Der Blick in die Telomere - Pädiatrix
Der Blick in die Telomere - Pädiatrix
Der Blick in die Telomere - Pädiatrix
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Quelle: picture alliance/Bildagentur-onl<strong>in</strong>e<br />
<strong>Der</strong> <strong>Blick</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Telomere</strong><br />
Was verraten sie über unser Leben<br />
„Ist der Mensch geboren, so fängt er an zu sterben.“<br />
Diese Volkweisheit mag zwar etwas deprimierend<br />
ersche<strong>in</strong>en, ist aber wissenschaftlich<br />
gesehen grundsätzlich korrekt. Denn mit unserer<br />
Geburt tickt <strong>die</strong> Lebensuhr <strong>in</strong> jeder somatischen<br />
Zelle bei jedem Zellzyklus, der durchlaufen<br />
wird. Das Zählwerk <strong>die</strong>ser Lebensuhr<br />
liegt <strong>in</strong> den <strong>Telomere</strong>n (griechisch telos=Ende,<br />
meros=Stück) der Chromosomen, <strong>die</strong> bei jeder<br />
Replikation kont<strong>in</strong>uierlich verkürzt werden (Abbildung<br />
1, Seite 22). Ist e<strong>in</strong> Telomer verbraucht,<br />
kann es zu Seneszenz, Apoptose oder onkogenen<br />
Veränderungen kommen [1], „also letztlich<br />
zu Alterung und/oder Krankheit“, erläutert der<br />
Biologe Dr. Nils Hartmann vom Leibniz-Institut<br />
für Altersforschung <strong>in</strong> Jena. Dieser Zusammenhang<br />
hat der Telomerforschung <strong>in</strong> den letzten<br />
Jahren von der Presse auch den Spitznamen<br />
„Anti-Ag<strong>in</strong>g-Forschung“ e<strong>in</strong>gebracht.<br />
Schutzkappen für <strong>die</strong> Erb<strong>in</strong>formation<br />
<strong>Telomere</strong> s<strong>in</strong>d, wie <strong>die</strong> direkte Übersetzung aus<br />
dem Griechischen vermuten lässt, spezifische<br />
DNA-Abschnitte an den Enden e<strong>in</strong>es jeden<br />
Chromosoms. Diese Endstücke schützen <strong>die</strong> l<strong>in</strong>earen<br />
Chromosomen aller höheren Lebewesen<br />
unter anderem vor Erosion und e<strong>in</strong>em damit<br />
verbundenen Verlust von wichtiger Erb<strong>in</strong>formation<br />
sowie vor <strong>in</strong>terchromosomaler Fusion.<br />
Erstmals erwähnt wurden <strong>die</strong>se chromosomalen<br />
Endstücke 1938; 40 Jahre später wurde <strong>die</strong><br />
Sequenz der ersten chromosomalen Schutzkappe<br />
<strong>in</strong> Wimperntierchen von Elizabeth Blackburn<br />
und Joseph Gal entschlüsselt [2]. Weitere<br />
zehn Jahre später gelang Moyazis und Kollegen<br />
erstmals <strong>die</strong> Sequenzierung e<strong>in</strong>es menschlichen<br />
Telomers [3]. Heute s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Telomersequenzen<br />
vieler Spezies entschlüsselt und es ist klar, dass<br />
es sich bei allen um evolutiv hochkonservierte,<br />
repetitive DNA-Regionen handelt, <strong>die</strong> sich von<br />
der Kresse (TTTAGGG) bis zu den Wirbeltieren<br />
<strong>in</strong>klusive Mensch (TTAGGG) nur wenig <strong>in</strong> ihrer<br />
Sequenz unterscheiden [4]. Doch so ähnlich<br />
sich <strong>die</strong> <strong>Telomere</strong> <strong>in</strong> ihrer Sequenz s<strong>in</strong>d, so variabel<br />
s<strong>in</strong>d sie im H<strong>in</strong>blick auf ihre Länge. „Diese<br />
können zwischen e<strong>in</strong>igen und über 50 Kilobasenpaaren<br />
<strong>in</strong> der Länge variieren“, verdeutlicht<br />
Hartmann. Und das nicht nur zwischen unterschiedlichen<br />
Spezies, sondern auch <strong>in</strong>nerhalb<br />
e<strong>in</strong>es Organismus, sogar zwischen e<strong>in</strong>zelnen<br />
Zellen und Chromosomen. So besitzen <strong>die</strong><br />
menschlichen Chromosomen 17p, 13p und 19p<br />
deutlich kürzere Telomerregionen als <strong>die</strong> übrigen<br />
zwanzig [5]. Diese Varianzen s<strong>in</strong>d zwar<br />
angeboren, entwickeln sich aber auch im Laufe<br />
e<strong>in</strong>es Lebens. So besteht zum Beispiel bei der<br />
Geburt ke<strong>in</strong> signifikanter Unterschied <strong>in</strong> den<br />
von<br />
Dr. Eva A. Schulte<br />
Pädiatrix 3/2012
22<br />
<strong>Telomere</strong><br />
Abbildung 1:<br />
Schematische Darstellung<br />
der Telomerverkürzung<br />
bei<br />
der DNA-Replikation<br />
<strong>in</strong> der Zellteilung<br />
Quelle: Erika Heil/art<br />
for biomed<br />
Telomerlängen zwischen Jungen und Mädchen,<br />
doch mit fortschreitendem Alter weisen Männer<br />
durchschnittlich e<strong>in</strong>en deutlich höheren Telomerverlust<br />
auf als Frauen [6]. Zusätzlich zur<br />
Telomerlänge spielen auch <strong>die</strong> räumliche Anordnung<br />
und <strong>die</strong> mit den <strong>Telomere</strong>n assoziierten<br />
Prote<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle bei deren<br />
Schutzfunktion. „An der Telomerregion lagern<br />
sich unterschiedliche Prote<strong>in</strong>e an“, erklärt der<br />
Biologe aus Jena, „<strong>die</strong> den sogenannten Shelter<strong>in</strong>-Komplex<br />
bilden“ (shelter=Schutz). Mit Hilfe<br />
<strong>die</strong>ses Prote<strong>in</strong>-Schutz-Komplexes werden aus<br />
den <strong>Telomere</strong>n DNA-Schleifen geformt, durch<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Erb<strong>in</strong>formation zum Beispiel vor dem<br />
Abbau durch Nukleasen geschützt wird [7].<br />
<strong>Telomere</strong> schrumpfen – besonders <strong>in</strong><br />
der frühen K<strong>in</strong>dheit und im Alter<br />
Doch <strong>die</strong>ser Schutz ist aufgrund des Endproblems<br />
der Replikation (siehe Kasten Seite 25)<br />
– zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> somatischen Zellen – endlich.<br />
Andere Zelltypen, wie zum Beispiel Keimoder<br />
Krebszellen, besitzen mit der Telomerase<br />
e<strong>in</strong> spezifisches Enzym, das <strong>die</strong> <strong>Telomere</strong><br />
bei jeder Zellteilung komplett wiederherstellt,<br />
während bei menschlichen Lebergewebezellen<br />
pro Zellteilung durchschnittlich 55 Basenpaare<br />
telomerischer DNA verlorengehen [4]. Für Fibroblasten<br />
und Lymphozyten wurde e<strong>in</strong> durchschnittlicher<br />
Telomerverlust von 30 bis zu maximal<br />
150 Basenpaaren kalkuliert [8]. Besonders<br />
rapide Abnahmen der Telomerlängen wurden<br />
dabei <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren sowie im Alter<br />
beobachtet [9], während <strong>die</strong> Telomerlängen<br />
<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dheit, Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter<br />
nur relativ wenig und gleichmäßig abnehmen<br />
(Abbildung 2). E<strong>in</strong>e genaue Erklärung<br />
für <strong>die</strong> beobachtete Telomerlängenverkürzung<br />
bei Blutzellen im frühen K<strong>in</strong>desalter wurde<br />
noch nicht gefunden. Hartmann vermutet, dass<br />
<strong>die</strong>se deutliche Abnahme eventuell <strong>in</strong> Zusammenhang<br />
mit der Reifung und Entwicklung des<br />
Immunsystems zu sehen ist, während sich der<br />
zunehmende Verlust im Alter unter anderen<br />
mit additiven Effekten aus der Umwelt erklären<br />
lässt, da <strong>die</strong> Abnahme der Telomerlänge<br />
von e<strong>in</strong>er Vielzahl von Faktoren bee<strong>in</strong>flusst zu<br />
werden sche<strong>in</strong>t. „Es gibt mittlerweile e<strong>in</strong>e Reihe<br />
von Stu<strong>die</strong>n“, bestätigt Hartmann, „<strong>die</strong> Korrelationen<br />
zwischen der Telomerlänge und Adipositas,<br />
Rauchen, Stress, diversen Giften, dem<br />
sozialen und wirtschaftlichen Status sowie dem<br />
Auftreten von Herzerkrankungen, Diabetes<br />
oder Osteoporose nachweisen konnten.“ Was<br />
allerd<strong>in</strong>gs nach wie vor noch fehlt, ist der direkte<br />
Nachweis durch epidemiologische Stu<strong>die</strong>n,<br />
dass kürzere <strong>Telomere</strong> – ob bereits bei Geburt<br />
vorhanden oder erst später erworben – direkt<br />
e<strong>in</strong>e schnellere Alterung und damit verbunden<br />
e<strong>in</strong>e kürzere Lebenserwartung bedeuten.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs konnte gezeigt werden, dass sich<br />
<strong>die</strong> Telomerlänge von Mäusen, bei denen e<strong>in</strong>e<br />
Komponente der Telomerase ausgeschaltet ist,<br />
über mehrere Generationen h<strong>in</strong>weg verkürzen.<br />
Die Mäuse alterten vorzeitig und wiesen e<strong>in</strong>e<br />
verkürzte Lebensspanne auf [10]. „Vor Kurzem<br />
konnte <strong>in</strong> Zebraf<strong>in</strong>ken gezeigt werden“,<br />
so Hartmann, „dass <strong>die</strong> Telomerlänge im jungen<br />
Alter e<strong>in</strong>e gute Vorhersage für <strong>die</strong> Lebensspanne<br />
ermöglicht“ [11]. Für den Menschen ist<br />
e<strong>in</strong>e entsprechende Datenlage noch nicht gegeben,<br />
da <strong>die</strong> Telomerforschung noch zu jung<br />
und <strong>die</strong> Generationszeiten beim Menschen zu<br />
lang s<strong>in</strong>d. „Es gibt erste Ansätze, bei denen versucht<br />
wurde, e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen<br />
der Telomerlänge und der zu erwartenden Lebensspanne<br />
herzustellen“, führt Hartmann aus.<br />
Dabei habe man <strong>die</strong> Telomerlänge von Leukozyten<br />
von über 85-Jährigen gemessen und den<br />
Gesundheitszustand und das Überleben <strong>in</strong> den<br />
folgenden Jahren der Stu<strong>die</strong>nteilnehmer überprüft<br />
[12]. „Bei <strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong> konnte allerd<strong>in</strong>gs<br />
(noch) ke<strong>in</strong>e Korrelation zwischen der Telomerlänge<br />
und dem Überleben festgestellt werden.“<br />
Pädiatrix 3/2012
Kurze <strong>Telomere</strong>=kurzes Leben<br />
Dass e<strong>in</strong> solcher Zusammenhang für den Menschen<br />
aber nicht ganz abwegig ist, lassen unter<br />
anderem <strong>die</strong> bereits erwähnten Ergebnisse<br />
zu kürzeren Telomerregionen bei Männern<br />
im Vergleich zu Frauen vermuten, deren Lebenserwartung<br />
bekanntermaßen e<strong>in</strong>ige Jahre<br />
kürzer ist als <strong>die</strong> der weiblichen Bevölkerung.<br />
Groß angelegte Telomerlängenbestimmungen<br />
sieht Hartmann <strong>in</strong> der näheren Zukunft aber<br />
eher nicht auf uns zukommen, auch wenn es<br />
mittlerweile <strong>in</strong> Europa mit der spanischen Firma<br />
LifeLength e<strong>in</strong> Unternehmen gibt, bei dem<br />
Privatpersonen ihre Telomerlängen bestimmen<br />
lassen können (www.lifelength.com). „Die prognostische<br />
Aussagekraft der zu erwartenden<br />
Ergebnisse wird allerd<strong>in</strong>gs eher ger<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>“,<br />
betont der Altersforscher aus Jena, „denn zusätzlich<br />
zu dem noch fehlenden Zusammenhang<br />
zwischen Telomerlänge und Lebenserwartung<br />
können wir davon ausgehen, dass <strong>die</strong><br />
<strong>Telomere</strong> nicht der alle<strong>in</strong>ige Grund für unseren<br />
Alterungsvorgang se<strong>in</strong> werden.“<br />
Durchaus machbar s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs bereits<br />
statistische Berechnungen zur Telomerverkürzung<br />
durch bestimmte Umwelte<strong>in</strong>flüsse. So ermittelte<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den USA durchgeführte Stu<strong>die</strong><br />
auf <strong>die</strong>ser Basis zum Beispiel, dass durch das<br />
Rauchen e<strong>in</strong>er Zigarettenpackung pro Tag pro<br />
Zellteilung zusätzlich fünf Basenpaare verloren<br />
gehen, was letztendlich zu e<strong>in</strong>er verm<strong>in</strong>derten<br />
Lebenserwartung von durchschnittlich 7,4 Jahren<br />
umgerechnet wurde [13, 14]. Dabei wurden<br />
Veränderungen <strong>in</strong> den Telomerlängen durch<br />
unterschiedlichste Umwelte<strong>in</strong>flüsse nicht nur<br />
bei Erwachsenen, sondern auch bereits bei K<strong>in</strong>dern<br />
und Jugendlichen beobachtet. K<strong>in</strong>der und<br />
Jugendliche mit e<strong>in</strong>er Geschichte von Trauma<br />
und Stress wiesen signifikant verkürzte <strong>Telomere</strong><br />
<strong>in</strong> Leukozyten auf [15]. E<strong>in</strong> ähnliches Bild<br />
zeigte sich auch bei fettleibigen Mädchen und<br />
Jungen. Im Vergleich zu ihren normalgewichtigen<br />
Alters- und Geschlechtsgenossen hatten<br />
auch sie signifikant verkürzte Leukozyten-<strong>Telomere</strong><br />
[16, 17]. Im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> Lebenserwartung<br />
wurde für <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e durchschnittliche<br />
Abnahme von 8,8 Jahren kalkuliert.<br />
Epidemiologisch fun<strong>die</strong>rte Ergebnisse werden<br />
aber frühestens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Jahrzehnten zu<br />
erwarten se<strong>in</strong>, betont Hartmann, da erst dann<br />
ausreichend relevante Daten vorliegen würden.<br />
Bekannt ist allerd<strong>in</strong>gs, dass „aus adipösen K<strong>in</strong>dern<br />
häufig adipöse Erwachsene werden und<br />
<strong>die</strong>se wiederum erhöhte Risiken für mediz<strong>in</strong>ische<br />
Probleme wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen<br />
und Typ-2-Diabetes im Vergleich<br />
zu Normalgewichtigen aufweisen. Diese<br />
Menschen s<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>er höheren Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
von potenziell lebensbedrohlichen Ereignissen<br />
wie Schlaganfall oder Herz<strong>in</strong>farkt<br />
betroffen“, macht PD Dr. Mart<strong>in</strong> Schlaud, Leiter<br />
des Fachgebiets „Gesundheit von K<strong>in</strong>dern<br />
und Jugendlichen, Präventionskonzepte“ des<br />
Robert Koch-Instituts <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, deutlich. Ob<br />
auch beim Menschen e<strong>in</strong> direkter Zusammenhang<br />
zwischen Adipositas, Telomerlänge, Gesundheit<br />
und Alterung bestehen könnte oder<br />
ob alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> mit e<strong>in</strong>er Adipositas assoziierten<br />
Folgeerkrankungen sich möglicherweise auf<br />
e<strong>in</strong>e verr<strong>in</strong>gerte Lebenserwartung auswirken,<br />
muss noch weiter untersucht werden. Diese<br />
Frage stellt sich auch deshalb, weil „<strong>in</strong> Deutschland<br />
jedes sechste bis siebte K<strong>in</strong>d übergewichtig<br />
ist, wobei <strong>die</strong> Häufigkeit von Übergewicht<br />
im Untersuchungszeitraum von 2003 bis 2006<br />
im Vergleich zum Referenzzeitraum (1985 bis<br />
1999) um <strong>die</strong> Hälfte gestiegen ist. Bei Jugendlichen<br />
ab 14 Jahren hat sich <strong>die</strong> Adipositaspräva-<br />
23<br />
Abbildung 2:<br />
Entwicklung der<br />
Telomerlängen <strong>in</strong><br />
Abhängigkeit vom<br />
Alter<br />
Vergleichend untersucht<br />
wurden <strong>die</strong><br />
Telomerlängen von<br />
naiven und aktivierten<br />
CD4+-T-Zellen des<br />
peripheren Blutes bei<br />
Personen unterschiedlichen<br />
Alters;<br />
bp/Jahr gibt den<br />
durchnittlichen Verlust<br />
an Basenpaaren<br />
pro Jahr an.<br />
Quelle: Erika Heil/<br />
art for biomed,<br />
modifiziert nach [9]<br />
<strong>Telomere</strong><br />
Pädiatrix 3/2012
24<br />
<strong>Telomere</strong><br />
lenz verdreifacht“, fasst der Berl<strong>in</strong>er Mediz<strong>in</strong>er<br />
und Epidemiologe <strong>die</strong> Ergebnisse der KiGGS-<br />
Stu<strong>die</strong> zusammen. Ähnliche Entwicklungen<br />
wurden und werden auch aus anderen Industrienationen<br />
beobachtet, auch im Bezug auf andere<br />
Zivilisationskrankheiten. Auf Basis <strong>die</strong>ser<br />
Entwicklungen postulierten Wissenschaftler<br />
aus den USA <strong>die</strong> Hypothese, dass sich <strong>die</strong> seit<br />
Jahrzehnten beobachtete kont<strong>in</strong>uierliche Erhöhung<br />
der durchschnittlichen Lebenserwartung<br />
<strong>in</strong> der Zukunft nicht nur verlangsamen, sondern<br />
eventuell sogar umkehren werde [18, 19].<br />
Soweit würde Schlaud allerd<strong>in</strong>gs nicht gehen,<br />
da <strong>die</strong> durchschnittliche Lebenserwartung von<br />
e<strong>in</strong>er Vielzahl von Aspekten bee<strong>in</strong>flusst wird<br />
und sich nach wie vor positiv entwickelt. Dazu<br />
gehört unter anderem auch, dass <strong>die</strong> Telomerlänge<br />
nicht nur negativ, sondern auch positiv<br />
durch unterschiedliche Umweltfaktoren bee<strong>in</strong>flussbar<br />
sche<strong>in</strong>t, zum Beispiel durch ballaststoffreiche<br />
Ernährung und Bewegung [20, 21].<br />
Für den Menschen fehlen noch Daten<br />
Neben der Erhebung fun<strong>die</strong>rter epidemiologischer<br />
Daten für den Menschen formuliert<br />
Hartmann e<strong>in</strong> weiteres wichtiges Ziel für <strong>die</strong><br />
Zukunft der Telomerforschung: Es müssen <strong>die</strong><br />
molekularen Vorgänge aufgedeckt werden,<br />
durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Telomerlängen unabhängig von<br />
den Telomerasen bee<strong>in</strong>flusst werden. „Wichtiger<br />
Ansatzpunkt könnte dabei der E<strong>in</strong>fluss von<br />
oxidativem Stress auf <strong>die</strong> DNA se<strong>in</strong>“, erklärt<br />
Hartmann unter anderem mit Bezug auf <strong>die</strong> Ergebnisse<br />
e<strong>in</strong>er Forschgruppe <strong>in</strong> Newcastle [22].<br />
Oxidativer Stress schadet der DNA, wodurch<br />
sich Schäden <strong>in</strong> der Telomerregion ansammeln<br />
könnten, da <strong>die</strong>se nicht von der <strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sischen<br />
DNA-Reparatur erfasst wird. Als Konsequenz<br />
könnten <strong>die</strong> B<strong>in</strong>dungsfähigkeit des Shelter<strong>in</strong>-<br />
Komplexes oder aber <strong>die</strong> Telomeraseaktivität<br />
e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong>, was zu e<strong>in</strong>er beschleunigten<br />
Verkürzung und damit früherer Alterung<br />
führen könne. Von e<strong>in</strong>er Zugabe von Telomerasen<br />
zur Telomerverlängerung, wie kürzlich<br />
<strong>in</strong> der Presse vorgeschlagen, rät der Jenaer Wissenschaftler<br />
übrigens entschieden ab, zeigen<br />
doch 85 Prozent aller Krebszellen e<strong>in</strong>e abnormal<br />
erhöhte Telomeraseaktivität. Bis zum molekularbiologischen<br />
„Anti-Ag<strong>in</strong>g“ sche<strong>in</strong>t es also<br />
noch e<strong>in</strong>e Weile h<strong>in</strong>. Und grundsätzlich sollte<br />
man vielleicht e<strong>in</strong>e andere Volksweisheit nicht<br />
aus den Augen verlieren, denn „den Wert e<strong>in</strong>es<br />
Menschenlebens bestimmt nicht se<strong>in</strong>e Länge,<br />
sondern se<strong>in</strong>e Tiefe“.<br />
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Pädiatrix 3/2012
25<br />
Molekulare Grundlagen der Telomerverkürzung<br />
Das Endproblem der Replikation – und se<strong>in</strong>e Lösung!<br />
Ursache für das sogenannte Endproblem bei der Replikation l<strong>in</strong>earer Chromosomen ist zum e<strong>in</strong>en <strong>die</strong><br />
DNA-Polymerase und zum anderen <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>die</strong> Stränge der DNA-Doppelhelix antiparallel<br />
zue<strong>in</strong>ander ausgerichtet s<strong>in</strong>d, d.h., dass e<strong>in</strong> Elternstrang <strong>in</strong> 3’é5’ und der andere <strong>in</strong> 5’é3’ Richtung<br />
verläuft (Abbildung unten). Während der semikonservativen Replikation muss also von der dafür<br />
verantwortlichen DNA-Polymerase je e<strong>in</strong> Tochterstrang mit entgegengesetzter Ausrichtung zu dem jeweiligen<br />
Elternstrang synthetisiert werden. Als Startpunkt für e<strong>in</strong>e jede Verdopplung <strong>die</strong>nen der DNA-<br />
Polymerase dabei kurze RNA-Stücke, <strong>die</strong> von dem Enzym RNA-Polymerase (auch Primase) synthetisiert<br />
werden. Allerd<strong>in</strong>gs kann <strong>die</strong> DNA-Polymerase nur Nucleotide <strong>in</strong> 5’é3’-Richtung verknüpfen, da<br />
sie zur Verlängerung e<strong>in</strong>er Nukle<strong>in</strong>säurekette e<strong>in</strong>e freie Hydroxylgruppe am dritten Kohlenstoffatom<br />
der Glucose benötigt. Somit könnte eigentlich nur zu dem 3’é5’-Elternstrang e<strong>in</strong> passender antiparalleler<br />
Tochterstrang synthetisiert werden. Damit auch der zweite Elternstrang repliziert wird, f<strong>in</strong>det<br />
<strong>die</strong> Replikation an <strong>die</strong>sem Strang diskont<strong>in</strong>uierlich statt, d.h., dass entlang des 5’é3’-Elternstranges<br />
wiederholt Primer für <strong>die</strong> DNA-Polymerase synthetisiert werden, von denen aus sie mit der Synthese<br />
des Tochterstranges beg<strong>in</strong>nen kann. Während also für den 3’é5’-Elternstrang e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Primer<br />
ausreicht, damit der gesamte Strang kont<strong>in</strong>uierlich repliziert wird, wird der 5’é3’-Elternstrang nur<br />
stückchenweise (diskont<strong>in</strong>uierlich) mithilfe von multiplen Primern verdoppelt. Später werden <strong>die</strong>se<br />
RNA-Stücke durch spezifische Exonukleasen herausgeschnitten und durch DNA ersetzt, wobei <strong>die</strong><br />
bereits neu synthetisierten DNA-Stücke als Startpunkt für <strong>die</strong> DNA-Polymerase <strong>die</strong>nen. Problematisch<br />
wird <strong>die</strong>s nur ganz am Ende e<strong>in</strong>es DNA-E<strong>in</strong>zelstranges, wie Abbildung D verdeutlicht, sodass<br />
es folglich bei jeder Replikation zu e<strong>in</strong>er Verkürzung der DNA kommt. Damit bei <strong>die</strong>sen fortschreitenden<br />
Verkürzungen ke<strong>in</strong>e wichtige DNA-Information verloren geht, gibt es <strong>die</strong> hochrepititiven Telomersequenzen<br />
an den<br />
Enden der Chromosomen,<br />
deren progressiver<br />
Verlust als e<strong>in</strong>e Art<br />
„Bauernopfer“ von der<br />
Natur e<strong>in</strong>geplant wurde.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
besitzen e<strong>in</strong>ige Zellen<br />
im Körper mit der<br />
Telomerase e<strong>in</strong> spezifisches<br />
Enzym, das<br />
<strong>die</strong> <strong>Telomere</strong> verlängern<br />
kann. Zellen mit<br />
hoher Telomeraseaktivität<br />
s<strong>in</strong>d Keimbahnzellen,<br />
hämatopoetische<br />
Stammzellen<br />
sowie e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />
von Krebszellen. Aber<br />
auch <strong>die</strong> Fähigkeit<br />
der Telomerase ist begrenzt<br />
und kann den<br />
Telomerabbau <strong>in</strong> den<br />
meisten Zelltypen<br />
nicht ewig aufhalten.<br />
<strong>Telomere</strong><br />
Quelle: modifiziert nach<br />
[23]<br />
Pädiatrix 3/2012