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ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung

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Ordnungspolitische Mängel in der Gesundheitspolitik<br />

Dr. Stefan Greß<br />

Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen<br />

Bei der Diskussion um die Reform des deutschen Gesundheitssystems wird die zentrale ordnungspolitische Frage ausgeklammert:<br />

Soll das System staatlich geplant, korporatistisch gesteuert oder wettbewerblich geordnet werden Darüber hinaus<br />

findet die Ausgabenseite zu viel, die Einnahmenseite zu wenig Beachtung.<br />

Der Gesundheitspolitik in Deutschland ist es nur<br />

selten gelungen, konsistente Strukturreformen<br />

durchzusetzen. Die in den letzten zwanzig Jahren<br />

umgesetzten Reformen waren eher kleinteilige<br />

Werke, die weniger an den Ursachen als an den<br />

Symptomen der Probleme ansetzten. Einzige Ausnahme<br />

war das im Jahr 1993 in Kraft getretene<br />

Gesundheitsstrukturgesetz (GSG). Im GSG hat<br />

der Gesetzgeber unter anderem durch die Einführung<br />

der freien Krankenkassenwahl und des<br />

Risikostrukturausgleichs die Grundlage für den<br />

Wettbewerb der Krankenkassen untereinander<br />

gelegt. Im Rahmen einer „Großen Sachkoalition“<br />

aus regierender CDU/CSU und FDP sowie der<br />

oppositionellen SPD gelang es, weitreichende<br />

Maßnahmen zu beschließen – bis hin zur Budgetierung<br />

der Ausgaben der ambulanten Versorgung,<br />

dem Einstieg in die pauschalierte Vergütung<br />

für Krankenhäuser und der Einführung von<br />

Positivlisten für Arzneimittel. 1<br />

Wirkliche Reformen sind die Ausnahme<br />

Dass außer dem GSG bis heute keine wirkliche<br />

Strukturreform umgesetzt wurde, hat vor allem<br />

zwei Gründe: Erstens verstehen es die Interessengruppen,<br />

ihre Positionen gegenüber dem Gesetzgeber<br />

nachdrücklich durchzusetzen. Entweder gehören<br />

die Mitglieder dieser Interessengruppen zur<br />

zentralen Wählerklientel der Parteien, oder sie verschaffen<br />

sich mit dem Argument des potenziellen<br />

Verlustes von Arbeitsplätzen Gehör. Zweitens wird<br />

die Durchsetzung dadurch erschwert, dass ein wesentlicher<br />

Teil der Reformgesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig<br />

ist und die Interessen der Landesregierung<br />

nicht immer identisch mit den Interessen<br />

der Bundesregierung sind.<br />

1 Vgl. Hartmut Reiners, Das Gesundheitsstrukturgesetz – Ein<br />

„Hauch von Sozialgeschichte“ – Ein Werkstattbericht über eine<br />

gesundheitspolitische Weichenstellung, WZB-Arbeitspapier 93-<br />

210, Wissenschaftszentrum Berlin 1993. Die Einführung der bereits<br />

gesetzlich beschlossenen Positivliste scheiterte am Widerstand<br />

der Arzneimittelhersteller.<br />

Als Folge dieses Interessengeflechts haben es insbesondere<br />

die Kassenärztlichen Vereinigungen,<br />

die privaten Krankenversicherer und die Arzneimittelhersteller<br />

in der Vergangenheit verstanden,<br />

ihre Position zu behaupten. Das seit Anfang der<br />

30er-Jahre bestehende Monopol der Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen in der ambulanten Versorgung<br />

ist seitdem weitgehend unangetastet geblieben.<br />

Darüber hinaus gibt es zwei parallel bestehende<br />

Versicherungssysteme – ein Luxus, den sich<br />

nach der Einführung eines einheitlichen Versicherungssystems<br />

in den Niederlanden kein vergleichbares<br />

Land leistet. Im Gegensatz zu den meisten<br />

anderen Ländern ist auch die Position der Arzneimittelhersteller<br />

in Deutschland relativ komfortabel.<br />

Die Erstattung von verschreibungspflichtigen<br />

Arzneimitteln wird nur in Ausnahmefällen eingeschränkt,<br />

und die Hersteller sind bei der Festlegung<br />

des Preises für ihre Produkte so frei wie in<br />

kaum einem anderen Land.<br />

Die Voraussetzungen für eine Strukturreform im<br />

Gesundheitswesen sind derzeit günstig: Die Große<br />

Koalition hat sowohl im Bundestag als auch im<br />

Bundesrat klare Mehrheiten. Allerdings zeigen die<br />

bisher vorliegenden Reformentwürfe eine erstaunliche<br />

Kontinuität der Gesundheitspolitik. Die auch<br />

in der Vergangenheit schon einflussreichen Interessengruppen<br />

– und die Interessen der Länderregierungen<br />

– scheinen auch dieses Mal eine sachlich<br />

notwendige Strukturreform zu verhindern.<br />

Dramatischer Einnahmenschwund<br />

Die öffentliche Debatte um die Zukunft der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV) wird vor<br />

allem von deren Finanzierungsproblemen dominiert.<br />

Diese Diskussion wurde auch im Vorfeld aller<br />

anderen Gesundheitsreformen der letzten<br />

zwanzig Jahre geführt. Es setzt sich nur schleichend<br />

die Erkenntnis durch, dass die Finanzierungsprobleme<br />

in erster Linie auf Einnahmenrückgänge<br />

und erst in zweiter Linie auf Ausgaben-<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)<br />

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