Familiengericht und Vormundschaft â Kooperation und Kontrolle
Familiengericht und Vormundschaft â Kooperation und Kontrolle
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<strong>Familiengericht</strong> <strong>und</strong> Vorm<strong>und</strong>schaft –<br />
<strong>Kooperation</strong> <strong>und</strong> <strong>Kontrolle</strong> 1<br />
Uwe Harm, Diplom-Rechtspfleger beim Amtgericht Bad Segeberg<br />
War schon nach der bisherigen Rechtslage eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen<br />
<strong>Familiengericht</strong> <strong>und</strong> Jugendamt geboten, ist dies mit den neueren Gesetzesänderungen zur<br />
Vorm<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> zum Kinderschutz nun verpflichtend geworden. Mehr noch: Um die Ziele<br />
der neuen Regelungen zu erreichen, wird ein Netzwerk, eine „Landschaft“ von Nöten sein,<br />
die alle Akteure des Familienrechts, der Vorm<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> des Kinderschutzes einschließt.<br />
Ein solch interdisziplinäres Unterfangen muss gemeinsam gestaltet <strong>und</strong> gepflegt werden.<br />
Die Erfahrungen zeigen aber, dass ein solches Ziel nicht leicht zu erreichen ist. Schon<br />
innerhalb des <strong>Familiengericht</strong>s zwischen Richtern <strong>und</strong> Rechtspflegern gibt es strukturell<br />
Reibungsverluste, die sich weniger in den klar geregelten funktionellen Zuständigkeiten nach<br />
dem Rechtspflegergesetz 2 begründen, sondern in verschiedenen Verfahrensabläufen <strong>und</strong><br />
Aktenführungen, die durch die Aufnahme des früheren Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts in das<br />
<strong>Familiengericht</strong> entstanden sind. Hinzu kommt natürlich die typische<br />
„Einzelkämpfermentalität“ von Richtern <strong>und</strong> Rechtspflegern hinzu. Teamarbeit ist dem<br />
Gericht eigentlich fremd, hier aber durchaus notwendig.<br />
Aber auch innerhalb des Jugendamtes ist das neue Rollenverständnis der verschiedenen<br />
Dienste noch nicht so klar definiert <strong>und</strong> führt auch da zu Konkurrenzen <strong>und</strong><br />
Kompetenzfragen. Wie frei ist der neue Amtsvorm<strong>und</strong> wirklich Diese Frage muss dringend<br />
innerhalb des Jugendamtes geklärt werden.<br />
Noch schwieriger gestaltet sich die <strong>Kooperation</strong> manchmal zwischen <strong>Familiengericht</strong> <strong>und</strong><br />
Jugendamt. Da gibt es traditionell gewisse wechselseitige Aversionen 3 . Im Kern basieren<br />
diese Aversionen auf die unterschiedlichen Fachlichkeiten. Der Jurist beim <strong>Familiengericht</strong><br />
hat gelernt, abstrakt nach den gesetzlichen Normen einen Fall zu subsumieren <strong>und</strong> denkt in<br />
diesem Sinne ergebnisorientiert. Die Ferne zum „Fall“ führt für jene, die ganz nah dran sind,<br />
nicht selten zu großem Unverständnis, wenn sie schließlich die Entscheidung des Gerichts<br />
lesen. Auf der anderen Seite wird sozialpädagogisch, psychologisch <strong>und</strong> in verwandten<br />
Disziplinen eher prozesshaft gedacht <strong>und</strong> die Nähe zum „Fall“ führt zu ganz anderen<br />
Einsichten. Damit beginnt das erste Nichtverstehen der jeweils anderen Disziplin.<br />
Neben diesen rein fachlichen Unterschieden bedingt das Recht im Vergleich mit der<br />
Fachlichkeit einen gewollten Unterschied, der manchmal schwer auszuhalten ist. Am<br />
Beispiel eines Sorgerechtsentzuges gem. § 1666 BGB mag das deutlich werden. Diese Fälle<br />
beginnen in der Regel beim Jugendamt (dort beim ASD). Nach vergeblichen Interventionen<br />
<strong>und</strong> Beratungsversuchen wird ein Antrag auf Sorgerechtsentzug beim <strong>Familiengericht</strong><br />
gestellt. Und jetzt fehlt es gelegentlich an einer „nahtlosen“ Reaktion des <strong>Familiengericht</strong>s,<br />
obwohl ja fachlich f<strong>und</strong>ierte Berichte als Begründung vorliegen.<br />
1 Vortrag auf dem Fachtag Hessen in Marburg am 23.5.2012.<br />
2 Nach dem RPflG ist für Familien- <strong>und</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftssachen eine generelle Schnittlinie der<br />
funktionellen Zuständigkeit vorgegeben: Für die Personensorge entscheidet der Richter, für die<br />
Vermögenssorge der Rechtspfleger. Aber es gibt einige Überschneidungen, so dass z. B. für die<br />
Aufsicht des <strong>Familiengericht</strong>s – <strong>und</strong> damit auch für die Personensorge – der Rechtspfleger zuständig<br />
ist.<br />
3 Vor Jahren wurde in einem Aufsatz über das Zusammenwirken von Gericht <strong>und</strong> Jugendamt das<br />
anschauliche Bild einer „Vernunftsehe“ bemüht, die allenfalls vorliegt, aber von einer „Liebesheirat“<br />
könne eben nicht die Rede sein.
Gr<strong>und</strong> für den manchmal fehlenden nahtlosen Fortgang ist das starke Elternrecht im<br />
Gr<strong>und</strong>gesetz. Es ist als ein „natürliches“ Recht der Eltern zum Schutze der Familie als<br />
kleinste Einheit unserer Gesellschaft definiert <strong>und</strong> hat die Funktion eines vorstaatlichen<br />
Abwehrrechtes gegen staatliche Eingriffe.<br />
Um es noch deutlicher zu machen, soll hier beispielhaft die Rspr des BVerfG (v. 29.1.2010<br />
FamRZ 2010, 713 ff) <strong>und</strong> zwar aus den Gründen auszugsweise angeführt werden:<br />
„Nicht jedes Versagen der Eltern berechtigt den Staat auf der Gr<strong>und</strong>lage seines<br />
Wächteramtes, die Eltern von der Pflege <strong>und</strong> Erziehung auszuschalten… Das elterliche<br />
Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem<br />
Verbleiben in der Familie …nachhaltig gefährdet ist.“ Noch kürzer <strong>und</strong> treffender wird es so<br />
beschrieben: Der Staat hat nicht die Aufgabe, für jedes Kind das Beste zu erreichen,<br />
sondern nur das Schlimmste abzuwenden.<br />
Damit wird deutlich, dass das Recht <strong>und</strong> die Fachlichkeit nicht immer deckungsgleich sind.<br />
Das Elternrecht hat soviel Gewicht, dass hier <strong>und</strong> da die Fachlichkeit zurückweichen muss.<br />
Auf beiden Seiten – <strong>Familiengericht</strong> (Juristen) <strong>und</strong> Jugendamt (Pädagogen) - kann es zudem<br />
neben der reinen Fachlichkeit noch zu sachfremden Einflüssen bei der Beurteilung eines<br />
Falles kommen: Die Nähe des Jugendamtes zum Fall auf der einen Seite, die Ferne des<br />
<strong>Familiengericht</strong>s auf der anderen Seite; zu dogmatische Rechtsanwendung hier,<br />
ideologiegefärbte Fachlichkeit dort; Anhörungsmängel bei Gericht <strong>und</strong> zu strenge fachliche<br />
Maßstäbe beim Jugendamt usw.<br />
Dennoch ist die Herausforderung die, mit diesen notwendigen <strong>und</strong> gewollten Unterschieden<br />
professionell umzugehen. Das heißt<br />
a) die eigene Professionalität zu wahren <strong>und</strong><br />
b) Respekt vor der jeweils anderen Sicht zu haben, die eben oft nicht deckungsgleich sein<br />
kann.<br />
Um nun dem Thema des Vortrages noch näher zu kommen, ist das Spannungsverhältnis<br />
von <strong>Kooperation</strong> <strong>und</strong> <strong>Kontrolle</strong> jetzt anzusprechen.<br />
§ 1837 BGB ist die entscheidende Norm für die „Aufsicht“ des Gerichts:<br />
(1) Das <strong>Familiengericht</strong> berät die Vormünder. Es wirkt dabei mit, sie in ihre Aufgaben<br />
einzuführen.<br />
Schon diese Sätze zeigen deutlich das Gebot der Zusammenarbeit! Die rechtliche <strong>und</strong> die<br />
fachliche Sicht gehören für Vormünder zusammen.<br />
(2) Das <strong>Familiengericht</strong> hat über die gesamte Tätigkeit des Vorm<strong>und</strong>es … die<br />
Aufsicht zu führen…Es hat insbesondere die Einhaltung der erforderlichen<br />
persönlichen Kontakte des Vorm<strong>und</strong>s zu dem Mündel zu beaufsichtigen.<br />
Zunächst ist zu klären, ob es sich hier um Fachaufsicht oder Rechtsaufsicht oder gar um<br />
beides handelt. Da das <strong>Familiengericht</strong> nur gegen „Pflichtwidrigkeiten“ durch „Gebote <strong>und</strong><br />
Verbote“ einschreiten darf, kann es sich nur um die Rechtsaufsicht handeln. Es geht somit<br />
bei der Aufsicht um eine Rechtmäßigkeitskontrolle <strong>und</strong> nicht um eine<br />
Zweckmäßigkeitskontrolle (=Fachlichkeit). Eine Fachaufsicht kann <strong>und</strong> darf das<br />
<strong>Familiengericht</strong> nicht ausüben. Der vom Gericht bestellte gesetzliche Vertreter (ob nun<br />
Vorm<strong>und</strong>, Pfleger oder rechtlicher Betreuer) hat die volle Eigenverantwortung <strong>und</strong> kann<br />
weder haftungsbefreiend delegieren, noch Entscheidungen an eine Fachaufsicht abgeben.<br />
Was bedeutet aber Rechtsaufsicht<br />
Das <strong>Familiengericht</strong> (hier der Rechtspfleger) muss darüber wachen, ob der Vorm<strong>und</strong> oder<br />
Pfleger eines Kindes seine gesetzlichen Pflichten erfüllt <strong>und</strong> rechtlich legal handelt. Auch<br />
dabei geht es um den Schutz des Kindes. Zu diesem Zweck sind u. a. Jahresberichte<br />
vorgesehen, die zusätzlich zu den Wirkungskreisen (z. B. bei Pflegern mit Teilbereichen des<br />
Sorgerechts) gem. § 1840 Abs. 1 BGB immer auch die persönlichen Verhältnisse <strong>und</strong>
Angaben zu den Kontakten zum Mündel enthalten müssen. Bei diesen Berichten reicht es<br />
nicht, nur die „harten Fakten“ <strong>und</strong> Daten mitzuteilen. Das Handeln des gesetzlichen<br />
Vertreters ist auch fachlich zu begründen <strong>und</strong> zwar in einer Form, die es auch<br />
Nichtfachleuten ermöglicht, Entscheidungen <strong>und</strong> Maßnahmen nachvollziehen zu können.<br />
Und wenn über die Kontakte berichtet werden muss, sind auch die damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Feststellungen des Vorm<strong>und</strong>es, etwaige daraufhin begründete Maßnahmen oder Sorgen zu<br />
berichten. Ohne fachliche Begründung würde es sich zu einer wirkungslosen „papierenen<br />
Aufsicht“ reduzieren. Das Aufsichtsinstrument wäre uneffektiv. Das ist vom Gesetzgeber<br />
nicht gewollt. Im Gegenteil, es gilt für alle Fremd-Vertretungsfälle, die hoheitlich angeordnet<br />
wurden, dass eine <strong>Kontrolle</strong> durch eine unabhängige Behörde oder hier das Gericht zu<br />
fordern ist. Nur so können im Einzelfall die Rechte des Kindes mit wachendem Auge gewahrt<br />
werden 4 . Die Aufsicht des <strong>Familiengericht</strong>s ist aber auch Rückendeckung für die Vormünder.<br />
Neben den persönlichen Verhältnissen (also Aufenthalt, Entwicklungsstand, soziales Umfeld<br />
<strong>und</strong> etwaige Besonderheiten) ist dann über die jeweiligen Wirkungskreise, soweit<br />
Handlungsbedarf bestand, konkret zu berichten. Ist Vermögen zu verwalten, gelten die<br />
gesetzlichen Regelungen zur Rechnungslegung <strong>und</strong> zu diversen Genehmigungsverfahren<br />
(der Amtsvorm<strong>und</strong> genießt dazu einige Befreiungen). Zur Vermögenssorge gehören aber<br />
auch Ansprüche <strong>und</strong> Vermögensrechte des Kindes. Wird das Kind z. B. Erbe, kann ein<br />
erheblicher rechtlicher Handlungsbedarf entstehen, der allein schon wegen der komplizierten<br />
Materie ein beratendes Zusammenspiel zum Rechtspfleger dringend notwendig machen<br />
kann.<br />
Ein neues Problem stellen die geforderten monatlichen Kontakte des Vorm<strong>und</strong>es zum<br />
Mündel dar. Bei den geforderten höchstens 50 Fällen für einen in Vollzeit tätigen<br />
Amtsvorm<strong>und</strong> wird die Frage zu stellen sein, ob das überhaupt machbar ist. Auch hier ist das<br />
Recht mit der Fachlichkeit nicht deckungsgleich. Ein generelles Abweichen von der Regel<br />
der monatlichen Besuche kann <strong>und</strong> darf kein Rechtspfleger zulassen. Aber für Einzelfälle mit<br />
einer entsprechenden fachlichen Begründung erlaubt § 1793 Abs. 1a BGB durchaus eine<br />
andere Kontaktfrequenz, die – bei nachvollziehbarer Begründung – vom <strong>Familiengericht</strong><br />
nicht beanstandet werden darf.<br />
Was können die verschiedenen Akteure des neuen Vorm<strong>und</strong>schaftswesens von einem<br />
verwandten Rechtsgebiet, das vor 20 Jahren vor einer ähnlichen Herausforderung stand<br />
lernen Hier ist an das Betreuungsrecht zu denken. An vielen Orten ist im Betreuungsrecht<br />
eine gedeihliche „Landschaft“ des interdisziplinären Miteinanders entstanden. Welche<br />
Vorbilder gibt es<br />
Gute Beispiele, die hier übertragen werden können:<br />
Begonnen – schon mit dem heutigen Fachtag – wurde ja schon mit interdisziplinären<br />
Veranstaltungen. Diese Fachveranstaltungen helfen sehr, gemeinsame Wege zu gehen, die<br />
verschiedenen Fachlichkeiten zu verstehen <strong>und</strong> zu akzeptieren <strong>und</strong> vor allem neue effektive<br />
Wege auszuloten. Hier ist der Ort für neue Ideen <strong>und</strong> für einen produktiven fachlichen<br />
„Streit“. Es ist allerdings immer schwierig, alle Akteure zusammen zu bringen. Besonders<br />
schwierig – auch im Betreuungsrecht – gestaltet sich die Einbindung des Gerichts (Richter<br />
<strong>und</strong> Rechtspfleger).<br />
Ein weiteres Beispiel sind regelmäßige interdisziplinäre Arbeitskreise vor Ort. Gerade das<br />
Jugendamt könnte sich berufen fühlen, mehrmals im Jahr zu einem Arbeitskreis einzuladen.<br />
4 Die Pflichten des Vorm<strong>und</strong>s sind immer auch spiegelbildlich die Rechte der Kinder!
Hier sollten Mitarbeiter des Jugendamtes, Amtsvormünder, Berufsvormünder, Pflegeeltern,<br />
Verfahrensbeistände <strong>und</strong> Richter <strong>und</strong> Rechtspfleger teilnehmen 5 .<br />
Darüber hinaus sind persönliche Kontakte <strong>und</strong> Gespräche wichtig. Nur schriftlich miteinander<br />
zu verkehren, führt letztlich zu einer Entfremdung <strong>und</strong> hindert echte <strong>Kooperation</strong>.<br />
Allerdings setzt das ein neues Denken voraus:<br />
Richter <strong>und</strong> Rechtspfleger als typische Einzelkämpfer innerhalb ihrer Zuständigkeit müssen<br />
erkennen, dass sie über das „Ausgangsfach“ hinaus Verantwortung für das ganze System<br />
mit tragen. Sie müssen sich auch mit den anderen Fachlichkeiten in einem gewissen Maße<br />
auseinandersetzen. Anders als bei der klassischen Rechtsprechung wird hier Recht<br />
gestaltet. Ohne Einblick in die Fachlichkeit der anderen Mitspieler wird dies nicht gut<br />
gelingen können.<br />
Auch die Akteure aus dem pädagogischen Bereich müssen das Denken der Juristen <strong>und</strong> die<br />
Nahtstellen zwischen Fachlichkeit <strong>und</strong> Recht besser verstehen lernen. Gr<strong>und</strong>sätzlich gilt<br />
aber auch hier:<br />
Das Familien- <strong>und</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsrecht ist nur so gut wie die jeweils handelnden<br />
Personen.<br />
Aber ergreifen wir gemeinsam die Chance einer effektiven Zusammenarbeit – nicht um ihrer<br />
Selbst willen -, sondern für das Wohl der gefährdeten <strong>und</strong> förderungsbedürftigen Kinder.<br />
5 Es kann wechselweise jede der Fachlichkeiten eigene Tagesordnungen <strong>und</strong> Themen bestimmen, die<br />
jeweils aktuell erscheinen. Über solche Arbeitskreise können wichtige Informationen an alle Akteure<br />
im Bezirk – z. B. per E-Mailverteiler – weiter geleitet werden.