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Studienführer 2011 - 2012 - Hochschule für katholische ...

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Ein weiteres Zeugnis, welches uns die Realität einer hörend-mitvollziehende Rolle der<br />

Gemeinde im Zusammenhang mit dem deutschen Kirchengesang vor Augen stellt: Kohlbrenner<br />

vermachte am 6. Juni 1783 (wenige Tage vor seinem Tod also) der Pfarrkirche St. Oswald in<br />

Traunstein eine ansehnliche Stiftung, um dort das ganze Jahr über die Praxis des deutschen<br />

Kirchengesangs sicher zu stellen. Der Gesang sei langsam, heißt es dort, jedes Wort wohl<br />

ausgesprochen, deutlich, ordentlich und wohl verständlich… Der Organist aber solle mit der Orgel piano<br />

verfahren, damit die Singstimmen desto mehr heller, reiner und recht deutlich verstanden, damit die Herzen der<br />

Anwesenden erbauet werden. 24<br />

Ein zweites Beispiel aus einem dem bayerischen denkbar verwandtem Milieu (geographischkulturell-konfessionell)<br />

– von keinem Geringerem als Wolfgang Amadè Mozart:<br />

Zum Vergleich: deutsche Kirchenlieder in Norddeutschland und im<br />

habsburgischen Territorium.<br />

Zwei Beispiele, wie man sich im Zeitalter der Aufklärung andernorts Gemeindelieder vorstellte,<br />

mögen hier für viele andere stehen. Zuerst eines aus dem norddeutschen (reformierten) Umfeld:<br />

Quantz gelingt es hier, ein einfaches, aber dennoch anrührendes melodisch-formales Gebilde auf<br />

kürzesten Raum zu entwerfen. Freilich wird er inspiriert von einer hochqualifizierten Textvorlage, die von<br />

jenem Christian Fürchtegott Gellert 25 stammt, der vorübergehend auch als Textlieferant für Lieder des<br />

Landshuter Gesangbuches in Frage stand. 26 Für den Einsatz als Gemeindelied müsste man natürlich auch<br />

in diesem Fall eine wesentlich tiefere Lage wählen.. Bemerkenswert an der Notation ist, dass die<br />

Bezifferung die Vorschlagsnoten nicht berücksichtigt, obwohl Quantz in seinem „Versuch einer<br />

Anweisung die Flöte traversiere zu spielen“ 27 diese Vorschlagsnoten in der Begleitung ausdrücklich zu<br />

berücksichtigen wünscht!<br />

überliefert. Siehe das Beispiel in der synoptischen Darstellung des Kyrie-Gesanges von 1777, 1781 und 1790 weiter<br />

hinten. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Ankündigung ganz am Ende des Buches von 1790:<br />

„Neue Messgesänge mit guten Volksmelodien werden in einem Anhange zu diesem Gesangbuche folgen.“<br />

23 Andere Lieder wurden allgemeines Singgut dank melodisch-rhythmischer Vereinfachungen, so das heute noch<br />

lebendige „Thaut, Himmel“, dessen weiter hinten noch ausführlich gedacht werden wird.<br />

24 MÜNSTER, ROBERT: „Thauet, Himmel! den Gerechten, …“. In: Sänger- und Musikantenzeitung, 8. Jg. München<br />

1965, S.113.<br />

25 Es handelt sich um jenen Herrn Professor Gellert, dessen sterbliche Überreste immerhin gewürdigt wurden, einige<br />

Jahrzehnte in der Gruft der Leipziger St. Johanniskirche an der Seite der mutmaßlichen Gebeine J.S. Bachs zu<br />

ruhen.<br />

26 Nach BRENNINGER, GEORG: Das Landshuter Gesangbuch von 1777 – ein Bestseller der Aufklärungszeit. In: H.<br />

Becker und R. Kaczinski (Hgg.), Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium I. Historische<br />

Präsentation. St. Ottilien 1983, S. 812. Dort primäre Quelle: A. V. HAXTHAUSEN, Geistliche Volkslieder,<br />

Paderborn 1850, [S.] 39.<br />

27 Breslau 3 1789 S. 232.<br />

90 7<br />

Beide Beispiele zeigen eine dem tradierten Kirchenlied wesentlich nähere melodische Machart<br />

gegenüber der Mehrzahl der Lieder aus dem Landshuter Gesangbuch. Kennzeichnend ist unter<br />

anderem der Verzicht auf die „modische“ Dreiklangs- oder „Girlanden“-Melodik, die vor allem<br />

für die Salzburger „Szene“ charakteristisch ist.<br />

Damit wir uns aber kein einseitiges Bild von der Situation umgangsmäßigen Singens zu<br />

Hauners Zeiten (wohl auch in der Kirche) machen, wollen wir abschließend weitere Zeitzeugen<br />

zu Wort kommen lassen:<br />

Die andere Seite: Singbereitschaft und Sangesfreude unserer Vorfahren:<br />

Hier [in Krems] und den ganzen Weg hinunter nach Wien, singt der gemeine Mann in den Wirthshäusern,<br />

und der Bauer bey seiner Arbeit auf dem Felde, zum Vergnügen sein Lied in zwey und zuweilen in mehr<br />

Stimmen … An diesem Orte [Stein bei Krems] hörte ich die Soldaten und andere junge Leute, die am Wasser<br />

herumgingen, fleissig singen, und niemals weniger als zweystimmig. Es ist schwer auszumachen, woher es komme,<br />

daß die Leute in einem Lande viel leichter vielstimmig singen lernen, als in einem andern ob es daran liegt, daß<br />

die Leute in römisch catholischen Orten häufig vielstimmige Musik in ihren Kirchen singen hören, kann ich nicht<br />

sagen; aber das weiß ich gewiß, daß es in England unnendliche Mühe kostet, sowohl dem Meister als den Schüler,<br />

eh ein angehender Sänger dahin kommt, mit Sicherheit zu der aller einfachsten Melodie eine Unterstimme singen<br />

zu lernen. Und ich erinnere mich nicht, daß die Bänkelsänger in den Gassen zu London oder in unsern<br />

Landstädten, nur darauf gedacht hätten, in zwo verschiedenen Stimmen singen zu können.<br />

8<br />

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