Offener Brief - Fachverband Deutsch
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Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,<br />
Frau Kristina Schröder<br />
11018 Berlin<br />
Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V.<br />
Projektleitung <strong>Deutsch</strong>er Jugendliteraturpreis<br />
Metzstraße 14c<br />
81667 München<br />
Initiative deutschsprachiger Kinder- und<br />
JugendbuchautorInnen und IllustratorInnen<br />
Der <strong>Deutsch</strong>e Filmpreis geht in diesem Jahr an<br />
die US-Produktion „Django Unchained“ unter<br />
der Regie von Quentin Tarantino!<br />
Ein Aprilscherz der Medien<br />
Was jede Leserin und jeder Leser für einen Scherz halten würde, ist beim<br />
DEUTSCHEN JUGENDLITERATURPREIS seit Jahren gang und gäbe.<br />
Der DEUTSCHE JUGENDLITERATURPREIS ist der einzige deutsche Staatspreis für<br />
Literatur. Von Staatspreisen für andere Künste unterscheidet er sich jedoch<br />
dadurch, dass er nicht der deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchproduktion<br />
vorbehalten ist. Etwa 90% aller seit 1956 vergebenen <strong>Deutsch</strong>en<br />
Jugendliteraturpreise gehen an fremdsprachige AutorInnen.<br />
Auszug aus den Vergaberichtlinien:<br />
Nominiert und ausgezeichnet werden können Werke, die im Vorjahr erstmals erschienen sind:<br />
1) deutschsprachige Originalwerke lebender AutorInnen/HerausgeberInnen/IllustratorInnen<br />
2) deutsche Übersetzungen von fremdsprachigen Werken lebender AutorInnen und<br />
HerausgeberInnen<br />
Was heißt das genau<br />
1
Allein das Erscheinungsjahr in <strong>Deutsch</strong>land ist entscheidend. Verlage können<br />
aktuelle Übersetzungen einreichen, deren Erstveröffentlichung des Originals Jahre<br />
zurückliegt. Im Falle der 2008 prämierten US-Autorin Paula Fox waren es 39<br />
Jahre.<br />
Abgesehen davon, dass also dieser Staatspreis – anders als in anderen Ländern –<br />
nicht der Anerkennung und Förderung der eigenen Literaturproduktion dient, wird<br />
Übersetzungen zudem noch ein starker Vorteil gewährt: Sie haben jahrelang Zeit,<br />
sich in ihrem Heimatland zu bewähren, Preise zu gewinnen, Bestsellerlisten<br />
anzuführen und hohe mediale Anerkennung zu erlangen – kurz: sich zu etablieren,<br />
bevor sie hier in der Übersetzung erscheinen und in den Wettbewerb gehen.<br />
Eingereichte deutschsprachige Originale sind im Gegensatz dazu erst kurz auf<br />
dem Markt, haben kaum Zeit, von KritikerInnen, MultiplikatorInnen und<br />
LeserInnen wahrgenommen zu werden, geschweige denn, sich zu etablieren. Ihre<br />
Spitzenplätze und damit einen großen Teil des PR- und Marketingbudgets<br />
vergeben Verlage nicht selten an die oft teuer eingekauften Lizenztitel. Diese<br />
reichen sie dann für den DJLP ein, und die Schieflage wird weiter und weiter<br />
verstärkt. Paul Maar, selbst Preisträger, kritisierte, dass durch die Vergabepraxis<br />
des DJLP „der Blick verstellt wird auf deutsche Nachwuchsautoren und deren<br />
Bücher.“<br />
Als der DJLP im Jahre 1956 ins Leben gerufen wurde, hatte die Öffnung für<br />
Übersetzungen eine wichtige Funktion. Vor dem Krieg war die Jugendliteratur<br />
stark ideologisch geprägt. Es galt, den Blick nach außen zu richten,<br />
Völkerverständigung zu fördern. Zudem war die Eigenproduktion von Kinderund<br />
Jugendliteratur noch sehr gering.<br />
Die Lebensrealität und die Literaturproduktion haben sich im Vergleich zu damals<br />
umfassend gewandelt. Wir leben unter völlig anderen politischen Verhältnissen,<br />
Kinder wachsen mehrsprachig, bestens informiert und von kleinauf mit den<br />
Medien wie dem Internet auf. Multikulturalität spielt sich vor der eigenen Haustür<br />
ab.<br />
In Geschichten, die in der hiesigen Realität angesiedelt sind, finden Kinder<br />
Möglichkeiten zur Reflexion über ihre konkreten Alltagserlebnisse.<br />
Multikulturalität kann wiederum nicht ausschließlich hinter den Landesgrenzen<br />
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wahrgenommen werden, sie ist längst Teil unserer eigenen Literaturproduktion<br />
geworden.<br />
Für die Zielsetzung dieses Leseförderungspreises, nämlich „Kinder und<br />
Jugendliche zur Begegnung und Auseinandersetzung mit Literatur anzuregen“,<br />
braucht es den Fokus auf deutschsprachige Originalwerke. Es sind eben v.a. deren<br />
AutorInnen, die in diesem Land Lesungen durchführen und dabei direkt und<br />
wirkungsvoll Literatur vermitteln können. Zudem hat ein Text nur in seiner<br />
Muttersprache die ursprüngliche literarische Dichte und Authentizität.<br />
Übersetzungen sind eine höchst anspruchsvolle Leistung mit einer ganz eigenen<br />
Qualität, die ohne Frage gewürdigt gehört. Darum soll unbedingt, ähnlich dem<br />
Preis der Leipziger Buchmesse, eine separate neue Sparte eingerichtet werden,<br />
die ausdrücklich nicht nur fremdsprachige Werke, sondern v.a. die<br />
Übersetzungsleistung würdigt.<br />
Der Arbeitskreis für Jugendliteratur, der seit Jahren von vielen Seiten<br />
kritisiert wird, argumentiert mit folgenden Punkten:<br />
1) dass man die LeserInnen durch die Schwerpunktverschiebung auf<br />
deutschsprachige Originale nicht „von der internationalen Entwicklung“<br />
abschneiden, sondern weiter den „Blick über den Gartenzaun“ ermöglichen<br />
möchte<br />
2) dass man es weiterhin für unerlässlich hält, „wichtige Impulse und neue<br />
literarische Entwicklungen aus anderen Ländern aufzunehmen und somit die<br />
Kinder- und Jugendliteratur hierzulande zu fördern“<br />
3) dass nicht die AutorInnen Ziel der Förderung seien, sondern die<br />
Leseförderung selbst<br />
4) dass der schwedische Astrid Lindgren Memorial Award und die britische<br />
Carnegie Medal ebenfalls international vergeben würden<br />
5) dass es bereits die Kranichsteiner Literaturstipendien und den Preis fürs<br />
Gesamtwerk gäbe, die ausschließlich an deutschsprachige AutorInnen gingen.<br />
Bei dieser Argumentation werden folgende Antworten hartnäckig ignoriert:<br />
3
zu 1)<br />
<strong>Deutsch</strong>land ist das Land mit den meisten Übersetzungen – auf der Welt. Von<br />
einem „Abschneiden von internationalen Entwicklungen“ kann keine Rede sein.<br />
Der Buchhandel hält einen üppig gedeckten Tisch an Übersetzungen bereit. Fast<br />
jedes zweite Buch ist eine Übersetzung. Sie werden von Verlagen oft bevorzugt<br />
beworben und durch andere Vermittlungsinstanzen sichtbar gemacht und<br />
empfohlen. Dazu bedarf es nicht zusätzlich des DJLP.<br />
In einer Zeit, in der sich manche/r deutschsprachige AutorIn aus<br />
Marketinggründen gezwungen fühlt, unter englischsprachigem Pseudonym und<br />
mit einer entsprechenden inhaltlichen Ausrichtung zu veröffentlichen, wird ein<br />
Problem eklatant: Nicht nur die Förderung der Vermittlung von fremden<br />
Lebensbereichen und Kulturen ist wichtig. Die Förderung der Vermittlung der<br />
eigenen kulturellen Identität ist ebenso wichtig. Diese Vermittlung wird<br />
benachteiligt.<br />
Außerdem ist für interkulturellen Dialog der gegenseitige Austausch mit anderen<br />
Kulturen und Sprachen wichtig. Die Nominierungslisten und Preisträger des DJLP<br />
werden im Ausland wahrgenommen. Goethe-Institute, internationale Schulen und<br />
Bibliotheken bestellen die prämierten Titel und laden nicht selten die Preisträger<br />
zu Lesungen ein. Diese Gelegenheit, auch Kindern in anderen Ländern<br />
Geschichten aus <strong>Deutsch</strong>land zu erzählen und somit in einen<br />
grenzenübergreifenden Austausch zu treten, macht wenig Sinn, wenn in Rio auf<br />
dem Büchertisch des DEUTSCHEN JUGENDLITERATURPREISES Titel aus USA und<br />
Neuseeland liegen – nur eben in deutscher Übersetzung.<br />
zu 2)<br />
a) <strong>Deutsch</strong>sprachige Bücher auszuzeichnen, die auf sprachliche und inhaltliche<br />
Qualität setzen, würde die eigene Literaturqualität fördern und sichern.<br />
Verlagen, die aus wirtschaftlichen Erwägungen „riskante“ deutschsprachige<br />
Originaltitel nicht scheuen, die auf Anspruch und nicht auf leichtverkäuflichen<br />
Mainstream setzen, würde auf diese Weise ein Signal gegeben: neben der<br />
Suche nach ausgezeichneten (und bewährten) Lizenztiteln aus dem Ausland<br />
eben auch auf die qualitativ hochwertigen, deutschsprachigen Titel zu achten,<br />
sie ebenfalls ins Programm zu nehmen, sie zu stärken. Deren Wertschätzung<br />
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durch den Staatspreis würde automatisch die Wertschätzung und Förderung<br />
durch die Verlage nach sich ziehen.<br />
b) Was für einen Eindruck mag die Literaturproduktion eines Landes im Ausland<br />
erwecken, in dem es zwar einen reichen Jugendliteraturmarkt gibt, wo aber<br />
kaum je ein deutschsprachiger Titel den DEUTSCHEN JUGENDLITERATURPREIS<br />
bekommt, eine Produktion, die also offenkundig schon im eigenen Land als<br />
preisunwürdig gilt<br />
zu 3)<br />
a) Wenn Leseförderung und Literaturvermittlung im Mittelpunkt stehen, darf<br />
nicht ignoriert werden, dass die beste VermittlerIn eines Buchs der/die<br />
AutorIn selbst ist. AutorInnen, die zu Lesungen in Schulen, Bibliotheken,<br />
Buchläden, auf Festivals, Buchmessen, in Literaturhäuser und Leseclubs<br />
eingeladen werden, bilden die direkte Brücke zwischen Buch und LeserIn.<br />
Sowohl das Vorlesen als auch das anschließende Gespräch mit jungen und<br />
älteren ZuhörerInnen schaffen den unmittelbaren, sinnlichen Zugang. Bei<br />
fremdsprachigen AutorInnen, die mit dem DJLP ausgezeichnet werden, fehlt<br />
diese „Brücke“ komplett: Die Autorin/der Autor wird – schon aus Sprach- und<br />
Entfernungsgründen – kaum Lesungen hier wahrnehmen.<br />
b) Fremdsprachige Bücher können in ihrem Herkunftsland mit ihrem Staatspreis<br />
ausgezeichnet werden und zusätzlich mit dem deutschen Staatspreis, während<br />
deutschsprachige Bücher mit ihrem eigenen Staatspreis kaum je ausgezeichnet<br />
werden und in anderen Ländern zu den jeweiligen Staatspreisen –<br />
verständlicherweise – keinen Zugang haben. Die öffentliche Anerkennung<br />
durch den Preis ist aber gerade für mutige, innovative Texte sehr wichtig.<br />
Milena Baisch, Preisträgerin Kinderbuch 2011, stellte fest: „Welch enorme<br />
Wirkung schon allein die Nominierung hat, um einem kleinen, individuellen<br />
Buch Aufmerksamkeit zu bescheren, hat mich selbst überrascht.“<br />
Konzentrierte man sie auf hiesige herausragende literarische Arbeiten, würde<br />
man nicht nur die AutorInnen selbst, sondern auch die Verlage darin<br />
unterstützen, den eingeschlagenen, oftmals riskanten, aber qualitativ<br />
hochwertigen Weg weiterzugehen. Eine langfristige Investition, mittels derer<br />
die Qualität originalsprachlicher Kinder- und Jugendliteratur gesichert und<br />
gesteigert werden kann. Anders gesagt: Die deutschsprachige Kinder- und<br />
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Jugendliteratur würde davon profitieren, wenn nicht bevorzugt „Impulse und<br />
Entwicklungen aus anderen Ländern“, sondern die eigenen kreativen<br />
Entwicklungen und Vorstöße, die eigene Risikobereitschaft und Innovation,<br />
die eigenen Impulse wahrgenommen, anerkannt und gefördert würden.<br />
zu 4)<br />
Der Astrid-Lindgren-Preis ist kein Leseförderungspreis wie der DJLP, sondern<br />
ein Gedächtnispreis für „Arbeiten im Geiste Astrid Lindgrens“.<br />
Die britische Carnegie Medal wird vergeben an „books written in English and<br />
first published in the UK during the previous year”. Zwar kann der Autor/die<br />
Autorin also nichtbritisch sein, aber zugelassen sind nur englischsprachige und in<br />
Großbritannien verlegte Bücher. Der Fokus liegt genau dort, wo er auch für den<br />
DJLP wünschenswert wäre: auf muttersprachlicher Originalliteratur.<br />
zu 5)<br />
Abgesehen davon, dass die Kranichsteiner Literaturstipendien eben nicht der<br />
<strong>Deutsch</strong>e Jugendliteraturpreis sind und davon getrennt (als Stipendium, nicht als<br />
Preis) wahrgenommen werden, richtet sich diese Unterstützung allein an<br />
JugendbuchautorInnen. KinderbuchautorInnen und IllustratorInnen sind hier<br />
ausgeschlossen. Dass der Preis für das Gesamtwerk an deutschsprachige<br />
AutorInnen geht, sollte nicht als Gegenbeispiel herangezogen werden müssen,<br />
sondern selbstverständlich sein.<br />
In fast sechzig Jahren ist die Benachteilung der deutschsprachigen<br />
Originalliteratur immer wieder beim Arbeitskreis für Jugendliteratur kritisiert und<br />
eine Änderung der Statuten angeregt worden – bisher vergeblich. Die<br />
Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) hat 2004 als Reaktion darauf<br />
ihre Mitgliedschaft im Arbeitskreis gekündigt.<br />
Eine Änderung der Statuten ist überfällig<br />
Die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur möge nach nunmehr fast<br />
sechzig Jahren endlich vom DEUTSCHEN JUGENDLITERATURPREIS angemessen<br />
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wahrgenommen und gewertschätzt werden, so wie es auch andere Länder mit<br />
ihrer eigenen Literaturproduktion handhaben.<br />
Eine Änderung der Vergaberichtlinien des DEUTSCHEN JUGENDLITERATURPREISES<br />
in folgenden zwei Punkten ist unabdingbar:<br />
1) Angelehnt an den Österreichischen Kinder- und Jugendliteraturpreis, der auch<br />
für deutsche und schweizerische AutorInnen offen ist, sofern sie in einem<br />
österreichischen Verlag erschienen sind, sollten zukünftig für den <strong>Deutsch</strong>en<br />
Jugendliteraturpreis in der Bewertung durch Kritiker- und Jugendjury<br />
deutschsprachige Originalwerke (also auch von österreichischen oder<br />
schweizerischen AutorInnen und IllustratorInnen) in den Sparten<br />
Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch, sofern sie in ihrer<br />
Erstausgabe in einem in <strong>Deutsch</strong>land ansässigen Verlag<br />
herausgebracht wurden, sowie Werke deutscher UrheberInnen aus<br />
anderen deutschsprachigen Ländern<br />
zugelassen werden.<br />
2) Übersetzungen sollten separat – das heißt in einer fünften und eigenen Sparte<br />
– prämiert werden.<br />
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