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1. Einführung - SINUS-Transfer Grundschule

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Naturwissenschaftliches Lernen und<br />

Lehren im Sachunterricht an<br />

<strong>Grundschule</strong>n<br />

Universität Münster<br />

Seminar Didaktik des Sachunterrichts<br />

Klaus Lemmen<br />

Sinustagung<br />

Neuss<br />

14.03.2008


Agenda<br />

<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong> – Zur Entwicklung des naturwissenschaftlichen Lernens und<br />

Lehrens von der Heimatkunde bis heute<br />

2. Naturwissenschaftliches Lernen und Lehren am Beispiel des<br />

Unterrichtsthemas: Luftdruck und Wetter<br />

3. Experimente zum Thema Luftdruck<br />

Pause<br />

4. Nachbesprechung der Versuche, Vorstellung der Unterrichtseinheit<br />

Luftdruck und Wetter<br />

5. Vorstellungen von Kindern vor und nach der U-Einheit (Prä-<br />

/Postkonzepterhebungen) – Conceptual Change


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

• Bis in die 90er Jahre: Kaum Sachunterricht mit<br />

naturwissenschaftlich-technischem Schwerpunkt<br />

– v.a. Biologie und Geographie<br />

• TIMS und Pisa: Schüler im Alter von 15 Jahren haben<br />

mittelmäßige bis schlechte naturwissenschaftliche Kenntnisse<br />

– Forderung: Grundschulkinder sollten für einen naturwissenschaftlichen<br />

Unterricht der Sekundarstufe besser vorbereitet werden<br />

• Neue entwicklungspsychologische Erkenntnisse (B. Sodian,<br />

E.Stern)<br />

– Kinder im Grundschulalter sind zu weit anspruchsvolleren<br />

Lernprozessen fähig, wenn Sie sich auf spezifische Erfahrungen in<br />

dem jeweiligen Inhaltsbereich stützen können


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

• Die Industrie beklagt den Ausbildungsstand von angehenden<br />

Wissenschaftlern und Ingenieuren in Deutschland<br />

– Zu wenig Interesse an Naturwissenschaften und Technik<br />

• Sachunterrichtsdidaktiker (M.Soostmeyer, S.Thiel, W.Köhnlein,<br />

K.Möller, H. Schreier, M.Zolg …) fordern die Vermittlung<br />

grundlegender Kenntnisse im Bereich des<br />

naturwissenschaftlich-technischen Lernens<br />

– Im Besonderen: Physik, Chemie und Technik


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

Aus Fehlern der Vergangenheit lernen<br />

…<br />

eine kurze Geschichte der Entwicklung<br />

des Sachunterrichts in Deutschland


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

• Zu Beginn der 20er Jahre: Heimatkunde<br />

– Wichtigster Vertreter: Eduard Spranger (1882 – 1963)<br />

• Die Kinder sollten wie in einem Brennglas ohne Trennung von<br />

Fächern am Beispiel der heimatlichen Umgebung lernen<br />

– V.a. geographische, biologische, historische Kenntnisse<br />

• Grundlegende Bildung entsteht nach Spranger durch<br />

– Verbindung des Wissenserwerbs mit den persönlichen Erlebnissen in<br />

der Heimat<br />

– Dadurch wird anschlussfähiges Wissen (so Spranger) aufgebaut


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

• In den 50er Jahren: Sputnik-Schock (1957)<br />

– In den USA wurden „geschlossene Curricula“ mit festen Vorgaben<br />

der Inhalte und Arbeitsweisen entwickelt<br />

– Neue Formen des naturwissenschaftlichen Lernens wurden diskutiert:<br />

Entdeckendes Lernen (Jerome Bruner)<br />

– Entwicklungspsychologie: Man nahm Abschied von festen<br />

Zuordnungen einzelner Fähigkeiten zu Altersstufen der Kindheit;<br />

Wichtiger: Gestaltung einer anregungsreichen Lernsituation.<br />

• Diese Reformen hatten großen Einfluss auf die Entwicklung des<br />

Sachunterrichts in Deutschland<br />

– Reform der Lehrpläne in allen Bundesländern: ab Kl.1 Physik,<br />

Chemie, Erdkunde, Geschichte (in NRW sogar 9 Fächer)


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

– wissenschaftorientierter Sachunterricht, bezogen auf jede Altersstufe<br />

– Basiskonzepte sollten vermittelt werden (z.B. dass jede Materie aus<br />

kleinsten Teilchen besteht)<br />

– Die Inhalte sollten nicht mehr aus der Heimat, der Lebensumgebung<br />

der Kinder, sondern aus den Wissenschaften kommen.<br />

• Abkehr vom Schwerpunkt des wissenschaftsorientierten<br />

Sachunterrichts Ende der 70er Jahre<br />

– Hauptkritik: Inhalte gingen an den Interessen der Kinder vorbei<br />

• Kl.2: Steigt Öl in einem Kreidestück hoch?;<br />

• Lösen sich Zucker und Salz in Spiritus?<br />

– Die Lehrkräfte waren für diese Art des Unterrichts nicht ausgebildet<br />

– Sachunterricht sollte Kompetenzen für die unmittelbare Bewältigung des<br />

Alltags vermitteln (Lebens-Propädeutik)


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

– Nicht mehr fächerspezifisch, sondern fächerübergreifend sollte<br />

gelernt werden.<br />

• Wichtigste Methode: Projektunterricht<br />

– Rückbesinnung: Stärkerer Heimatbezug, emotionale Verbindung<br />

(Migranten wurden dabei nicht berücksichtigt):<br />

Lebensweltorientierter Sachunterricht<br />

• Problem des Lebensweltorientierten Sachunterrichts<br />

– Der Begriff Lebenswelt hat viele Facetten (Edmund Husserl:<br />

„Es handelt sich um eine spezifisch subjektive Weltsicht,<br />

Menschen führen ihr Leben in ihrer Welt eher unreflektiert, man<br />

kann sogar sagen, es ist ein naives Hineinleben in den Alltag“


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

– Subjektives Erleben wird stark betont, Bewusstmachen von<br />

Strukturen und Reflexion des Alltagsverhaltens auf begründete<br />

Regeln und Wertorientierung hin stehen dagegen zurück.<br />

– Z.T. finden sich triviale Themen in den Lehrplänen:<br />

» „Erzählen vom Schwimmbad“<br />

» „Spielzeug aus Müll“<br />

» Ein Didaktiker hat beim Thema Hunde sogar eine<br />

„subjektive Hundekunde“ empfohlen<br />

– Wenn man beim Subjektiven stehen bleibt, entstehen falsche<br />

Konzepte


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

• Lebenswelt-Sachunterricht allein<br />

– läuft Gefahr, nur Alltagswissen zu wiederholen und evtl. Projekte<br />

hervorzubringen, die zwar „hübsch“ sind, aber wenig Bildungswert<br />

enthalten<br />

• Wissenschaftlicher Sachunterricht allein<br />

– läuft Gefahr, den Kindern fachliche Themen überzustülpen, die in ihrem<br />

Alltag nicht vorkommen und die in bloße Arbeit mit Begriffen und<br />

Merksätzen münden.<br />

Wie soll also der moderne naturwissenschaftliche<br />

Sachunterricht aussehen?


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

• Anfang 2000 entwickelte die Gesellschaft für die Didaktik des<br />

Sachunterrichts (GDSU) in Kommissionen und Arbeitskreisen für<br />

ganz Deutschland einen Rahmenplan und gemeinsame<br />

Zielsetzungen<br />

– „Perspektivrahmen Sachunterricht“ 2002<br />

– Kein Curriculum, sondern offener Rahmen für detaillierte Ausarbeitung<br />

von Lehrplänen<br />

– 5 Bereiche:<br />

• Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektive<br />

• Raumbezogene Perspektive<br />

• Naturwissenschaftliche Perspektive<br />

• Technische Perspektive<br />

• Historische Perspektive


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

– Anstelle des Fachunterrichts tritt das Vernetzungsmodell,<br />

Querverbindungen zwischen den Bereichen werden aufgezeigt.<br />

• Viele Lehrpläne werden zur Zeit überarbeitet bzw. treten gerade in<br />

Kraft, folgende Entwicklungen können charakterisiert werden:<br />

– Keine Fächer mehr, sondern Vernetzung von Lebenswelt mit<br />

mehreren Fachperspektiven.<br />

– Keine geschlossenen Curricula, aber gemeinsame Grundlagen in<br />

wichtigen Ziel- und Inhaltsbereichen.<br />

– In allen Bundesländern wieder viel stärkere Betonung<br />

naturwissenschaftlicher Themen.<br />

– In der Didaktik wird die Anschlussfähigkeit des Wissens gefordert;<br />

Strukturwissen soll vermittelt werden.


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

– In der Pädagogischen Psychologie wendet man sich gegen naive<br />

Methoden von Anschauungsunterricht und entwickelt eine<br />

forschungsbasierte Unterrichtstheorie, nach der die Schüler nicht nur<br />

sinnlich erfahren,<br />

• sondern z.T. abstrakte Denkstrukturen aufbauen.<br />

• Aktuellen Untersuchungen (Hardy, Jonen, Möller & Stern 2006) zum<br />

naturwissenschaftlichen Lernen:<br />

– Strukturierungshilfen: Die Lehrerin weist auf sinnvolle Abfolge von<br />

Teilthemen hin und fokussiert auf die wichtigsten Aspekte<br />

– Kognitive Aktivierung: Die Lehrerin fordert immer wieder zur<br />

kognitiven Durchdringung der Probleme auf: Vergleichen von<br />

Ergebnissen; Hinweise, aus Beobachtungen etwas abzuleiten;<br />

Anleitung zum wissenschaftlichen Denken, d.h. Vermutung<br />

überprüfen; Aufforderung zu Schlussfolgerungen


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

Wie können Lehrkräfte unterstützt<br />

werden, die anspruchsvollen<br />

modernen<br />

naturwissenschaftlichen<br />

Sachunterricht unterrichten<br />

möchten?


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

„Von Chirurgen verlangen wir nicht, dass sie<br />

sich auf ihrem Weg zur Arbeit Verbandstoff und<br />

scharfe Skalpelle besorgen, aber wir erwarten<br />

das entsprechende von Lehrern.<br />

Das funktioniert nicht.“<br />

(Physics Today Online, 29.<strong>1.</strong>2002)


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

Hindernisse auf dem Weg zur Implementation vom<br />

naturwissenschaftlichem Sachunterricht<br />

– Das Sammeln und Besorgen der Materialien für die Experimente –<br />

Sehr zeitaufwändig.<br />

– Viele Grundschullehrkräfte haben nicht ausreichende fachliche und<br />

didaktische Vorkenntnisse im Bereich Naturwissenschaften/Technik<br />

– Lehrerinnen und Lehrer müssen selbst erfahren, dass<br />

Naturphänomene verstehbar sind (Fortbildungen in der 3.ten Phase<br />

sind notwendig)<br />

– „untaugliche“ Experimente in Experimentierbüchern


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

Was Grundschullehrerinnen und –lehrer für anspruchsvollen<br />

naturwissenschaftlichen Sachunterricht brauchen:<br />

– (fast) alle für den Unterricht benötigten Materialien<br />

– Fachliche Hintergrundinformationen, verständlich aufbereitet – am<br />

konkreten Unterricht orientiert<br />

– Organisatorische Hinweise für den Unterricht und detaillierte<br />

Unterrichtsvorschläge<br />

– Arbeitsblätter und Demonstrationsmaterialien


<strong>1.</strong> <strong>Einführung</strong><br />

– Didaktische und methodische Hilfen<br />

– Hinweise auf typische Schülervorstellungen, Schülerfragen und<br />

Lernschwierigkeiten


2. Luftdruck und Wetter<br />

Warum dieses Thema?<br />

- Lehrplan<br />

- alle Kinder haben bereits Erfahrungen mit Luft gemacht<br />

- starke Neugierde , Motivation<br />

Welche Vorstellungen haben Kinder zu diesem Thema?<br />

- Luft nimmt keinen Platz ein<br />

- Luft ist nur da, wenn der Wind weht<br />

- Luft hat kein Gewicht<br />

- Luft enthält Sauerstoff, ohne Luft kein Leben<br />

- Luft kann etwas bewegen, antreiben, bremsen


2. Luftdruck und Wetter<br />

Kurzbefragung (nur für sich selbst)<br />

Wie funktioniert ein Wandhaken?


2. Luftdruck und Wetter<br />

Wiegt Luft etwas?<br />

- Luft hat Gewicht<br />

- eine wichtige Erkenntnis für den weiteren Unterricht


2. Luftdruck und Wetter<br />

Aufbau der Luftschichten<br />

Wir leben auf dem Grund eines Meeres<br />

aus Luft …


2. Luftdruck und Wetter<br />

Otto von Guericke<br />

- lebte vor ca. 350 Jahren<br />

- war Bürgermeister von Magdeburg<br />

- war begeisterter Naturwissenschaftler<br />

- ging der Frage nach:<br />

Kann es einen Raum ohne Luft<br />

geben?


4. Unterrichtseinheit zu Luftdruck und Wetter<br />

- <strong>1.</strong> Sequenz: Hat Luft Gewicht?<br />

- 2. Sequenz: Das Luftmeer<br />

- 3. Sequenz: Wir entdecken das „Nichts“<br />

- 4. Sequenz: Die Entdeckung des Vacuums durch Otto von Guericke – Die<br />

Magdeburger Halbkugeln<br />

- 5. Sequenz: Die Wirkung des Luftdrucks anhand verschiedener Versuche<br />

erfahren<br />

- 6. Sequenz: Ottos erste Wettervorhersage – das Barometer<br />

- 7. Sequenz: Der Luftdruck verändert sich mit der Höhe


Veränderung in unseren Vorstellungen<br />

Wie funktioniert der Wandhaken?<br />

Vergleich der Vorstellungen Prä-Postkonzepte


Veränderung in unseren Vorstellungen<br />

Was passiert wohl, wenn du diesen Wandhaken hier auf die Platte<br />

drückst?<br />

� vor dem Unterricht � nach dem Unterricht<br />

Ja. .. Das da drinnen keine Luft ist,<br />

und dann saugt sich das so an.<br />

(Felix 2000)<br />

Dann geht da drinnen die Luft raus,<br />

ja, dann bleiben die kleben. Ja,<br />

auch weil das dann so drückt, von<br />

außen, die Luft. (Felix 2000)<br />

Die bleiben kleben! (Aria, prä 2000) Ich glaub, weil wenn man da dran<br />

drückt, kommt die Luft raus und<br />

die äußere Luft drückt das dran.<br />

(Aria, 2000)<br />

Die Luft wird darunter<br />

zusammengedrückt, sozusagen,<br />

deshalb bleibt das genauso kleben<br />

wie das Glas. (Pia 2004)<br />

Weil da wieder keine Luft drunter<br />

ist und die Luft von außen den<br />

herunter drückt. (Pia 2004)


Was verstehen wir unter lernen?<br />

Lernen ist Verändern von Vorstellungen<br />

Falsche Vorstellungen werden als nicht belastbar erkannt und<br />

verändert<br />

• Neue Vorstellungen, Erklärungen und Zusammenhänge werden<br />

entdeckt<br />

• Vorhandene Vorstellungen werden präzisiert, ausdifferenziert, feiner<br />

abgestimmt<br />

• Vorstellungen werden in verschiedenen Situationen angewendet<br />

und<br />

• Vorstellungen werden integriert


Im Unterricht das Verändern von Vorstellungen unterstützen<br />

• Entdeckendes Lernen ermöglichen<br />

• Motivierende Aufgaben und Fragen<br />

• Gemeinsam denken und diskutieren<br />

• Lernmaterialien als Unterstützung<br />

• Anwendungen und sinnvolle Kontexte<br />

• Reflexion fördern<br />

Lernen als Conceptual Change und<br />

konstruktivistische Ansätze als theoretische Basis


Im Unterricht das Verändern von Vorstellungen unterstützen<br />

Solche Lernprozesse …<br />

• fördern Kinder anspruchsvoll<br />

• fördern Kinder in ihrer kognitiven Entwicklung<br />

• entwickeln bei Kindern Interesse für naturwissenschaftliches<br />

Denken<br />

• gleichen vorhandene Erfahrungsdefizite bei Kindern aus<br />

• und verfolgen darüber hinaus auch soziale und affektive Lernziele.


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