ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung
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Nötig ist eine im strengsten Sinne<br />
rechtsstaatliche Einkommensteuer-Reform<br />
Dr. Klaus Tipke<br />
Emeritierter Professor für Steuerrecht, Bonn<br />
Eine Einkommensteuer-Reform muss mehr als jede andere Reformmaßnahme auf langfristig tragfähigen Prinzipien beruhen.<br />
Sie darf sich deshalb nicht an der Meinung von Wählern und Interessenvertretern orientieren, sondern muss kompromisslose<br />
Rechtspolitik sein. Der Text beruht auf dem soeben erschienenen Buch: „Ein Ende dem Einkommensteuer Wirrwarr!<br />
Rechtsform statt Stimmenfangpolitik“. In ihm wird auch ausführlich dargelegt, warum in letzter Zeit populär<br />
gewordene Reforminitiativen nicht zureichend sind.<br />
Der miserable Zustand<br />
des Einkommensteuergesetzes<br />
Das Einkommensteuergesetz leidet an vielerlei<br />
Mängeln:<br />
An die verschiedenen Einkunftsarten werden<br />
unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft.<br />
Insbesondere werden die Einkünfte unterschiedlich<br />
ermittelt; dabei wird keine einheitliche<br />
Begriffssprache verwendet.<br />
Betriebliche und private Veräußerungseinkünfte<br />
werden ungleich erfasst.<br />
Abhängig von der Einkunftsart bestehen unterschiedliche<br />
Möglichkeiten des Verlustausgleichs<br />
und des Verlustabzugs. Auch die Höhe von<br />
Pauschbeträgen hängt von der Einkunftsart ab.<br />
Der Katalog der Steuerbefreiungen ist exzessiv<br />
lang und völlig ungeordnet.<br />
Die elementar wichtigen Regeln über die Abgrenzung<br />
der Berufssphäre von der Privatsphäre<br />
sind unübersichtlich und zum Teil unpräzise.<br />
Der Dualismus Sonderausgaben und außergewöhnliche<br />
Belastungen ist überflüssig.<br />
Die einkünfteabhängigen Steuervergünstigungen<br />
sind trotz aller Reformversuche nie sachgerecht<br />
auf ihre Rechtfertigung überprüft worden.<br />
Das Gesetz wird je nach Einkunftsart unterschiedlich<br />
effizient durchgesetzt.<br />
Wenn der Gesetzgeber sich nicht an Prinzipien<br />
oder Regeln hält, wenn er durch seine laufenden,<br />
hauptsächlich Gruppeninteressen Rechnung tragenden<br />
Änderungsgesetze Stückwerk und Flickwerk<br />
abliefert, so entstehen eben Gesetze,<br />
die unübersichtlich und undurchsichtig sind,<br />
die infolge Inkonsequenz Ungerechtigkeiten<br />
schaffen,<br />
die den Problemhaushalt vergrößern, die Gesetzesanwendung<br />
erschweren und die Versuchung<br />
zur Steuerumgehung erhöhen,<br />
die die Entdecker und legalen Nutzer von Gesetzeslücken<br />
und ungerechtfertigten Ausnahmevorschriften<br />
belohnen,<br />
die – zumal im steuerlichen Massenverfahren –<br />
nur mit erheblichen Einschränkungen vollzugstauglich<br />
sind, jedenfalls nicht gleichmäßig angewendet<br />
werden können und auch aus diesem<br />
Grunde zu ungleicher Belastung führen, so dass<br />
die Ehrlichen die Dummen sind; es entstehen Gesetze,<br />
deren Anwendung jedenfalls unnötig zeitaufwendig<br />
ist, zumal sie laufende Fortbildung verlangen,<br />
deren Anwendung unnötig kostenaufwendig<br />
ist, zum Beispiel durch unnötige Steuerberatungskosten<br />
und unnötig hohe Anschaffungskosten für<br />
Fachliteratur,<br />
deren Anwendung sowohl bei Steuerbeamten<br />
als auch bei Steuerberatern eine unnötig hohe<br />
Fehlerquote auslöst, zumal es kaum noch Routinelösungen<br />
gibt. Die Fehlerquote bei Steuerbescheiden<br />
soll bei 50 vom Hundert liegen.<br />
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)<br />
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