08.01.2015 Aufrufe

ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung

ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung

ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Demographischer Wandel<br />

Der Staat sprengt die Familie, andererseits<br />

versucht er, sie zusammenzuhalten<br />

Im globalen Wettbewerb lassen sich die Lohnnebenkosten<br />

als Nahrungsquelle der gesetzlichen Sicherungssysteme<br />

in Europa nicht mehr unbegrenzt<br />

anzapfen. Hier wird deshalb zusehends umgestellt:<br />

Von lohngebundenen Beiträgen auf indirekte<br />

Steuern und auf privates Vorsorgesparen.<br />

Auch die Leistungen sind in den vergangenen Jahren<br />

allmählich abgesenkt worden. Das ist unangenehm<br />

für Rentner und Kranke. Die soziale Sicherung<br />

insgesamt aber stabilisiert sich durch solche<br />

internen Umschichtungen.<br />

Dies geht allerdings, ungewollt und unbewusst, auf<br />

Kosten von Familien mit Kindern. Denn sie sind<br />

von höheren Verbrauchssteuern besonders betroffen.<br />

Und wer sich privat versichern soll, muss Kinder<br />

gesondert versichern – ein Aufwand, der ihm<br />

bei der gesetzlichen Versicherung erspart bleibt.<br />

Auch der Versuch, die gesetzliche Versicherung zu<br />

entlasten, indem man Arbeitslose auf ihre Familie<br />

als Einkommensquelle verweist (Hartz IV), führt<br />

dazu, dass Familien als Bedarfsgemeinschaften<br />

aufgelöst werden. Kinder lassen sich ihren Auszug<br />

aus dem Elternhaus vom Staat finanzieren. Mit der<br />

einen Hand sprengt der Staat – sozialpolitisch –<br />

die Familien, die er doch mit der anderen Hand –<br />

familienpolitisch – fördern und auf die er zurückgreifen<br />

will. Wie immer man es dreht und wendet,<br />

die Systeme sozialer Sicherung fahren besser ohne<br />

Kinder als mit ihnen. Die kollektiven Sicherungssysteme<br />

haben diese Entwicklung vor mehr als 100<br />

Jahren angestoßen, und ihre Reprivatisierung<br />

kann sie schwerlich umkehren.<br />

Warum sollte sie auch Es geht ja ohne selbst geborenen<br />

Nachwuchs, oder mit einem Minimum,<br />

sofern Produktivität und Dienstleistungen weiter<br />

wachsen. Die dazu nötigen Menschen können Systeme<br />

sozialer Sicherung, auch wenn sie im nationalen<br />

Rahmen organisiert sind, einführen. Einführen<br />

können sie auch Lebensmittel, Kleidung,<br />

Elektronik, die anderswo preisgünstiger produziert<br />

werden. Beides geschieht bereits in hohem<br />

Maße.<br />

Die Selbsterhaltungsmechanismen<br />

der Familie<br />

Die Systeme sozialer Sicherung können sich ohne<br />

eigenen Nachwuchs selbst erhalten. Aber für die<br />

Familien scheint das undenkbar. Doch auch hier<br />

trügt der Schein. Durch den säkularen Fall der<br />

Geburtenrate ist zwar die „statistische Kernfamilie“<br />

– Eltern und Kinder – sehr geschrumpft. Es ist<br />

aber unwahrscheinlich, dass sie noch kleiner wird.<br />

Denn die weiter sinkende Geburtenrate verringert<br />

die Zahl der Zwei-Kinder-Familien kaum, erhöht<br />

dagegen die Zahl der kinderlosen Paare und<br />

Frauen. Dass 40 Prozent der Akademikerinnen<br />

kinderlos bleiben, ist in der öffentlichen Diskussion<br />

zu einem Fanal geworden. Auf sie konzentrieren<br />

sich die finsteren Visionen vom Aussterben<br />

der Familie.<br />

Wenn aber etwas ausstirbt, dann sind es die kinderlosen<br />

Frauen – und damit die Kinderlosigkeit.<br />

Die Familie dagegen bleibt bestehen. Sie verfügt<br />

über mindestens drei Mechanismen der Selbsterhaltung:<br />

Erweiterung durch Verwandtenwahl: Einzelgänger<br />

und Paare ohne Kinder, auch wenn sie<br />

selbst schon Einzelkinder sind, sind Bestandteil einer<br />

Herkunftsfamilie mit Cousins, Großneffen<br />

und anderen entfernteren Verwandten sowie hinzugewählten<br />

Vertrauten, die sie zu ihrer Familie<br />

machen. Denn wer zur Familie gehört, entscheiden<br />

nicht Biologen, Demographen und Statistiker<br />

aufgrund vorgefasster Kriterien, sondern die Beteiligten<br />

selbst, indem sie sich gegenseitig Liebe,<br />

Intimität und Halt schenken, also die zentralen Familienfunktionen<br />

erfüllen. In der Tat zeigen Umfragen,<br />

dass Familien im Urteil der Mitglieder<br />

selbst in den letzten 50 Jahren nicht kleiner, sondern<br />

größer geworden sind. Das läuft den Vorurteilen,<br />

dass zur Familie nur Eltern und Kinder gehören,<br />

und den darauf basierenden Statistiken zuwider.<br />

Verringerung der Zahl der Kernfamilien: Menschen,<br />

die kinderlos sterben, sterben als Individuen<br />

aus; allenfalls stirbt die Kernfamilie ihrer Eltern<br />

mit. Aber die weiteren Seitenzweige der Herkunftsfamilie<br />

bleiben bestehen, und neben der<br />

Wahlverwandtenfamilie auch die nicht verwandten<br />

Familien (die allerdings zu verwandten werden,<br />

je weiter man die Herkunftslinie zurückverfolgt).<br />

Was der sich fortsetzende Geburtenrückgang<br />

heute und in Zukunft bewirkt, ist also eine<br />

Verringerung der Zahl der Kernfamilien. Daraus<br />

zu schließen, die Familie sterbe aus, ist genauso<br />

falsch wie der Schluss, die Zehntausende von<br />

Unternehmen, die jährlich durch Konkurs, Übernahme<br />

oder Fusion verschwinden, bedeuteten das<br />

Ende der Unternehmens-Wirtschaft. Das Gegenteil<br />

ist richtig: Die Unternehmen, die übrig bleiben,<br />

sind die ökonomisch effizienteren und erfolgreicheren.<br />

Der Ausleseprozess macht die Wirt-<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)<br />

37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!