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Schaufenster im Wandel - Institut für Kunstpädagogik - Ludwig ...

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<strong>Schaufenster</strong> <strong>im</strong> <strong>Wandel</strong><br />

Das <strong>Schaufenster</strong> und dessen Rolle<br />

als künstlerisches Medium<br />

Bachelorarbeit<br />

<strong>Institut</strong> für Kunstpädagogik<br />

<strong>Ludwig</strong>-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />

betreut von<br />

Dr. Karin Guminski<br />

vorgelegt von<br />

Julia Weiskönig<br />

München, 16. Juni 2011


Erklärung<br />

Hiermit erkläre ich, dass ich die Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer<br />

als den angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe.<br />

__________________________________<br />

2


1. Einleitung ............................................................................................................ 4<br />

2. Das Künstlerschaufenster ................................................................................. 5<br />

2.1 Entwicklung vom klassischen <strong>Schaufenster</strong> hin zum künstlerischen<br />

<strong>Schaufenster</strong> ................................................................................................... 5<br />

2.2 Historische Künstlerschaufenster (1928-1946) ............................................. 11<br />

2.2.1 Kiesler, Frederick .................................................................................... 11<br />

2.2.2 Dali, Salvador ......................................................................................... 14<br />

2.2.3 Warhol, Andy .......................................................................................... 18<br />

2.3 Gegenwärtige Künstlerschaufenster (1997-2010)......................................... 21<br />

2.3.1 Heatherwick, Thomas ............................................................................. 21<br />

2.3.2 Beecroft, Vanessa .................................................................................. 23<br />

2.3.3 Students from Hyper Island .................................................................... 24<br />

2.4 Vergleich historischer und gegenwärtiger Künstlerschaufenster................... 25<br />

2.4.1 Pluralismus der Kunstströmungen .......................................................... 25<br />

2.4.2 Verschmelzung Innen & Außen .............................................................. 26<br />

2.4.3 Verhältnis <strong>Schaufenster</strong> & Rezipient ...................................................... 27<br />

3. Warum gibt es Künstlerschaufenster und haben diese eine Zukunft ....... 29<br />

3.1 Warum gibt es Künstlerschaufenster Wirtschaftspsychologische Aspekte<br />

anhand der Motivationstheorie von Maslow ................................................. 29<br />

3.2 Haben Künstlerschaufenster eine Zukunft .................................................. 31<br />

4. <strong>Schaufenster</strong> der Zukunft ............................................................................... 32<br />

4.1 Vision (1952) und Gegenwart (2011) ............................................................ 32<br />

4.2 <strong>Schaufenster</strong> der Zukunft= Kunst + Eigeninitiative ....................................... 33<br />

5. Fazit ................................................................................................................... 40<br />

Literaturverzeichnis ......................................................................................... 43<br />

Abbildungsnachweis ....................................................................................... 46<br />

3


1. Einleitung<br />

Zu Zeiten von Revolutionen in Nahost, Natur- und Atomkatastrophen, sowie<br />

weltweiter Finanzkrisen, scheint es weit fern sich mit dem Thema<br />

Künstlerschaufenster auseinander setzen zu wollen. Doch spielt Kunst gerade<br />

in Zeiten des Umbruchs und <strong>Wandel</strong>s eine große Rolle. Insbesondere auch<br />

das Künstlerschaufenster dient der Auseinandersetzung mit dem aktuellen<br />

Zeitgeschehen und eröffnet dies einem breiten Publikum.<br />

Man kategorisiert fünf verschiedene <strong>Schaufenster</strong>typen: 1 Sort<strong>im</strong>ents- und<br />

Gemischtfenster, Markenartikelfenster, Stapelfenster, Informationsfenster und<br />

Phantasie-, Ideen- oder Imagefenster. Das Künstlerschaufenster gehört zu<br />

letzterer Gruppe, da hier Waren zu best<strong>im</strong>mten Themen phantasievoll,<br />

künstlerisch und mit besonderen Effekten präsentiert werden. Die Ware an<br />

sich ist hierbei nebensächlich.<br />

Für die vorliegende Arbeit ergibt sich, begründet auf die <strong>im</strong> weiteren Verlauf<br />

vorgestellten Beispiele folgende Definition für Künstlerschaufenster:<br />

Künstlerschaufenster/ Künstlerische <strong>Schaufenster</strong> sind <strong>Schaufenster</strong>, die<br />

entweder von einem schon namhaften freien Künstler oder von einem<br />

<strong>Schaufenster</strong>gestalter, der durch sein Schaffen als Künstler entdeckt wird,<br />

gestaltet werden.<br />

Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die <strong>Schaufenster</strong>geschichte<br />

bis hin zum künstlerischen <strong>Schaufenster</strong> verschaffen. Anhand von<br />

historischen und aktuellen Künstlerbeispielen sollen die Motivationen für<br />

Künstler und Auftraggeber aufgezeigt und Aspekte bezüglich der Entwicklung<br />

<strong>im</strong> Künstlerschaufenster, des Raumbezuges und der Rolle des Rezipienten<br />

1 vgl. Halbhuber, Lothar (1994), S.37<br />

4


verglichen werden. Zudem soll hinterfragt werden, ob und unter welchen<br />

Voraussetzungen Künstlerschaufenster eine Zukunft haben und wie diese<br />

aussehen könnte.<br />

2. Das Künstlerschaufenster<br />

2.1 Entwicklung vom klassischen <strong>Schaufenster</strong> hin zum künstlerischen<br />

<strong>Schaufenster</strong><br />

"<strong>Schaufenster</strong> sind wie Spiegel, die die Gesichter unserer Zeit reflektieren" 2<br />

Berlin/Paris<br />

Die ersten <strong>Schaufenster</strong> entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als es<br />

industriell möglich wurde, Glasscheiben in großer Größe herzustellen. Die<br />

Nachfrage war groß, weil durch größere Scheiben mehr Tageslicht in das<br />

Rauminnere dringen und somit eine hellere und einladendere Atmosphäre <strong>im</strong><br />

Laden entstehen konnte. Zudem bot sich das neue große Fenster gut zur<br />

Warenpräsentation an. Die früher teils als Ablage genutzten <strong>Schaufenster</strong><br />

wiesen nunmehr eine gewisse Ordnung auf und dienten als Werbemittel. Der<br />

Einsatz von Nachtbeleuchtung und indirekten Lichtquellen sowie ein<br />

Schriftzug über der <strong>Schaufenster</strong>front oder auf der Scheibe verbesserten das<br />

ästhetische Bild des Ladens sowohl <strong>im</strong> Innen- als auch <strong>im</strong> Außenbereich. Als<br />

erste ‚Imagekampagne’ diente damals eine Geschäftspostkarte, die meist eine<br />

Abbildung des Ladens mit Besitzer und Angestellten zeigte und deren<br />

Wiederkennungswert be<strong>im</strong> Kunden steigern sollte. Allerdings verlor die<br />

Postkarte in den 20er Jahren wieder an Bedeutung, da ein schneller Wechsel<br />

der Auslagen gefordert war. 3<br />

2 Portas, Mary (2000), S.8<br />

3 vgl. Schleif, Nina (2004), S.32 ff.<br />

5


Abbildung 1: Geschäftspostkarte Korsettatelier Frieda Kühn Berlin, Photographie, Poststempel 12.8.1925.<br />

Der sogenannte "Pariser Stil", welcher die Isolation des Produktes fordert, um<br />

diesem mehr Wertigkeit zu schenken, erfreute sich <strong>im</strong>mer größer werdender<br />

Beliebtheit. Der provinzielle Auslagenstil von früher, der eher einem<br />

Sammelsurium von Waren glich, wurde <strong>im</strong>mer mehr durch einen kleinen,<br />

ausgewählten Auszug des Sort<strong>im</strong>ents abgelöst. Es ging nicht mehr um die<br />

Quantität sondern vielmehr um die Qualität des Warenangebots. 4 In Folge<br />

prägt das <strong>Schaufenster</strong> nunmehr den „ästhetischen Faktor <strong>im</strong> Bild der<br />

modernen Großstadt“ 5 .<br />

4 vgl. High & Low (1990), S.206<br />

5 Schleif, Nina (2004), S.301<br />

6


"Wenn jedes <strong>Schaufenster</strong> Kunst zeigte, wäre keines Kunst." 6<br />

Individualität ist für viele Menschen wichtig und erstrebenswert. Genauso<br />

wenig wie ein Mensch dem Anderen gleichen möchte, sollte kein <strong>Schaufenster</strong><br />

einem anderen entsprechen. Dies soll auch als Versprechen an den Kunden<br />

verstanden werden - hier bekommt / kauft der Kunde Individualität. Die<br />

Ladenbesitzer suchten sich daher ab den 20er Jahren professionelle<br />

Unterstützung bei der <strong>Schaufenster</strong>gestaltung. Es entstand ein eigenständiges<br />

Berufsfeld.<br />

7<br />

Auch der Werkbund entdeckte das <strong>Schaufenster</strong> als<br />

künstlerisches Medium zur Konsumentenerziehung, als einen „Kulturfaktor“ 8 ,<br />

der zu einem wirkungsvollen ästhetischen Einfluss werden könnte.<br />

Außerdem stellten Ladenbesitzer Künstler ein, die ihre <strong>Schaufenster</strong><br />

gestalteten. Diese Idee kam aus Paris, wo es zum französischen ‚Chic’<br />

gehörte, sich als Mekka für Kunst und Mode zu feiern und dieses<br />

künstlerische Wirken auch zu verbinden. 9 So gestaltete Dali sein erstes<br />

<strong>Schaufenster</strong> für Schiparellis Boutique in Paris. Zu sehen war ein pinker,<br />

ausgestopfter Bär mit Schubladen <strong>im</strong> Bauch, bijoux und ein Lippensofa. 10<br />

Die Frage nach der Art der Präsentation von Ware, wurde zu einer wichtigen<br />

Aufgabe derer, die derlei Artikel verkauften und deren wirtschaftlicher Erfolg<br />

vom Verkauf ihrer Produkte abhing. Man beschäftigte sich dezidiert mit der<br />

Ware und versuchte, toten Dingen eine lebendige, verführerische und<br />

einprägsame Attitude einzuverleiben. Diese Auseinandersetzung mit einer<br />

Sache und deren Offenbarung ist ein künstlerischer Prozess, wie er aus dem<br />

Surrealismus bekannt ist. "Die Kunst wird nicht durch ihren Gegenstand<br />

best<strong>im</strong>mt, auch nicht wo oder in welchem Material man sie antrifft, sondern sie<br />

6 Perrault, John (1989), S.112 ((...) if every shop window had an art display in it, none at all<br />

would be art)<br />

7 vgl. Schleif, Nina (2004), S.301<br />

8 Schleif, Nina (2004), S.11<br />

9 vgl. Schleif, Nina (2004), S. 11<br />

10 vgl. Schleif, Nina (2004), S. 175<br />

7


wird best<strong>im</strong>mt durch einen Prozess stets problematischer Urteilsbildung." 11<br />

Der Aspekt, dass eine Ware, durch diesen künstlerischen Prozess einen<br />

künstlerischen Wert zugeschrieben bekommt, bricht mit dem bis dahin<br />

gängigen Kunstverständnis und fordert "Keine Hierarchien der Kunst" 12<br />

Legere. Das künstlerische <strong>Schaufenster</strong>, das diese nun zu Kunst ernannten<br />

Waren präsentiert wird zudem aufgewertet. 13 Die Ausstellung High & Low von<br />

1990/1991 <strong>im</strong> MOMA NY erörtert genau diesen Aspekt der Wertschätzung von<br />

Kunst und <strong>Schaufenster</strong> und hinterfragt, wieso alles Mittlere auch gleich<br />

mittelmäßig sein muss. Es wird eine Entzauberung der Kunst ‚High‘ und eine<br />

Aufwertung des <strong>Schaufenster</strong>s ‚Low‘ vorgenommen, um die Wichtigkeit des<br />

künstlerischen Beitrags von <strong>Schaufenster</strong>n aufzuzeigen. Dieser besteht darin,<br />

dass künstlerische <strong>Schaufenster</strong> zum Austausch anregen und daraufhin<br />

radikale Folgen für die Kunst haben können. 14<br />

Jedoch führte der wirtschaftliche und politische Druck in den 30er Jahren zu<br />

einem propagandistischen Missbrauch der <strong>Schaufenster</strong>. Europäische<br />

Künstler wanderten nach Amerika aus und gingen dort ihrer Kunst und der<br />

Kunst <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> nach. 15<br />

USA<br />

Die erste Blütezeit von <strong>Schaufenster</strong>n erlebte Amerika 1925 durch die Pariser<br />

Kunstgewerbeausstellung. Diese vermittelte, damals noch <strong>im</strong> gängigen<br />

Kunststil des Art Deco, dass die Ästhetik in der Wirtschaft erstrebenswert ist.<br />

Allerdings weckte sie auch eine Technikeuphorie und den Willen, eine neue<br />

Kunst des Maschinenzeitalters zu erschaffen. Auf den Vorstellungen des<br />

11 High & Low (1990), S.207<br />

12 High & Low (1990), S. 209<br />

13 vgl. High & Low (1990), S.206 f.<br />

14 vgl. Schleif, Nina (2004), S.28<br />

15 vgl. Schleif, Nina (2004), S.302<br />

8


Werkbundes vertrat die Künstlergruppe AUDAC, von Amerikanern und<br />

<strong>im</strong>migrierten Europäern gegründet, Funktionalität. Die <strong>Schaufenster</strong>gestaltung<br />

der Gruppe basierte auf einem funktionalen Setzkastensystem, was eine<br />

Vielzahl an Variationen ermöglichte. 16<br />

Aufgrund der besseren Ausrüstung und des großzügigeren Budgets<br />

überließen Ende der 20er Jahre Museen vermehrt den Warenhäusern die<br />

Führungsposition in kultureller Hinsicht. <strong>Schaufenster</strong> wurden zum<br />

Kulturfaktor. Sie wurden zu dem Ort, an welchem man Neuerungen in der<br />

Kunst zuerst begegnete. 17 Der Surrealismus regierte und „unterwanderte die<br />

Logik der Realität mit dem Chaos des Unterbewusstseins“ 18 . Das Unterbewusstsein<br />

steht für den Traum bzw. die Illusion, weshalb das <strong>Schaufenster</strong><br />

die ideale Bühne für fließende Traumlandschaften alla Dali bot.<br />

Die zweite Blütezeit ereignete sich in den 50er Jahren. Jedes größere<br />

Kaufhaus unterhielt einen eigenen, namhaften Display Manager. Gene Moore,<br />

Display Manager bei Tiffany´s und Bonwit Teller bot jungen Künstlern die<br />

Möglichkeit, seine <strong>Schaufenster</strong> mitzugestalten und einmal jährlich ihre<br />

Kunstwerke <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> auszustellen. 19 Es handelte sich somit um eine<br />

enorme Chance für noch nicht etablierte, junge Künstler und stellte gleichzeitig<br />

eine inspirierende Hilfe für eigene <strong>Schaufenster</strong>gestaltungen dar. Die<br />

Ansprüche an die <strong>Schaufenster</strong>gestaltung waren aufgrund der großen<br />

Konkurrenz enorm hoch, <strong>Schaufenster</strong> durften nicht mehr nur unterhalten,<br />

sondern mussten tiefer zum Kunden vordringen. "Die Auslagengestaltung ist<br />

eine Sprache aus Symbolen, Zeichen, Allegorien, die das Wort für das Objekt<br />

vernachlässigt (...), was für die grundlegende Handlung des Anzeigens<br />

16 vgl. Schleif, Nina (2004), S.239 f.<br />

17 vgl. Schleif, Nina (2004), S.304<br />

18 Portas, Mary (2000), S.8<br />

19 vgl. Schleif, Nina (2004), S.304<br />

9


(Indication) geschieht." 20 Damit verlor die Ware an und für sich an Bedeutung;<br />

ein Symbol für die Ware war oftmals kräftiger, als die Ware selbst. 21 Die<br />

Annäherung zwischen Kunst und Kommerz erreichte einen Höhepunkt mit der<br />

Pop Art. Die Außenwelt des Künstlers wird zum künstlerischen Gegenstand<br />

und ikonisierte Banales, wie z.B. Campbell's Soup Cans, Warhol 1962. Diese<br />

Kunst war nicht mehr nur für elitäre Schichten zugänglich, die über<br />

entsprechende Bildung verfügten, sondern für jeden verständlich. 22<br />

Seit den 80er Jahren ist der Unterschied zwischen Kunst und Werbung <strong>im</strong>mer<br />

weniger auszumachen, da sich zum einen die Werbung Aspekte der<br />

ästhetischen, bildnerischen Gestaltung der Kunst zu eigen machte und zum<br />

anderen die Kunst sich Werkzeuge und Techniken der Werbung aneignete.<br />

Zudem arbeiteten Künstler wie Andy Warhol parallel zum freien künstlerischen<br />

Schaffen auch in der Wirtschaft und Kreative, wie Michael Schirner, ernennen<br />

sich plötzlich selbst zu Künstlern. 23<br />

Auszug des Interviews aus dem FAZ- Magazin, 29.5.1987 von Sebastian Turner 24<br />

S.T.: Warum ist Werbung Kunst, Herr Schirner<br />

M.S.: Weil ich sie dazu erklärt habe. Die Werbung hat heute die Funktion übernommen, die<br />

früher die Kunst hatte: die Vermittlung ästhetischer Inhalte ins alltägliche Leben. Diese<br />

Funktion hat die moderne Kunst nicht mehr. Sie findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

statt. Die massenkulturellen Ausdrucksformen, wie Werbung, Pop-Musik oder Mode sind an<br />

die Stellen der früheren Kunst getreten.<br />

Ohne diese Verschmelzung von Kunst und Werbung gäbe es heute nicht die<br />

Kunst eines Jeff Koons, der banale Zeugnisse der Konsumkultur aufgreift und<br />

20 Buckley, J<strong>im</strong> (1953), S.18 (Display is a language of symbols, signs and allegories, dismissing<br />

the word fort the object as far as it is usefull to do so, prompted by the general activity of<br />

indication. This is the fattest noun behind the display scene.)<br />

21 vgl. Schleif, Nina (2004), S.299<br />

22 vgl. Arens, Daniela (2001), S. 145<br />

23 vgl. Willems, Herbert (2002) S.107<br />

24 Schirner, Michael (1991), S.12<br />

10


diese in „monumentale Elegien auf Geschmack und Elitarismus“ 25 verwandelt,<br />

noch die eines Richard Prince, welcher Anzeigen aus Zeitschriften für den<br />

Massenmarkt herausreißt, abfotografiert und als seine Kunst ausstellt. 26<br />

2.2 Historische Künstlerschaufenster (1928-1946)<br />

2.2.1 Kiesler, Frederick<br />

Im Gegensatz zum Art Deco, welcher damals noch den Gestaltungsstil prägte<br />

und eher der Dekoration von Dingen diente, war das Hauptziel des<br />

Werkbundes die Verbindung von Kunst und Funktionalität. Kiesler, der<br />

moderne Kunst als wichtigsten Bezugspunkt befand, widmete 1930 ein<br />

ganzes Buch dem Verhältnis von Kunst und <strong>Schaufenster</strong>, indem er einzelne<br />

Elemente des <strong>Schaufenster</strong>s <strong>im</strong> Detail behandelte und unter anderem auch<br />

die Architektur der Ladenfront berücksichtigte. Das Buch beinhaltet zudem<br />

Beispiele, Entwurfsskizzen, Vorschläge und Warnungen in Bezug auf<br />

<strong>Schaufenster</strong>gestaltungen. Das Werk, welches an frühere Künstlermanifeste<br />

erinnert, ist ein Statusbericht der modernen Kunst der frühen 30er Jahre und<br />

plädiert für eine Überwindung der Mauern zwischen hoher und niedriger<br />

Kunst. 27 Wichtig war Kiesler der Nutzen seiner Gestaltungsvorschläge, die<br />

Funktionalität stand bei ihm <strong>im</strong> Vordergrund. So sollten seine Entwürfe nicht<br />

nur zur künstlerischen Präsentation der Ware dienen, sondern auch vielseitig<br />

einsetzbar sein. Dies löste er in einer ersten ausführlichen Präsentation<br />

moderner <strong>Schaufenster</strong> mit einer Art Setzkastensystem, welches <strong>im</strong><br />

Folgenden näher beschrieben wird.<br />

25 Grosenick, Uta (2008), S.142<br />

26 vgl. Grosenick, Uta (2008), S.254<br />

27 vgl. Schleif, Nina (2004), S.285<br />

11


Abbildung 2: Kiesler, Frederick: <strong>Schaufenster</strong>rückwand,<br />

Kinderanzug und Schwan.<br />

Abbildung 3: Kiesler, Frederick: <strong>Schaufenster</strong>rückwand,<br />

Kinderbekleidung mit Elefanten.<br />

14 <strong>Schaufenster</strong> 1928 für Saks & Company, NY<br />

Die Rückwände des <strong>Schaufenster</strong>s unterteilte Kiesler in unterschiedlich große<br />

geometrische Grundformen. Die daraus resultierenden Flächen heben sich<br />

voneinander farblich und haptisch ab. Als Materialien nutzte Kiesler Leder,<br />

Aluminium und mattes Glas. Aus der Materialität heraus erhoffte er sich einen<br />

"dynamischen Effekt", der durch "einen aus der kraftvollen Kombination von<br />

klaren Formen und ganz flachen Oberflächen hervorgehenden grundlegenden<br />

Kontrast" 28 erreicht werde. Für die farbliche Gestaltung verwand er die Farben<br />

Blau, Grün, Grau und Rot, welche den beschriebenen Kontrast verstärkten<br />

und zugleich die Hausfarben der Firma Saks - nämlich Schwarz, Weiß und<br />

Rot - integrierte. Die auf die Rückwand aufgesetzten Fächer für die Ware<br />

waren entweder rechteckig oder kreisförmig und <strong>im</strong>plizierten be<strong>im</strong> Betrachter<br />

Dynamik. Zudem war es möglich, die aufgesetzten Fächer zu entfernen und<br />

durch kleine Verschiebungen oder Drehungen der Rückwand neue<br />

Kompositionen zu generieren. Außerdem waren die Farben, Formen und<br />

28 Kiesler, Frederick (1930), S.23 ((...) dynamic effect (....) vigorous juxtaposition of highly<br />

modelled forms and purely flat surfaces creates such a basic contrast (...))<br />

12


Materialien beliebig austauschbar. Die Rückwand selbst diente nicht nur für<br />

das <strong>Schaufenster</strong>, sondern auch als Auslagengestell für den Ladeninnenraum.<br />

Ein aus der Rückwand ausziehbarer Tisch ermöglichte weitere Variationen <strong>im</strong><br />

<strong>Schaufenster</strong>raum. Die Funktionalität eines Setzkastensystems war Grundlage<br />

für die Wand. Eine tiefe Auseinandersetzung mit dem <strong>Schaufenster</strong> und<br />

dessen Bedürfnissen für eine opt<strong>im</strong>ale Präsentation der Ware gehen aus<br />

diesem Gestaltungsprinzip hervor. 29 Zudem kommt hier sowohl der bildhafte,<br />

künstlerische Aspekt, als auch der funktionale, anwendungsorientierte Aspekt<br />

der Vorstellung von Kunst des Werkbundes zum Ausdruck. Die verschiedenen<br />

Kunstgenres Design, Malerei, Architektur und Bühnenbild, die in Kieslers<br />

<strong>Schaufenster</strong>gestaltung einfließen, sind offensichtlich. So sieht man den<br />

Einfluss der niederländischen Künstlergruppe De Stijl, die sich der<br />

geometrisch-abstrakten Kunst und Architektur zuschrieben und Wert auf<br />

Funktionalität legten. Ihre Konzepte wirkten in bildender Kunst, Architektur und<br />

<strong>im</strong> Design von Möbeln und anderen Gebrauchsgegenständen. 30<br />

Durch seine Arbeit für Saks sprach Kiesler einen kleinen Kreis von Künstlern<br />

und Kennern an, die seinen künstlerischen Anspruch erkannten, trotz des<br />

vorherrschenden Art Deco, und dies als Ermutigung eines neuen Stils<br />

nahmen. Somit leistete Kiesler Vorarbeit für das "MOMA" Museum of modern<br />

art, NY, welches den Schwerpunkt der Sammlung auf Kunst der Avantgarde<br />

legte. Er setzte folglich den Grundstein für die Akzeptanz der emigrierten<br />

Bauhausarchitekten. 31<br />

Kiesler nahm bis Ende der 40er Jahre Aufträge <strong>im</strong> Bereich <strong>Schaufenster</strong> an<br />

und arrangierte sich mit der Tatsache, künstlerische Kompromisse mit dem<br />

Auftraggeber eingehen zu müssen. Neben seiner Architektur, Bühnenbildnerei,<br />

dem Möbeldesign, der Malerei und der Skulptur war das Schauenster<br />

ein weiteres Medium für sein künstlerisches Schaffen. Mit seiner<br />

<strong>Schaufenster</strong>kunst wollte Kiesler die enge Zusammenarbeit zwischen<br />

29 vgl. Schleif, Nina (2004), S.156 ff.<br />

30 vgl. Hauffe, Thomas (2002), 70 ff.<br />

31 vgl. Schleif, Nina (2004), S.165<br />

13


Öffentlichkeit, Künstler und Industrie vorantreiben und hohe und niedrige<br />

Kunst zusammenführen. 32<br />

2.2.2 Dali, Salvador<br />

In den 30er Jahren hielt der Surrealismus in auf Formensprache reduzierter<br />

Form Einzug in die <strong>Schaufenster</strong> der New Yorker Warenhäuser. Er galt damit,<br />

ähnlich wie Comics, vorwiegend zur Unterhaltung. Dali, der als einer der<br />

ersten Vertreter des Surrealismus nach New York <strong>im</strong>migrierte, war zwar<br />

vertraut mit dem philosophischen Ursprung des Surrealismus, beschränkte<br />

sich aber bei seinen ersten Aufträgen auf diese ‚oberflächliche’ Form des<br />

Surrealismus. 33 Die Faszination bestand für ihn darin, Gegenstände durch die<br />

Präsentation <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> zu begehrenswerten Objekten zu verwandeln.<br />

Dieses Erweckungserlebnis, durch die Offenbarung einer Sache, wurde von<br />

vielen Künstlern des Surrealismus am <strong>Schaufenster</strong> festgemacht. 34 Zudem<br />

zählen zu den wichtigsten Motiven des Surrealismus das Fenster, das<br />

Mannequin und die Mode - ein weiterer Grund, weshalb das <strong>Schaufenster</strong><br />

prädestiniert war als künstlerisches Medium für Surrealisten. Das Motiv des<br />

Fensters wurde <strong>im</strong> Ersten Surrealistischen Manifest (1924) von Andre Breton<br />

beleuchtet, welcher das Auftauchen eines unbewussten Bildes beschreibt und<br />

diesen Vorgang mit der Metapher: "ein Satz, möchte ich sagen, der ans<br />

Fenster klopfte" 35 umschreibt. Das Auftauchen des Fensters bezeichnet die<br />

Trennung von Bewusstsein und Unbewusstem, welches sich auch mit Bretons<br />

Beschreibung vom Akt des Sehens erklären lässt. Er setzt den Blick durch ein<br />

Fenster dem Blick in ein Gemälde gleich. So wird bei beiden nicht nur ein<br />

Anblicken, sondern auch ein Hindurchblicken angestrebt, was folglich zu<br />

einem inneren Bild führt, dem Imaginationsraum. 36<br />

32 vgl. Kiesler, Frederick (1930), S.7<br />

33 vgl. Schleif, Nina (2004), S.168 ff.<br />

34 vgl. High & Low (1990), S.208<br />

35 Schleif, Nina (2004), S.170<br />

36 vgl. Schleif, Nina (2004), S.171<br />

14


2 <strong>Schaufenster</strong> für Bonwit Teller, 1939 NY<br />

Dalis zweiter <strong>Schaufenster</strong>auftrag für Bonwit Teller war der erste Vorstoß, das<br />

Problem aufzuzeigen, welches in der <strong>Schaufenster</strong>kunst unumgänglich<br />

scheint. Es handelt sich um die problematische Vereinbarkeit von Kunst und<br />

Kommerz. Allerdings blieb dieser Vorstoß weitestgehend unentdeckt, weil<br />

Dalis Hang zu Skandalen und Selbstinszenierung dem <strong>Schaufenster</strong> die Show<br />

stahl. In den 30er Jahren hatten die Amerikaner, <strong>im</strong> Vergleich zu den<br />

Europäern, ein sehr pragmatisches Verhältnis zum Surrealismus. Der auf<br />

seine Formensprache reduzierte Surrealismus wurde den Amerikanern<br />

ähnlich wie das Art Deco über Magazine, Werbeanzeigen oder Modeartikel<br />

nahegebracht, weshalb sie diesen eher als Unterhaltungsfaktor wahrnahmen.<br />

Hatte sich Dali in seinem ersten <strong>Schaufenster</strong>auftrag für Bonwit Teller noch<br />

am Unterhaltungsfaktor orientiert, so versuchte er nun mit Hilfe seiner<br />

<strong>Schaufenster</strong> die Zuschauer mit ihrer Haltung zu konfrontieren.<br />

Die beiden <strong>Schaufenster</strong> mit den Titeln ‚Tag‘ und ‚Nacht‘ zeigen Analogien<br />

auf. Da es leider kein Bildmaterial in der ursprünglichen Fassung der<br />

<strong>Schaufenster</strong> gibt, folgt eine ausführliche Beschreibung.<br />

Das Tag-Fenster greift den Narziss-Mythos auf, welchen Dali auch schon in<br />

gleichnamigen Gemälden und Gedichten behandelt hatte. Nach Dali war es<br />

wie folgt gestaltet: Hier: "stieg eine dieser Puppen in eine mit Lammfell<br />

ausgeschlagene `haarige Badewanne`, die bis zum Rand mit Wasser gefüllt<br />

war. Zwei wunderschöne, einen Spiegel hochhaltende Wachsarme ließen an<br />

den Narziss-Mythos denken; direkt aus dem Boden des Schlafz<strong>im</strong>mers und<br />

aus dem Mobiliar wuchsen richtige Narzissen" 37 . Zudem befanden sich <strong>im</strong><br />

Wasser der Badewanne Narzissen, Spiegel an der gepolsterten, lilafarbenen<br />

Satin- Rückwand, die mit einem Pfauenfedermantel bekleidete Puppe hatte<br />

rosa Federn in ihrem langen Haar.<br />

Das Nacht-<strong>Schaufenster</strong> war nach Dali wie folgt ausgestattet: "Die Nacht<br />

wurde durch ein Bett symbolisiert, dessen Kopfteil aus einem schläfrigen<br />

37 Dali, Salvador (1942), S. 458f.<br />

15


schwarzen Kopf eines Büffels, der eine blutige Taube <strong>im</strong> Maul hielt, bestand;<br />

die Füße des Bettes waren die vier Hufe des Büffels. Die schwarzen Satin-<br />

Bettlaken wiesen Brandlöcher auf, durch die man künstliche brennende<br />

Kohlen sehen konnte. Das Kissen, auf dem die Puppe ihren verträumten Kopf<br />

ruhen ließ, bestand vollständig aus heißen Kohlen. Neben dem Bett saß das<br />

Phantom des Schlafes, <strong>im</strong> metaphysischen Stil de Chiricos gestaltet." 38<br />

Zudem war die lilafarbene Satin- Rückwand mit darauf angebrachten<br />

Handspiegeln aufgeschlagen, durch welche die Fenster nicht nur thematisch,<br />

sondern auch optisch zusammengehörten. 39<br />

Das <strong>Schaufenster</strong> erreichte in dieser ursprünglichen Form nie die Öffentlichkeit.<br />

Abbildung 4: Dali, Salvador: <strong>Schaufenster</strong>gestaltung ‚Nacht‘ (nach Änderung).<br />

Das Warenhaus nahm über Nacht grundlegende Veränderungen am Schauenster<br />

vor, so dass Dalis Grundgedanke nicht mehr nachzuvollziehen war. So<br />

sieht man auf der Fotografie des Nacht-Fensters nach der Veränderung, dass<br />

38 Dali, Salvador (1942), S. 459f.<br />

39 vgl. Schleif, Nina(2004), S.178f.<br />

16


sowohl das schlafende Mannequin, als auch das Bett entfernt worden waren<br />

und stattdessen nun ein <strong>im</strong> Vordergrund stehendes Mannequin und einige<br />

Narzissen am Boden ersetzten. Zudem scheint das Phantom des Schlafes an<br />

der Rückwand zu hängen, sein Kopf neben ihm schwebend. Auch <strong>im</strong> Tag-<br />

Fenster wurde die alte <strong>Schaufenster</strong>puppe durch eine aktuelle, modisch<br />

gekleidete Puppe ausgetauscht. 40<br />

Dalis <strong>Schaufenster</strong> in seiner ursprünglichen Form diente offensichtlich nicht<br />

mehr der reinen Unterhaltung. Dali war sich dessen bewusst, dass seine<br />

<strong>Schaufenster</strong> auch nicht mehr den werbepsychologischen Anforderungen<br />

dienten. Denn durch seine verstörenden, morbiden und veralteten Elemente<br />

<strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> weckte er keinerlei Begierde sondern negierte sie vielmehr.<br />

Die allgemeine verkaufsfördernde Wirkung wurde seinem <strong>Schaufenster</strong> somit<br />

abgesprochen, denn sie unterlag nicht den Kriterien zeitgenössischer<br />

Werbefachleute und deren Vorgaben an ‚kommerzielle’ Gestalter. Mit seiner<br />

Gestaltung unterlief Dali diese Vorstellungen und stellte sie öffentlich in Frage.<br />

Er forderte folglich eine Unterscheidung vom kommerziellen <strong>Schaufenster</strong> zum<br />

künstlerischen <strong>Schaufenster</strong>, für das andere Kriterien gelten sollten. 41 Als Dali<br />

die Veränderungen an seinen <strong>Schaufenster</strong>n entdeckte, forderte er die<br />

sofortige Entfernung des von ihm Geschaffenen. Er wollte nicht, dass diese<br />

abgewandelten Fenster weiter mit seinem Namen verknüpft wurden. Nachdem<br />

dies nicht geschah, stürmte Dali ins <strong>Schaufenster</strong>, stürzte die Badewanne um,<br />

welche dabei durchs <strong>Schaufenster</strong> schlug. Dali erkannte den Reiz des<br />

Augenblicks und nutzte diesen zur Selbstinszenierung, indem auch er durch<br />

das <strong>Schaufenster</strong> sprang. Dali wurde daraufhin verhaftet und einem Richter<br />

vorgeführt. Dieser entschied, "jeder Künstler habe das Recht sein ‚Werk’ bis<br />

zum Äußersten zu verteidigen", 42 womit das Künstlerschaufenster nun auch<br />

rechtlich zum Kunstwerk erklärt wurde.<br />

40 vgl. Schleif, Nina (2004), S.179<br />

41 vgl. Schleif, Nina (2004), S.181f.<br />

42 Dali, Salvador (1942), S.465<br />

17


2.2.3 Warhol, Andy<br />

„Alle Kaufhäuser werden zu Museen und<br />

alle Museen werden zu Kaufhäusern.“<br />

Andy Warhol 43<br />

Im Gegensatz zu Kiesler und Dali hatte Warhol bereits seinen eigenen<br />

kommerziellen Stil gefunden. Er machte keinen Unterschied zwischen<br />

<strong>Schaufenster</strong>kunst und seiner freien Kunst. Zudem wurde Warhol dem<br />

Anspruch der amerikanischen Gesellschaft nach Nutzen in der Kunst gerecht,<br />

indem er sowohl als kommerzieller Künstler erfolgreich in der Werbeindustrie<br />

tätig war, als auch als reiner Künstler weltweit einen Namen hatte. 44 Doch<br />

dieser Erfolg erschien den konservativen Amerikanern in den 70er & 80er<br />

Jahren nicht mehr erstrebenswert. Warhol war ein geschätzter Künstler, aber<br />

auch ein erfolgreicher Geschäftsmann mit einem millionenschweren<br />

Firmen<strong>im</strong>perium und dies st<strong>im</strong>mte nun nicht mehr mit den Idealvorstellungen<br />

der Konservativen überein. Die Auffassung von hoher und niedriger Kunst<br />

konnte spätestens anhand von Warhol nicht mehr aufrechterhalten werden. 45<br />

Als Warhol 1954 <strong>im</strong> Auftrag von Displaymanager Gene Moore eine Serie für<br />

Parfumschaufenster entwickelte, hatte dieser sich schon einen Namen durch<br />

seine Anzeigen- Illustrationen gemacht, unter anderem für Coca Cola. Moore<br />

erhoffte sich ebenso ungewöhnliche Ideen für das Kaufhaus Bonwit Teller, wie<br />

er sie in Warhols Illustration sah. Warhol schuf zwei Serien, wobei er<br />

besonders bei der zweiten Serie künstlerische Freiheit genoss.<br />

43 Portas, Mary (2000), S.14<br />

44 vgl. Schleif, Nina (2004), S.221<br />

45 vgl. Schleif, Nina (2004), S.221f.<br />

18


Abbildung 5: Warhol, Andy: <strong>Schaufenster</strong>ausstattung ‚ Pot Pourri ‘ (2. Serie).<br />

Abbildung 6: Warhol, Andy: <strong>Schaufenster</strong>ausstattung ‚Replique‘ (2. Serie).<br />

19


6 Parfumschaufenster für Bonwit Teller (2. Serie), 1955 NY<br />

Da Parfum selbst eine Komposition verschiedener Phantasien ist, war die<br />

Grundlage geschaffen auch <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> auf die Phantasie abzuzielen.<br />

Warhols Aufgabe bestand darin, eine <strong>im</strong>aginäre Welt für jedes der sechs<br />

Parfüme zu schaffen und diese <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> zu visualisieren. Vorgabe<br />

waren Lattenzäune aus Holz, die unterschiedlich große Aussparungen für die<br />

verschiedenen Parfumflacons besaßen. Ähnlich, wie bei Großbaustellen hatte<br />

der Passant hier die Möglichkeit, durch die Ritzen des Zauns in den<br />

<strong>Schaufenster</strong>raum zu blinzeln. Gene Moore wollte hiermit die Neugier der<br />

Passanten wecken und verstand es zudem, gewitzt darauf aufmerksam zu<br />

machen, dass es ein Unding ist, in der Fifth Avenue tagsüber den Umbau<br />

eines <strong>Schaufenster</strong>s vorzunehmen. Warhol gestaltete die Oberfläche des<br />

Zauns beider Serien. Aus der zweiten Serie sind zwei Zäune veröffentlicht,<br />

diese tragen die Titel ‚Bonwits loves Replique’ und ‚Bonwits loves Pot<br />

Pourri’ 46 , welche zudem jeweils <strong>im</strong> oberen Drittel des Zauns in einer Schrift,<br />

die an die Beschriftung von Frachtkisten erinnert, angebracht wurde. Die<br />

Bretter des Zauns werden somit als die Versandverpackung des Parfums<br />

interpretiert. Auf dem Zaun für Pot Pourri sind außerdem Schmetterlinge,<br />

Blumen und ein Medaillon mit einem nackten Männlein mit Flügeln, das einem<br />

geflügelten weiblichen Wesen eine Blume übergibt. Es befinden sich auch<br />

noch weitere dieser Figuren allein oder paarweise auf dem Zaun. Die Figuren<br />

erinnern an frühere Wesen in dem Buch ‚In the Bottom of My Garden’ Warhol,<br />

1955. Die meisten Abbildungen darin zeigten erotische, verfängliche<br />

Konstellationen zwischen geflügelten Wesen von unklarem Geschlecht.<br />

Jedoch sind diese Wesen nicht das zentrale Motiv des Zauns, vielmehr<br />

handelt es sich um ein ‚Bekritzeln’ des Zauns mit Herzen, Engeln, Gesichtern,<br />

Blumen, Lippen, Schmetterlingen und scheinbar wahllos gesuchten Wörtern<br />

und Zahlen.<br />

Auf dem Zaun für ‚Replique‘ ist eine nackte, üppige Frau mit gelben Locken zu<br />

46 vgl. Schleif, Nina (2004), S.223ff.<br />

20


sehen. Sie hält einen auf seine geometrische Grundform reduzierten Kasten,<br />

in dem die Nischen für die Flacons eingelassen sind. Aus ihrem Mund<br />

kommen Zeichen, die andeuten, dass Sie ‚Replique‘ sagt. Zudem ist ein<br />

Gesicht zu ihren Füßen, das den Betrachter direkt anschaut und ‚Hi’ zu sagen<br />

scheint. Im rechten Bereich des <strong>Schaufenster</strong>s ist eine Hand zu sehen, die<br />

einen Spiegel hält, in dem erneut ein Frauengesicht zu sehen ist. Außerdem<br />

ist in der Mitte des Zauns ein kleiner Mann, auf ein Herz gestützt, mit den<br />

Beinen in der Luft liegend zu sehen. Zwei Putten, welche ein Herz einrahmen,<br />

zeigen das Thema des Zaunes an. Herzen in allen Größen und das Wort ‚love’<br />

unterstreichen das Thema nochmals. 47<br />

Der Zaun mit seinen Graffiti Motiven und Schriftzügen griff die in den 50er<br />

Jahren aufkommende Vorliebe New Yorker Künstler für Graffitis auf, z.B.<br />

Twombly. Zudem ließen die Graffitis die Flacons durch den starken Kontrast<br />

noch kostbarer erscheinen. Warhol hatte die grundlegende Aufgabe von<br />

Auslagen und Anzeigen erkannt und glorifizierte die Gegenstände, die andere<br />

geschaffen hatten. Diese Gabe hatte er sich allerdings schon vorher<br />

angeeignet, als er Werbeanzeigen für z.B. Coca Cola, Popeye und Superman<br />

gestaltete. Warhol überließ dem Betrachter/ Käufer die Entscheidung, in<br />

welchem Verhältnis er zu der Auslage steht. Für den Einen war es nur eine<br />

Ware, für den Anderen Kunst. Er trägt somit zur „Revision der Kategorien“ 48<br />

bei.<br />

2.3 Gegenwärtige Künstlerschaufenster (1997-2010)<br />

2.3.1 Heatherwick, Thomas<br />

<strong>Schaufenster</strong> für Harvey Nichols, 1997 London<br />

Thomas Heatherwick gründete 1994 das Heatherwick Studio, das außergewöhnliche<br />

Projekte in den Bereichen Architektur, Städtische Infrastruktur,<br />

47 vgl. Schleif, Nina (2004), S.225ff.<br />

48 Schleif, Nina (2004), S.222<br />

21


Skulpturen, Möbeldesign, sowie Produktdesign, Model-Bau, Herstellung,<br />

Landschaftsgestaltung, freie Kunst und Kuration umsetzt. 1997 entstand die<br />

Installation ‚Autumn Intrusion‘ <strong>im</strong> Auftrag von Harvey Nichols, um die<br />

Londoner Fashion Week zu zelebrieren. Heatherwick nahm das Gebäude von<br />

1880 und dessen 12 <strong>Schaufenster</strong> als Ganzes wahr, so dass eine 200 Meter<br />

lange Installation entstand. 49 Diese Holzskulptur bindet und schlängelt sich um<br />

das gesamte Gebäude, als wäre es lebendig und bricht durch die Fensterscheiben<br />

in die Auslage. 50 Die Installation n<strong>im</strong>mt das Gebäude und den<br />

Straßenraum ein, so dass sich der Passant dem Ausmaß und der Wirkung der<br />

Installation nicht entziehen kann.<br />

Abbildung 7: Heatherwick, Thomas (1997): Autumn Intrusion, für Harvey Nichols.<br />

49 Quelle: http://www.heatherwick.com/autumn-intrusion/ (8. Juni 2011)<br />

50 vgl. Portas, Mary (2000), S.19<br />

22


2.3.2 Beecroft, Vanessa<br />

<strong>Schaufenster</strong> für Louis Vuitton, 2005 Paris<br />

Vanessa Beecroft ist eine Performance Künstlerin und erschafft Tableaux<br />

Vivants, lebende Bilder. 51 In ihren Performances spielen meistens dutzende<br />

nackte oder spärlich bekleidete Frauen die Hauptrolle. Sie konfrontiert in ihren<br />

Performances den Betrachter mit der Gewalttätigkeit des Blicks. 52<br />

Bei der Performance für Louis Vuitton wurden 30 Models mit weißer oder<br />

dunkler Hautfarbe auf einem Regal, einer Rotunde zwischen Koffern und<br />

Taschen platziert. Diese saßen dort 3 Stunden nackt, nur in Strumpfhosen und<br />

Schnürsandalen gekleidet. 53 Die Modelle folgen der Anweisung: "Sprich nicht,<br />

lache nicht, keine Blickkontakte. Steh gerade so lange du kannst, bewege dich<br />

so wenig wie möglich. Musst du dich setzen oder hinlegen, dann nie<br />

gleichzeitig mit einem anderen Mädchen auf der Bühne." 54 Die Modelle sollen<br />

ein Gesamtbild ergeben, das gesellschaftliche Codes widerspiegelt: Schlankheitsideale,<br />

Schönheitsnormen, in denen wir gefangen sind. Der Betrachter<br />

wird mit diesem lebendigen Bild der Macht und Ohnmacht, dem Voyeurismus<br />

und der Scham, nicht nur mit dem Modell, sondern auch mit sich selbst<br />

konfrontiert.<br />

Die Auslage ist lebendig und durch ihre Echtheit ‚aggressiv‘. Der Betrachter<br />

kann sich der Performance nicht entziehen, denn er ist Teil der Performance.<br />

Nicht er allein beobachtet, sondern er wird auch beobachtet.<br />

51 Quelle: http://www.stern.de/lifestyle/leute/vanessa-beecroft-vuitton-und-die-nackten-frauen-<br />

572999.html ( 15.06.2011, 11:17 Uhr)<br />

52 Quelle: http://www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-<strong>im</strong>-bau-steht-still-lacht-nicht-1.420425<br />

(15.06.2011, 11:23 Uhr)<br />

53 Quelle:http://www.faz.net/s/RubBC09F7BF72A2405A96718ECBFB68FBFE/Doc~E6322DE7<br />

FA819442F93A60D7078913420~ATpl~Ecommon~Scontent.html (15.06.2011, 11:25 Uhr)<br />

54 Quelle: http://www.sueddeutsche.de/kultur/vanessa-beecroft-ueber-obsessionen- ich-mages-<br />

benutzt-zu-werden-1.422071-2 (15.06.2011, 11:31 Uhr)<br />

23


Abbildung 8: Beecroft, Vanessa (2005): LVMH, vb56.607_08A.vb und vb56.618_08A.vb, für Louis Vuitton, Paris<br />

France.<br />

2.3.3 Students from Hyper Island<br />

<strong>Schaufenster</strong> für WESC, 2010<br />

Ein Projekt von Hyper Island <strong>im</strong> Bereich Advanced User Interface Design. Ein<br />

Team von 5 Studenten entwickelte ein interaktives <strong>Schaufenster</strong> für die Marke<br />

WESC. Das Konzept beruht darauf, dass vorbeilaufende Passanten die<br />

Bewegung der Person <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> steuern können. Eine Infrarot- Kamera<br />

misst die Bewegung der Person vor dem <strong>Schaufenster</strong> und gibt weiter, ob und<br />

wie schnell sich der Passant bewegt. Dies hat direkten Einfluss auf den<br />

Bewegungsablauf der projizierten Person <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong>. Der Passant hat<br />

demnach Einfluss auf das <strong>Schaufenster</strong>, auch wenn er nur daran vorbei geht.<br />

Er kann sich diesem Einfluss nicht entziehen. 55<br />

55 Quelle: http://gustafengstrom.se/#909529/Interactive-Window (14.06.2011, 17:22Uhr)<br />

24


Abbildung 9: Hyper Island für WeSC.<br />

2.4 Vergleich historischer und gegenwärtiger Künstlerschaufenster<br />

2.4.1 Pluralismus der Kunstströmungen<br />

Begründet auf den vorangehenden Beispielen von Künstlerschaufenstern<br />

setzt sich der Pluralismus an Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts analog<br />

zur Kunst <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> fort. Jedoch gibt es heute noch eine Vielzahl mehr<br />

an Kunstströmungen <strong>im</strong> Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, da<br />

ab den 60er Jahren stetig neue Medien dazugekommen sind. 1997 eröffnete<br />

das Medienmuseum ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />

Karlsruhe) 56 , welches einen Überblick über die Neuerungen in diesem<br />

Kunstfeld verschafft. So gibt es heute Genres, wie Digitale Kunst, Interaktive<br />

Kunst, aber auch Filmkunst u.v.m. Schon laut Kiesler ist die moderne Kunst<br />

der wichtigste Bezugspunkt für die <strong>Schaufenster</strong>gestaltung. 57 Künstler wie<br />

Heatherwick, Beecroft oder aber auch die Künstler von Hyper Island<br />

bestätigen dies, indem sie moderne Kunst parallel in die <strong>Schaufenster</strong><br />

einfließen lassen. Ein zusätzlicher Grund für den Einsatz von neuen Medien<br />

und die Interaktion <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> sind auch die neuen Rahmenbe-<br />

56 Vgl. Schwarz, Hans-Peter (1997), S.4<br />

57 vgl. Schleif, Nina (2004), S.287<br />

25


dingungen, mit denen <strong>Schaufenster</strong> konfrontiert werden. In unserem Zeitalter<br />

ist es möglich, über das Radio, Internet und Fernsehen zu werben und zu<br />

verkaufen. Die <strong>Schaufenster</strong> müssen mit dem <strong>Wandel</strong> mitgehen, wenn es zum<br />

Firmen<strong>im</strong>age gehört, ‚modern’ zu sein. Sie müssen diese Medien nutzen und<br />

benutzen - in unserem Fall auf künstlerische Weise, durch künstlerische<br />

Webpräsenz aber auch durch künstlerische Exper<strong>im</strong>ente mit Hilfe von neuen<br />

Medien <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong>. <strong>Schaufenster</strong> als Werbeträger verlieren nicht an<br />

Wert, solange Menschen durch die Straßen flanieren. Das <strong>Schaufenster</strong> bringt<br />

nach wie vor viele direkte Werbekontakte und wird diese Funktion beibehalten,<br />

wenn es weiterhin ‚Neues‘ zeigt. 58<br />

2.4.2 Verschmelzung Innen & Außen<br />

Das heutige Künstlerschaufenster beschränkt sich nicht weiter nur auf das<br />

<strong>Schaufenster</strong>. Es n<strong>im</strong>mt oftmals den Straßenraum und das Gebäude mit ein.<br />

Innen und Außen verschmelzen <strong>im</strong>mer mehr, was gut an den gezeigten<br />

aktuellen Beispielen zu sehen ist. So windet sich die Skulptur von Heatherwick<br />

aus dem <strong>Schaufenster</strong> in den Straßenraum hinaus, um dann gleichsam den<br />

Passanten wieder mit ins <strong>Schaufenster</strong> hineinzuziehen. Auch die Performance<br />

von Beecroft dringt direkt zum Betrachter, da es sich hier um einen realen,<br />

menschlichen Körper und Blick handelt, dem der Betrachter nicht einfach<br />

ausweichen kann. Ganz eindeutig wird es aber bei dem interaktiven<br />

<strong>Schaufenster</strong> für WESC, denn hier hat der Passant Einfluss auf das<br />

<strong>Schaufenster</strong>, auch wenn er nur daran vorbeigeht. Die Installation breitet sich<br />

durch seine Infrarotkamera bis auf den Straßenraum aus und dieser wird Teil<br />

der Installation. Der Passant muss demnach Teil des künstlerischen <strong>Schaufenster</strong>s<br />

sein. Zudem hat man den Eindruck, dass das <strong>Schaufenster</strong> <strong>im</strong>mer<br />

lebendiger werden möchte. Früher versuchte man dies noch durch Farben<br />

58 vgl. Schleif, Nina (2004), S.13<br />

26


und Formen, wie bei Kiesler, zu erzeugen. Heute kehrt vermehrt echte Bewegung,<br />

in Form von lebendigen Installationen oder Performances, ins<br />

<strong>Schaufenster</strong>.<br />

Neben den besprochenen Beispielen, wäre z.B. noch das Kaufhaus<br />

Breuninger in Stuttgart zu erwähnen, welches 2011 das Stuttgarter Ballett <strong>im</strong><br />

<strong>Schaufenster</strong> tanzen ließ 59 oder aber auch kostenlose live-Konzerte, wie von<br />

Sebastien Tellier <strong>im</strong> Coma Berlin 60 bringen reale, lebendige Menschen ins<br />

<strong>Schaufenster</strong>.<br />

2.4.3. Verhältnis <strong>Schaufenster</strong> & Rezipient<br />

Es zeigt sich, dass sich eine Verschiebung des aktiven Parts in der<br />

Kommunikation zwischen <strong>Schaufenster</strong> und Rezipienten vollzogen hat. Früher<br />

war der Rezipient der aktive Part, d.h. er musste das <strong>Schaufenster</strong> aktiv<br />

anschauen und sich darauf einlassen, um es wahrzunehmen und verstehen<br />

zu können. Heute ist oftmals das <strong>Schaufenster</strong> aktiv, d.h. es reagiert selbst auf<br />

den Passanten, wenn dieser daran vorbeigeht. Dies geschieht z.B. durch<br />

Sensoren, die <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> etwas verändern oder eine Kamera, die den<br />

Vorbeigehenden aufn<strong>im</strong>mt und projiziert. Oftmals ist es dem Passanten gar<br />

nicht möglich, dem <strong>Schaufenster</strong> zu entkommen, weil sich dieses schon so<br />

weit in den Straßenraum hinaus ausgebreitet hat (z.B. Skulptur oder<br />

Projektionen).<br />

Aus den untersuchten Beispielen ergibt sich folgende Übersicht. Diese gilt nur<br />

unter der Voraussetzung, dass das Durch-die-Stadt-Gehen nicht mit einem<br />

aktiven Einverständnis zur Bewerbung gleichsetzt wird.<br />

59 http://www.youtube.com/watchv=Yx-JxgZWpCI (04.Juni 21:14)<br />

60 http://www.intro.de/news/newsticker/23052803/sebastien-tellier-polizei-stoppt-schaufensterkonzert-in-berlin<br />

(04.Juni 21:22)<br />

27


Abbildung 10: Weiskönig, Julia: Verhältnis <strong>Schaufenster</strong> Rezipient, Früher und heute, Grafik.<br />

All diese Punkte bergen die Gefahr, dass <strong>Schaufenster</strong> aggressiv wirken. Dies<br />

könnte eine negative Wirkung auf den Straßenraum und das Stadtbild zur<br />

Folge haben. „Menschen werden zu dem, was sie sind, durch das was sie<br />

erleben und tun. Ihre Erfahrungen mit sich und ihrer Umgebung sind prägend<br />

<strong>im</strong> guten und <strong>im</strong> weniger erträglichen Sinne. Dass die Straße, auf der man<br />

aufwächst, und die Straßen, die man kennt und nutzt, diese prägende Kraft<br />

auch besitzen, erscheint einleuchtend und ist doch so kaum Thema.“ 61 Wenn<br />

demnach <strong>Schaufenster</strong> einen negativen Einfluss auf das Straßen- und<br />

Stadtbild haben, könnte dies zur Folge haben, dass es weniger Menschen in<br />

die Straßen zieht, da sie sich der aggressiven Werbung ausgeliefert fühlen.<br />

Weniger Passanten, weniger direkte Werbekontakte.<br />

61 Geschke, Sandra Maria (2009), S.9<br />

28


3. Warum gibt es Künstlerschaufenster und haben diese eine Zukunft<br />

3.1 Warum gibt es Künstlerschaufenster Wirtschaftspsychologische<br />

Aspekte anhand der Motivationstheorie von Maslow<br />

Dass sich das <strong>Schaufenster</strong> für Künstler anbietet, ist offensichtlich, denn diese<br />

können so ihre Kunst einem breiten Publikum zeigen. Zudem steht ihnen ein<br />

größeres Budget zur Verfügung. Wie in den Beispielen gesehen, ist es nicht<br />

einmal zwingend, das Produkt in einem positiven Kontext zu präsentieren,<br />

wenn es denn überhaupt noch gezeigt werden muss. Für den Künstler<br />

ergeben sich daher viele positive Aspekte, obwohl es sich nach wie vor um<br />

ein kommerziell geprägtes Kunstmedium handelt. Doch dies könnte man z.B.<br />

auch dem Genre Film mit entsprechendem ‚Product Placement’ oder der<br />

freien Kunst an sich, die durch Kunstfonds und Sponsoring kommerzialisiert<br />

wird, vorwerfen.<br />

Aber wieso engagieren Kaufhäuser Künstler für ihre <strong>Schaufenster</strong>, wenn sie<br />

doch damit rechnen müssen, dass diese vielleicht eine schockierende oder<br />

sogar gegen das Kaufhaus gesinnte Auslage gestalten. Im Folgenden wird<br />

versucht, dies anhand der Motivationstheorie von Maslow (1954) zu<br />

ergründen. Spricht man von Motivation, so wird nach den Gründen für ein<br />

best<strong>im</strong>mtes Verhalten oder Handeln gefragt. Warum möchte ein Kaufhaus ein<br />

Kunstschaufenster Ziel des Kaufhauses sollte, laut der Werbetheorie AIDA<br />

(Attention Interest Desire Action) sein, möglichst viele Passanten mit dem<br />

<strong>Schaufenster</strong> anzusprechen und diese dazu zu bringen, in das Kaufhaus zu<br />

gehen. Hierfür muss aber auch seine Zielgruppe angesprochen werden, d.h.<br />

das <strong>Schaufenster</strong> passt sich seiner Zielgruppe an. In unserem Fall bedeutet<br />

das, dass das Künstlerschaufenster vor allem Passanten anspricht, in deren<br />

Leben das Thema Kunst eine Rolle spielt. Was sagt das über unsere<br />

Zielgruppe aus<br />

29


Laut Maslow gibt es fünf hierarchisch geordnete Bedürfnisklassen für das<br />

menschliche Verhalten:<br />

(1) Physiologische Bedürfnisklasse<br />

(2) Angstfreiheit und Schutz<br />

(3) Kontakt und Zugehörigkeit<br />

(4) Anerkennung und Status<br />

(5) Selbstverwirklichung<br />

Abbildung 11: Bedürfnispyramide nach Maslow.<br />

Die Bedürfnisse (1)-(4) werden auch Defizitbedürfnisse genannt, weil deren<br />

Mangelerleben mit einer Frustration verbunden ist, die nur durch<br />

entsprechendes Handeln beseitigt werden kann, d.h. wenn ich hungere, kann<br />

ich dieses physiologische Bedürfnis nur stillen, indem ich mir Nahrung<br />

zuführe. Die daraus resultierende Befriedigungs-Progressions-Hypothese<br />

besagt, dass eine Bedürfnisklasse erst dann handlungsleitend wird, wenn die<br />

untergeordneten Bedürfnisse befriedigt sind, d.h., erst wenn unsere<br />

Grundbedürfnisse gestillt sind, wir keine Angst vor erneutem Mangel haben<br />

müssen und in einem sicheren sozialen Gefüge mit einer Wertschätzung<br />

unseres Beitrags leben, ist es uns möglich, uns selbst zu verwirklichen. Es<br />

kann also nur zu einer Selbstverwirklichung kommen, wenn alle<br />

Defizitbedürfnisse gestillt sind. 62 Im übertragenen Sinne auf unsere Zielgruppe<br />

bedeutet dies, dass es sich um Personen handelt, die sich selbstverwirklicht<br />

haben, oder zumindest keinen Mangel in ihren Defizitbedürfnissen empfinden,<br />

da das Bedürfnis nach Kunst ein ‚Luxus’- Bedürfnis ist, welches sich nur eine<br />

Gesellschaft erlauben kann, deren Defizitbedürfnisse befriedigt sind. Für<br />

unsere Zielgruppe wäre es demnach nicht sinnvoll, die Ware selbst <strong>im</strong><br />

<strong>Schaufenster</strong> zu platzieren, denn eigentlich benötigt unsere Zielgruppe nicht<br />

unbedingt dieses Produkt. Jedoch wird sie neugierig, wenn jenes Produkt auf<br />

künstlerische Weise verkauft wird. Denn mit Kunst befasst sich unsere<br />

62 vgl. Frey, Dieter; von Rosenstiel, Lutz; Hoyos, Carl Graf (Hrsg.), (2005), S.274<br />

30


Zielgruppe, es gehört mit zu ihrer Selbstverwirklichung, Kunst ‚konsumieren’<br />

zu können. Die Selbstverwirklichung ist laut Maslow ein ‚Wachstums-<br />

Bedürfnis’, das unstillbar ist. Der Mensch möchte sich <strong>im</strong>mer mehr selbstverwirklichen,<br />

was bedeuten würde, dass unsere Zielgruppe nicht aufhören<br />

wird, Kunst und in unserem Falle Kunstschaufenster zu ‚konsumieren’. Dass<br />

Kunst auch schockierend, aggressiv u.v.m. sein kann und darf, ist der<br />

Zielgruppe gängig und deshalb auch kein Grund, weshalb Kaufhäuser, wie in<br />

den vorangegangen Beispielen gezeigt, auf Kunst mit genannter Wirkung<br />

verzichten. Vielmehr fällt das <strong>Schaufenster</strong> verstärkt auf, weil es sich von der<br />

Konkurrenz abhebt und gleich, ob positiv oder negativ, zur Diskussion anregt.<br />

Das Künstlerschaufenster ist demnach für Läden und Kaufhäuser geeignet,<br />

die eine besser gestellte soziale Schicht ansprechen wollen, die einem<br />

kulturellen Trieb nachgeht und nicht aus einer Notwendigkeit heraus kauft.<br />

3.2 Haben Künstlerschaufenster eine Zukunft<br />

Solange die Kunst lebt, lebt auch das Künstlerschaufenster, es sei denn die<br />

Grundbedürfnisse werden aus wirtschaftlichen, politischen oder globalen<br />

Gründen nicht mehr gedeckt (s. Motivationstheorie). Schon Kiesler erkannte,<br />

dass das Bestreben nach Neuerungen darin liegt, wahre und künstlich<br />

erzeugte Bedürfnisse zu st<strong>im</strong>ulieren 63 . Wie das zukünftige Künstlerschaufenster<br />

aussieht basiert also auf unseren neuen, wahren oder künstlich<br />

erzeugten Bedürfnissen. Allerdings überfluten künstliche Bedürfnisse, welche<br />

vor allem durch die zunehmende Werbung übermittelt werden, den<br />

Empfänger. Die Reizüberflutung an Werbung durch alle Arten an Medien führt<br />

<strong>im</strong> Überfluss und auf Dauer zu einer Übersättigung. Die Aggressivität mit der<br />

sie den Rezipienten bedrängt, führt früher oder später zu einem Abwehrverhalten<br />

be<strong>im</strong> Empfänger. Ein Rückzug und ein Insichkehren mit Blick auf die<br />

eigenen, wahren Bedürfnisse wird dies zur Folge haben. Das Künstlerschau-<br />

63 vgl. Schleif, Nina (2004), S.288<br />

31


fenster könnte sich diesen echten, wahren Bedürfnissen, unseren Grundbedürfnissen,<br />

wieder mehr widmen. Jedoch soll dies nicht als Rückschritt,<br />

sondern als Fortschritt betrachtet werden, da sich der Rezipient diesem<br />

bewusst ist und das Künstlerschaufenster durch diese qualitative Entwicklung<br />

wieder an Wert und Anerkennung be<strong>im</strong> Rezipienten gewinnt.<br />

4. <strong>Schaufenster</strong> der Zukunft<br />

4.1 Vision (1952) und Gegenwart (2011)<br />

Vergleicht man die Aussagen von Lester Gaba, 1952 (Amerikanischer Bildhauer,<br />

Schriftsteller und <strong>Schaufenster</strong>gestalter) über das Aussehen der<br />

<strong>Schaufenster</strong> der Zukunft <strong>im</strong> Jahr 2011, 64 so stellt man fest, dass sich noch<br />

nicht alle seine phantastischen Vorstellungen verwirklicht haben, wie z.B.<br />

‚window shopper from other planets’, aber vieles schon realisiert wurde. So<br />

stellte er sich vor, dass <strong>Schaufenster</strong>puppen die Ware, die sie tragen, selbst<br />

beschreiben und anpreisen. Auch ist es heute für Käufer möglich, ‚Knöpfe’ am<br />

<strong>Schaufenster</strong> zu drücken, welche das Produkt so zeigen, wie sie es sehen<br />

wollen (Abbildung 12).<br />

Abbildung 12: TazoTea bei Starbucks: interaktives <strong>Schaufenster</strong>.<br />

(Rezipient kann interaktiv in einer virtuellen Welt nachverfolgen aus welchen Zutaten der gewünschte Tee besteht.) 65<br />

Er spricht von Projektionen <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong>, Filme, die sich dem gezeigten<br />

64 vgl. Gaba, Lester (1952), S.141<br />

65 Quelle: http://experiencetazo.com/ (14.06.2011, 17:00 Uhr)<br />

32


Produkt anpassen und von Blumen, die be<strong>im</strong> Duft des ausgestellten Parfums<br />

zu blühen beginnen (Abbildung 13).<br />

Abbildung 13: Goodyer, Justin: Adaptive Bloom.<br />

(Mechanische Blumen, die anhand von Sensoren auf Bewegung, mit öffnen und schließen, reagieren.) 66<br />

Alle diese damals wohl utopisch scheinenden Vorstellungen machen neugierig<br />

auf das <strong>Schaufenster</strong> unserer Zukunft, denn wie man sieht, ist fast alles<br />

möglich.<br />

4.2 <strong>Schaufenster</strong> der Zukunft = Kunst + Eigeninitiative<br />

Der Rezipient n<strong>im</strong>mt wieder eine aktivere Rolle ein, indem er das Verhältnis<br />

zwischen <strong>Schaufenster</strong> und sich selbst ins Gleichgewicht zu bringen versucht.<br />

Das <strong>Schaufenster</strong> fungiert dabei nicht als vollkommen passiver Gegenpart.<br />

Stattdessen wird ein wertschätzenderes, respektvolleres, nicht übergriffiges<br />

Verhältnis angestrebt. Der Rezipient gewinnt also an Freiraum und entscheidet<br />

selbst, in welcher Form er Teil am künstlerischen <strong>Schaufenster</strong><br />

werden möchte. Dieses Verhältnis ist unabdingbar, da <strong>Schaufenster</strong> ihre Daseinsberechtigung<br />

erst durch die Rezeption entwickeln. Hiermit ergibt sich<br />

mögliche folgende Übersicht:<br />

66 Quelle: http://www.constructingrealities.com/p=5 (15.06.2011)<br />

33


Abbildung 14: Weiskönig, Julia: Verhältnis <strong>Schaufenster</strong> Rezipient, Zukunft, Grafik.<br />

Die anzustrebende opt<strong>im</strong>ale Lösung für das <strong>Schaufenster</strong> der Zukunft wäre<br />

demnach ein emotional intelligentes <strong>Schaufenster</strong>. Dieses würde erkennen, ob<br />

der Passant willens ist, dass <strong>Schaufenster</strong> aktiv anzusehen und ob er<br />

involviert werden möchte. Jedoch ist dies noch eine utopische und zu weit<br />

entfernte Vorstellung, da noch keine künstliche, emotionale Intelligenz erzeugt<br />

werden kann. Allerdings ist es möglich, anhand der Körpersprache und durch<br />

Kommunikation dem Passanten wieder mehr Kontrolle zu geben. Vorstellbar<br />

ist, dass das <strong>Schaufenster</strong> erst dann mit der aktiven Einbindung des<br />

Rezipienten beginnt, wenn dieser vor dem <strong>Schaufenster</strong> stehen bleibt und<br />

durch ein eindeutiges Signal, z.B. Winken, dem <strong>Schaufenster</strong> mitteilt, dass er<br />

involviert werden möchte.<br />

Übersicht über mögliche Kontrollmöglichkeiten für den Rezipienten, anhand<br />

eines Beispiels für den Handlungsablauf einer interaktiven <strong>Schaufenster</strong>front.<br />

34


Abbildung 15: Weiskönig, Julia: Handlungsablauf interaktives <strong>Schaufenster</strong>, Grafik.<br />

Die Grafik zeigt deutlich, dass der Rezipient <strong>im</strong>mer die Möglichkeit, hat sich<br />

dem <strong>Schaufenster</strong> zu entziehen. Geht er jedoch auf die Anweisungen des<br />

<strong>Schaufenster</strong>s ein, bewilligt er die Fortführung der interaktiven <strong>Schaufenster</strong>front.<br />

Im letzten Schritt beginnt die eigentliche <strong>Schaufenster</strong>gestaltung. Hier ist<br />

jetzt Alles möglich, weil dem Rezipienten bewusst ist, dass dies ein interaktives<br />

<strong>Schaufenster</strong> ist, was auf ihn reagiert. Demnach wäre es jetzt auch<br />

legit<strong>im</strong>, ihn durch Projektion o.ä. Teil des <strong>Schaufenster</strong>s werden zu lassen.<br />

35


Wie könnte das aussehen<br />

<strong>Schaufenster</strong>idee, Julia Weiskönig, 2011<br />

Der Passant durchläuft oben aufgeführten Ablauf bis sich ihm die<br />

<strong>Schaufenster</strong>front zeigt. In der <strong>Schaufenster</strong>front befindet sich eine<br />

Wäscheleine, an welcher sich, mit Wäscheklammern befestigt, die Kleider für<br />

diese Sommersaison befinden. Der Hintergrund des <strong>Schaufenster</strong>s ist<br />

Projektionsfläche. An der Außenseite des <strong>Schaufenster</strong>s befindet sich eine<br />

Apparatur, die einen Fotodrucker beinhaltet. Der Rezipient sieht sich nun auf<br />

den Hintergrund projiziert und hat die Möglichkeit, durch eine Handbewegung<br />

nach links oder rechts, die Kleider an der Leine so zu verschieben, dass das<br />

gewünschte Kleid vor ihm hängt. Hat er sich ein Kleidungsstück ausgesucht,<br />

verändert sich der komplette Hintergrund des <strong>Schaufenster</strong>s thematisch dazu.<br />

Zu sehen ist z.B. Meer und Strand. Ein Sonnenhut wird von der leichten Brise<br />

davongeweht. Das Meer rauscht und von weitem hört man Kinder lachen.<br />

Nach dem kleinen Kurzurlaub fragt das <strong>Schaufenster</strong> per Anzeige <strong>im</strong><br />

Hintergrund, ob der Rezipient eine Postkarte davon möchte. Durch die<br />

geforderte, zust<strong>im</strong>mende Handbewegung kommt aus der Apparatur vorm<br />

<strong>Schaufenster</strong> eine Postkarte mit dem eben erlebten Szenario. Der Rezipient<br />

ist mit dem gewünschten Kleid und der dazugehörigen Szenerie zu sehen. Auf<br />

der Rückseite findet er Infos zum Kleid und zum Geschäft.<br />

36


Abbildung 16: Weiskönig, Julia: Idee Interaktives <strong>Schaufenster</strong>, Bild.<br />

Ladenfrontidee basierend auf Urbanscreen, Julia Weiskönig 2011<br />

Jedoch ist es heute auch möglich, dass man sich nicht nur auf das<br />

<strong>Schaufenster</strong> beschränkt. Durch Projektionen können ganze Häuserfronten<br />

künstlerisch genutzt werden. Urbanscreen arbeitet mit Projektionen, die ganze<br />

Häuserfassaden bespielen. Die Fassade gibt dabei die Grundform der<br />

Projektion vor. Falls es sich um eine reine Projektion handelt, wird ein<br />

Fassadenmodell als Blue Box nachgebaut und die spätere Projektion, welche<br />

z.B. Menschen zeigt, die an der Fassadenfront und durch die Fenster klettern<br />

(Abbildung 17) aufgezeichnet. 67 Im Anschluss wird alles Blaue gelöscht, so<br />

67 Urban Screen (2007): Jump! für Sparda Bank, Viertelfest Bremen.<br />

37


dass man nur noch die Personen sieht. Projiziert man dieses nun an das<br />

eigentliche Gebäude, so sieht es aus, als würden die Personen an der echten<br />

Hauswand entlang klettern.<br />

Abbildung 17: Urban Screen (2007): Jump! für Sparda Bank,Viertelfest Bremen.<br />

Bei interaktiven Projektionen, wie z.B. ‚Pinwall’, wird die Spieleoberfläche der<br />

Fassade nachempfunden und dann in Echtzeit projiziert. Es gibt einen realen<br />

Spieler, der die Kugel, wie bei einem echten Spiele- Automaten springen<br />

lässt. 68<br />

http://www.urbanscreen.com/usc/33; (14.06.2011, 16:24 Uhr)<br />

68 Urban Screen (2007): pinwall für NordCom, Viertelfest Bremen.<br />

http://www.urbanscreen.com/usc/31; (14.06.2011, 16:34 Uhr)<br />

38


Abbildung 18: Urban Screen (2007): pinwall für NordCom, Viertelfest Bremen.<br />

Durch diese Art von Projektion und Interaktivität wäre es auch möglich, sich<br />

auf künstlerische Art mit dem Thema <strong>Schaufenster</strong> und Rezipient auseinander<br />

zu setzen. Denn wie wäre es, wenn der Rezipient wie gewöhnlich durch die<br />

ihm bekannte Straße geht und plötzlich der Laden gegenüber weg wäre<br />

Umsetzbar wäre dies nachts durch eine Projektion in Schwarz oder tagsüber<br />

durch eine Projektion der Front des Hauses, welches sich eigentlich hinter<br />

dem Laden befindet. Erst, wenn der Rezipient zum Laden hingeht, verliert die<br />

Projektion an Deckkraft und die eigentliche Front kommt zum Vorschein. Dem<br />

Rezipienten wird bewusst, dass auch dieser Laden sein Straßenbild geprägt<br />

hat und dieser setzt sich mit dessen An-/ Abwesenheit auseinander. Zudem<br />

führt die Projektion vor Augen, was passiert, wenn es keine Passanten mehr<br />

gibt: Der Laden verschwindet!<br />

39


Abbildung 19: Weiskönig, Julia: Idee Interaktive Kaufhausfront, Bild.<br />

5. Fazit<br />

Künstlerschaufenster wollen nach wie vor nicht nur Sehnsüchte wecken,<br />

sondern vielmehr zur Auseinandersetzung mit diesen anregen. Der künstlerische<br />

Grundgedanke bleibt gleich, nur die handwerklichen Werkzeuge<br />

haben sich der zeitgemäßen Technik angepasst und geben dem Künstler die<br />

Möglichkeit, seine Ideen neu umzusetzen. Durch die Nutzung neuer Medien<br />

findet eine intuitive Interaktivität mit dem <strong>Schaufenster</strong> statt. Wobei der Begriff<br />

<strong>Schaufenster</strong>, in seinem ursprünglichen, physischen Sinn nicht mehr recht<br />

zuzutreffen scheint, da sich das künstlerische und interaktive Geschehen nicht<br />

mehr nur auf den <strong>Schaufenster</strong>raum bezieht, sondern auch Fassade, Straße<br />

und Rezipient mit einbeziehen kann.<br />

Vielmehr handelt es sich um einen ‚Schauort’.<br />

40


Durch seine Ausweitung auf den Straßenraum wird das <strong>Schaufenster</strong> ein<br />

großer Teil unseres Straßen- und Stadtbildes, was eine prägende Wirkung hat.<br />

Dessen müssen sich Läden, <strong>Schaufenster</strong>künstler, aber auch der Rezipient<br />

bewusst werden. Denn <strong>Schaufenster</strong> existieren nur, solange der Rezipient<br />

dies zulässt. Sobald der Rezipient sich vom <strong>Schaufenster</strong> abwendet, haben<br />

diese keinen Nutzen mehr und werden verschwinden.<br />

Deshalb ist es wichtig, mehr Verantwortung für das, was unsere <strong>Schaufenster</strong><br />

zeigen, zu übernehmen. Grundlegend dafür ist es, dem Rezipienten wieder<br />

mehr Kontrolle und Wertschätzung gegenüber seiner Rolle in Bezug auf das<br />

<strong>Schaufenster</strong> zuzusprechen. Voraussetzung ist der bewusste Umgang mit<br />

Kunst <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong>, denn nicht jede Gesellschaft kann sich künstlerische<br />

<strong>Schaufenster</strong> erlauben. Die künstlerische Form von Selbstverwirklichung <strong>im</strong><br />

<strong>Schaufenster</strong> sollte demnach auch Rücksicht auf die aktuellen Bedürfnisse<br />

und Sehnsüchte der Gesellschaft nehmen und Anteil an der Auseinandersetzung<br />

damit haben.<br />

Auszug Interview mit Gene Moore, 1978 von Leonard S. Marcus 69<br />

Marcus: You talk about designing windows as being like a reporter.<br />

Moore: What I mean by that is to try to be aware of everything that is going on<br />

in the world. And there are many things that happen that I think are <strong>im</strong>portant<br />

enough to try to do something about visually in display.<br />

Aktuelle Themen, die wichtig genug sind, sie <strong>im</strong> <strong>Schaufenster</strong> zu visualisieren,<br />

sind zu Zeiten von Revolutionen in Nahost, Natur- und Atomkatastrophen<br />

sowie weltweiter Finanzkrisen allgegenwärtig. Doch all diese Geschehen<br />

weisen vor allem darauf hin, dass der Mensch in seinen Defizitbedürfnissen<br />

69 Marcus, Leonard S. (1978), S.6<br />

41


Mangel erfährt, Existenzängste hat und wieder nach Sicherheiten sucht.<br />

Demnach wird es in Zukunft möglicherweise mehr <strong>Schaufenster</strong> geben, die<br />

auf das traditionelle, handwerkliche Image zurückgreifen und nur noch<br />

ausgewähltes und Gutes in ihrer Auslage anbieten, um dem Rezipienten zu<br />

suggerieren, dass er damit seine Defizitbedürfnisse stillt. Im Künstlerschaufenster<br />

werden diese Themen bestenfalls so bearbeitet, dass der Rezipient<br />

zum Nachdenken angeregt wird und dem Defizitbedürfnis aktiv, am realen<br />

Ursprung, entgegenwirkt.<br />

Künstlerschaufenster zeigen nicht nur aktuelle Themen der Zeitgeschichte,<br />

sondern sie regen zur Auseinandersetzung an und führen teilweise zu einer<br />

aktiven Umgestaltung der negativen Zustände. Folglich haben Künstlerschauenster<br />

einen positiven, erzieherischen Einfluss und führen zu einem bewusster<br />

lebenden Rezipienten.<br />

42


Literaturverzeichnis<br />

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York. Prestel Verlag.<br />

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Produktionen und Rezeptionen; Entwicklungen und Perspektiven. Wiesbaden.<br />

Westdt. Verlag.<br />

45


Abbildungsnachweis<br />

Abbildung 1: Geschäftspostkarte Korsettatelier Frieda Kühn Berlin,<br />

Photographie, Poststempel12.8.1925, Besitz der Vf.<br />

Quelle: Nach Schleif, Nina (2004).<br />

Abbildung 2: Kiesler, Frederick: <strong>Schaufenster</strong>rückwand, Kinderanzug und<br />

Schwan, ca.1928, New York, Saks & Company, Photographie, (Display<br />

Manager: Sidney Ring). In: Kiesler, 1930, S.140.<br />

Quelle: Nach Schleif, Nina (2004).<br />

Abbildung 3: Kiesler, Frederick: <strong>Schaufenster</strong>rückwand, Kinderbekleidung mit<br />

Elefanten, ca.1928, New York, Saks & Company, Photographie (Worsinger),<br />

(Ausstattung Sidney Ring). In: MRSW, Jg. 63, Nr.5, Nov. 1928, S.52.<br />

Quelle: Nach Schleif, Nina (2004).<br />

Abbildung 4: Dali, Salvador: <strong>Schaufenster</strong>gestaltung Nacht (nach Änderung),<br />

„Revised Bonwit Teller Window. Mr. Dali had the lady lie on coals“, 1939,<br />

Photographie (Walter B. Lane), (Display Manager: Tom Lee). In: T<strong>im</strong>e,<br />

27.3.1939, S.31. © T<strong>im</strong>e Inc.<br />

Quelle: Nach Schleif, Nina (2004).<br />

Abbildung 5: Warhol, Andy: <strong>Schaufenster</strong>ausstattung für Pot Pourri (2.<br />

Serie), ca. 1955, Kreide auf Holz, new York, Bonwit Teller (Display Manager:<br />

Gene Moore), Photographie (Virginia Roehl), New York, Cooper-Hewitt,<br />

National Design Museum, Smithsonian <strong>Institut</strong>ion, Slg. Gene Moore. © 2003<br />

Andy Warhol Foundation for the Visual Arts/ Artists Rights Society (ARS), New<br />

York.<br />

Quelle: Nach Schleif, Nina (2004).<br />

46


Abbildung 6: Warhol, Andy: <strong>Schaufenster</strong>ausstattung für Replique (2. Serie),<br />

ca. 1955, Kreide auf Holz, new York, Bonwit Teller (Display Manager: Gene<br />

Moore), Photographie (Virginia Roehl), Archiv The Andy Warhol Museum<br />

Foundation Collection, Contribution The Andy Warhol Foundation for Visual<br />

Arts, Inc. Courtesy The Andy Warhol Museum, Pittsburgh. © 2003 Andy<br />

Warhol Foundation for the Visual Arts/ Artists Rights Society (ARS), New York.<br />

Quelle: Nach Schleif, Nina (2004).<br />

Abbildung 7: Heatherwick, Thomas (1997): Autumn Intrusion, für Harvey<br />

Nichols, London.<br />

Quelle: http://www.heatherwick.com/autumn-intrusion/ (14.06.2011, 16:11<br />

Uhr).<br />

Abbildung 8: Beecroft, Vanessa (2005): LVMH, vb56.607_08A.vb und<br />

vb56.618_08A.vb, für Louis Vuitton, Paris France.<br />

Quelle: http://www.vanessabeecroft.com/frameset.html (14.06.2011, 16:15<br />

Uhr)<br />

Abbildung 9: Hyper Island für WeSC.<br />

Quelle: http://gustafengstrom.se/#909529/Interactive-Window<br />

http://modular4kc.com/2011/01/13/6305/ (14.06.2011, 17:21 Uhr)<br />

Abbildung 10: Weiskönig, Julia: Verhältnis <strong>Schaufenster</strong> Rezipient, Früher<br />

und heute, Grafik.<br />

Abbildung 11: Weiskönig, Julia: Bedürfnispyramide nach Maslow.<br />

47


Abbildung 12: TazoTea bei Starbucks: interaktives <strong>Schaufenster</strong>.<br />

Quelle:<br />

http://www.bauermedia.de/uploads/media/April_2011_Praesentation_best_of_<br />

trends_academy.pdf und http://experiencetazo.com/ ; (14.06.2011, 17:00 Uhr)<br />

Abbildung 13: Goodyer, Justin: Adaptive Bloom.<br />

Quelle: http://www.constructingrealities.com/p=5 (15.06.2011)<br />

Abbildung 14: Weiskönig, Julia: Verhältnis <strong>Schaufenster</strong> Rezipient, Zukunft,<br />

Grafik.<br />

Abbildung 15: Weiskönig, Julia: Handlungsablauf interaktives <strong>Schaufenster</strong>,<br />

Grafik.<br />

Abbildung 16: Weiskönig, Julia: Idee Interaktives <strong>Schaufenster</strong>, Bild.<br />

Abbildung 17: Urban Screen (2007): Jump! für Sparda Bank, Viertelfest<br />

Bremen.<br />

Quelle: http://www.urbanscreen.com/usc/33; (14.06.2011, 16:24 Uhr)<br />

Abbildung 18: Urban Screen (2007): pinwall für NordCom, Viertelfest<br />

Bremen.<br />

Quelle: http://www.urbanscreen.com/usc/31; (14.06.2011, 16:34 Uhr)<br />

Abbildung 19: Weiskönig, Julia: Idee Interaktive Kaufhausfront, Bild.<br />

48

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