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ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung

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Einkommensteuer-Reform<br />

Als Politikberater wären Steuerrechtswissenschaftler<br />

gut beraten, wenn sie der Steuerpolitik und<br />

dem Gesetzgeber nicht nur die eigene Meinung<br />

präsentieren, sondern die Grenzen vertretbarer<br />

Wertung aufzeigen und sodann in weiser Selbstbeschränkung<br />

die vertretbaren Lösungen auflisten<br />

und zu jeder Lösung die Pros und Kontras benennen<br />

würden. In der Regel gibt es sowohl auf der<br />

Regierungsseite als auch auf der Oppositionsseite<br />

Argumente, die nicht einfach vom Tisch gewischt<br />

werden können.<br />

Rein formale Prinzipien sind unzureichend<br />

Die Rechtswissenschaft hat nicht nur die Aufgabe,<br />

der Gesetzgebung durch Interpretation und – soweit<br />

zulässig – Lückenausfüllung nachzuarbeiten;<br />

sie hat auch Regeln zu schaffen, die guter Gesetzgebung<br />

vorausliegen.<br />

Die allgemeinen Empfehlungen, die Gesetzgebungsratgeber<br />

geben, sind überwiegend formaler<br />

Natur und durchweg selbstverständlich:<br />

Das Gesetz soll wohlgeordnet, nicht verwirrend<br />

aufgebaut werden; es soll durch eine klare Gliederung<br />

übersichtlich gestaltet werden.<br />

Der Gesetzestext soll nicht weitschweifig, sondern<br />

prägnant gefasst werden. Um leserfreundlich<br />

zu sein, und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten<br />

soll er sprachlich klar und präzise sein. Die<br />

einzelnen Sätze sollen eher kurz und unverschachtelt<br />

sein.<br />

Das Gesetz soll einerseits keine Regelungslücken<br />

enthalten und andererseits nicht „übernormieren“.<br />

Das Gesetz muss indessen nicht bloß formale Anforderungen<br />

erfüllen; es muss – inhaltlich – auch<br />

sachgerecht sein. Gesetze, die Lasten verteilen,<br />

müssen das nach einem sachgerechten Maßstab<br />

tun. „… es gehört zum Wesen juristischen Denkens<br />

und gerechter Entscheidungen“ – so der<br />

Ökonom und Nobelpreisträger Friedrich A. von<br />

Hayek –, „dass sich der Jurist bemüht, das ganze<br />

System widerspruchsfrei zu machen“. 2<br />

2 Friedrich August von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit,<br />

Band 1: Regeln und Ordnung, 1980, Seite 84.<br />

Politische und fiskalische Überlegungen<br />

sind fehl am Platz<br />

Als sachgerechter Maßstab ist für das Steuerrecht<br />

das Leistungsfähigkeitsprinzip allgemein anerkannt.<br />

Auch die Regierung beruft sich in Gesetzesentwürfen,<br />

die Opposition in Anträgen an das<br />

Parlament auf das Leistungsfähigkeitsprinzip.<br />

Auch im Wahlkampf wird es propagiert. Aus Rücksicht<br />

auf Wählerklientel und Interessenverbände<br />

werden von der Steuerpolitik jedoch immer wieder<br />

Lösungen gewählt, die jede Rückkopplung<br />

zum Leistungsfähigkeitsprinzip vermissen lassen.<br />

In der Realität stehen nur zu oft andere – rechtlich<br />

nicht akzeptable – Prinzipien im Vordergrund:<br />

das Prinzip der Stimmenmaximierung oder -optimierung;<br />

das Fiskalprinzip, das danach fragen lässt, ob eine<br />

die Bemessungsgrundlage betreffende gesetzliche<br />

Maßnahme zu Mehr- oder Mindereinnahmen<br />

führt. Wie gesagt: Das Fiskalprinzip darf den Tarif<br />

beeinflussen, nicht aber die Gestaltung der Bemessungsgrundlage.<br />

Das Leistungsfähigkeitsprinzip – ein wertendes<br />

Prinzip – ist allerdings konkretisierungsbedürftig.<br />

Das liegt jedoch in der Natur eines jeden<br />

Prinzips, auch in der Natur eines jeden Verfassungsprinzips.<br />

Sie sind deshalb aber nicht inhaltsleer<br />

und wertlos. Das Leistungsfähigkeitsprinzip<br />

bewährt sich als grundlegendes Prinzip<br />

eines Steuersystems. Es bildet die Architektonik<br />

der Steuerrechtsordnung oder Steuergerechtigkeitsordnung.<br />

Systemgerecht legifizieren kann<br />

nur, wer eine systematische Konzeption hat, nicht<br />

jedoch, wer das Fremdwort „System“ nur in seine<br />

Imponiersprache aufgenommen hat.<br />

Zur Konkretisierung<br />

von „Leistungsfähigkeit“<br />

Das Leistungsfähigkeitsprinzip fragt – anders als<br />

das Äquivalenzprinzip – nicht danach, was der<br />

Bürger vom Staat und von den Gemeinden erhält,<br />

sondern nur danach, was der Bürger aus seinem<br />

Einkommen beitragen kann, damit der Staat seine<br />

Aufgaben zu erfüllen vermag. Es handelt sich um<br />

eine Art Solidaritätsprinzip. Je höher das Einkommen,<br />

desto mehr finanzielle Verantwortung für<br />

das Gemeinwohl sollen die Bürger tragen. Da<br />

Steuern nur aus dem gespeicherten Einkommen<br />

entrichtet werden können, liefert das Leistungsfähigkeitsprinzip<br />

den Maßstab dafür, welchen Teil<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)<br />

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