Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Katechismus der Deutschen von 1809<br />
lässt Kleist ein Kind auf die Frage, was mit<br />
dem Vaterland geschehen ist, antworten:<br />
„Napoleon, der korsische Kaiser, hat es,<br />
nach dem Frieden, durch eine Gewalttat<br />
zertrümmert.“ Immer wieder taucht der<br />
Begriff des Vaterlandes in Kleists letztem<br />
Drama auf. „Ist dir ein Heiligtum ganz unbekannt,<br />
das Vaterland sich nennt“, fragt<br />
der Kurfürst Natalie. „Das Vaterland, das<br />
du uns gründetest, steht, eine feste Burg“,<br />
entgegnet Natalie, „das wird ganz andre<br />
Stürme noch ertragen, fürwahr als diesen<br />
unberufnen Sieg; das wird sich ausbaun,<br />
herrlich, in der Zukunft ... zur Wonne der<br />
Freunde und zum Schrecken aller Feinde.“<br />
Die Vision einer idealen Gemeinschaft, die<br />
eine so enorme Strahlkraft besitzt, dass<br />
man sich ihr aus freien Stücken unterwirft,<br />
hatte Kleist bereits 1809 in seinen politischen<br />
Schriften zu Papier gebracht. Angesichts<br />
des Zieles, das es zu erreichen gilt,<br />
führt er im Homburg nun eine Auseinandersetzung<br />
mit der Frage nach dem obersten<br />
Wert für das menschliche Handeln<br />
herbei. Was geht vor Das Individuum oder<br />
die Gemeinschaft Das Lebensglück des<br />
Einzelnen oder das Gesetz „Das Kriegsgesetz,<br />
das weiß ich wohl, soll herrschen,<br />
jedoch die lieblichen Gefühle auch“, lässt<br />
der Dichter Natalie sagen. Die Gegensätze<br />
in eins denken – kann das funktionieren<br />
Als Homburg in die Schlacht stürmt,<br />
provoziert er den Obristen Kottwitz, der<br />
auf den Befehl zum Angriff warten will:<br />
„Hast du sie (die Order) noch vom Herzen<br />
nicht empfangen“ – und wird bald darauf<br />
belehrt, dass er damit das „heilige Gesetz<br />
des Kriegs“ verletzt hat. Immer wieder<br />
beruft Homburg sich auf sein Gefühl und<br />
rennt mit seinen Erwartungen gegen eine<br />
Wand, die unnachgiebig steht: „Der Satzung<br />
soll Gehorsam sein.“ Er folgt seinem<br />
Impuls, ignoriert einen Befehl, rechnet mit<br />
Anerkennung für seinen Sieg – und wird<br />
zum Tode verurteilt; auf sein Gefühl stützt<br />
sich die sichere Annahme, dass der Kurfürst<br />
ihn zwar dem Gesetz entsprechend<br />
verurteilen musste, das Todesurteil aber<br />
nie würde vollstrecken lassen – und muss<br />
erfahren, dass er es bereits unterzeichnet<br />
hat. Zunächst ist Homburg fassungslos.<br />
Doch der Kurfürst ist kein Tyrann, seine<br />
Herrschaft keine der Willkür. Er beruft sich<br />
schlicht und eisern auf das Gesetz – und<br />
lässt Homburg schließlich selbst entscheiden.<br />
„Meint ihr, ein Unrecht sei euch<br />
widerfahren, so bitt ich, sagt‘s mir mit zwei<br />
Worten – und gleich den Degen schick<br />
ich euch zurück.“ Auf die für die Leser der<br />
Kleist-Zeit irritierenden weil so gänzlich<br />
unheldenhaften Gefühle existentieller<br />
Todesangst und Verzweiflung folgt die<br />
überraschende Wendung: Der Prinz, der<br />
eben noch bereit war, Natalie, seinen Platz<br />
im Heer, seine Ämter, alles aufzugeben um<br />
sein Leben zu retten, überwindet seine<br />
Angst vor dem Tod und erkennt das Gesetz<br />
in all seiner Konsequenz an.<br />
„Ich will das heilige Gesetz des Kriegs,<br />
das ich verletzt, durch einen freien Tod<br />
verherrlichen“, erklärt er – und scheinbar<br />
handelt Homburg tatsächlich frei, da er<br />
die Entscheidung, wie vom Kurfürsten<br />
gefordert, selbst getroffen hat. Doch ist<br />
dies eine Freiheit, die nur möglich wird,<br />
nachdem er alle persönlichen Ansprüche,<br />
jede Form von individuellem Streben, jede<br />
Eitelkeit und Exzentrik aufgegeben hat. Er<br />
hat die Kriegsphilosophie des Kurfürsten<br />
verstanden, hat über „den Feind in uns,<br />
den Trotz, den Übermut“ triumphiert und<br />
sich einer Ideologie unterworfen, deren<br />
Ziel es ist, alle Kräfte so zu bündeln, dass<br />
der Feind nachhaltig geschlagen werden<br />
kann. Dass es dafür einen bestimmten<br />
11