Becker, Krieger - Lebensmittelwerbung für Kinderprodukte

Becker, Krieger - Lebensmittelwerbung für Kinderprodukte Becker, Krieger - Lebensmittelwerbung für Kinderprodukte

11.11.2012 Aufrufe

Lebensmittelwerbung Endbe- richt Die sehr weitgehende Konzeption, wonach der Schadenseintritt die Rechtswidrigkeit bereits indiziert, und eine gesonderte Prüfung der Rechtswidrigkeit entbehrlich mach, wurde inzwischen aufgegeben. Diese Auffassung läßt nämlich außer Betracht, dass, insbesondere im Bereich der Produkthaftung Schäden oftmals durch Handlungen ausgelöst werden, die erlaubt sind und dem Geschädigten erst durch eigenes oder Fehlverhalten Dritter gefährlich werden. In diesem Zusammenhang sei als Beispiel auf die Automobilherstellung verwiesen. Der Automobilhersteller weiß, dass seine Produkte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Unfälle verwickelt sein können. Indem er die Fahrzeuge in den Verkehr bringt, setzt er eine adäquat kausale Bedingung für den Schadenseintritt und führt diesen auch vorsätzlich herbei, da er ihn billigend in Kauf nimmt. Würde das zu einer Schadensersatzpflicht des Herstellers führen, stünde das im Widerspruch zur Entscheidung des Gesetzgebers, die Risiken des Straßenverkehrs hinzunehmen und Kraftfahrzeuge zuzulassen. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Herstellung von Produkten eine rechtswidrige Handlung darstellen kann. Dies ist immer dann der Fall, wenn eine Pflichtverletzung des Herstellers festgestellt werden kann. 22 Dabei ist vor dem Hintergrund der Verkehrspflichten, deren Verletzung die Rechtswidrigkeit des Verhaltens begründet, zu prüfen, ob der Hersteller alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um Gefahren, die von seinem Produkt ausgehen, von den Verbrauchern abzuwenden. 23 Nach der Legaldefinition für Produktfehler in § 3 des ProdHaftG, die auch im Rahmen der deliktischen Produkthaftung Anwendung findet, ist ein Produkt dann fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, des Zeitpunkts, zu dem es in Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise gerechnet werden kann. Rechtsprechung und Schrifttum unterscheiden drei Fehlerkategorien, nämlich Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler. 24 Da Fabrikationsfehler während des Herstellungsprozesses entstehen und nur einzelnen Stücken anhaften („Ausreißer“) 25 , sind hinsichtlich möglicher Haftungsansprüche gegen Hersteller der beworbenen Kinderprodukte die Kategorien Konstruktions- und Instruktionsfehler näher zu betrachten. Ein Produkt weist einen Konstruktionsfehler auf, wenn es schon seiner Konzeption nach unter dem gebotenen Sicherheitsstandard bleibt 26 , mit anderen 22 v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23, Rn. 9 , 10 23 Hammerl in: Lebensmittelrechts-Handbuch, III. A., Rn. 12; OLG Düsseldorf, VersR 2003, 912 ff.(914) 24 Palandt-Thomas, ProdHaftG, § 3, Rn. 2ff. 25 Palandt-Thomas, ProdHaftG, § 3, Rn. 4 26 v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24, Rn. 59 60

Lebensmittelwerbung Worten, wenn es nicht das Sicherheitsniveau bietet, das der Verwender berechtigterweise erwarten kann. 27 In Bezug auf die beworbenen Kinderprodukte mit hoher glykämischer Last könnte man daran denken, angesichts des hohen Fett- und/oder Zuckeranteils in deren Zusammensetzung einen Konstruktionsfehler zu sehen. Auch diese Auffassung wird allerdings von der aktuellen Rechtsprechung nicht gestützt. Das OLG Düsseldorf 28 hat in einem Schadensersatzprozeß eines an Diabetes erkrankten Klägers gegen den Hersteller der „Mars“ und „Snickers“ Schokoladenriegel einen Konstruktionsfehler verneint. Bei den zur Herstellung der Riegel verwendeten Zutaten (Zucker und Kakao) handele es sich um lebensmittelrechtlich nicht zu beanstandende Stoffe. Auch wenn ein Hersteller, den Anforderungen an seine Verkehrspflicht nicht schon dann genüge, wenn er gesetzlich vorgegebene Anforderungen erfülle, sei die Verwendung von Zucker auch vor dem Hintergrund der von ihm ausgehenden Gefahren nicht zu beanstanden. Zucker sei nicht nur Bestandteil allgemein anerkannter und tolerierter Genussmittel wie Pralinen und Kuchen, sondern auch in zahlreichen Nahrungsmitteln enthalten, die nicht im engeren Sinne als Genussmittel anzusehen seien. Die von ihm insbesondere bei häufigem und übermäßigem Verzehr ausgehenden Gefahren seien weithin seit langem bekannt. Es liege deshalb in der Selbstverantwortung des Einzelnen, zu entscheiden, ob er seine Ernährung eher an Gesundheitsbelangen oder eher am Genuss orientiere. Jedenfalls seien die Nahrungsmittelhersteller nicht gehalten, ihre Produkte von vornherein so zu konstruieren, dass sie in höchstem Masse der Gesundheit zugute kommen. Eine Rechtsordnung, die es sich zur Aufgabe mache, jede auch freiwillig in Kauf genommene Gefährdung von vornherein unmöglich zu machen, schränke die Freiheit und Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen in unvertretbarer Weise ein. Folgt man dieser Rechtsprechung, wäre auch für die beworbenen Kinderprodukte ein Konstruktionsfehler zu verneinen. Eine differenzierte Sicht, wäre hier aber gerade deshalb angebracht, weil zum Einen Mars und Snickers nicht suggeriern, ein gesundes Produkt zu sein und Kinder gerade nicht oder nicht in dem Umfange wie ein Erwachsener über die genannten Kenntnisse verfügen und auch kognitiv nicht in der Lage sind, ihr Verhalten an diesen auszurichten. Der Hersteller darf jedoch, wie auch bei den Instruktionspflichten, derzeit davon ausgehen und darauf vertrauen, dass unerfahrene Kinder durch die entsprechende Kenntnis ihrer Eltern geschützt werden, indem diese ihre Verantwortung im Rahmen ihrer Erziehungspflicht wahrnehmen. Wie im Zusammenhang mit der Wandlung des Verbraucherleitbildes durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geschildert, werden an die Ver- 27 LG Mönchengladbach, NJW-RR, S. 896(898) 28 OLG Düsseldorf, VersR 2003, 912 ff. (9149 61

<strong>Lebensmittelwerbung</strong> Endbe-<br />

richt<br />

Die sehr weitgehende Konzeption, wonach der Schadenseintritt die Rechtswidrigkeit<br />

bereits indiziert, und eine gesonderte Prüfung der Rechtswidrigkeit<br />

entbehrlich mach, wurde inzwischen aufgegeben. Diese Auffassung läßt nämlich<br />

außer Betracht, dass, insbesondere im Bereich der Produkthaftung Schäden<br />

oftmals durch Handlungen ausgelöst werden, die erlaubt sind und dem<br />

Geschädigten erst durch eigenes oder Fehlverhalten Dritter gefährlich werden.<br />

In diesem Zusammenhang sei als Beispiel auf die Automobilherstellung verwiesen.<br />

Der Automobilhersteller weiß, dass seine Produkte mit einer gewissen<br />

Wahrscheinlichkeit in Unfälle verwickelt sein können. Indem er die Fahrzeuge<br />

in den Verkehr bringt, setzt er eine adäquat kausale Bedingung <strong>für</strong> den Schadenseintritt<br />

und führt diesen auch vorsätzlich herbei, da er ihn billigend in<br />

Kauf nimmt. Würde das zu einer Schadensersatzpflicht des Herstellers führen,<br />

stünde das im Widerspruch zur Entscheidung des Gesetzgebers, die Risiken<br />

des Straßenverkehrs hinzunehmen und Kraftfahrzeuge zuzulassen. Das<br />

schließt jedoch nicht aus, dass die Herstellung von Produkten eine rechtswidrige<br />

Handlung darstellen kann. Dies ist immer dann der Fall, wenn eine<br />

Pflichtverletzung des Herstellers festgestellt werden kann. 22<br />

Dabei ist vor dem Hintergrund der Verkehrspflichten, deren Verletzung die<br />

Rechtswidrigkeit des Verhaltens begründet, zu prüfen, ob der Hersteller alle<br />

ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um Gefahren, die<br />

von seinem Produkt ausgehen, von den Verbrauchern abzuwenden. 23<br />

Nach der Legaldefinition <strong>für</strong> Produktfehler in § 3 des ProdHaftG, die auch im<br />

Rahmen der deliktischen Produkthaftung Anwendung findet, ist ein Produkt<br />

dann fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit<br />

dem billigerweise gerechnet werden kann, des Zeitpunkts, zu dem es in Verkehr<br />

gebracht wurde, berechtigterweise gerechnet werden kann.<br />

Rechtsprechung und Schrifttum unterscheiden drei Fehlerkategorien, nämlich<br />

Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler. 24 Da Fabrikationsfehler<br />

während des Herstellungsprozesses entstehen und nur einzelnen Stücken anhaften<br />

(„Ausreißer“) 25 , sind hinsichtlich möglicher Haftungsansprüche gegen<br />

Hersteller der beworbenen <strong>Kinderprodukte</strong> die Kategorien Konstruktions- und<br />

Instruktionsfehler näher zu betrachten.<br />

Ein Produkt weist einen Konstruktionsfehler auf, wenn es schon seiner Konzeption<br />

nach unter dem gebotenen Sicherheitsstandard bleibt 26 , mit anderen<br />

22 v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23, Rn. 9 , 10<br />

23 Hammerl in: Lebensmittelrechts-Handbuch, III. A., Rn. 12; OLG Düsseldorf, VersR 2003, 912 ff.(914)<br />

24 Palandt-Thomas, ProdHaftG, § 3, Rn. 2ff.<br />

25 Palandt-Thomas, ProdHaftG, § 3, Rn. 4<br />

26 v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24, Rn. 59<br />

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