Becker, Krieger - Lebensmittelwerbung für Kinderprodukte

Becker, Krieger - Lebensmittelwerbung für Kinderprodukte Becker, Krieger - Lebensmittelwerbung für Kinderprodukte

11.11.2012 Aufrufe

Lebensmittelwerbung Endbe- richt Um festzustellen, ob eine Werbeaussage irreführend ist, muss zunächst deren Aussagegehalt ermittelt werden. Maßgebend dafür ist die Verkehrsauffassung, d.h., wie verstehen die angesprochenen Verkehrskreise die Werbeäußerung. Es ist also zu ermitteln, welche Vorstellungen sich die am Lebensmittelverkehr Beteiligten gebildet haben. Mit diesen Verbrauchererwartungen ist sodann das reale Produkt zu vergleichen. 7 Die Verbrauchererwartung ermitteln die Gerichte oft aus eigener Sachkunde. Das wird als zulässig und auch aus Kostengründen, erwünscht angesehen. Als Konsumenten gehören auch Richter zu den die Verbrauchererwartung prägenden Verkehrskreisen, weshalb sie aus eigener Sachkunde, ohne Zuhilfenahme von Sachverständigen die Auffassung des Durchschnittsverbrauchers, zumindest soweit es um Güter des täglichen Bedarfs, geht, ermitteln können sollen. 8 Maßgeblich für die Beurteilung der Verbrauchererwartung und damit die Beurteilung, ob eine Werbung irreführend ist, ist zusätzlich das zu Grunde liegende Verbraucherleitbild. Die Rechtsprechung in Deutschland ging bis in die 90er Jahre hinein vom Leitbild des flüchtigen Verbrauchers aus. Dieser nimmt Werbebehauptungen ungezwungen und unkritisch auf. Er nimmt sich nicht die Zeit, Informationen und Werbeangaben vollständig und aufmerksam zu studieren und setzt sich in der Regel gar nicht oder nur unzureichend mit Inhalten und Bedeutung von Angaben auseinander. Das führte dazu, dass hohe Anforderungen an die Verständlichkeit von Werbeangaben und aufklärende Informationen, insbesondere dann, wenn es sich um Angaben, die sich wie bei Lebensmitteln, an die breite Bevölkerung richten, gestellt wurden. 9 Das Verbraucherleitbild des Europäischen Gerichtshofes hingegen ist ein anderes. Der EuGH geht vom mündigen Verbraucher, und damit vom Leitbild eines verständigen durchschnittlich informierten aufmerksamen Verbrauchers aus, der Willens und in der Lage ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen. 10 Dieser mündige Verbraucher informiert sich aktiv, unterzieht die erhaltenen Informationen einer kritischen Würdigung und verlässt sich nicht auf den ersten Eindruck, den ihm ein Produkt bietet. 11 Der EuGH legt dem Verbraucher somit die Pflicht auf, beim Kauf von Produkten deren Kennzeichnung zu studieren, und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Er stellt damit hohe Anforderungen 7 Streinz-Leible, Lebensmittelrechts-Handbuch, III. F. Rn. 542, 543 8 Streinz-Leible, Lebensmittelrechts-Handbuch, III. F. Rn. 550, 551 9 Streinz-Leible,Lebensmittelrechts-Handbuch, III. F. Rn. 560 10 Streinz-Streinz, Lebensmittelrechts-Handbuch, III.C. Rn. 120 a; 11 Streinz-Leible,Lebensmittelrechts-Handbuch, III.F. Rn. 561 52

Lebensmittelwerbung an die Fähigkeit der Verbraucher, Informationen aufzunehmen, zu verstehen und zu würdigen. 12 Soweit es sich um die täuschungsrechtliche Beurteilung der äußeren Darbietung eines Lebensmittels handelt, ist das Verbraucherleitbild des EuGH auch bei reinen Inlandssachverhalten heranzuziehen. Lebensmittelrecht ist heute weitgehend Gemeinschaftsrecht und daher auch im Lichte dessen auszulegen. Auch wenn die Etikettierungsrichtlinie, auf der der lebensmittelrechtliche Täuschungsschutz beruht, keine unmittelbare Anwendung auf den wettbewerbsrechtlichen Täuschungsschutz findet, und hier im Grunde genommen die strengeren Maßstäbe der deutschen Rechtsprechung Anwendung finden könnten, so lässt sie diesen doch nicht unbeeinflusst. Zum einem verfolgen sowohl der wettbewerbsrechtliche wie auch der lebensmittelrechtliche Täuschungsschutz gleiche Ziele, nämlich den Schutz der Allgemeinheit und damit der Verbraucher. Zum anderen würde es oftmals wenig Sinn machen, bestimmte Angaben im Rahmen der Etikettierung aufgrund des weiter gefassten EU-Verbraucherleitbildes zuzulassen und diese dann im Bereich der Werbung zu verbieten, weil sie von dem flüchtigen Verbraucher des inländischen Rechts nicht verstanden würden. 13 In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass auch der BGH, den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben folgend, inzwischen das Leitbild vom durchschnittlich informierten Verbraucher in das deutsche Wettbewerbsrecht eingeführt hat. Davon ausgehend, ist eine Irreführung durch Werbung und Produktaufmachung in der Regel dann ausgeschlossen, wenn sich das für den Verbraucher Wesentliche der Zutatenliste entnehmen lässt und diese den gesetzlichen Ansprüchen des Lebensmittelkennzeichnungsrechts entspricht. Das Landgericht Kleve hatte kürzlich über eine Klage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen zu entscheiden, in der es um die Frage ging, ob der Aufdruck der Worte „ohne Fett“ auf Fruchtgummiprodukten irreführend sei. 14 Der VZBV vertrat die Auffassung, der Aufdruck sei u.a. deshalb irreführend, weil ein positiver gesundheitlicher Aspekt suggeriert und gleichzeitig die Gesundheitsgefahren, die aus dem hohen Zuckeranteil des Produkts resultieren, verschleiert würden. Es werde ferner suggeriert, dass man sich mit dem Produkt kalorienbewusst ernähren könne, und eine relevante Gewichtszunahme durch den Genuss der Produkte nicht zu befürchten sei, der Verzehr nicht „fett“ mache. Dem Kläger ging es dabei insbesondere auch um den Schutz von Kindern und Jugendlichen als Adressaten des Werbeaufdrucks. 12 BT-Drs. 15/1675, S. 21 13 Streinz-Leible, Lebensmittelrechts-Handbuch, III. F. Rn. 563 14 Landgericht Kleve, Urteil vom 5. November 2004, Az.: 8 O 69/04 53

<strong>Lebensmittelwerbung</strong> Endbe-<br />

richt<br />

Um festzustellen, ob eine Werbeaussage irreführend ist, muss zunächst deren<br />

Aussagegehalt ermittelt werden. Maßgebend da<strong>für</strong> ist die Verkehrsauffassung,<br />

d.h., wie verstehen die angesprochenen Verkehrskreise die Werbeäußerung.<br />

Es ist also zu ermitteln, welche Vorstellungen sich die am Lebensmittelverkehr<br />

Beteiligten gebildet haben. Mit diesen Verbrauchererwartungen ist<br />

sodann das reale Produkt zu vergleichen. 7<br />

Die Verbrauchererwartung ermitteln die Gerichte oft aus eigener Sachkunde.<br />

Das wird als zulässig und auch aus Kostengründen, erwünscht angesehen. Als<br />

Konsumenten gehören auch Richter zu den die Verbrauchererwartung prägenden<br />

Verkehrskreisen, weshalb sie aus eigener Sachkunde, ohne Zuhilfenahme<br />

von Sachverständigen die Auffassung des Durchschnittsverbrauchers,<br />

zumindest soweit es um Güter des täglichen Bedarfs, geht, ermitteln können<br />

sollen. 8<br />

Maßgeblich <strong>für</strong> die Beurteilung der Verbrauchererwartung und damit die Beurteilung,<br />

ob eine Werbung irreführend ist, ist zusätzlich das zu Grunde liegende<br />

Verbraucherleitbild. Die Rechtsprechung in Deutschland ging bis in die<br />

90er Jahre hinein vom Leitbild des flüchtigen Verbrauchers aus. Dieser nimmt<br />

Werbebehauptungen ungezwungen und unkritisch auf. Er nimmt sich nicht<br />

die Zeit, Informationen und Werbeangaben vollständig und aufmerksam zu<br />

studieren und setzt sich in der Regel gar nicht oder nur unzureichend mit Inhalten<br />

und Bedeutung von Angaben auseinander. Das führte dazu, dass hohe<br />

Anforderungen an die Verständlichkeit von Werbeangaben und aufklärende<br />

Informationen, insbesondere dann, wenn es sich um Angaben, die sich wie<br />

bei Lebensmitteln, an die breite Bevölkerung richten, gestellt wurden. 9<br />

Das Verbraucherleitbild des Europäischen Gerichtshofes hingegen ist ein anderes.<br />

Der EuGH geht vom mündigen Verbraucher, und damit vom Leitbild eines<br />

verständigen durchschnittlich informierten aufmerksamen Verbrauchers aus,<br />

der Willens und in der Lage ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen. 10 Dieser<br />

mündige Verbraucher informiert sich aktiv, unterzieht die erhaltenen Informationen<br />

einer kritischen Würdigung und verlässt sich nicht auf den ersten<br />

Eindruck, den ihm ein Produkt bietet. 11 Der EuGH legt dem Verbraucher somit<br />

die Pflicht auf, beim Kauf von Produkten deren Kennzeichnung zu studieren,<br />

und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Er stellt damit hohe Anforderungen<br />

7 Streinz-Leible, Lebensmittelrechts-Handbuch, III. F. Rn. 542, 543<br />

8 Streinz-Leible, Lebensmittelrechts-Handbuch, III. F. Rn. 550, 551<br />

9 Streinz-Leible,Lebensmittelrechts-Handbuch, III. F. Rn. 560<br />

10 Streinz-Streinz, Lebensmittelrechts-Handbuch, III.C. Rn. 120 a;<br />

11 Streinz-Leible,Lebensmittelrechts-Handbuch, III.F. Rn. 561<br />

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