Puzzeln - Bernhard Possert
Puzzeln - Bernhard Possert
Puzzeln - Bernhard Possert
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
sich in einem Wüstenbecken befinden, wo der Weg<br />
bergab zu einem ausgetrockneten See und nicht an einen<br />
Fluss führt. In einigen abgelegenen Weltgegenden gibt<br />
es Flüsse, die in einen See oder ins Meer münden, ohne<br />
je an einer menschlichen Ansiedlung vorbeizukommen.<br />
Und was schlimmer ist, die Anweisungen sagen nichts<br />
darüber aus, was man tun soll, wenn man sich auf so<br />
ebenem Gelände befindet, dass es kein offensichtliches<br />
Bergab gibt. Ein idealer Algorithmus müsste unter allen<br />
denkbaren Bedingungen funktionieren.<br />
Wir benützen nicht immer Algorithmen. Es gibt Köche,<br />
die sich an Rezepte halten, und es gibt Köche, die so<br />
frei improvisieren, dass sie behaupten, sie könnten nicht<br />
beschreiben, wie sie das Gericht gekocht haben. Keine<br />
von beiden Methoden ist falsch oder richtig. Aber nur<br />
der algorithmische Zugang ist analysierbar. 5<br />
(Exkurs Ende)<br />
Die möglichen Algorithmen<br />
beim Puzzlebauen:<br />
zuerst alle Teile umdrehen, währenddessen oder danach<br />
die Randteile herauslegen, währenddessen oder danach<br />
alle Randteile so legen, dass der Außenrand nach unten<br />
zeigt, währenddessen oder danach die Randteile nach<br />
Arten sortieren: Ecken, 2 Nasen, keine Nasen, Nase links,<br />
Nase rechts; danach: ein Eck in die Hand nehmen und<br />
zu allen denkbaren Teilen halten und probieren;<br />
Erster Stopp: Ein Algorithmus ist „dumm“: Es kümmert<br />
ihn nicht, ob farblich die Teile, die probiert werden,<br />
zueinander passen; er probiert einfach alle durch! Als<br />
Mensch bin ich nicht ganz so dumm: ich sehe die Farbe,<br />
vergleiche die Größe der Nase und des Loches etc.; ich<br />
bitte Sie, sich bei diesem Unterschied einen gedanklichen<br />
Knoten im Taschentusch zu machen: Darauf kommen<br />
wir zurück!<br />
Habe ich nun einen Teil zu meinem Eck gefunden, lasse<br />
ich das Eck liegen, nehme das gefundene Teil und<br />
probiere weiter etc.; ich nehme also das Teil in die Hand<br />
und probiere zu den liegenden möglichen Teilen, und<br />
nicht: der Reihe nach mögliche Teile in die Hand nehmen<br />
und dann zum Fix-Teil halten: eine Frage der Effizienz!<br />
Ja, natürlich, <strong>Puzzeln</strong> ist nur eine Freizeitbeschäftigung,<br />
aber auch beim Klettern versuche ich es besser, wenn es<br />
besser geht, und vor allem: hier ist puzzeln eine<br />
Metapher!<br />
Weiter mit dem Puzzle:<br />
Ich habe nun den Rand: wo geht´s weiter Wir stellen<br />
uns vor: viel Meer, viel Himmel, und ein paar Schiffe,<br />
viel Holz, Seile, ein paar Matrosen, und ein rotes Segel;<br />
ok, also wo fangen wir an Beim roten Segel ... und dann<br />
Stück für Stück weiter; wenn nun die Schiffe halbwegs<br />
fertig sind, müssen wir, so denke ich, die Taktik ändern!<br />
Bis jetzt haben wir nach dem visuell passenden Teil<br />
gesucht. Meer und Himmel klingen so, als ob es viele<br />
Teile mit ähnlicher Färbung gäbe. Und hier kommt<br />
wieder der notwendige Wechsel in der Taktik: bis zu<br />
einem gewissen Grad suche ich nach speziellen<br />
Färbungen, aber wenn dann nur mehr Grün oder Blau<br />
übrig bleibt, sortiere ich neu nach Formen: alle mit 4<br />
Nasen, 2 Nasen gegenüber, 2 Nasen aneinander, 3 Nasen,<br />
1 Nase, keine Nase, Irreguläre.<br />
Und nun beginnt das Herumsuchen. Der Vorteil: die<br />
Menge der Teile die in Frage kommen, ist eingeschränkt.<br />
Warum lasse ich mich so lang und breit über die<br />
verschiedenen Taktiken beim <strong>Puzzeln</strong> aus Nun, ich halte<br />
das <strong>Puzzeln</strong> für<br />
eine ausgezeichnete Metapher für<br />
Moderationen:<br />
Es gibt zu Beginn einer Moderation ein paar Dinge,<br />
die man benötigt, um den „Rand“ zusammen zu<br />
bekommen: Einleitung vom/von der<br />
AuftraggeberIn, Ziele, Zeitrahmen, Erwartungen, ...<br />
Das kann sehr rasch gehen; es kann aber sein, dass<br />
das Eingrenzen des Zieles bereits harte Arbeit ist!<br />
Sobald der Rahmen steht, kann es sehr frei gehen:<br />
Man sucht die „roten Segel“: Bereiche, die man<br />
leichter abhandeln kann, wo man einmal warm wird,<br />
wo man merkt: es geht eh was weiter!<br />
Es gibt die Phasen, in denen scheinbar nichts<br />
weitergeht: man probiert konfus einfach drauflos, ob<br />
ein Teil irgendwo passen könnte – wenn alle Schiffe<br />
gebaut sind und nur mehr Himmel und Meer übrig<br />
bleiben. Aufgabe des/r Moderators/in hier: die<br />
Gruppe überzeigen: sortieren, ordnen,<br />
auseinanderklauben – und dann auch tun! Hier ist<br />
der/die ModeratorIn gefordert! Nicht nur<br />
überzeugen, dass man ordnen sollte, sondern selbst<br />
im Chaos bereits verborgene Ordnungen sehen und<br />
anbieten können! So wie ein/e BildhauerIn, der/die<br />
in einem Steinblock bereits die fertige Skulptur sieht<br />
und dann nur mehr wegklopft, was nicht zur Skulptur<br />
gehört. Manche ModeratorInnen sehen verschiedene<br />
Ordnungen im Haufen: logische Ebenen,<br />
notwendige Bedingungen, zeitliche Abfolgen,<br />
verschiedene Matrix-Strukturen, ... und jede Struktur<br />
hat dann ihren Algorithmus: Man schüttet das Chaos<br />
in die Algorithmus-Apfel-Sortiermaschine,<br />
herauskommen schön sortierte Kisten mit<br />
verschieden großen Äpfeln.<br />
Extra betonen möchte ich die Notwendigkeit, mitten<br />
im Prozess die Taktik zu ändern. Ein weiterer<br />
Querverweis: in einem Seminar über militärisches<br />
Führungsverhalten glaube ich den Unterschied<br />
zwischen Anweisung und Auftrag gehört zu haben:<br />
wenn ein Gebiet z.B. gut einsehbar ist, kann es eine<br />
Anweisung geben, den Fluss an genau dieser Stelle<br />
auf diese Weise zu überqueren und dann ...; ist das<br />
Gebiet nicht einsehbar, kann es einen Auftrag geben:<br />
22 doppel punkt 2/2004