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ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung

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Demographischer Wandel<br />

Als Konsumenten sind Kinder willkommen, aber<br />

ersetzbar; als Arbeitskräfte sind sie nicht erforderlich.<br />

Vor 50 Jahren gingen Jugendliche nach Abschluss<br />

der Volksschule als Vierzehnjährige in die<br />

Lehre. Heute würden sie umgehend zurückgeschickt:<br />

Um die Arbeitsplätze ausfüllen zu können,<br />

müssen die jungen Leute weitere Jahre zur Schule<br />

gehen oder studieren. Die Wirtschaft ist an ihnen<br />

erst interessiert, wenn sie noch jung, aber schon<br />

erwachsen sind: durch Familie und Bildungsinstitutionen<br />

bestens präpariert, technisch und kommunikativ<br />

versiert, motiviert, kooperativ, belastbar<br />

und flexibel. Kommen sie von weither, umso besser,<br />

denn das heißt, dass sie mobil, ehrgeizig und<br />

voller Initiative sind.<br />

Die Wirtschaft, besonders die international orientierte,<br />

will einen international offenen Arbeitsmarkt,<br />

wo sie aus vielen Bewerbern die passenden<br />

auswählen kann. Hierzulande geborene Kinder<br />

benötigt die Wirtschaft nicht. Die Forderung, alle<br />

hier Heranwachsenden sollten einen Arbeitsplatz<br />

haben, entspringt nationaler Moral, nicht wirtschaftlichen<br />

Interessen. Was die Wirtschaft<br />

braucht, sind offene Arbeitsmärkte für junge Erwachsene.<br />

Alles andere ist Sozialromantik.<br />

Zugegeben, es ist nicht einfach, junge Arbeitskräfte<br />

aus aller Herren Länder wirtschaftlich einzugliedern.<br />

Sie müssen die Sprache sprechen und<br />

verstehen können, im Einwanderungsland wohnen<br />

und am sozialen Leben teilhaben. Das kostet<br />

etwas. Die liberale Lehre der klassischen Einwanderungsländer<br />

lautet: Für ihre Integration müssen<br />

diejenigen sorgen und aufkommen, die herkommen<br />

– oft mithilfe von ethnischen Netzwerken<br />

und Brückenköpfen. Einen Teil der Integrationskosten<br />

– für Sprachkurse, Wohnungsvermittlung<br />

usw. – können die Unternehmen den Zuwanderern<br />

abnehmen. Sie müssen es aber nicht. Sie werden<br />

wirtschaftlich kalkulieren, was sich für sie<br />

mehr lohnt: Zuwanderer einstellen oder Arbeitslose,<br />

Ältere und Frauen.<br />

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Arbeitsund<br />

Bildungsmärkte für Frauen weit geöffnet.<br />

Heute gehen mehr Frauen als Männer aufs Gymnasium<br />

und die Universität, schließen mit besseren<br />

Noten ab und drängen ins Berufsleben: Zwischen<br />

1991 und 2004 wuchs die Zahl der erwerbstätigen<br />

Frauen um 1,1 Millionen, während die der<br />

Männer um 1,4 Millionen sank. Sind die Vorausrechnungen<br />

richtig, dass ab 2010 wegen der geburtenschwachen<br />

Jahrgänge das Angebot an arbeitssuchenden<br />

jungen Leuten kleiner sein wird<br />

als die Nachfrage, dann wird die Wirtschaft noch<br />

mehr Frauen an sich ziehen und zu längeren Arbeitszeiten<br />

verlocken. Ihre Integrationskosten sind<br />

geringer als die von Zuwanderern, ihre Neigung<br />

zu modernen Dienstleistungsberufen sowie ihre<br />

soziale und zeitliche Anpassungsfähigkeit übertrifft<br />

die der Männer – vorausgesetzt, sie haben<br />

keine Kinder.<br />

Die Wirtschaft braucht junge Frauen,<br />

aber keine Kinder<br />

Kommen Kinder zur Welt, konkurrieren sie mit<br />

der Wirtschaft um hoch qualifizierte Frauen. Und<br />

in der Regel gewinnen sie den Kampf. Denn im<br />

deutschsprachigen Raum ziehen sich Mütter auf<br />

halbe Stellen oder ganz aus dem Beruf zurück,<br />

wenn sie ein Kind, und erst recht, wenn sie mehr<br />

Kinder bekommen. Der Leitwert der Mutterliebe<br />

gebietet es. Trotz aller aufklärerischen Empörung,<br />

progressiven Witzeleien, feministischen Gegenreden,<br />

pädagogischen Fingerzeige auf Frankreich<br />

und Skandinavien, sogenannten Infrastruktur-<br />

Maßnahmen und politischen Proklamationen zur<br />

Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Dies hat sich<br />

über Jahrzehnte nicht geändert, und es wird sich<br />

schwerlich ändern, weil es kulturell tief verwurzelt<br />

ist – mächtiger als politische Ideologien und wirtschaftliche<br />

Interessen.<br />

Auch wenn Mütter weiter im Beruf bleiben, ihre<br />

Kinder bleiben für die Wirtschaft ein Ärgernis. Mit<br />

ihren Krankheiten, Unfällen, kleinen und großen<br />

Lebenssorgen konkurrieren sie mit dem Arbeitgeber<br />

um die Präsenz, das Engagement und die Konzentration<br />

der Mutter. Das liebste Kind der Wirtschaft<br />

sind junge Frauen, die keine Kinder haben.<br />

Allerdings verkörpern gerade sie die Drohung,<br />

dass Kinder doch noch kommen. Große Unternehmen<br />

können damit leben und machen aus der<br />

Not eine Tugend: durch eigene Kinderbetreuung,<br />

großzügige Arbeitszeit- und Vertretungsregelungen<br />

etc. Kleine Betriebe, in denen jede Arbeitskraft<br />

ausgelastet ist und präsent sein muss, haben<br />

diese Möglichkeiten kaum. Mutterschutzgesetz,<br />

Erziehungsurlaub, flexible Arbeitszeit können sie<br />

in Bedrängnis bringen.<br />

Die dynamischsten Volkswirtschaften<br />

haben die niedrigsten Geburtenraten<br />

Die Haupt-Verbündeten der Wirtschaft im Kampf<br />

gegen Kinder sind die jungen Frauen und Männer<br />

selbst – als Träger kultureller Werte, nicht als<br />

„Wirtschaftssubjekte“ im engeren Sinn. Indem sie,<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)<br />

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