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Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe

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Menschentyp braucht, macht der Kurfürst<br />

am Beispiel Homburgs deutlich. Als<br />

leidenschaftlich drauflos schlagender,<br />

ungestümer Kämpfer nutzt er dem Kurfürsten<br />

wenig: „Den Sieg nicht mag ich,<br />

der, ein Kind des Zufalls, mir von der Bank<br />

fällt. Mehr Schlachten noch als die hab<br />

ich zu schlagen und will, dass dem Gesetz<br />

Gehorsam sei.“ Erst nachdem Homburg,<br />

wie Kleist-Biograf Jens Bisky schreibt,<br />

„in Freiheit und Selbsttätigkeit die Zwecke<br />

des Vaterlandes zu den seinen gemacht<br />

hat“ und das Streben nach Erfüllung individueller<br />

Träume gegen das für den Erhalt<br />

eines „gefühlt“ höheren Gutes vertauscht<br />

hat, weiß der Kurfürst, dass er ihn künftig<br />

noch gut gebrauchen kann: „Blüht doch<br />

aus jedem Wort, dass du gesprochen, jetzt<br />

mir ein Sieg auf, der zu Staub ihn malmt.“<br />

Mit Homburgs Unterwerfung im Namen<br />

des Vaterlands endet das Drama von der,<br />

so Bisky, „Gleichschaltung einer Seele.“<br />

12<br />

Wenn der Kurfürst sich am Ende kraft<br />

seiner Macht selbst über das Gesetz hinwegsetzt,<br />

wenn er Homburg begnadigt und<br />

alles zum märchenhaften Finale zusammenkommt<br />

um die Rückkehr von einem zu<br />

feiern, der auszog, „Kriegszucht und Gehorsam“<br />

zu lernen, dann tut sich unter der<br />

scheinbaren Harmonie ein tiefer Abgrund<br />

auf. Der Prinz, der mit seinen egoistischen<br />

Zielen, schlafwandlerischen Aussetzern<br />

und extremen Gefühlsausbrüchen zu fehlerhaft<br />

und menschlich war, um ein perfektes<br />

Heldenbild abzugeben, ist nun zu einer<br />

Marionette des Kurfürsten geworden, die<br />

ihren Heldenstatus allein aus der Ideologie<br />

bezieht, die dieser vertritt. Und wenn der<br />

„neue Homburg“ mit seiner Truppe in die<br />

nächste Schlacht zieht, dann kippt das Bild<br />

des ruhmbegierigen, träumenden Prinzen<br />

vom Anfang in eine Alptraumvision hohler<br />

Körper und befehlshöriger Kampfmaschinen.<br />

„Kleist letztes Schauspiel ist vieles<br />

und Widersprüchliches zugleich“, schreibt<br />

Michael Börgerding in Für eine Literatur<br />

des Krieges - revisited, „eine große Feier<br />

des Todes, ein deutsches Erziehungsstück,<br />

eine Dressurmaschine. Ein Schrei nach Erlösung<br />

und Unsterblichkeit. Der Weg vom<br />

Tier über die Marionette zum Menschen<br />

und weiter zum Gott. Und es ist ein Traumstück.<br />

Ein narzisstischer Traum erwacht im<br />

Traum des kollektiven Hasses.“<br />

Die kontroversen Positionen, die die<br />

Figuren im Stück einnehmen, zeigen die<br />

Unmöglichkeit, die Widersprüche, die dem<br />

Dramas eingeschrieben sind, aufzulösen:<br />

Der Kurfürst erwartet, dass das Gefühl<br />

hinter dem Gesetz zurücktritt. Natalie<br />

versucht, beides in Einklang zu bringen,<br />

ist aber für den Erhalt eines Lebens als<br />

höchstes Gut bereit, die Grenzen des<br />

Gesetzes zu übertreten. Homburg macht<br />

die entgegengesetzte Entwicklung durch<br />

und wird von einem, der das Gesetz missachtet,<br />

im Angesicht des Todes zu dessen<br />

fanatischstem Vertreter. Die Offiziere, die<br />

sich für sein Leben einsetzen, stellen zwar<br />

das Gesetz nicht infrage, appellieren aber<br />

an die Macht des Kurfürsten, es zugunsten<br />

des Verurteilten auszulegen. Der<br />

erfahrene Kottwitz schließlich stellt die<br />

persönliche Überzeugung von einer Sache<br />

und seine freie Entscheidung, dafür zu<br />

kämpfen, über den unbedingten Gehorsam.<br />

„Eine Lösung im Sinne der Versöhnung<br />

findet der Konflikt trotz der Begnadigung<br />

nicht“, schreibt Bisky. „Es gibt nur eine<br />

Andeutung, wie in ähnlichen Situationen<br />

künftig zu handeln wäre: in bedingungsloser<br />

Selbstaufopferung, das Ziel, den Gegner<br />

zu vernichten, stets vor Augen. Beides<br />

soll gelten: Gehorsam und Gefühl, Plan und<br />

spontane Entscheidung. Der ungeschlichtete<br />

Widerspruch rast im Innersten.“<br />

Sophia Löffler

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