Der Mordfall Jakob von Metzler â durfte dem Entführer ... - Steinerlh.de
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09. Mai 2013<br />
<strong>Der</strong> <strong>Mordfall</strong> <strong>Jakob</strong> <strong>von</strong> <strong>Metzler</strong> – <strong>durfte</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> Entführer gedroht wer<strong>de</strong>n<br />
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Da <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong> Aufsatz mittlerweile 7 DIN-A4 Seiten umfasst und für Leute, die nicht<br />
täglich mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Strafrecht zu tun haben, sicher nicht ganz leicht zu lesen ist, setze ich mein<br />
Fazit an <strong>de</strong>n Anfang:<br />
„Ein Rechtssystem, das es nicht erlaubt, das Leben eines entführten Kin<strong>de</strong>s dadurch<br />
zu retten, in<strong><strong>de</strong>m</strong> man <strong><strong>de</strong>m</strong> bereits überführten Täter lediglich Prügel androht, ist<br />
nichts wert. Unser Rechtssystem ist aber sehr gut – lei<strong>de</strong>r mangelt es bei <strong>de</strong>ssen<br />
Hütern, egal ob in Roben o<strong>de</strong>r selbsternannt, an Courage und/o<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>m</strong> gesun<strong>de</strong>n<br />
Menschenverstand. Die Polizeibeamten hätten freigesprochen wer<strong>de</strong>n müssen.“<br />
Wer hierzu eine nachvollziehbare Begründung haben möchte, muss weiterlesen.<br />
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Bereits im Jahre 2004 gingen die Meinungen anlässlich <strong>de</strong>s Prozesses gegen Wolfgang<br />
Daschner weit auseinan<strong>de</strong>r. Er hatte als verantwortlicher Polizeiführer <strong><strong>de</strong>m</strong> bereits<br />
überführten Täter Schmerzen androhen lassen, damit dieser <strong>de</strong>n Aufenthalt <strong>de</strong>s entführten<br />
Kin<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>ssen Schicksal zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen ungeklärt war, preisgibt.<br />
Am 24. September 2012 fand ein dokumentarischer Fernsehfilm über diesen Fall im ZDF<br />
große Beachtung, ließ aber <strong>de</strong>n Zuschauer ratlos zurück: <strong>Der</strong> vermeintliche Wi<strong>de</strong>rspruch<br />
zwischen <strong>de</strong>r Nachvollziehbarkeit <strong>de</strong>s Vorgehens Daschners und <strong><strong>de</strong>m</strong> Grundgesetz scheint<br />
unüberwindlich. Das entspricht jedoch keineswegs <strong>de</strong>r tatsächlichen Rechtslage, <strong>de</strong>nn<br />
unsere bestehen<strong>de</strong>n Gesetze erlauben eine saubere Lösung dieses Problems.<br />
Die Klugheit <strong>de</strong>r Väter unseres Grundgesetzes und Verfasser unseres Strafrechts scheint das<br />
Vorstellungsvermögen <strong>de</strong>r lautstark auftreten<strong>de</strong>n „Wächter <strong>de</strong>s Guten“ zu übersteigen, die<br />
Daschner zum Henker unseres Rechtsstaates abqualifizieren wollen. Die Protagonisten dieses<br />
Unsinns haben sich offensichtlich nicht mit <strong><strong>de</strong>m</strong> geschriebenen Recht auseinan<strong>de</strong>r gesetzt<br />
und sich dazu auch noch <strong>von</strong> ihrem gesun<strong>de</strong>n Menschenverstand verabschie<strong>de</strong>t. Darüber<br />
hinaus verletzen sie die Rechte und die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Opfers in einer unfassbar Menschen<br />
verachten<strong>de</strong>n Art und Weise.<br />
Über die äußerst fragwürdige Rolle <strong>de</strong>r mit diesem Fall befassten Justiz muss man re<strong>de</strong>n, was<br />
hiermit geschehen soll. Dazu später mehr.<br />
Um was geht es hier eigentlich - welche Rechtsvorschriften sind betroffen<br />
Nehmen wir zunächst <strong>de</strong>n Artikel 1 Grundgesetz (GG). Das ist <strong>de</strong>r vielzitierte mit <strong>de</strong>r<br />
„Wür<strong>de</strong>“, <strong>de</strong>r aber nicht nur für <strong>de</strong>n Täter gilt, son<strong>de</strong>rn zumin<strong>de</strong>st in einem gleichen Maße<br />
auch <strong><strong>de</strong>m</strong> Opfer zugestan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Als nächstes kommt <strong><strong>de</strong>m</strong> Artikel 2 eine ganz beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu. Hier steht:<br />
„Je<strong>de</strong>r hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“<br />
Auch diese Vorschrift gilt für bei<strong>de</strong> - Opfer und Täter. <strong>Der</strong> zur Diskussion stehen<strong>de</strong><br />
Unterschied besteht darin, dass auf <strong>de</strong>r einen Seite das Leben eines Verbrechensopfers steht<br />
und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite das Recht eines Verbrechers, nicht bedroht wer<strong>de</strong>n zu dürfen.<br />
Insofern prallen auch in diesem Artikel 2 diese zwei unterschiedlichen Interessen direkt<br />
aufeinan<strong>de</strong>r: Einerseits verpflichtet er, das Leben eines entführten Kin<strong>de</strong>s zu retten –<br />
an<strong>de</strong>rerseits verbietet er in diesem speziellen Fall das einzig noch zur Verfügung stehen<strong>de</strong><br />
Mittel zur Rettung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s durch die Garantie <strong>de</strong>r körperlichen Unversehrtheit <strong>de</strong>s Täters.
Gern wird hier <strong><strong>de</strong>m</strong> Täter zusätzlich noch <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>s Artikel 104 GG zugestan<strong>de</strong>n,<br />
wonach festgehaltene Personen we<strong>de</strong>r seelisch noch körperlich misshan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n dürfen.<br />
Dieser Artikel zielt jedoch ein<strong>de</strong>utig darauf ab, dass die Abhängigkeit <strong>von</strong> Festgenommen<br />
nicht zu willkürlichen Misshandlungen führen darf. Dies ist hier nicht geschehen. Die Polizei<br />
hat einem überführten Verbrecher Schmerzen angedroht, damit er das Versteck <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />
preisgibt und nicht, um willkürlich staatliche Gewalt auszuüben. Somit ergibt sich <strong>de</strong>r<br />
verfassungsrechtliche Schutz <strong>de</strong>s Täters ebenfalls aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Artikel 2 GG und unterliegt <strong>de</strong>r<br />
dort manifestierten Einschränkungsmöglichkeit gem. Abs. 2. Ohne diese Einschränkung<br />
hätten die Justiz und die Polizei keinerlei Eingriffsbefugnisse. Eine Wohnungsdurchsuchung,<br />
die Beschlagnahme <strong>von</strong> Gegenstän<strong>de</strong>n, die Festnahme eines Verbrechers – alle diese<br />
Dinge wären ohne die speziellen Regelungen außerhalb <strong>de</strong>s Grundgesetzes unmöglich.<br />
Um jedoch jeman<strong>de</strong>n tatsächlich anklagen und für ein Fehlverhalten zur Rechenschaft<br />
ziehen zu können, hilft uns das Grundgesetz nicht weiter. Dieses beinhaltet lediglich<br />
Basisbestimmungen, die für <strong>de</strong>n Gesetzgeber verbindlich sind, wenn dieser konkrete<br />
Verhaltensvorschriften und die Strafbarkeit durch Spezialgesetze, hier das Strafgesetzbuch,<br />
regelt. Insofern ist es egal, unter welchen verfassungsrechtlichen Schutz man <strong>de</strong>n Täter<br />
stellen will. Sein Fehlverhalten ist genau so ausschließlich mit <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>s<br />
Strafgesetzbuches zu sanktionieren, wie das Verhalten <strong>de</strong>r Frankfurter Polizeibeamten. Was<br />
also unter welchen Umstän<strong>de</strong>n strafbar ist, regelt das Strafgesetzbuch und nicht das<br />
Grundgesetz.<br />
Da es in Fällen wie <strong><strong>de</strong>m</strong> vorliegen<strong>de</strong>n unvermeidbar ist, dass ein Grundrecht verletzt wird,<br />
musste <strong>de</strong>r Gesetzgeber für solche Konflikte in <strong>de</strong>n Spezialgesetzen eine Lösung vorsehen. Er<br />
hat dies getan, in<strong><strong>de</strong>m</strong> er die einzige sich anbieten<strong>de</strong> sinnvolle Möglichkeit legalisiert hat:<br />
Wer eine Rechtsgüterabwägung in einem eng vorgegebenen Rahmen vornimmt, han<strong>de</strong>lt<br />
nicht rechtswidrig. Ob man es wahr haben will o<strong>de</strong>r nicht - im § 34 StGB (rechtfertigen<strong>de</strong>r<br />
Notstand) steht wörtlich:<br />
"Wer in einer gegenwärtigen, nicht an<strong>de</strong>rs abwendbaren Gefahr für Leben,<br />
Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum o<strong>de</strong>r ein an<strong>de</strong>res Rechtsgut eine Tat begeht,<br />
um die Gefahr <strong>von</strong> sich o<strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>ren abzuwen<strong>de</strong>n, han<strong>de</strong>lt nicht<br />
rechtswidrig, wenn bei Abwägung <strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>n Interessen,<br />
namentlich <strong>de</strong>r betroffenen Rechtsgüter und <strong>de</strong>s Gra<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r ihnen<br />
drohen<strong>de</strong>n Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte<br />
wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein<br />
angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwen<strong>de</strong>n."<br />
Wie ist das Verhalten <strong>von</strong> Wolfgang Daschner rechtlich zu bewerten<br />
Er hat <strong><strong>de</strong>m</strong> Täter Schmerzen androhen lassen und damit am ehesten gegen die Vorschriften<br />
<strong>de</strong>s § 340 StGB (Körperverletzung im Amt) verstoßen. Das aber nur, wenn <strong>de</strong>r hierbei<br />
entstan<strong>de</strong>ne psychische Druck das Wohlbefin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Mör<strong>de</strong>rs nicht unerheblich<br />
beeinträchtigt hat. Auch wenn schwer feststellbar ist, was zum Wohlbefin<strong>de</strong>n eines<br />
Verbrechers beiträgt, <strong>de</strong>r ein Kind getötet hat, nun zur bitteren Einsicht <strong>de</strong>r Sinnlosigkeit einer<br />
solchen Tat kommen muss und vor <strong>de</strong>n Scherben seiner eigenen Existenz steht, könnte man<br />
diesen Tatbestand als erfüllt ansehen. Mehr gibt das Strafrecht nicht her.<br />
<strong>Der</strong> Vorwurf einer „Folter“ ist vollkommen unangebracht, weil es erstens diesen Tatbestand<br />
im <strong>de</strong>utschen Strafrecht überhaupt nicht gibt und zweitens man sich darunter auch etwas<br />
ganz an<strong>de</strong>res vorstellen darf. Gäfgen als Folteropfer zu sehen ist eine nicht zu überbieten<strong>de</strong><br />
Verhöhnung <strong>de</strong>rer, die eine wirkliche Folter ertragen mussten.
Infrage wären hier u.U. noch die Vorschriften <strong>de</strong>s § 343 StGB (Aussageerpressung)<br />
gekommen – aber diese muss man verneinen, weil die Gewaltandrohung nicht im Rahmen<br />
<strong>de</strong>s Strafrechts erfolgte. Gäfgen war bereits <strong>de</strong>r Tat überführt.<br />
Was jedoch die Justiz daraus gemacht hat, geht überhaupt nicht: Die Beamten wur<strong>de</strong>n<br />
gem. § 240 StGB (Nötigung) angeklagt und verurteilt. In dieser Vorschrift steht im Abs. 2<br />
wörtlich:<br />
„Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung <strong>de</strong>r Gewalt o<strong>de</strong>r die Androhung <strong>de</strong>s<br />
Übels zu <strong><strong>de</strong>m</strong> angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.“<br />
De facto sind Staatsanwaltschaft und Gericht zur Überzeugung gekommen, <strong>de</strong>r Versuch <strong>de</strong>r<br />
Rettung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s sei verwerflich gewesen. Genau das ist die unverblümte Botschaft <strong>de</strong>r<br />
Justiz an die Eltern <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s – und an <strong>de</strong>n verständnislosen Rest unserer Republik.<br />
In <strong>de</strong>r Urteilsbegründung ist ausgeführt, die Verwerflichkeit beziehe sich auf die Art <strong>de</strong>r<br />
„Informationsgewinnung“. Die Absicht <strong>de</strong>r Polizei zu einer simplen Informationsgewinnung<br />
herabzustufen, ist eine <strong>de</strong>rartig eklatante Fehlinterpretation <strong>de</strong>s Gesetzestextes, dass man<br />
hier <strong>von</strong> einem vorsätzlichen Rechtsbruch ausgehen muss. Folgt man nämlich <strong>de</strong>r Logik <strong>de</strong>s<br />
Gerichtes, dann wäre es vollkommen egal, ob die Beamten vom Täter wissen wollten, wo er<br />
ein entführtes Kind versteckt hat o<strong>de</strong>r welche Partei er bei <strong>de</strong>r letzten Wahl ankreuzte.<br />
Bei<strong>de</strong>s wären gleichwertige „Informationsgewinnungen“. Mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Abs. 2 <strong>de</strong>s § 240 StGB<br />
schreibt <strong>de</strong>r Gesetzgeber jedoch die Differenzierung zwischen verwerflichem und nicht<br />
verwerflichem Zweck <strong>de</strong>r Drohung vor. Nur so bekommen im Abs. 1 das Wort „rechtswidrig“<br />
und die im Abs. 2 dazu enthaltene Definition einen Sinn.<br />
Aber egal, mit welcher Vorschrift man die Polizei wegen <strong>de</strong>r Gewaltandrohung auch<br />
belangen will, es ist unbedingt zu prüfen, ob Rechtfertigungsgrün<strong>de</strong> gem. § 34 StGB<br />
vorliegen. Es gibt keinen Fall in <strong>de</strong>r Kriminalgeschichte, an <strong><strong>de</strong>m</strong> man besser <strong><strong>de</strong>m</strong>onstrieren<br />
könnte, warum sich die Vorschrift über <strong>de</strong>n rechtfertigen<strong>de</strong>n Notstand im Strafgesetzbuch<br />
befin<strong>de</strong>n muss und was <strong>de</strong>r Gesetzgeber damit beabsichtigt hat.<br />
Wer meint, die Androhung <strong>von</strong> folterähnlichen Maßnahmen wäre niemals zulässig, weil sie<br />
gegen die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Täters verstößt, muss erklären können, wie die Wür<strong>de</strong> eines Opfers<br />
einzuschätzen ist, das in verbrecherischer Absicht entführt wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ssen Schicksal<br />
unbekannt ist und das möglicherweise irgendwo in einem Versteck angekettet und<br />
geknebelt einem qualvollen Tod entgegen sieht.<br />
Nach <strong>de</strong>r Überprüfung <strong>de</strong>r Tatbestandsmerkmale <strong>de</strong>s § 34 StGB hätten diese zu einem<br />
Freispruch <strong>de</strong>r Polizeibeamten führen müssen:<br />
– Richtige Einschätzung <strong>de</strong>r Lage und Wahl <strong>de</strong>s Mittels<br />
Zu Gunsten <strong>de</strong>s Opfers und mangels an<strong>de</strong>rer Kenntnisse musste angenommen<br />
wer<strong>de</strong>n, dass es noch am Leben war, allerdings sich aufgrund <strong>de</strong>r Zeitabläufe in<br />
allerhöchster und sich potenzieren<strong>de</strong>r Lebensgefahr befand. Eine freiwillige<br />
Preisgabe <strong>de</strong>s Aufenthaltsortes durch <strong>de</strong>n bereits als überführt anzusehen<strong>de</strong>n Täter,<br />
<strong>de</strong>r selbst angab, das Kind nicht getötet zu haben, erfolgte nicht. Alle seine<br />
bisherigen Angaben über <strong>de</strong>n Aufenthalt <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s waren frei erfun<strong>de</strong>n und es war<br />
nicht zu erwarten, dass sich daran etwas än<strong>de</strong>rn könnte. Somit stand kein an<strong>de</strong>res<br />
Mittel mehr als die Gewaltandrohung zur Verfügung.<br />
Das Gericht hat das an<strong>de</strong>rs gesehen und aus ziemlich durchsichtigem Grund ihren<br />
Entscheidungsspielraum missbraucht, <strong>de</strong>nn ohne diese äußerst dünne „Ausre<strong>de</strong>“<br />
hätte sich eine Verurteilung <strong>de</strong>r Beamten verboten: Entgegen <strong>de</strong>n tatsächlichen<br />
Gegebenheiten steht im Urteil, die Polizei hätte noch an<strong>de</strong>re Möglichkeiten gehabt,<br />
Gäfgen zu einer freiwilligen Preisgabe <strong>de</strong>s Verstecks zu veranlassen. Hierbei wur<strong>de</strong>
glatt ignoriert, dass erstens eine große Son<strong>de</strong>rkommission <strong>de</strong>r Polizei tagelang rund<br />
um die Uhr genau das versucht hat und zweitens die alles entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
rechnerische Überlebenschance <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s ohne Nahrung sich gegen Null bewegte.<br />
– Rechtsgüterabwägung<br />
Es war zu entschei<strong>de</strong>n zwischen <strong><strong>de</strong>m</strong> Leben <strong>de</strong>s Opfers und <strong><strong>de</strong>m</strong> Recht <strong>de</strong>s Täters,<br />
nicht bedroht wer<strong>de</strong>n zu dürfen. Wer hier keine unterschiedliche Wertigkeit sieht, hat<br />
we<strong>de</strong>r einen gesun<strong>de</strong>n Menschenverstand, noch eine akzeptable Vorstellung <strong>von</strong><br />
Recht und Gesetz. In <strong>de</strong>r Urteilsbegründung wur<strong>de</strong> vom Gericht lediglich die Wür<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s Mör<strong>de</strong>rs nach Art. 1 GG ausführlich gewürdigt – die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Opfers jedoch<br />
skandalträchtig totgeschwiegen.<br />
– Eignung <strong>de</strong>s Mittels<br />
Es wur<strong>de</strong> das mil<strong>de</strong>ste Mittel angewandt - lediglich Schmerzen angedroht. Darüber<br />
hinaus war das Mittel angemessen, weil <strong>de</strong>r in Kauf genommene Scha<strong>de</strong>n<br />
unvergleichlich kleiner war als <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n sollte. Mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung<br />
nach <strong>de</strong>r Angemessenheit will <strong>de</strong>r Gesetzgeber lediglich ausschließen, dass „mit<br />
Kanonen auf Spatzen geschossen wird“. An <strong>de</strong>r Geeignetheit <strong>von</strong><br />
Gewaltandrohungen zum Zwecke <strong>de</strong>r Erlangung <strong>von</strong> Aussagen bestehen wohl keine<br />
Zweifel – auch wenn diese grundsätzlich nicht erlaubt sind. Wer meint, ein Mittel<br />
könne niemals geeignet sein weil es verboten ist, hat <strong>de</strong>n Sinn dieses Paragraphen<br />
nicht verstan<strong>de</strong>n.<br />
Ein nicht schuldhaftes Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Polizeibeamten lässt sich zusätzlich noch aus <strong>de</strong>n<br />
Bestimmungen <strong>de</strong>s § 32 StGB (Notwehr, Nothilfe) ableiten. Mir scheint es jedoch treffen<strong>de</strong>r,<br />
das Problem an <strong><strong>de</strong>m</strong> § 34 StGB (rechtfertigen<strong>de</strong>r Notstand) aufzuhängen, weil hier die<br />
Frage, um die es eigentlich geht, direkt angesprochen wird: Die Rechtsgüterabwägung.<br />
Um das nochmals <strong>de</strong>utlich zu machen: Wenn Polizeibeamte zu prüfen haben, ob sie sich im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Gesetze bewegen, sind diese Überlegungen grundlegend:<br />
Grundgesetz, Menschenrechts-Charta, Anti-Folter-Konvention pp. sind Basisbestimmungen,<br />
aufgrund <strong>de</strong>rer die Legislative (= Gesetzgeber) Spezialgesetze erlässt, die für die Exekutive<br />
(= Staatsanwaltschaft/Polizei) und Judikative (= Gerichte) absoluten Vorrang haben. Die<br />
Exekutive kann und darf solche Basisbestimmungen nicht im eigenen Sinne interpretieren,<br />
auch kann und darf es nicht ihre Aufgabe sein, je<strong>de</strong>s Spezialgesetz auf<br />
Verfassungskonformität zu überprüfen. Sie ist darauf angewiesen, was die Legislative<br />
vorgegeben hat. Dies ist ein wichtiges Element <strong>de</strong>r staatlichen Gewaltenteilung. Beim<br />
polizeilichen Einschreiten wer<strong>de</strong>n die konkreten Bedingungen also nicht vom Grundgesetz<br />
vorgegeben, son<strong>de</strong>rn <strong>von</strong> Spezialvorschriften, wie z.B. <strong>de</strong>n Polizeigesetzen, <strong>de</strong>r<br />
Strafprozessordnung o<strong>de</strong>r hier <strong><strong>de</strong>m</strong> Strafgesetzbuch.<br />
Deshalb ist es mehr als verantwortungslos, die Polizei <strong>de</strong>rart zu verunsichern: Sie muss sich<br />
darauf verlassen können, dass ein Spezialgesetz, hier <strong>de</strong>r § 34 StGB, im konkreten Fall auch<br />
Bestand hat und nicht <strong>de</strong>r Gefühlsduselei realitätsferner „Empörer“ und <strong><strong>de</strong>m</strong> hieraus<br />
entstan<strong>de</strong>nen medialen Druck zum Opfer fällt.<br />
Wenn entschuldbares Han<strong>de</strong>ln nach einem Spezialgesetz in Frage gestellt wird, stehen nicht<br />
Tat und Täter auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Prüfstand, son<strong>de</strong>rn das Gesetz. Wenn also <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>s Verbrechers<br />
absolut gelten und keine Rechtsgüterabwägung möglich sein soll, dann muss <strong>de</strong>r § 34 StGB<br />
verfassungswidrig sein.<br />
In <strong><strong>de</strong>m</strong> eigentlich notwendigen Freispruch <strong>de</strong>r Polizeibeamten eine Generalvollmacht zur<br />
Folter durch die Polizei zu sehen, ist nicht mehr als eine irreale Panikmache: Gegen je<strong>de</strong>n<br />
Polizeibeamten, <strong>de</strong>r eine solche Entscheidung fällt, muss auch weiterhin ein Strafverfahren<br />
eröffnet wer<strong>de</strong>n, über das dann ein Gericht zu entschei<strong>de</strong>n hat. Je<strong>de</strong>r Polizeibeamte, <strong>de</strong>r so
eine Entscheidung fällt, muss auch weiterhin riskieren, auf Ankläger und Richter zu treffen,<br />
die sich eher <strong>von</strong> einer medialen Stimmungsmache leiten lassen, als <strong>von</strong> Recht und Gesetz.<br />
Allein schon <strong>de</strong>shalb wer<strong>de</strong>n solche Fälle, die immer nur Einzelfälle sein können,<br />
außeror<strong>de</strong>ntlich selten bleiben.<br />
Die aus <strong><strong>de</strong>m</strong> § 136a StPO drohen<strong>de</strong>n Folge, nämlich die Nichtverwertbarkeit eines unter<br />
Zwang zustan<strong>de</strong> gekommenen Geständnisses, musste in Kauf genommen wer<strong>de</strong>n. Auch <strong>de</strong>r<br />
Rechtsanspruch <strong>de</strong>s Staates auf Strafe musste hinter <strong><strong>de</strong>m</strong> Lebensrecht <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s zurück<br />
stehen. Die Gefahr, dass Gäfgen hierdurch nicht zur Verantwortung gezogen wer<strong>de</strong>n<br />
konnte, bestand jedoch keineswegs. Auch ohne das Auffin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Leiche hätte (und hat!)<br />
die Beweislage zu einem Schuldspruch ausgereicht. Ohne diese Beweislage wären die<br />
Drohungen <strong>de</strong>r Polizei tatsächlich nicht zu rechtfertigen. Die Polizei hat ja nicht irgend<br />
jeman<strong>de</strong>n bedroht, son<strong>de</strong>rn nur die einzige Person, die imstan<strong>de</strong> gewesen wäre, das Leben<br />
<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s zu retten.<br />
Die Rolle <strong>de</strong>r Justiz in Frankfurt<br />
ist, wie schon erwähnt, lei<strong>de</strong>r keine rühmliche und gibt Anlass zur Sorge. Offensichtlich hatte<br />
diese we<strong>de</strong>r die Kraft noch die Stärke, <strong><strong>de</strong>m</strong> medialen Druck zu wi<strong>de</strong>rstehen, <strong>de</strong>r völlig<br />
unsinnig und verantwortungslos das Schreckgespenst „Folterstaat Deutschland“ an die<br />
Wand malte – aber keine Skrupel, die Polizeibeamten aus eigennützigen Grün<strong>de</strong>n zu opfern.<br />
Mit <strong>de</strong>r Anklage und <strong><strong>de</strong>m</strong> Urteil wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tatbestand <strong>de</strong>s § 339 StGB (Rechtsbeugung),<br />
ersatzweise § 344 StGB (Verfolgung Unschuldiger), in zweifacher Hinsicht erfüllt:<br />
1. Dem Vorwurf, die Beamten hätten gegen <strong>de</strong>n § 240 StGB verstoßen, fehlt mit <strong>de</strong>r<br />
Verwerflichkeit ein wesentliches Tatbestandsmerkmal und damit die Rechtswidrigkeit.<br />
2. Die tatsächlich vorhan<strong>de</strong>nen Merkmale <strong>de</strong>s § 34 StGB wur<strong>de</strong>n ignoriert.<br />
Die Befürchtung, ein Freispruch <strong>de</strong>r Polizisten führe zu einem „Dammbruch“ mit <strong>de</strong>r Folge<br />
<strong>de</strong>r Legalisierung staatlicher Folter, war maßlos übertrieben und vollkommen unbegrün<strong>de</strong>t.<br />
Faktisch ist mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Urteil jedoch ein Dammbruch ganz an<strong>de</strong>rer Art erfolgt: Recht ist nicht<br />
mehr das, was in <strong>de</strong>n Gesetzen steht, son<strong>de</strong>rn das, was „Empörer“ sowie selbsternannte und<br />
inkompetente Rechtsexperten in Zeitungs- und Fernsehredaktionen für richtig halten.<br />
Auch wenn gegen die Beamten als fauler Kompromiss lediglich eine Verwarnung<br />
ausgesprochen wur<strong>de</strong>, so hat man dadurch doch rechtswidrig ihre Schuld festgestellt und<br />
dazu auch noch die Ursache für das am 04. Aug. 2011 ergangene Entschädigungsurteil<br />
gesetzt. Nach <strong><strong>de</strong>m</strong> mittlerweile letztinstanzlichen Urteil vom 10. Okt. 2012 hat das Land<br />
Hessen an <strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>r eine Entschädigung in Höhe <strong>von</strong> 3.000 Euro für das ihm ergangene<br />
vermeintliche Unrecht zu zahlen.<br />
Hätte man damals <strong><strong>de</strong>m</strong> Recht entsprochen und festgestellt, dass in bestimmten<br />
Ausnahmefällen eine Rechtsgüterabwägung zulässig ist, die Polizei also nicht rechtswidrig<br />
gehan<strong>de</strong>lt hat, so hätte <strong>de</strong>r Europäische Gerichtshof zunächst <strong>de</strong>n § 34 StGB für<br />
verfassungswidrig erklären müssen, bevor es eine „angemessene“ Entschädigung<br />
anmahnen konnte. Es ist vollkommen unmöglich, eine Rechtsgüterabwägung rundweg<br />
abzulehnen und gleichzeitig <strong>de</strong>n § 34 StGB so stehen zu lassen.<br />
Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> kann es überhaupt keine Entschädigung für etwas geben, das man durch eigenes<br />
vorsätzliches Fehlverhalten selbst zu verantworten hat: Musste Gäfgen das Kind entführen<br />
Musste er es umbringen Er war <strong>de</strong>r Tat überführt, konnte seine Situation we<strong>de</strong>r<br />
verschlechtern noch verbessern und nur er wusste, dass das Kind nicht mehr zu retten war –<br />
warum hat er dies verschwiegen und somit die Polizei in Zugzwang gebracht
Da das Schicksal <strong>de</strong>s entführten Kin<strong>de</strong>s ungeklärt war, bestand ein solcher Zugzwang<br />
tatsächlich und es muss auch weiterhin <strong>von</strong> je<strong><strong>de</strong>m</strong> verantwortlichen Polizeibeamten<br />
erwartet wer<strong>de</strong>n, dass er sich in gleicher Situation genau so entschei<strong>de</strong>t, wie dies Wolfgang<br />
Daschner im Jahre 2002 getan hat. Zugeben muss man allerdings: So schwierige polizeiliche<br />
Lagen sind nichts für „Hosenscheisser“ … und ob die Erfahrung, die Wolfgang Daschner<br />
machen <strong>durfte</strong>, dazu geeignet ist, <strong>de</strong>ren Anzahl zu verringern Sicher nicht. Man wird schon<br />
darüber froh sein müssen, wenn die Polizei künftig zwar das Richtige tut, sich aber mit <strong><strong>de</strong>m</strong><br />
Anfertigen <strong>von</strong> Aktenvermerken etwas zurückhalten<strong>de</strong>r zeigt ... auch, damit man die Justiz<br />
nicht wie<strong>de</strong>r so schlimm in Verlegenheit bringt.<br />
Das Urteil gegen die Polizeibeamten sowie das Entschädigungsurteil zugunsten <strong>de</strong>s Mör<strong>de</strong>rs<br />
mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Prädikat „im Namen <strong>de</strong>s Volkes“ zu versehen, ist mehr als fragwürdig. Die ohnehin<br />
schon beängstigen<strong>de</strong> Staatsverdrossenheit wur<strong>de</strong> hier weiter geför<strong>de</strong>rt, weil Recht in einer<br />
Art gesprochen wur<strong>de</strong>, die we<strong>de</strong>r verstan<strong>de</strong>n, noch akzeptiert wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Ja, die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Gewaltandrohung nicht mehr<br />
lebte, war groß – <strong>de</strong>nnoch konnte dies außer <strong><strong>de</strong>m</strong> Mör<strong>de</strong>r niemand wissen. Es war also <strong><strong>de</strong>m</strong><br />
Kind absolut noch eine Chance einzuräumen und <strong>de</strong>shalb ist das <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Justiz<br />
ausgegebene Signal verheerend:<br />
Mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Urteil gegen die Polizisten haben min<strong>de</strong>rwertige Rechte eines bereits überführten<br />
Verbrechers einen höheren Stellenwert bekommen als das Recht eines entführten Kin<strong>de</strong>s auf<br />
das nackte Leben!<br />
... und das ohne Not und im Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n ein<strong>de</strong>utigen gesetzlichen Bestimmungen.<br />
Das ist ganz bestimmt nicht das, was <strong>de</strong>n Vätern <strong>de</strong>s Grundgesetzes und <strong>de</strong>n Verfassern <strong>de</strong>s<br />
Strafgesetzbuches vorschwebte und zeigt auf, was diesen Kriminalfall tatsächlich zum<br />
Skandal macht.<br />
Nachsatz:<br />
Bezugnehmend auf <strong>de</strong>n hier zu Debatte stehen<strong>de</strong>n konkreten Fall habe ich am 27.09.2012<br />
beim Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz wegen <strong>de</strong>r Verfassungskonformität <strong>de</strong>s § 34 StGB<br />
nachgefragt. Am 30.10.2012 teilte mir das Referat IV C 1 schriftlich im wesentlichen zwei<br />
Dinge mit:<br />
1. „§ 34 StGB ist im Lichte <strong>de</strong>s Grundgesetzes und <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Menschenrechtskonvention auszulegen und anzuwen<strong>de</strong>n. Das Grundgesetz bil<strong>de</strong>t<br />
also <strong>de</strong>n Rahmen und auch die Grenzen für die Anwendung <strong>de</strong>s § 34 StGB.“<br />
Diese Auskunft ist sensationell - wirft sie doch die Frage auf, ob unserem<br />
Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz die elementarsten Teile unseres Rechtssystems geläufig<br />
sind. Übersehen wur<strong>de</strong> tatsächlich, dass die Auslegung und die Anwendung <strong>de</strong>s<br />
Grundgesetzes und <strong>de</strong>r Europäischen Menschenrechtskonvention nicht <strong>de</strong>r Polizei<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Justiz obliegt, son<strong>de</strong>rn nur <strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzgeber und im Zweifelsfall <strong><strong>de</strong>m</strong><br />
Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichtshof.<br />
2. „So ist je<strong>de</strong> Art <strong>von</strong> Folter und unmenschlicher Behandlung nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Grundgesetz<br />
und <strong>de</strong>r Europäischen Menschenrechtskonvention ausnahmslos verboten und durch<br />
nichts zu rechtfertigen“.<br />
Wenn <strong><strong>de</strong>m</strong> so wäre, dann ist <strong>de</strong>r § 34 StGB ganz sicher verfassungswidrig. Das<br />
Ministerium hat sich vor <strong>de</strong>r Beantwortung <strong>de</strong>r Frage „Verfassungswidrigkeit“ gedrückt<br />
– o<strong>de</strong>r die angesprochene rechtliche Problematik nicht verstan<strong>de</strong>n. Zumin<strong>de</strong>st<br />
scheint dort nicht bekannt zu sein, dass das Grundgesetz Einschränkungen <strong>de</strong>r<br />
Grundrechte durch <strong>de</strong>n Gesetzgeber ausdrücklich zulässt.
Dazu gilt <strong>de</strong>r Grundsatz „Lex specialis <strong>de</strong>rogat legi generali“, <strong>de</strong>n man eigentlich<br />
zumin<strong>de</strong>st bei unserem Bun<strong>de</strong>sjustizministerium als bekannt voraussetzen sollte. Er<br />
besagt, dass ein Spezialgesetz, das einen Einzelfall bzw. einen Ausnahmefall regelt,<br />
immer einem allgemeinen Gesetz in <strong>de</strong>r Anwendung vorgeht.<br />
In welchem „Lichte“ hierbei die Europäische Menschenrechtskonvention zu sehen ist<br />
zeigt dort <strong>de</strong>r Artikel 2 über<strong>de</strong>utlich: Mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Absatz 1 wird nicht nur die To<strong>de</strong>sstrafe<br />
ausdrücklich erlaubt, son<strong>de</strong>rn im Absatz 2 u.a. sogar die Tötung eines Menschen, „um<br />
die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung<br />
sicherzustellen“. Aus dieser Aussage ist die Rechtmäßigkeit einer Rechtsgüterabwägung,<br />
so wie sie mit <strong><strong>de</strong>m</strong> § 34 in unserem Strafgesetzbuch steht, ein<strong>de</strong>utig<br />
abzuleiten.<br />
<strong>Der</strong> Artikel 3, wonach niemand <strong>de</strong>r Folter o<strong>de</strong>r unmenschlicher o<strong>de</strong>r erniedrigen<strong>de</strong>r<br />
Strafe o<strong>de</strong>r Behandlung unterworfen wer<strong>de</strong>n darf, steht im Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>r<br />
Ausnahmeregelung <strong>de</strong>s Artikel 2, Abs. 2. <strong>Der</strong> Artikel 3 <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Menschenrechtskonvention steht jedoch hinter <strong><strong>de</strong>m</strong> Artikel 2, was im Zweifelsfall<br />
etwas über die Wertigkeit aussagt, und zielt genau so ausschließlich auf eine<br />
willkürliche Folter ab, wie <strong>de</strong>r Artikel 104 unseres Grundgesetzes. Die Zielrichtung <strong>de</strong>r<br />
Polizei war eine ganz an<strong>de</strong>re und hat mit <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n genannten Vorschriften<br />
erwähnten Folter absolut nichts zu tun.<br />
Also nochmals, damit es je<strong>de</strong>r versteht:<br />
Wer „foltert“ kann nicht nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Grundgesetz o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Europäischen Menschenrechtskonvention<br />
angeklagt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nur nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Strafgesetzbuch. Und das sieht mit<br />
<strong><strong>de</strong>m</strong> § 34 Ausnahmen <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Rechtswidrigkeit vor, wenn eine entsprechen<strong>de</strong> Rechtsgüterabwägung<br />
vorgenommen wur<strong>de</strong>.<br />
Insofern ist es barer Unsinn, bei konkreten Strafrechtsfällen das „Licht <strong>de</strong>s Grundgesetzes“<br />
(o<strong>de</strong>r das <strong>de</strong>r Europäischen Menschenrechtskonvention) leuchten lassen zu wollen. Dieses<br />
Licht muss <strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzgeber scheinen, wenn er Gesetze beschließt o<strong>de</strong>r Gesetze<br />
beschlossen hat, die möglicherweise nicht verfassungskonform sind.<br />
Darüber hinaus lässt sich das Ministerium über <strong>de</strong>n Artikel 1 <strong>de</strong>s Grundgesetz aus, wobei<br />
jedoch ausschließlich die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Entführers einer Erwähnung wert ist. Sehr dankbar wäre<br />
ich für einen Hinweis gewesen, wie das Ministerium die Grundrechte <strong>von</strong> Verbrechensopfern<br />
einschätzt. Bei diesem Fall hier geht es nämlich in erster Linie immer noch darum, wie das<br />
Leben eines entführten Kin<strong>de</strong>s zu werten ist.<br />
Die Auskunft <strong>de</strong>s Ministeriums ist bestenfalls dazu geeignet, rechtsunkundige „Empörer“ zu<br />
befriedigen und sich aus <strong>de</strong>ren Schussfeld zu halten, so wie es bereits die Justiz in Frankfurt<br />
praktiziert hat.<br />
Mein Fazit:<br />
Ein Rechtssystem, das es nicht erlaubt, das Leben eines entführten Kin<strong>de</strong>s dadurch zu retten,<br />
in<strong><strong>de</strong>m</strong> man <strong><strong>de</strong>m</strong> bereits überführten Verbrecher lediglich Prügel androht, ist nichts wert. Ein<br />
Ministerium, das ein solches System propagiert, auch nicht. Unser Rechtssystem ist in<br />
Wirklichkeit sehr gut – was aber nützt das, wenn es <strong>von</strong> <strong>de</strong>n eigenen Hütern verleugnet o<strong>de</strong>r<br />
nicht verstan<strong>de</strong>n wird<br />
Robert Steiner<br />
(Quelle: http://www.steinerlh.<strong>de</strong>/)