Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
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icht das Studium jedoch nach drei Semestern<br />
wieder ab. Die Beschäftigung mit<br />
den Schriften Kants und anderer Philosophen,<br />
stürzt ihn in eine tiefe Krise. Im März<br />
1801 schreibt er seiner Verlobten Wilhelmine<br />
von Zenge: „Wenn alle Menschen<br />
statt der Augen grüne Gläser hätten, so<br />
würden sie urteilen müssen, die Gegenstände,<br />
welche sie dadurch erblicken, sind<br />
grün ... So ist es mit dem Verstande. Wir<br />
können nicht entscheiden, ob das, was wir<br />
Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist,<br />
oder ob es uns nur so scheint.“ Die Suche<br />
nach einer gültigen Wahrheit begleitet<br />
Kleist ein Leben lang. „Dass wir hienieden<br />
von der Wahrheit nichts, gar nichts wissen“,<br />
verunsichert ihn zutiefst. Er verliert<br />
die Orientierung, hat das Gefühl, sein „einziges<br />
und höchstes Ziel“ sei gesunken.<br />
Trotz aller Erschütterungen sieht Kleist die<br />
Verantwortung für sein Leben ausschließlich<br />
bei sich, dem eigenen Gefühl und Verstand<br />
folgend, will er sein Schicksal selbst<br />
bestimmen. Das Schreiben wird hierbei<br />
seine einzige Konstante. Erzählungen und<br />
Dramen, Novellen und Anekdoten, journalistische<br />
Artikel, Essays, Kritiken und<br />
politische Schriften. Kleist schreibt und<br />
publiziert unermüdlich, ist überzeugt, dass<br />
er mit seinen Werken Erfolg haben wird,<br />
erfährt Rückschläge, zweifelt, versucht es<br />
weiter. Immer wieder stürzt er sich voller<br />
Elan in die Arbeit an neuen Projekt, immer<br />
wieder sieht er seine Hoffnung enttäuscht,<br />
dass er es in der Welt zu etwas bringen,<br />
sich mit dem Leben aussöhnen könnte.<br />
Auf sein Debüt Die Familie Schroffenstein,<br />
das im November 1802 erscheint, folgen<br />
in den Jahren zwischen 1803 und 1810 die<br />
dramatischen Arbeiten Robert Guiskard,<br />
Amphitryon, Der zerbrochene Krug, Penthesilea,<br />
Das Käthchen von Heilbronn und<br />
Die Hermannschlacht. Kleist wird Mitherausgeber<br />
des Kunstjournals „Phöbus“<br />
und später der „Berliner Abendblätter“,<br />
schreibt Über die allmähliche Verfertigung<br />
der Gedanken beim Reden und Über<br />
das Marionettentheater. Durch Marie von<br />
Kleist lässt er im September 1811 bei Hofe<br />
ein handschriftliches Exemplar des Prinz<br />
Friedrich von Homburg überreichen.<br />
„Es gibt glücklichere, erhebendere Geschichten<br />
aus der Blütezeit des deutschen<br />
Geistes“, schreibt Bisky, „aber keine,<br />
die mehr Spannungen enthielte, in der<br />
Extreme derart unvermittelt aufeinander<br />
stoßen. Kein zweiter Dichter der Zeit hat<br />
sich mehr auf die Forderungen des Tages<br />
eingelassen und zugleich den Zwängen<br />
seiner Gegenwart getrotzt.“ Im November<br />
1811 gibt er auf. „Ach, es ist ein ermüdender<br />
Zustand dieses Leben“, schreibt er<br />
Marie von Kleist, „recht, wie Sie sagten,<br />
eine Fatigue.“ Der innere Kampf hat Kleist<br />
aufgerieben, eine Lösung des Konflikts<br />
scheint ausgeschlossen. „Ich schwöre<br />
Dir, es ist mir ganz unmöglich länger zu<br />
leben; meine Seele ist so wund, dass mir,<br />
ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase<br />
aus dem Fenster stecke, das Tageslicht<br />
wehe tut, das mir darauf schimmert.“ Mit<br />
Henriette Vogel fährt Kleist zum Kleinen<br />
Wannsee. „Adieu!“, schreibt er an Marie,<br />
„– rechne hinzu, dass ich eine Freundin<br />
gefunden habe, deren Seele wie ein junger<br />
Adler fliegt ... die meine Traurigkeit als eine<br />
höhere, festgewurzelte und unheilbare<br />
begreift.“ Noch wenige Wochen vor seinem<br />
Tod, hatte er den König um Wiederaufnahme<br />
ins Militär gebeten, überzeugt,<br />
dass es bald zu einem Krieg mit Frankreich<br />
kommen würde. Heinrich von Kleist wird<br />
34 Jahre alt. Sein faszinierendes Werk ist<br />
Zeugnis eines zerrissenen Menschen, der<br />
am Versuch, die im Innersten tobenden<br />
Widersprüche aufzulösen, gescheitert ist.<br />
Folgeseiten Matthias Lamp, Frank Wiegard, Thomas Halle<br />
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