10.11.2012 Aufrufe

spielzeit 2011 . 2012 - Oper Köln

spielzeit 2011 . 2012 - Oper Köln

spielzeit 2011 . 2012 - Oper Köln

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

premiere<br />

16. sep. <strong>2011</strong> › 19:00 uhr<br />

<strong>Oper</strong>nhaus › s. 32<br />

sehenswÜrdigkeiten<br />

krieg unD FrieDen<br />

Sergej Prokofjew begann schon im Kindesalter <strong>Oper</strong>n zu schreiben.<br />

In der Revolutionszeit 1918 verließ der junge ehrgeizige Musiker<br />

Russland in Richtung Amerika. Hier entstand sein Welterfolg<br />

»die Liebe zu den drei orangen« – für die Ballets<br />

Russes von Serge Diaghilev in Paris – sowie sein berühmtestes<br />

Ballett, »romeo und JuLia«. Prokofjew lebte in Amerika,<br />

Deutschland und jahrelang in Paris, bevor er 1936 in die Sowjetunion<br />

zurückkehrte. Dort erwartete den Heimkehrer ein Leben<br />

zwischen Stalinpreisen und schikanösen Aufführungsverboten.<br />

Seine Biografie war zerrissen: Im Westen galt er für lange Zeit als<br />

bolschewistischer Sympathisant, in der Sowjetunion beäugte man<br />

ihn als dekadenten Westler. Er starb am 3. März 1953, am selben<br />

Tag wie Stalin. Die Musikgeschichte würdigt ihn heute als den<br />

russischen Klassiker der Moderne.<br />

Lew Tolstoi (1828 – 1910) genoss schon zu Lebzeiten Verehrung als<br />

der bedeutendste Russe. Die Wortkombination seines Buchtitels<br />

ermisst die Dualität der Welt, in der Menschen leben: Krieg und<br />

Frieden – im direkten und übertragenen, im privaten und gesellschaftlichen<br />

Sinne. Siege und Niederlagen, Überleben und Tod<br />

markieren die Schlachtfelder der Menschheitsgeschichte wie die<br />

Biografien seiner Romanfiguren. Prokofjew plante seine <strong>Oper</strong> ausgehend<br />

von der intimen Szene, in der der verwundete andreJ nach<br />

Wanderungen durch die Abgründe des Lebens in naTaschas Armen<br />

sterbend den Moment tiefsten irdischen Glücks findet, begleitet<br />

von einem lyrischen h-moll-Walzer, dem musikalischen Zentrum<br />

der <strong>Oper</strong>, der zur Metapher für Liebe und Tod wird.<br />

Auch in die Entstehung der <strong>Oper</strong> griff der Krieg ein. Kurz nach Beginn<br />

der Arbeit 1941 überraschte der Überfall Hitlers die Sowjetunion<br />

– wie Napoleons Grenzüberschreitung das damalige Russland.<br />

Wie seinerzeit mobilisierte und einte Patriotismus alle Schichten des<br />

krieg und Frieden<br />

russischen Volks im Großen Vaterländischen Krieg. Prokofjews<br />

»Krieg und Frieden« bekam aktuellen Bezug. Abweichend von<br />

seinen Intentionen bedeutete dies nun die Betonung und Aufblähung<br />

der patriotischen Anteile des <strong>Oper</strong>nplans durch große Chöre<br />

und heroische Massenszenen. Bis zum Lebensende rang Prokofjew<br />

mit der stalinistischen Kulturbürokratie um die Aufführung<br />

seiner <strong>Oper</strong>, Werk und Schöpfer wurden Opfer der Formalismusdebatten.<br />

Doch auch vielfache Änderungen, die sich der verzweifelte<br />

Komponist unermüdlich auferlegen ließ und selbst auferlegte,<br />

verhalfen »Krieg und Frieden« nicht auf die Bühne. Nach<br />

seinem Tod brachten einige wenige Aufführungen Prokofjews<br />

größtem Werk nicht die Wahrnehmung ein, die seinem Potenzial<br />

gebührt.<br />

In seiner <strong>Köln</strong>er Inszenierung versucht Nicolas Brieger, die ursprünglichen<br />

Intentionen Prokofjews wieder freizulegen. Die patriotischen<br />

Aspekte werden zugunsten der privaten Konstellationen<br />

der Protagonisten, die in den kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

zwischen Russen und Franzosen zerrieben werden, zurückgenommen.<br />

Mit der schönsten vorstellbaren Musik schildert Prokofjew<br />

anrührende, nie sentimentale Szenen des Scheiterns privater Liebes-<br />

und Lebensentwürfe. Er folgt Tolstoi auch in der ernsten Suche<br />

nach einem Sinn des Lebens und der Frage nach der Aufgabe,<br />

die es dem Menschen stellt. Anders als der Schriftsteller verweigert<br />

der Komponist seinen Figuren jedoch eine bequeme Rückkehr<br />

ins normale Leben. Der unaufgelöste Schluss überlässt den Einzelnen<br />

seiner Einsamkeit, der Ewigkeit von (Selbst-)Reflexion und<br />

öffentlicher Betrachtung. Prokofjews »Krieg und Frieden«<br />

zeigt sich als zeitloses Werk universaler Aussage mit schier unglaublichen<br />

historischen und thematischen Parallelen.<br />

regine palmai<br />

46 47

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!