ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung
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Zeitarbeit<br />
Der Gesetzgeber hat für Zeitarbeitnehmer eine<br />
Bezahlung vorgegeben, wie sie für Mitarbeiter im<br />
Kundenbetrieb üblich ist, es sei denn, dass eigene<br />
Tarifverträge für die Zeitarbeitsbranche geschlossen<br />
werden. Diese Tariföffnungsklausel und ein<br />
gewisser Druck aus dem Bundeswirtschaftsministerium<br />
haben dazu geführt, dass der iGZ 2003 den<br />
ersten Zeitarbeits-Tarifvertrag mit dem DGB abgeschlossen<br />
hat. Seitdem gelten für Zeitarbeitnehmer<br />
Bedingungen, die der Besonderheit der Branche<br />
entsprechen.<br />
Die verbandliche Zersplitterung, aber auch die in<br />
der Europäischen Union herrschende Freizügigkeit<br />
für Arbeitnehmer und die damit verbundenen<br />
Befürchtungen wachsender Lohnunterbietung<br />
haben iGZ und BZA veranlasst, sich intensiv<br />
und offensiv für Mindestarbeitsbedingungen in<br />
der Zeitarbeit einzusetzen. Ergebnis ist der im Mai<br />
2006 vereinbarte Tarifvertrag zur Regelung von<br />
Mindestarbeitsbedingungen für die Zeitarbeitsbranche.<br />
Inzwischen wurde beim Bundesarbeitsminister<br />
beantragt, diesen Tarifvertrag für allgemein<br />
verbindlich zu erklären.<br />
Bedeutung für die Volkswirtschaft<br />
Der Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing spricht in<br />
Verbindung mit den Reformen im Arbeitnehmerüberlassungsrecht<br />
von einem regelrechten „Ritterschlag<br />
von Gesetzgebung und Rechtsprechung“<br />
für die Zeitarbeit. 5 Manche Erwartungen der Politik<br />
an die Zeitarbeit sind allerdings ein wenig<br />
kühn. Es ist zwar angemessen, dass die erfolgreiche<br />
Arbeit von Zeitarbeitsfirmen immer stärker in<br />
das öffentliche Bewusstsein dringt und ein Umdenken<br />
in Deutschland eingesetzt hat. Aber man<br />
sollte sich vor zu großen Erwartungen hüten. Die<br />
Zeitarbeit ist gewiss wertvoll, aber man sollte sie<br />
nicht zum Heilsbringer der deutschen Arbeitsmarktpolitik<br />
erklären.<br />
Wirtschaftsexperten meinen, Zeitarbeit sei so etwas<br />
wie ein Frühindikator für die gesamtwirtschaftliche<br />
Aktivität. In wirtschaftlich unsicheren<br />
Zeiten würden Unternehmen bei Auftragseingang<br />
erfahrungsgemäß gern auf flexibles Personal zurückgreifen,<br />
um abzuwarten, ob sich die wirtschaftliche<br />
Situation stabilisiert. Ein länger anhaltender<br />
Aufschwung bei der Zeitarbeit sei folglich<br />
ein Anzeichen für eine Erholung der Wirtschaft.<br />
Arbeitsmarktpolitische Sondereffekte<br />
Dass Zeitarbeit mit ihrer positiven Beschäftigungswirkung<br />
einen interessanten arbeitsmarktpolitischen<br />
Ansatz darstellt, wird bei einer strukturellen<br />
Betrachtung sehr deutlich: Knapp 70 Prozent aller<br />
Zeitarbeitnehmer waren vor ihrer Tätigkeit nicht<br />
beschäftigt. Entweder waren sie zuvor arbeitslos<br />
(61 Prozent), oder sie waren überhaupt noch nie<br />
erwerbstätig (8 Prozent). 7 Zeitarbeit bietet also für<br />
viele Arbeitnehmer einen Einstieg in den Arbeitsmarkt.<br />
Zeitarbeit wird oft als Übergang in den ersten Arbeitsmarkt<br />
bezeichnet. Das ist nicht richtig, denn<br />
Zeitarbeit ist Bestandteil des ersten Arbeitsmarktes.<br />
Wenn ein Mitarbeiter bei einem Zeitarbeitsunternehmen<br />
eine Anstellung gefunden hat, ist seine Integration<br />
in den ersten Arbeitsmarkt gelungen. Diese<br />
Integrationsleistung ist gerade für benachteiligte<br />
Bewerbergruppen von großer Bedeutung.<br />
Mit Zeitarbeit verbessern sich auch Qualifikation<br />
und soziale Kompetenz. Um diese Effekte zu fördern,<br />
hat die iGZ ein Projekt „Integration durch<br />
Verleih“ gestartet. Mit ihm soll gleichsam eine Selektion<br />
nach Integrationstauglichkeit durchgeführt<br />
werden. Insbesondere soll dabei die Tauglichkeit<br />
von Arbeitslosengeld-II-Empfängern ermittelt werden.<br />
Das Projekt zielt auf Verringerung der Arbeitslosigkeit<br />
vor allem bei jüngeren Arbeitslosen.<br />
Man kann bei der Zeitarbeit von einem „Boom“<br />
sprechen. Die Zuwachsraten sind beachtlich. Bis<br />
zum Ende des Jahrzehnts steht zu erwarten, dass<br />
sich die aktuelle Zahl von 453 389 Zeitarbeitnehmern<br />
6 auf etwa eine Million mehr als verdoppelt.<br />
Schon von 2004 auf 2005 konnte die Branche mit<br />
13,5 Prozent ein hohes Wachstum verzeichnen.<br />
5 Gregor Thüsing, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), Vorwort,<br />
München 2005.<br />
6 Stichtagserhebung 30. Juni 2005, vgl. Bundesagentur für Arbeit,<br />
Nürnberg 2006, Seite 10. 7 Vgl. ebenda, Seite 6.<br />
Trotz solcher Bemühungen darf nicht verkannt<br />
werden: Es gibt viele Arbeitslose, die weder integrationsfähig<br />
noch integrationswillig sind. Auch<br />
sie dürfen arbeitsmarktpolitisch nicht vernachlässigt<br />
werden. Sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren,<br />
kann von der Wirtschaft allein nicht bewältigt<br />
werden. Hier ist die Politik – zumindest flankierend<br />
– gefordert. Sie muss durch „Fördern und<br />
Fordern“ die entsprechende Integrationsfähigkeit<br />
und -willigkeit herstellen. <br />
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)<br />
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