ORIENTIERUNGEN - Ludwig-Erhard-Stiftung
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Börsengang der Deutschen Bahn<br />
Mit der Bahnreform 1994 wurden die gemeinwirtschaftlichen Vorstellungen,<br />
wonach der Bund Verantwortung für die Daseinsvorsorge auch im Bahnbereich<br />
trage, zwar relativiert, aber nicht völlig aufgegeben. Der 1993 eingefügte<br />
Grundgesetz-Artikel 87e, in dem gemeinhin nur eine „Infrastruktur-Gewährleistungspflicht“<br />
des Bundes gesehen wird, lautet: „Der Bund gewährleistet,<br />
dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen,<br />
beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie<br />
deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den<br />
Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere<br />
wird durch Bundesgesetz geregelt.“<br />
Hiernach ist der Bund dafür verantwortlich, dass es auf dem Schienennetz Verkehrsangebote<br />
auch im Fernverkehr gibt, die „dem Wohle der Allgemeinheit,<br />
insbesondere den Verkehrsbedürfnissen (…) Rechnung“ tragen. Offensichtlich<br />
stehen aber die Prinzipien eines privaten Eisenbahnbetriebs in Widerspruch<br />
zu der Vorgabe, Verkehrsangebote zu machen, die „dem Wohle der Allgemeinheit<br />
Rechnung tragen“.<br />
Fünf Problembereiche<br />
Mit der materiellen Privatisierung der Bahn würde jedoch nicht nur ein möglicherweise<br />
vage formulierter Verfassungsauftrag verletzt. Die realen Konsequenzen<br />
sind weitreichend – fünf seien hier skizziert:<br />
1. Ausverkauf von gesellschaftlichem Eigentum<br />
Das gesamte Vermögen der Bahn – Infrastruktur und rollendes Material – wird<br />
auf einen Wert von 100 bis 150 Milliarden Euro geschätzt (vgl. das Gutachten<br />
von Karl-Dieter Bodack, 1. Anhörung des Verkehrsausschusses des Bundestags<br />
zur Bahnprivatisierung vom 10. Mai 2006). In der Bilanz der DB AG wird ein<br />
Anlagewert von 40 Milliarden Euro ausgewiesen. Die Differenz rührt aus zwei<br />
Kunstgriffen: Erstens tauchten zwei Drittel des Anlagewerts, den Bundesbahn<br />
und Reichsbahn Ende 1993 auswiesen, in der Eröffnungsbilanz der DB AG<br />
nicht mehr auf. Damit wurden günstige Startbedingungen für die Bahnreform<br />
geschaffen: Niedrigere Abschreibungen ermöglichten höhere Gewinne bzw.<br />
niedrigere Verluste. Zweitens wurden die Bauzuschüsse des Bundes für das<br />
Schienennetz in Höhe von 40 Milliarden Euro, die im Zeitraum 1994 bis 2005<br />
gezahlt wurden, nicht bilanziert. Doch diese Zuschüsse sind spätestens dann reales<br />
Anlagevermögen der Bahn, wenn private Investoren einsteigen.<br />
Die Bundesregierung veranschlagt im Fall eines integrierten Börsengangs Einnahmen<br />
in Höhe von nur zehn bis 15 Milliarden Euro. Selbst wenn nur der<br />
Bahnbetrieb verkauft wird und das Netz Eigentum des Bundes bleibt, ist das<br />
rollende Material 20 bis 25 Milliarden Euro wert. Doch die Bundesregierung<br />
erwartet bei einem Verkauf des reinen Schienentransport-Sektors lediglich<br />
Einnahmen von vier bis sieben Milliarden Euro. In beiden Fällen entsprechen<br />
die erwarteten Einnahmen nur einem Bruchteil des tatsächlichen Werts.<br />
2. Hoch subventionierter privater Schienenverkehr<br />
Zugunsten der Bahnprivatisierung wird vorgebracht, sie würde den Bundeshaushalt<br />
entlasten. Tatsächlich sehen alle Privatisierungsmodelle vor, dass parallel<br />
mit der Kapitalprivatisierung in einer für rund zehn Jahre festgeschrie-<br />
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 109 (3/2006)<br />
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