Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
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Träum ich<br />
Wach ich<br />
Leb ich<br />
Bin ich bei Sinnen
PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG<br />
von Heinrich von Kleist<br />
Friedrich Wilhelm,<br />
Kurfürst von Brandenburg<br />
Die Kurfürstin<br />
Prinzessin Natalie von Oranien,<br />
Chef eines Dragonerregiments<br />
Feldmarschall Dörfling<br />
Prinz Friedrich Arthur von Homburg,<br />
General der Reiterei<br />
Obrist Kottwitz,<br />
vom Regiment der Prinzessin von Oranien<br />
Graf Hohenzollern,<br />
von der Suite des Kurfürsten<br />
Rittmeister von der Golz<br />
Graf Truchß, Oberst der Infanterie<br />
Bork, Hofkavalier<br />
Das Sandmännchen<br />
André Wagner<br />
Ute Baggeröhr<br />
Sophia Löffler<br />
Timo Tank<br />
Matthias Lamp<br />
Frank WIegard<br />
Thomas Halle<br />
Simon Bauer<br />
Till Bauer<br />
Michel Brandt<br />
Dagmar Weber<br />
Regie<br />
Bühne<br />
Mitarbeit Bühne<br />
Kostüme<br />
Musik<br />
Licht<br />
Dramaturgie<br />
Martin Nimz<br />
Julia Scholz / Martin NimZ<br />
Manuel Kolip<br />
Ricarda Knödler<br />
Benedikt Brachtel<br />
Christoph Pöschko<br />
Nina Steinhilber<br />
Premiere 16.5.13 KLEINES HAUS<br />
Aufführungsdauer 2 ½ Stunden, eine Pause
Regieassistenz MATHIAS HANNUS Kostümassistenz Stefanie Gaissert Soufflage<br />
Dagmar Weber Inspizienz Nikolaus Nauy Theaterpädagogik Anne Britting<br />
Regiehospitanz Ferial Karrasch, Francesca Carola Bühnenbildhospitanz<br />
Franziska wagner<br />
Technische Direktion Harald FaSSlrinner, Ralf Haslinger Bühne Hendrik<br />
Brüggemann, Edgar Lugmair Leiter der Beleuchtung Stefan Woinke Leiter<br />
der Tonabteilung Stefan Raebel Ton Jan Fuchs, Jan Palmer Leiter der Requisite<br />
Wolfgang Feger Requisite Clemens Widmann Werkstättenleiter guido schneitz<br />
Malsaalvorstand Dieter Moser Leiter der Theaterplastiker Ladislaus Zaban<br />
Schreinerei rouven bitsch Schlosserei Mario Weimar Polster- und Dekoabteilung<br />
Ute Wienberg Kostümdirektorin Doris Hersmann Gewandmeister/in Herren Petra<br />
Annette Schreiber, Robert Harter Gewandmeisterinnen Damen Tatjana Graf,<br />
Karin Wörner, Annette Gropp Waffenmeister MICHAEL PAOLONE, HARALD<br />
HEUSINGER Schuhmacherei Thomas Mahler, Barbara Kistner Modisterei Diana<br />
Ferrara, Jeanette Hardy Chefmaskenbildner Raimund Ostertag Maske Friederike<br />
Reichel, renate Schöner<br />
Die Sonne<br />
LEUCHTET HEUT<br />
ALLE HOFFNUNGEN<br />
ZU GRAB<br />
2 Matthias Lamp
Gehorsam<br />
& gefühl<br />
ZUM INHALT<br />
1. Akt<br />
Fehrbellin. Am Vorabend der Schlacht. Der<br />
Prinz von Homburg, General der Reiterei,<br />
hat sich schlafwandelnd in den Garten des<br />
Schlosses verirrt, wo ihn der Graf von Hohenzollern<br />
dabei beobachtet, wie er sich<br />
träumend einen Lorbeerkranz flicht. Als<br />
Hohenzollern den Kurfürsten weckt und<br />
ihn auf das seltsame Verhalten des Prinzen<br />
aufmerksam macht, erlaubt dieser sich<br />
einen Scherz mit Homburg: Vor den Augen<br />
einiger belustigter Offiziere reicht er den<br />
Lorbeerkranz seiner Nichte, Prinzessin Natalie<br />
von Oranien, in der Homburg im Traum<br />
seine Braut erkennt. Abrupt unterbricht<br />
der Kurfürst das Spiel und trennt Natalie<br />
und den Prinzen, der bei dem Versuch, sie<br />
festzuhalten, ihren Handschuh ergreift.<br />
Wieder bei Besinnung, erinnert Homburg<br />
sich an das, was er für den lebhaften<br />
Traum eines Mondsüchtigen hält. Aber<br />
wenn es wirklich nur ein Traum war, wo<br />
kommt dann der Handschuh her Und<br />
wem mag er gehören Hohenzollern denkt<br />
nicht daran, die Verwirrung des Prinzen<br />
aufzuklären. Noch immer unter dem<br />
Einfluss seines vermeintlichen Traumes,<br />
ist Homburg am nächsten Morgen bei der<br />
Befehlsausgabe unaufmerksam. Als die<br />
Kurfürstin und Natalie von den Offizieren<br />
Abschied nehmen, gibt die Prinzessin sich<br />
als Besitzerin des Handschuhs zu erkennen.<br />
Die Damen reisen ab, der Kurfürst<br />
ermahnt Homburg, in der bevorstehenden<br />
Schlacht Ruhe zu bewahren.<br />
2. Akt<br />
Homburg bezieht mit seiner Reiterei den<br />
ihm zugewiesenen Posten. An seiner Seite:<br />
der erfahrene Obrist Kottwitz vom Regiment<br />
der Prinzessin Natalie. Die Schlacht<br />
der Brandenburger gegen die Schweden<br />
beginnt. Noch einmal wird die Anweisung<br />
des Kurfürsten wiederholt: Homburg ist es<br />
untersagt, in die Schlacht einzugreifen, bevor<br />
er nicht ausdrücklichen Befehl dazu erhalten<br />
hat. Doch der Prinz will nicht länger<br />
4
warten. Als Rittmeister von der Golz ihn<br />
zurückhalten will, setzt er sich mit Gewalt<br />
darüber hinweg, fordert die Offiziere auf,<br />
ihm zu folgen und stürmt in die Schlacht.<br />
Homburgs Reiterei hat den Sieg in der<br />
Schlacht herbeigeführt. Nun suchen die<br />
Offiziere die Kurfürstin auf, die ihre Reise<br />
nach Havelberg in einem Dorf unterbrechen<br />
musste. Sie berichten von der<br />
Schlacht und wie der Kurfürst von einer<br />
feindlichen Kugel getroffen von seinem<br />
Schimmel stürzte. Die Nachricht vom Tod<br />
des Kurfürsten veranlasst Natalie zu der<br />
Frage, wie es nun weitergehen solle. Wild<br />
entschlossen erklärt der Prinz seine Bereitschaft,<br />
im Sinne des Kurfürsten sowohl<br />
für Natalies persönliches Schicksal als<br />
auch für das Weiterführen des Krieges die<br />
Verantwortung zu übernehmen. Er macht<br />
Natalie einen Antrag. Kurz darauf erfahren<br />
die Anwesenden von ihrem Irrtum: Nicht<br />
der Kurfürst selbst war von der Kugel<br />
getroffen worden, sondern sein Stallmeister,<br />
der mit ihm das Pferd getauscht hatte.<br />
Der Kurfürst lebt und befindet sich, so wird<br />
berichtet, in Friedensverhandlungen mit<br />
den Schweden. Die Offiziere sind aufgefordert,<br />
sich in Berlin einzufinden. Unterwegs<br />
bittet Homburg die Kurfürstin um eine Unterredung,<br />
seine und Natalies gemeinsame<br />
Zukunft betreffend.<br />
In Berlin erwartet der Kurfürst die Offiziere.<br />
In einem Gespräch mit seinem Feldmarschall<br />
macht der Kurfürst klar, dass, wer<br />
auch immer die Order gebrochen und die<br />
Reiterei frühzeitig in die Schlacht geführt<br />
hat, mit aller Härte zu bestrafen sei. In<br />
Berlin eingetroffen, wird der überraschte<br />
Prinz von Homburg vom Kurfürsten<br />
gefangen gesetzt und vor ein Kriegsgericht<br />
bestellt, das ihn kurz darauf für sein<br />
Vergehen zum Tode verurteilt.<br />
3. Akt<br />
Hohenzollern besucht Homburg im Gefängnis.<br />
Aufgrund ihrer persönlichen Bindung<br />
ist der Prinz sicher, dass der Kurfürst<br />
das Urteil nicht vollstrecken lassen wird.<br />
Hohenzollern berichtet, der Kurfürst habe<br />
sich das Todesurteil bereits zur Unterschrift<br />
kommen lassen. Homburg beharrt<br />
auf der sicheren Begnadigung.<br />
Doch dann konfrontiert Hohenzollern ihn<br />
mit einem furchtbaren Verdacht: Womöglich<br />
steht Homburgs Verbindung mit Natalie<br />
den politischen Interessen des Kurfürsten<br />
und damit einer Begnadigung im Wege.<br />
Die Prinzessin soll zentraler Bestandteil<br />
der Verhandlungen mit den Schweden<br />
sein. Hohenzollern verschafft Homburg<br />
die Gelegenheit, das Gefängnis für einen<br />
Besuch bei der Kurfürstin zu verlassen.<br />
Auf dem Weg sieht Homburg sein eigenes<br />
Grab und wird plötzlich von großer Todesangst<br />
ergriffen. Natalie ist anwesend, als<br />
der verzweifelte Prinz vor der Kurfürstin<br />
erscheint und sie anfleht, sich beim Kurfürsten<br />
noch einmal für sein Leben einzusetzen<br />
– mit dem Hinweis, dass er bereit<br />
ist, alle seine Ansprüche auf ein persönliches<br />
Glück mit Natalie aufzugeben.<br />
4. Akt<br />
Obgleich Homburg jede Hoffnung auf eine<br />
gemeinsame Zukunft zerstört hat, setzt<br />
sich Natalie beim Kurfürsten für sein<br />
Leben ein. Und tatsächlich stellt der dieser<br />
schließlich Homburgs Begnadigung in<br />
Aussicht – unter der Bedingung, dass der<br />
Prinz das Urteil als ungerecht empfindet.<br />
Er händigt Natalie ein Schreiben aus, das<br />
sie Homburg überbringen soll.<br />
Graf Truchß erscheint vor der Prinzessin<br />
und präsentiert ihr eine Bittschrift, in<br />
5
der Kottwitz im Namen ihres Regiments<br />
den Kurfürsten um die Begnadigung des<br />
Prinzen ersucht. Natalie ist aufgefordert,<br />
ebenfalls zu unterschreiben. Sie tut es –<br />
wissend, dass die von ihr selbst beim Kurfürsten<br />
erwirkte Begnadigung durch die<br />
damit verbundene Forderung noch keine<br />
sichere Rettung bringt. Und Natalie geht<br />
noch weiter: Um der Bittschrift, sollte sie<br />
zum Einsatz kommen müssen, den nötigen<br />
Einfluss zu verschaffen, beordert sie Kottwitz<br />
im Namen des Kurfürsten nach Berlin.<br />
Ihr Plan: Kottwitz soll auch das übrige<br />
Heer, das in der Stadt sein Lager bezogen<br />
hat, zur Unterschrift bewegen.<br />
Natalie weist den Grafen Truchß an, auf<br />
ihren Befehl zu warten, bis er die Papiere<br />
zum Einsatz bringt. Daraufhin sucht sie<br />
Homburg im Gefängnis auf und überbringt<br />
ihm die Nachricht seiner Begnadigung<br />
und das damit verbundene Schreiben des<br />
Kurfürsten. Als sie den Prinzen jedoch<br />
auffordert, die entsprechende Antwort<br />
zu verfassen, zögert er. Die Erkenntnis,<br />
dass der Kurfürst ihn dazu aufruft, selbst<br />
zu entscheiden, ob das Urteil gerecht ist,<br />
stürzt Homburg in einen tiefen Konflikt. Als<br />
er den Hofkavalier schließlich mit seiner<br />
Antwort zum Kurfürsten abschickt, ahnt<br />
Natalie, dass sein Brief nicht die erhofften<br />
Zeilen enthält und erteilt nun ihrerseits<br />
dem Grafen Truchß den Befehl, Kottwitz<br />
und ihr Regiment nach Berlin zu holen.<br />
5. Akt<br />
Der Kurfürst erfährt, dass Kottwitz mit<br />
dem Regiment der Prinzessin in die Stadt<br />
eingerückt ist und dass im Rathaus eine<br />
Versammlung der Offiziere stattfindet.<br />
Feldmarschall Dörfling informiert ihn über<br />
den Plan der Offiziere, den Prinzen, sollte<br />
ihr Gnadengesuch erfolglos sein, mit Gewalt<br />
aus seiner Haft zu befreien. Der Feldmarschall<br />
will den Kurfürsten überzeugen,<br />
diesem Anschlag zuvorzukommen und den<br />
Prinzen aus eigenem Antrieb zu begnadigen.<br />
Dann erhält dieser vom Hofkavalier<br />
die Antwort Homburgs auf seinen Brief.<br />
Als Kottwitz und die anderen Offiziere vor<br />
ihm erscheinen, erfährt der Kurfürst zunächst,<br />
dass seine eigene Order Kottwitz<br />
in die Stadt gerufen hat. Er verbirgt vor<br />
den Anwesenden, dass Natalie ohne sein<br />
Wissen gehandelt hat und erklärt ihnen,<br />
er habe das Regiment bestellt, um dem<br />
Prinzen bei der Urteilsvollstreckung die<br />
letzte Ehre zu erweisen. Kottwitz verteidigt<br />
die Tat des Prinzen und erklärt, dass<br />
es ohne dessen beherztes Eingreifen in der<br />
Schlacht nicht zum Sieg gekommen wäre.<br />
Der Kurfürst hält dagegen – und lässt<br />
schließlich Homburg selbst sprechen. Zum<br />
Entsetzen der Offiziere erkennt Homburg<br />
das Todesurteil an und unterwirft sich<br />
dem Gesetz. Der Kurfürst hat sein Ziel<br />
erreicht – und Homburg eine letzte Bitte:<br />
Der Frieden soll nicht mit Natalies Hand<br />
erkauft werden. Der Kurfürst gibt Natalie<br />
dem todgeweihten Homburg zur Braut.<br />
Während der Prinz sich auf seine Hinrichtung<br />
vorbereitet, erklärt der Kurfürst den<br />
Waffenstillstand für beendet und zerreißt<br />
das Todesurteil. „Die Schule dieser Tage<br />
durchgegangen“ soll Homburg seine<br />
Truppe erneut in die Schlacht führen.<br />
6<br />
André Wagner, Sophia Löffler<br />
Folgeseiten Timo Tank, Simon Bauer, Till Bauer, Thomas Halle
DRAMA<br />
der WIDERSPRÜCHE<br />
ZUM Stück<br />
„Der 18. Junius 1675 war es, an dem die<br />
Brandenburger ihren Kriegsruhm auf’s<br />
neue erhöhten. Der Prinz von Hessen-<br />
Homburg wurde mit Tages Anbruch<br />
vorausgeschickt, den Feind zu beobachten<br />
und aufzuhalten, jedoch ohne ihn anzugreifen.<br />
Er stieß auf die schwedischen<br />
Vorposten; aus jugendlicher Hitze und aus<br />
Begierde, sich auszuzeichnen, griff er sie<br />
an, und trieb sie siegreich vor sich her bis<br />
zur Hauptarmee. Aber jetzt rückte diese<br />
aus, und der Kurfürst wurde zum Treffen<br />
genötigt, ehe er es wünschte.“ – Das<br />
historische Ereignis der Schlacht von Fehrbellin,<br />
von einem Feldprediger 1803 in einem<br />
Lesebuch für Freunde der Geschichte<br />
notiert, wird Schauplatz und Ausgangspunkt<br />
des Dramas Prinz Friedrich von<br />
Homburg. Es ist Kleists letztes Schauspiel<br />
und der Versuch, die Extreme zusammen<br />
zu zwingen und den Widerspruch von Gesetz<br />
und Gefühl, Befehl und Spontaneität,<br />
Gehorsam und Selbstbestimmung, Freiheit<br />
und Ordnung aufzulösen.<br />
1811 schreibt Kleist seinem Verleger<br />
Reimer: „Wollen Sie ein Drama von mir<br />
drucken, ein vaterländisches (mit mancherlei<br />
Beziehungen)“ Die Bezugspunkte<br />
sind klar. Kleist greift sich ein zentrales<br />
Datum in der Geschichte Preußens heraus<br />
und entfacht anhand des schwedischbrandenburgischen<br />
Krieges einen Diskurs<br />
um das richtige Verhalten der Offiziere<br />
in einem Befreiungskrieg, der vor dem<br />
Hintergrund der napoleonischen Besatzungs-<br />
und Expansionspolitik zugleich ein<br />
brisanter Beitrag zur politischen Situation<br />
seiner Zeit ist. „Was gilt es in diesem<br />
Kriege“, fragt Kleist, als Österreich 1809<br />
gegen Napoleon kämpft (siehe S. 22).<br />
Kleists „vaterländisches Drama“ Prinz<br />
Friedrich von Homburg reagiert auf eine<br />
Situation, in der Deutschland, in seine<br />
Einzelteile zerfallen, in den von Frankreich<br />
besetzten Vasallenstaaten Truppenkontingente<br />
für Napoleons Eroberungskriege<br />
stellen muss. In seiner Propagandaschrift<br />
10
Katechismus der Deutschen von 1809<br />
lässt Kleist ein Kind auf die Frage, was mit<br />
dem Vaterland geschehen ist, antworten:<br />
„Napoleon, der korsische Kaiser, hat es,<br />
nach dem Frieden, durch eine Gewalttat<br />
zertrümmert.“ Immer wieder taucht der<br />
Begriff des Vaterlandes in Kleists letztem<br />
Drama auf. „Ist dir ein Heiligtum ganz unbekannt,<br />
das Vaterland sich nennt“, fragt<br />
der Kurfürst Natalie. „Das Vaterland, das<br />
du uns gründetest, steht, eine feste Burg“,<br />
entgegnet Natalie, „das wird ganz andre<br />
Stürme noch ertragen, fürwahr als diesen<br />
unberufnen Sieg; das wird sich ausbaun,<br />
herrlich, in der Zukunft ... zur Wonne der<br />
Freunde und zum Schrecken aller Feinde.“<br />
Die Vision einer idealen Gemeinschaft, die<br />
eine so enorme Strahlkraft besitzt, dass<br />
man sich ihr aus freien Stücken unterwirft,<br />
hatte Kleist bereits 1809 in seinen politischen<br />
Schriften zu Papier gebracht. Angesichts<br />
des Zieles, das es zu erreichen gilt,<br />
führt er im Homburg nun eine Auseinandersetzung<br />
mit der Frage nach dem obersten<br />
Wert für das menschliche Handeln<br />
herbei. Was geht vor Das Individuum oder<br />
die Gemeinschaft Das Lebensglück des<br />
Einzelnen oder das Gesetz „Das Kriegsgesetz,<br />
das weiß ich wohl, soll herrschen,<br />
jedoch die lieblichen Gefühle auch“, lässt<br />
der Dichter Natalie sagen. Die Gegensätze<br />
in eins denken – kann das funktionieren<br />
Als Homburg in die Schlacht stürmt,<br />
provoziert er den Obristen Kottwitz, der<br />
auf den Befehl zum Angriff warten will:<br />
„Hast du sie (die Order) noch vom Herzen<br />
nicht empfangen“ – und wird bald darauf<br />
belehrt, dass er damit das „heilige Gesetz<br />
des Kriegs“ verletzt hat. Immer wieder<br />
beruft Homburg sich auf sein Gefühl und<br />
rennt mit seinen Erwartungen gegen eine<br />
Wand, die unnachgiebig steht: „Der Satzung<br />
soll Gehorsam sein.“ Er folgt seinem<br />
Impuls, ignoriert einen Befehl, rechnet mit<br />
Anerkennung für seinen Sieg – und wird<br />
zum Tode verurteilt; auf sein Gefühl stützt<br />
sich die sichere Annahme, dass der Kurfürst<br />
ihn zwar dem Gesetz entsprechend<br />
verurteilen musste, das Todesurteil aber<br />
nie würde vollstrecken lassen – und muss<br />
erfahren, dass er es bereits unterzeichnet<br />
hat. Zunächst ist Homburg fassungslos.<br />
Doch der Kurfürst ist kein Tyrann, seine<br />
Herrschaft keine der Willkür. Er beruft sich<br />
schlicht und eisern auf das Gesetz – und<br />
lässt Homburg schließlich selbst entscheiden.<br />
„Meint ihr, ein Unrecht sei euch<br />
widerfahren, so bitt ich, sagt‘s mir mit zwei<br />
Worten – und gleich den Degen schick<br />
ich euch zurück.“ Auf die für die Leser der<br />
Kleist-Zeit irritierenden weil so gänzlich<br />
unheldenhaften Gefühle existentieller<br />
Todesangst und Verzweiflung folgt die<br />
überraschende Wendung: Der Prinz, der<br />
eben noch bereit war, Natalie, seinen Platz<br />
im Heer, seine Ämter, alles aufzugeben um<br />
sein Leben zu retten, überwindet seine<br />
Angst vor dem Tod und erkennt das Gesetz<br />
in all seiner Konsequenz an.<br />
„Ich will das heilige Gesetz des Kriegs,<br />
das ich verletzt, durch einen freien Tod<br />
verherrlichen“, erklärt er – und scheinbar<br />
handelt Homburg tatsächlich frei, da er<br />
die Entscheidung, wie vom Kurfürsten<br />
gefordert, selbst getroffen hat. Doch ist<br />
dies eine Freiheit, die nur möglich wird,<br />
nachdem er alle persönlichen Ansprüche,<br />
jede Form von individuellem Streben, jede<br />
Eitelkeit und Exzentrik aufgegeben hat. Er<br />
hat die Kriegsphilosophie des Kurfürsten<br />
verstanden, hat über „den Feind in uns,<br />
den Trotz, den Übermut“ triumphiert und<br />
sich einer Ideologie unterworfen, deren<br />
Ziel es ist, alle Kräfte so zu bündeln, dass<br />
der Feind nachhaltig geschlagen werden<br />
kann. Dass es dafür einen bestimmten<br />
11
Menschentyp braucht, macht der Kurfürst<br />
am Beispiel Homburgs deutlich. Als<br />
leidenschaftlich drauflos schlagender,<br />
ungestümer Kämpfer nutzt er dem Kurfürsten<br />
wenig: „Den Sieg nicht mag ich,<br />
der, ein Kind des Zufalls, mir von der Bank<br />
fällt. Mehr Schlachten noch als die hab<br />
ich zu schlagen und will, dass dem Gesetz<br />
Gehorsam sei.“ Erst nachdem Homburg,<br />
wie Kleist-Biograf Jens Bisky schreibt,<br />
„in Freiheit und Selbsttätigkeit die Zwecke<br />
des Vaterlandes zu den seinen gemacht<br />
hat“ und das Streben nach Erfüllung individueller<br />
Träume gegen das für den Erhalt<br />
eines „gefühlt“ höheren Gutes vertauscht<br />
hat, weiß der Kurfürst, dass er ihn künftig<br />
noch gut gebrauchen kann: „Blüht doch<br />
aus jedem Wort, dass du gesprochen, jetzt<br />
mir ein Sieg auf, der zu Staub ihn malmt.“<br />
Mit Homburgs Unterwerfung im Namen<br />
des Vaterlands endet das Drama von der,<br />
so Bisky, „Gleichschaltung einer Seele.“<br />
12<br />
Wenn der Kurfürst sich am Ende kraft<br />
seiner Macht selbst über das Gesetz hinwegsetzt,<br />
wenn er Homburg begnadigt und<br />
alles zum märchenhaften Finale zusammenkommt<br />
um die Rückkehr von einem zu<br />
feiern, der auszog, „Kriegszucht und Gehorsam“<br />
zu lernen, dann tut sich unter der<br />
scheinbaren Harmonie ein tiefer Abgrund<br />
auf. Der Prinz, der mit seinen egoistischen<br />
Zielen, schlafwandlerischen Aussetzern<br />
und extremen Gefühlsausbrüchen zu fehlerhaft<br />
und menschlich war, um ein perfektes<br />
Heldenbild abzugeben, ist nun zu einer<br />
Marionette des Kurfürsten geworden, die<br />
ihren Heldenstatus allein aus der Ideologie<br />
bezieht, die dieser vertritt. Und wenn der<br />
„neue Homburg“ mit seiner Truppe in die<br />
nächste Schlacht zieht, dann kippt das Bild<br />
des ruhmbegierigen, träumenden Prinzen<br />
vom Anfang in eine Alptraumvision hohler<br />
Körper und befehlshöriger Kampfmaschinen.<br />
„Kleist letztes Schauspiel ist vieles<br />
und Widersprüchliches zugleich“, schreibt<br />
Michael Börgerding in Für eine Literatur<br />
des Krieges - revisited, „eine große Feier<br />
des Todes, ein deutsches Erziehungsstück,<br />
eine Dressurmaschine. Ein Schrei nach Erlösung<br />
und Unsterblichkeit. Der Weg vom<br />
Tier über die Marionette zum Menschen<br />
und weiter zum Gott. Und es ist ein Traumstück.<br />
Ein narzisstischer Traum erwacht im<br />
Traum des kollektiven Hasses.“<br />
Die kontroversen Positionen, die die<br />
Figuren im Stück einnehmen, zeigen die<br />
Unmöglichkeit, die Widersprüche, die dem<br />
Dramas eingeschrieben sind, aufzulösen:<br />
Der Kurfürst erwartet, dass das Gefühl<br />
hinter dem Gesetz zurücktritt. Natalie<br />
versucht, beides in Einklang zu bringen,<br />
ist aber für den Erhalt eines Lebens als<br />
höchstes Gut bereit, die Grenzen des<br />
Gesetzes zu übertreten. Homburg macht<br />
die entgegengesetzte Entwicklung durch<br />
und wird von einem, der das Gesetz missachtet,<br />
im Angesicht des Todes zu dessen<br />
fanatischstem Vertreter. Die Offiziere, die<br />
sich für sein Leben einsetzen, stellen zwar<br />
das Gesetz nicht infrage, appellieren aber<br />
an die Macht des Kurfürsten, es zugunsten<br />
des Verurteilten auszulegen. Der<br />
erfahrene Kottwitz schließlich stellt die<br />
persönliche Überzeugung von einer Sache<br />
und seine freie Entscheidung, dafür zu<br />
kämpfen, über den unbedingten Gehorsam.<br />
„Eine Lösung im Sinne der Versöhnung<br />
findet der Konflikt trotz der Begnadigung<br />
nicht“, schreibt Bisky. „Es gibt nur eine<br />
Andeutung, wie in ähnlichen Situationen<br />
künftig zu handeln wäre: in bedingungsloser<br />
Selbstaufopferung, das Ziel, den Gegner<br />
zu vernichten, stets vor Augen. Beides<br />
soll gelten: Gehorsam und Gefühl, Plan und<br />
spontane Entscheidung. Der ungeschlichtete<br />
Widerspruch rast im Innersten.“<br />
Sophia Löffler
des Lebens<br />
müde<br />
ZUM AUTOR<br />
„Komm, lass uns etwas Gutes tun, und dabei<br />
sterben!“, schreibt Heinrich von Kleist<br />
1806 an seinen Freund Otto August Rühle<br />
von Lilienstern. Er ist 29 Jahre alt. Fünf<br />
Jahre später wird er Henriette Vogel und<br />
sich selbst am Kleinen Wannsee erschießen.<br />
„Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden<br />
nicht zu helfen war“, erklärt er seiner<br />
Schwester Ulrike in einem Abschiedsbrief.<br />
„Es ist ein bekannter Gemeinplatz, dass<br />
das Leben ein schweres Spiel sei“, hatte<br />
er ihr zehn Jahre zuvor geschrieben. „Und<br />
warum ist es so schwer Weil man beständig<br />
und immer von neuem eine Karte ziehen<br />
soll und doch nicht weiß, was Trumph<br />
ist; ich meine darum, weil man beständig<br />
und immer von neuem handeln soll und<br />
doch nicht weiß, was recht ist.“<br />
Kleists Leben verläuft zu keiner Zeit auf<br />
einem geraden Weg, ist von gesellschaftlichen<br />
und politischen Umbrüchen geprägt,<br />
von einer ständigen, inneren Unruhe, die<br />
ihn rastlos durch die Welt jagt – ein Leben,<br />
dem „Wahnsinn der Freiheit, des Umsturzes<br />
aller gewissen, festen Verhältnisse<br />
verschrieben, gewidmet und ausgeliefert<br />
zugleich“, schreibt Bisky. „Sein Verhalten<br />
ähnelte dem eines Hasardeurs, der alles<br />
auf eine Karte setzt, oder dem eines Haudegens<br />
am Vorabend der Entscheidungsschlacht.<br />
Er wünschte sich ein Haus und<br />
Ruhe und durcheilte von Ehrgeiz getrieben<br />
die Länder; er verachtete und bekämpfte<br />
Bonaparte und versuchte zweimal in<br />
dessen Landungstruppen gegen England<br />
aufgenommen zu werden; er verwarf früh<br />
die standesgemäße Laufbahn eines preußischen<br />
Junkers und kam doch zeitlebens<br />
von der Familie und Preußen nicht los.“<br />
1777 in Frankfurt an der Oder in eine<br />
preußische Offiziersfamilie hineingeboren,<br />
erlebt Heinrich von Kleist seine ersten<br />
militärischen Einsätze bereits im Alter von<br />
fünfzehn Jahren. Wenige Jahre später bittet<br />
er um seine Entlassung aus dem Militär.<br />
Er schreibt sich an der Universität ein,<br />
14
icht das Studium jedoch nach drei Semestern<br />
wieder ab. Die Beschäftigung mit<br />
den Schriften Kants und anderer Philosophen,<br />
stürzt ihn in eine tiefe Krise. Im März<br />
1801 schreibt er seiner Verlobten Wilhelmine<br />
von Zenge: „Wenn alle Menschen<br />
statt der Augen grüne Gläser hätten, so<br />
würden sie urteilen müssen, die Gegenstände,<br />
welche sie dadurch erblicken, sind<br />
grün ... So ist es mit dem Verstande. Wir<br />
können nicht entscheiden, ob das, was wir<br />
Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist,<br />
oder ob es uns nur so scheint.“ Die Suche<br />
nach einer gültigen Wahrheit begleitet<br />
Kleist ein Leben lang. „Dass wir hienieden<br />
von der Wahrheit nichts, gar nichts wissen“,<br />
verunsichert ihn zutiefst. Er verliert<br />
die Orientierung, hat das Gefühl, sein „einziges<br />
und höchstes Ziel“ sei gesunken.<br />
Trotz aller Erschütterungen sieht Kleist die<br />
Verantwortung für sein Leben ausschließlich<br />
bei sich, dem eigenen Gefühl und Verstand<br />
folgend, will er sein Schicksal selbst<br />
bestimmen. Das Schreiben wird hierbei<br />
seine einzige Konstante. Erzählungen und<br />
Dramen, Novellen und Anekdoten, journalistische<br />
Artikel, Essays, Kritiken und<br />
politische Schriften. Kleist schreibt und<br />
publiziert unermüdlich, ist überzeugt, dass<br />
er mit seinen Werken Erfolg haben wird,<br />
erfährt Rückschläge, zweifelt, versucht es<br />
weiter. Immer wieder stürzt er sich voller<br />
Elan in die Arbeit an neuen Projekt, immer<br />
wieder sieht er seine Hoffnung enttäuscht,<br />
dass er es in der Welt zu etwas bringen,<br />
sich mit dem Leben aussöhnen könnte.<br />
Auf sein Debüt Die Familie Schroffenstein,<br />
das im November 1802 erscheint, folgen<br />
in den Jahren zwischen 1803 und 1810 die<br />
dramatischen Arbeiten Robert Guiskard,<br />
Amphitryon, Der zerbrochene Krug, Penthesilea,<br />
Das Käthchen von Heilbronn und<br />
Die Hermannschlacht. Kleist wird Mitherausgeber<br />
des Kunstjournals „Phöbus“<br />
und später der „Berliner Abendblätter“,<br />
schreibt Über die allmähliche Verfertigung<br />
der Gedanken beim Reden und Über<br />
das Marionettentheater. Durch Marie von<br />
Kleist lässt er im September 1811 bei Hofe<br />
ein handschriftliches Exemplar des Prinz<br />
Friedrich von Homburg überreichen.<br />
„Es gibt glücklichere, erhebendere Geschichten<br />
aus der Blütezeit des deutschen<br />
Geistes“, schreibt Bisky, „aber keine,<br />
die mehr Spannungen enthielte, in der<br />
Extreme derart unvermittelt aufeinander<br />
stoßen. Kein zweiter Dichter der Zeit hat<br />
sich mehr auf die Forderungen des Tages<br />
eingelassen und zugleich den Zwängen<br />
seiner Gegenwart getrotzt.“ Im November<br />
1811 gibt er auf. „Ach, es ist ein ermüdender<br />
Zustand dieses Leben“, schreibt er<br />
Marie von Kleist, „recht, wie Sie sagten,<br />
eine Fatigue.“ Der innere Kampf hat Kleist<br />
aufgerieben, eine Lösung des Konflikts<br />
scheint ausgeschlossen. „Ich schwöre<br />
Dir, es ist mir ganz unmöglich länger zu<br />
leben; meine Seele ist so wund, dass mir,<br />
ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase<br />
aus dem Fenster stecke, das Tageslicht<br />
wehe tut, das mir darauf schimmert.“ Mit<br />
Henriette Vogel fährt Kleist zum Kleinen<br />
Wannsee. „Adieu!“, schreibt er an Marie,<br />
„– rechne hinzu, dass ich eine Freundin<br />
gefunden habe, deren Seele wie ein junger<br />
Adler fliegt ... die meine Traurigkeit als eine<br />
höhere, festgewurzelte und unheilbare<br />
begreift.“ Noch wenige Wochen vor seinem<br />
Tod, hatte er den König um Wiederaufnahme<br />
ins Militär gebeten, überzeugt,<br />
dass es bald zu einem Krieg mit Frankreich<br />
kommen würde. Heinrich von Kleist wird<br />
34 Jahre alt. Sein faszinierendes Werk ist<br />
Zeugnis eines zerrissenen Menschen, der<br />
am Versuch, die im Innersten tobenden<br />
Widersprüche aufzulösen, gescheitert ist.<br />
Folgeseiten Matthias Lamp, Frank Wiegard, Thomas Halle<br />
15
EIN Traumspiel<br />
ZUR INSZENIERUNG<br />
Dunkel. Eine im Raum stehende Fläche<br />
setzt sich in Bewegung, kippt – und während<br />
man das Geräusch von herunterrieselndem<br />
Sand hört, wird als Projektion im<br />
Raum ein Wort sichtbar: Traum.<br />
Regisseur Martin Nimz verortet Kleists<br />
letztes Stück als Spiel zwischen Traum<br />
und Wirklichkeit in einem Raum, für den<br />
der gebürtige Brandenburger zusammen<br />
mit Bühnenbildnerin Julia Scholz eine<br />
große, schräge Spielfläche entworfen hat,<br />
von der das ganze Stück hindurch immer<br />
wieder Sand herunter läuft.<br />
„Märkische Heide, märkischer Sand, sind<br />
des Märkers Freude, sind sein Heimatland“:<br />
Wir sind in der Mark Brandenburg<br />
– und es wird geträumt. Der Sand der Märker<br />
verbindet sich mit dem Schlafsand der<br />
Träumer und Nachtwandler auf der Bühne<br />
zu einem flüchtigen Untergrund. Wer im<br />
einen Moment fest und sicher steht, dem<br />
kann ein falscher Schritt im nächsten<br />
Augenblick schon den Boden unter den<br />
Füßen wegziehen. Die Welt hängt schief im<br />
Lande Brandenburg, es ist ein gefährlicher<br />
Tanz am Abgrund.<br />
Am Beginn des Stücks steht das Spiel mit<br />
dem Traum des Prinzen von Liebe, Ruhm<br />
und Lorbeer, das über die Verwirklichung<br />
der Traumfantasie unter anderen Vorzeichen<br />
am Ende wieder zur Frage des<br />
Traums zurückkehrt: „Ist es ein Traum“<br />
– „Ein Traum, was sonst“ Dieser Frage<br />
folgend, die sich vom Ende aufgerollt<br />
durch das gesamte Stück zieht, strukturiert<br />
Nimz das Drama auf der Bühne als<br />
eine Folge von unterschiedlichen Träumen<br />
– bewusst die Grenzen zur Realität<br />
der Handelnden verwischend und ohne<br />
für den Zuschauer eindeutig festzulegen,<br />
in wessen Traum die Figuren sich gerade<br />
befinden. Lichtstimmungen versetzen das<br />
Bühnengeschehen in eine Traumwelt und<br />
katapultieren es wieder in eine mögliche<br />
Realität, Orte und Zeiten fließen ineinan-<br />
18
der, verschiedene Perspektiven schälen<br />
sich heraus: die Homburgs, Natalies, die<br />
des Kurfürsten. Wie durch ein Brennglas<br />
blickt der Betrachter auf das Spiel, jede<br />
kleinste Bewegung scheint sich auf der<br />
abstrakten Spielfläche zu vergrößern, und<br />
mit dem Verlauf des Sandes verändert sich<br />
im Spiel auch die Struktur des Raums, der<br />
zugleich Innen und Außen, Schlachtfeld<br />
und Garten, Gefängnis und Schloss ist.<br />
Mit ihren Kostümen, die historische<br />
Schnitte und Farben mit leichten, modernen<br />
Stoffen kombinieren, schafft Ricarda<br />
Knödler eine Verbindung zwischen der<br />
Zeit der Handlung um die Schlacht von<br />
Fehrbellin 1675 und unserer Gegenwart.<br />
Der Münchner Musiker Benedikt Brachtel<br />
lässt Melodien traditioneller Schlaflieder<br />
wie Schlafe, mein Prinzchen, Der Mond ist<br />
aufgegangen und Schlaf, Kindlein, schlaf<br />
in Kompositionen für Bassgitarre, Geige,<br />
Cello und Harmonium einfließen.<br />
„Was fängt man zum Beispiel mit Kleists<br />
Prinz von Homburg heute an, mit der<br />
Motivation eines Kriegers durch Liebe und<br />
dessen Einverständnis mit der Strategie<br />
eines Vernichtungskriegs“, fragt Michael<br />
Börgerding in Für eine Literatur des Krieges<br />
– revisited. Wo können wir inhaltlich<br />
heute ansetzen, um uns diesem Drama zu<br />
nähern, das anhand der modellhaften Geschichte<br />
eines Menschen unterschiedliche<br />
kriegsphilosophische Theorien und Positionen<br />
gegeneinander ins Feld führt und<br />
überprüft, das um Themen wie Gehorsamspflicht<br />
und Begriffe wie Vaterland kreist<br />
– und das versucht, den Widerspruch<br />
zwischen Gesetz und Gefühl, Gehorsam<br />
und Selbstbestimmung durch ein freies<br />
Bekenntnis zur Ordnung aufzulösen<br />
Die Frage nach dem höchsten Wert<br />
menschlichen Handelns, die das Stück<br />
aufwirft und zur Diskussion stellt, hat das<br />
Potential, über den konkreten Kontext des<br />
Stückes hinaus nachzuwirken. Aber wo<br />
genau liegt der Kern, „die Seele“ dessen,<br />
was uns auch heute noch daran berührt,<br />
dass hier ein Individuum in seinem persönlichen<br />
Ehrgeiz gebrochen und von einer<br />
exzentrischen Persönlichkeit zu einem<br />
autoritätshörigen Vertreter des Systems<br />
wird Regisseur Martin Nimz liest das<br />
Stück ausgehend von der Figur der Natalie.<br />
Dem exzentrischen Titelhelden und seiner<br />
Entwicklung vom narzisstischen Träumer<br />
und impulsiven Kämpfer zum gesetzestreuen<br />
Werkzeug des Kurfürsten, setzt er<br />
die Geschichte einer Frau entgegen, deren<br />
Fühlen und Handeln den Blick auf ein<br />
anderes Schlachtfeld als das des äußeren<br />
Krieges lenkt: Mit Natalie dringen wir vor<br />
ins Innerste eines Menschen, der liebt,<br />
verraten wird und dennoch alles daran<br />
setzt, das Leben der Person zu erhalten,<br />
die diesen Verrat begangen hat.<br />
„Ich gebe jeden Anspruch auf an Glück.<br />
Nataliens, das vergiss‘ nicht, ihm zu melden,<br />
begehr‘ ich gar nicht mehr. Frei ist sie<br />
wieder, mit Hand und Mund, als wär‘ ich<br />
nie gewesen. Verschenken kann sie sich,<br />
und wenn‘s Karl Gustav, der Schweden<br />
König ist, so lob‘ ich sie“: Diese Aussage<br />
Homburgs der Kurfürstin gegenüber,<br />
die jede Hoffnung auf eine gemeinsame<br />
Zukunft ad absurdum führt, verändert<br />
Natalie von einer passiven Figur, deren<br />
bloße Existenz Handlungen motiviert und<br />
Ansprüche provoziert, zu einer Persönlichkeit,<br />
die aktiv in das Geschehen eingreift.<br />
Im Verrat Homburgs an Natalie verbirgt<br />
sich für den Regisseur der bittere Kern des<br />
Dramas, von dem aus die Geschichte über<br />
zweihundert Jahre hinweg eine Relevanz<br />
entwickelt. Er ist Stein des Anstoßes und<br />
Erzählanlass. Natalies Kampf um Hom-<br />
19
urgs Leben wird zu einer Mission, die sie<br />
beginnt, als alles, was für sie persönlich einmal<br />
von Bedeutung war, bereits verloren ist,<br />
und die sie immer weiter treibt. Homburgs<br />
Rettung wird Prinzip, koste es was es wolle.<br />
Natalie geht weit für dieses Ziel, selbst<br />
Rebellion scheint möglich – bis schließlich<br />
klar wird, dass die Rettung des Prinzen<br />
zu keiner Zeit in ihrer Hand lag. Am Ende<br />
darf Homburg leben, weil er alle individuellen<br />
Ansprüche einer überpersönlichen<br />
Idee geopfert hat. In der Konsequenz der<br />
Inszenierung kann Natalie diesen Schritt<br />
nicht unbeschadet überstehen. Sie ist der<br />
Preis, den er kostet, verkörpert sie doch<br />
genau das, was bei der „freien Entscheidung“<br />
des Prinzen auf der Strecke bleiben<br />
muss: die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten<br />
Leben, individuellen Mut,<br />
den Anspruch auf Liebe und persönliches<br />
Glück, den Traum, Gesetz und Gefühl in<br />
Einklang zu bringen. Im Moment größter<br />
Enttäuschung hat Natalie alle Energien gebündelt<br />
und in den Kampf um ein anderes,<br />
einzelnes Leben investiert – erst jetzt, als<br />
es kein Ziel mehr gibt, wird die Dimension<br />
des Verlustes deutlich. Natalie ist am Ende<br />
ihrer Kraft angelangt.<br />
„Ist es ein Traum“ – „Ein Traum, was<br />
sonst“ – In der Inszenierung von Martin<br />
Nimz hört Natalie die zu geflügelten Worten<br />
gewordenen letzten Sätze des Stücks<br />
nicht mehr. Sie wird dem Prinzen nicht<br />
den Lorbeer aufsetzen, der ihn zum Sieger<br />
kränzt. Sie wird auch nicht seine Hand an<br />
ihr Herz legen. Es geht ein Riss durch das<br />
Bild des neuen Helden. Ohne sich noch<br />
einmal umzudrehen, zieht Prinz Friedrich<br />
von Homburg in die Schlacht. „In Staub mit<br />
allen Feinden Brandenburgs!“<br />
du könntest an verderbens<br />
abgrund stehn, dass er, um<br />
dir zu helfen, dich zu retten,<br />
auch nicht das schwert<br />
mehr zUckte, ungerufen!<br />
20 André Wagner, Timo Tank, Frank Wiegard
Was gilt es<br />
in diesem Kriege<br />
von HEinrich von KLEIST 1809<br />
Gilt es, was es gegolten hat sonst in den<br />
Kriegen, die geführt worden sind, auf dem<br />
Gebiete der unermesslichen Welt Gilt<br />
es den Ruhm eines jungen und unternehmenden<br />
Fürsten, der, in dem Duft einer<br />
lieblichen Sommernacht, von Lorbeern<br />
geträumt hat Oder Genugtuung für die<br />
Empfindlichkeit einer Favorite, deren<br />
Reize, vom Beherrscher des Reichs<br />
anerkannt, an fremden Höfen in Zweifel<br />
gezogen worden sind Gilt es einen Feldzug,<br />
der, jenem spanischen Erbfolgestreit<br />
gleich, wie ein Schachspiel geführt wird;<br />
bei welchem kein Herz wärmer schlägt,<br />
keine Leidenschaft das Gefühl schwellt,<br />
kein Muskel vom Giftpfeil der Beleidigung<br />
getroffen, emporzuckt Gilt es, ins Feld<br />
zu rücken, von beiden Seiten, wenn der<br />
Lenz kommt, sich zu treffen mit flatternden<br />
Fahnen, und zu schlagen und entweder zu<br />
siegen, oder wieder in die Winterquartiere<br />
einzurücken Gilt es, eine Provinz abzutreten,<br />
einen Anspruch auszufechten, oder<br />
eine Schuldforderung geltend zu machen,<br />
oder gilt es sonst irgend etwas, das nach<br />
dem Wert des Geldes auszumessen ist,<br />
heut besessen, morgen aufgegeben, und<br />
übermorgen wieder erworben werden<br />
kann<br />
Eine Gemeinschaft gilt es, deren Wurzeln<br />
tausendästig, einer Eiche gleich, in den<br />
Boden der Zeit eingreifen; deren Wipfel,<br />
Tugend und Sittlichkeit überschattend,<br />
an den silbernen Saum der Wolken rührt;<br />
deren Dasein durch das Dritteil eines<br />
Erdalters geheiligt worden ist. Eine Gemeinschaft,<br />
die unbekannt mit dem Geist<br />
der Herrschsucht und der Eroberung,<br />
des Daseins und der Duldung so würdig<br />
ist, wie irgend eine; die ihren Ruhm nicht<br />
einmal denken kann, sie müsste denn den<br />
Ruhm zugleich und das Heil aller übrigen<br />
denken, die den Erdkreis bewohnen;<br />
deren ausgelassenster und ungeheuerster<br />
Gedanke noch, von Dichtern und Weisen,<br />
auf Flügeln der Einbildung erschwungen,<br />
Unterwerfung unter eine Weltregierung<br />
22
ist, die, in freier Wahl, von der Gesamtheit<br />
aller Brüdernationen, gesetzt wäre. Eine<br />
Gemeinschaft gilt es, deren Wahrhaftigkeit<br />
und Offenherzigkeit, gegen Freund und<br />
Feind gleich unerschütterlich geübt, bei<br />
dem Witz der Nachbarn zum Sprichwort<br />
geworden ist; die, über jeden Zweifel erhoben,<br />
dem Besitzer jenes echten Ringes<br />
gleich, diejenige ist, die die anderen am<br />
meisten lieben; deren Unschuld, selbst in<br />
dem Augenblick noch, da der Fremdling sie<br />
belächelt oder wohl gar verspottet, sein<br />
Gefühl geheimnisvoll erweckt: dergestalt,<br />
dass derjenige der zu ihr gehört, nur<br />
seinen Namen zu nennen braucht, um auch<br />
in den entferntesten Teilen der Welt noch,<br />
Glauben zu finden.<br />
Eine Gemeinschaft, die, weit entfernt,<br />
in ihrem Busen auch nur eine Regung<br />
von Übermut zu tragen, vielmehr, einem<br />
schönen Gemüt gleich, bis auf den heutigen<br />
Tag, an ihre eigne Herrlichkeit nicht<br />
geglaubt hat; die herumgeflattert ist,<br />
unermüdlich, einer Biene gleich, alles, was<br />
sie Vortreffliches fand, in sich aufzunehmen,<br />
gleich, als ob nichts, von Ursprung<br />
herein Schönes, in ihr selber wäre; in<br />
deren Schoß gleichwohl (wenn es zu<br />
sagen erlaubt ist!) die Götter das Urbild<br />
der Menschheit reiner, als in irgend einer<br />
anderen, aufbewahrt hatten. Eine Gemeinschaft,<br />
die dem Menschengeschlecht<br />
nichts, in dem Wechsel der Dienstleistungen,<br />
schuldig geblieben ist; die den<br />
Völkern, ihren Brüdern und Nachbarn, für<br />
jede Kunst des Friedens, welche sie von<br />
ihnen erhielt, eine andere zurückgab; eine<br />
Gemeinschaft, die, an dem Obelisken der<br />
Zeiten, stets unter den Wackersten und<br />
Rüstigsten tätig gewesen ist: ja, die den<br />
Grundstein desselben gelegt hat, und vielleicht<br />
den Schlussblock darauf zu setzen,<br />
bestimmt war.<br />
Eine Gemeinschaft gilt es, die den Leibniz<br />
und Gutenberg geboren hat; in welcher<br />
ein Guericke den Luftkreis wog, Tschirnhausen<br />
den Glanz der Sonne lenkte und<br />
Kepler der Gestirne Bahn verzeichnete;<br />
eine Gemeinschaft, die große Namen, wie<br />
der Lenz Blumen aufzuweisen hat; die den<br />
Hutten und Sickingen, Luther und Melanchthon,<br />
Joseph und Friedrich auferzog; in<br />
welcher Dürer und Cranach, die Verherrlicher<br />
der Tempel, gelebt, und Klopstock<br />
den Triumph des Erlösers gesungen hat.<br />
Eine Gemeinschaft mithin gilt es, die dem<br />
ganzen Menschengeschlecht angehört;<br />
die die Wilden der Südsee noch, wenn sie<br />
sie kennten, zu beschützen herbeiströmen<br />
würden; eine Gemeinschaft, deren Dasein<br />
keine deutsche Brust überleben, und die<br />
nur mit Blut, vor dem die Sonne verdunkelt,<br />
zu Grabe gebracht werden soll.<br />
Folgeseiten Ute Baggeröhr, Sophia Löffler, André Wagner, Michel Brandt, Matthias Lamp<br />
23
ein stäubchen<br />
gegen die<br />
Unendlichkeit<br />
Heinrich von Kleist<br />
Mein liebster Rühle, wenn ich bisher<br />
mit meinen Antworten über die Maßen<br />
zögerte, so tatest Du wohl ein übriges, und<br />
ergriffst von selbst die Feder, um den auseinander<br />
gehenden Kranz unsrer Freundschaft<br />
zu umwickeln, auch wohl ein neues<br />
Blümchen noch obenein hinzuzutun; doch<br />
diesmal läßt Du gewähren, und Deinethalben,<br />
scheint es, könnt er auf immer auseinander<br />
schlottern. Nun, mein guter Junge,<br />
es hat nichts zu sagen, und ich küsse Dich.<br />
Dieser Kranz, er ward beim Anfang der<br />
Dinge gut gewunden, und das Band wird<br />
schon, auch ohne weiteres Zutun, so lange<br />
aushalten, als die Blumen. Wenn Du Dich<br />
im Innern so wenig veränderst, als ich, so<br />
können wir einmal, wenn wir uns früh oder<br />
spät wiedersehen, zu einander: guten Tag!<br />
sagen, und: wie hast du geschlafen und<br />
unsere Gespräche von vor einem Jahre,<br />
als wären sie von gestern, fortsetzen.<br />
Ich habe durch die Kleisten den letzten Teil<br />
Deiner Liebens- und Lebensgeschichte<br />
erhalten. Liebe, mein Herzensjunge, so<br />
lange Du lebest; doch liebe nicht, wie der<br />
Mohr die Sonne, dass Du schwarz wirst!<br />
Wirf, wenn sie auf oder untergeht, einen<br />
freudigen Blick zu ihr hinauf, und laß Dich<br />
in der übrigen Zeit von ihr in Deinen guten<br />
Taten bescheinen, und stärken zu ihnen,<br />
und vergiß sie. Der Gedanke will mir noch<br />
nicht aus dem Kopf, dass wir noch einmal<br />
zusammen etwas tun müssen.<br />
Wer wollte auf dieser Welt glücklich sein.<br />
Pfui, schäme Dich, möcht ich fast sagen,<br />
wenn Du es willst! Welch eine Kurzsichtigkeit,<br />
o Du edler Mensch, gehört dazu,<br />
hier, wo alles mit dem Tode endigt, nach<br />
etwas zu streben. Wir begegnen uns, drei<br />
Frühlinge lieben wir uns: und eine Ewigkeit<br />
fliehen wir wieder auseinander. Und was<br />
ist des Strebens würdig, wenn es die Liebe<br />
nicht ist! Ach, es muß noch etwas anderes<br />
geben, als Liebe, Glück, Ruhm usw., x, y,<br />
z, wovon unsre Seelen nichts träumen.<br />
Es kann kein böser Geist sein, der an der<br />
26
Spitze der Welt steht; es ist ein bloß unbegriffener!<br />
Lächeln wir nicht auch, wenn die<br />
Kinder weinen Denke nur, diese unendliche<br />
Fortdauer! Myriaden von Zeiträumen,<br />
jedweder ein Leben, und für jedweden<br />
eine Erscheinung, wie diese Welt! Wie<br />
doch das kleine Sternchen heißen mag,<br />
das man auf dem Sirius, wenn der Himmel<br />
klar ist, sieht Und dieses ganze ungeheure<br />
Firmament nur ein Stäubchen gegen die<br />
Unendlichkeit!<br />
O Rühle, sage mir, ist dies ein Traum<br />
Zwischen je zwei Lindenblättern, wenn<br />
wir abends auf dem Rücken liegen, eine<br />
Aussicht, an Ahndungen reicher, als Gedanken<br />
fassen, und Worte sagen können.<br />
Komm, laß uns etwas Gutes tun, und dabei<br />
sterben! Einen der Millionen Tode, die wir<br />
schon gestorben sind, und noch sterben<br />
werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer<br />
in das andere gehen. Sieh, die Welt<br />
kommt mir vor, wie eingeschachtelt; das<br />
kleine ist dem großen ähnlich.<br />
So wie der Schlaf, in dem wir uns erholen,<br />
etwa ein Viertel oder Drittel der Zeit<br />
dauert, da wir uns, im Wachen, ermüden,<br />
so wird, denke ich, der Tod, und aus<br />
einem ähnlichen Grunde, ein Viertel oder<br />
Drittel des Lebens dauern. Und grade so<br />
lange braucht ein menschlicher Körper,<br />
zu verwesen. Und vielleicht gibt es für<br />
eine ganze Gruppe von Leben noch einen<br />
eignen Tod, wie hier für eine Gruppe von<br />
Durchwachungen (Tagen) einen. –<br />
Nun wieder zurück zum Leben! Solange<br />
das dauert, werd ich jetzt Trauerspiele und<br />
Lustspiele machen. Ich habe der Kleisten<br />
eben wieder gestern eins geschickt, wovon<br />
Du die erste Szene schon in Dresden<br />
gesehen hast. Es ist der zerbrochene Krug.<br />
Sage mir dreist, als ein Freund, Deine<br />
Meinung, und fürchte nichts von meiner<br />
Eitelkeit. Meine Vorstellung von meiner Fähigkeit<br />
ist nur noch der Schatten von jener<br />
ehemaligen in Dresden. Die Wahrheit ist,<br />
dass ich das, was ich mir vorstelle, schön<br />
finde, nicht das, was ich leiste. Wär ich zu<br />
etwas anderem brauchbar, so würde ich es<br />
von Herzen gern ergreifen: ich dichte bloß,<br />
weil ich es nicht lassen kann. Du weißt,<br />
dass ich meine Karriere wieder verlassen<br />
habe. Altenstein, der nicht weiß, wie das<br />
zusammenhängt, hat mir zwar Urlaub<br />
angeboten, und ich habe ihn angenommen;<br />
doch bloß um mich sanfter, aus der Affäre<br />
zu ziehen. Ich will mich jetzt durch meine<br />
dramatische Arbeiten ernähren; und nur,<br />
wenn Du meinst, dass sie auch dazu nicht<br />
taugen, würde mich Dein Urteil schmerzen,<br />
und auch das nur bloß weil ich verhungern<br />
müßte. Sonst magst Du aber über ihren<br />
Wert urteilen, wie Du willst. In drei bis vier<br />
Monaten kann ich immer ein solches Stück<br />
schreiben; und bringe ich es nur à 40 Fried.<br />
d‘or, so kann ich davon leben. Auch muß<br />
ich mich im Mechanischen verbessern, an<br />
Übung zunehmen, und in kürzern Zeiten,<br />
Besseres liefern lernen. Jetzt habe ich ein<br />
Trauerspiel unter der Feder. – Ich höre, Du,<br />
mein lieber Junge, beschäftigst Dich auch<br />
mit der Kunst Es gibt nichts Göttlicheres,<br />
als sie! Und nichts Leichteres zugleich;<br />
und doch, warum ist es so schwer; Jede<br />
erste Bewegung, alles Unwillkürliche,<br />
ist schön; und schief und verschroben<br />
alles, sobald es sich selbst begreift. O der<br />
Verstand! Der unglückselige Verstand!<br />
Studiere nicht zu viel, mein lieber Junge.<br />
Deine Übersetzung des Racine hatte treffliche<br />
Stellen. Folge Deinem Gefühl. Was<br />
Dir schön dünkt, das gib uns, auf gut Glück.<br />
Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel; aber<br />
es gibt nichts anderes. – Adieu. Grüße<br />
Schlotheim. Was macht der Pfuel<br />
H. K., Königsberg, den 31. August 1806<br />
Folgeseiten Matthias Lamp, Michel Brandt, André Wagner, Thomas Halle, Timo Tank, Till Bauer<br />
27
martin nimz Regie & Bühne<br />
Nach seinem Studium an der Staatlichen<br />
Schauspielschule in Rostock war Martin<br />
Nimz als Schauspieler u. a. in Gera, Rostock<br />
und Chemnitz engagiert, wo er auch<br />
erstmals Regie führte. 2002 bis 2004 war<br />
er Schauspieldirektor am <strong>Staatstheater</strong><br />
Kassel. Als freischaffender Regisseur inszenierte<br />
er u. a. Die Gerechten, Wer hat<br />
Angst vor Virginia Woolf, Hexenjagd und<br />
Ein Mond für die Beladenen am Schauspiel<br />
Frankfurt, Effi Briest und Die Räuber<br />
am Landestheater Tübingen, Wallenstein,<br />
Die Nibelungen, Michael Koolhaas,<br />
Woyzeck sowie Alles ist erleuchtet<br />
am Heidelberger Theater, Der Bus am<br />
Staatsschauspiel Dresden, Goethes Faust<br />
am Theater Magdeburg und Geschichten<br />
aus dem Wienerwald am Saarländischen<br />
<strong>Staatstheater</strong> Saarbrücken. In <strong>Karlsruhe</strong><br />
brachte er zuletzt Grabbes Herzog Theodor<br />
von Gothland und Jakob der Lügner<br />
auf die Bühne. Im Juni 2014 inszeniert er<br />
hier die Uraufführung von Hermann<br />
Hesses Roman Das Glasperlenspiel.<br />
Julia Scholz Bühne<br />
Julia Scholz, Jahrgang 1973, studierte<br />
Bühnen- und Kostümbild in London und<br />
war von 1997 bis 2002 Bühnenbildassistentin<br />
an den Bühnen der Stadt Köln, am<br />
<strong>Staatstheater</strong> Stuttgart und am Thalia<br />
Theater Hamburg. Während dieser<br />
Zeit entstanden erste eigene Arbeiten.<br />
Seit 2002 arbeitet sie freischaffend als<br />
Bühnenbildnerin, u. a. am Thalia Theater,<br />
Schauspiel Bochum, Schauspiel Frankfurt,<br />
<strong>Staatstheater</strong> Wiesbaden, Volkstheater<br />
München und an den Stadttheatern<br />
Rostock und Ingolstadt. Für Jorinde<br />
Dröse entwarf sie u. a. die Bühnenbilder<br />
für Minna von Barnhelm, Endstation<br />
Sehnsucht, Das Fest, Platonov, Effi Briest,<br />
Einer flog über das Kuckucksnest, Was<br />
ihr wollt, Fegefeuer in Ingolstadt sowie<br />
Furcht & Hoffnung in Deutschland. Mit<br />
Martin Nimz arbeitet sie bereits in Frankfurt,<br />
Cottbus und Tübingen zusammen<br />
und schuf die Bühnenbilder für Kabale<br />
und Liebe, Die Räuber und Pinocchio.<br />
30
Ricarda Knödler Kostüme<br />
Geboren 1969 in Magdeburg, studierte<br />
Ricarda Knödler zunächst Maskenbild an<br />
der Hochschule für Bildende Künste Dresden,<br />
anschließend an der Hochschule für<br />
Kunst und Design Halle Burg Giebichstein.<br />
1997 machte sie ihr Diplom als Mode- und<br />
Kostümdesignerin. Als freie Bühnen- und<br />
Kostümbildnerin arbeitet sie u. a. mit den<br />
Regisseuren Martin Nimz, Herbert Olschok,<br />
Carsten Knödler, Irina Pauls, Petra Dannenhöfer<br />
und Matthias Nagatis. Kostüme<br />
von ihr waren am <strong>Staatstheater</strong> Kassel,<br />
Staatsschauspiel Schwerin, Schauspiel<br />
Chemnitz, Theater Greifswald, am Heidelberger<br />
Theater, an der Oper Halle, am<br />
Gerhard-Hauptmann-Theater Zittau,<br />
am Theater Magdeburg und am Theater<br />
Dortmund zu sehen, außerdem in verschiedenen<br />
Film- und Fotoproduktionen.<br />
Am STAATSTHEATER entwarf Ricarda<br />
Knödler zuletzt die Kostüme für Grabbes<br />
Herzog Theodor von Gothland und Jakob<br />
der Lügner nach dem Roman von Jurek<br />
Becker in der Regie von Martin Nimz.<br />
Folgeseiten Sophia Löffler, Matthias Lamp<br />
Bendedikt Brachtel Musik<br />
Benedikt Brachtel, Jahrgang 1985, stammt<br />
aus einer Münchner Musikerfamilie und<br />
sammelte früh erste Erfahrungen mit Instrumenten<br />
wie Geige, Flöte, Klavier, Cello<br />
und Gitarre. Er absolvierte ein Studium<br />
der Jazzgitarre und Jazzkomposition an<br />
der Anton Bruckner Universität in Linz u.<br />
a. bei Peter O‘Mara und Christoph Cech,<br />
das er mit Auszeichnung abschloss. Schon<br />
während des Studiums wendete er sich<br />
vermehrt der elektronischen Musik zu und<br />
war für Konzerte u.a. in New York, London,<br />
Rom, Wien, Zürich, Antwerpen und Berlin.<br />
Benedikt Brachtel arbeitet als freischaffender<br />
Komponist, Produzent und Musiker u.a.<br />
für Bartellow, Pollyester, Tambien, Columbus,<br />
GTA Hoffmann und ist bei zahlreichen<br />
Musik-Labels vertreten. Als Theatermusiker<br />
wirkte er erstmals 2007 bei Bunny<br />
Hill an den Münchner Kammerspielen mit,<br />
2012/2013 kreierte er dort die Musik für<br />
Das war auf einer Lichtung... und Jiggy<br />
Porsche taucht ab. Prinz Friedrich von<br />
Homburg ist seine erste Arbeit in <strong>Karlsruhe</strong>.<br />
31
Ute Baggeröhr Die Kurfürstin<br />
Nach dem Schauspielstudium in Leipzig spielte Ute Baggeröhr u. a. am<br />
Schauspiel Frankfurt, Staatsschauspiel Dresden, Thalia Theater Hamburg<br />
und Maxim Gorki Theater Berlin. Seit 2011/12 in <strong>Karlsruhe</strong> engagiert,<br />
spielt sie derzeit in Der Vorname, die Schäferin Phoebe in Wie es<br />
euch gefällt, die Lehrerin in Verrücktes Blut und Arkadina in Die Möwe.<br />
Sophia Löffler Natalie, Prinzessin von Oranien<br />
Sophia Löffler, 1985 in Potsdam geboren, begann 2007 ihr Schauspielstudium<br />
in Leipzig. Von 2009 bis 2011 gehörte sie zum Studio am Staatsschauspiel<br />
Dresden. Seit 2011/12 fest in <strong>Karlsruhe</strong> engagiert, steht sie<br />
aktuell in Verrücktes Blut, Der Vorname, Minna von Barnhelm sowie als<br />
Nina in Die Möwe und als Celia in Wie es euch gefällt auf der Bühne.<br />
Simon Bauer Rittmeister von der Golz<br />
Während seines Studiums an der Universität der Künste Berlin spielte<br />
Simon Bauer am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater Berlin.<br />
2010/11 gehörte er zum Ensemble des Theaters Heidelberg. In <strong>Karlsruhe</strong><br />
spielte er u. a. den Titelhelden in Fiesco. Derzeit ist er in Dantons<br />
Tod, Verrücktes Blut und als Orlando in Wie es euch gefällt zu sehen.<br />
Till Bauer Graf Truchß<br />
Geboren 1974, war der Schauspieler und Schlagzeuger Till Bauer nach<br />
der Schauspielausbildung in Köln u. a. am Landestheater Tübingen, am<br />
Heidelberger Theater und am Theater Lübeck engagiert. Bereits in Tübingen<br />
und Heidelberg arbeitete er mehrfach mit Regisseur Martin Nimz<br />
zusammen. Demnächst steht er in <strong>Karlsruhe</strong> in Rio Reiser auf der Bühne.<br />
Michel Brandt Bork, Hofkavalier<br />
Michel Brandt, geboren 1990, studierte bis 2012 Schauspiel an der<br />
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und spielte am<br />
Schauspiel Stuttgart bei Sebastian Baumgarten, Hasko Weber und Catja<br />
Baumann. Seit 2012/13 fest in <strong>Karlsruhe</strong> engagiert, spielt er in Die Möwe,<br />
Muttermale Fenster blau, Neben mir und die Titelrolle in Werther.<br />
Thomas Halle Graf Hohenzollern<br />
Thomas Halle studierte Schauspiel an der Hochschule „Ernst Busch“<br />
in Berlin. Während des Studiums spielte er in der Regie von Andreas<br />
Kriegenburg am Deutschen Theater Hamlet. Seit 2011/12 fest in <strong>Karlsruhe</strong><br />
engagiert, ist er derzeit u. a. in Verrücktes Blut, Müdigkeitsgesellschaft,<br />
Medea, Dantons Tod und als Kostja in Die Möwe zu sehen.<br />
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Matthias lamp Prinz Friedrich Arthur von Homburg<br />
1981 in Heidelberg geboren, studierte Matthias Lamp Schauspiel an<br />
der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Während<br />
des Studiums spielte er am Maxim Gorki Theater und an der Schaubühne<br />
Berlin. In <strong>Karlsruhe</strong> ist er aktuell in Verrücktes Blut, als Kostja in Die<br />
Möwe, als Narr in Wie es euch gefällt und in Der Vorname zu sehen.<br />
timo tank Feldmarschall Dörfling<br />
Timo Tank, Jahrgang 1969, war nach dem Studium an den Bühnen der<br />
Landeshauptstadt Kiel, an den Städtischen Bühnen Münster und am<br />
Landestheater Tübingen engagiert. Seit 2002 gehört er fest zum<br />
Ensemble des STAATSTHEATERS. Derzeit ist er als Robespierre in<br />
Dantons Tod und als Stephan von Sala in Der einsame Weg zu sehen.<br />
André Wagner Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg<br />
Geboren 1963, studierte André Wagner Schauspiel an der Hochschule<br />
„Ernst Busch“ in seiner Heimatstadt Berlin. Nach Engagements u. a.<br />
am Landestheater Tübingen sowie an den Bühnen Graz und Münster<br />
kam er 2002 fest nach <strong>Karlsruhe</strong>. Aktuell spielt er Dorn in Die Möwe,<br />
den Schriftsteller in Agnes und Jason in Medea.<br />
Frank Wiegard Obrist Kottwitz<br />
Frank Wiegard spielte nach seinem Studium an der Hochschule „Ernst<br />
Busch“ in Berlin u. a. am <strong>Staatstheater</strong> Kassel, Schauspiel Frankfurt und<br />
Maxim Gorki Theater Berlin. Von 2007 bis 2011 war er fest in Heidelberg<br />
engagiert. In <strong>Karlsruhe</strong> spielt er aktuell die Titelrolle in Dantons Tod und<br />
ist außerdem in Minna von Barnhelm und Wie es euch gefällt zu sehen.<br />
Mich selber ruft er<br />
zur entscheidung auf!<br />
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ildnachweise<br />
Umschlag Felix Grünschloß<br />
Szenenfotos Felix Grünschloß<br />
impressum<br />
Herausgeber<br />
STAATSTHEATER <strong>Karlsruhe</strong><br />
Generalintendant<br />
Peter Spuhler<br />
TEXTNACHWEISE<br />
Jens Bisky, Kleist. Eine Biographie,<br />
Berlin 2007.<br />
Briefe von und an Kleist, in: Heinrich von<br />
Kleist, Werke und Briefe, Berlin 1978.<br />
Was gilt es in diesem Kriege Politische<br />
Schriften, in: Heinrich von Kleist, Werke<br />
und Briefe, Berlin 1978.<br />
Mathieu Carrière, Für eine Literatur des<br />
Krieges. Kleist, Frankfurt 1984.<br />
Michael Börgerding, Für eine Literatur<br />
des Krieges – revisited, in: Kleist oder die<br />
Ordnung der Welt, Berlin 2008.<br />
Text + Kritik, Zeitschrift für Literatur,<br />
Heinrich von Kleist, Sonderband, hrsg.<br />
von Heinz Ludwig Arnold, München 1993.<br />
Nicht gekennzeichnete Texte sind<br />
Originalbeiträge für dieses Heft von<br />
Nina Steinhilber<br />
VERWALTUNGSDIREKTOR<br />
Michael Obermeier<br />
Schauspieldirektor<br />
Jan Linders<br />
Redaktion<br />
Nina Steinhilber<br />
Konzept<br />
Double Standards Berlin<br />
www.doublestandards.net<br />
Gestaltung<br />
Kristina Pernesch<br />
Druck<br />
medialogik GmbH, <strong>Karlsruhe</strong><br />
BADISCHES STAATSTHEATER<br />
<strong>Karlsruhe</strong> 12/13<br />
<strong>Programmheft</strong> Nr. 121<br />
www.staatstheater.karlsruhe.de<br />
36 Sophia Löffler, Matthias Lamp
ST ES<br />
IN TRAUM