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Laudatio - Hermann Hesse Portal

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1<br />

Andreas Heidtmann: Dankesrede zum Calwer <strong>Hermann</strong>-<strong>Hesse</strong>-Preis 2010<br />

[Sehr geehrter Herr Dr. Narr, Königliche Hoheit (Herzog von Württemberg),<br />

lieber Michael Braun, sehr geehrte Damen und Herren]<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Literaturfreunde,<br />

wir freuen uns, heute hier in Calw zu sein und diese wunderbare Auszeichnung<br />

– den Calwer <strong>Hermann</strong>-<strong>Hesse</strong>-Preis – für unsere Zeitschrift „poet“ zu<br />

erhalten.<br />

Als ich erfuhr, dass an dieser Stelle aus dem Steppenwolf gelesen wird,<br />

wurden all die Erinnerungen wach, die mit meiner frühen <strong>Hesse</strong>-Lektüre verbunden<br />

sind. Mir geht es wie so vielen: Ich war ein begeisterter <strong>Hermann</strong>-<br />

<strong>Hesse</strong>-Leser. Die <strong>Hesse</strong>-Lektüre und die Beschäftigung mit dem Autor haben<br />

zugleich das Bild des Schriftstellers geprägt: Der Schriftsteller als Vordenker,<br />

als Visionär, als Mahner.<br />

Zu Recht kann und wird man <strong>Hesse</strong> einen Dichter nennen. Im Wort schwingt<br />

Pathos mit. Für heutige Autoren, zumal für junge, ist es ein Prädikat, das<br />

nicht mehr ganz passend scheint. Selbst den funktionalen Begriff des Schriftstellers<br />

weisen viele von sich.<br />

Christoph Wilhelm Aigner sagt in einem poet-Interview: „Ich habe etwas<br />

geschrieben, und das ist publiziert worden, aber dieses umfassende Gefühl,<br />

dass ich Schriftsteller sei, fehlt mir.“ Im neusten poet sekundiert Iris Hanika:<br />

Wenn sie jemand frage, was sie mache, sage sie: „Sie schreibe“. Sie könne<br />

nicht sagen: „Sie sei Schriftstellerin“. Es ist eine überraschende Bescheidenheit,<br />

eine Infragestellung lebenslanger Berufung in einer Zeit der Umbrüche<br />

und medialen Hochgeschwindigkeit.<br />

So wie der allwissende Erzähler mehr und mehr dem subjektiven Gestus<br />

Platz machte, scheint der Begriff des Dichters und Schriftstellers selbst zu<br />

erodieren. Es bleiben schreibende Nichtschriftsteller in einer Welt, die für<br />

den Einzelnen undurchschaubar scheint und oft nur noch als Simulation in<br />

den Medien wahrgenommen wird.<br />

Dichter und Schriftsteller scheinen also passé, zumindest was den Begriff<br />

angeht. Ein weiteres Synonym, das ich hier ins Spiel bringen darf, ist der poet.<br />

Hierzu hält der Duden aus dem Jahr 2000 fest: Veraltet, aber noch ironisch<br />

gebräuchlich. Man darf sich fragen, ob ein solches Wort für eine Literaturzeitschrift<br />

taugt. Gar für eine, die erst in diesem Jahrtausend entstand, aus<br />

einer anderen Welt generiert, dem Internet.


2<br />

Vor zweieinhalb Jahrhunderten schon war der Begriff aus der Mode gekommen.<br />

Friedrich Gottlieb Klopstock erklärte seinem Publikum, der Poet<br />

heiße seit längerem bereits Dichter, womit er sich vom lateinischen poeta<br />

absetzte. Heute könnte er Scharen von Surf- und Beatpoeten begegnen, könnte<br />

sich auf Internetseiten wie poets.org und poets-corner umsehen. Oder virtuell<br />

im poetenladen.de stöbern.<br />

Nicht zuletzt das Netz also und die Allgegenwart des Englischen haben dem<br />

Begriff zu einer Renaissance verholfen. Man darf hinter der Wiederbelebung<br />

die Freude vermuten, sprachlich durch Jahrtausende zu surfen, um in der Gegenwart<br />

anzukommen. Und sowie der Poet auf dem Cover unserer Zeitschrift<br />

landet – jeder Umschlag zeigt einen illustrierten Poeten mit einem Buch –,<br />

wird er zur ironischen Figur, gestaltet von unserer Illustratorin Miriam Zedelius.<br />

Sprachlich ist der poet zugleich ein Teil des Labels poetenladen, das 2005 als<br />

Literaturportal gegründet wurde. Hinter dem redaktionell geführten Forum<br />

steht der Gedanke, aus der Flut des Internets auszuwählen und mit ästhetischem<br />

Anspruch Texte darzustellen. Der gedruckten Zeitschrift kam die Aufgabe<br />

zu, die allzu flüchtigen Inhalte des Netzes noch einmal zu bündeln und<br />

einem zweiten Blick auszusetzen.<br />

Dieser Schwenk aus dem Netz ins Print-Medium war natürlich ein Wagnis.<br />

So blieb die Frage nicht aus, warum man noch eine Literaturzeitschrift<br />

gründe, wo es doch schon eine Vielzahl an Literaturzeitschriften gäbe. Ein<br />

Meer an Zeitschriften.<br />

Ein schönes Bild! Aber wer würde einem Lyriker vom Gedichteschreiben<br />

abraten mit dem Hinweis darauf, dass es schon viele Gedichte gibt, ein Meer<br />

an Gedichten. Wer schreibt, wer Literatur herausgibt, fragt in der Regel nicht,<br />

ob sein Tun Rendite verspricht. Er wird von einer Vorstellung geleitet, in der<br />

Nützlichkeitsaspekte keine übergeordnete Rolle spielen. Er macht, was er<br />

nicht lassen kann. So entstand eine neue Zeitschrift, weil dahinter Menschen<br />

stehen, die das Schreiben und vor allem das Vermitteln von Geschriebenem<br />

als eine Leidenschaft sehen, auch als Versuch eines kleinen Gegenentwurfs<br />

zu einer durchrationalisierten, entzauberten Realität.<br />

Es gibt eine weitere Antwort auf die Frage nach dem Warum einer neuen<br />

Zeitschrift: Der poet ist anders. Der poet ist eine Zeitschrift, die weniger<br />

geplant als dynamisch aus dem Netz erwachsen ist ohne Organisation oder<br />

Institution. Dabei bildete sich ein Netzwerk Hunderter Autoren, auf das wir,<br />

Redakteure und Herausgeber, bei unserer Arbeit zurückgreifen können.


3<br />

Enthusiastisch formuliert ist dieses Netzwerk ein flackerndes, mal aufflammendes,<br />

mal loderndes virtuelles Bewusstsein. Konkret gesprochen: Möchten<br />

wir einen Beitrag zu einem literarischen Thema, befragen wir das Netzwerk<br />

und es kommen Tipps, Verweise, Emails, Links, Texte. Das Netzwerk selbst<br />

spielt uns die Themen zu, sowie es uns auch Talente zuspielt – wir müssen sie<br />

nur sammeln und ordnen. So laufen bei uns in der Leipziger Blumenstraße<br />

die Fäden zusammen.<br />

Daher haben wir auch all jenen zu danken, die dieses Netzwerk bilden. Es<br />

sind Autoren in Wien oder Stuttgart, Schreibende in Montevideo oder solche,<br />

die sich gerade in New York oder Zürich niederlassen und gleichsam als<br />

metropole Netzwerkpoeten mit uns in Verbindung stehen. Die Kommunikation<br />

ist blitzschnell, orts- und zeitungebunden. Dieses Netzwerk weiß mehr<br />

als der Herausgeber, es ist ein virtuelles Wesen, das leider heute nicht<br />

persönlich erscheinen konnte.<br />

Wir, die realen Redakteure Katharina Bendixen und Walter Fabian Schmid<br />

und ich als Herausgeber, freuen uns, diesen so wichtigen und motivierenden<br />

Preis entgegennehmen zu dürfen. Wir danken den Stiftern, die eine so junge<br />

Zeitschrift fördern, ein Magazin, das auf nichts als Literatur zielt und sich als<br />

Teil einer lebendigen, vielstimmigen Literaturszene begreift.

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