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ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung

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Gerechtigkeit im Steuersystem<br />

ihres Einkommens die Bürger als Steuer abzuführen<br />

haben. Dieser Anteil ergibt sich aus den Bemessungsgrundlagen<br />

und den Steuersätzen (Steuertarifen).<br />

Die Bemessungsgrundlage muss entsprechend<br />

dem Leistungsfähigkeitsprinzip „wahr“<br />

sein, weil sonst eine „unwahre“ Tarifbelastung ausgewiesen<br />

wird.<br />

Das Leistungsfähigkeitsprinzip geht zunächst von<br />

der sich im Einkommen ausdrückenden wirtschaftlichen<br />

Leistungsfähigkeit aus. Die steuerliche<br />

Leistungsfähigkeit bleibt aber hinter der wirtschaftlichen<br />

zurück, weil jeder Bürger zwangsläufig<br />

einen Teil seines Einkommens für seine eigene<br />

und für die Existenz seiner Familie verwenden<br />

muss. Nur was über dieses Minimum hinausgeht,<br />

ist für die Steuerzahlung disponibel. Steuerliche<br />

Leistungsfähigkeit ist danach die Fähigkeit von<br />

Personen, die Steuern aus dem gespeicherten Einkommen<br />

entsprechend der Höhe des disponiblen<br />

Einkommens zahlen zu können.<br />

Wird ausgehend vom Leistungsfähigkeitsprinzip<br />

über seine Unterprinzipien zu den einzelnen<br />

Rechtssätzen hinabgestiegen, so wird eine Ordnung<br />

geschaffen, und zwar eine Rechtsordnung, die diesen<br />

Namen verdient, indem sie Regelungslücken,<br />

Widersprüche und Inkonsequenzen vermeidet und<br />

für Prinzipdurchbrechungen eine hinreichende<br />

Rechtfertigung verlangt. Die Steuerrechtsordnung<br />

hört damit auf, auf einem beliebigen Diktum des<br />

Gesetzgebers zu beruhen, eine beliebig verfügbare<br />

Masse der Wirtschafts- oder Sozialpolitik zu sein.<br />

Schafft der Gesetzgeber durch Verstöße gegen das<br />

Prinzip gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit<br />

Belastungsungleichheiten, so reagieren<br />

steuergewandte Bürger und ihre Berater alsbald<br />

durch ausweichende, die Gesetzesanwendung<br />

oftmals komplizierende Gestaltungen.<br />

Gesellschaftspolitische Vorteile<br />

sachgerechter Steuerpolitik<br />

Sachgerechte Prinzipien sind allerdings nicht nur<br />

Fundamente der Gerechtigkeit, sie haben auch andere<br />

positive Folgen, nicht zuletzt für die Gesetzesanwendung:<br />

Prinzipien sorgen für Ordnung und Übersicht<br />

in den Gesetzen. Auch Ordnung ist eine Kategorie<br />

des Rechts. Prinzipien schaffen eine einheitliche<br />

Rechtsordnung, schaffen Rechtskultur und<br />

Rechtsautorität. Recht ohne sachgerechte Prinzipien<br />

und ohne Konsequenz ist Recht ohne juristische<br />

Rationalität; es ist partikularistisches Stückwerk<br />

und Flickwerk; es ist Recht niedriger Stufe,<br />

primitives Recht, pathologisches Recht, das mehr<br />

Probleme schafft, als es löst.<br />

Nur Prinzipien ermöglichen das Vergleichen,<br />

das der Gleichheitssatz verlangt, und sie schaffen<br />

Orientierung bei der Gesetzesanwendung.<br />

Wer sich nicht zu sachgerechten Prinzipien bekennt,<br />

ist geistig machtlos gegenüber dem gruppennützigen<br />

Wirken mächtiger Interessenverbände,<br />

die der nicht sachgerechten Maxime folgen:<br />

Recht ist, was der Gruppe, dem Verband nützt.<br />

Nur regelhafte Konsequenz sorgt dafür, dass nicht<br />

nur die Gruppen bedacht werden, die lautstark<br />

Ansprüche stellen und aus Wahlrücksichten nur<br />

zu oft erhört werden, sondern alle, die sich in der<br />

gleichen Situation befinden. Prinzipienlosigkeit<br />

und inkonsequente Prinzipiendurchbrechung ermöglichen<br />

die freie Entfaltung der Verbindung<br />

von Lobbyismus und Politik, Geld und Politik, persönlichem<br />

Vorteil und Politik. Unternehmer sollen<br />

durch wirtschaftliche Leistungen zu etwas<br />

kommen, nicht aber durch Steuervergünstigungen<br />

zu Lasten Dritter.<br />

Erst die konsequente Beachtung von Prinzipien<br />

durch den Gesetzgeber sorgt dafür, dass alle Fälle<br />

erfasst werden und dass keine Lücken und Widersprüche<br />

entstehen.<br />

Prinzipienhaftes Recht schafft ein übersichtliches,<br />

folgerichtiges System anstelle der Akkumulation<br />

unsystematischer Bruchstücke. Ein solches<br />

System fördert Lehrbarkeit und Lernbarkeit des<br />

Rechts. Systematische Zusammenhänge pflegt das<br />

Langzeitgedächtnis ohne Schwierigkeiten aufzunehmen.<br />

Eine große Menge prinzipienloser, unsystematischer<br />

Details überflutet jedoch das Gedächtnis.<br />

Existiert ein System, so kann man die Details<br />

leicht einordnen.<br />

Sachgerechte Prinzipien machen das Recht einsichtig.<br />

Die Möglichkeit, sich an Prinzipien zu<br />

orientieren, fördert die Rechtssicherheit. Nur<br />

durch sachgerechte Prinzipien kann der juristische<br />

Problemhaushalt in Grenzen gehalten werden.<br />

Prinzipienlosigkeit schafft ein Übermaß an<br />

Konfliktstoff und erhöht die Fehlerquote der Gesetzesanwender.<br />

Die Prinzipienhaftigkeit sorgt für Konstanz.<br />

Werden Gesetze prinzipienlos ständig geändert, so<br />

können sich Gesetzesanerkennung, Gesetzesvertrauen<br />

und Gesetzestreue nicht entwickeln. Das<br />

Rechtsbewusstsein wird irritiert.<br />

62 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)

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