ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung
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Zukunft der Arbeitsgesellschaft<br />
41,7 Prozent des Bruttolohns. Hohe Sozialabgaben<br />
bewirken unter anderem, dass die davon ganz oder<br />
teilweise befreiten Erwerbsformen wie die geringfügige<br />
Beschäftigung und selbständige Tätigkeiten<br />
in Form von Ein-Personen-Unternehmen relativ attraktiver<br />
werden und folglich den Normalarbeitsverhältnissen<br />
vorgezogen werden.<br />
Auf diese Weise ist auch der Anstieg der geringfügigen<br />
Beschäftigung zu erklären. Mit dem zweiten<br />
Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt<br />
(Hartz II) wurde die sozialversicherungsfreie<br />
Verdienstgrenze für diese Tätigkeiten von<br />
325 auf 400 Euro im Monat erhöht. Arbeitgeber<br />
zahlen seit Juli 2006 eine pauschale Abgabe von 30<br />
Prozent des Einkommens. Auch die Regelungen<br />
für die Midi-Jobs sowie die wieder eingeführte Sozialversicherungsfreiheit<br />
bei der ersten Nebenbeschäftigung<br />
machen das Normalarbeitsverhältnis<br />
weniger attraktiv.<br />
Mit Blick auf das Arbeitsrecht sind vor allem Kündigungsschutzregelungen<br />
von Interesse. Diese umfassen<br />
den Schutz vor Einzel- und Massenentlassungen<br />
sowie Regelungen für befristete Beschäftigung<br />
und Leiharbeit. Die Veränderungen in den<br />
vergangenen Dekaden haben bei befristeter Beschäftigung<br />
und Leiharbeit größere Handlungsspielräume<br />
geschaffen. Interessant ist dabei, dass<br />
diese Reformen in eine Richtung gegangen sind,<br />
die den Lockerungen im Kündigungsschutz entgegengesetzt<br />
ist: Während die Reform des Kündigungsschutzes<br />
quasi zu einer Neudefinition des<br />
Normalarbeitsverhältnisses führt, verstärkt die Deregulierung<br />
bei den temporären Erwerbsformen<br />
deren Erosionstendenzen.<br />
Zu den wichtigen institutionellen Rahmenbedingungen<br />
für die Entwicklung der Erwerbsformen<br />
gehört schließlich die Arbeitsmarktpolitik. Die Maxime<br />
des stärkeren Forderns zwingt auf der Arbeitnehmerseite<br />
zu mehr Flexibilität und somit<br />
auch zu mehr Zugeständnissen hinsichtlich der Erwerbsformen.<br />
3 Auch die geringen Hinzuverdienstmöglichkeiten<br />
begünstigen die Teilzeitbeschäftigung,<br />
insbesondere die Mini-Jobs. 4<br />
3 Vgl. Werner Eichhorst/Susanne Koch/Ulrich Walwei, Wie viel<br />
Flexibilität braucht der deutsche Arbeitsmarkt, in: Wirtschaftsdienst,<br />
Heft 9, 2004, Seiten 551-556.<br />
4 Vgl. Anne Cichorek/Susanne Koch/Ulrich Walwei, Arbeitslosengeld<br />
II. Höhere Arbeitsanreize geplant, IAB-Kurzbericht Nr. 7,<br />
2005.<br />
Schließlich sollen Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen<br />
(ABM und SAM)<br />
ebenso wie die 2005 eingeführten Arbeitsgelegenheiten<br />
Brücken zur regulären Beschäftigung bauen.<br />
Diese Maßnahmen sind der befristeten Beschäftigung<br />
zuzurechnen. Die Förderung der Existenzgründung<br />
aus der Arbeitslosigkeit heraus beeinflusst<br />
die Zahl der Selbständigen. Personen in<br />
der vermittlungsorientierten Arbeitnehmerüberlassung<br />
(Personal-Service-Agenturen) erhöhen die<br />
Zahl der Leiharbeitnehmer. 5<br />
2. Betriebliche Personalpolitik<br />
Für Unternehmen wird es aufgrund des zunehmenden<br />
internationalen Wettbewerbs immer<br />
wichtiger, beim Einsatz der Produktionsfaktoren<br />
Flexibilität zu besitzen. In diesem Zusammenhang<br />
sind nicht nur die Brutto-Arbeitskosten von Bedeutung,<br />
sondern auch die Kosten, die bei Neueinstellung<br />
und Entlassung von Mitarbeitern anfallen.<br />
Zu diesen Fluktuationskosten zählen neben<br />
den Kosten der Kündigung auch Abfindungszahlungen.<br />
Bei der Suche, der Einstellung und der Einarbeitung<br />
von neuen Mitarbeitern entstehen Kosten.<br />
Berücksichtigt werden müssen aber auch die Opportunitätskosten,<br />
die durch das Abstellen der mit<br />
der Einarbeitung betrauten Beschäftigten anfallen.<br />
Die wegen unvollständiger und asymmetrisch<br />
verteilter Information anfallenden Unsicherheiten<br />
in Bezug auf die Qualität eines neuen Arbeitnehmers<br />
lassen sich nur schwer quantifizieren. 6<br />
Alles in allem kann man davon ausgehen, dass diese<br />
Kosten bei Normalarbeitsverhältnissen am<br />
höchsten sind. Kann ein Unternehmen nur unter<br />
hohen Kosten auf veränderte Rahmenbedingungen<br />
reagieren, so wird es attraktiv, bestimmte Leistungen<br />
nicht mehr selbst zu erbringen, sondern<br />
am Markt einzukaufen. Eine weitere Möglichkeit,<br />
Arbeits- und Fluktuationskosten gering zu halten,<br />
ohne die Produktion aufzugeben, besteht darin,<br />
auf kostengünstigere Formen der Beschäftigung<br />
auszuweichen. Atypische Beschäftigungsverhältnisse<br />
bieten hierzu diverse Möglichkeiten, beispielsweise<br />
über die Verringerung der Lohnzusatzkosten<br />
(Mini-Jobs und Ein-Personen-Selbständige),<br />
die Minderung des Kündigungsschutzes (Be-<br />
5 2005 lag der durchschnittliche Bestand bei rund 200 000 Arbeitsgelegenheiten,<br />
gut 60 000 Personen in ABM und SAM,<br />
17 000 in PSA und gut 320 000 Förderungen der Selbständigkeit.<br />
6 Die hierdurch entstehenden Kosten variieren in Abhängigkeit<br />
von formalen Institutionen. Bei einer geringen Probezeit oder hohem<br />
Kündigungsschutz ist die Fehleinschätzung eines Arbeitnehmers<br />
mit hohen Kosten für die Unternehmen verbunden, so dass<br />
Neueinstellungen tendenziell vorsichtiger vorgenommen werden.<br />
18 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)