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Landessozialgericht Hamburg Im Namen des Volkes Urteil LSG-Az. : L 3 U 52/9 8 SG-Az . : 26 U 90/97 verkündet am 2. März 2004 in dem Rechtsstrei t Kläger/Berufungskläge r Prozessbevollmächtigter : als Urkundsbeamti n der Geschäftsstelle gegen Bau-Berufsgenossenschaft Beklagte/Berufungsbeklagte Der 3 . Senat des Landessozialgerichts Hamburg hat durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Friedrich, die Richter am Landessozialgericht Eidel und Wagner sowie di e ehrenamtlichen Richter Stölken und Minck aufgrund der mündlichen Verhandlung am 2 . März 2004 für Recht erkannt : Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26 . Oktober 1998 wird zurückgewiesen . Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten . Die Revision wird zugelassen . Tatbestand

<strong>Lan<strong>de</strong>ssozialgericht</strong> <strong>Hamburg</strong><br />

Im Namen <strong>de</strong>s Volkes<br />

Urteil<br />

LSG-Az. : L 3 U 52/9 8<br />

SG-Az . : 26 U 90/97<br />

verkün<strong>de</strong>t am 2. März 2004<br />

in <strong>de</strong>m Rechtsstrei t<br />

Kläger/Berufungskläge r<br />

Prozessbevollmächtigter :<br />

als Urkundsbeamti n<br />

<strong>de</strong>r Geschäftsstelle<br />

gegen<br />

Bau-Berufsgenossenschaft<br />

Beklagte/Berufungsbeklagte<br />

Der 3 . Senat <strong>de</strong>s <strong>Lan<strong>de</strong>ssozialgericht</strong>s <strong>Hamburg</strong> hat durch <strong>de</strong>n Vizepräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s <strong>Lan<strong>de</strong>ssozialgericht</strong>s<br />

Friedrich, die Richter am <strong>Lan<strong>de</strong>ssozialgericht</strong> Ei<strong>de</strong>l und Wagner sowie di e<br />

ehrenamtlichen Richter Stölken und Minck aufgrund <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung am 2 .<br />

März 2004 für Recht erkannt :<br />

Die Berufung <strong>de</strong>s Klägers gegen das Urteil <strong>de</strong>s Sozialgerichts <strong>Hamburg</strong><br />

vom 26 . Oktober 1998 wird zurückgewiesen .<br />

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten .<br />

Die Revision wird zugelassen .<br />

Tatbestand


2<br />

Im Streit ist, ob bei <strong>de</strong>m Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage zur<br />

Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vorliegt und die Beklagte ihm wegen <strong>de</strong>ren Folgen<br />

Entschädigungsleistungen zu gewähren hat .<br />

Der am X.XXXX 1938 geborene Kläger war ab 1953 durchgehend als Maurer beschäftigt .<br />

Seit Februar 1996 bezieht er eine Rente wegen Berufsunfähigkeit .<br />

Mit Schreiben vom 16 . Januar 1995 zeigte <strong>de</strong>r Orthopä<strong>de</strong> Dr . S . <strong>de</strong>r Beklagten an, dass <strong>de</strong>r<br />

Kläger am 9 . Januar 1995 wegen Schmerzen im Rücken, <strong>de</strong>r linken Hüfte und in bei<strong>de</strong> n<br />

Armen seine Tätigkeit als Maurer eingestellt habe . Er diagnostizierte das Vorliegen eine s<br />

mechanischen Kreuzschmerzes im Übergang vom 5 . Len<strong>de</strong>nwirbelkörper zum 1 .<br />

Sakralwirbelkörper (L5/S1) mit einem <strong>de</strong>generativen Bandscheibenscha<strong>de</strong>n, einer muskuläre n<br />

Wirbelsäuleninsuffizienz und Brachialgie bei<strong>de</strong>rseits und war <strong>de</strong>r Auffassung, dass hierfür di e<br />

vom Kläger in gebückter und leicht vorgebeugter Haltung geleisteten Arbeiten ursächlic h<br />

seien .<br />

Der Technische Aufsichtsdienst <strong>de</strong>r Beklagten hielt die arbeitstechnischen Voraussetzungen<br />

für die Anerkennung einer Berufskrankheit für erfüllt. In seinem im Auftrag <strong>de</strong>r Beklagte n<br />

erstellten fachchirurgischen Zusammenhangsgutachten vom 22 . April 1996 gelangte <strong>de</strong> r<br />

Chirurg Dr. H. nach Untersuchung <strong>de</strong>s Klägers und unter Berücksichtigung eines<br />

röntgenologischen Zusatzgutachtens Dr . K. vom 9. April 1996 zu <strong>de</strong>m Ergebnis, dass di e<br />

medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr . 2108 <strong>de</strong>r Anlage zur BKV<br />

nicht gegeben seien . Es liege ein Verschleiß aller drei Wirbelsäulenabschnitte vor, wobei i m<br />

Bereich <strong>de</strong>r Hals- und Len<strong>de</strong>nwirbelsäule ein monosegmentaler Befall bestehe . Es fän<strong>de</strong>n sich<br />

jedoch keine Funktionseinschränkungen <strong>de</strong>r Len<strong>de</strong>nwirbelsäule, aber Hinweise auf ein e<br />

durchgemachte Scheuermannsche Erkrankung und eine geringgradige Drehverbiegung <strong>de</strong> r<br />

gesamten Brust- und Len<strong>de</strong>nwirbelsäule . Der monosegmentale Befall sei al s<br />

schicksalsbedingt zu werten, da bei einer Belastung <strong>de</strong>r Wirbelsäule durch schweres Hebe n<br />

und Tragen nicht nachvollziehbar sei, dass bevorzugt das Segment L5/S1 reagiert habe n<br />

sollte .<br />

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20 . Juni 1996 die Gewährung einer<br />

Entschädigung ab. Die Tätigkeit als Maurer sei nicht geeignet, lediglich ein Segment <strong>de</strong> r<br />

Wirbelsäule isoliert zu schädigen . Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach §


3<br />

551 Abs. 1 <strong>de</strong>r Reichsversicherungsordnung (RVO) i .V.m. Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage zur BKV<br />

seien <strong>de</strong>shalb ebenso wenig erfüllt wie jene auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s § 551 Abs . 2 RVO .<br />

Der während <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahrens zusätzlich gehörte Orthopä<strong>de</strong> P . kam in seine m<br />

Gutachten vom 11 . November 1996 nach Untersuchung <strong>de</strong>s Klägers zu <strong>de</strong>r<br />

zusammenfassen<strong>de</strong>n Beurteilung, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung im engeren<br />

Sinne nicht vorliege . Die krankhaften Verän<strong>de</strong>rungen im Bereich <strong>de</strong>s Segments L5/S 1 seie n<br />

altersnormal. Zwar liege eine Osteochondrose vor ; das Bild geben<strong>de</strong> Verfahren zeige jedoc h<br />

we<strong>de</strong>r einen Bandscheibenvorfall noch eine wesentliche Bandscheibenvorwölbung .<br />

Irgen<strong>de</strong>ine Beschwer<strong>de</strong>symptomatik gehe hiervon nicht aus .<br />

Daraufhin wies die Beklagte <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch mit Wi<strong>de</strong>rspruchsbescheid vom 29. Januar<br />

1997 als unbegrün<strong>de</strong>t zurück .<br />

Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat <strong>de</strong>r Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, das s<br />

die Beklagte die BK zu Unrecht mit <strong>de</strong>r Begründung abgelehnt habe, dass lediglich ein<br />

monosegmentaler Bandscheibenscha<strong>de</strong>n vorliege .<br />

Der vom Sozialgericht mit <strong>de</strong>r Untersuchung und Begutachtung beauftragte Chirurg M . kam<br />

in seinem Gutachten vom 11 . August 1997 ebenso wie <strong>de</strong>r vorher von <strong>de</strong>r Beklagten gehörte<br />

Orthopä<strong>de</strong> P. zu <strong>de</strong>r Beurteilung, dass beim Kläger eine typische bandscheibenbedingt e<br />

Erkrankung nicht vorliege. Hierfür fehle es über <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>generativer Verän<strong>de</strong>runge n<br />

im Sinne einer Osteochondrose, Spondylose o<strong>de</strong>r Spondylarthrose hinaus an chronisc h<br />

rezidivieren<strong>de</strong>n Beschwer<strong>de</strong>n und Funktionsausfällen . Die geklagten Beschwer<strong>de</strong>n erklärte n<br />

sich ausschließlich durch die hochgradige Fehlhaltung <strong>de</strong>r Wirbelsäule, insbeson<strong>de</strong>re di e<br />

krankhafte Hohlverbiegung <strong>de</strong>s lumbosakralen Übergangs. Im Übrigen sei <strong>de</strong> r<br />

Ursachenzusammenhang <strong>de</strong>shalb zu verneinen, weil konkurrieren<strong>de</strong> Ursache n<br />

außerberuflicher Art vorlägen .<br />

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 26 . Oktober 1998 die Klage unter Bezugnahme auf di e<br />

Begründung in <strong>de</strong>n angefochtenen Beschei<strong>de</strong>n abgewiesen . Ergänzend hat es ausgeführt, dass<br />

<strong>de</strong>r Ursachenzusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Wirbelsäulenscha<strong>de</strong>n zwa r<br />

nicht <strong>de</strong>shalb zu verneinen sei, weil lediglich ein monosegmentaler Bandscheibenscha<strong>de</strong> n<br />

vorliege. Die Kausalität zur beruflichen Tätigkeit sei jedoch <strong>de</strong>shalb zu verneinen, weil be i<br />

<strong>de</strong>m Kläger eine <strong>de</strong>rartige Fehlhaltung <strong>de</strong>r Wirbelsäule vorliege, dass selbst ohn e<br />

wirbelsäulebelasten<strong>de</strong> Tätigkeit die Bandscheibe L5/S 1 geschädigt wäre .


4<br />

Gegen das am 28. Oktober 1998 zugestellte Urteil hat <strong>de</strong>r Kläger am 5 . November 1998<br />

Berufung eingelegt. Er bestreitet, dass <strong>de</strong>r bei ihm vorliegen<strong>de</strong> fast vollständige Verlust <strong>de</strong>r<br />

Bandscheibe L5/S 1 altersnormal sei . Soweit die Gutachter von einem anlagebedingte n<br />

Scha<strong>de</strong>n ausgingen, wür<strong>de</strong>n sie verkennen, dass auch ein vorgeschädigter Körper unter <strong>de</strong> m<br />

Schutz <strong>de</strong>r gesetzlichen Unfallversicherung stehe . Es müsse <strong>de</strong>shalb geklärt wer<strong>de</strong>n ,<br />

inwieweit die von ihm verrichtete körperlich außergewöhnlich schwere Berufstätigkeit<br />

zumin<strong>de</strong>st wesentlich teilursächlich für seine Erkrankung sei. Im Übrigen gebe es <strong>de</strong>rzeit<br />

we<strong>de</strong>r eine herrschen<strong>de</strong> medizinische Lehrmeinung, die einen mono- o<strong>de</strong>r bisegmentale n<br />

Befall als Ausschlusskriterium für die Anerkennung einer BK gemäß Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage zu r<br />

BKV bewerte noch allgemeine Erkenntnisse über ein so genanntes belastungskonforme s<br />

Scha<strong>de</strong>nsbild. In seinem im Auftrag <strong>de</strong>s <strong>Lan<strong>de</strong>ssozialgericht</strong>s erstellten Gutachten vom 28 .<br />

November 2001 kommt <strong>de</strong>r Orthopä<strong>de</strong> Dr. N. nach Untersuchung <strong>de</strong>s Klägers zu <strong>de</strong>r<br />

Feststellung, dass trotz röntgenlogisch gesicherter <strong>de</strong>generativer Verän<strong>de</strong>rungen an allen dre i<br />

Wirbelsäulenabschnitten, insbeson<strong>de</strong>re einer Osteochondrose im Bereich <strong>de</strong>s Segmente s<br />

L5/S 1 eine bandscheibenbedingte Erkrankung im medizinischen Sinne nicht zu belegen sei .<br />

Von einer solchen könne erst dann gesprochen wer<strong>de</strong>, wenn zusätzlich zu <strong>de</strong>m<br />

röntgenmorphologischen Befund ein klinischer vorliege in Form einer segmentalen wie auc h<br />

globalen Bewegungseinschränkung <strong>de</strong>s betroffenen Wirbelsäulenabschnitts, eines durc h<br />

Druck o<strong>de</strong>r Stauchung auslösbaren segmentbezogenen Schmerzes und eines Hartspanns <strong>de</strong> r<br />

segmental zugehörigen Muskulatur . Fakultativ seien segmentbezogene neurologisch e<br />

Befun<strong>de</strong> erfor<strong>de</strong>rlich . Alle diese Voraussetzungen lägen bei <strong>de</strong>m Kläger nicht vor . Es sei von<br />

einem chronischen unspezifischen Rückenschmerz auszugehen, bei <strong>de</strong> m<br />

Verschleißerscheinungen <strong>de</strong>r Bandscheibe eine völlig untergeordnete Rolle spielten . Selbst<br />

bei Annahme einer bandscheibenbedingten Erkrankung sei hierfür je<strong>de</strong>nfalls die berufliche<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>s Klägers nicht ursächlich . Vielmehr seien an<strong>de</strong>re Ursachen zu nennen wie di e<br />

Fehlstatik <strong>de</strong>r Brustwirbelsäule, offensichtlich auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n einer durchgemachte n<br />

Scheuermannschen Wachstumsstörung, verstärkt durch ein nicht unerhebliches Übergewicht<br />

mit <strong>de</strong>utlichem Bauchansatz, woraus eine erhebliche Fehlbelastung <strong>de</strong>r lumbosakrale n<br />

Bandscheibe resultiere .<br />

Im Zeitraum vom 21 . Februar bis 4. März 2002 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kläger in <strong>de</strong>r E .-Klinik H. wegen<br />

einer Spinalstenose L3/L4 und L4/L5 stationär behan<strong>de</strong>lt und eine knöcherne Dekompressio n<br />

L3/L4 und L4/L5, jeweils beidseits durchgeführt .<br />

Nachfolgend hat <strong>de</strong>r Sachverständige Dr . N. sein orthopädisches Gutachten durch ein e<br />

schriftliche Stellungnahme vom 24. Februar 2003 ergänzt. Danach zeigten die vorliegen<strong>de</strong>n


5<br />

Röntgenaufnahmen, dass es zwischen <strong>de</strong>m Jahre 2000 und 2002 zu einer <strong>de</strong>utlichen Zunahm e<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>generativen Verän<strong>de</strong>rungen im Segment L3/L4 gekommen sei . Aus <strong>de</strong>m<br />

Operationsbericht ergebe sich, dass eine ausgeprägte Arthrose <strong>de</strong>r Wirbelgelenke L3/L4 un d<br />

L4/L5 vorgelegen habe, die in Verbindung mit einer Vergrößerung <strong>de</strong>r gelben Bän<strong>de</strong>r z u<br />

einer Wirbelsäulenkanalverengung geführt hätte . Die Bandscheiben L3/L4 sowie L4/L5 seien<br />

in diesem Bericht ausdrücklich als unauffällig beschrieben wor<strong>de</strong>n. Es liege <strong>de</strong>shalb auch<br />

unter Berücksichtigung dieser Befun<strong>de</strong> eine bandscheibenbedingte Erkrankung beim Kläger<br />

nicht vor. Mittlerweile habe sich allerdings im Segment L3/L4 eine zunehmend e<br />

Osteochondrose entwickelt, <strong>de</strong>r jedoch ein klinischer Segmentbefund nicht zugeordne t<br />

wer<strong>de</strong>n könne. In <strong>de</strong>m am 2. April 2003 durchgeführten Erörterungstermin hat <strong>de</strong> r<br />

Sachverständige Dr. N. seine Feststellungen und Beurteilung erläutert und zusätzlich im<br />

Einzelnen ausgeführt, weshalb nach seiner Auffassung selbst bei Annahme eine r<br />

bandscheibenbedingten Erkrankung die berufliche Tätigkeit <strong>de</strong>s Klägers hierfür nicht<br />

ursächlich sei .<br />

Mit Beschluss vom 2 . April 2003 hat das Gericht <strong>de</strong>m Antrag <strong>de</strong>s Klägers auf Einholun g<br />

eines Gutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - stattgegeben und di e<br />

Beauftragung <strong>de</strong>s genannten Arztes Dr. B . von <strong>de</strong>r Einzahlung eines Kostenvorschusses in<br />

Höhe von 2 .500,-- € abhängig gemacht. Der Kläger hat diesen Kostenvorschuss, auch<br />

nach<strong>de</strong>m ihm mit gerichtlichem Schreiben vom 23 . Oktober 2003 eine letzte Frist hierfür vo n<br />

einem Monat gesetzt und er darauf hingewiesen wor<strong>de</strong>n ist, dass das Gutachten nac h<br />

erfolglosem Fristablauf wegen Verschleppung nicht eingeholt wer<strong>de</strong>, nicht eingezahlt .<br />

Der Kläger trägt zusätzlich vor, es gebe neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, di e<br />

belegten, dass die Vorgutachter in diesem Verfahren eine Fehleinschätzung vorgenomme n<br />

hätten. Vor allem die Beurteilung <strong>de</strong>s Gutachters Dr . N., wonach eine bandscheibenbedingte<br />

Erkrankung <strong>de</strong>r Len<strong>de</strong>nwirbelsäule nicht vorliege, sei vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s von <strong>de</strong>m<br />

Sachverständigen Dr. B . in einem Parallelverfahren erstatteten Gutachten ebenso wenig<br />

haltbar wie die zur Kausalitätsbeurteilung von ihm herangezogenen Kriterien .<br />

Der Kläger beantragt ,<br />

das Urteil <strong>de</strong>s Sozialgerichts <strong>Hamburg</strong> vom 26 . Oktober 1998 sowie <strong>de</strong>n Bescheid <strong>de</strong>r<br />

Beklagten vom 20 . Juni 1996 in <strong>de</strong>r Fassung <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchsbeschei<strong>de</strong>s vom 29 .<br />

Januar 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, <strong>de</strong>n Kläger wegen <strong>de</strong> r<br />

Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage <strong>de</strong>r Berufskrankheiten-<br />

Verordnung zu entschädigen .


Die Beklagte beantragt,<br />

6<br />

die Berufung <strong>de</strong>s Klägers gegen das Urteil <strong>de</strong>s Sozialgerichts <strong>Hamburg</strong> vom 26 .<br />

Oktober 1998 zurückzuweisen .<br />

Sie tritt <strong>de</strong>m Vorbringen <strong>de</strong>s Klägers unter Bezugnahme auf das angegriffene Urteil <strong>de</strong> s<br />

Sozialgerichts und die zutreffen<strong>de</strong> Beurteilung <strong>de</strong>s Sachverständigen Dr . N. entgegen .<br />

Unabhängig davon, dass bereits eine bandscheibenbedingte Erkrankung bei <strong>de</strong>m Kläger nich t<br />

vorliege, spreche ein generalisiertes Lei<strong>de</strong>n, wie es bei <strong>de</strong>m Kläger festgestellt wor<strong>de</strong>n sei ,<br />

nach höchstrichterlicher Rechtsprechung regelmäßig gegen das Vorliegen einer BK gemä ß<br />

Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage zur BKV . Der Auffassung <strong>de</strong>s Gutachters Dr . B . sei nicht zu folgen, da<br />

ansonsten keinerlei Kriterien für die Abgrenzung berufsbedingter von sonstige n<br />

Erkrankungen <strong>de</strong>r Len<strong>de</strong>nwirbelsäule zur Verfügung stün<strong>de</strong>n . Allein mit <strong>de</strong>r Feststellung <strong>de</strong>r<br />

so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen könne das Vorliegen einer Berufskrankheit<br />

nicht begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n . Bei solchen weit verbreiteten Bandscheibenerkrankungen <strong>de</strong> r<br />

Len<strong>de</strong>nwirbelsäule spreche auch keine Vermutung für einen Ursachenzusammenhang mi t<br />

schwerer körperlicher Arbeit .<br />

Das Gericht hat <strong>de</strong>n medizinischen Sachverständigen Dr. N. im Senatstermin am 2 . März<br />

2004 eingehend vernommen . Hinsichtlich seiner gutachterlichen Aussagen sowie <strong>de</strong>s übrigen<br />

Sach- und Streitstan<strong>de</strong>s wird auf <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r ausweislich <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschrift über diese<br />

Sitzung zum Gegenstand <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung und Beratung <strong>de</strong>s Senats gemachte n<br />

Akten Bezug genommen .<br />

Entscheidungsgrün<strong>de</strong><br />

Die statthafte und zulässige, insbeson<strong>de</strong>re fristgerecht eingelegte Berufung <strong>de</strong>s Klägers (§ §<br />

143, 144, 151 SGG) ist nicht begrün<strong>de</strong>t . Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage<br />

abgewiesen. Auch zur Überzeugung <strong>de</strong>s Senats ist <strong>de</strong>r die Gewährung einer Entschädigun g<br />

ablehnen<strong>de</strong> Bescheid <strong>de</strong>r Beklagten vom 20. Juni 1996 in <strong>de</strong>r Fassung <strong>de</strong> s<br />

Wi<strong>de</strong>rspruchsbeschei<strong>de</strong>s vom 29 . Januar 1997 rechtmäßig, da die gesundheitliche n<br />

Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Klägers im Bereich seiner Len<strong>de</strong>nwirbelsäule nicht Folgen einer B K<br />

gemäß Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage zur BKV sind .


7<br />

Auf diesen Rechtsstreit fin<strong>de</strong>n noch die Vorschriften <strong>de</strong>r RVO Anwendung, da wegen <strong>de</strong> r<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r wirbelsäulenbelasten<strong>de</strong>n Tätigkeit als Maurer im Januar 1995 ei n<br />

Versicherungsfall vor <strong>de</strong>m Inkrafttreten <strong>de</strong>s 7 . Buchs Sozialgesetzbuch - Gesetzlich e<br />

Unfallversicherung - (SGB VII) am 1 . Januar 1997 im Streit ist (§ 212 SGB VII ; Art. 36<br />

Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz) .<br />

Gemäß § 551 Abs . 1 RVO i.V.m. Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage zur BKV sind Berufskrankheite n<br />

bandscheibenbedingte Erkrankungen <strong>de</strong>r Len<strong>de</strong>nwirbelsäule durch langjähriges Heben o<strong>de</strong> r<br />

Tragen schwerer Lasten o<strong>de</strong>r durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ,<br />

die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, di e<br />

Verschlimmerung o<strong>de</strong>r das Wie<strong>de</strong>raufleben <strong>de</strong>r Krankheit ursächlich waren o<strong>de</strong>r sein<br />

können .<br />

Zwar erfüllt <strong>de</strong>r Kläger - wovon die Beklagte zu Recht ausgegangen ist - di e<br />

arbeitstechnischen Voraussetzungen einer ausreichend hohen und langen berufliche n<br />

Exposition durch Heben und Tragen schwerer Lasten während seiner mehr als 40-jährigen<br />

durchgehen<strong>de</strong>n beruflichen Tätigkeit als Maurer .<br />

Zur Überzeugung <strong>de</strong>s Senats liegt bei ihm 'edoch eine bandscheibenbedin e Erkrankun : <strong>de</strong>r<br />

Len<strong>de</strong>nwirbelsäule nicht vor. Allein eine solche Erkrankung fällt unter die vo m<br />

Verordnungsgeber in die Liste <strong>de</strong>r Berufskrankheiten aufgenommene BK . Voraussetzung ist<br />

hierfür - wie sich bereits aus <strong>de</strong>m Wortlaut "bandscheibenbedingte Erkrankungen" ergibt -<br />

neben einem objektivierten Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch Verän<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>r Bandscheibe verursach t<br />

ist, ein chronisches o<strong>de</strong>r chronisch-rezidivieren<strong>de</strong>s Krankheitsbild mit<br />

Funktionseinschränkungen (vgl. dazu Mehrtens-Perlebach, Kommentar zur BKV Stan d<br />

1/2004, Anm. 3 zu Nr. 2108 <strong>de</strong>r Anlage zur BKV ; III <strong>de</strong>s Merkblatts <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministers fü r<br />

Arbeit und Sozialordnung für die ärztliche Untersuchung, Bun<strong>de</strong>sarbeitsblatt 3/93, S . 50 ;<br />

Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6 . Auflage 1996, S . 529<br />

f) . Demgegenüber reicht das Vorliegen allein einer Osteochondrose, einer Spondylose o<strong>de</strong> r<br />

einer Spondylarthrose ohne ursächlichen Bezug zu einer Bandscheiben<strong>de</strong> eneration und ohne<br />

ein dadurch bedingtes klinisches Beschwer<strong>de</strong>bild nicht aus (nicht ein<strong>de</strong>utig die Begründun g<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung im Entwurf zur Zweiten Verordnung zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong> r<br />

Berufskrankheiten-Verordnung, Bun<strong>de</strong>sratsdrucksache 773/92 vom 5 . November 1992, Seite<br />

8) .


8<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Befundberichte und medizinischen Sachverständigengutachten ,<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r überzeugen<strong>de</strong>n Ausführungen <strong>de</strong>s Orthopä<strong>de</strong>n Dr . N., liegt bei <strong>de</strong>m Kläger<br />

ein mit bildgeben<strong>de</strong>m Verfahren nachgewiesener Bandscheibenscha<strong>de</strong>n im Bereich L5/S 1 i m<br />

Sinne einer Osteochondrose vor, <strong>de</strong>r jedoch nicht zu einem klinischen Beschwer<strong>de</strong>bild mi t<br />

Funktionseinschränkungen geführt hat. Darüber hinaus besteht eine primäre Spondylarthros e<br />

(Verschleiß <strong>de</strong>s Wirbelgelenks) ohne vorangehen<strong>de</strong> Bandscheiben<strong>de</strong>generation in <strong>de</strong> n<br />

Segmenten L3/L4 und L4/L5 mit einer Einengung <strong>de</strong>s Wirbelsäulenkanals ohn e<br />

Schädigungen o<strong>de</strong>r Vorwölbungen <strong>de</strong>r Bandscheiben in diesen Abschnitten, wie sich aus <strong>de</strong> m<br />

Operationsbericht <strong>de</strong>r E .-Klinik vom 22 . Februar 2002 sowie <strong>de</strong>m Arztbrief <strong>de</strong>r Diana-Klinik<br />

vom 28. März 2002 ein<strong>de</strong>utig ergibt. Die Diagnose lautete <strong>de</strong>shalb auch: Knöchern e<br />

Dekompression einer Spinalstenose L3/4 und L4/5 . Eine Osteochondrose lag somit in diese n<br />

Segmenten zum damaligen Zeitpunkt nicht vor . Die von <strong>de</strong>m Sachverständigen Dr. N .<br />

nunmehr beschriebene Osteochondrose auch im Segment L 3/L4, die im Zeitpunkt <strong>de</strong> r<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r belasten<strong>de</strong>n Tätigkeit im Januar 1995 ein<strong>de</strong>utig nicht vorlag, stellt kein e<br />

bandscheibenbedingte Erkrankung dar, weil, wie <strong>de</strong>r Sachverständige zu Recht ausgeführt<br />

hat, ihr ebenfalls ein entsprechen<strong>de</strong>r Segmentbefund nicht zugeordnet wer<strong>de</strong>n kann .<br />

Auch die früher tätig gewor<strong>de</strong>nen medizinischen Sachverständigen P . und M. haben in<br />

Übereinstimmung mit Dr. N. nach jeweiliger Untersuchung <strong>de</strong>s Klägers festgestellt, dass bei<br />

diesem eine typische bandscheibenbedingte Erkrankung nicht vorliegt .<br />

Da somit in Würdigung <strong>de</strong>r gesamten Aktenlage, insbeson<strong>de</strong>re auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong> r<br />

überzeugen<strong>de</strong>n Ausführungen <strong>de</strong>s medizinischen Sachverständigen Dr. N. eine<br />

bandscheibenbedingte Erkrankung <strong>de</strong>r Len<strong>de</strong>nwirbelsäule nicht anzunehmen ist, konnte <strong>de</strong>r<br />

Senat in diesem Rechtsstreit die Frage unbeantwortet lassen, ob eine solche mit <strong>de</strong> r<br />

erfor<strong>de</strong>rlichen hinreichen<strong>de</strong>n Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Exposition <strong>de</strong>s Kläger s<br />

durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten zurückzuführen wäre (so genannt e<br />

haftungsausfüllen<strong>de</strong> Kausalität). Es konnte <strong>de</strong>shalb auch dahingestellt bleiben, ob die vo n<br />

<strong>de</strong>m medizinischen Sachverständigen Dr . B . in <strong>de</strong>m von Kläger genannten Parallelverfahre n<br />

vertretene Auffassung zutreffend ist, wonach die bisher zur Feststellung <strong>de</strong>r Berufsbedingtheit<br />

<strong>de</strong>s bandscheibenbedingten Scha<strong>de</strong>ns von medizinischen Sachverständigen, insbeson<strong>de</strong>r e<br />

auch Dr. N., herangezogenen Kriterien wie Vorliegen eines belastungskonforme n<br />

Scha<strong>de</strong>nsbil<strong>de</strong>s, einer so genannten Linksverschiebung (altersvorauseilen<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n) und<br />

Abwesenheit konkurrieren<strong>de</strong>r Ursachen aufgrund <strong>de</strong>r von diesem Sachverständige n<br />

angeführten neueren Studien nicht mehr geeignet sind . Allerdings stellte sich dann die Frage,


9<br />

welche sonstigen Abgrenzungskriterien zur Verfiigung stehen, um die beruflich e<br />

Verursachung mit <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen hinreichen<strong>de</strong>n Wahrscheinlichkeit festzustellen . Allein<br />

das Vorliegen <strong>de</strong>r arbeitstechnischen Voraussetzungen sowie einer bandscheibenbedingte n<br />

Erkrankung vermag nicht zur Bejahung einer BK zu führen, und die in § 9 Abs . 3 SGB VI I<br />

zum Zwecke <strong>de</strong>r Beweiserleichterung enthaltene wi<strong>de</strong>rlegbare Vermutung <strong>de</strong> s<br />

Ursachenzusammenhangs kann zur Überzeugung <strong>de</strong>s Senats keine Anwendung fin<strong>de</strong>n, d a<br />

Erkrankungen <strong>de</strong>r Len<strong>de</strong>nwirbelsäule eine Vielzahl von Ursachen beruflicher wi e<br />

außerberuflicher Art haben können .<br />

Die Kostenentscheidung beruht auf <strong>de</strong>r Regelung <strong>de</strong>s § 193 SGG und entspricht <strong>de</strong> m<br />

Ausgang <strong>de</strong>s Rechtsstreits in <strong>de</strong>r Hauptsache .<br />

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil wegen <strong>de</strong>r grundsätzlichen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong> r<br />

Rechtssache zugelassen, § 160 Abs . 2 Nr. 1 SGG . Es bedarf <strong>de</strong>r höchstrichterlichen Klärung<br />

<strong>de</strong>r Rechtsfrage, wie <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne <strong>de</strong>r Nr.<br />

2108 <strong>de</strong>r Anlage zur BKV auszulegen ist, zumal die Begründung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung zu<br />

<strong>de</strong>m Entwurf <strong>de</strong>r Zweiten Verordnung zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Berufskrankheiten-Verordnun g<br />

(a.a.O . S . 8) diese Frage nicht ein<strong>de</strong>utig beantwortet .<br />

Friedrich Ei<strong>de</strong>l Wagner

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