ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung
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Zukunft der Arbeitsgesellschaft<br />
Die mit dem Einsatz von Befristungen verbundene<br />
Absenkung der Einstellungs(grenz)kosten, das dadurch<br />
mögliche Vorziehen von Neueinstellungen<br />
und die Chance zum Abbau vermeidbarer Überstunden<br />
geben jedoch auch gewisse Hinweise auf<br />
zusätzliche Beschäftigung durch Befristungen. Der<br />
Gesamteffekt lässt sich daher nicht klar beziffern.<br />
Wissenschaftliche Untersuchungen weisen darauf<br />
hin, dass Befristungen durchaus eine Scharnierfunktion<br />
auf dem Arbeitsmarkt einnehmen. 21 Etwa<br />
40 Prozent der befristeten Arbeitsverträge werden<br />
in unbefristete Verträge umgewandelt – davon<br />
sind 70 Prozent auf Wechsel innerhalb des Betriebes<br />
zurückzuführen. Befristungen führen anschließend<br />
zu Erwerbsverhältnissen, die langfristig<br />
ebenso stabil sind wie unbefristet abgeschlossene<br />
Verträge.<br />
Die mit Befristungen verbundene Lockerung des<br />
Kündigungsschutzes bietet gerade für Personen<br />
mit strukturellen Nachteilen eine Integrationschance.<br />
Hierfür sind zunächst die mit Befristungen<br />
zusammenhängenden Kostensenkungspotenziale<br />
verantwortlich, die den Einsatz von weniger<br />
produktiven Arbeitnehmern attraktiver machen.<br />
Hiervon profitieren nicht nur gering Qualifizierte,<br />
Ausländer und Menschen mit Behinderungen, 22<br />
sondern auch jüngere Arbeitnehmer. Die Neueinsteiger<br />
auf dem Arbeitsmarkt verfügen naturgemäß<br />
noch nicht über große Berufserfahrung, so<br />
dass hier der Probezeitenaspekt von Befristungen<br />
im Vordergrund steht.<br />
Neben der höheren Wahrscheinlichkeit einer Einstellung<br />
vergrößern befristete Beschäftigungsverhältnisse<br />
aber auch das Risiko, nach Ablauf der<br />
Vertragszeit arbeitslos zu werden. Die Wahrscheinlichkeit<br />
eines erfolgreichen Übergangs in ein gesichertes<br />
Erwerbsverhältnis wiegt jedoch schwerer<br />
als die Gefahr der anschließenden Arbeitslosigkeit.<br />
23 Vielfach ist damit zu rechnen, dass einem<br />
befristeten Arbeitsverhältnis weitere folgen. 24 Verständlicherweise<br />
werden solche Befristungsketten<br />
einem längerfristigen Verbleib in Arbeitslosigkeit<br />
vorgezogen.<br />
21 Vgl. Frances McGinnity/Antje Mertens, Fixed-term contracts<br />
in East and West Germany: Low wages, poor prospects, SFB 373,<br />
Working Paper Heft 72, 2002; Bernard Boockmann/Tobias Hagen,<br />
a.a.O.<br />
22 Vgl. Bernhard Boockmann/Tobias Hagen, a.a.O.<br />
23 Vgl. ebenda.<br />
24 Vgl. Johannes Giesecke/Martin Groß, Befristete Beschäftigung:<br />
Chance oder Risiko, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie<br />
und Sozialpsychologie, Jahrgang 54, Heft 1, 2002, Seiten 85-108.<br />
Die Beschäftigungsrisiken und -chancen von Befristungen<br />
fallen in Abhängigkeit von persönlichen<br />
Charakteristika unterschiedlich aus. 25 Zwar<br />
sind gering und hoch Qualifizierte die Personengruppen<br />
mit den meisten Befristungen. Für gering<br />
Qualifizierte ist das Risiko, bei Auslaufen der Befristung<br />
arbeitslos zu werden, jedoch deutlich größer<br />
als bei höher Qualifizierten. Das überrascht<br />
nicht, wenn man sich die allgemeine Arbeitsmarktlage<br />
beider Gruppen vor Augen führt. Bei<br />
qualifizierten Arbeitnehmern dürfte die Probezeitenfunktion<br />
eine größere Rolle spielen, während<br />
bei den geringer Qualifizierten eher die erhöhte<br />
Anpassungsfähigkeit an veränderte betriebliche<br />
Auslastungslagen im Vordergrund steht.<br />
Grundsätzlich deuten die vorliegenden Befunde<br />
darauf hin, dass Befristungen die Durchlässigkeit<br />
am Arbeitsmarkt und damit auch die Arbeitsmarktdynamik<br />
erhöhen. Diese zusätzliche Dynamik<br />
ist gerade beim relativ stark regulierten deutschen<br />
Arbeitsmarkt positiv zu bewerten. Sie geht<br />
zudem kaum auf Kosten der unbefristet beschäftigten<br />
Arbeitnehmer. Es ist sogar zu vermuten,<br />
dass die befristet Beschäftigten eine Art Absicherung<br />
der Festangestellten in schlechten Zeiten bieten,<br />
da über Befristungen relativ leicht Beschäftigung<br />
abgebaut werden kann.<br />
3. Leiharbeit<br />
Nach der Wiedervereinigung war ein starker, kontinuierlicher<br />
Anstieg bei der Leiharbeit zu beobachten.<br />
Diese Entwicklung wurde durch eine Reihe<br />
von arbeitsrechtlichen Deregulierungen begünstigt.<br />
26 Die Leiharbeitnehmerquote stieg zwischen<br />
1994 und 2005 um etwas mehr als einen<br />
Prozentpunkt auf gut 1,7 Prozent. Die Zahl der<br />
Leiharbeitnehmer nahm in diesem Zeitraum um<br />
rund 300 000 Personen zu. Damit ist die Leiharbeit<br />
in der jüngeren Vergangenheit die Beschäftigungsform<br />
mit dem höchsten Wachstum, auch<br />
wenn ihr Beschäftigungsanteil in Deutschland<br />
deutlich hinter internationalen Werten zurückbleibt.<br />
27<br />
Im Vergleich zu Befristungen erlangt das Unternehmen<br />
mit der Leiharbeit eine noch größere Fle-<br />
25 Vgl. Frances McGinnity/Antje Mertens, a.a.O.<br />
26 Vgl. Elke J. Jahn, Leiharbeit – für Arbeitslose (k)eine Perspektive,<br />
in: Anne van Aaken/Gerd Grözinger (Hrsg.), Ungleichheit<br />
und Umverteilung, Metropolis-Verlag, Marburg 2004, Seiten 215-<br />
236; ISG/RWI, a.a.O.<br />
27 Vgl. Markus Promberger, Leiharbeit – Flexibilität und Prekarität<br />
in der betrieblichen Praxis, in: WSI Mitteilungen, Nr. 5, 2006,<br />
Seiten 263-269.<br />
22 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)