. (1995)<br />

281


verbin<strong>de</strong>t. Dabei ist es nicht erfor<strong>de</strong>rlich, dass zwischen allen Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Spezialkulturen unmittelbare face-to-face-Beziehungen entstehen, vielmehr gruppieren<br />

sie sich auch überlokal um spezifische Themen <strong>und</strong> Sinnangebote“ (Wetzstein<br />

u.a. 1993, S. 17f).<br />

Als ein Gr<strong>und</strong> für die Herausbildung <strong>von</strong> Spezialkulturen ist die kommunikative Infrastruktur<br />

<strong>de</strong>r Medien zu nennen, die es <strong>im</strong>mer leichter macht, ‘Wahlnachbarschaften’ für spezielle Inte-<br />

ressen aufzubauen. Ein an<strong>de</strong>rer <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ener Gr<strong>und</strong> liegt in <strong>de</strong>m Be<strong>de</strong>utungszu-<br />

wachs <strong>de</strong>r Selbstverwirklichung. Mit <strong>de</strong>r Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Bildungsbeteiligung erfahren <strong>im</strong>-<br />

mer mehr Menschen, dass sie selbst Gegenstand ihrer Arbeit sind <strong>und</strong> sein müssen (vgl.<br />

Eckert 1984; Eckert 1990). Gesteigerte Reflexivität <strong>und</strong> Selbstbezogenheit ist die Folge. Der<br />

sich Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> wird ten<strong>de</strong>nziell zum Baumeister seiner eigenen I<strong>de</strong>ntität.<br />

Der Schub an Reflexivität in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten, maßgeblich getragen durch die mediale<br />

Universalisierung <strong>von</strong> Selbstbezogenheit <strong>und</strong> Selbstverwirklichungsi<strong>de</strong>alen, führt zu <strong>im</strong>mer<br />

weiter fortschreiten<strong>de</strong>n Differenzierungen, zur Herausbildung <strong>von</strong> <strong>im</strong>mer neuen Spezialkultu-<br />

ren, in <strong>de</strong>nen <strong>im</strong>mer spezifischere Bedürfnisse ausgelebt <strong>und</strong> ausagiert wer<strong>de</strong>n. Während<br />

Selbstverwirklichung in <strong>de</strong>r bildungsbürgerlichen Tradition noch begründungspflichtig war,<br />

<strong>und</strong> beispielsweise durch <strong>de</strong>n genialen Beitrag zur Innovation in Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft legi-<br />

t<strong>im</strong>iert wur<strong>de</strong>, ist heute bereits durch die unzähligen Wahlmöglichkeiten <strong>im</strong> Konsum sicher-<br />

gestellt, dass die subjektive Gefühlslage zum Kriterium wer<strong>de</strong>n kann, auch ohne dass dies<br />

begründungspflichtig ist. Der Wi<strong>de</strong>rspruch zwischen Pflicht <strong>und</strong> Neigung, wie er bei Kant<br />

<strong>und</strong> Schiller thematisiert wird, ist in vielen Lebensbereichen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Freizeit, durch<br />

die Selbstlegit<strong>im</strong>ation <strong>de</strong>r Neigung aufgelöst. Erlebnisorientierte Spezialisierungen gehören<br />

<strong>de</strong>shalb zur Gr<strong>und</strong>struktur <strong>de</strong>r Freizeitgesellschaft. 128<br />

3. Außeralltäglichkeit, Gewalt <strong>und</strong> Zivilisation<br />

Neben Spezialkulturen, die sich um Themen wie ‘Aquarell-Malen’, ‘Briefmarken-Sammeln’,<br />

‘Mo<strong>de</strong>lleisenbahn’, ‘He<strong>im</strong>werken’ o<strong>de</strong>r ‘Camping’ herauskristallisieren, haben sich auch sol-<br />

128 Selbstverwirklichung be<strong>de</strong>utet dann aber auch Selbstvergewisserung hinsichtlich <strong>de</strong>s Körpers <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gefühle.<br />

Sie wird hergestellt in persönlichen Beziehungen, <strong>im</strong> Extremsport, <strong>im</strong> Medienkonsum. Der Wunsch, <strong>de</strong>n<br />

Körper, das an<strong>im</strong>alische, <strong>de</strong>n Affekt zu spüren, <strong>Grenzerfahrung</strong>en <strong>und</strong> Ekstase zu erleben, ist Ausdruck einer<br />

postmo<strong>de</strong>renen Variante <strong>de</strong>r Selbstthematisierung, die in <strong>im</strong>mer schnellerem Tempo <strong>im</strong>mer neue Räume <strong>de</strong>r<br />

Außeralltäglichkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Thrills produziert. Körpererfahrung wird für manche Menschen zum zentralen<br />

Konstruktionsprinzip <strong>de</strong>r subjektiven I<strong>de</strong>ntität, weil gera<strong>de</strong> sie unhintergehbare Authentizität zu beglaubigen<br />

scheint (vgl. Trilling 1989).<br />

282


che etabliert, in <strong>de</strong>nen Körper- <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong>en ausgelebt wer<strong>de</strong>n können, die wir nor-<br />

malerweise aus unserem Verhaltensrepertoire sowohl <strong>im</strong> beruflichen als auch <strong>im</strong> privaten<br />

Rahmen ausklammern (Angst, Rausch, Ekstase, Schmerz, Ekel, Wut, Thrill). Menschen su-<br />

chen hier an<strong>de</strong>rs gerahmte Situationen - Beispiele sind Urlaub (‘Ballermann Mallorca’) o<strong>de</strong>r<br />

auch <strong>de</strong>r Karneval - auf, um ihre Affekte (dort, wo niemand sie kennt) auszuleben.<br />

Heute haben sich für diese Erlebnisformen regelrechte Emotionsmärkte herausgebil<strong>de</strong>t, die in<br />

ganz unterschiedlichen Bereichen (z.B. Sport, Meditation, Drogen, Sexualität, Sekten, Selbst-<br />

findungsgruppen o<strong>de</strong>r mediale Extremsituationen) ähnliche Gefühls- <strong>und</strong> Körpererfahrungen<br />

ermöglichen. 129 Durch sie sollen die ‘an<strong>im</strong>alischen Lei<strong>de</strong>nschaften’ (vgl. Vincent 1990) aus<br />

<strong>de</strong>r alltäglichen Mäßigung herausgehoben <strong>und</strong> extreme Gefühls- <strong>und</strong> Ich-Erfahrungen durch-<br />

lebt wer<strong>de</strong>n. Ekstasen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Extrem-Emotionen sind heute frei verfügbar. Je<strong>de</strong>r kann -<br />

sofern er will - seine Grenzen suchen <strong>und</strong> überschreiten. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sport bietet heute hierfür<br />

zahlreiche Möglichkeiten. Man<strong>de</strong>ll (1981) vermutet für <strong>de</strong>n Marathonlauf, dass - ausgelöst<br />

durch komplexe neurochemisch-elektrophysiologische Reaktionen - neben <strong>de</strong>m sogenannten<br />

‘first second wind’ auch <strong>de</strong>r ‘second second wind’ entsteht. Mit bei<strong>de</strong>n gehen rauschähnliche<br />

Zustän<strong>de</strong> einher, die <strong>im</strong> ‘second second wind’ nochmals gesteigert wer<strong>de</strong>n: "In the long-<br />

distance runner the second wind is beyond pain, hunger, thirst, anger, or <strong>de</strong>pression: transcen-<br />

<strong>de</strong>nt" (ebd., S. 217). Ein an<strong>de</strong>res Beispiel ist das Bungee-Jumping. Der Sprung aus großer<br />

Höhe, nur durch ein Gummiseil gesichert, führt zu komplexen körperlichen Reaktionen.<br />

Schon vor <strong>de</strong>m Sprung führen spezifische physiologische Prozesse zu einer verän<strong>de</strong>rten<br />

Selbstwahrnehmung, die nach überstan<strong>de</strong>nem freien Fall in ein euphorisches Gefühl mün<strong>de</strong>t<br />

(vgl. Hoppe 1992).<br />

Auch aggressionsaffine Affekte <strong>und</strong> Gewalt (fiktiv o<strong>de</strong>r real) wer<strong>de</strong>n in spezialisierten Kultu-<br />

ren ausgelebt. Solche Spezialkulturen kristallisieren sich um mediale Gewaltinszenierungen<br />

(Literatur, Kino, Vi<strong>de</strong>o, Computer/Internet), wie sie in <strong>de</strong>n Arbeiten <strong>von</strong> Eckert u.a. (1990;<br />

129 Die Ähnlichkeit solcher Erlebnisse ver<strong>de</strong>utlicht die folgen<strong>de</strong> Schil<strong>de</strong>rung eines begeisterten Bergsteigers:<br />

"Dort oben wer<strong>de</strong> ich ganz einfach herrlich stark <strong>und</strong> entfesselt, tief aus <strong>de</strong>m Körper heraus. Ich lebe ein Leben<br />

<strong>de</strong>r ungewohnten Fülle. Schuften wie ein Wil<strong>de</strong>r, essen wie ein Wil<strong>de</strong>r, Mut-Taten tun wie ein Barbar.<br />

Ja, durch <strong>und</strong> durch wild sein, danach bin ich süchtig. Das Saft- <strong>und</strong> Machtgefühl spüren, das aus <strong>de</strong>m vollen<br />

Körpererleben kommt. Worte sind da so schwach, dieses Daseinsgefühl zu beschreiben. Es ist ein Lebensgefühl<br />

<strong>de</strong>r vollen Pulse, ein Raubtiergefühl. Die Käfige sind offen, die Dompteure sind fort, das Raubtier ist los.<br />

Da kriegt das Dasein eine ganz an<strong>de</strong>re Fülle <strong>und</strong> Selbstverständlichkeit. Eine neue Lebensgewißheit ist da,<br />

die nicht erst durch Gedanken gedacht sein muß. Die Basis <strong>de</strong>s Daseins ist klar: Da ist die Bergnatur <strong>und</strong><br />

mein Raubtier-Ich. Das gibt ein Wechselspiel, das läuft <strong>von</strong> selbst. Ich bin inzwischen ganz zufrie<strong>de</strong>n, wenn<br />

mir am Berg das Geistige abhan<strong>de</strong>n kommt. Dafür han<strong>de</strong>le ich mir Stärke <strong>und</strong> Wildheit ein, ein großes Lebensgefühl,<br />

das <strong>von</strong> unten, aus <strong>de</strong>n Knochen, aus <strong>de</strong>n Muskeln <strong>und</strong> Eingewei<strong>de</strong>n kommt. Klare <strong>und</strong> gewaltige<br />

Rhythmen teilen das Leben ein, Spannung <strong>und</strong> Erlösung, Zweifel <strong>und</strong> Triumph, Hunger <strong>und</strong> Sättigung"<br />

(Aufmuth, 1984, S. 89f).<br />

283


1991) <strong>und</strong> Winter (1995) beschrieben wer<strong>de</strong>n. Der Sport bzw. Kampfsportarten wie Catchen,<br />

Ringen, Boxen o<strong>de</strong>r Fechten sind weitere Beispiele <strong>de</strong>r Manifestation <strong>von</strong> Gewalt. Schließlich<br />

sehen wir in jugendkulturellen Szenen, dass Gewalt als Selbstzweck inszeniert <strong>und</strong> als Mittel<br />

<strong>de</strong>r Distinktion eingesetzt wird (vgl. Eckert u.a. 2000).<br />

Gewalt ist aber keineswegs ausschließlich ein Phänomen unserer Zeit bzw. unseres westlichen<br />

Kulturkreises. Ihre Verbreitung <strong>und</strong> Kultivierung <strong>im</strong> Alltag, <strong>im</strong> Krieg o<strong>de</strong>r in Opferritualen<br />

wird <strong>von</strong> Anthropologen, Ethnologen <strong>und</strong> Historikern beschrieben. Gay (2000) beschäftigt<br />

sich mit <strong>de</strong>n vielfältigen, individuellen <strong>und</strong> kollektiven, Erscheinungsformen ‘kultivierter’<br />

Gewalt in <strong>de</strong>r bürgerlichen Gesellschaft <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Einen Überblick über <strong>de</strong>n Um-<br />

gang mit Gewalt in unterschiedlichen historischen Epochen <strong>und</strong> geographischen Regionen<br />

liefern Sieferle/Breuninger (1998). 130 In seinem ‘Traktat über die Gewalt’ spricht Sofsky vom<br />

gewaltdisponierten Gattungswesen Mensch. An verschie<strong>de</strong>nen historischen Beispielen erläu-<br />

tert er unterschiedliche Formen <strong>und</strong> Eskalationsmechanismen <strong>de</strong>r Gewalt, die zu einer „ent-<br />

grenzten Freiheit“ wird, sobald nur alle Zwecke <strong>und</strong> Disziplinierungen abgestreift sind. Die<br />

„menschliche Bestialität“ könne we<strong>de</strong>r kulturell durch die jeweiligen Sitten noch individuell<br />

durch psychische Dispositionen <strong>de</strong>r Täter erklärt wer<strong>de</strong>n; Sofsky geht vielmehr <strong>von</strong> Gewalt-<br />

faszination <strong>im</strong> Sinne einer anthropologischen Konstante aus:<br />

„Alle Aspekte menschlichen Han<strong>de</strong>lns können sich in einer Bluttat vereinigen. Da<br />

ist <strong>de</strong>r Genuß <strong>de</strong>r Ausschweifung, das Hohngelächter über das Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Opfer,<br />

die Entgrenzung <strong>de</strong>s Affektes. Da ist die gleichgültige Gewohnheit, das wie<strong>de</strong>rholte<br />

Ritual <strong>de</strong>r Inszenierung, <strong>de</strong>r regelmäßige Ablauf <strong>de</strong>s Schlachtfestes. Da ist<br />

die Kreativität <strong>de</strong>s Exzesses, die Geselligkeit <strong>de</strong>r Mör<strong>de</strong>r, die Zusammenarbeit <strong>de</strong>r<br />

Spießgesellen <strong>und</strong> Zuträger, <strong>und</strong> da ist nicht zuletzt <strong>de</strong>r erfolgreiche Plan, <strong>de</strong>r<br />

Kalkül, die Rationalität <strong>de</strong>r Grausamkeit“ (ebd. S. 49). Die Entgrenzung <strong>de</strong>r Gewalt<br />

wird durch ihre „Ordnung“ reguliert bzw. unterdrückt, doch die „Lei<strong>de</strong>nschaft“<br />

hat weiterhin Bestand: „Auf die alten Triebkräfte mag auch <strong>de</strong>r Staat nicht<br />

verzichten. Er stellt die Affekte in seinen Dienst <strong>und</strong> läßt sie bei Gelegenheit frei.<br />

Dem zuverlässigen Soldaten steht <strong>de</strong>r wil<strong>de</strong> Berserker zur Seite, die organisierte<br />

Razzia wird <strong>von</strong> einer lynchen<strong>de</strong>n Straßenmeute angefeuert, die kühle Grausamkeit<br />

<strong>de</strong>s Vollstreckers gewinnt Elan durch die Hitze <strong>de</strong>s Aktionsexzesses“ (ebd. S.<br />

22).<br />

Mit Eibl/Eibesfeld (1976) ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass Aggression <strong>und</strong> Sexualität gleichsam<br />

zur Gr<strong>und</strong>ausstattung eines je<strong>de</strong>n Menschen gehört. Ihre Inszenierung <strong>und</strong> Kontrolle jedoch<br />

steht <strong>im</strong> <strong>Kontext</strong> <strong>de</strong>r Zivilisationsgeschichte, die <strong>de</strong>n Menschen eine <strong>im</strong>mer stärkere Beherr-<br />

130 Vgl. auch: Colpe/Schmidt-Biggemann (1993); Sorel (1981) sowie <strong>de</strong>n historischen Abriss medialer Gewaltdarstellungen,<br />

<strong>de</strong>n Hartwig (1986) in seiner Publikation „Die Grausamkeit <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r“ untern<strong>im</strong>mt. Einen<br />

ausführlichen Überblick über Gewalt in Opferritualen liefert Girard (1992).<br />

284


schung abverlangt. So kann das Ausleben <strong>de</strong>r Affekte als eine Reaktion auf die Verhaltens-<br />

normen <strong>de</strong>s Alltags, die ein beständiges, vernunft- <strong>und</strong> zweckorientiertes Han<strong>de</strong>ln for<strong>de</strong>rn,<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Die Vergegenwärtigung <strong>de</strong>r zivilisatorischen Transformationen seit <strong>de</strong>m<br />

Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit, wie Elias (1976) sie untersucht hat, ver<strong>de</strong>utlichen diese Funktion. Elias<br />

zufolge ist <strong>de</strong>r Affekthaushalt <strong>de</strong>s heutigen Individuums durch best<strong>im</strong>mte soziale <strong>und</strong> kultu-<br />

relle Einflüsse geprägt wor<strong>de</strong>n, was er exemplarisch an <strong>de</strong>r höfischen Gesellschaft darstellt.<br />

Waren unmittelbare <strong>und</strong> spontane Affekte in vormo<strong>de</strong>rner Zeit durchaus übliche <strong>und</strong> akzep-<br />

tierte Verhaltensformen, so sind es heute vor allem das rationale Kalkül <strong>und</strong> die Selbstkon-<br />

trolle, die <strong>de</strong>n Umgang mit an<strong>de</strong>ren Menschen prägen.<br />

Für diese psychogenetischen Verän<strong>de</strong>rungen macht Elias gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> gesellschaftliche<br />

Umwälzungen verantwortlich. 131 Gesellschaften auf einem höheren Komplexitäts- <strong>und</strong> Inter-<br />

<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzniveau sind ohne ein stabiles Gewaltmonopol nicht <strong>de</strong>nkbar. Die individuelle Ge-<br />

walthandlung wird zu einer Bedrohung <strong>de</strong>r allgemeinen Befriedung. Deswegen sind Gewalt<br />

<strong>und</strong> Aggression durch ein strenges Normkorsett begrenzt <strong>und</strong> nur <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r seine Affekte<br />

unter Kontrolle hat, braucht keine negative Sanktionen zu befürchten. Dem unkontrollierten<br />

<strong>und</strong> unberechenbaren Individuum droht hingegen Bestrafung <strong>und</strong> Kasernierung. Aber nicht<br />

nur hinsichtlich aggressiver Affektäußerungen wird <strong>de</strong>m einzelnen Menschen ein best<strong>im</strong>mtes<br />

Verhalten abverlangt, son<strong>de</strong>rn auch in bezug auf sein ganzes Verhalten. Es errichtete sich -<br />

um mit Foucault (1977, S. 230) zu sprechen - eine "Mikro-Justiz <strong>de</strong>r Zeit (Verspätungen,<br />

Abwesenheiten, Unterbrechungen), <strong>de</strong>s Körpers (falsche Körperhaltungen <strong>und</strong> Gesten, Un-<br />

sauberkeit), <strong>de</strong>r Sexualität (Unanständigkeit, Schamlosigkeit)." Das zunächst äußere Zwangs-<br />

system verän<strong>de</strong>rt sich evolutionär mehr <strong>und</strong> mehr in einen Selbstzwang <strong>und</strong> funktioniert<br />

gleichsam als internalisierter Automatismus. Das zivilisierte, ‘triebgedämpfte’ Verhalten er-<br />

scheint als natürlich.<br />

Elias (1976, S. 328f) folgert nun weiter, dass das Erleben <strong>von</strong> Affekten abgeschwächt <strong>und</strong><br />

neutralisiert wird: "Wie die Monopolisierung <strong>de</strong>r physischen Gewalt die Angst <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Schrecken verringert, die <strong>de</strong>r Mensch vor <strong>de</strong>m Menschen haben muß, aber zugleich auch die<br />

Möglichkeit, An<strong>de</strong>ren Schrecken, Angst, o<strong>de</strong>r Qual zu bereiten, also die Möglichkeit zu be-<br />

st<strong>im</strong>mten Lust- <strong>und</strong> Affektentladungen, so sucht auch die stetige Selbstkontrolle, an die nun<br />

<strong>de</strong>r Einzelne mehr <strong>und</strong> mehr gewöhnt wird, die Kontraste <strong>und</strong> plötzlichen Umschwünge <strong>im</strong><br />

Verhalten, die Affektgela<strong>de</strong>nheit aller Äußerungen gleichermaßen zu verringern. Wozu <strong>de</strong>r<br />

Einzelne nun gedrängt wird, ist eine Umformung <strong>de</strong>s ganzen Seelenhaushalts <strong>im</strong> Sinne einer<br />

131 Einen allgemeinen Überblick zu <strong>de</strong>n komplexen Transformationen <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne geben auch: Aries/Duby<br />

(1990); Beck (1986); Beck/Beck-Gernshe<strong>im</strong> 1990; Brau<strong>de</strong>l (1985); Hahn (1984); Luhmann (1984); Tenbruck<br />

(1989).<br />

285


kontinuierlichen, gleichmäßigen Regelung seines Trieblebens <strong>und</strong> seines Verhaltens nach<br />

allen Seiten hin. (...) Aber wie er nun stärker als früher durch seine funktionelle Abhängigkeit<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>r Tätigkeit einer <strong>im</strong>mer größeren Anzahl Menschen geb<strong>und</strong>en ist, so ist er auch in sei-<br />

nem Verhalten, in <strong>de</strong>r Chance zur unmittelbaren Befriedigung seiner Neigungen <strong>und</strong> Triebe<br />

unvergleichlich viel beschränkter als früher. Das Leben wird in gewissem Sinne gefahrloser,<br />

aber auch affekt- <strong>und</strong> lustloser, min<strong>de</strong>stens was die unmittelbare Äußerung <strong>de</strong>s Lustverlan-<br />

gens angeht" (Elias 1976, S. 331).<br />

Die Nivellierung <strong>de</strong>r äußerlich sichtbaren Emotionsregungen be<strong>de</strong>utet aber noch nicht, dass<br />

<strong>de</strong>r Mensch auch innerlich befrie<strong>de</strong>t ist. Zwar kann er seinen Gefühlen nicht mehr freien Lauf<br />

lassen, das be<strong>de</strong>utet aber nicht, dass sie nicht mehr da wären. 132 Je<strong>de</strong>r Mensch lebt <strong>de</strong>shalb <strong>im</strong><br />

Spannungsverhältnis <strong>von</strong> zivilisatorischen Selbstkontrollzwängen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m inneren Aufbe-<br />

gehren gegen diese Restriktionen, was sich in <strong>de</strong>n temporären Befreiungsversuchen <strong>von</strong> die-<br />

sen Verhaltensstandards äußert: "Aber die Triebe, die lei<strong>de</strong>nschaftlichen Affekte, die jetzt<br />

nicht mehr unmittelbar in <strong>de</strong>n Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n Menschen zum Vorschein kommen<br />

dürfen, kämpfen nun oft genug nicht weniger heftig in <strong>de</strong>m Einzelnen gegen diesen überwa-<br />

chen<strong>de</strong>n Teil seines Selbst" (ebd). 133<br />

Demnach muss das Individuum <strong>im</strong> Alltag das Verhalten zeigen, das <strong>von</strong> ihm erwartet wird.<br />

Eine Vielzahl <strong>von</strong> ritualisierten Verhaltensschablonen, wie Goffman sie beschrieben hat (vgl.<br />

Kap. III. 1.5.2), sichern dabei die Stabilität <strong>und</strong> Zuverlässigkeit <strong>de</strong>r Handlungen <strong>de</strong>s Indivi-<br />

duums <strong>und</strong> gewähren auch in best<strong>im</strong>mtem Umfang Kontrollentlastungen, weil sie mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger automatisch realisiert wer<strong>de</strong>n. Unmittelbar mit <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Alltags ist die<br />

132 Deutlich zeigt sich diese Feststellung <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Sexualität, wie Bataille (1982, S. 88) treffend formuliert:<br />

"Der Liebesakt <strong>und</strong> das Opfer <strong>de</strong>cken bei<strong>de</strong> dasselbe auf: das Fleisch. Das Opfer läßt an die Stelle <strong>de</strong>r<br />

geordneten Funktionen <strong>de</strong>s Lebewesens das Blin<strong>de</strong> zucken <strong>de</strong>r Organe treten. Dasselbe gilt für die erotische<br />

Konvulsion: sie befreit die blutgefüllten Organe, <strong>de</strong>ren blin<strong>de</strong>s Spiel sich über das überlegte Wollen <strong>de</strong>r Lieben<strong>de</strong>n<br />

hinaus fortsetzt. Auf das überlegte Wollen folgen die tierischen Bewegungen <strong>de</strong>r vom Blut geschwellten<br />

Organe. Eine Gewalttätigkeit, die <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Vernunft nicht mehr kontrolliert wird, beherrscht diese<br />

Organe, spannt sie bis zum Platzen, <strong>und</strong> plötzlich wird es zu einer Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Herzen, <strong>de</strong>m Überschwang dieses<br />

Sturmes nachzugeben. Die Bewegung <strong>de</strong>s Fleisches überschreitet, während <strong>de</strong>r Wille abwesend ist, eine<br />

Grenze. Das Fleisch ist in uns jener Exzess, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>m Gesetz <strong>de</strong>s Anstands wi<strong>de</strong>rsetzt. Das Fleisch ist <strong>de</strong>r<br />

angebore Feind jener, die das christliche Verbot quält; wenn es aber, wie ich glaube, ein vages <strong>und</strong> umfassen<strong>de</strong>s<br />

Verbot gibt, das sich in verschie<strong>de</strong>nen, <strong>von</strong> Zeit <strong>und</strong> Ort abhängigen Formen <strong>de</strong>r sexuellen Freiheit<br />

entgegenstellt, so ist das Fleisch Ausdruck für die Rückkehr dieser bedrohlichen Freiheit."<br />

133 Die Theorie <strong>von</strong> Norbert Elias sieht Sieferle (1998, S. 27) in Anthony Burgess Roman ‘Clockwork Orange’<br />

plastisch illustriert: „Am Anfang steht die Gewalt <strong>de</strong>r Täter, die in <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Zufügung <strong>von</strong><br />

Leid ihre private Lust gewinnen. Sie fin<strong>de</strong>n Macht, Selbstachtung <strong>und</strong> Anerkennung, wenn sie an<strong>de</strong>re verletzen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>mütigen können. Doch dann verkehren sich die Fronten. Der Schläger wird zivilisiert, er unterliegt<br />

<strong>de</strong>r strafen<strong>de</strong>n Umkonditionierung, seine Schmerzschwelle wird gesenkt, was ihn zur Empathie, zur Lei<strong>de</strong>nsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> zur Friedfertigkeit erzieht. Diese Disziplinierung wird jedoch als Traumatisierung erfahren:<br />

Ihm wird eine offene W<strong>und</strong>e <strong>im</strong>plantiert, die bei <strong>de</strong>r kleinsten Reizung schmerzt.“<br />

286


Außeralltäglichkeit verb<strong>und</strong>en, die als temporärer Ausstieg aus <strong>de</strong>n allgemein gelten<strong>de</strong>n Ver-<br />

haltenskonventionen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann. Den Alltag als Bezugspunkt <strong>de</strong>r Außeralltäg-<br />

lichkeit beschreibt Weber (1921/1976) in seinen soziologischen Gr<strong>und</strong>begriffen bzw. in seiner<br />

Theorie sozialen Han<strong>de</strong>lns als ein sich in sehr kleinen Abstän<strong>de</strong>n regelmäßig wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>ln. Somit liegt <strong>de</strong>r Unterschied zwischen Alltag <strong>und</strong> Außeralltäglichkeit in <strong>de</strong>r Häufig-<br />

keit <strong>de</strong>s Vorkommens. Weber versteht unter Alltag aber auch gelebtes, traditionales Han<strong>de</strong>ln.<br />

Zum Alltag dazu gehörig fasst er schließlich zweckrationales Han<strong>de</strong>ln, das durch die rationale<br />

Abwägung <strong>de</strong>s Zwecks, <strong>de</strong>r zu verwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Mittel <strong>und</strong> <strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong>n Nebenfolgen<br />

gekennzeichnet ist. 134 Mit <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Rationalisierung <strong>de</strong>r Welt unterstellt Weber<br />

(1921/1988) die Abnahme <strong>von</strong> magischen <strong>und</strong> mystischen Vorgängen <strong>und</strong> bezeichnet diesen<br />

jahrh<strong>und</strong>ertelangen Prozess, <strong>de</strong>r bereits in frühen Hochkulturen begonnen habe <strong>und</strong> bis heute<br />

anhält, als die „Entzauberung <strong>de</strong>r Welt“. Luckmann (1991) formuliert, dass die ‘Religion’<br />

nicht verschwin<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn diff<strong>und</strong>iert. Menschen haben religiöse <strong>und</strong> o<strong>de</strong>r spirituelle Erleb-<br />

nisse in an<strong>de</strong>ren, unterschiedlichen Bereichen, so z.B. <strong>de</strong>r Zapfenstreich be<strong>im</strong> Militär. Auch<br />

<strong>im</strong> Sport <strong>und</strong> in verschie<strong>de</strong>nen Hobbys sind vormals religiöse Erfahrungen vorhan<strong>de</strong>n. 135<br />

Rituale übernehmen hier eine beson<strong>de</strong>re Funktion: Einerseits strukturieren sie <strong>de</strong>n Alltag,<br />

machen Verhalten erwartbar; an<strong>de</strong>rerseits stellen Rituale aber gera<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>n Übergang vom<br />

134 Die Dialektik <strong>von</strong> Alltag <strong>und</strong> Außeralltäglichkeit vermag Schulze (1999, S. 79) an einem sehr einfachen, aber<br />

plastischen Beispiel zu beschreiben: „Der Film ‘Baka’, vor Jahrzehnten <strong>von</strong> französischen Ethnologen gedreht,<br />

gibt Szenen aus <strong>de</strong>m Leben eines Naturvolks in Afrika wie<strong>de</strong>r. Ab <strong>und</strong> zu sieht man einen alten Mann,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn signalisiert, dass er ihnen eine Geschichte erzählen möchte. Die Kin<strong>de</strong>r hören auf zu spielen,<br />

setzen sich hin <strong>und</strong> schauen ihn erwartungsvoll an. Alle seine Geschichten beginnen mit <strong>de</strong>r Floskel: ‘Das<br />

war so’, <strong>und</strong> sie en<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Satz ‘So war das’. Was hier sichtbar wird, ist eine Ur-I<strong>de</strong>e: gemeinsam aus<br />

<strong>de</strong>m Fluss <strong>de</strong>s Alltagsgeschehens herauszutreten <strong>und</strong> eine Enklave in Raum <strong>und</strong> Zeit zu schaffen, in <strong>de</strong>r ein<br />

Arrangement zwischen Akteuren <strong>und</strong> Beobachtern gilt - <strong>de</strong>r Tausch <strong>von</strong> Aufmerksamkeit gegen eine bemerkenswerte<br />

Darbietung. Noch nie aber so scheint es, hat es so zahlreiche Verabredungen zwischen <strong>de</strong>m universellen<br />

Erzähler <strong>und</strong> seinem ewigen Publikum gegeben“ (Schulze 1999, S. 79).<br />

135 Aus <strong>de</strong>r Vielzahl psychologischer Erklärungsversuche möchte ich hier explizit auf die Ansätze <strong>von</strong> Balint<br />

<strong>und</strong> Zuckerman/Bone verweisen. Balint unterstellt <strong>de</strong>m Menschen Lustgewinn durch das Erfahren <strong>von</strong> Angst<br />

<strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>s Wissens um Risiko <strong>und</strong> Gefahr in Grenzsituationen. Dabei sind drei Elemente konstitutiv: 1.<br />

Das Bewusstein eines äußeren Risikos o<strong>de</strong>r einer Gefahr, 2. Die freiwillige Konfrontation mit <strong>de</strong>r Gefahr <strong>und</strong><br />

3. die Hoffnung <strong>und</strong> das Vertrauen auf die Bewältigung <strong>de</strong>r Gefahrensituation <strong>und</strong> das Wie<strong>de</strong>rherstellen <strong>de</strong>r<br />

Sicherheit (vgl. Balint 1982). Zuckerman geht <strong>von</strong> einem gewissen Gr<strong>und</strong>bedürfnis <strong>de</strong>s Menschen nach Aktivität,<br />

Spannung <strong>und</strong> Erregung aus. Dieses jedoch ist nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt. So gibt es<br />

die ‘high-sensation-seekers’ <strong>und</strong> die ‘low-sensation-seekers’. Hohe Reizsucher haben einen stark ausgeprägten<br />

St<strong>im</strong>ulationsbedarf, <strong>de</strong>n er durch eine sensorische Deprivation erklärt. Die Schwelle <strong>de</strong>s Empfin<strong>de</strong>ns <strong>von</strong><br />

Angst z.B. liegt bei hohen Reizsuchern sehr viel höher als bei an<strong>de</strong>ren. Für hohe Spannungssucher stellt sich<br />

das Problem, dass das Alltagsleben als zu spannungslos empf<strong>und</strong>en wird <strong>und</strong> sich diese Erfahrungsräume suchen,<br />

die ihren Bedürfnissen entgegen kommen (vgl. Zuckerman/Bone 1972). Apter (1994) schließt sich diesen<br />

Konzepten weitestgehend an, in<strong>de</strong>m er auch das Bedürfnis nach Risko-Erfahrung als etwas Natürliches<br />

betrachtet <strong>und</strong> dafür plädiert, ‘Räume <strong>de</strong>s Risikos’ zu schaffen. Zum Thema Risikolust vgl. auch Hauck<br />

(1989) sowie Brengelmann (1991).<br />

287


Alltag zur außeralltäglichen Erfahrung her: „Symbole schließlich sind Verkörperungen einer<br />

an<strong>de</strong>ren Wirklichkeit in <strong>de</strong>r alltäglichen; sie können aber auch in Verbindung mit best<strong>im</strong>mten<br />

(nämlich ritualisierten) Handlungen in Anspruch genommen wer<strong>de</strong>n, um die Grenzen zu an-<br />

<strong>de</strong>ren Wirklichkeiten, einschließlich <strong>de</strong>r letzten Grenze, zu überschreiten. (...) Rituelle Hand-<br />

lungen richten sich an die außeralltägliche Wirklichkeit“ (Luckmann 1991, S. 175f). 136 Geb-<br />

hard (1987) erläutert die Beziehung zwischen Alltag <strong>und</strong> Außeralltäglichkeit am Beispiel <strong>de</strong>s<br />

Fests, das die soziale Ordnung <strong>de</strong>s Alltags aufhebt <strong>und</strong> teilweise umkehrt. Schützenfeste, Par-<br />

tys, Volksfeste als Orte emotionalen Han<strong>de</strong>lns, die es erlauben, aus sich heraus zu gehen, Ta-<br />

bus <strong>und</strong> Normen zu negieren: „Das Fest ermöglicht die Flucht, das Vergessen <strong>und</strong> die Erho-<br />

lung <strong>von</strong> <strong>de</strong>r alltäglichen Wirklichkeit“ (ebd. S. 12). 137<br />

Grenz- <strong>und</strong> Körpererfahrung, Angstlust <strong>und</strong> Thrill <strong>im</strong> Sinne <strong>von</strong> nicht zum Alltag gehören<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> darum außeralltäglichen Erfahrungen - das sind Motive, die sich sowohl für Sadomaso-<br />

chisten als auch für Paintballspieler <strong>und</strong> Hooligans nachzeichnen lassen. Die Beispiele zeigen,<br />

dass die Menschen in diesen Szenen Aggression <strong>und</strong> Gewalt nicht nur ‘erlei<strong>de</strong>n’, son<strong>de</strong>rn sie<br />

zur lustvollen St<strong>im</strong>ulation unter best<strong>im</strong>mten Bedingungen suchen. Sie stellen Gefühlslagen<br />

her, die <strong>im</strong> Rahmen <strong>von</strong> Gewalt(ritualen) eingebettet sind. Allerdings zeigen sich hier <strong>im</strong><br />

Vergleich unterschiedliche Authentizitätsstufen hinsichtlich <strong>de</strong>s fiktiven bzw. realen Charak-<br />

ters bzw. <strong>de</strong>r Interpretation <strong>von</strong> Gewalt sowohl aus <strong>de</strong>r Innen- als auch <strong>de</strong>r Außenperspektive<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>n Eskalationsressourcen <strong>de</strong>r jeweiligen Szenen. Der fiktive Charakter <strong>de</strong>s Paintball-<br />

spiels ist <strong>de</strong>utlich größer als <strong>de</strong>r <strong>im</strong> sadomasochistischen Ritual o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Gewalthandlun-<br />

gen <strong>de</strong>r Hooligans.<br />

Unter <strong>de</strong>r Annahme einer allgemeinen Definition <strong>von</strong> Gewalt als (absichtliches) Zufügen<br />

bzw. Erlei<strong>de</strong>n physischer <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r psychischer (Macht/Ohnmacht) Beeinträchtigung, können<br />

die hier untersuchten gewaltaffinen Spezialkulturen <strong>im</strong> Vergleich zu an<strong>de</strong>ren Phänomenen<br />

wie folgt verortet wer<strong>de</strong>n:<br />

136 Runkel (1988, S. 102) verweist auf „das Bedürfnis nach Überschreiten <strong>de</strong>r Normalität <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Gewöhnlichen,<br />

<strong>de</strong>r friedlichen, aber langweiligen Homogenität“, das es <strong>im</strong>mer geben wird <strong>und</strong> stellt hierfür die Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>r Rituale heraus. Georges Bataille (1982, S. 235) spricht <strong>von</strong> einem menschlichen „Verlangen, an <strong>de</strong>n<br />

Grenzen <strong>de</strong>s Möglichen <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Unmöglichen mit fortwährend wachsen<strong>de</strong>r Intensität zu leben.“<br />

137 Vgl. dazu auch S<strong>im</strong>mel (1923/1983, S. 13ff) über das Abenteuer: „Und zwar ist nun die Form <strong>de</strong>s Abenteuers,<br />

<strong>im</strong> allerallgemeinsten: daß es aus <strong>de</strong>m Zusammenhang <strong>de</strong>s Lebens herausfällt. (...) In einem viel schärferen<br />

Sinne, als wir es <strong>von</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Formen unserer Lebensinhalte zu sagen pflegen, hat das Abenteuer Anfang<br />

<strong>und</strong> En<strong>de</strong>. (...) daß es in sich eine durch Anfang <strong>und</strong> En<strong>de</strong> festgelegte Gestaltung eines irgendwie be<strong>de</strong>utungsvollen<br />

Sinnes ist, <strong>und</strong> daß es, mit all seiner Zufälligkeit, all seiner Exterritorialität gegenüber <strong>de</strong>m Lebenskontinuum,<br />

doch mit <strong>de</strong>m Wesen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Best<strong>im</strong>mung seines Trägers in einem weitesten, die rationaleren<br />

Lebensreihen übergreifen<strong>de</strong>n Sinne <strong>und</strong> in einer gehe<strong>im</strong>nisvollen Notwendigkeit zusammenhängt. Hier<br />

klingt die Beziehung <strong>de</strong>s Abenteurers zum Spieler an.“<br />

288


Abb.: Authentizitätsstufen <strong>von</strong> Gewalt<br />

1) Sadomasochismus<br />

Der Sadomasochismus ist - das hat die bisherige Analyse <strong>de</strong>utlich gemacht - eine Inszen-<br />

ierungsform <strong>von</strong> Erotik <strong>und</strong> Sexualität, die <strong>von</strong> <strong>de</strong>r ‘normalen’ Sexualität in zum Teil drasti-<br />

scher Art <strong>und</strong> Weise abweicht. Erfahrungen mit <strong>de</strong>r Abweichung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />

Reaktionen darauf haben alle Sadomasochisten gemacht o<strong>de</strong>r <strong>im</strong>aginativ vorweggenommen.<br />

Gleichzeitig haben manche Sadomasochisten gelernt, mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>vianten Lei<strong>de</strong>nschaft umzu-<br />

gehen <strong>und</strong> ihre Lei<strong>de</strong>nschaft (trotz<strong>de</strong>m) zu kultivieren. In <strong>de</strong>r sadomasochistischen Spezial-<br />

kultur ist die Verbindung <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> Gewalt <strong>und</strong> das Ausleben <strong>von</strong> intensiven Affek-<br />

ten konstitutiv. Einem ‘zivilisierten’ Menschen erscheinen diese Verhaltensformen als be-<br />

drohlich o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st als fremd, <strong>de</strong>nn solche ‘affektuellen Kollektive’ wirken auf <strong>de</strong>n ers-<br />

ten Blick unberechenbar <strong>und</strong> die allgemein gültige Affektkontrolle scheint nicht zu gelten.<br />

Außeralltäglichkeit manifestiert sich <strong>im</strong> SM-Rahmen durch die Chance <strong>de</strong>s exzessiven Ausle-<br />

bens <strong>von</strong> Emotionen. Gleichzeitig wird in dieser Situation all das, was <strong>de</strong>r Alltag <strong>im</strong> Umgang<br />

mit an<strong>de</strong>ren Menschen erfor<strong>de</strong>rt (z.B. Rituale, Konventionen), hyperritualisiert, karnevalisiert<br />

o<strong>de</strong>r ins Gegenteil verkehrt. Die alltäglichen Ordnungen lösen sich in <strong>de</strong>r außeralltäglichen<br />

Erfahrung <strong>de</strong>s Sich-gehen-lassens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Sicherheit vor negativen Konsequenzen auf. Au-<br />

ßeralltäglichkeit konstituiert sich also in <strong>de</strong>r Ablösung <strong>de</strong>s Verhaltens <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Alltagserwar-<br />

tungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Befreiung dieser Ablösung <strong>von</strong> negativen Konsequenzen. Damit wird auch<br />

<strong>de</strong>utlich, dass Außeralltäglichkeit ein Phänomen ist, das es schon <strong>im</strong>mer - wenn auch in ver-<br />

schie<strong>de</strong>nen Erscheinungsformen - gegeben hat. Je<strong>de</strong> Epoche <strong>und</strong> je<strong>de</strong> Kultur prägen eigene<br />

Formen <strong>de</strong>r Außeralltäglichkeit (vgl. Eckert 1990).<br />

289


Die Analyse hat gezeigt, dass die sadomasochistische Spezialkultur keineswegs eine anarchi-<br />

sche Welt ist, in <strong>de</strong>r es keine Normen <strong>und</strong> Regeln gibt. Das, was sie <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren gesellschaft-<br />

lichen Systemen unterschei<strong>de</strong>t, ist ein eigenes Wert- <strong>und</strong> Normsystem, das aber nur innerhalb<br />

dieser Szene Gültigkeit hat. So gehört z.B. zum sadomasochistischen Arrangement unbedingt<br />

die Zust<strong>im</strong>mung <strong>de</strong>r beteiligten Personen. Des Weiteren wer<strong>de</strong>n die Grenzen <strong>de</strong>ssen, was er-<br />

laubt ist, vorher abgesprochen, so dass das Ausleben <strong>von</strong> Gewalt in einem kontrollierten <strong>und</strong><br />

reglementierten Rahmen stattfin<strong>de</strong>t. Das sadomasochistische Ritual ist auf diese Weise eine<br />

S<strong>im</strong>ulation, eine virtuelle Handlung.<br />

Daraus lässt sich ableiten, dass die Grenzen für Regel- <strong>und</strong> Normüberschreitungen nicht in<br />

allen gesellschaftlichen Teilsystemen gleich sind. So ist das Ausleben <strong>von</strong> Emotionen in <strong>de</strong>r<br />

sadomasochistischen Szene an<strong>de</strong>rs codiert als in <strong>de</strong>r übrigen Gesellschaft. Hier gilt, was<br />

Vester (1991, S. 112) festgestellt hat: "Die emotionalen Bindungen <strong>und</strong> die auf sie bauen<strong>de</strong>n<br />

Wertentscheidungen <strong>und</strong> Tauschbeziehungen stellen auch ein soziales Drama dar. Dieses so-<br />

ziale Drama beinhaltet <strong>de</strong>n Versuch <strong>de</strong>r interaktiven Ausbalancierung zwischen <strong>de</strong>n <strong>von</strong> einer<br />

Situation gestellten Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>und</strong> Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen Ressourcen<br />

zur Situationsbewältigung bzw. Situationskontrolle. Als Ergebnis dieses Versuchs können<br />

sich <strong>im</strong>plizite Definitionen <strong>de</strong>s fairen Austausches etablieren, die dann in <strong>de</strong>r weiteren Ent-<br />

wicklung <strong>de</strong>r Austauschbeziehung als normativer Maßstab fungieren. Es wer<strong>de</strong>n dann mögli-<br />

cherweise moralische Wertvorstellungen wie ‘gut’ <strong>und</strong> ‘böse’ ausgebil<strong>de</strong>t <strong>und</strong> soziale Verfah-<br />

ren entwickelt, die diesen Werten entsprechen sollen." Der ‘faire Austausch’ wird in <strong>de</strong>r Spe-<br />

zialkultur <strong>de</strong>r Sadomasochisten durch ein eigenes Regelsystem gewährleistet. Wer diese<br />

Normen nicht beachtet, hat keine Chance Mitglied in sadomasochistischen Szenen zu bleiben.<br />

Nur wer ein situationsangepasstes Emotionsmanagement beherrscht, ist akzeptiert. Doch nicht<br />

nur Emotionen wer<strong>de</strong>n in dieser Spezialkultur an<strong>de</strong>rs als in <strong>de</strong>r übrigen Gesellschaft kulti-<br />

viert. Auch das ästhetische Empfin<strong>de</strong>n ist ‘spezialkulturtypisch’ codiert.<br />

Im Sadomasochismus kann sich die Suche nach Ekstase <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong>en äußern, wie<br />

sie in allen Gesellschaften bei religiösen bzw. kultischen Riten möglich waren resp. sind: Ini-<br />

tiationsriten, Hinrichtungs- <strong>und</strong> Marterfeste, Märtyrien <strong>und</strong> extreme Askesen sind Beispiele<br />

hierfür. 138 Gemeinsam ist diesen ‘künstlichen Paradiesen’, dass sie die Zustän<strong>de</strong> ekstatischen<br />

138 Bahnen (1992, S. 14) schreibt in diesem Zusammenhang: "Obwohl das Grausamkeitsthema über Jahrtausen<strong>de</strong><br />

hinweg einen beträchtlichen Anteil sexueller Besetzung auf sich gezogen haben muß, konnte es zunächst<br />

keine soziale Komponente entwickeln. Sadomasochistische Sexualakte, Lebensweisen gar, müssen<br />

extreme Ausnahmen gewesen sein. (...) In unserem Kulturkreis ist es aber dann zu einem be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungsprozeß<br />

gekommen, welcher <strong>de</strong>n Ansätzen sexueller Faszination am Grausamkeitsthema eine Art<br />

Sozialisationsvorsprung vor an<strong>de</strong>ren Themen perverser Gr<strong>und</strong>orientierung (z.B. sexuellem Interesse an Fäkalien)<br />

gab. Ursache war nicht zuletzt <strong>de</strong>r Aufstieg <strong>de</strong>s Christentums <strong>und</strong> seine Entwicklung zur katholischen<br />

Kirche. Ihre zentrale, vergesellschaften<strong>de</strong> Mythologie umkreiste das Thema Erlösung, H<strong>im</strong>melfahrt durch<br />

290


Erlebens absichtsvoll herbeiführen <strong>und</strong> an best<strong>im</strong>mte Anlässe geb<strong>und</strong>en sind. In <strong>de</strong>r säkulari-<br />

sierten Welt fallen sie zunächst <strong>de</strong>m Diktat <strong>de</strong>r Rationalität zum Opfer <strong>und</strong> verschwin<strong>de</strong>n<br />

ganz aus <strong>de</strong>m Alltag <strong>de</strong>s zivilisierten Individuums 139 o<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n in die Bereiche subversiver<br />

Enklaven abgedrängt. Im Unterschied zur Alltagsbezogenheit <strong>de</strong>r Außeralltäglichkeit trans-<br />

zendiert die Ekstase <strong>de</strong>n Alltag in die ‘Hypertrophie <strong>de</strong>s Präsens’ (vgl. Hahn 1976) <strong>und</strong> die<br />

Referenzlosigkeit <strong>de</strong>s Erlebens. 140 Die Differenz <strong>von</strong> Außeralltäglichkeit <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong><br />

markiert <strong>de</strong>shalb - bezogen auf <strong>de</strong>n Sadomasochismus - auch unterschiedliche Gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Par-<br />

tizipation, <strong>de</strong>nn nicht je<strong>de</strong>r will Grenzen überschreiten, manchen genügt schon die Außerall-<br />

täglichkeit.<br />

Die zentralen Werte <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen westlichen Welt sind Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Solidarität,<br />

die die Basis für persönliche Selbstbest<strong>im</strong>mung (pursuit of happiness <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r amerikani-<br />

schen Unabhängigkeitserklärung) bil<strong>de</strong>n. Zwei <strong>von</strong> ihnen wer<strong>de</strong>n durch die sadomasochisti-<br />

schen Spezialkulturen herausgefor<strong>de</strong>rt. Kann man freiwillig das Spiel <strong>de</strong>r Unfreiheit wählen,<br />

kann unter Gleichen ein Vertrag über Ungleichheit geschlossen wer<strong>de</strong>n? Ist jemand berech-<br />

tigt, auf seine körperliche Unversehrtheit zu verzichten? Vieles in <strong>de</strong>r Beurteilung wird da<strong>von</strong><br />

abhängen, ob Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit, die vor <strong>de</strong>r ‘Klammer’, vor <strong>de</strong>m ‘Spiel’ stehen, nicht<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich aufgegeben wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r herstellbar sind. Vieles in <strong>de</strong>r Beur-<br />

teilung dürfte da<strong>von</strong> abhängen, ob die körperlichen Beeinträchtigungen prinzipiell reversibel<br />

sind.<br />

In zivilisationstheoretischer Perspektive stellt sich hier jedoch noch eine an<strong>de</strong>re Frage. Sadis-<br />

tische <strong>und</strong> masochistische Impulse haben in Religion <strong>und</strong> Erziehung, in Militär <strong>und</strong> Polizei -<br />

das Aufsichnehmen <strong>von</strong> Lei<strong>de</strong>n; das extrem sozialfre<strong>und</strong>liche Motiv <strong>de</strong>s Sich-Aufopferns für ein I<strong>de</strong>al (...)<br />

wur<strong>de</strong> zu einem Hauptinhalt <strong>de</strong>r Überlieferung, <strong>de</strong>r Kunst, <strong>de</strong>r Gebete. Dadurch kam es zu einer beträchtlichen<br />

Verklärung <strong>de</strong>s Themas Grausamkeit."<br />

139 Gelpke (1982, S. 141f) ver<strong>de</strong>utlicht dies am Beispiel <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>von</strong> Rausch <strong>und</strong> Ekstase <strong>im</strong> Orient <strong>und</strong><br />

Okzi<strong>de</strong>nt: "Diese technische Zivilisation ist ihrem ganzen Wesen nach funktionalistisch; <strong>und</strong> das einzige, allgemein<br />

verbindliche Kriterium, an <strong>de</strong>m die mo<strong>de</strong>rne Gesellschaft das Individuum mißt, ist mehr <strong>und</strong> mehr<br />

<strong>de</strong>ssen sozialer Funktionswert. Rausch wie Eros aber sind - ihrem eigentlichen, die Grenzen <strong>de</strong>s bloß Funktionellen<br />

sprengen<strong>de</strong>n Wesen nach - transzen<strong>de</strong>nt. Ihr gemeinsamer Nenner heißt Ekstase. Das aber ist etwas,<br />

was wohl in die orientalischen <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re außereuropäischen Gesellschaften integriert wor<strong>de</strong>n ist, keineswegs<br />

aber in die Zivilisation <strong>de</strong>s Westens. Deren ganzer, so extrem auf Leistung <strong>und</strong> Zweck<strong>de</strong>nken ausgerichteter<br />

Funktionalismus, <strong>de</strong>ren linear <strong>und</strong> ad infinitum in <strong>de</strong>n Zeitablauf projizierte Fortschrittsgläubigkeit,<br />

schließen ein tieferes Verständnis, eine geistige Durchdringung <strong>und</strong> existentielle Bejahung <strong>de</strong>s Phänomens<br />

<strong>de</strong>r Ekstase zwangsläufig aus."<br />

140 Csikszentmihalyi (1987, S. 59) beschreibt diesen Zustand als 'flow' <strong>und</strong> bemerkt dazu: "Im flow-Zustand<br />

folgt Handlung auf Handlung, <strong>und</strong> zwar nach einer inneren Logik, welche kein bewußtes Eingreifen <strong>von</strong> Seiten<br />

<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n zu erfor<strong>de</strong>rn scheint. Er erlebt <strong>de</strong>n Prozeß als ein einheitliches 'Fließen' <strong>von</strong> einem Augenblick<br />

zum nächsten, wobei er Meister seines Han<strong>de</strong>ln ist <strong>und</strong> kaum eine Trennung zwischen sich <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Umwelt, zwischen St<strong>im</strong>ulus <strong>und</strong> Reaktion, o<strong>de</strong>r zwischen Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft verspürt."<br />

291


zw. überall dort, wo es zu Machtmonopolen kommt - eine Be<strong>de</strong>utung gehabt, zumeist als<br />

Macht, die unbegriffen <strong>im</strong> Rücken <strong>de</strong>r Akteure <strong>de</strong>ren Han<strong>de</strong>ln mitbest<strong>im</strong>mt hat. Kann die<br />

Ausdifferenzierung einer spezialisierten Szene die an<strong>de</strong>ren Lebensbereiche <strong>von</strong> solchen Im-<br />

pulsen entlasten? Zumin<strong>de</strong>st bei <strong>de</strong>n befragten Personen scheint es sich so zu verhalten.<br />

2) Paintballspieler<br />

An<strong>de</strong>rs als bei <strong>de</strong>n Sadomasochisten verbleibt Gewalt bei <strong>de</strong>n Paintballspielern nur auf <strong>de</strong>r<br />

fiktiven Ebene; es gibt keine wirklichen Waffen o<strong>de</strong>r Verletzungen (sieht man einmal <strong>von</strong><br />

möglichen Hämatomen, die eher selten vorkommen, ab). Insofern können die Paintballspieler<br />

<strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r üblichen Gewalt<strong>de</strong>finition nicht als gewaltaffin eingestuft wer<strong>de</strong>n. Sie spielen<br />

Gewalt <strong>und</strong> Kampf, dies aber nicht an<strong>de</strong>rs als das Indianerspiel <strong>von</strong> Kin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Ritterspie-<br />

len auf Burgfesten, wo Gewalt nicht tatsächlich ausgeübt wird. Was für <strong>de</strong>n Außenstehen<strong>de</strong>n<br />

nicht selten als Ausdruck psychopathischer Gewaltverherrlichung <strong>und</strong> Kriegsspielerei ver-<br />

stan<strong>de</strong>n wird, entpuppt sich als mo<strong>de</strong>rnes ‘Räuber-<strong>und</strong>-Gendarme-Spiel’ braver Familienvä-<br />

ter, Stu<strong>de</strong>nten <strong>und</strong> sogar Kriegsdienstverweigerern, das in vom Alltag klar abgegrenzten<br />

Rahmen geschieht.<br />

3) Hooligans<br />

Den Hooligans reicht das nicht. Ähnlich wie <strong>im</strong> Bereich <strong>von</strong> Kampfsportarten wie Boxen,<br />

Karate <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren ‘martial arts’ wird in einem Spielrahmen Gewalt tatsächlich angewen<strong>de</strong>t.<br />

Das Risiko <strong>von</strong> Verletzungen gehört dazu. Wer am Spiel teiln<strong>im</strong>mt, willigt in eine Art Ver-<br />

trag ein <strong>und</strong> kann später keinen Scha<strong>de</strong>nsersatz o<strong>de</strong>r Vergeltung beanspruchen.<br />

Die Hooligans kämpfen zwar wirklich, allerdings in Grenzen, die ein gemeinsamer Ko<strong>de</strong>x mit<br />

einer gewissen Regulierungsfunktion vorgibt. Die Balance bei <strong>de</strong>r Gratwan<strong>de</strong>rung zwischen<br />

Angst <strong>und</strong> Risikolust auf <strong>de</strong>r einen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n möglichen, irreversiblen Verletzungsfolgen auf<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite wird zum entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Aspekt <strong>de</strong>r extremen Erfahrungen, wie es auch<br />

bei Extremsportarten häufig vorkommt.<br />

Beachtenswert ist, dass die Hooligans - bei aller Brutalität, die sichtbar wird - ein (für sie<br />

selbst) zivilisiertes Spiel spielen. Den Hools ist zunächst einmal die Notwendigkeit einer be-<br />

son<strong>de</strong>ren Rahmenkonstruktion bewusst, ebenso die erfor<strong>de</strong>rliche Absicherung dieses Spiel-<br />

rahmens durch Regeln <strong>und</strong> Kontrolle wie auch die Erfor<strong>de</strong>rnis <strong>de</strong>r freiwilligen Einwilligung<br />

in das Ritual. Dass die Beteiligten sich gegenseitig verletzen können <strong>und</strong> dies auch tun, ist für<br />

292


sie akzeptabel. Dass <strong>im</strong> Spiel mit <strong>de</strong>m Risiko eine Gefahr für unbeteiligte An<strong>de</strong>re nicht auszu-<br />

schließen ist, macht das Spiel <strong>und</strong> seine Grenzen prekär. Die Grün<strong>de</strong> für Grenzübertretungen<br />

sind unterschiedlich. Sicherlich spielt <strong>de</strong>r Kontrollverlust unter Alkoholeinfluss eine Rolle,<br />

möglich auch, dass die antizipierte Medienaufmerksamkeit nach <strong>de</strong>m Motto ‘Hel<strong>de</strong>n für einen<br />

Tag’ be<strong>de</strong>utsam ist. Nicht auszuschließen ist auch, dass sich die Hooligans gera<strong>de</strong> in interna-<br />

tionalem Zusammenhang in die Rolle nationaler Hel<strong>de</strong>n phantasieren. Viel f<strong>und</strong>amentaler als<br />

diese St<strong>im</strong>uli dürfte aber <strong>de</strong>r Rahmenbruch durch die erzeugten spezifischen Emotionen selbst<br />

sein. Gera<strong>de</strong> weil das Spiel <strong>de</strong>r Hools so real ist, funktioniert das Rahmenmanagement nicht<br />

<strong>im</strong>mer <strong>und</strong> Entgleisungen sind die Folge. Das Spiel ist um so faszinieren<strong>de</strong>r, je echter das<br />

Spiel ist. Je echter das Spiel ist, um so eher verliert es seinen spielerischen Charakter. Der<br />

Rahmen bricht - mit fatalen Folgen, wie in Lens.<br />

Trotz unterschiedlicher ‘Authentizitätsstufen’ in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Szenen han<strong>de</strong>lt es sich um<br />

Spiele (vgl. Caillois 1982; Huizinga 1987), die über Grenzziehungen <strong>und</strong> Transformationsre-<br />

geln außeralltägliche Erfahrungen ermöglichen. Spiele grenzen Alltag aus <strong>und</strong> produzieren in<br />

einem eigenen Rahmen Spannung. Der Rahmen konstituiert sich über Spielregeln, Chancen-<br />

gleichheit <strong>und</strong> ungewissen Ausgang. Die Faszination <strong>de</strong>s Spiels dürfte nicht nur auf die inne-<br />

wohnen<strong>de</strong>n Spannungsquellen zurückzuführen sein, son<strong>de</strong>rn auch auf die Ausgrenzung <strong>von</strong><br />

Alltag. Das Spiel stellt eine abgegrenzte Form <strong>de</strong>s Erlebens dar, die durch einen ‘Als-Ob-<br />

Charakter’ gekennzeichnet ist. Während <strong>de</strong>s Spiels tut man so, als ob es nur die Wirklichkeit<br />

<strong>de</strong>s Spiels gebe. Der Rahmen, die Einbettung in an<strong>de</strong>re Wirklichkeiten ist nicht mehr bewusst.<br />

Die Spieler gehen <strong>im</strong> Spiel auf.<br />

Sadomasochisten, Paintballspieler <strong>und</strong> Hooligans zeigen, dass sich neue Regeln <strong>de</strong>s Umgangs<br />

mit <strong>de</strong>struktiven Affekten prinzipiell fin<strong>de</strong>n lassen. Dieses Ergebnis ist allerdings an <strong>de</strong>n en-<br />

gen Rahmen <strong>von</strong> persönlichen Beziehungsnetzen <strong>und</strong> freiwilligen Vereinbarungen geb<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> daher nicht ohne weiteres auf die Gesellschaft übertragbar. Gleichwohl trägt das in ihr<br />

entwickelte Lösungsmuster Züge, die letztlich <strong>de</strong>r Transformation <strong>de</strong>r Ethik <strong>im</strong> Mo<strong>de</strong>rnisie-<br />

rungsprozess entstammen: Konkrete Rechte <strong>und</strong> Pflichten wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer mehr durch abstrak-<br />

tere, universalistische Regeln ersetzt, die nichts positiv vorschreiben, son<strong>de</strong>rn Bedingungen<br />

<strong>und</strong> Grenzen für inhaltlich best<strong>im</strong>mte Handlungen formulieren.<br />

Es sind typischerweise Situationen, welche die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r jeweiligen Kultur respektive<br />

Szene als folgenlos verstehen, entwe<strong>de</strong>r weil die Opfer keinen Zugang zu Justiz haben o<strong>de</strong>r<br />

weil ein Einverständnis zwischen Opfern <strong>und</strong> Gegnern besteht, dass das Ganze nur ein Spiel<br />

sei o<strong>de</strong>r - <strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>r Paintballspieler - tatsächlich nur ein Spiel ist. Der Charakter dieser<br />

Formen <strong>de</strong>r Gewalt also ist <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Gewaltformen gr<strong>und</strong>sätzlich verschie<strong>de</strong>n. Während<br />

die Schlägerei in <strong>de</strong>r Kneipe, die Vergewaltigung o<strong>de</strong>r Tötung <strong>im</strong>mer auch (staatliche) Ge-<br />

293


gengewalt provozieren, han<strong>de</strong>lt es sich bei gewaltaffinen Spezialkulturen um eine Gewalt, die<br />

folgenlos bleibt. Das vorgängig eingeholte Verständnis <strong>de</strong>s Opfers beinhaltet <strong>de</strong>n Verzicht auf<br />

Rache <strong>und</strong> Vergeltung; einer möglichen Eskalation wird auf diese Weise vorgebeugt. R. Gi-<br />

rard weist in seinem Buch ‘Das Heilige <strong>und</strong> die Gewalt’ darauf hin, dass das Opferritual in<br />

pr<strong>im</strong>itiven Gesellschaften die Funktion hat, die Ausbreitung <strong>von</strong> Gewalt in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

zu verhin<strong>de</strong>rn, in<strong>de</strong>m es die Gewalt auf ein Objekt lenkt, das sich nicht wehren kann. Die <strong>de</strong>m<br />

Opfer angetane Gewalt bleibt folgenlos. Girard (1992, S. 59) verwen<strong>de</strong>t die Metapher <strong>de</strong>s<br />

unreinen Blutes, um diese Ambivalenz sichtbar zu machen:<br />

„Wir haben bereits <strong>von</strong> versehentlich o<strong>de</strong>r böswillig vergossenem Blut gesprochen;<br />

es ist dieses Blut, das noch am Opfer trocknet, seine Klarheit verliert, trüb<br />

<strong>und</strong> schmutzig wird, Krusten bil<strong>de</strong>t <strong>und</strong> sich schichtenweise ablöst; das Blut, das<br />

an Ort <strong>und</strong> Stelle alt wird, <strong>und</strong> das unreine Blut <strong>von</strong> Gewalt, Krankheit <strong>und</strong> Tod<br />

sind eins. Diesem bösen, schnell verdorbenen Blut stellt sich das frische Blut <strong>de</strong>r<br />

eben dargebrachten Opfer entgegen, das <strong>im</strong>mer flüssig <strong>und</strong> rot bleibt, weil es <strong>im</strong><br />

Ritual erst <strong>im</strong> Augenblick <strong>de</strong>s Vergießens gebraucht wird <strong>und</strong> gleich wie<strong>de</strong>r weggewischt<br />

wird (...).“<br />

Im Opferritual stellt sich kein Vergeltungswunsch ein. Es soll befrie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> symbolisiert dies<br />

durch eine finite Gewalthandlung, die keine Anschlüsse zulässt. Eine ähnliche Qualität haben<br />

die Gewaltrituale bei Sadomasochisten, Paintballern <strong>und</strong> Hooligans. Der Peitschenschlag <strong>im</strong><br />

Dominastudio provoziert nicht <strong>de</strong>n Gegenschlag <strong>de</strong>s Sklaven. Die Prügeleien unter Hooligans<br />

provozieren keine <strong>von</strong> Ihnen selbst initiierten strafrechtlichen Konsequenzen, <strong>und</strong> die fiktive<br />

ausgeübte Gewalt <strong>im</strong> Paintballspiel zieht keine aggressiven Handlungen außerhalb <strong>de</strong>s Spiel-<br />

fel<strong>de</strong>s nach sich. Der soziale Charakter <strong>von</strong> Gewalt ist darum <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Gewaltformen zu-<br />

nächst einmal verschie<strong>de</strong>n. Er <strong>im</strong>pliziert <strong>de</strong>n Verzicht auf Rache <strong>und</strong> Vergeltung, einer mög-<br />

lichen Eskalation wird auf diese Weise vorgebeugt.<br />

Bedingung ist hier jedoch die Freiwilligkeit <strong>de</strong>r Teilnahme <strong>und</strong> die Reversibilität <strong>de</strong>r Folgen.<br />

Begrenzte Aggression wird durch eine vorausgehen<strong>de</strong> Vereinbarung legit<strong>im</strong>iert. Das generelle<br />

Verbot <strong>de</strong>r privaten Gewaltanwendung wird durch Einwilligung <strong>und</strong> einem vereinbarten Ra-<br />

cheverzicht gleichsam ausgetrickst. Basis ist die Etablierung einer Spezialkultur zum Aus-<br />

agieren <strong>de</strong>r Affekte mit eigenen Regeln, Distinktionen <strong>und</strong> Kontrollen.<br />

Abschließend gilt festzuhalten, dass die hier referierten Beispiele die Thesen über <strong>de</strong>n Zivili-<br />

sationsprozess <strong>im</strong> Sinne einer zunehmen<strong>de</strong>m Affektkontrolle keineswegs revidieren. In allen<br />

Szenen wird ein hohes Maß an Selbstkontrolle offensichtlich; bei solchen Gewaltritualen han-<br />

<strong>de</strong>lt es sich um höchst rational herbeigeführte Erlebnistechniken, die soziale Folgenlosigkeit<br />

<strong>und</strong> Abgrenzung vom Alltag sicherstellen (auch wenn dies - das zeigt das Beispiel <strong>de</strong>r Hooli-<br />

gans in Lens - nicht <strong>im</strong>mer gelingt). Für alle gilt, dass reflektiertes Han<strong>de</strong>ln zugr<strong>und</strong>egelegt<br />

294


wer<strong>de</strong>n kann, welches St<strong>im</strong>ulation <strong>im</strong> Kampf sucht. Die Thrills wer<strong>de</strong>n in beson<strong>de</strong>ren, <strong>von</strong><br />

<strong>de</strong>r Alltagsrealität abgekoppelten Ritualen zelebriert. Die <strong>von</strong> Elias (1976) beschriebene<br />

Transformation <strong>von</strong> Verhaltensstandards hin zu Affektkontrolle <strong>und</strong> Triebdämpfung zeigt sich<br />

gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Ausdifferenzierung solcher spezialisierter Szenen, in <strong>de</strong>ren Enklaven Affekte<br />

<strong>und</strong> Emotionen ausgelebt wer<strong>de</strong>n können.<br />

295


Anhang<br />

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Glossar<br />

a) Hooligans, Paintball <strong>und</strong> sonstige Kapitel<br />

b) Sadomasochismus<br />

a) Hooligans, Paintball <strong>und</strong> sonstige Kapitel<br />

Airbagger: Jugendliche, die ‘zum Spaß’ (Kick o<strong>de</strong>r Thrill) Autos aufbrechen bzw. stehlen,<br />

um mit ihnen bewusst gegen die Wand zu fahren, <strong>und</strong> auf diese Weise <strong>de</strong>n ‘Airbag’ auszulösen.<br />

→ Autocrasher.<br />

Autocrasher: → Airbagger<br />

Autonome: Personen, die vielen thematischen Fel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r linken Polit-Szene zugehörig bzw.<br />

dort aktiv sind (z.B. Anti-AKW, Anti-Nato, Anti-Faschismus, Anti-Imperialismus, Feminismus,<br />

Ökologie).<br />

Ball: (aus <strong>de</strong>m Engl.) Kürzel für → Paintball. Bezeichnet sowohl die ‘Sportart’ als auch die<br />

Farbkugel. Besteht aus einer Hülle aus bunter Gelatine, gefüllt mit einer Mischung aus Glycerin<br />

etc.; häufig mit Fruchtgeschmack. ‘Munition’ für die → Markierer, platzt be<strong>im</strong> Aufprall<br />

<strong>und</strong> hinterläßt einen Farbfleck. Explizit wird keine rote → Paint verwen<strong>de</strong>t, um Assoziationen<br />

mit Blut zu vermei<strong>de</strong>n. Häufige Farben: neon, blau, orange, gelb, grün, pink o<strong>de</strong>r bunt<br />

gemischt/gemustert.<br />

Battlepack: Bezeichnung <strong>im</strong> → Paintball; gürtelartige Tasche/Rucksack-ähnliche Tragekonstruktion<br />

zur Aufbewahrung einer extra Tasche für <strong>de</strong>n CO2-Tank sowie <strong>de</strong>r (Ersatz)Farbkugeln,<br />

die sich in sog. → Pots befin<strong>de</strong>n, während <strong>de</strong>s Spiels/auf <strong>de</strong>m Spielfeld.<br />

Base: (aus <strong>de</strong>m Engl.) Bezeichnung <strong>im</strong> → Paintball für <strong>de</strong>n Ort, die Basis, auf <strong>de</strong>r die eigene<br />

Flagge steht, <strong>von</strong> wo aus das → Team startet <strong>und</strong> wohin es die gegnerische Flagge bringt.<br />

Barrel Plug: Bezeichnung für Laufstopfen; neben <strong>de</strong>r Schutzmaske einer <strong>de</strong>r wichtigsten<br />

Punkte zur Gewährung <strong>de</strong>r Sicherheit be<strong>im</strong> → Paintball; Stopfen aus Gummi o<strong>de</strong>r Plastik,<br />

<strong>de</strong>r sich entsprechend <strong>de</strong>r Regeln <strong>de</strong>s Paintballspiels außerhalb <strong>de</strong>s Spielfel<strong>de</strong>s <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Lauf<br />

<strong>de</strong>s → Markierers befin<strong>de</strong>n sollte. Verhin<strong>de</strong>rt das unbeabsichtigte Austreten einer Farbkugel.<br />

Breakdance: Akrobatische Tanzform aus <strong>de</strong>m → HipHop<br />

Camo/Camouflage: Bezeichnung für die Verwendung <strong>von</strong> Tarnkleidung be<strong>im</strong> → Paintball.<br />

Wird in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Paintballszene wegen Assoziationen zu militärischen Spielen in <strong>de</strong>r<br />

Regel abgelehnt (→ military look).<br />

Chrony/Chronograph: Im Rahmen <strong>von</strong> Paintballturnieren eingesetztes Gerät zur Ermittlung<br />

<strong>de</strong>r Schussgeschwindigkeit mittels Lichtschranke o<strong>de</strong>r ‘Radar’. Entsprechend <strong>de</strong>r Regeln ein<br />

Muss (vor <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>m Spiel) zur Gewährung <strong>de</strong>r Sicherheit <strong>und</strong> Chancengleichheit.<br />

Dead Zone/Dead Man’s Zone: (aus <strong>de</strong>m Engl.); auch → Neutrale Zone/Neutral Zone. Bereich,<br />

in <strong>de</strong>m sich die markierten bzw. ausgeschie<strong>de</strong>nen Spieler in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s → Paintball-<br />

321


spielfel<strong>de</strong>s aufhalten. Die Kommunikation mit <strong>de</strong>n noch auf <strong>de</strong>m Spielfeld befindlichen Spielern<br />

sowie die ‘nachträgliche’ Manipulation am → Markierer sind in dieser Zone verboten.<br />

DPSV (Deutscher Paintball Sportverband): ‘Dachorganisation’ <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Paintballspieler.<br />

Herausgeber <strong>von</strong> Regelwerken, vertritt Interessen <strong>de</strong>r Paintballspieler in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit.<br />

Ecstasy: Synthetische Droge, in <strong>de</strong>r Wirkung leistungssteigernd <strong>und</strong> gefühlsverstärkend.<br />

Elevator-Ri<strong>de</strong>r: Vor allem Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendliche, die zwecks Thrillerlebnis vorzugsweise<br />

auf <strong>de</strong>n Dächern <strong>von</strong> Fahrstühlen <strong>und</strong> Aufzügen fahren.<br />

Flagbase: → Base<br />

Gotcha: (aus <strong>de</strong>m Engl. <strong>von</strong> Gotya, Slang für ‘I have got you). Oft synonym verwen<strong>de</strong>t für →<br />

Paintball. In <strong>de</strong>r Paintballszene häufig abgelehnter Begriff, da hiermit ‘militärische’ Varianten<br />

<strong>de</strong>s Paintballspiels assoziiert wer<strong>de</strong>n bzw. gemeint sind.<br />

Graffiti: Der Begriff (<strong>von</strong> ‘graffito’ aus <strong>de</strong>m Italienischen) geht auf das lat. Verb ‘graphire’<br />

zurück <strong>und</strong> be<strong>de</strong>utet so viel wie ‘Einritzen’, ‘Einkratzen’. Bezeichnet heute ‘subkulturelle<br />

Zeichnungen’ auf <strong>de</strong>r Basis <strong>von</strong> Sprühfarbe (bunt o<strong>de</strong>r nur schwarz). Graffitis sind vor allem<br />

auf Bahngelän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Zügen sowie an größeren Häuser- <strong>und</strong> Hallenfassa<strong>de</strong>n zu sehen.<br />

Grufty-Szene: Anhänger okkulter Themen <strong>und</strong> Praktiken. Schwarze Kleidung <strong>und</strong> weißpudriges<br />

Make-up unterstreichen die Assoziationen zum Tod (Gruft).<br />

Hooligan: Gewalttätiger Fußballfan (Rowdy, Randalierer).<br />

HipHop: Bezeichnung für eine En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r siebziger Jahre entstan<strong>de</strong>ne Jugendkultur. Typische<br />

Aktivitäten: → Sprayen, → Breakdance, → Rappen, → Skaten <strong>und</strong> → Streetball.<br />

Indoor: Hallenvariante <strong>de</strong>s → Paintballspiels; wird auch in großen Kellern gespielt.<br />

Long-Distance-Runner: Diejenigen Spieler <strong>im</strong> Rahmen eines → Paintballturniers, welche die<br />

weiteste Entfernung zur Anreise auf sich genommen haben.<br />

Markierer: Luft- o<strong>de</strong>r CO2-betriebenes, waffenähnliches Schussgerät <strong>im</strong> → Paintball; oft in<br />

vielen bunten Farben.<br />

Marshal: Schiedsrichter be<strong>im</strong> → Paintballspiel. Nach <strong>de</strong>n Spielregeln <strong>de</strong>s Paintballspiels ist<br />

seinen Anweisungen in je<strong>de</strong>m Fall Folge zu leisten.<br />

Maske: Spezialschutz während <strong>de</strong>s → Paintballspiels für <strong>de</strong>n Gesichts- <strong>und</strong> Kopfbereich;<br />

sollte entsprechend <strong>de</strong>r Regeln in je<strong>de</strong>m Fall auf <strong>de</strong>m Spielfeld, aber auch <strong>im</strong> ausgeschil<strong>de</strong>rten<br />

Bereich r<strong>und</strong> um das Spielfeld getragen wer<strong>de</strong>n<br />

Military Look: Verwendung <strong>von</strong> Tarnkleidung be<strong>im</strong> → Paintballspiel. Der Military Look ist<br />

in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Szene häufig verpönt, da er die Szene aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Assoziation zu Kriegsspielen<br />

diskreditiere. Wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach → No Camo<br />

No Camo: Be<strong>im</strong> Paintball häufige Vereinbarung bzw. Bedingung auf Turnieren, keine Tarnkleidung<br />

zu tragen. → Camo, Military Look<br />

Neutrale Zone: auch → Dead-Zone o<strong>de</strong>r Dead Man’s Zone; Bereich, in <strong>de</strong>m sich die markierten<br />

bzw. ausgeschie<strong>de</strong>nen Spieler in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Paintballspielfel<strong>de</strong>s aufhalten. Die Kommunikation<br />

mit <strong>de</strong>n noch auf <strong>de</strong>m Spielfeld befindlichen Spielern sowie die ‘nachträgliche’<br />

Manipulation am → Markierer ist verboten.<br />

322


Outdoor: 1) Bezeichnung für Sportarten <strong>im</strong> Freien, meist Abenteuer-/Adventure-Aktivitäten.<br />

2) Variante <strong>de</strong>s → Paintballspiels, bei <strong>de</strong>r <strong>im</strong> Freien gespielt wird.<br />

Paint: (Aus <strong>de</strong>m Engl.) Dieser Begriff wird speziell für die verwen<strong>de</strong>te ‘Marke’ <strong>de</strong>r Farbkugelen<br />

verwen<strong>de</strong>t - → Ball, Paintball.<br />

Paintball: Von <strong>de</strong>n Anhängern als Abenteuer-, Extrem-, Fun-, <strong>und</strong> Strategie-Sport bezeichnet.<br />

Mannschaftsspiel, bei <strong>de</strong>m zwei Mannschaften gegeneinan<strong>de</strong>r antreten, um die Fahne <strong>de</strong>r<br />

gegnerischen Mannschaft zu erobern <strong>und</strong> auf die eigene → Base zu bringen. Der Gegner kann<br />

am Erlangen <strong>de</strong>r Fahne gehin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m er mit <strong>de</strong>m → Markierer ‘abgetroffen’ bzw.<br />

durch Farbkugeln → markiert wird. Er muss das Spielfeld verlassen. Gespielt wird meist <strong>im</strong><br />

Freien, aber auch in geschlossenen Räumen (Kellern, Hallen). Es gibt unterschiedliche Varianten:<br />

z.B. → Speedball, Sup’Air o<strong>de</strong>r Woodland.<br />

Player ist out: Bezeichnung für einen <strong>von</strong> einer Farbkugel/→ Paint getroffenen Spieler be<strong>im</strong><br />

→ Paintball.<br />

Pot: Länglicher Nachfüllbehälter (aus Kunststoff) für die Farbkugeln. Wird auf <strong>de</strong>m Spielfeld<br />

<strong>im</strong> -→ Battle Pack mitgeführt.<br />

Quad: Vierrädriges, gelän<strong>de</strong>gängiges Fahrzeug aus <strong>de</strong>m Moto-Cross-Bereich. Fin<strong>de</strong>t Interesse<br />

bei <strong>de</strong>n Anhängern <strong>de</strong>s → Paintballsports.<br />

Randale: Gewalttätige Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen Hooligans am Ran<strong>de</strong> <strong>von</strong> Fußballspielen<br />

(B<strong>und</strong>esliga, internationale Meisterschaften). Typisch sind auch Zerstörung <strong>und</strong> Vandalismus<br />

in Innenstädten (Lokale, Geschäfte).<br />

Rappen/Rap: Sprechgesang, rhythmisches Sprechen.<br />

Real-Life-Show/Real-People-Format: Medial-kommerzielle R<strong>und</strong>um-Beobachtung <strong>von</strong> Personen<br />

mittels Kamera (<strong>und</strong> Mikrophon), die sich <strong>de</strong>r Kasernierung (auf einer Insel, in einem<br />

Wohn-Container etc.) bereit erklärt haben. Bekanntestes Beispiel: ‘Big Brother’ (RTL2); auch<br />

‘Big Diet’ (RTL2) o<strong>de</strong>r ‘Girlscamp’. Zuschauermotivation: ‘Authentische Menschen in authentischen<br />

Situationen’.<br />

Rechte: Politisch rechts Orientierte (auch: Rechtsradikale, Neonazis).<br />

Rookie: (aus <strong>de</strong>m Engl., wörtlich: Grünschnabel): Bezeichnung aus <strong>de</strong>r Paintballszene für<br />

Anfänger/Novizen, die <strong>de</strong>n ‘Sport’ erst einmal erlernen müssen (Spielregeln, Sicherheitsvorschriften,<br />

Strategie, Ausrüstung/Werkzeuge, Szenestruktur etc.).<br />

Skaten: (aus <strong>de</strong>m Engl.) Rollbrettfahren auf öffentlichen Plätzen o<strong>de</strong>r in eigens dafür vorgesehenen<br />

sportlichen Einrichtungen/Bahnen, z.T. mit akrobatischen Übungen/Sprüngen/Kunststücken.<br />

→ HipHop<br />

Speedball: Schnellste Variante <strong>de</strong>s → Paintballspiels. Kann <strong>im</strong> Freien (auf fußballfeldähnlichen<br />

Plätzen) <strong>und</strong> in Hallen mit künstlichen Deckungen (Autoreifen, Paletten, Strohballen)<br />

gespielt wer<strong>de</strong>n.<br />

Splash: Farbfleck durch Aufprall einer → Farb-/Paintballkugel, Treffer.<br />

Sprayen: → Graffiti-Kunst; Herstellen <strong>von</strong> Bil<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Schriftzügen (Kunstwerken) mit<br />

Spraydosen.<br />

Streetball: ‘Straßen’variante <strong>de</strong>s Basketballspiels. → HipHop<br />

323


Sup’Air: → Speedball-Variante auf künstlich angelegtem Spielfeld. Deckungen bestehen aus<br />

aufgeblasenen bunten Zylin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Kegeln. Die Zuschauer können die Spielzüge überblicken.<br />

Team: Bezeichnet in <strong>de</strong>r → Paintballzene einen Verein (o<strong>de</strong>r Club) bzw. eine Mannschaft <strong>im</strong><br />

Rahmen <strong>von</strong> Liga-Spielen, Turnieren <strong>und</strong> sonstigen Wettkampfveranstaltungen.<br />

Teamcaptain: ‘Führungsposition’, Mannschaftskapitän be<strong>im</strong> → Paintball; ähnlich einem<br />

Spieler-Trainer <strong>im</strong> Fußball. Der Teamcaptain entschei<strong>de</strong>t, wer bei einem Turnierspiel mitspielt<br />

<strong>und</strong> wer welche Funktion übern<strong>im</strong>mt.<br />

Treffer: → Splash<br />

Wagendorfbewohner: Personen, die auf einem Wagendorfplatz (Bau- <strong>und</strong> Campingwagen),<br />

meist in Großstädten, wohnen. Typisch ist eine ‘antibürgerliche’ Aussteigerhaltung <strong>und</strong> die<br />

Suche nach alternativer Selbstverwirklichung.<br />

Woodland: Variante <strong>de</strong>s → Paintballspiels, bei <strong>de</strong>r <strong>im</strong> Freien auf einem größeren, hügeligen<br />

Gelän<strong>de</strong> gespielt wird.<br />

Yuppie: Young urban professional people; lifestyleorientierte Aufsteiger/Jungkarrieristen.<br />

b) Sadomasochismus<br />

Analpraktiken: Analerotik, analer Koitus (Geschlechtsverkehr) o<strong>de</strong>r Penetration mit verschie<strong>de</strong>nen<br />

Gegenstän<strong>de</strong>n.<br />

Bizarr: Szene-Begriff für außergewöhnliche Praktiken, wie etwa → Koprophilie, Urolagnie,<br />

Klinik-Sex o<strong>de</strong>r Verkehr mit Schwangeren.<br />

Bondage: Fesselung <strong>de</strong>s ganzen Körpers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Extremitäten mit Ketten, Seilen, Schnüren<br />

etc., auch ‘Einpacken’ in Ganzkörpersäcke o<strong>de</strong>r ‘Einsperren’ in Käfige o<strong>de</strong>r Räume.<br />

Bottom/B: Szenebegriff für die → submissive Rolle <strong>im</strong> sadomasochistischen Arrangement (→<br />

Masochismus, M, Sklave).<br />

Breeches: Reithose.<br />

Chaps: (Le<strong>de</strong>r)-Hosen, die an Gesäß <strong>und</strong> Geschlechtsteil ausgeschnitten sind. Sie wer<strong>de</strong>n<br />

sowohl auf <strong>de</strong>r Haut als auch über Jeans getragen.<br />

Cockring: Um <strong>de</strong>n Penis befestigter Ring aus Metall, Gummi o<strong>de</strong>r Le<strong>de</strong>r. Neben <strong>de</strong>r<br />

Schmuckfunktion (→ Int<strong>im</strong>schmuck) dient er <strong>de</strong>r Erhaltung o<strong>de</strong>r Verbesserung <strong>de</strong>r Gliedversteifung.<br />

Cruising area: Öffentliche Orte wie Parks o<strong>de</strong>r → Klappen, an <strong>de</strong>nen Schwule ihre Sexpartner<br />

rekrutieren <strong>und</strong> auch Sexkontakte haben.<br />

Darkroom: Meist Neben- o<strong>de</strong>r Kellerraum in Schwulen-Kneipen, wo anonymer Sex (auch<br />

Sadomasochismus) praktiziert wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Dehnung: Dehnen <strong>von</strong> Körperöffnungen (Vagina <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r Anus) mit Gegenstän<strong>de</strong>n (z.B. →<br />

Dildos o<strong>de</strong>r Analstopfen verschie<strong>de</strong>ner Größe) o<strong>de</strong>r <strong>von</strong> Ho<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Penis mit Gewichten.<br />

324


Dildo: Nachbildung <strong>de</strong>s steifen männlichen Glie<strong>de</strong>s (zumeist aus Kunststoff, aber auch<br />

Gummi/Le<strong>de</strong>r). Es wird <strong>von</strong> Männern <strong>und</strong> Frauen zur sexuellen St<strong>im</strong>ulation benutzt. Einige<br />

Varianten können umgeb<strong>und</strong>en wer<strong>de</strong>n.<br />

Dirty: Sexpraktik, die Exkremente (auf <strong>de</strong>m Körper verreiben, verspeisen) mit einbezieht.<br />

Domina: → Dominante Frau. 1. Professionelle Domina, die (gegen Bezahlung) die masochistischen<br />

Wünsche ihrer meist männlichen K<strong>und</strong>en befriedigt. Geschlechtsverkehr ist dabei in<br />

<strong>de</strong>r Regel ausgeschlossen. 2. Ausdruck für dominante Frauen, die keine finanziellen Interessen<br />

mit <strong>de</strong>r Ausübung <strong>von</strong> sadomasochistischen Praktiken verbin<strong>de</strong>n.<br />

Dual: Person, die sich nicht auf eine SM-Rolle (→ Top o<strong>de</strong>r → Bottom) festlegt, son<strong>de</strong>rn bei<strong>de</strong><br />

praktiziert (→ Switch).<br />

Englische Erziehung: Wechselspiel zwischen einer → dominanten <strong>und</strong> einer → submissiven<br />

Person. Dazu gehören Bestrafungen, wie etwa Schlagen, Peitschen etc. Oft wer<strong>de</strong>n solche<br />

Inszenierungen in einem Lehrer/Schüler-, Vater/Sohn-, Vater/Tochter-, Mutter/Sohn<br />

o.ä.Verhältnis nachempf<strong>und</strong>en.<br />

Fist Fucking/Fisten (FF): Anale o<strong>de</strong>r vaginale Penetration mit zur Faust geschlossener Hand<br />

<strong>und</strong> Unterarm.<br />

Flagellation: Praktik bei <strong>de</strong>r Schlagen <strong>und</strong> Geschlagenwer<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> steht. Dazu<br />

können Peitschen, Rohrstöcke, Ruten, Reitgerten o<strong>de</strong>r Ähnliches verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Oft in<br />

Verbindung mit Erziehungsspielen (→ Englische Erziehung).<br />

Flag-Szene: Gruppe <strong>von</strong> Personen, die sexuelle Lust durch → Flagellation empfin<strong>de</strong>t.<br />

Fetischismus: (Sexuelle) Fixierung meist bei Männern auf best<strong>im</strong>mte Körperteile (z.B. Füße,<br />

Brüste) o<strong>de</strong>r Kleidungsstücke (Unterwäsche, auch getragen, Korsetts) o<strong>de</strong>r best<strong>im</strong>mte Materialien<br />

(Le<strong>de</strong>r, Gummi).<br />

Gol<strong>de</strong>n shower: Urinieren auf <strong>de</strong>n Körper o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Partners.<br />

Harness (Pfer<strong>de</strong>geschirr): Le<strong>de</strong>rriemen, die durch Metallringe <strong>und</strong> Nieten zusammengehalten<br />

wer<strong>de</strong>n. Sie wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r nackten Haut getragen.<br />

High Heels: Hochhackige Frauenschuhe <strong>und</strong> Stiefel, wer<strong>de</strong>n als Fetisch <strong>von</strong> Frauen <strong>und</strong><br />

Männern gebraucht.<br />

HWG: 1. Häufig wechseln<strong>de</strong>r Geschlechtsverkehr. 2. ‘Huren wehren sich gemeinsam’: Initiative<br />

<strong>von</strong> Prostituierten, zur Vertretung ihrer Interessen nach außen.<br />

Int<strong>im</strong>schmuck: Ringe, Ketten o<strong>de</strong>r ähnliche Gegenstän<strong>de</strong>, die <strong>im</strong> Int<strong>im</strong>bereich o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n<br />

Brüsten angebracht wer<strong>de</strong>n. Zur Befestigung wer<strong>de</strong>n die betreffen<strong>de</strong>n Körperteile perforiert<br />

(→ Piercing).<br />

Jack-Off-Party: (abgeleitet vom Amerikanischen jerk off = ‘wichsen’). Von Schwulen organisiertes<br />

Fest, bei <strong>de</strong>m ausschließlich → Safe-Sex-Praktiken erlaubt sind <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Einlass nur bis<br />

zu einer best<strong>im</strong>mten Uhrzeit erfolgt. Wer die Party danach verläßt, muss draußen bleiben.<br />

Kaviar: Szenebezeichnung für Kot (→ Dirty).<br />

Klammern: Sie wer<strong>de</strong>n zur schmerzhaften Befestigung an <strong>de</strong>r Brust, <strong>im</strong> Int<strong>im</strong>bereich o<strong>de</strong>r an<br />

an<strong>de</strong>ren Körperstellen verwen<strong>de</strong>t; sind meistens aus Kunststoff o<strong>de</strong>r Metall.<br />

Klappen: Öffentliche Bedürfnisanstalten, die Schwule zum Sex nutzen (→ Cruising Area).<br />

325


Klinik-Sex: Sexpraktiken, die in klinikähnlichen Räumen stattfin<strong>de</strong>n. Dazu gehören Arzt-<br />

Patient-Inszenierungen (z.B. das Einführen eines Katheters, Untersuchungen auf einem gynäkologischen<br />

Stuhl, → Klistiere etc.).<br />

Klistier: Einlauf. Diverse Flüssigkeiten wer<strong>de</strong>n mittels eines Schlauches in <strong>de</strong>n Mastdarm zu<br />

<strong>de</strong>ssen Entleerung bzw. Reinigung eingeführt. Wird häufig vor Analverkehr_o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Rahmen<br />

<strong>de</strong>s → Klinik-Sex angewandt.<br />

Koprolagnie: (Sexuelle) Neigung zu Kot(Spielen); Beschmieren, Verreiben.<br />

Koprophagie: (Sexuelle) Neigung zum Verspeisen <strong>von</strong> Kot.<br />

Le<strong>de</strong>r-Szene: Personengruppe in <strong>de</strong>r schwulen (aber auch heterosexuellen) Subkultur, die eine<br />

fetischistische Vorliebe für Le<strong>de</strong>rkleidung <strong>und</strong> -materialien hat.<br />

Lolita: 1. Vom sexuellen Verhalten <strong>und</strong> vom Aussehen her frühreifes Mädchen (zwischen 9<br />

<strong>und</strong> 24 Jahren). 2. hier: Vom äußeren Erscheinungsbild her mädchenhafte Frau.<br />

Masochismus: Neigung zu (sexuell) unterwürfigem Verhalten; Rolle <strong>im</strong> → sadomasochistischen<br />

Arrangement (→ Bottom, M, Submission), die durch das ‘Erlei<strong>de</strong>n’ physischer wie auch<br />

psychischer Beeinträchtigungen/Gewalt gekennzeichnet ist.<br />

M: → Bottom, kann auch die Abkürzung für → Meister sein.<br />

Meister: Wird (beson<strong>de</strong>rs bei Schwulen) für die → dominante Rolle verwen<strong>de</strong>t.<br />

Na<strong>de</strong>lspiele: Na<strong>de</strong>ln wer<strong>de</strong>n zur St<strong>im</strong>ulation sowohl an <strong>de</strong>n Geschlechtsteilen als auch an<br />

an<strong>de</strong>ren Körperstellen angebracht. Häufig wer<strong>de</strong>n auch Vorhaut, Brustwarzen o<strong>de</strong>r Schamlippen<br />

durchstochen.<br />

Natursekt (NS): Sexpraktik, die Urin miteinbezieht; Verreiben auf <strong>de</strong>m Körper, Trinken (→<br />

Dirty)<br />

Negrophilie: Sexuelle Orientierung, bei <strong>de</strong>r die Befriedingung durch Handlungen an Leichen<br />

erlangt wird.<br />

Nymphomanie: ‘Krankhaft’ gesteigerter Geschlechtstrieb <strong>de</strong>r Frau.<br />

One-night-stand: Sexuelle Aktivitäten zweier o<strong>de</strong>r mehrerer Personen für eine Nacht ohne<br />

weitere Verpflichtungen.<br />

Pä<strong>de</strong>rastie: Gleichgeschlechtliche Beziehung <strong>von</strong> älteren zu jüngeren Männern (Knaben)<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> alten Griechenland. Gemeint ist sowohl die sexuelle Beziehung als auch ein<br />

erzieherisches Verhältnis <strong>im</strong> intellektuellen Sinn.<br />

Pädophilie: Neigung zu sexuellen Handlungen mit Kin<strong>de</strong>rn.<br />

Piercing: Durchstechen <strong>von</strong> Körperteilen mit Na<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Gegenstän<strong>de</strong>n zur Befestigung<br />

<strong>von</strong> → Int<strong>im</strong>schmuck.<br />

Poppers: Rauschmittel auf Amylnitratbasis mit gefäßerweitern<strong>de</strong>r <strong>und</strong> muskelentspannen<strong>de</strong>r<br />

Wirkung (→ Analverkehr).<br />

S: → Dominante Rolle <strong>im</strong> → sadomasochistischen Setting.<br />

Sackfolter: Behandlung <strong>de</strong>r Ho<strong>de</strong>n mit unterschiedlichen Gegenstän<strong>de</strong>n, wie etwa Riemen,<br />

Na<strong>de</strong>ln, → Cockringen o<strong>de</strong>r Gewichten.<br />

326


Sadismus: Neigung zu (sexuell) → dominantem Verhalten; Rolle <strong>im</strong> → sadomasochistischen<br />

Arrangement, die durch das ‘Zufügen’ physischer wie auch psychischer Beeinträchtigungen/Gewalt<br />

gekennzeichnet ist (→ Domina, Meister, S, Top).<br />

Sadomasochismus: Sammelbegriff für → masochistiche <strong>und</strong> → sadistische Orientierungen<br />

bzw. Praktiken; Interaktion zwischen → Sadist <strong>und</strong> → Masochist.<br />

Safe sex: Sexualpraktiken, die vor einer AIDS-Ansteckung o<strong>de</strong>r auch Geschlechtskrankheiten<br />

schützen sollen.<br />

Scat: (aus <strong>de</strong>m Engl.) Fäkalien → Dirty<br />

Schoko: → Dirty_<br />

Sklave: Unterworfene Person, die absoluten Gehorsam gegenüber ihrem → Meister_bzw.<br />

ihrer → Domina zeigt (→ Bottom, M).<br />

Sklaven-Auktion: Inszenierung, die einer antiken Versteigerung <strong>von</strong> → Sklaven_nachempf<strong>und</strong>en<br />

ist. Dabei wer<strong>de</strong>n Letztere meistbietend (für einen begrenzten Zeitraum, in <strong>de</strong>r Regel<br />

ein paar St<strong>und</strong>en) 'verkauft'.<br />

Sling (engl.: Schleu<strong>de</strong>r, Schlagriemen Schlinge): Ein meist aus Le<strong>de</strong>r gefertigtes Gurtwerk<br />

zum Aufhängen an <strong>de</strong>r Decke, bei <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r darin liegen<strong>de</strong> Körper in einer entspannten<br />

<strong>und</strong> für verschie<strong>de</strong>ne Sexualpraktiken (wie etwa Fist Fucking) geeigneten Rückenlage befin<strong>de</strong>t.<br />

SM: Gebräuchliche Abkürzung für → Sadomasochismus.<br />

Stopco<strong>de</strong>: Begriff, auf <strong>de</strong>n sich die an einer → sadomasochistischen Inszenierung Beteiligten<br />

vorher einigen. Er wird gebraucht, wenn einer <strong>de</strong>r Partner das Setting unterbrechen möchte.<br />

Straps <strong>und</strong> Grips: Vereinigung <strong>von</strong> Prostituierten (→ HWG).<br />

Strenge Erziehung: Beson<strong>de</strong>rs harte Bestrafungsmaßnahmen gegenüber einem → Sklaven<br />

o<strong>de</strong>r Schüler.<br />

Stromspiele: Sadomasochistische Praktiken, bei <strong>de</strong>nen mittels leichter Stromschläge gefoltert<br />

wird.<br />

Swinger: Männer o<strong>de</strong>r Frauen, <strong>de</strong>ren Sexualverhalten in beson<strong>de</strong>rem Maße auf wechseln<strong>de</strong><br />

Geschlechtspartner abzielt (Gruppensex).<br />

Switch: → Dual<br />

Tabuloser Sex: Sex, <strong>de</strong>r sehr weit gesteckte Grenzen hat, meist auch → bizarre Praktiken mit<br />

einbeziehend.<br />

Toilettensklave: → Sklave, <strong>de</strong>r die Ausscheidungen an<strong>de</strong>rer Personen, mitunter auch aus <strong>de</strong>m<br />

WC, verspeißt o<strong>de</strong>r trinkt.<br />

Top: → Domina, Meister, S, Sadist.<br />

Toys: Gegenstän<strong>de</strong> (‘Spielzeuge’) für → sadomasochistische, bizarre o<strong>de</strong>r änhnliche Sexualpraktiken.<br />

Transvestit (TV): Person, die Klei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Geschlechts trägt.<br />

327


Transsexueller: Person, die sich <strong>im</strong> Körper <strong>de</strong>s eigenen Geschlechts unwohl fühlt, bis hin<br />

zum Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung (hormonell, operativ).<br />

Urolagnie: Sexuelle Neigung zu Urin(spielen).<br />

Vibrator: Elektrisches (phallusartiges) Massagegerät, das zur sexuellen St<strong>im</strong>ulation benutzt<br />

<strong>und</strong> häufig vaginal o<strong>de</strong>r anal eingeführt wird.<br />

Wasserspiele: Sexuelle Spiele unter Einbeziehung <strong>von</strong> Urin. → Natursekt.<br />

Watersports: → Wasserspiele, → Natursekt.<br />

Whipping: (aus <strong>de</strong>m Engl.) Jeman<strong>de</strong>m eine Tracht Prügel versetzen. → Flagellation.<br />

Zofe: Assistent(in) einer dominanten Person, <strong>de</strong>r/die an<strong>de</strong>ren Beteiligten unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

auch für Geschlechts- <strong>und</strong> Oralverkehr zur Verfügung steht o<strong>de</strong>r die untergeordnete Rolle<br />

einn<strong>im</strong>mt.<br />

Zoophilie: Sexuelle Neigung zu Tieren.<br />

328


Beispiele Datenerhebungsmaterial<br />

329


Gewalt, Abenteuer o<strong>de</strong>r Sport?<br />

Schon seit geraumer Zeit sind Gotcha- o<strong>de</strong>r Paintballspieler/innen ins Kreuzfeuer <strong>de</strong>r<br />

Kritik geraten. Schlagzeilen wie ‘Sport o<strong>de</strong>r Mord?’ dokumentieren <strong>de</strong>n Stand <strong>de</strong>r<br />

Diskussion. Selten fin<strong>de</strong>t die Perspektive <strong>de</strong>r Fans dieser <strong>und</strong> ähnlicher Sportarten<br />

Berücksichtigung. Ihre ‘Sicht <strong>de</strong>r Dinge’ soll <strong>de</strong>shalb <strong>im</strong> Rahmen einer Untersuchung<br />

herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n. Was sind die Motive, welche Faszination verbirgt sich dahinter?<br />

Sind diejenigen, die diesen Sport ausüben, gewaltverherrlichen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r gar<br />

gewalttätige Individuen?<br />

Dies sind Fragen, die nur beantwortet wer<strong>de</strong>n können, wenn die Fans selbst zu Wort<br />

kommen. Ziel dieser Untersuchung ist also, eine nicht werten<strong>de</strong> Darstellung <strong>de</strong>r<br />

Perspektive <strong>de</strong>r ‘Spieler’, ihrer Erfahrungen <strong>und</strong> Erlebnisse, die mit <strong>de</strong>m Ausüben<br />

dieses Kampfsportes (?) verb<strong>und</strong>en sind, vorzunehmen. Dies kann aber nur<br />

gelingen, wenn sie <strong>im</strong> direkten Gespräch bereit sind, darüber zu berichten, <strong>de</strong>nn die<br />

Auswertung <strong>von</strong> z.B. Artikeln aus <strong>de</strong>r Regenbogenpresse wür<strong>de</strong> allenfalls Erkenntnisse<br />

über Vorurteile erbringen, nicht aber die Realität treffen.<br />

Über Ihr Interesse wür<strong>de</strong>n wir uns sehr freuen <strong>und</strong> Ihnen als kleines Dankeschön<br />

nach Fertigstellung <strong>de</strong>n Forschungsbericht zur Verfügung stellen. Noch ein wichtiger<br />

Hinweis: Die I<strong>de</strong>ntität <strong>von</strong> Einzelpersonen, persönliche Daten wie Namen o<strong>de</strong>r Adressen<br />

<strong>und</strong> ähnliches spielen keine Rolle!<br />

Kontakt:<br />

Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftliche Forschung <strong>und</strong> Weiterbildung<br />

an <strong>de</strong>r Universität Trier e.V.<br />

z.H. Linda Steinmetz<br />

DM I - 116 - Postfach 7<br />

54286 Trier<br />

Tel. 0651/201-3232 o<strong>de</strong>r 3233; Fax 0651/201-3232<br />

e-mail: steinmet@pcmail.uni-trier.<strong>de</strong><br />

330


Linda Steinmetz Tel. 0651-201-3232<br />

DM I/116 - Postfach 7 Fax: 0651-201-3232<br />

D-54286 Trier e-mail: steinmet@pcmail.uni-trier.<strong>de</strong><br />

Paintball Club Austria<br />

En<strong>de</strong>rgasse 4<br />

1120 Wien<br />

Sehr geehrte Damen <strong>und</strong> Herren,<br />

aufgr<strong>und</strong> Ihrer Anzeige in ‘Paintball Pur’ (Heft 3, 1996, S. 40/41) erlaube ich mir, Sie heute<br />

anzuschreiben. Ich selbst habe keinerlei Erfahrungen mit Paintball o<strong>de</strong>r Gotcha, auch verfüge<br />

ich über keinerlei Kenntnisse bezüglich Regeln, Techniken, Strategien u.v.m. Als wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin <strong>de</strong>r Abteilung Soziologie <strong>de</strong>r Universität Trier interessiere ich mich<br />

<strong>im</strong> Rahmen eines Forschungsprojektes für Ihr ‘Hobby’.<br />

Zunächst einmal geht es mir darum, einen ersten Überblick über <strong>de</strong>n Sport selbst zu erhalten<br />

(Regeln, Kleidung, Sport-‘Waffen’ etc.). Dann bin ich auch daran interessiert, etwas über die<br />

Szene (Veranstaltungen, Clubs, Wettbewerbe, Nachrichtenbretter/Rubriken <strong>im</strong> Internet) etc.<br />

herauszufin<strong>de</strong>n. In erster Linie interessiert mich jedoch, was die Faszination dieser Sportart<br />

ausmacht, welches die Motive sind, diesen Sport auszuüben, welche Gefühle <strong>und</strong> ‘Körpererfahrungen’<br />

damit einhergehen (Erfahrungsberichte zu sog. ‘Extremsportarten’ sind z.B. aus<br />

<strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>s Bergsteigens bekannt).<br />

Um all dies herauszufin<strong>de</strong>n, bin ich jedoch auf die fre<strong>und</strong>liche Unterstützung <strong>de</strong>r<br />

Fans/Sportler angewiesen. Deshalb wür<strong>de</strong> es mich freuen, wenn Sie als Experten mir weiterhelfen<br />

könnten. Vielleicht können Sie in diesem Zusammenhang das beiliegen<strong>de</strong> Papier auch<br />

in Ihrem Club, ggfs. an Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte weiterreichen?<br />

Einen ersten Einblick erhoffe ich mir über Clubdarstellungen, Veranstaltungshinweise, Flugblätter,<br />

Vi<strong>de</strong>os, Erfahrungsberichte, (nicht-kommerzielle) Szene-Magazine u.ä., also all jene<br />

Materialien, die die Sport-Szene über sich selbst produziert. Dann bin ich aber auch daran<br />

interessiert, mit einzelnen Sportlern o<strong>de</strong>r Clubs (Gruppen/Teams) über ihr Hobby zu sprechen/diskutieren.<br />

Sollte es Ihnen möglich sein, Materialien zur Verfügung zu stellen, erhalten<br />

Sie diese selbstverständlich zurück. Die Gespräche könnten telefonisch o<strong>de</strong>r ggfs. vor Ort bei<br />

Ihnen durchgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Wenn mein Anliegen Ihr Interesse fin<strong>de</strong>t, wür<strong>de</strong> ich mich über einen kurzen Anruf/Fax o<strong>de</strong>r<br />

Antwortbrief (liegt frankiert bei) freuen. Vielleicht darf ich ja bereits auf die ein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

Clubzeitschrift o.ä. hoffen.<br />

Damit Sie sich einen Eindruck über die bisherigen Arbeiten <strong>de</strong>r Forschungsgruppe machen<br />

können, lege ich Ihnen einige Kopien bei.<br />

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit bestem Dank <strong>im</strong> voraus<br />

mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen<br />

Linda Steinmetz<br />

331

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