ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung
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Reformen des Gesundheitswesens<br />
zuwächse zurückzuführen sind. 2 Der medizinischtechnische<br />
Fortschritt führt zu Ausgabenzuwächsen,<br />
die von der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
finanziert werden müssen. Gemessen an der<br />
Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung<br />
ist dieser Zuwachs jedoch moderat.<br />
Dramatischer in ihren Auswirkungen für die gesetzliche<br />
Krankenversicherung sind die Probleme<br />
auf der Einnahmenseite, die zumindest teilweise<br />
auf Eingriffe bzw. Nicht-Eingriffe des Gesetzgebers<br />
zurückzuführen sind.<br />
Die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
leiden vor allem aufgrund von Entwicklungen<br />
auf dem Arbeitsmarkt (Erosion des Normalarbeitsverhältnisses<br />
und steigender Anteil von<br />
Nichterwerbstätigen). Gleichzeitig wird der GKV<br />
durch die private Krankenversicherung Finanzkraft<br />
entzogen, indem gut verdienende Versicherte<br />
mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze<br />
in die private Krankenversicherung<br />
wechseln. Allerdings hat der Gesetzgeber<br />
auch selbst dazu beigetragen, dass die Einnahmebasis<br />
der GKV zurückgegangen ist – beispielsweise<br />
durch die Verschiebung von Finanzierungslasten<br />
zugunsten anderer Sozialversicherungssysteme wie<br />
der Renten- oder Arbeitslosenversicherung.<br />
Der Gesetzgeber hat versäumt, auf die angesprochenen<br />
Probleme zu reagieren. Bisher hat er die<br />
Einnahmebasis der GKV nicht nachhaltig verbessert,<br />
zum Beispiel durch die Beitragspflicht von<br />
weiteren Einkommensarten, durch die Versicherungspflicht<br />
weiterer Personengruppen oder<br />
durch nachhaltige Steuerfinanzierung. Auch die<br />
Risikoselektion zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
und zugunsten der privaten Krankenversicherung<br />
ist weiterhin möglich. Ergebnis<br />
dieses Versäumnisses sind steigende Beitragssätze,<br />
deren Anstieg durch die vorwiegend ausgabenorientierten<br />
Gesundheitsreformen in den letzten<br />
zwanzig Jahren allenfalls kurzfristig aufgehalten<br />
werden konnte.<br />
Derzeit gibt es keinerlei Indizien dafür, dass die aktuelle<br />
Gesundheitsreform bei der Stabilisierung<br />
der Einnahmen in der GKV erfolgreicher sein<br />
wird. Die Große Koalition hat auf einen Beitrag<br />
der privaten Krankenversicherung zur Finanzierung<br />
der GKV sowie auf die Beitragspflicht für weitere<br />
Einkommensarten verzichtet. Auch die vorgesehene<br />
Steuerfinanzierung – die unter dem von<br />
2 Vgl. Bernard Braun/Hagen Kühn/Hartmut Reiners, Das Märchen<br />
von der Kostenexplosion – Populäre Irrtümer zur Gesundheitspolitik,<br />
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998.<br />
der letzten Bundesregierung vorgesehenen Finanzvolumen<br />
liegt – lässt an einer nachhaltigen<br />
Stärkung der Einnahmebasis der GKV zweifeln.<br />
Kostendämpfungspolitik statt<br />
Stärkung der Einnahmebasis<br />
Der Gesetzgeber hat in den letzten 20 Jahren versucht,<br />
die Ausgaben der GKV zu stabilisieren. Auf<br />
diese Art und Weise sollten die Beitragssätze konstant<br />
gehalten und die Lohnnebenkosten stabilisiert<br />
werden. Diese Ziele sind aber nur sehr eingeschränkt<br />
erreicht worden, obgleich das eingesetzte<br />
Instrumentarium durchaus vielfältig war und ist.<br />
Einige Beispiele verdeutlichen das:<br />
Die im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes<br />
(GSG) eingeführte Budgetierung der ambulanten<br />
Gesamtvergütung und die Koppelung des<br />
Vergütungszuwachses an die Einnahmenentwicklung<br />
der Krankenkassen haben dazu geführt, dass<br />
die ambulanten ärztlichen Ausgaben der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung seit Mitte der 90er-<br />
Jahre nur sehr moderat ansteigen. Der Gesetzgeber<br />
hat mit dieser Maßnahme das Ziel Kostendämpfung<br />
erreicht, allerdings mit dem Preis einiger<br />
gravierender Nebenwirkungen: Die straffe<br />
Budgetierung hat dazu geführt, dass sich die betroffenen<br />
Ärzte nach anderen Einnahmequellen<br />
umsehen. Diese Einnahmequellen finden sie vor<br />
allem in der Behandlung privat versicherter Patienten<br />
und in der Abrechnung privater Gesundheitsleistungen<br />
bei gesetzlich Versicherten. Folge<br />
ist zum einen die – von den Ärzten vehement bestrittene,<br />
aber in der Praxis nicht abzustreitende –<br />
bevorzugte Behandlung von Privatpatienten. Zum<br />
anderen werden gesetzlich Versicherte mit therapeutisch<br />
zweifelhaften Leistungen behandelt, weil<br />
diese Leistungen privat vergütet werden.<br />
Mit der Einführung von Festbeträgen für verschreibungspflichtige<br />
Arzneimittel im Rahmen<br />
des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) von 1989<br />
sollte der Preiswettbewerb auf dem Markt für Arzneimittel<br />
verstärkt werden. Damit sollten letztlich<br />
die Arzneimittelausgaben stabilisiert werden. Der<br />
Preiswettbewerb für Arzneimittel mit Festbeträgen<br />
wurde in der Tat verschärft – das eigentliche Ziel,<br />
Kosten zu dämpfen, hat der Gesetzgeber aber verfehlt.<br />
Die Preise für nicht von Festbeträgen erfasste<br />
Arzneimittel stiegen umso stärker. Außerdem<br />
verordneten Ärzte zunehmend Präparate, die<br />
nicht von Festbeträgen erfasst wurden.<br />
40 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)