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Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe

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der, verschiedene Perspektiven schälen<br />

sich heraus: die Homburgs, Natalies, die<br />

des Kurfürsten. Wie durch ein Brennglas<br />

blickt der Betrachter auf das Spiel, jede<br />

kleinste Bewegung scheint sich auf der<br />

abstrakten Spielfläche zu vergrößern, und<br />

mit dem Verlauf des Sandes verändert sich<br />

im Spiel auch die Struktur des Raums, der<br />

zugleich Innen und Außen, Schlachtfeld<br />

und Garten, Gefängnis und Schloss ist.<br />

Mit ihren Kostümen, die historische<br />

Schnitte und Farben mit leichten, modernen<br />

Stoffen kombinieren, schafft Ricarda<br />

Knödler eine Verbindung zwischen der<br />

Zeit der Handlung um die Schlacht von<br />

Fehrbellin 1675 und unserer Gegenwart.<br />

Der Münchner Musiker Benedikt Brachtel<br />

lässt Melodien traditioneller Schlaflieder<br />

wie Schlafe, mein Prinzchen, Der Mond ist<br />

aufgegangen und Schlaf, Kindlein, schlaf<br />

in Kompositionen für Bassgitarre, Geige,<br />

Cello und Harmonium einfließen.<br />

„Was fängt man zum Beispiel mit Kleists<br />

Prinz von Homburg heute an, mit der<br />

Motivation eines Kriegers durch Liebe und<br />

dessen Einverständnis mit der Strategie<br />

eines Vernichtungskriegs“, fragt Michael<br />

Börgerding in Für eine Literatur des Krieges<br />

– revisited. Wo können wir inhaltlich<br />

heute ansetzen, um uns diesem Drama zu<br />

nähern, das anhand der modellhaften Geschichte<br />

eines Menschen unterschiedliche<br />

kriegsphilosophische Theorien und Positionen<br />

gegeneinander ins Feld führt und<br />

überprüft, das um Themen wie Gehorsamspflicht<br />

und Begriffe wie Vaterland kreist<br />

– und das versucht, den Widerspruch<br />

zwischen Gesetz und Gefühl, Gehorsam<br />

und Selbstbestimmung durch ein freies<br />

Bekenntnis zur Ordnung aufzulösen<br />

Die Frage nach dem höchsten Wert<br />

menschlichen Handelns, die das Stück<br />

aufwirft und zur Diskussion stellt, hat das<br />

Potential, über den konkreten Kontext des<br />

Stückes hinaus nachzuwirken. Aber wo<br />

genau liegt der Kern, „die Seele“ dessen,<br />

was uns auch heute noch daran berührt,<br />

dass hier ein Individuum in seinem persönlichen<br />

Ehrgeiz gebrochen und von einer<br />

exzentrischen Persönlichkeit zu einem<br />

autoritätshörigen Vertreter des Systems<br />

wird Regisseur Martin Nimz liest das<br />

Stück ausgehend von der Figur der Natalie.<br />

Dem exzentrischen Titelhelden und seiner<br />

Entwicklung vom narzisstischen Träumer<br />

und impulsiven Kämpfer zum gesetzestreuen<br />

Werkzeug des Kurfürsten, setzt er<br />

die Geschichte einer Frau entgegen, deren<br />

Fühlen und Handeln den Blick auf ein<br />

anderes Schlachtfeld als das des äußeren<br />

Krieges lenkt: Mit Natalie dringen wir vor<br />

ins Innerste eines Menschen, der liebt,<br />

verraten wird und dennoch alles daran<br />

setzt, das Leben der Person zu erhalten,<br />

die diesen Verrat begangen hat.<br />

„Ich gebe jeden Anspruch auf an Glück.<br />

Nataliens, das vergiss‘ nicht, ihm zu melden,<br />

begehr‘ ich gar nicht mehr. Frei ist sie<br />

wieder, mit Hand und Mund, als wär‘ ich<br />

nie gewesen. Verschenken kann sie sich,<br />

und wenn‘s Karl Gustav, der Schweden<br />

König ist, so lob‘ ich sie“: Diese Aussage<br />

Homburgs der Kurfürstin gegenüber,<br />

die jede Hoffnung auf eine gemeinsame<br />

Zukunft ad absurdum führt, verändert<br />

Natalie von einer passiven Figur, deren<br />

bloße Existenz Handlungen motiviert und<br />

Ansprüche provoziert, zu einer Persönlichkeit,<br />

die aktiv in das Geschehen eingreift.<br />

Im Verrat Homburgs an Natalie verbirgt<br />

sich für den Regisseur der bittere Kern des<br />

Dramas, von dem aus die Geschichte über<br />

zweihundert Jahre hinweg eine Relevanz<br />

entwickelt. Er ist Stein des Anstoßes und<br />

Erzählanlass. Natalies Kampf um Hom-<br />

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