Mit Diabetes unbeschwerter leben - Reha-Zentrum Bad Kissingen
Mit Diabetes unbeschwerter leben - Reha-Zentrum Bad Kissingen
Mit Diabetes unbeschwerter leben - Reha-Zentrum Bad Kissingen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
R. Herrmann, J. Bauer, V. Jung<br />
<strong>Mit</strong> <strong>Diabetes</strong> <strong>unbeschwerter</strong> <strong>leben</strong><br />
Wissenswertes über die Insulinpumpen-Therapie<br />
4. Auflage
Herausgeber:<br />
Roche Diagnostics GmbH<br />
Sandhofer Straße 116<br />
D-68305 Mannheim<br />
Kundenservice Tel. 0180 2 000 412<br />
info@disetronic.de<br />
www.disetronic.de<br />
www.accu-chek.de<br />
4. Auflage 2004<br />
ISBN 3-936362-02-5<br />
Vertrieb nur über Roche Diagnostics GmbH<br />
Autorenteam:<br />
Dr. med. Rudolf Herrmann<br />
Dr. med. Volker Jung<br />
Saale-Klinik <strong>Bad</strong> <strong>Kissingen</strong><br />
<strong>Reha</strong>-<strong>Zentrum</strong> der BfA<br />
Pfaffstraße 10<br />
97688 <strong>Bad</strong> <strong>Kissingen</strong><br />
Tel.: 09 71/85 01<br />
Telefax: 09 71/85 12 87<br />
Dr. med. Johannes Bauer<br />
Hochrheinklinik <strong>Bad</strong> Säckingen<br />
Bergseestraße 57<br />
79713 <strong>Bad</strong> Säckingen<br />
Tel.: 0 77 61/558-0<br />
Telefax: 0 77 61/55 83 52<br />
Inhalt<br />
Einleitung 7<br />
1. Geschichte der Insulipumpen-Therapie 11<br />
2. Wer eignet sich für eine Insulipumpen-Therapie 17<br />
2.1 Vorteile der Insulinpumpen-Therapie 18<br />
2.2 Nachteile der Insulinpumpen-Therapie 18<br />
2.3 Gründe für eine Insulinpumpen-Therapie 19<br />
2.4 Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie 22<br />
2.5 Gegenanzeigen für eine Insulinpumpen-Therapie 23<br />
2.6 Gesetzliche Grundlagen 24<br />
2.7 Eigene Erfahrungen 25<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate 28<br />
3.1 Bolusabgabe 28<br />
3.1.1 Nahrungsbolus 29<br />
3.1.2 Korrekturbolus 32<br />
3.1.3 Besonderheiten 42<br />
3.2 Basalrate 47<br />
3.2.1 Tageszeitabhängiger Rhythmus 47<br />
3.2.2 Höhe der Basalrate 49<br />
3.2.3 Ermittlung der Basalrate 49<br />
3.2.4 Überprüfung der Basalrate 60<br />
3.3 Das »PPL-System«: Plane – prüfe – lerne 67<br />
3.3.1 Planen 68<br />
3.3.2 Prüfen 72<br />
3.3.3 Lernen 76<br />
3.3.4 Ergänzungen und Kritische Anmerkungen zum PPL-System 77<br />
3.3.5 Beispiele zum PPL-System 79<br />
4. Insuline für die Insulinpumpenbehandlung 82<br />
4.1 Humaninsuline 83<br />
4.2 Kurzwirksame Insulinanaloga 84<br />
4.3 Vorteile der Therapie mit kurzwirkenden Insulinanaloga 87<br />
4.4 Nachteile der Therapie mit kurzwirkenden Insulinanaloga 88<br />
4.5 Weitere Hinweise für die Behandlung<br />
mit kurzwirksamem Insulinanalogon 90
Inhalt<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie 92<br />
5.1 Katheteraufbau 92<br />
5.2 Katheterangebot 95<br />
5.2.1 Katheter mit Metallkanüle 96<br />
5.2.2 Teflonkatheter 99<br />
5.2.3 Gegenüberstellung der wichtigsten Katheterarten 102<br />
5.3 Katheterwechsel 105<br />
5.4 Folien und Pflaster 112<br />
5.5 Katheterprobleme und wie man sie vermeidet 114<br />
6. Insulinpumpe und Technik 116<br />
6.1 Bedienung 117<br />
6.2 Basalratenprogrammierung 118<br />
6.3 Bolusabgabe 118<br />
6.4 Insulinampullen 119<br />
6.5 Abruf wichtiger Informationen 119<br />
6.6 Sicherheitssystem 119<br />
6.7 Insulinpumpe und Handy 120<br />
6.8 Zwei-Insulinpumpen-Konzept 121<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe 123<br />
7.1 Tragen der Insulinpumpe 123<br />
7.2 Insulinpumpe und Psyche 127<br />
7.3 Pause von der Insulinpumpe 131<br />
7.4 Autofahren und Insulinpumpe 138<br />
7.5 Urlaub und Insulinpumpen-Therapie 139<br />
7.5.1 Das gehört in ein »Notfall-Täschchen« 140<br />
7.5.2 Krankheit im Urlaub 141<br />
7.5.3 Insulin im Ausland 143<br />
7.6 Ambulante Weiterbehandlung 145<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität 150<br />
8.1 Einflussgrößen bei Muskelarbeit 150<br />
8.2 Spontane körperliche Arbeit 152<br />
8.3 Geplante körperliche Aktivität 159<br />
8.4 Insulinpumpe als »Störfaktor« beim Sport 161<br />
8.5 Probleme und Warnhinweise 163<br />
9. Blutzuckermessgeräte 166<br />
9.1 Messgenauigkeit 168<br />
9.2 Fehlermöglichkeiten 169<br />
9.3 Gerätetypen 170<br />
9.4 Tipps und Hinweise 173<br />
Inhalt<br />
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose 177<br />
10.1 Entwicklung einer Ketoazidose 177<br />
10.2 Häufigkeit der Ketoazidose bei der Insulinpumpenbehandlung 177<br />
10.3 Ketoazidose-Ursachen bei der Insulinpumpen-Therapie 180<br />
10.4 Rechtzeitiges Erkennen der Ketoazidose 183<br />
10.5 Behandlung der Ketoazidose durch den Insulinpumpenträger 185<br />
10.6 Entgleisungssimulation 187<br />
11. Unterzuckerung 189<br />
11.1 Insulinpumpenbehandlung bei Hypoglykämieproblemen 189<br />
11.2 Risikosituationen 192<br />
11.3 Vermeidungsstrategien 193<br />
11.4 Behandlung einer Unterzuckerung 196<br />
11.5 Fehlermöglichkeiten 196<br />
11.6 Tipps für Helfer bei schwerer Unterzuckerung 196<br />
12. Ernährung 202<br />
12.1 Allgemeine Bemerkungen 203<br />
12.2 Genuss ohne Reue 203<br />
12.3 Insulintypische Besonderheiten 204<br />
12.4 Gesunde Ernährung 205<br />
12.5 Gefahren einer Ernährungsliberalisierung 205<br />
12.6 Glykämischer Index 207<br />
12.7 Hoher Eiweißanteil 210<br />
12.8 Alkohol 211<br />
12.9 Übergewicht 212<br />
12.10 Essstörung 213<br />
13. Weitere Hinweise 215<br />
13.1 Irrtümer und Mythen 215<br />
13.2 Was ein Insulinpumpenträger unbedingt beachten sollte 220<br />
13.3 Erhebliche Blutzuckerschwankungen 220
Inhalt<br />
14. Krankheitsbewältigung 225<br />
14.1 Allgemeine Behandlungsziele 225<br />
14.2 Persönliche Bewertung 226<br />
14.3 Realistische Sichtweise 226<br />
14.4 Verhältnis Patient – Therapeut 227<br />
14.5 Hilfreiche Einstellungen 228<br />
15. Weitere Informationen 235<br />
15.1 Adressen 235<br />
15.2 Literaturhinweise 236<br />
15.3 Hilfreiche Internetadressen 239<br />
15.4 Insulinpumpennotfallausweise in verschiedenen Sprachen 240<br />
15.5 Umrechnungstabelle für Blutzuckerwerte 248<br />
Einleitung<br />
Für die Behandlung des Typ-1-Diabetikers ist heute die »Intensivierte Insulintherapie«<br />
allgemein anerkannter Standard. Wesentliche Voraussetzungen hierfür sind regelmäßige<br />
Blutzucker-Selbstkontrollen und die eigenverantwortliche Dosisselbstanpassung<br />
durch den gut geschulten Diabetiker.<br />
Eine Sonderform der intensivierten Therapieform ist die Insulinpumpenbehandlung -<br />
auch CSII genannt, d.h. kontinuierliche (engl. continuous) subkutane Insulin-Infusion.<br />
In diesem Fall erfolgt die Insulinabgabe mit einer Insulinpumpe, die ständig über ein<br />
Katheter-Schlauchsystem Insulin in das Unterhautfettgewebe abgibt.<br />
Die Insulinpumpen-Therapie ist heute eine etablierte und immer häufiger angewandte<br />
Behandlungsform für den Typ-1-<strong>Diabetes</strong>. In der Bundesrepublik Deutschland werden<br />
derzeit über 8-9% der Typ-1-Diabetiker, d.h. rund 35.000 Menschen mit dieser<br />
Methode behandelt. Dabei werden an den Insulinpumpenträger* selbst, aber auch an<br />
das betreuende Team (<strong>Diabetes</strong>berater, Diabetologen, niedergelassene Internisten<br />
und Allgemeinärzte) zusätzliche Anforderungen gestellt, um die komplexen pumpentypischen<br />
Besonderheiten im Alltag sinnvoll umsetzen zu können.<br />
Wenn die allgemeinen Behandlungsziele, d.h. Wohlbefinden des Diabetikers und Stabilisierung<br />
des Blutzuckerverlaufs im normnahen Bereich, mit einer Insulinpumpe verbessert<br />
werden sollen, muss für jeden Insulinpumpenträger eine »maßgeschneiderte«<br />
Insulintherapie gefunden werden. Hierzu ist umfangreiches Wissen notwendig, nach<br />
welchen Gesetzmäßigkeiten die körpereigenen Regulationsmechanismen zur Blutzuckersteuerung<br />
erfolgen, aber auch die Kenntnis von Störfaktoren, Möglichkeiten<br />
der Beeinflussung und deren Alltagsrelevanz. Weiter geht es darum, neben dem Wissen<br />
um die Insulinpumpentechnik ein großes Repertoire an Erfahrung zu erwerben.<br />
Unser Autoren-Team ist seit vielen Jahren mit der Ersteinstellung, Schulung und Weiterbetreuung<br />
von Insulinpumpenträgern beschäftigt und konnte dabei einen reichhaltigen<br />
Erfahrungsschatz sammeln. Dies wird durch persönliche Betroffenheit ergänzt:<br />
Ein <strong>Mit</strong>glied unseres Teams ist selbst seit vielen Jahren Insulinpumpenträger.<br />
Bereits drei Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen unseres Insulinpumpenbuchs war<br />
die 4. Auflage erforderlich. Dies zeigt, wie groß das Interesse an Informationen über<br />
den praktischen Umgang mit einer Insulinpumpe ist. Gleichzeitig werden wir be-<br />
* Um die Lesbarkeit des Textes zu vereinfachen, sprechen wir verkürzt vom »Insulinpumpenträger«<br />
und meinen damit explizit »Insulinpumpenträgerin und -träger«.<br />
7
Einleitung<br />
Rudolf Herrmann Johannes Bauer Volker Jung<br />
stätigt, die Bedürfnisse einer großen Leserschaft – sei es von Insulinpumpenträgern,<br />
noch Unentschlossenen oder Schulungspersonal – zu kennen.<br />
Die Neuauflage ist bereits im äußeren Erscheinungsbild anders, inhaltlich erfolgte ein<br />
komplette Überarbeitung, außerdem änderte sich auch die Autorenreihenfolge. Bereits<br />
vorhandene Themen wurden ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht: Das<br />
Angebot an Insulinsorten und Insulinpumpenmodellen hat sich verändert, das Spektrum<br />
der Katheter ist vielfältiger geworden. Die Ausführungen über Insulinpumpenpausen,<br />
körperliche Aktivität und Unterzuckerung haben wir erweitert. Das Kapitel<br />
über Indikationen zur Insulinpumpen-Therapie ist bewusst sehr umfangreich gestaltet.<br />
Dem gegenübergestellt sind die Empfehlungen aufgrund von Leitlinien, wie sie von<br />
medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet wurden, außerdem die gesetzlichen Vorgaben<br />
nach dem Hilfsmittelverzeichnis sowie individuelle Erfahrungen und persönliche<br />
Bewertungen der Autoren. Vollkommen neu sind die Abschnitte über Ernährung,<br />
Blutzuckermessgeräte, Krankheitsbewältigung, das »PPL-System« und das Kapitel »Irrtümer<br />
und Mythen«.<br />
Wir wollen den Leser zum Hinterfragen der eigenen Vorgehensweise anregen, ausführliche<br />
Checklisten können Handlungsabläufe erleichtern, umfangreiche Aufzählungen<br />
verschiedener Möglichkeiten sollen die Vielfältigkeit mancher Probleme<br />
verdeutlichen, praktische Beispiele können die Verständlichkeit von komplizierten<br />
Ausführungen verbessern. Unsere Absicht ist auch, zu einem weitgefächerten, phantasievollem<br />
Nachdenken anzuregen und die eigene Meinungsbildung zu erleichtern.<br />
Gewisse inhaltliche Überschneidungen sind gewollt, sie sind Ausdruck für die Komplexität<br />
der Thematik. Wir sind davon überzeugt, dass Dogmatismus zur Behandlung von<br />
Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> wenig hilfreich ist. Es geht uns nicht primär darum, allgemeingültige,<br />
verbindliche Richtlinien zu formulieren. Stattdessen berichten wir immer<br />
wieder über eigene Erfahrungen. Wir möchten Denkanstöße geben gemäß dem<br />
Motto: »Für ein Problem gibt es meist viele verschiedene Lösungen«. Unser Buch will<br />
Einleitung<br />
eine praktische Hilfe für den nicht immer unbeschwerten Alltag von Insulinpumpenträgern<br />
sein.<br />
Über wesentliche Ergänzungen, widersprüchliche Erfahrungen, aber auch mutmachende<br />
Bestätigung aus dem Leserkreis würden wir uns sehr freuen. Zahlreiche Tipps<br />
und praktische Anregungen, die in dem Buch enthalten sind, haben wir von Betroffenen<br />
erhalten. Vieles durften wir von den zahlreichen Insulinpumpenträgern lernen,<br />
die wir in den vergangenen Jahren eine kurze Wegstrecke in ihrem Leben als Menschen<br />
mit <strong>Diabetes</strong> begleitet haben.<br />
Bei allen, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben, möchten wir uns sehr<br />
bedanken. Frau Dr. Langen, Fa. Roche Diagnostics, hat das Kapitel über Insulinpumpe<br />
und Technik ergänzt. Bei der formalen Gestaltung sind wir von Frau Buchmüller, Marketing<br />
Service, Mainz und von Frau Wesely, Fa. Roche Diagnostics, wesentlich unterstützt<br />
worden. Die umfangreichen Schreibarbeiten wurden von Frau Günther, Saale-<br />
Klinik, gewissenhaft und mit großer Geduld erledigt. Nicht zuletzt gilt ein herzlicher<br />
Dank unseren Frauen Helga Herrmann, Barbara Bauer und Angela Hildenbrand-Jung,<br />
die viel Verständnis für unser berufliches Engagement aufbringen.<br />
Aus Gründen der Übersichtlichkeit haben wir auf die konsequente Doppelangabe der<br />
Blutzucker-Werte in mg/dl und mmol/l verzichtet. Wir verweisen auf die Umrechnungstabelle<br />
auf Seite 248.<br />
<strong>Bad</strong> <strong>Kissingen</strong>, März 2004<br />
Rudolf Herrmann<br />
Johannes Bauer<br />
Volker Jung<br />
8 9
1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />
Vom Dinosaurier zur High-Tech-Insulinpumpe<br />
Auf dem Weg von den ersten Prototypen bis zu den heutigen Insulinpumpen hat sich<br />
in den letzten 25 Jahren Beachtliches getan. Bezüglich Insulinpumpengröße, Insulinpumpenleistung,<br />
Bedienungskomfort und technischer Sicherheit bleiben heute kaum<br />
noch Wünsche offen.<br />
Nach einer kurzen Phase der Insulinpumpen-Therapie in die Vene, begann Ende der<br />
70er Jahre die subkutane Abgabe mit recht großen und schweren Geräten wie dem<br />
Mill-Hill-Infuser und der Auto-Syringe-6C-Insulinpumpe.<br />
Ältere Insulinpumpen-Modelle<br />
10 11
1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />
Diese waren, streng genommen, keine Insulin- sondern Medikamentenpumpen z.B. für<br />
die Applikation von Schmerzmitteln, deren Förderrate nicht in Insulineinheiten geeicht<br />
war. Eine Umrechnung in Insulineinheiten war daher notwendig und zeitraubend.<br />
Bei der Mill-Hill-Insulinpumpe wurde der Bolus mechanisch durch Drehen einer<br />
Rändelschraube abgegeben. Die Basalrate musste durch Änderung des Mischungsverhältnisses<br />
von Insulin und Kochsalzlösung angepasst werden, da die Förderrate konstant<br />
war. Alarmsysteme gab es praktisch nicht.<br />
Im Laufe der Jahre kamen zahlreiche Insulinpumpenmodelle auf den Markt, die zunehmend<br />
kompakter und technisch ausgereifter waren. 1985 gab es mit dem Hoechst<br />
MRS1-Infusor erstmals eine Insulinpumpe, mit der die Basalrate stündlich programmiert<br />
werden konnte. Dieser Infusor wurde von der Schweizer Firma Disetronic entwickelt,<br />
hergestellt und von Hoechst vertrieben. Schrittweise wurden die Nachfolgemodelle,<br />
die Insulinpumpen H-TRON und D-TRON von Disetronic verbessert bzw. entwickelt<br />
bis hin zu den heutigen Modellen.<br />
Aktuelle Insulinpumpenmodelle von Roche Diagnostics (Disetronic)<br />
12<br />
1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />
Die niederländische Firma Dahedi stellte ihre »RW-Insulinpumpe« <strong>Mit</strong>te der 80iger<br />
Jahre vor. Es handelte sich zunächst um eine Einbasalratenpumpe, die in einer späteren<br />
Version mit einer alternativen Basalrate versehen wurde. Diese Insulinpumpe wurde<br />
bis 2003 von Disetronic vertrieben.<br />
Aktuelle Insulinpumpenmodelle der Firma Medtronic Minimed<br />
Die von der Firma Medtronic Minimed entwickelten Insulinpumpen hatten zunächst<br />
vier, sechs und zwölf Basalratenfelder. <strong>Mit</strong>tlerweile wird die Medtronic Minimed 508<br />
mit 48 Basalraten pro 24 Stunden angeboten. Seit Anfang 2003 ist das Pumpenmodell<br />
Paradigm der Firma Medtronic Minimed auf dem Markt.<br />
13
1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />
14<br />
Insulinpumpenname Herstellungs- Besonderheiten<br />
land<br />
Mill-Hill-Infusor GB ● eine Basalrate<br />
ab ca. 1978 ● Insulin-Kochsalzmischung<br />
● nur eine Vorschubgeschwindigkeit<br />
● Bolus mechanisch über Rändelschraube<br />
Auto-Syringe 6C USA ● eine Basalrate<br />
ab ca. 1980 ● Insulin-Kochsalzmischung<br />
● Vorschubgeschwindigkeit wählbar<br />
CPI 9100 USA ● erste Insulinpumpe mit alternativer Basalab<br />
ca. 1981 rate, die jeden Abend programmiert<br />
werden musste<br />
● Sicherheitsschaltung<br />
Siemens Promedos D ● Rolleninsulinpumpe mit einer Basalrate<br />
ab ca. 1981 ● Zusatzrate in Rechteckform möglich<br />
Auto-Syringe 8 MP USA ● erste Insulinpumpe mit 4 Basalraten<br />
ab ca. 1983 ● Alarmsystem verbessert<br />
● Insulinkonzentration programmierbar<br />
Betatron II USA ● alternative Basalrate<br />
ab ca. 1983 ● reichhaltigere Alarme<br />
Nordisk-Infuser GB ● eine Basalrate<br />
ab ca. 1983 ● vorgefüllte Insulinpatrone mit U100-Insulin<br />
● robustes Gehäuse aus Spritzguss<br />
Medtronic Minimed 504 USA ● 4 Basalraten<br />
ab ca. 1984<br />
Dahedi RW 90/91 Niederlande ● eine Basalrate<br />
ab ca. 1985 ● später auch als RW 90/91 P<br />
mit alternativer Basalrate<br />
Hoechst MRS1-Infusor Schweiz ● erstmals 24-Stunden-Basalratenprofil<br />
1985 mit externem Programmiergerät<br />
● Zusatzrate als 1-stündiger Rechteckbolus<br />
Syrotron 40 DDR ● eine Basalrate<br />
ab ca. 1985<br />
Abb. 1: Historische Insulinpumpenmodelle<br />
Insulinpumpenname Herstellungs- Besonderheiten<br />
land<br />
1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />
H-TRONplus Schweiz ● erweiterter Datenspeicher:<br />
Disetronic 1997 letzte 10 Boli mit Uhrzeit,<br />
letzte 5 Error-Meldungen mit Uhrzeit<br />
● vorübergehende Basalratenerhöhung in<br />
10%-Schritten über 12 Stunden (z.B. bei<br />
Grippe)<br />
● vorübergehende Basalratensenkung<br />
in 10%-Schritten über 4 Stunden<br />
(z.B. bei längerer Wanderung)<br />
● Fertigampullen (3 ml) mit stabilisiertem<br />
Insuman Infusat<br />
● Stündlich programmierbare Basalrate<br />
über 24 Stunden<br />
● Zwei-Pumpen-Konzept, d.h. ständig<br />
Ersatzinsulinpumpe verfügbar<br />
D-TRONplus Schweiz ● Vorgefüllte 3 ml Patronen mit Humalog<br />
Disetronic 2002 verwendbar<br />
● Spezielles Druckventil auch für verminderten<br />
Druck in der Ampulle<br />
● Zwei verschiedene Basalraten<br />
programmierbar<br />
● Zeitintervall für prozentuale Basalratenerhöhung<br />
und -absenkung am Gerät<br />
programmierbar<br />
● Bolusstreckung über vorwählbares<br />
Zeitintervall<br />
● Beleuchtetes Display<br />
● Vibrationsalarm<br />
● Anzeige des Restinhaltes der vorgefüllten<br />
Ampulle<br />
● Zwei-Pumpen-Konzept<br />
● Datenspeicher<br />
● Tastensperre<br />
Abb. 2: Aktuelle Insulinpumpenmodelle<br />
15
1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />
16<br />
Insulinpumpenname Herstellungs- Besonderheiten<br />
land<br />
Dahedi 25 Früher Holland, ● Stündlich programmierbare Basalrate<br />
1997 - 2003 nun Deutschland über 24 Stunden<br />
● Pause nach Bolus (vorübergehender Stop<br />
der Basalrate in Abhängigkeit von der<br />
Bolusgröße)<br />
● Fertigampullen mit stabilisiertem<br />
U100-Insulin (Insuman Infusat)<br />
● Insulinpumpe wasserdicht<br />
● z.Zt. kleinste Insulinpumpe<br />
(67 x 43 x 20 mm)<br />
● ständig Ersatzinsulinpumpe verfügbar<br />
Medtronic Minimed 508 USA ● 48 Basalraten pro 24 Stunden<br />
2000 ● verbesserte Speicherfunktionen<br />
(letzte 24 Bolusdosen, letzte 12 Fehleroder<br />
Warnmeldungen)<br />
● Kombinierter Bolus (schnelle<br />
und verzögerte Bolusabgabe kombinierbar)<br />
● Fernsteuerung für Run/Stop- Zustand und<br />
Bolusabgabe<br />
● Drei verschiedene Basalratenprogramme<br />
● Beleuchtetes Display<br />
● Umstellbar von U40 auf U100<br />
Medtronic Paradigm USA ● Wichtige Funktionen ähnlich<br />
2003 dem Modell 508<br />
● Optimierte Menüführung<br />
● Kein Insulinabgabegeräusch<br />
● Nur Verwendung von Minimed-Kathetern<br />
möglich (kein Luer-Anschluss)<br />
● Leerampulle mit 1,76 ml<br />
Abb. 2: Aktuelle Insulinpumpenmodelle<br />
2. Wer eignet sich für eine<br />
Insulinpumpen-Therapie?<br />
»<strong>Mit</strong> einer Insulinpumpe habe ich immer normale Blutzuckerwerte.«<br />
»<strong>Mit</strong> der Insulinpumpe kann ich meinen <strong>Diabetes</strong> vergessen.«<br />
»Ich brauche viel weniger Selbstkontrollen als unter der herkömmlichen Therapie.«<br />
Dies sind Aussagen von Patienten, bei denen eine Insulinpumpen-Therapie höchstwahrscheinlich<br />
scheitern wird. Die Therapie mit der Insulinpumpe ist nur so gut wie<br />
ihre Anwender. Der <strong>Diabetes</strong> kann nicht an die Insulinpumpe abgegeben werde! Eine<br />
Insulinpumpenbehandlung erfordert vielmehr Interesse, Engagement und Motivation.<br />
17
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
2.1 Vorteile der Insulinpumpen-Therapie<br />
Gegenüber der intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT) mit Insulinspritze/<br />
Pen ergeben sich bei der kontinuierlichen subkutanen Insulininfusion (CSII) mit der Insulinpumpe<br />
Vorteile durch die ständige Abgabe des Insulins. In kurzen Abständen fördert<br />
die Insulinpumpe kleinste Insulinmengen und schafft somit die Voraussetzung für<br />
eine bedarfsgerechtere Insulinversorgung im Unterhautfettgewebe. Die subkutane<br />
Aufnahme des Verzögerungsinsulins bei der ICT ist dagegen größeren Schwankungen<br />
unterworfen. Insulinpumpen mit stündlich programmierbarer Basalrate erlauben zudem<br />
eine variable basale Versorgung unter Berücksichtigung der sich tageszeitlich<br />
ändernden Insulinempfindlichkeit. Dies ist vor allem in der Nacht und in den frühen<br />
Morgenstunden von Bedeutung. Wesentliche Vorteile einer Insulinpumpenbehandlung<br />
sind in Abb. 3 aufgeführt.<br />
Aus der Sicht der Diabetiker steht als Vorteil der Insulinpumpen-Therapie neben der<br />
besseren Stoffwechseleinstellung vor allem der Gewinn an Flexibilität und Lebensqualität<br />
im Vordergrund. Dies haben mehrere Befragungen von Insulinpumpenträgern<br />
gezeigt (siehe Abbildung 4). Die unter ICT notwendigen vielfachen Injektionen (4 bis<br />
8 pro Tag) entfallen. Der Katheterwechsel ist lediglich alle 2 bis 3 Tage erforderlich.<br />
Diabetiker können unter der Insulinpumpen-Therapie Mahlzeiten problemlos verschieben,<br />
Zwischenmahlzeiten sind verzichtbar. Ausschlafen am Wochenende ist wieder<br />
möglich ohne hohe Nüchternblutzuckerwerte zu riskieren.<br />
2.2 Nachteile der Insulinpumpen-Therapie<br />
Nach der oben angeführten Umfrage aus dem Jahre 1998 bei 6.890 Insulinpumpenträgern<br />
empfinden 60 % der befragten Diabetiker ihre Insulinpumpe als Fremdkörper,<br />
der ständig am Körper getragen werden muss. Beim Sport, Urlaub, <strong>Bad</strong>en u.a. kann<br />
die Insulinpumpe hinderlich sein (24 %). 31% der Befragten geben an, dass sie u.a.<br />
Probleme mit der Katheterverträglichkeit oder der Betreuung (keine Insulinpumpenspezialisten<br />
in der näheren Umgebung) haben.<br />
Aus medizinischer Sicht ist das erhöhte Ketoazidoserisiko sowie das Infektionsrisiko an<br />
der Kathetereinstichstelle zu bedenken (s. Kapitel 5 und10). Generell sind Insulinpumpenträger<br />
auf Betreuung durch pumpenerfahrene Ärzte angewiesen.<br />
Hinsichtlich Anschaffungspreis, Schulungsaufwand und laufenden Kosten ist die Insulinpumpen-Therapie<br />
teurer als die ICT. Die aktuellen Insulinpumpenmodelle kosten<br />
derzeit ca. 3.400,- € (D-TRONplus) und 3.680,- € (Paradigm). Die Kosten für Insulinpumpenspezifisches<br />
Verbrauchsmaterial liegen zwischen 5,- und 12,- €. Im Vergleich zur ICT<br />
liegen somit die Mehrkosten der Insulinpumpen-Therapie bei ca. 6,- €/Tag.<br />
18<br />
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
● konstantere und normnähere Blutzuckerwerte durch kontinuierliche Insulinabgabe<br />
● ausreichende Basalinsulinversorgung, vor allem während der Nacht<br />
und in den frühen Morgenstunden<br />
● größere Unabhängigkeit beim Essen bezüglich Zeitpunkt und Menge<br />
● bessere Steuerbarkeit des Stoffwechsels bei körperlicher Aktivität,<br />
bei Schichtarbeit oder auch bei erhöhtem Insulinbedarf (z.B. fieberhafter Infekt)<br />
● tendenziell weniger Unterzuckerungen insbesondere bei Diabetikern mit<br />
stark schwankenden Blutzuckerwerten und häufigen Hypoglykämien<br />
● meist deutlicher Gewinn an Lebensqualität<br />
Abb. 3: Vorteile der Insulinpumpen-Therapie<br />
bessere Stoffwechseleinstellung<br />
höhere Flexibilität<br />
höhere Lebensqualität<br />
keine Spritzen/Injektionen mehr<br />
optimale Insulinverabreichung<br />
Sonstiges<br />
0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000<br />
Anzahl der Antworten<br />
Abb. 4: Vorteile der Insulinpumpen-Therapie<br />
(Internationale Befragung von 6.890 Insulinpumpenträgern 1998;<br />
pro Patient maximal 3 Antworten möglich)<br />
19
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
2.3 Gründe für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
In erster Linie ist die Insulinpumpen-Therapie eine Behandlungsform des Insulinmangeldiabetes<br />
(Typ 1). Sie ist immer dann zu erwägen, wenn mit einer ICT das individuelle<br />
Therapieziel nicht erreicht werden kann (Abb. 4). Diabetiker mit einem ausgeprägten<br />
»Morgendämmerungs-Phänomen« haben einen starken Blutzuckeranstieg etwa<br />
ab 4.00 Uhr in den Morgenstunden. Das ist bedingt durch einen Anstieg von Hormonen,<br />
die gegensätzlich zum Insulin wirken (siehe Abschnitt 3.2.1). Hohe Nüchternblutzuckerwerte<br />
sind die Folge. Hier ist der Einsatz einer Insulinpumpe mit variabel programmierbarer<br />
Basalrate besonders sinnvoll.<br />
Bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern haben wir mit der Insulinpumpenbehandlung<br />
eher schlechte Erfahrungen gemacht. Dies ist nicht verwunderlich. Bei dieser Patientengruppe<br />
steht im Regelfall nicht ein Insulinmangel im Vordergrund, sondern eine<br />
mangelnde Insulinwirksamkeit infolge einer genetischen Veranlagung und aufgrund<br />
des bestehenden Übergewichtes. Anders ausgedrückt: nicht ein »Insulinversagen« ist<br />
hier in erster Linie das Kernproblem, sondern der nicht diabetesgerechte Lebensstil<br />
(zuviel Kalorien, zuwenig Bewegung) sind von wesentlicher Bedeutung.<br />
Zwingende Gründe, sogenannte »absolute Indikationen« für eine Insulinpumpenbehandlung,<br />
gibt es nicht. Ein Mensch mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ist zwar auf Insulin angewiesen,<br />
nicht aber auf eine Insulinpumpe. Folglich stellen sich die Fragen:<br />
● Wer hat Anspruch auf eine Insulinpumpe?<br />
● Wem soll die Insulinpumpe verweigert werden?<br />
Diesbezüglich besteht ein Interessenkonflikt zwischen den Ansprüchen und den Bedürfnissen<br />
von Patienten, Ärzten, Industrie, Krankenkassen und Gesellschaft. Die<br />
Grenzen der Entscheidung sind dabei fließend, es gibt einen großen Graubereich.<br />
Zwar heißt es: »Der Patient muss im <strong>Mit</strong>telpunkt stehen«. Dies ist vordergründig meist<br />
richtig und drückt auch unser Bemühen aus. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass in dem<br />
komplexen deutschen Sozialsystem diese wünschenswerte Zielvorstellung teilweise<br />
kritisch zu hinterfragen ist. Ethik und »Monetik« prallen auch hier aufeinander.<br />
Eine Hilfe bei dem Bemühen um möglichst große Objektivität können dabei Leitlinien<br />
sein, wie sie beispielsweise von der Fachkommission <strong>Diabetes</strong> von Sachsen erarbeitet<br />
wurden. Diese Leitlinien sind sinngemäß in Abb. 5 zusammengestellt.<br />
20<br />
Gründe für eine Insulinpumpenbehandlung<br />
● »Dawn-Phänomen« (sog. »Morgendämmerungsphänomen«)<br />
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
● im Tagesverlauf stark schwankende Blutzucker-Verläufe (»Brittle-<strong>Diabetes</strong>«)<br />
● berufliche Gegebenheiten<br />
● diabetische Folgeerkrankungen, insbesondere schmerzhafte diabetische Neuropathie<br />
● Zusatzerkrankungen, welche den Blutzuckerverlauf beeinflussen (hormonelle<br />
Erkrankungen, Erkrankungen mit medikamentöser Kortisonbehandlung u.ä.)<br />
● schlechte Hypoglykämiewahrnehmung<br />
● Diabetikerinnen mit Kinderwunsch und während der Schwangerschaft<br />
Abb. 5: Indikationen zur Insulinpumpen-Therapie aufgrund von Leitlinien<br />
(gemäß Fachkommission <strong>Diabetes</strong> Sachsen, Dezember 1998)<br />
21
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
2.4 Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
Eine ausreichende Motivation und das Wissen, dass der <strong>Diabetes</strong> nicht »an die Insulinpumpe<br />
abgegeben werden kann«, sind für uns die wichtigste Voraussetzung für eine<br />
erfolgreiche Insulinpumpen-Therapie. <strong>Mit</strong> Intuition und detektivischem Spürsinn müssen<br />
bisweilen Ursachen für hohe Blutzuckerwerte herausgefunden werden, um entsprechende<br />
Abhilfe zu schaffen. Technische Pannen dürfen nicht gleich zur Verzweiflung<br />
führen. Eine gewisse psychische Stabilität ist bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
sicherlich erforderlich. Das regelmäßige Führen eines Blutzuckertagebuches sowie regelmäßige<br />
Blutzuckerkontrollen gehören zu den Grundvoraussetzungen. Daneben<br />
sind ausreichende theoretische und praktische Kenntnisse über die Durchführung der<br />
ICT zu fordern. Der Insulinpumpenträger braucht eine gute Schulung in der Erkennung<br />
und Behandlung von Hypo- bzw. Hyperglykämien. Wünschenswert ist ferner<br />
eine längerfristige Betreuung durch ein Insulinpumpenzentrum oder durch einen niedergelassenen<br />
insulinpumpenerfahrenen Diabetologen.<br />
Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
● gute Kenntnisse und Erfahrungen mit der ICT<br />
● Akzeptanz des <strong>Diabetes</strong><br />
● »diabetologisches Selbstbewusstsein«<br />
● psychische Stabilität<br />
● Kreativität und Intuition<br />
● »detektivischer Spürsinn«<br />
● Disziplin beim Führen des BZ-Tagebuches sowie bei den Blutzuckerkontrollen<br />
(mindestens 4 x täglich)<br />
● gute Insulinpumpenschulung<br />
Abb. 6: Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
22<br />
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
2.5 Gegenanzeigen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
Nicht geeignet für eine Insulinpumpen-Therapie sind sicherlich Diabetiker mit Alkohol-<br />
und Drogenabhängigkeit sowie Patienten mit schweren Essstörungen. Zurückhaltung<br />
erscheint ferner angezeigt bei Diabetikern mit erheblichen psychischen Problemen.<br />
Diabetiker mit fortgeschrittener diabetischer Augenerkrankung (proliferativer Retinopathie)<br />
sollten vor einer geplanten Insulinpumpen-Therapie ihren Augenarzt konsultieren.<br />
Eine rasche Stoffwechselnormalisierung ist in diesen Fällen zu vermeiden. Die<br />
Blutzuckerwerte müssen hier im Laufe von mehreren Monaten langsam gesenkt werden.<br />
Ähnlich wie bei den Gründen für die Insulinpumpen-Therapie gibt es einen Ermessensspielraum<br />
bei der Entscheidung, welcher Patient eher nicht in Frage kommt (relative<br />
Kontraindikation) bzw. bei welchen Patienten sie unbedingt abzulehnen ist (absolute<br />
Kontraindikation). Beispielhaft sollen hier wieder sinngemäß die Empfehlungen<br />
der Fachkommission <strong>Diabetes</strong> von Sachsen aufgeführt werden. (Abb. 7)<br />
Absolute Kontraindikation<br />
● Medikamenten-, Drogen- und Alkoholabhängigkeit<br />
● Selbstmordgefährdung (akute und chronische Suizidalität)<br />
Relative Kontraindikationen<br />
Allgemein besteht für Patienten, bei denen gegenüber dem erhöhten<br />
Aufwand kein therapeutischer Nutzen zu erwarten ist, keine Notwendigkeit<br />
zur Insulinpumpenbehandlung.<br />
Gründe hierfür können sein:<br />
● fehlende Bereitschaft des Patienten zur Insulinpumpenbehandlung<br />
● eingeschränkte <strong>Mit</strong>arbeit und Eigenverantwortung von Seiten des Patienten<br />
(Blutzucker-Selbstkontrolle, Lebensführung, Intellekt u.ä.)<br />
● Unbefriedigende Stoffwechselsituation aufgrund psychischer oder<br />
psychosozialer Probleme<br />
● fehlende kompetente ambulante Weiterbetreuung wohnortnah<br />
Abb. 7: Kontraindikationen zur Insulinpumpen-Therapie aufgrund von Leitlinien<br />
(gemäß Fachkommission <strong>Diabetes</strong>, Sachsen, Dezember 1998)<br />
23
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
2.6 Gesetzliche Grundlagen<br />
Im Zeitalter der Budgetierungen und der leeren Kassen im Sozialversicherungssystem<br />
muss es Richtlinien geben, für welche Patienten unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten<br />
eine medizinisch wünschenswerte Insulinpumpenbehandlung vertretbar ist. Nicht<br />
alles ist machbar und finanzierbar. Die gesetzlichen Vorgaben ermöglichen keine »optimale«,<br />
sondern nur eine »notwendige« Therapie.<br />
Allgemeingültige Empfehlungen für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen<br />
(AOK, Ersatzkassen, Betriebskrankenkassen, usw.) sind im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt.<br />
Dieses wurde im Bundesanzeiger Nummer 126 a, Jahrgang 50, ausgegeben<br />
und am 11. Juli 1998 veröffentlicht.<br />
Im Kapitel »Produktgruppe 03 – Applikationshilfen« sind die Indikationen für die Verordnung<br />
von Insulinpumpen aufgelistet; die Kostenübernahme für eine Insulinpumpe<br />
kann erfolgen für<br />
● Diabetiker, die trotz intensivierter konventioneller Insulintherapie (ICT)<br />
bei mehreren Insulininjektionen täglich keine stabile normoglykämische<br />
Blutzuckereinstellung erreichen können (z.B. wegen einer hohen Stoffwechsellabilität).<br />
● Diabetiker mit Neigung zu schweren Hypoglykämien, insbesondere wenn<br />
diese nachts auftreten.<br />
● Diabetiker mit deutlich erhöhtem Insulinbedarf in den Morgenstunden<br />
(z.B. ausgeprägtes Dawn-Phänomen).<br />
● Diabetiker mit einem sehr unregelmäßigen Lebensrhythmus, insbesondere<br />
häufig wechselndem Tag-/Nachtrhythmus, z.B. bedingt durch Schichtarbeit,<br />
die mit konventioneller Insulinapplikation nicht eingestellt werden können.<br />
● Diabetikerinnen (mit aktuellem Kinderwunsch) vor und während einer<br />
Schwangerschaft, insbesondere bei schwierig einzustellendem Stoffwechsel<br />
(der Insulinpumpeneinsatz kann auf die Schwangerschaft begrenzt sein).<br />
● Diabetiker mit ausgeprägten Symptomen durch Spätkomplikationen, welche<br />
eine normoglykämische Blutzuckereinstellung erfordern.<br />
Als weitere Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Behandlung sind im Hilfsmittelverzeichnis<br />
ausgeführt:<br />
Eine Insulinpumpenbehandlung erfordert vom Versicherten ein hohes Maß an<br />
Kenntnis, Motivation und Zuverlässigkeit. Ferner muss die Bereitschaft zu einer langfristigen<br />
Blutzucker-Selbstkontrolle mit adäquater Protokollierung bestehen. Die Einhaltung<br />
folgender Voraussetzungen ist bei einer Insulinpumpen-Therapie notwendig:<br />
● Durch Teilnahme an einem allgemeinen <strong>Diabetes</strong>-Schulungsprogramm müssen<br />
umfangreiche Kenntnisse über die Krankheit und ihre Behandlung vorliegen;<br />
24<br />
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
die Durchführung der konventionellen intensivierten Therapie muss beherrscht<br />
werden.<br />
● Durch Teilnahme an einem speziellen Schulungskurs zur Insulinpumpen-Behandlung<br />
ist eine spezifische Einweisung in diese Therapieform und in die Bedienung<br />
der Insulinpumpe erfolgt.<br />
● Es ist eine adäquate Nachbetreuung/Nachbehandlung durch ein Pumpenzentrum/eine<br />
Pumpenambulanz sichergestellt, mit welchem/welcher bei Problemen<br />
jederzeit Kontakt aufgenommen werden kann, um fachlichen Rat einzuholen.<br />
2.7 Eigene Erfahrungen<br />
Die Autoren haben jeweils eine mehr als zehnjährige Erfahrung in der Insulinpumpen-<br />
Therapie – überwiegend als Ärzte in einer <strong>Diabetes</strong>klinik. Während dieser Zeit betreuten<br />
sie zusammen über 1.000 Insulinpumpenträger und konnten ein breites Spektrum<br />
von Besonderheiten beobachten. Der größere Teil der Patienten kam bereits mit einer<br />
Insulinpumpe in die Klinik. Sie wurden ambulant von den verschiedensten Einrichtungen<br />
betreut (diabetologische Schwerpunktpraxen, Insulinpumpenambulanzen von<br />
Kliniken mit diabetologischem Schwerpunkt, niedergelassene Allgemeinärzte bzw. Internisten).<br />
Als Resümee der eigenen Erfahrungen lässt sich formulieren:<br />
● Erfolg und Zufriedenheit unter Insulinpumpenbehandlung sind in erster Linie<br />
vom Patienten selbst abhängig. Dabei spielen eine wesentliche Rolle: Persönlichkeitsstruktur,<br />
Krankheitsakzeptanz, Motivation, Eigenverantwortung, Wissen.<br />
● Die Kompetenz der pumpenbetreuenden Einrichtung ist von nachgeordneter,<br />
aber nicht unwichtiger Bedeutung.<br />
● Die subjektive Zufriedenheit der Insulinpumpenträger ist meist sehr groß. Die<br />
objektiven Gegebenheiten sind gelegentlich verbesserungsbedürftig: keine<br />
normnahe Blutzuckereinstellung, HbA 1c -Werte über 8%, trotz Insulinpumpe<br />
sehr hohe Unterzuckerungshäufigkeit, unangemessen hoher Verbrauch an<br />
Hilfsmitteln, fehlende Beachtung der insulinpumpentypischen Besonderheiten,<br />
übermäßige Gewichtszunahme seit Beginn der Insulinpumpenbehandlung.<br />
● Es gibt einige Patienten, die während Ersteinstellung und Weiterbehandlung<br />
zeitlich und fachlich eher dürftig betreut wurden und deshalb von den Vorteilen<br />
einer Insulinpumpen-Therapie nicht wesentlich profitieren. Nur als »Spritzenersatz«<br />
ist eine Insulinpumpenbehandlung zu kostspielig und unter dem Aspekt<br />
der notwendigen und wirtschaftlichen Verteilung von Sozialversicherungsgeldern<br />
nicht vertretbar.<br />
25
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
Dabei ist zu beachten, dass unter den Insulinpumpenträgern, die zu einer stationären<br />
<strong>Reha</strong>-Massnahme in die Klinik kommen, gehäuft Problempatienten sind. Deshalb sind<br />
die eigenen Erfahrungen nicht unbedingt repräsentativ. In Tabelle 8 sind unsere Beobachtungen<br />
in tabellarischer Form für verschiedene Patientengruppen zusammengestellt.<br />
Wie bereits ausgeführt, gibt es keine zwingenden Gründe für die Insulinpumpen-Therapie.<br />
Es handelt sich um eine vordergründig sehr bequeme, allerdings auch kostenintensiv<br />
erscheinende Behandlung. Bei der Einzelfallentscheidung für oder gegen eine<br />
Insulinpumpe spielen nach unserer Meinung folgende Gesichtspunkte eine wichtige<br />
Rolle:<br />
● objektive körpereigene Gegebenheiten wie Restfunktion der Bauchspeicheldrüse,<br />
Insulinempfindlichkeit, »Dawn-Phänomen«<br />
● Unterzuckerungsproblematik: große Hypoglykämiehäufigkeit, erschwerte<br />
Wahrnehmung einer Unterzuckerung<br />
● begleitende Folgeerkrankungen, insbesondere schmerzhafte Polyneuropathie<br />
● Persönlichkeitsstruktur des Patienten, psychische Stabilität, soziales Umfeld<br />
● bisherige Erfahrung des Patienten mit der intensivierten Insulintherapie; genaue<br />
Analyse, warum eine Spritzenbehandlung nicht erfolgreich war<br />
● Wunsch nach Flexibilität im Alltag, z.B. Schichtdienst, ungeregelte Arbeitszeiten,<br />
spontaner Lebensstil, sehr unterschiedliche Essenszeiten, stark wechselnde<br />
körperliche Aktivität, Ausschlafen<br />
● erhöhte Anforderungen an eine gute Einstellungsqualität, z.B. möglichst<br />
Normalwerte vor und während einer Schwangerschaft<br />
● Bereitschaft des Patienten zur Eigenverantwortung, Krankheitsakzeptanz<br />
● diabetologische Weiterbetreuung: fachliche Kompetenz, Pumpenerfahrung,<br />
zeitliches und personelles Engagement.<br />
Die Einstellphase der Insulinpumpen-Therapie sollte duchaus als »Probephase« genutzt<br />
werden; hierzu bietet sich die Verordnung einer Leihpumpe an. Werden die allgemeinen<br />
Behandlungsziele längerfristig nicht erreicht, sollte man den Mut haben,<br />
eine Insulinpumpenbehandlung in Einzelfällen wieder abzubrechen.<br />
Warnen wollen wir vor der gelegentlich anzutreffenden Meinung und falschen Erwartung,<br />
in der Insulinpumpe das »Allheilmittel« zu sehen, das bei schlechter Einstellungsqualität<br />
unter der Spritzentherapie stets zu einer Verbesserung der Stoffwechselsituation<br />
führt. Mehrfach haben wir betont, dass die Insulinpumpe nur ein Insulindosiergerät<br />
ist, also ein Hilfsmittel für die Insulinabgabe und kein »Automat« zur<br />
Lösung von Problemen aller Art. Folglich kann die Insulinpumpe keine »Reservemethode«<br />
sein, die immer mit Erfolg einzusetzen ist, wenn ausgefeilte Spritzschemata<br />
bereits gescheitert sind. Insulinpumpenbehandlung ist nicht »einfacher« als die intensivierte<br />
Insulintherapie mit der Spritze, sie führt nicht zwangsläufig zu einer besseren<br />
Patientengruppe<br />
keine körpereigene Insulinbildung mehr<br />
(C-Peptid nicht mehr nachweisbar):<br />
● Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ohne Restfunktion<br />
der Bauchspeicheldrüse<br />
● Patienten mit operativ kompletter<br />
Entfernung der Bauchspeicheldrüse<br />
noch geringe körpereigene Insulinbildung<br />
(C-Peptid nachweisbar, aber erniedrigt):<br />
● Typ-1-<strong>Diabetes</strong> mit Restfunktion<br />
der Bauchspeicheldrüse<br />
● evtl. auch normalgewichtigte Typ-2-<br />
Diabetiker<br />
Patienten mit deutlicher peripherer<br />
Insulinresistenz (C-Peptid-Spiegel<br />
kaum erniedrigt, teilweise sogar<br />
relativ hoch):<br />
● Typ-2 mit Übergewicht<br />
● Typ-2 mit Essproblematik<br />
Bewertung<br />
Abb. 8: Therapieerfolge bei unterschiedlichen Patientenguppen<br />
2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />
Bei geeigneter Patientenauswahl und<br />
kompetenter ärztlicher Betreuung:<br />
sehr gute Langzeitergebnisse bezüglich<br />
subjektiver Patientenzufriedenheit und<br />
objektiver Einstellungsqualität.<br />
»Domäne« der Insulinpumpen-Therapie<br />
Insulinpumpen-Therapie oft erfolgreich,<br />
aber streng genommen nicht notwendig.<br />
Meist Gewinn an Lebensqualität, aber<br />
oft keine Verbesserung der Stoffwechseleinstellung.<br />
Fragliche Aufwand/Nutzen-Relation<br />
Eine Insulinpumpenbehandlung ist sehr<br />
kritisch zu sehen. Oft Problem der Gewichtszunahme<br />
unter der Insulinpumpen-<br />
Therapie, teilweise drastisch (in einem<br />
Einzelfall mehr als 50 kg in 3 Jahren).<br />
Objektiv betrachtet meist ein ungünstiges<br />
Langzeitergebnis.<br />
Stoffwechseleinstellung. Auch die Insulinpumpe bringt nicht die absolute Freiheit<br />
nach dem Motto: »Jetzt kann ich essen, trinken und tun, was ich will, die Insulinpumpe<br />
wird es schon richten«.<br />
In der Hand des geeigneten, gut geschulten, eigenverantwortlichen Patienten und bei<br />
kompetenter diabetologischer Betreuung ist die Insulinpumpen-Therapie derzeit eine<br />
erfolgversprechende sowie komfortable Behandlungsform für Menschen mit Typ-1-<br />
<strong>Diabetes</strong> ohne körpereigene Restfunktion – und langfristig gesehen vermutlich auch<br />
kostengünstig. Die Richtigkeit dieser Aussage gilt zumindest solange, bis irgendwann<br />
mit der automatischen Insulinsteuerung, dem sogenannten »closed loop« Verfahren,<br />
eine neue Behandlungsepoche für Typ-1-Diabetiker eingeläutet wird.<br />
26 27
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Der Insulinbedarf des Typ-1-Diabetikers setzt sich bei systematischer Trennung aus folgenden<br />
Anteilen zusammen:<br />
Insulinbedarf = Basalrate + Nahrungsbolus + Korrekturbolus<br />
Die Besonderheit der Insulinpumpen-Therapie gegenüber einer Spritzenbehandlung<br />
besteht darin, dass eine konsequentere Trennung zwischen Basalrate und Bolusinsulin<br />
möglich ist. Zwar wird auch bei der intensivierten Insulintherapie (ICT) nach dem Basis/<br />
Boluskonzept diese Aufteilung angestrebt, doch ist unter einer Spritzenbehandlung<br />
insbesondere die nächtliche bzw. frühmorgendliche Basalinsulinversorgung problematisch<br />
und oft nicht bedarfsgerecht zu verwirklichen.<br />
3.1 Bolusgabe<br />
Zwischen einer Insulinpumpen-Therapie und der ICT gibt es hinsichtlich der Bolusgabe<br />
keinen wesentlichen Unterschied – allenfalls in der Häufigkeit der Bolusverabreichung.<br />
28<br />
Als eher pumpentypische Besonderheiten sind jedoch aufzuführen:<br />
● Zwischenmahlzeiten werden meist extra abgespritzt.<br />
● Die getrennte Gabe von Nahrungs- und Korrekturbolus ist möglich.<br />
● Es besteht die Möglichkeit von Bolussplitting für das Nahrungsinsulin, z.B. bei<br />
großen Mahlzeiten, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken (s. 3.1.3).<br />
● Die Bolusgröße kann in kleinen Schritten verändert werden (z.B. in Abständen<br />
von 0,1 l.E.).<br />
● Bei den neueren Pumpen ist wahlweise eine verzögerte Bolusabgabe über ein<br />
vorwählbares Zeitintervall möglich.<br />
3.1.1 Nahrungsbolus<br />
Der Bedarf an Insulin zu den Mahlzeiten unterliegt in der Regel tageszeitlichen<br />
Schwankungen (sog. circadiane Rhythmik). Der Grund dafür ist die wechselnde Insulinempfindlichkeit<br />
während eines Tages mit, im Normalfall, zweigipfligem Verlauf.<br />
Besonders morgens ist die Insulinempfindlichkeit relativ gering (siehe Abschnitt 3.2<br />
Basalrate), weshalb für das Frühstück ein verhältnismäßig hoher Bedarf an Nahrungsinsulin<br />
besteht. Dagegen ist die Insulinempfindlichkeit eher hoch während der <strong>Mit</strong>tagszeit<br />
und insbesondere zwischen 22.00 Uhr und 3.00 Uhr mit folglich verhältnismäßig<br />
geringem Insulinbedarf.<br />
Kennzeichnend für die ICT und die Insulinpumpen-Therapie ist, dass der Diabetiker die<br />
aufzunehmende Menge an Kohlehydraten schätzt und anhand des sogenannten BE-<br />
Faktors die Dosis des Mahlzeiteninsulins festlegt. Als BE-Faktor wird die Insulinmenge<br />
bezeichnet, die für die Verstoffwechselung einer einzigen BE (entspricht 10-12 g<br />
Kohlehydrate) benötigt wird. Damit errechnet sich die erforderliche Nahrungsinsulinmenge<br />
für eine geplante Mahlzeit wie folgt:<br />
Nahrungsinsulin = gewünschte BE-Menge x BE-Faktor<br />
Beispiel:<br />
gewünschte Kohlehydratmenge: 3 BE<br />
individueller BE-Faktor: 2 I.E. pro BE<br />
➔ Nahrungsbolus: 6 I.E.<br />
Abb. 9: Berechnung des Nahrungsbolus mit BE-Faktor<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
29
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Die Höhe des BE-Faktors ist eng mit der jeweiligen Insulinempfindlichkeit verbunden.<br />
Diese wird von verschiedenen Einflussfaktoren bestimmt und ist im Wesentlichen<br />
abhängig von:<br />
● Tageszeit<br />
● Qualität der Blutzuckereinstellung<br />
● körperlicher Aktivität<br />
● Körpergewicht<br />
● Fettstoffwechsel<br />
● hormoneller Situation (Menstruationszyklus, Infekt, psychische Situation usw.)<br />
Zwischen relativer Höhe der jeweiligen Basalrate und der Größe des Nahrungsbolus<br />
zur entsprechenden Tageszeit besteht ein logischer Zusammenhang: Bei vergleichsweise<br />
hoher stündlicher Basalrate ist auch der entsprechende Nahrungsbolus relativ<br />
groß; umgekehrt ist bei eher niedriger stündlicher Basalrate auch der jeweilige Bedarf<br />
an Nahrungsinsulin verhältnismäßig gering.<br />
Die folgende Tabelle zeigt Anhaltspunkte für BE-Faktoren in Abhängigkeit von der<br />
Tagesgesamtinsulinmenge (Basalbedarf und Nahrungsbedarf) sowie der jeweiligen Tageszeit.<br />
BE-Faktor<br />
Tagesgesamtinsulin morgens mittags abends<br />
(Bolus + Basal)<br />
20 I.E. 1 0,5 0,75<br />
30 l.E. 1,5 0,75 1<br />
45 I.E. 2 1 1,5<br />
60 I.E. 3 1,5 2<br />
Abb. 10: Anhaltspunkte für BE-Faktoren<br />
Es wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Tabellenwerte nur als<br />
Faustregeln anzusehen sind. Ihre Gültigkeit ist im Einzelfall stets kritisch zu hinterfragen;<br />
ihre Richtigkeit wird jeweils nach der Methode »Versuch und Irrtum« sowie »Erfolg<br />
gibt Recht« herausgefunden.<br />
30<br />
3.1.2 Korrekturbolus<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Der Korrekturbolus ist genau wie bei der ICT erforderlich, um den Blutzuckerwert in<br />
das gewünschte Zielintervall zu bringen. In der Regel sind folgende Blutzuckerzielbereiche<br />
anzustreben:<br />
● nüchtern bzw. vor den Hauptmahlzeiten:<br />
80 - 120 mg/dl<br />
4,4 - 6,6 mmol/l<br />
● vor dem Schlafengehen:<br />
Abb. 11: Blutzuckerzielbereiche<br />
90 - 130 mg/dl<br />
4,9 - 7,2 mmol/l<br />
31
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Ein Anheben des BZ-Zielbereiches vor dem Schlafen auf Werte von mindestens<br />
110 mg/dl, wie es für die Spritzenbehandlung üblicherweise empfohlen wird, ist im<br />
Regelfall bei der Insulinpumpen-Therapie nicht erforderlich (vgl. Kap. 3.2.3, Hinweis<br />
4. Nächtliche Basalrate).<br />
Die Blutzuckerwerte ca. 1 bis 2 Stunden nach einer Mahlzeit (sogenannte post-prandiale<br />
Werte = pp-Werte) liegen meist 30 - 50 mg/dl bzw. 1,7 - 2,8 mmol/l höher als vorher.<br />
Es gilt die Empfehlung: Korrekturinsulin ist im Regelfall nur zu geben, falls der Blutzuckerwert<br />
nüchtern, vor den Hauptmahlzeiten bzw. vor dem Schlafengehen nicht im<br />
gewünschten Zielbereich liegt. Folglich ist routinemäßig nur zu diesen Zeiten eine<br />
Blutzuckerselbstkontrolle erforderlich (in Sondersituationen selbstverständlich häufiger).<br />
Die Differenz zwischen dem aktuellen Blutzuckerwert und dem Zielwert wird ermittelt<br />
und anschließend durch die sogenannte Korrekturzahl geteilt.<br />
Korrekturinsulin =<br />
Beispiel:<br />
32<br />
(aktueller Blutzuckerwert minus Zielwert)<br />
Korrekturzahl<br />
aktueller Blutzuckerwert: 240 mg/dl<br />
Blutzucker-Zielwert: 120 mg/dl<br />
individuelle Korrekturzahl: 40 mg/dl pro I.E.<br />
➔ erforderliches Korrekturinsulin: 3 Einheiten Insulin<br />
240 – 120<br />
=<br />
40<br />
Abb. 12: Bestimmung des Korrekturinsulins (Beispiel in mg/dl)<br />
Die Korrekturzahl bezeichnet dabei den Blutzuckerabfall bei subkutaner Gabe von<br />
1 Einheit Insulin. Weicht der aktuell gemessene Blutzuckerwert von dem gewünschten<br />
Zielwert ab, so lässt sich die notwendige Menge an Korrekturinsulin, wie in Abb. 12<br />
beschrieben, berechnen.<br />
Alternativ kann man bei dem Beispiel in Abb. 12 auch von der sogenannten »40er Regel«<br />
ab einem Blutzucker von 120 mg/dl sprechen. Ab einem Blutzucker von 120 mg/dl<br />
wird in 40er Schritten mit jeweils einer Insulineinheit korrigiert. Es ergibt sich folgendes<br />
praktikables Schema zur Berechnung des Korrekturinsulins (Abb 12.1).<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
»40er Regel« ab einem Zielwert von 120 mg/dl (Schritte von 1 I.E.):<br />
bis 120 mg/dl ➔ + 0 I.E.<br />
121 - 160 mg/dl ➔ + 1 I.E.<br />
161 - 200 mg/dl ➔ + 2 I.E.<br />
201 - 240 mg/dl ➔ + 3 I.E. usw.<br />
Abb. 12.1: Bestimmung des Korrekturinsulins in Schritten von 1 I.E. (Beispiel in mg/dl)<br />
Korrekturzahl und Blutzuckerzielwert müssen idealerweise nun für jede Tageszeit<br />
gesondert ermittelt werden. So kann beispielsweise für das Frühstück eine »schärfere«<br />
Korrekturregel erforderlich sein, z.B. eine »30er Regel« bei einem Blutzuckerzielbereich<br />
von 120 mg/dl. Zum <strong>Mit</strong>tagessen darf eventuell erst ab einem Blutzucker von<br />
150 mg/dl mit der »50er Regel« korrigiert werden. Der Grund für diesen unterschiedlichen<br />
Bedarf an Korrekturinsulin liegt, wie bereits oben ausgeführt, in der tageszeitlich<br />
verschiedenen Insulinempfindlichkeit. Bei der Insulinpumpenbehandlung kann die<br />
Bolusabgabe üblicherweise in Abständen von 0,1 I.E. verändert werden. Diese Möglichkeit<br />
sollte bei der Ermittlung des Nahrungsbolus und des Korrekturbolus durchaus<br />
genutzt werden. Auf das Beispiel von Abb. 12.1 übertragen, hieße dies:<br />
»40er Regel« ab einem Zielwert von 120 mg/dl (Schritte von 0,5 I.E.):<br />
bis 120 mg/dl ➔ + 0 I.E.<br />
121 - 140 mg/dl ➔ + 0,5 I.E.<br />
141 - 160 mg/dl ➔ + 1 I.E.<br />
161 - 180 mg/dl ➔ + 1,5 I.E. usw.<br />
Abb. 12.2: Bestimmung des Korrekturinsulins in Schritten von 0,5 I.E. (Beispiel in mg/dl)<br />
33
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Abb. 13 enthält Anhaltspunkte für die Höhe der Korrekturzahl in Abhängigkeit vom<br />
Tagesgesamtinsulin und der Tageszeit.<br />
Korrekturzahl (in mg/dl pro I.E.)<br />
Tagesgesamtinsulin<br />
(Bolus + Basal) morgens mittags abends<br />
20 I.E. 45 75 60<br />
30 I.E. 40 60 50<br />
45 I.E. 30 50 40<br />
60 I.E. 25 40 30<br />
Korrekturzahl (in mmol/l pro I.E.)<br />
Tagesgesamtinsulin<br />
(Bolus + Basal) morgens mittags abends<br />
20 I.E. 2,7 4,2 3,3<br />
30 I.E. 2,2 3,3 2,8<br />
45 I.E. 1,7 2,8 2,2<br />
60 I.E. 1,4 2,2 1,7<br />
Abb. 13: Anhaltspunkte für die Korrekturzahl<br />
Hinweise:<br />
Es wird ausdrücklich betont, dass diese Tabellenwerte nur Faustregeln sein können.<br />
Die Richtigkeit der Korrekturzahl muss individuell überprüft werden. Der Abstand zwischen<br />
zwei Blutzuckerkorrekturen sollte bei Verwendung von Normalinsulin im Allgemeinen<br />
mindestens 4 Stunden betragen (Ausnahme: Azeton ++/+++ bei drohender<br />
ketoazidotischer Entgleisung). Bei Verwendung von einem kurzwirksamen Insulinanalogon<br />
als Korrekturinsulin sollte mindestens ein Abstand von 2 Stunden eingehalten<br />
werden. Bei Blutzuckerkorrektur im Zusammenhang mit Sport, nach Alkoholgenuss<br />
bzw. vor einer Autofahrt empfehlen wir besondere Vorsicht. In diesen Fällen<br />
erhöht zuviel Korrekturinsulin das Risiko einer Unterzuckerung.<br />
Trotz ausgefeilter Korrekturregeln kann es nicht gelingen, den Blutzuckerverlauf<br />
100%ig zu beherrschen, um stets optimale Blutzuckerwerte zu erreichen. Die Beeinflussung<br />
und Steuerung des Blutzuckers ist eben nicht vergleichbar mit der Bedienung<br />
einer Maschine, bei der wir alle Einstellungsmöglichkeiten kennen. Die Insulinpum-<br />
34<br />
penbehandlung ist nur eine andere Form der Insulinabgabe. Zwar kann die Insulinversorgung<br />
nach Bedarf einfacher gesteuert werden, Gegebenheiten wie bei einem<br />
Nichtdiabetiker lassen sich jedoch nicht erreichen. Als Gründe seien hier nur stichwortartig<br />
genannt: subkutane Insulinbereitstellung statt Insulinabgabe in den Leberkreislauf<br />
wie beim Gesunden, wechselnde Insulinempfindlichkeit durch viele Faktoren<br />
(z.B. Stress, Bewegung, Infekt). Eine gewisse Gelassenheit und Bescheidenheit bei den<br />
Zielvorgaben für eine gute Stoffwechseleinstellung sind daher angebracht und wünschenswert.<br />
Die folgende Checkliste fasst zusammen, worauf bei der Festlegung der Bolusgröße zu<br />
achten ist.<br />
Checkliste für die Bolusgröße<br />
Aktueller Blutzuckerwert?<br />
● Wert glaubhaft?<br />
● Messfehler möglich?<br />
● Verdacht auf drohende Entgleisung?<br />
Was war vorher?<br />
● Wann und was vorher gegessen?<br />
● Letzter Bolus?<br />
● Vorherige körperliche Aktivität?<br />
● Vorher Alkoholgenuss?<br />
● Vorangegangene Unterzuckerung?<br />
● Blutzuckertrend?<br />
● Insulinpumpendefekt bzw. Bedienungsfehler denkbar?<br />
Was ist geplant?<br />
● Essenswunsch (Was? Wie viel? Wann?)<br />
● Körperliche Aktivität?<br />
● Alkoholgenuss?<br />
● Autofahrt?<br />
● Neue, unübliche Situation?<br />
Individuelle Besonderheiten?<br />
● Akute Krankheit mit erfahrungsgemäßer Stoffwechselverschlechterung?<br />
● Zu lange Katheterliegezeit?<br />
● Geänderte Insulinempfindlichkeit? (z.B. Periode)<br />
● Außergewöhnliche psychische Belastung?<br />
● Bewusste Veränderung des Blutzucker-Zielbereiches?<br />
● Änderung der Begleitmedikation? (z.B. Cortison, Diuretika)<br />
● Magenentleerungsstörung?<br />
Abb. 14: Checkliste für die Bolusgröße<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
35
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
36<br />
Drück-Ess-Abstand (DEA)<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
BZ vor dem Essen bei Normalinsulin bei kurzwirksamem<br />
in mg/dl in mmol/l Insulinanalogon<br />
unter 60 unter 3,3 erst Hypoglykämie behandeln erst Hypoglykämie behandeln<br />
60 - 80 3,3 - 4,4 spritzen und gleich essen nach dem Essen spritzen<br />
80 - 120 4,4 - 6,7 10 - 30 Minuten direkt vor dem Essen spritzen<br />
120 - 200 6,7 - 11,1 20 - 45 Minuten 0 - 20 Minuten<br />
200 - 250 11,1 - 13,9 35 - 60 Minuten 15 - 30 Minuten<br />
über 250 über 13,9 • Azeton messen! ➔ Korrektur spritzen<br />
• erneut Blutzucker testen vor dem Essen<br />
• erst essen bei BZ unter 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l<br />
genereller Tipp: • morgens eher längerer DEA<br />
• mittags eher kürzerer DEA<br />
Abb. 15: Faustregeln für den Drück-Ess-Abstand<br />
Bei Verwendung von Normalinsulin als Pumpeninsulin ist in der Regel ein Drück-Ess-<br />
Abstand (DEA) in Abhängigkeit von der Höhe des Blutzuckerwertes unverzichtbar. Zu<br />
Zeiten geringerer Insulinempfindlichkeit (z.B. morgens vor dem Frühstück) wird oft ein<br />
größerer DEA benötigt als beispielsweise vor dem <strong>Mit</strong>tagessen.<br />
Falls bei Verwendung von Normalinsulin kein DEA eingehalten werden kann, ist mit<br />
einem erhöhten pp-Wert (pp = post-prandial, d.h. ca. 1 - 2 Stunden nach der Mahlzeit)<br />
zu rechnen. Die Anwendung eines kurzwirkamen Insulinanalogon (Humalog, Novo-<br />
Rapid) als Insulinpumpeninsulin kann hier von Vorteil sein. Der Drück-Ess-Abstand ist<br />
in diesem Fall aufgrund des rascheren Wirkungsbeginns im Allgemeinen 15-30 Min.<br />
kürzer als bei Verwendung von Normalinsulin. Wenn der Blutzucker vor einer Mahlzeit<br />
im wünschenswerten Bereich von 80-120 mg/dl bzw. 4,4-6,7 mmol/l liegt, ist daher<br />
bei Verwendung von kurzwirkamem Insulinanalogon kein DEA erforderlich.<br />
Da Normalinsulin üblicherweise eine Wirkdauer von ca. 4-6 Stunden besitzt, stellen<br />
die pp-Werte, die 1-2 Stunden nach der Mahlzeit ermittelt werden, kein Kriterium<br />
für die Höhe des Bolusinsulins dar. Die pp-Werte sind vor allem vom DEA und von<br />
der Nahrungszusammensetzung abhängig. »Schnelle Kohlehydrate« (z.B. Cola) gehen<br />
rascher ins Blut als »langsame Kohlehydrate« (z.B. Müsli); auch erhöhen fettarme bzw.<br />
fettfreie Mahlzeiten (z.B. Obst) den Blutzucker rascher als fettreiche Speisen (z.B.<br />
Pizza).<br />
37
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Die Bestimmung und Korrektur des pp-Wertes wird deshalb nicht routinemäßig empfohlen.<br />
Beispielsweise kann ein pp-Wert von 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l durchaus<br />
durch einen zu kurzen DEA bedingt sein. Eine Korrektur mit Normalinsulin könnte<br />
hierbei zu einer Bolusüberlappung führen. Bei Korrektur mit einem kurzwirksamen Insulinanalogon<br />
ist dies erfahrungsgemäß unproblematischer.<br />
Tipp: Insulindosis-Anpassung<br />
Bei der Festlegung der Bolusmenge gehen nicht wenige Insulinpumpenträger nach verhältnismäßig<br />
starren Anpassungsregeln vor, die eher schematisch und unflexibel gehandhabt werden.<br />
Ohne Zweifel haben »BE-Faktoren« und »Korrekturzahlen« ihre Berechtigung und sind nützlich,<br />
um sich im Gestrüpp der Blutzuckersteuerung einigermaßen zurechtzufinden. Sie gründen<br />
sich auf folgende Erfahrungen:<br />
● Bei höherem Blutzuckerwert ist der Bedarf an Korrekturinsulin größer.<br />
● Die Menge an Nahrungsinsulin hängt davon ab, wie viel und was (BE!)<br />
gegessen und getrunken wird.<br />
Andererseits ist der Blutzuckerverlauf von zahlreichen mehr oder weniger wichtigen Einflussfaktoren<br />
abhängig wie: Insulinmenge im Blut, Insulinwirkprofil, körperliche Aktivität,<br />
Insulinempfindlichkeit, psychische Verfassung, hormonelle Situation (Kortison, Adrenalin,<br />
Wachstumshormon, Schilddrüsenhormon), Begleiterkrankungen, Fettstoffwechsel, Einfluss von<br />
Medikamenten. Bleiben diese unberücksichtigt, entsteht nicht selten der Eindruck einer unberechenbaren<br />
Willkür.<br />
Bei der Prognose des Blutzuckerverlaufs ist es ähnlich wie bei Wettervorhersagen. Eine<br />
100 %ige Treffsicherheit ist nicht erreichbar. In beiden Fällen ist eine genaue Beobachtung der<br />
Begleitumstände wichtig; es können Regeln aufgestellt werden, die Prognosen für den weiteren<br />
Verlauf zulassen. Unerwartete, nicht berücksichtigte Ereignisse können solche Vorhersagen<br />
jedoch über den Haufen werfen. Das Regelwerk für die Prognoseerstellung muss immer wieder<br />
überdacht und aufgrund von Erfahrungen punktuell korrigiert werden.<br />
Als Grundlage für die Insulindosisanpassung kann folgendes Schema dienen:<br />
Beobachten (B) Handeln (H)<br />
➔<br />
Nachdenken (N) ➔ Entscheiden (E)<br />
Wie dies konkret aussehen kann, wird an einigen Beispielen aufgezeigt (Abb. 16).<br />
38<br />
➔<br />
➔<br />
Beispiel A: Blutzucker<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Beobachten: Wie ist der aktuelle Blutzucker? (Blutzuckermessung)<br />
Nachdenken: Warum ist der Blutzuckerwert so, wie er ist? Was war vorher?<br />
Entscheiden: Korrekturinsulin erforderlich? Hypoglykämiegefahr?<br />
Handeln: evtl. Bolusgabe bzw. Extra-BE?<br />
Beispiel B: Essen im Restaurant<br />
B: Was will ich essen? Wie groß ist die BE-Menge?<br />
Wie ist die Zubereitung? Will ich Alkohol trinken?<br />
N: Hatte ich in der Vergangenheit vergleichbare Situationen?<br />
Was wäre, wenn ich eine Unterzuckerung hätte (Risikoabschätzung)?<br />
E: Welche Bolusmenge benötige ich?<br />
Welcher Drück-Ess-Abstand ist empfehlenswert?<br />
H: Bolusgabe<br />
Beispiel C: unerwartet hoher Blutzucker<br />
B: aktueller Blutzucker 280 mg/dl (15,5 mmol/l), keine offensichtliche Erklärung,<br />
leichtes Unwohlsein<br />
N: Warum ist der Blutzucker so hoch? Zuviel gegessen? Vorher zu geringer Bolus?<br />
Bolus vergessen? Katheterliegedauer? Insulinpumpendefekt möglich?<br />
Fehlmessung mit dem BZ-Messgerät? Zuckerreste an der Hand?<br />
E: von der Möglichkeit einer drohenden ketoazidotischen Entgleisung ausgehen<br />
H: Urinkontrolle auf Azeton, Zweitmessung des Blutzuckers nach Händewaschen,<br />
Bolusgabe zur Blutzuckersenkung, keine körperliche Aktivität,<br />
Blutzucker-Selbstkontrolle in 2stündigen Abständen<br />
Abb. 16: Beispiele für die Insulindosis-Anpassung<br />
Diese Beispiele können beliebig fortgesetzt werden. Jeder insulinspritzende Diabetiker<br />
mit flexibler Lebensgestaltung sollte sich immer wieder klarmachen, welchen zentralen<br />
Stellenwert Beobachtung und Nachdenken haben.<br />
39
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Tipp: Üppiges (BE-reiches) Essen am späten Abend<br />
Insulinpumpenträger können sich bei der Tagesgestaltung weitgehend genauso verhalten wie<br />
Nichtdiabetiker. Allerdings müssen mögliche Probleme vorher bedacht werden.<br />
So ist bei Verwendung von Normalinsulin in der Insulinpumpe ein umfangreiches Abendessen<br />
nach 20.00 Uhr mitunter kritisch, denn der notwendige größere Nahrungsbolus hat eine Wirkdauer<br />
von 5 Stunden und mehr. Es besteht deshalb eine erhöhte Unterzuckerungsgefahr in der<br />
zweiten Nachthälfte zwischen 1.00 und 4.00 Uhr.<br />
Hierbei gibt es folgende Lösungsmöglichkeiten:<br />
a) Der Nahrungsbolus vor dem Abendessen wird gezielt um 1-3 I.E. Insulin verringert, d.h.<br />
eine anschließend schlechtere Blutzuckereinstellung wird bewusst in Kauf genommen.<br />
Damit wird natürlich das nächtliche Unterzuckerungsrisiko deutlich verringert.<br />
b) Es wird der übliche Nahrungsbolus gespritzt, jedoch anschließend vor dem Schlafen<br />
gehen bewusst der Blutzucker in der Nacht durch Zufuhr von Extra-BE angehoben.<br />
c) Vor dem Abendessen wird der übliche Nahrungsbolus gesetzt, anschließend aber die<br />
Basalrate deutlich für 3-4 Stunden reduziert (50 % oder mehr).<br />
d) Der Nahrungsbolus zum Abendessen wird als kurzwirksames Insulinanaloga (Humalog<br />
bzw. NovoRapid) in einem Pen abgegeben. Beachte: kurzwirksame Insulinanaloga<br />
können als sogenanntes »Partyinsulin« dienen. Die zusätzliche Verwendung eines Insulin-<br />
Pens wird allerdings von vielen Insulinpumpenträgern als umständlich angesehen.<br />
Das hier dargestellte Beispiel soll auch verdeutlichen, dass es für ein Problem (z.B. üppiges<br />
Essen am späten Abend) meist mehrere verschiedene Lösungsmöglichkeiten gibt. Dabei sind<br />
Phantasie, Kreativität sowie Mut zum Ausprobieren gefragt.<br />
40<br />
Tipp: Blutzucker-Zielbereiche<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Die üblichen, wünschenswerten Blutzuckerzielbereiche (siehe Abb. 11) müssen selbstverständlich<br />
immer wieder kritisch hinterfragt werden und sind stets den individuellen und aktuellen<br />
Gegebenheiten anzupassen. Eine »schärfere« Blutzuckereinstellung als im Regelfall ist beispielsweise<br />
anzustreben:<br />
● vor einer geplanten Schwangerschaft<br />
● während einer Schwangerschaft<br />
● bei schmerzhafter Polyneuropathie (diabetische Nervenerkrankung)<br />
Gelegentlich ist es auch empfehlenswert, die Blutzuckerzielwerte anzuheben. Eine kurzfristige<br />
Erhöhung des Blutzuckerzielbereiches kann vorteilhaft sein:<br />
● vor, während und mitunter auch nach körperlicher Aktivität<br />
● nach Alkoholgenuss<br />
● während einer Autofahrt<br />
● immer dann, wenn eine Hypoglykämie ein besonderes Risiko darstellt (z.B. Klettern,<br />
Radfahren, Schwimmen)<br />
Eine längerfristige Erhöhung des Blutzuckerzielbereiches kann in Erwägung gezogen werden<br />
bei:<br />
● proliferativer Retinopathie (fortgeschrittene Netzhautveränderungen mit Gefäßneubildungen),<br />
bis eine augenärztliche Behandlung (Lasertherapie) zu einer Stabilisierung<br />
der Augenhintergrundsveränderungen geführt hat<br />
● häufigen problematischen Unterzuckerungen<br />
● einer erschwerten oder aufgehobenen Hypoglykämiewahrnehmung (siehe Kapitel 11)<br />
● Langzeitdiabetikern (<strong>Diabetes</strong>dauer 25 Jahre oder mehr), die vermehrte Unterzuckerungsprobleme,<br />
aber keine wesentlichen Folgeerkrankungen haben.<br />
41
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Tipp: Korrekturinsulin<br />
Die notwendige Menge an Korrekturbolus hängt keinesfalls nur von der aktuellen Blutzuckerhöhe<br />
ab. Diese stellt zwar eine wesentliche Bezugsgröße dar, doch müssen bei der Festlegung<br />
der Menge an Korrekturinsulin auch weitere Punkte berücksichtigt werden. Bei einem mäßig<br />
erhöhten Blutzuckerwert von ca. 200 mg/dl (11,1 mmol/l) sollte zurückhaltend (bzw. gar nicht)<br />
korrigiert werden:<br />
42<br />
● 1 - 2 Stunden nach einer Mahlzeit (bei Verwendung von Normalinsulin)<br />
● vor einer Autofahrt<br />
● vor körperlicher Aktivität<br />
● vor dem Schlafengehen nach vorangegangenem Alkoholgenuss.<br />
Dagegen kann eher großzügig korrigiert werden:<br />
● bei erhöhtem Nüchternwert morgens<br />
● bei positivem Azetonnachweis im Urin (siehe Abschnitt 10.5)<br />
● bei fieberhaften Infekten<br />
● bei länger bestehender Blutzuckererhöhung.<br />
In diesen Fällen liegt meist eine verminderte Insulinempfindlichkeit vor.<br />
3.1.3 Besonderheiten<br />
Zwischenmahlzeiten<br />
Ein wesentlicher Vorteil der Insulinpumpen-Therapie besteht auch darin, dass für jede<br />
Zwischenmahlzeit ohne großen Aufwand ein Insulinbolus abgegeben werden kann.<br />
Dies bedingt mehr Flexibilität, denn Zeitpunkt und Umfang des Essens können weitgehend<br />
freizügig durch den Insulinpumpenträger festgelegt werden.<br />
Konkret heißt dies:<br />
● Es besteht kein »Muss« für Zwischenmahlzeiten.<br />
● Umfang und Zeitpunkt der Zwischenmahlzeiten sind variabel.<br />
● Die Bolusabgabe für die Zwischenmahlzeit erfolgt in direktem zeitlichen<br />
Zusammenhang mit der gewünschten Nahrungszufuhr.<br />
● Vor Zwischenmahlzeiten wird in der Regel keine Blutzuckerselbstkontrolle<br />
empfohlen und dementsprechend auch kein Korrekturinsulin verabreicht<br />
(Gefahr der Insulinüberlappung beim Einsatz von Normalinsulin!).<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
● Um das Risiko einer evtl. Unterzuckerung gering zu halten (keine begleitende<br />
Blutzuckerselbstkontrolle!) wird der Nahrungsbolus zu den Zwischenmahlzeiten<br />
eher knapp berechnet bzw. nach unten abgerundet. Der entsprechende<br />
BE-Faktor kann als <strong>Mit</strong>telwert aus den Faktoren der Hauptmahlzeiten vorher<br />
und nachher berechnet werden (Abb. 17).<br />
Beispiel:<br />
Alternativ besteht hier auch die Möglichkeit, den kleineren der beiden entsprechenden<br />
BE-Faktoren zu verwenden. Das Risiko für eine Unterzuckerung wird bei diesem<br />
Vorgehen weiter verringert. In unserem Beispiel hieße dies: BE-Faktor für Zwischenmahlzeit<br />
am Vormittag: 1,0 I.E./BE.<br />
Großer Bolus<br />
Bei Verwendung von Normalinsulin: Wegen der vergleichsweise langen Wirkdauer<br />
von Normalinsulin (4 - 6 Stunden) ist es gelegentlich vorteilhaft, nach Gabe eines relativ<br />
großen Bolus (8 I.E. oder mehr) nach ca. 3 Stunden eine Zwischenmahlzeit von 1 BE<br />
zu essen, ohne diese mit einem gesonderten Bolus abzuspritzen. Dadurch kann das<br />
nach 4 - 6 Stunden auftretende Unterzuckerungsrisiko verringert werden. Eine zusätzliche<br />
Zufuhr von Kohlehydraten ist natürlich besonders wichtig bei sportlicher Aktivität<br />
in diesem Zeitraum.<br />
Bolussplitting<br />
BE-Faktor morgens: 2,0 I.E./BE<br />
BE-Faktor mittags: 1,0 I.E./BE<br />
BE-Faktor für Zwischenmahlzeit<br />
am Vormittag: 1,5 I.E./BE<br />
Abb. 17: BE-Faktor für Zwischenmahlzeiten (Beispiel)<br />
Alternativ ist auch bei hohen Insulindosen ein sogenanntes Bolussplitting möglich. Vor<br />
einer Mahlzeit mit relativ langsam resorbierbaren Kohlehydraten (z.B. 8 BE Pizza) werden<br />
nur 2/3 der berechneten Insulinmenge verabreicht. Das restliche Drittel wird erst<br />
1 - 2 Stunden später gegeben. Bolussplitting ist insbesondere bei Verwendung von einem<br />
kurzwirksamen Insulinanalogon empfehlenswert, falls sich das Essen (z.B. mehrere<br />
Gänge eines Festmahls) über einen längeren Zeitraum erstreckt (siehe auch S. 40,<br />
Tipp: Üppiges – BE-reiches – Essen).<br />
43
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Tipp: Bolussplitting<br />
Ein großer Vorteil bei der Insulinpumpenbehandlung gegenüber der Spritzen-/Pen-Therapie besteht<br />
darin, dass die Insulingabe ohne nennenswerten Aufwand und ohne Injektionsschmerz<br />
erfolgen kann. <strong>Mit</strong> Beginn einer Insulinpumpen-Therapie wird im Regelfall die bei der ICT sinnvolle<br />
und praktische Gewohnheit beibehalten, Nahrungsbolus und Korrekturbolus gemeinsam,<br />
d.h. als einen Gesamtbolus zu verabreichen. <strong>Mit</strong>unter ist es aber vorteilhaft, von dieser Vorgehensweise<br />
abzuweichen.<br />
Situationen für ein sogenanntes »Bolussplitting« können sein:<br />
● getrennte Gabe von Nahrungsinsulin und Korrekturinsulin: Daran kann gedacht werden,<br />
wenn ein hoher Ausgangsblutzucker gemessen wurde und der Zeitpunkt der nächsten Mahlzeit<br />
noch nicht klar ist. Dies trifft beispielsweise zu bei einem hohen Blutzuckerwert nach dem Aufstehen<br />
und Frühstücksbeginn erst nach dem Brötchenholen. Oder auch beim Essen im Restaurant<br />
bzw. bei Einladungen mit oft nicht genau festzulegendem Beginn der Nahrungsaufnahme<br />
und bei gleichzeitig vorher ermitteltem deutlich erhöhtem Blutzuckerwert. Eine getrennte Gabe<br />
von Korrekturinsulin und Nahrungsinsulin ist auch sinnvoll bei erhöhtem Blutzuckernüchternwert<br />
in der Schwangerschaft und Neigung zu morgendlichem Erbrechen. Umfang und Beginn<br />
des Frühstückes können dann relativ freizügig gewählt werden.<br />
● Aufteilung des Nahrungsbolus in zwei oder auch mehrere kleinere Mengen: Dies ist beispielsweise<br />
sinnvoll, wenn während des Essens der Wunsch nach mehr Nahrungszufuhr besteht,<br />
d.h. es werden mehr BE gegessen als vorher geplant, weil es einfach gut schmeckt oder<br />
weil es so gemütlich beim Essen ist. Insbesondere bei einem mehrgängigen Festmenü wird der<br />
Insulinpumpenträger die notwendige Nahrungsinsulinmenge nach und nach in kleineren Portionen<br />
abgeben. Hier erweist sich ein kurzwirksames Insulinanalogon als besonders vorteilhaft.<br />
Andere Alltagssituationen für ein Splitting des Nahrungsbolus können sein: niedrige BZ-Werte<br />
vor dem Essen (z.B. unter 70 mg/dl bzw. 3,9 mmol/l) oder das Vorliegen einer sogenannten<br />
Gastroparese, d.h. einer verzögerten Entleerung des Magens mit dadurch bedingten tendenziell<br />
niedrigen BZ-Werten 1 - 2 Stunden nach einer Mahlzeit.<br />
● Die Insulinpumpe D-TRONplus von Roche Diagnostics (Disetronic) und die Insulinpumpen von<br />
Medtronic Minimed bieten über den »verzögerten Bolus« eine hervorragende Möglichkeit den<br />
Nahrungsbolus zu verteilen. Beispielsweise bei Banketts, Empfängen oder auch bei fettreichen<br />
Speisen ist es von Vorteil, die Bolusgabe über einen zuvor festgelegten Zeitraum gleichmäßig<br />
abzugeben.<br />
Auf einige Gefahren des Bolussplittings ist hinzuweisen:<br />
● Da die aufgeteilten Boli im Regelfall in zeitlich nicht zu großen Abständen gegeben werden,<br />
kommt es zu einer Bolusüberlappung mit verstärkter Insulinwirkung nach 2 - 4 Stunden. Dies ist<br />
insbesondere bei Verwendung von Normalinsulin wegen der längeren Insulinwirkungsdauer<br />
von Bedeutung.<br />
44<br />
Autoregulation<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
● Ein für später geplanter Nahrungsbolus wird einfach vergessen. Die Gabe des Nahrungsinsulins<br />
vor einer Mahlzeit ist eine oft seit Jahren bestehende, 3 x täglich durchgeführte Gewohnheit,<br />
und es erfordert ein bewusstes Umdenken, davon in Sonderfällen abzuweichen.<br />
● Man kann insbesondere während eines Festessens mit gleichzeitigem Alkoholgenuss leicht<br />
die Kontrolle über die Aufeinanderfolge der aufgesplitteten Nahrungsboli verlieren. Hier ist es<br />
hilfreich, die letzten Boli einschließlich der dazugehörigen Uhrzeit bei der Insulinpumpe abzufragen.<br />
Dies ist ohne weiteres bei den Disetronic- und Minimed-Insulinpumpen möglich.<br />
Unter Blutzuckerautoregulation versteht man, dass im Bereich bis ca. 180 mg/dl eine<br />
selbständige langsame Regulation des Blutzuckers auf den Normalbereich hin erfolgen<br />
kann, ohne dass zusätzlich Korrekturinsulin gegeben wird. Dieses Prinzip scheint<br />
bei einigen Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> eine gewisse Bedeutung zu besitzen.<br />
Als Konsequenz für die Praxis bedeutet dies:<br />
Bei Blutzuckerwerten von 140-180 mg/dl können einige Typ-1-Diabetiker mit der Gabe<br />
von Korrekturinsulin zurückhaltend sein und abwarten, ob sich der Blutzucker bis zur<br />
nächsten Kontrolle normalisiert hat. Dies setzt voraus, dass eine Verschlechterung<br />
der Insulinempfindlichkeit (z.B. fieberhafter Infekt) oder technische Katheter- bzw.<br />
Pumpenprobleme mit Insulinmangelversorgung (z.B. Luftblasen im Katheter, zu lange<br />
Katheterliegedauer) als Ursache der Blutzuckererhöhung ausgeschlossen sind.<br />
Andererseits empfiehlt es sich, bei leicht erniedrigten Blutzuckerwerten von 70-100<br />
mg/dl die übliche Insulinmenge für das Essen, d.h. den normalerweise erforderlichen<br />
Nahrungsbolus nicht zu verringern; auch hier gilt wieder die Einschränkung, dass eine<br />
Verbesserung der Insulinempfindlichkeit (z.B. durch Sport) weitgehend als Grund auszuschließen<br />
ist.<br />
Zweckmäßigerweise erfolgt in diesen Fällen eine Korrektur ausschließlich über den<br />
Drück-Ess-Abstand. Also: Bei Blutzuckerwerten von 140 -180 mg/dl den DEA um ca.<br />
5-15 min verlängern. Bei Werten von 70-100 mg/dl empfiehlt sich eine Verkürzung<br />
des DEA um 5 -10 min, bzw. die Bolusgabe erst während des Essens oder sogar auch<br />
erst nach dem Essen (siehe Abb. 15).<br />
Um die Bedeutung der Autoregulation im Einzelfall erkennen zu können, sollte man<br />
probeweise mit der Gabe von Korrekturinsulin im Blutzuckerbereich von 140-180<br />
mg/dl zurückhaltend sein bzw. auf eine Verringerung des üblichen Nahrungsbolus im<br />
Bereich von 70-100 mg/dl verzichten. Anhand von eigenen Erfahrungen gilt es, die<br />
persönlichen individuellen Reaktionsmuster kennenzulernen.<br />
45
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Tipp: Einfluss von Leber bzw. Muskelgewebe<br />
Bei der Blutzuckersteuerung sind zahlreiche körpereigene Regulationsmechanismen von wesentlicher<br />
Bedeutung, beispielsweise die blutzuckererhöhenden Hormone Cortison, Adrenalin<br />
und das Wachstumshormon. Aber auch zwei Organsysteme, nämlich Leber und Muskulatur,<br />
spielen eine wichtige Rolle:<br />
Die Leber stellt eine Art »Zuckerfabrik« im menschlichen Körper dar. Wie bei einer richtigen<br />
Fabrik alten Stils laufen Produktionsvorgänge ab und es erfolgt eine Lagerhaltung.<br />
Die Leber speichert Zucker in Form von Glykogen (5 - 10 BE!), das bei Bedarf als Glucose in die<br />
Blutbahn abgegeben werden kann.Als Folge davon kann es zu einem Blutzucker-Anstieg ohne<br />
vorangegangene Nahrungsaufnahme kommen (z.B. unter hormonellem Einfluss in psychisch<br />
belastenden Situationen). Andererseits gibt es Situationen, in denen ein vorher teilweise entleerter<br />
Glykogenspeicher (z.B. wegen körperlicher Tätigkeit bei knappen Blutzuckerwerten)<br />
wieder aufgefüllt wird. In diesem Fall kommt es zu einem nicht ohne weiteres erklärbaren Blutzuckerabfall<br />
(»Sport wirkt nach«).<br />
Schließlich ist die Leber auch ein Produktionsort zur Bildung von Zucker (sogenannte »Glukoneogenese«).<br />
Im Durchschnitt produziert die Leber pro Stunde 0,5 bis 1 BE Glucose – beispielsweise<br />
durch Abbau von Eiweißstoffen. Diese Zuckerneubildung in der Leber unterliegt<br />
mengenmäßig größeren Schwankungen. Durch hormonelle Einflüsse kann die Abgabe von sogenanntem<br />
»Leberzucker« in die Blutbahn verändert werden, was ebenfalls Auswirkungen auf<br />
die Blutzuckerhöhe hat.<br />
Die Muskulatur hat insbesondere im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität einen bedeutsamen<br />
Einfluss auf den Blutzuckerspiegel (vergleiche Kapitel 8). Auch in der Muskulatur ist<br />
»Speicherzucker« in Form von Gykogen vorhanden – allerdings deutlich weniger als in der Leber.<br />
Diese Depots können bei körperlicher Tätigkeit teilweise entleert werden, wodurch ein zu<br />
rascher Blutzuckerabfall verhindert wird. In der Erholungsphase nach Muskeltätigkeit werden<br />
diese Glykogendepots wieder gefüllt, sogenannter »Muskelauffülleffekt« nach körperlicher<br />
Tätigkeit. Desweiteren kann die Muskulatur im Zusammenhang mit der Blutzuckerautoregulation<br />
ebenfalls die Höhe des Blutzuckerspiegels beeinflussen.<br />
Zwar lassen sich Ausmaß und Stärke der Blutzuckerveränderungen, die von Leber und Muskelgewebe<br />
ausgeübt werden, weder direkt messen noch unmittelbar beeinflussen, es ist jedoch<br />
vorteilhaft, diese Zusammenhänge zu kennen und zu beachten. So erklären sich manche vordergründig<br />
unverständlichen Blutzuckerwerte und es lassen sich durch aufmerksames Beobachten<br />
gewisse körpereigene Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich des Blutzuckerverlaufs erahnen.<br />
Diese können in Zukunft bei der Festlegung der Insulinmenge berücksichtigt werden.<br />
46<br />
3.2 Basalrate<br />
Auch wenn nichts gegessen wird, braucht der Körper Insulin. Dieser Insulinbedarf ist<br />
u.a. erforderlich für den Zuckereinstrom in die verschiedenen Körperzellen, denn<br />
Zucker ist ein wesentlicher Energielieferant für die Zellen. Außerdem wird Insulin für<br />
die Zuckerspeicherung in der Leber benötigt (Glykogensynthese). Man spricht hier insgesamt<br />
vom nahrungsunabhängigen Insulingrundbedarf bzw. vom basalen Insulinbedarf.<br />
3.2.1 Tageszeitabhängiger Rhythmus<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Der basale Insulinbedarf ist während der 24 Stunden eines Tages nicht stets gleich<br />
hoch, sondern unterliegt im Regelfall einem typischen, zweigipfligen Verlauf. Es liegt<br />
eine tageszeitabhängige Rhythmik vor mit einem deutlichen Gipfel am frühen Mor-<br />
47
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
gen (meist zwischen 5.00 und 7.00 Uhr), dem »Morgendämmerungs-Phänomen«. Der<br />
Gipfel am späten Nachmittag ist meist geringer ausgeprägt (»Abenddämmerungs-<br />
Phänomen«). Ein geringerer Insulinbedarf (sog. »Insulintal«) besteht gegen 12.00 Uhr<br />
mittags sowie um <strong>Mit</strong>ternacht (siehe Abb. 18).<br />
Der wechselnde Insulinbedarf ist hauptsächlich durch Hormone (körpereigene Botenstoffe)<br />
bedingt, die den Blutzucker erhöhen können. Beispiele hierfür sind: Cortison,<br />
das Wachstumshormon STH und Adrenalin. Diese Hormone sind tageszeitabhängig<br />
verschieden stark aktiv und verursachen dadurch in der Regel eine wechselnde Insulinempfindlichkeit<br />
des Körpers mit dem charakteristischen zweigipfligen Muster.<br />
48<br />
Dawn-Phänomen<br />
(Morgendämmerung)<br />
6.00<br />
höchster<br />
Insulinbedarf<br />
niedriger<br />
Insulinbedarf<br />
Abb. 18: Insulinbedarf beim Nicht-Diabetiker<br />
Dusk-Phänomen<br />
(Abenddämmerung)<br />
12.00 18.00 24.00 6.00<br />
Uhr<br />
hoher<br />
Insulinbedarf<br />
niedrigster<br />
Insulinbedarf<br />
Durch die Insulinpumpen-Therapie kann die Basalmenge an Insulin viel bedarfsgerechter<br />
verabreicht werden, als dies unter einer Spritzenbehandlung mit mehreren Injektionen<br />
pro Tag möglich ist. Besonders deutlich wird das in der Nacht, wenn der Insulinbedarf<br />
des Körpers aus dem »Insulintal« zum »Morgendämmerungsgipfel« wechselt.<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
In der Anfangszeit der Insulinpumpen-Therapie besaßen die Geräte häufig nur eine<br />
einzige Basalrate, die während 24 Stunden auf konstanter Höhe eingestellt war. Dadurch<br />
kam es insbesondere um <strong>Mit</strong>ternacht eher zu einer Überinsulinierung, während<br />
in den früheren Morgenstunden häufiger eine Insulinmangelversorgung in Kauf genommen<br />
werden musste. Die physiologischen Überlegungen sowie die Erfahrungen<br />
mit programmierbaren Insulinpumpenmodellen zeigten jedoch, dass es von Vorteil<br />
ist, wenn die basale Insulinabgabe durch automatische Steuerung mit der Insulinpumpe<br />
die circadiane Rhythmik des Insulinbedarfs möglichst gut nachahmt. Im Regelfall<br />
werden deshalb heute Insulinpumpen benutzt, bei denen im Voraus eine tageszeitlich<br />
variable Insulinbasalrate fest einprogrammiert werden kann (z.B. stündliche<br />
Variation des Basalratenprofils bei den Disetronic-Insulinpumpen: H-TRONplus und<br />
D-TRONplus; 48 Basalraten pro 24 Stunden bei Medtronic Minimed 508 und Medtronic<br />
Paradigm).<br />
Nur in Ausnahmefällen ist der typische zweigipflige Verlauf des basalen Insulinbedarfs<br />
weitgehend aufgehoben bzw. nicht vorhanden.<br />
Insulinabgabe<br />
[I.E./h]<br />
10,0<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0,1<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24<br />
Uhrzeit [Std.]<br />
Abb. 19: Beispiel für Basalrate mit zweigipfligem Verlauf<br />
3.2.2 Höhe der Basalrate<br />
Die strenge Trennung zwischen basalem Insulinbedarf und Nahrungs- bzw. Korrekturinsulin<br />
gelingt bei der intensivierten Insulintherapie nicht völlig; sie ist dagegen bei<br />
der Insulinpumpen-Therapie unter Berücksichtigung von typischen Gesetzmäßigkeiten<br />
meist relativ leicht zu verwirklichen. Ein solches Charakteristikum ist neben dem<br />
49
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
zweigipfligen Verlauf die Höhe des Gesamtbedarfs an Basalinsulin während 24 Stunden.<br />
Zwischen der Tagesgesamtinsulinmenge unter Insulinpumpen-Therapie und dem<br />
Basalinsulinbedarf besteht die folgende Faustregel (Abb. 20).<br />
Basalinsulin während 24 Stunden = ca. 50% des Tagesgesamtinsulins<br />
Beispiel:<br />
Tagesgesamtinsulin: 44 I.E.<br />
Basalrate insgesamt: ca. 22 I.E.<br />
Abb. 20: Faustregel für die Basalrate<br />
Diese Faustregel gilt unter folgenden Voraussetzungen:<br />
● Ernährung mit ausgeglichener Kalorienzahl, d.h. die täglich aufgenommene Nahrungsmenge<br />
führt weder zu einer Gewichtszunahme noch zu einer Gewichtsabnahme<br />
● keine stärkere körperliche Aktivität<br />
● keine begleitende Infektionskrankheit<br />
● keine Phasen mit atypisch hohem bzw. niedrigem Insulinbedarf<br />
Falls die Höhe der täglichen Basalrate sehr stark von der Hälfte des Tagesgesamtinsulins<br />
abweicht, ist immer zu vermuten, dass eine strikte Aufteilung zwischen Basalinsulin<br />
und Nahrungsinsulin nicht erfolgt ist.<br />
3.2.3 Ermittlung der Basalrate<br />
Aufgrund der bisherigen Ausführungen können wir folgende Merksätze zusammenfassen:<br />
● Für eine erfolgreiche, vorteilhafte Insulinpumpen-Therapie ist die Ermittlung<br />
des adäquaten Basalratenprofils von großer Bedeutung.<br />
● Eine einmal gefundene und sich als richtig bewährte Basalrate sollte nicht<br />
vorschnell komplett geändert werden.<br />
● In Sondersituationen (z.B. sportliche Aktivität, Infektionskrankheit) ist<br />
es wünschenswert, das Basalratenprofil während eines bestimmten Zeitraums<br />
prozentual abzusenken bzw. prozentual zu erhöhen. Eine solche<br />
prozentuale Basalratenvariation ist beispielsweise bei den Insulinpumpenmodellen<br />
H-TRONplus und D-TRONplus möglich.<br />
50<br />
Wie findet man die passende Basalrate?<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Bei der Umstellung von ICT auf Insulinpumpen-Therapie hat sich folgende Vorgehensweise<br />
bewährt (Modifikation nach Empfehlungen des Insulinpumpenzentrums München-Bogenhausen,<br />
Abb. 21).<br />
a) Patienten mit vorbestehender befriedigender bis guter Blutzuckereinstellung und<br />
seltenen Hypoglykämien (d.h. HbA 1c etwa 7 - 8 %; höchstens im <strong>Mit</strong>tel zwei leichtere<br />
Unterzuckerungen pro Woche):<br />
➔ Tagesgesamtinsulinmenge unter ICT um 10 - 20 % verringern;<br />
von der verbleibenden Menge für die Basalrate die Hälfte nehmen<br />
b) Patienten mit guter bis sehr guter vorangegangener Einstellung und häufigen Hypoglykämien<br />
(d.h. HbA 1c unter 7%, im <strong>Mit</strong>tel mehr als zwei Unterzuckerungen pro Woche):<br />
➔ Insulinmenge unter ICT um ca. 30 % reduzieren;<br />
von der verbleibenden Menge für die Basalrate die Hälfte nehmen<br />
c) Patienten mit vorbestehender nicht befriedigender Stoffwechselqualität und seltenen<br />
Hypoglykämien (d.h. HbA 1c über 8 %; im Durchschnitt weniger als eine Unterzuckerung<br />
pro Woche):<br />
➔ Insulinmenge nicht reduzieren;<br />
➔ Von der vorbestehenden Tagesgesamtinsulinmenge wird 45 - 50 % als Basalrate über<br />
24 Stunden angesetzt.<br />
Abb. 21: Umstellung von ICT auf Insulinpumpenbehandlung<br />
Für die Festlegung der stündlichen Basalraten ist ein Rechenschieber hilfreich, der<br />
bei Roche Diagnostics erhältlich ist. Hiermit kann man für eine bestimmte Basalrate/<br />
24 Std. (z.B. 18 I.E.) leicht ermitteln, wie hoch die einzelnen Basalraten für die Stundenintervalle<br />
während eines Tages sind – dabei ist der charakteristische zweigipflige<br />
Basalratenverlauf während 24 Stunden Voraussetzung (Abb. 22).<br />
Ergänzende Hinweise:<br />
1. Start der Insulinpumpen-Therapie<br />
Bei Beginn einer Insulinpumpen-Therapie ist zu bedenken, dass ein vorher gespritztes<br />
Verzögerungsinsulin noch nachwirkt und eine zu niedrige Basalrate vortäuscht. Die Erstanlage<br />
der Insulinpumpe sollte daher am Vormittag nach dem Frühstück erfolgen,<br />
wobei der Diabetiker zuvor auf sein morgendliches Basalinsulin verzichtet hat. Entsprechendes<br />
gilt bei der Rückumstellung einer vorübergehenden ICT-Behandlung auf<br />
die Insulinpumpen-Therapie.<br />
51
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
2. Anpassung in der Einstellungszeit<br />
Bei Neueinstellung auf die Insulinpumpen-Therapie kommt es in der Regel zu einer<br />
besseren Ausgeglichenheit der Blutzuckerverläufe mit geringerer Hypoglykämiehäufigkeit<br />
und reduzierten Blutzuckerspitzen. Durch die insgesamt stabileren Blutzuckerverläufe<br />
erfolgt eine Verbesserung der Insulinempfindlichkeit, d.h. der Tagesgesamtinsulinbedarf<br />
und damit auch die Basalraten können nicht selten während der ersten<br />
14 Tage nach Beginn einer Insulinbehandlung zusätzlich um ca. 5 -15 % verringert<br />
werden.<br />
3. Atypischer Basalratenverlauf<br />
● Es besteht ein relativ hoher Insulinbedarf morgens und eher geringer Insulinbedarf<br />
abends (überhöhter Morgengipfel, abgeflachter Abendgipfel). Ein solches Basalratenprofil<br />
kommt nach unseren Erfahrungen nicht selten bei schlanken Frauen<br />
mit großer Insulinempfindlichkeit und später Erstmanifestation nach dem 20. Lebensjahr<br />
vor.<br />
● Der zweigipflige Verlauf ist nur sehr gering ausgeprägt (abgeflachter Morgen-und<br />
Abendgipfel, ausgefüllte Täler). Diese Basalrate findet sich häufiger bei Langzeitdiabetikern<br />
mit fortgeschrittener autonomer Polyneuropathie.<br />
● Das Basalratenprofil ist zwar typisch zweigipflig, jedoch auf erhöhtem Niveau. Ein<br />
so gearteter Basalratenverlauf zeigt sich mitunter bei übergewichtigen Typ-1-Diabetikern<br />
(als Ursache wird eine zusätzliche periphere Insulinresistenz diskutiert).<br />
4. Nächtliche Basalrate<br />
Die bedarfsangemessene Insulinbereitstellung während der Nacht ist ein wesentlicher<br />
Vorteil der Insulinpumpenbehandlung im Vergleich zur Spritzentherapie. Eine bewusst<br />
niedrig programmierte Basalrate in der ersten Nachthälfte, also um <strong>Mit</strong>ternacht,<br />
verringert im Regelfall die Gefahr einer Unterzuckerung während des Schlafens deutlich.<br />
Dadurch ist üblicherweise eine Erhöhung des Blutzuckerzielbereiches vor dem<br />
Schlafengehen nicht notwendig. Zum Ausgleich empfehlen wir, die Basalrate in der<br />
zweiten Nachthälfte, d.h. etwa morgens ab 4.00 Uhr bei Verwendung von Normalinsulin<br />
und ab 5.00 Uhr bei Gebrauch von kurzwirksamem Insulinanalogon zu erhöhen.<br />
Unter dieser Strategie für die Programmierung der nächtlichen Basalrate tritt eine<br />
Hypoglykämie, wenn überhaupt, erst in den Morgenstunden auf, d.h. zu einer Zeit der<br />
geringeren Schlaftiefe bei gleichzeitig besserer Wahrnehmung von Unterzuckerungszeichen.<br />
Auf besondere Situationen mit erhöhtem Risiko für eine nächtliche Unterzuckerung<br />
wird in Kapitel 11 eingegangen.<br />
5. Vorübergehende Basalratenerhöhung<br />
Während mancher akuter Begleiterkrankung (z.B. fieberhafter Infekt) oder nach einer<br />
ketoazidotischen Entgleisung ist der Basalratenbedarf über mehrere Stunden erhöht.<br />
Diesem Sachverhalt kann durch eine vorübergehende Basalratenerhöhung entgegengewirkt<br />
werden. Dies ist beispielsweise bei den InsulinpumpenH-TRONplus und<br />
D-TRONplus möglich. Alternativ kann in etwa 3-stündigen Intervallen Korrekturinsu-<br />
52<br />
lin als Bolus in geringen Mengen gegeben<br />
werden. Auch durch medikamentöse<br />
Einflüsse (z.B. durch eine Cortisonbehandlung)<br />
kann es zu einer deutlichen<br />
Veränderung des Basalratenbedarfs<br />
kommen.<br />
6. Menstruationszyklus<br />
Bei Frauen ist nicht selten eine wechselnde<br />
Insulinempfindlichkeit parallel<br />
zum Menstruationszyklus zu beobachten.<br />
Es kommt häufig vermehrt an den<br />
Tagen vor der Monatsblutung zu einer<br />
vorübergehenden Erhöhung des Insulinbedarfs<br />
und mit Einsetzen der Periode<br />
wieder zu einer Verringerung. Bisweilen<br />
verhält es sich aber genau umgekehrt,<br />
oder es ist keine Beeinflussung<br />
feststellbar. Daher ist es vorteilhaft, in<br />
dieser Zeit engmaschige BZ-Kontrollen<br />
durchzuführen und zu protokollieren,<br />
um eigene Gesetzmäßigkeiten zu erkennen.<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
7. Schwangerschaft<br />
Während der Schwangerschaft muss die Basalrate in der ersten Hälfte (etwa bis zur<br />
20. Woche) meist geringgradig verringert werden. Erfahrungsgemäß steigt der Basalratenbedarf<br />
in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft oft sehr deutlich an, mitunter<br />
bis mehr als das Doppelte des Ausgangsniveaus. Nach der Entbindung ist in der Regel<br />
eine drastische Reduzierung der Insulinmenge notwendig.<br />
8. Vorübergehende Basalratensenkung<br />
Bei körperlicher Aktivität über mehrere Stunden (z.B. Bergwanderung, Fahrradtour)<br />
ist auch der Basalinsulinbedarf geringer. Deshalb empfiehlt sich in solchen Fällen eine<br />
Basalratenabsenkung (ca. um 50 % oder auch mehr). Bei einem mehrstündigen kompletten<br />
Insulinpumpenstopp kann es allerdings leicht zu einem deutlichen Insulinmangel<br />
kommen und dadurch bedingt zu einem Blutzuckeranstieg trotz körperlicher<br />
Aktivität (siehe auch Kapitel 8).<br />
9. Änderungen der Basalrate<br />
Änderungen an der Basalrate sind insgesamt eher selten vorzunehmen und sollten<br />
sehr überlegt erfolgen. Ihre Richtigkeit sollte durch gezielte Fastentests überprüft<br />
werden (siehe 3.2.4). Große Sprünge in der Insulinempfindlichkeit sind von einer Stun-<br />
53
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
de zur anderen physiologisch nicht zu erwarten. Deshalb sollte sich auch die Basalratenhöhe<br />
nicht zu abrupt ändern. Sogenannte »Manhattan-Profile« mit deutlichem,<br />
häufig wechselndem »Auf und Ab« müssen immer kritisch hinterfragt werden. Nicht<br />
selten sind sie Ausdruck von häufig wiederkehrenden Ereignissen (z.B. Hypoglykämie<br />
nach Alkoholgenuss, erhöhte Eiweißzufuhr am Abend), die fälschlicherweise in die<br />
Basalratenprogrammierung übernommen werden.<br />
Bei Verwendung von Normalinsulin mit einer Wirkdauer von ca. 4 Stunden ist zu berücksichtigen,<br />
dass sich eine Basalratenänderung erst ca. 2 Stunden später auswirkt.<br />
Beispielsweise zeigt sich der Effekt einer Änderung um 10.00 Uhr morgens erst nach<br />
ca. 2 Stunden, d.h. etwa um 12.00 Uhr. Dies erklärt sich durch die verzögerte Aufnahme<br />
des Normalinsulins aus dem subkutanen Depot. Aufgrund der kürzeren Wirkdauer<br />
und des unmittelbar einsetzenden Wirkbeginns spielen diese Überlegungen bei der<br />
Anwendung von einem kurzwirksamen Insulinanalogon eine geringere Rolle (Vorlaufzeit<br />
etwa 30 Minuten).<br />
54<br />
Tipp: Start mit der Insulinpumpe<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Zu Beginn der Insulinpumpenbehandlung empfehlen wir ebenfalls, den Blutzuckerzielbereich<br />
etwas anzuheben. Es ist immer wieder überraschend, wie deutlich die Tagesgesamtmenge an<br />
Insulin bei kontinuierlicher, bedarfsangemessener Basalversorgung verringert werden kann.<br />
Absenkungen der Gesamtinsulinmenge von 30% und mehr sind keine Seltenheit. Bei dosisgleichem<br />
Übergang von ICT auf Insulinpumpe besteht ein relativ hohes Risiko für gehäufte Unterzuckerungen.<br />
In der Anfangszeit der Insulinpumpen-Therapie hat man diesen Aspekt mitunter zu wenig beachtet.<br />
Es gibt Berichte über eine vorübergehende Verschlechterung einer vorbestehenden diabetischen<br />
Retinopathie sowie über ein vermehrtes Auftreten von Netzhautblutungen nach Insulinpumpen-Therapiebeginn.Aus<br />
diesen Gründen raten wir zu einer vorherigen Untersuchung<br />
beim Augenarzt. Gegebenenfalls ist erst großzügig eine Lasertherapie durchzuführen und später<br />
mit der Insulinpumpenbehandlung zu starten.<br />
Falls vor Beginn der Insulinpumpen-Therapie die basale Insulinversorgung mit Lantus erfolgte,<br />
ist die relativ lange Wirkungsdauer dieses Verzögerungsinsulins zu berücksichtigen. Diese<br />
scheint entgegen manchen Behauptungen größere Schwankungen zu haben, vereinzelt kann<br />
sie bis zu 30 Stunden betragen.Wenn unter ICT der basale Insulinbedarf mit einer abendlichen<br />
Einmalgabe von Lantus näherungsweise abgedeckt wurde, haben wir gute Erfahrung damit<br />
gemacht, am Vorabend ein NPH-Insulin spritzen zu lassen und zwar etwa 40 - 50 Prozent der<br />
üblichen Lantusmenge. Der Überlappungseffekt erweist sich dann meist als gering, wenn am<br />
Folgetag in den Vormittagsstunden mit der Insulinpumpenbehandlung begonnen wird.<br />
Wegen der kaum vorhersehbaren Absenkung des Insulinbedarfs raten wir in den ersten Tagen<br />
nach Beginn der Insulinpumpen-Therapie zu einer besonderen Vorsicht beim Autofahren. Die<br />
Fahrtüchtigkeit kann, wie amerikanische Studien zeigten, bereits bei Blutzuckerwerten von<br />
50 -70 mg/dl – also im grenzwertig hypoglykämischen Bereich – erheblich beeinträchtigt sein.<br />
Dieser Aspekt ist insbesondere bei einer ambulanten Umstellung auf die Insulinpumpe zu beachten,<br />
und der Insulinpumpenträger sollte über diese Problematik informiert sein.<br />
Vor dem Start einer Insulinpumpenbehandlung setzen wir voraus, dass der Insulinpumpenträger<br />
die intensivierte Insulinbehandlung (ICT) mit Spritze/Pen beherrscht.Als einfach zu überprüfendes,<br />
minimales Kriterium ist zu fordern, dass diese über einen Zeitraum von mindestens<br />
sechs Monaten durchgeführt wurde. Dies erleichtert es abzuschätzen, inwieweit mit der Insulinpumpe<br />
eine bessere Einstellung zu erwarten ist. Eventuelle andere Probleme, die trotz Insulinpumpen-Therapie<br />
erfahrungsgemäß nicht gelöst werden, lassen sich rascher erkennen.<br />
Viele Behandlungserfordernisse sind unabhängig von der Art der Insulinabgabe und können<br />
so bereits eingeübt werden. Zudem kann später bei einer längeren Insulinpumpenpause, einem<br />
Insulinpumpendefekt ohne Ersatzgerät oder einem geplanten mehrtätigen Ablegen der Insulinpumpe,<br />
auf die Vorerfahrungen mit ICT zurückgegriffen werden.<br />
55
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Abb. 22: »Rechenschieber« für Basalratenverteilung nach Dr. R. Renner, München<br />
56<br />
Tipp: Basalratenveränderung<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Ein weiterer Vorteil der Insulinpumpen-Therapie gegenüber ICT ist die Möglichkeit der relativ<br />
einfach und rasch durchzuführenden Basalratenvariation, d.h. für einen gewissen Zeitraum<br />
kann die fest einprogrammierte Basalrate bewusst verändert werden. Bei den Insulinpumpenmodellen<br />
Medtronic Minimed 508 und Medtronic Paradigm wird als vorübergehend neue<br />
Basalrate eine konstante, d.h. feste Größe eingegeben. Dagegen kann bei den Insulinpumpen<br />
H-TRONplus und D-TRONplus die Basalrate prozentual in 10%-lntervallen erniedrigt bzw. erhöht<br />
werden. Bei der Insulinpumpe H-TRONplus erfolgt die Basalratenabsenkung standardmäßig<br />
während eines Zeitraumes von 4 Stunden, die Basalratenerhöhung ist beim Standardmodell<br />
für 12 Stunden einprogrammiert. Diese Zeiten können jedoch von Roche Diagnostics<br />
(Disetronic) umprogrammiert werden. Bei der Insulinpumpe D-TRONplus ist die Basalratenabsenkung<br />
von 1-24 h frei einstellbar.<br />
Eine Basalratenabsenkung kann in folgenden Fällen in Betracht gezogen werden:<br />
● im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität (siehe Kapitel 8)<br />
● Falls bei Alkoholgenuss die Aufnahme von Extra-BE nicht gewünscht wird, kann durch Basalratenabsenkung<br />
einer drohenden Hypoglykämie zirka 3 - 6 Stunden nach Alkoholgenuss<br />
vorgebeugt werden.<br />
● <strong>Mit</strong>unter ist auch eine bewusste Anhebung des Blutzuckerzielbereiches wünschenswert<br />
(z.B. vor/bei längerer Autofahrt). Wer dies nicht mit Extra-BE bzw. Verringerung des vorangehenden<br />
Nahrungsbolus erreichen möchte, kann stattdessen auch die Basalrate vorübergehend<br />
absenken. Immer dann, wenn das Unterzuckerungsrisiko über einen längeren Zeitraum<br />
bewusst verringert werden soll (z.B. auch bei wichtigen Besprechungen), kann an eine<br />
Basalratenabsenkung gedacht werden.<br />
● Bei Verwendung von Normalinsulin kommt es nach einem großen Nahrungsbolus (z.B. mehr<br />
als 8 I.E.) aufgrund der relativ langen Wirkungsdauer nach 3 - 5 Stunden oft zu einem »Insulinüberhang«.<br />
Falls in diesem Zeitraum eine Zwischenmahlzeit auf keinen Fall gewünscht<br />
wird, lässt sich eine drohende Unterzuckerungsneigung statt dessen auch durch Basalratenabsenkung<br />
verringern.<br />
Eine Basalratenerhöhung ist bei einer vorübergehenden Verschlechterung der Insulinempfindlichkeit<br />
angezeigt. Als Beispiele hierfür können genannt werden:<br />
● fieberhafte Infekte<br />
● medikamentöse Begleitbehandlung (z.B. mit kortisonhaltigen Tabletten)<br />
● nach einer ketoazidotischen Entgleisung<br />
● verminderte körperliche Bewegung (z.B. »Faulenzerurlaub«, Bettlägerigkeit)<br />
● vereinzelt im Rahmen des Menstruationszyklus.<br />
57
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Tipp: Geringer Insulinbedarf<br />
Nachdem im Jahre 2002 der Vertrieb von H-Tronin 40 eingestellt wurde, ist derzeit in vorgefertigten<br />
Verpackungen bedauerlicherweise kein U40-Insulin mehr erhältlich, das offiziell für die<br />
Insulinpumpenbehandlung zugelassen ist. Früher hatten wir bei sehr guter Insulinempfindlichkeit,<br />
d.h. bei einem täglichen Gesamtbedarf von weniger als 25 I.E. unter ICT, die Verwendung<br />
eines U40-Insulins empfohlen.Wird stattdessen auch in diesen Fällen ein U100-Insulin benutzt,<br />
bestehen folgende wesentliche Nachteile:<br />
● Geringere Durchflussrate, deshalb höheres Risiko für einen Katheterverschluss.<br />
● Zeitlich späteres Auftreten eines Verstopfungsalarmes, da dieser von der absoluten Insulinmenge<br />
abhängig ist.<br />
● Der Gesamtinhalt einer Insulinampulle reicht mehr als 10 Tage. Deshalb ist das Insulin<br />
relativ lange ungünstigen äußeren Einflüssen wie Schütteln und Wärme ausgesetzt.<br />
● Höheres Risiko für die Entstehung von Luftblasen. Diese haben zusätzlich eine größere<br />
Bedeutung, denn gleich große Luftblasen entsprechen bei einer U100-Konzentration<br />
mehr Insulineinheiten.<br />
● U100-Insuline fluten hinsichtlich der blutzuckersenkenden Wirkung etwas langsamer<br />
an als U40-Insuline, d.h. Wirkungsbeginn und Wirkungsmaximum sind zeitlich später, die<br />
Wirkungsdauer ist etwas länger. Dieser Gesichtspunkt ist insbesondere bei der Verwendung<br />
von Normalinsulin zu beachten.<br />
Sollten im Einzelfall einige dieser Nachteile von erheblicher Bedeutung sein, kann als Ersatzlösung<br />
folgendes ausprobiert werden:<br />
In der Apotheke lässt man das U100-Insulin aus einem 10 ml Fläschchen mit einer geeigneten<br />
Verdünnungslösung im Verhältnis 1:1 mischen und wieder steril verpacken. Damit bekommt<br />
man eine U50-Konzentration, d.h. 1 ml der neuen Mischlösung enthält 50 I.E. Insulin und nicht<br />
wie üblich 100 I.E. Diese Mischlösung kann in die für das jeweilige Insulinpumpenmodell<br />
geeignete Insulinampulle umgefüllt werden. Auch für die Insulinpumpen D-TRONplus und<br />
H-TRONplus gibt es entsprechende Leerpatronen. Anschließend ist zu beachten:<br />
● Wird ein Bolus von 1 I.E. per Knopfdruck abgegeben, so entspricht dies nur einer Insulinmenge<br />
von 0,5 I.E. (Faktor 1/2!).<br />
● Wird eine Insulinmenge von 1 I.E. benötigt, so muss per Knopfdruck ein Bolus von 2 I.E.<br />
gesetzt werden (Faktor 2!)<br />
Anders ausgedrückt: Die per Knopfdruck abzugebende Menge ist formal doppelt so groß wie<br />
die gewünschte tatsächliche Insulinmenge. Eine Insulinampulle mit der U50-Mischlösung<br />
reicht nur halb so lange wie eine frühere U100-Originallösung. Die Durchflussgeschwindigkeit<br />
58<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
ist doppelt so hoch; ein eventueller Verstopfungsalarm erscheint bereits nach der Hälfte der<br />
üblichen Zeit.<br />
<strong>Mit</strong> dieser Methode lässt sich prinzipiell jede beliebige Insulinkonzentration erzeugen. Beispielsweise<br />
erhält man eine U40-Konzentration, wenn ein U100-Insulin mit der entsprechenden<br />
Mischlösung im Verhältnis 2:3 verdünnt wird.<br />
Nach Angaben der Insulinhersteller ist eine physiologische Kochsalzlösung aus Stabilitätsgründen<br />
zum Mischen nicht geeignet und offiziell auch nicht zugelassen. Für U100 Humalog<br />
wird von Lilly die Lösung »Sterile Diluent ND-800« angeboten. Diese ist in 10 ml Fläschchen erhältlich<br />
und besitzt die Zulassung in den USA. Weitere Informationen hierzu erteilt die Kundenbetreuung<br />
der Fa. Lilly unter der Telefonnummer 0180/1545592. Für das Normalinsulin<br />
Insuman Infusat kann über Aventis als geeignete Mischlösung die Substanz »Verdünnungspuffer<br />
HOE 21 PH« bezogen werden. Dagegen ist nach Aussage Novo Nordisk für das U100 Insulin<br />
NovoRapid keine Verdünnungslösung erhältlich.<br />
Es wird allerdings ausdrücklich betont, dass die Verdünnung eines U100-Insulins selbstverständlich<br />
keine Routinemaßnahme sein darf, sondern sie sollte nur in besonderen Ausnahmefällen<br />
unter fachlich kompetenter Aufsicht durchgeführt werden.<br />
59
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
3.2.4 Überprüfung der Basalrate<br />
Die Basalrate kennzeichnet den Insulinbedarf des Organismus ohne begleitende Nahrungsaufnahme.<br />
Somit erscheint es naheliegend, die Richtigkeit des Basalratenprofils<br />
durch eine Nahrungspause ohne wesentliche körperliche Aktivität zu überprüfen. Ein<br />
24-stündiger Fastentag wird von manchen Insulinpumpenzentren auch heute noch favorisiert.<br />
Wir empfehlen stattdessen gezielte Mahlzeitenauslassversuche, d.h. es wird<br />
jeweils nur eine Hauptmahlzeit sowie die eventuell anschließende Zwischenmahlzeit<br />
weggelassen. Voraussetzung hierfür ist ein Ausgangsblutzucker von 80-140 mg/dl<br />
bzw. 4,4 - 7,8 mmol/l. Durch zweistündliche Blutzuckermessungen wird nun überprüft,<br />
ob die Basalrate »passt«. Im Anschluss daran können Änderungen der Basalrate gezielt<br />
und dosiert vorgenommen werden.<br />
Zwar erstreckt sich dieses Vorgehen über mehrere Tage, es wird jedoch von den Insulinpumpenträgern<br />
als viel angenehmer empfunden. Außerdem kann es während einer<br />
24-stündigen Nahrungspause zu störenden Stoffwechselvorgängen mit vermehrtem<br />
Eiweiß- und Fettabbau kommen, wodurch sich die Insulinempfindlichkeit und damit<br />
der basale Insulinbedarf ändert. Gezielte Mahlzeitenauslassversuche können auch<br />
ohne weiteres ambulant unter häuslichen Bedingungen erfolgen.<br />
Eine mögliche Vorgehensweise für die Basalratentestung durch Mahlzeitenauslassversuche<br />
ist in Abb. 23 zusammengestellt.<br />
Bei der Austestung des Basalratenprofils ist gerade die nächtliche Basalrate besonders<br />
wichtig. Nur wenn diese relativ genau ermittelt wurde, ist zum einen das Risiko für<br />
eine nächtliche Unterzuckerung gering, zum anderen die Wahrscheinlichkeit für gute<br />
Blutzuckernüchternwerte hoch. Damit ist ein längeres Ausschlafen mit guten Blutzuckerwerten<br />
ohne weiteres möglich.<br />
Ein weiterer wichtiger Hinweis für die Richtigkeit des Basalratenprofils ergibt sich<br />
daraus, dass zwischen der jeweiligen stündlichen Basalrate, dem BE-Faktor und der<br />
Korrekturzahl zu einer bestimmten Tageszeit ein logischer Zusammenhang besteht.<br />
Die verbindende Größe wird durch die entsprechende Insulinempfindlichkeit charakterisiert.<br />
Bei geringer Basalrate ist der BE-Faktor entsprechend klein und die Korrekturzahl<br />
verhältnismäßig groß. Bei hoher Basalrate verhält es sich umgekehrt.<br />
Grobe Richtwerte für die Beziehung zwischen Basalrate, BE-Faktor und Korrekturzahl<br />
sind in Abb. 24 aufgeführt. Sie müssen selbstverständlich individuell angepasst werden.<br />
60<br />
Tag A: kein Frühstück<br />
Tag B: kein <strong>Mit</strong>tagessen<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Tag C: kein Abendessen, ab 21.00 Uhr Spätmahlzeit erlaubt<br />
Tag D: nach dem Abendessen: Keine Spätmahlzeit!<br />
Ausgangsblutzucker: zwischen 80 und 140 mg/dl bzw. 4,4 - 7,8 mmol/l<br />
Durchführung: • Blutzuckermessung alle 2 Stunden<br />
(nachts in der Regel 22.00 Uhr, 2.00 Uhr, 6.00 Uhr)<br />
• keine Zwischenmahlzeiten<br />
• ausreichend trinken<br />
• möglichst wenig körperliche Bewegung<br />
Abbruch: Fall 1: wenn Blutzucker stark ansteigt ➔ Basalrate erhöhen<br />
Abb. 23: A-B-C-D-Basalratentest<br />
Basalrate<br />
[I.E. Insulin pro Stunde]<br />
0,5<br />
1,0<br />
1,5<br />
2,0<br />
3,0<br />
Fall 2: wenn Blutzucker stark abfällt ➔ Basalrate reduzieren<br />
Hinweise: • Die A-B-C-D-Fastentests sind zur Feineinstellung der<br />
Basalrate empfehlenswert.<br />
• Zwischen zwei Fastentests sollten mindestens 3 Hauptmahlzeiten<br />
eingenommen werden.<br />
• kein Fastentest bei Krankheit.<br />
• kein Fastentest nach vorangegangener Hypoglykämie oder<br />
ketoazidotischer Entgleisung.<br />
• kein Fastentest nach vorhergehendem Alkoholkonsum.<br />
• Nach Korrektur der Basalrate muss meist der BE-Faktor<br />
angepasst werden.<br />
Abb. 24: Anhaltspunkte für den Insulinbedarf<br />
BE-Faktor<br />
[I.E. Insulin pro BE]<br />
0,6<br />
1,0<br />
1,8<br />
2,5<br />
4,0<br />
Korrekturzahl<br />
[mg/dl pro I.E. Insulin]<br />
60<br />
40<br />
30<br />
25<br />
20<br />
61
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Im Folgenden wird mit zwei Beispielen aufgezeigt, wie der Zusammenhang zwischen<br />
Basalratenmenge und Bolusbedarf im Einzelfall aussehen kann. Aufgeführt ist der<br />
Nahrungsbolus in Abhängigkeit von der geplanten BE-Menge, zusätzlich wird der<br />
eventuell erforderliche Korrekturbolus mit dem zugehörigen empfehlenswerten<br />
Drück-Ess-Abstand (DEA) angegeben.<br />
Beispiel 1<br />
● 28jährige Frau, Typ-1-<strong>Diabetes</strong> seit dem 14. Lebensjahr,<br />
seit 2 Jahren Insulinpumpenbehandlung<br />
● Insulinpumpenmodell: H-TRONplus, Insulin: Insuman Infusat<br />
● keine Folgeerkrankungen<br />
● Es liegt ein klassisches Dawn-Phänomen mit typischerweise<br />
erhöhtem Insulinbedarf in den Morgenstunden vor.<br />
Auch in den Abendstunden ist der basale Insulinbedarf erhöht.<br />
62<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
0<br />
Basalrate [I.E./h] Datum/Date<br />
Abb. 25: Basalrate Beispiel 1<br />
Tagessumme 22,3 I.E.<br />
2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 h<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Bolusplan Beispiel 1 (in mg/dl): Insuman Infusat als Pumpeninsulin<br />
Nahrungsinsulin Korrekturinsulin Drück-Ess-Abstand<br />
morgens:<br />
BE-Faktor 2,0 I.E./BE<br />
1. Zwischenmahlzeit<br />
mittags:<br />
2. Zwischenmahlzeit: BE-Faktor 1,0 I.E./BE (siehe oben)<br />
abends<br />
1 BE ➔ 2,0 I.E.<br />
2 BE ➔ 4,0 I.E.<br />
3 BE ➔ 6,0 I.E.<br />
4 BE ➔ 8,0 I.E.<br />
usw.<br />
BE-Faktor 1,0 I.E./BE<br />
1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />
2 BE ➔ 2,0 I.E.<br />
3 BE ➔ 3,0 I.E.<br />
BE-Faktor 1,0 I.E./BE<br />
1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />
2 BE ➔ 2,0 I.E.<br />
3 BE ➔ 3,0 I.E.<br />
4 BE ➔ 4,0 I.E.<br />
usw.<br />
BE-Faktor 1,5 I.E./BE<br />
1 BE ➔ 1,5 I.E.<br />
2 BE ➔ 3,0 I.E.<br />
3 BE ➔ 4,5 I.E.<br />
4 BE ➔ 6,0 I.E.<br />
usw.<br />
Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />
bis 80: 0,0 I.E.<br />
81 - 120: 0,0 I.E.<br />
121 - 140: + 0,5 I.E.<br />
141 - 160: + 1,0 I.E.<br />
161 - 180: + 1,5 I.E.<br />
181 - 200: + 2,0 I.E.<br />
Korrekturzahl<br />
entfällt<br />
Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />
bis 80: – 0,5 I.E.<br />
81 - 140: 0,0 I.E.<br />
141 - 160: + 0,5 I.E.<br />
161 - 180: + 1,0 I.E.<br />
181 - 200: + 1,5 I.E.<br />
Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />
bis 80: 0,0 I.E.<br />
81 - 140: 0,0 I.E.<br />
141 - 160: + 0,5 I.E.<br />
161 - 180: + 1,0 I.E.<br />
181 - 200: + 1,5 I.E.<br />
Spätmahlzeit: BE-Faktor 1,0 I.E./BE (siehe oben)<br />
Abb. 26: Bolusplan Beispiel 1 (in mg/dl): Insuman Infusat als Pumpeninsulin<br />
Bolusabgabe<br />
vor dem Essen<br />
ca. 15 Minuten<br />
ca. 20 Minuten<br />
ca. 30 Minuten<br />
ca. 35 Minuten<br />
ca. 45 Minuten<br />
Bolusabgabe<br />
vor dem Essen<br />
Bolusabgabe<br />
beim Essen<br />
vor dem Essen<br />
ca. 10 Minuten<br />
ca. 20 Minuten<br />
ca. 30 Minuten<br />
Bolusabgabe<br />
vor dem Essen<br />
ca. 10 Minuten<br />
ca. 20 Minuten<br />
ca. 30 Minuten<br />
ca. 40 Minuten<br />
63
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Beispiel 2<br />
● 55jähriger Mann, Typ-1-<strong>Diabetes</strong> seit dem 12. Lebensjahr,<br />
Insulinpumpen-Therapie seit 5 Jahren<br />
● Insulinpumpenmodell: H-TRONplus, Insulin: Humalog<br />
● Folgeerkrankungen: Polyneuropathie, Nephropathie<br />
Von der Persönlichkeitsstruktur handelt es sich um einen disziplinierten, gewissenhaften,<br />
kritisch denkenden, bzgl. der <strong>Diabetes</strong>erkrankung sehr selbständig handelnden<br />
Menschen, der um ausgefeilte Anpassungsregeln bemüht ist.<br />
Der täglich notwendige Gesamtinsulinbedarf beträgt ca. 30 - 35 I.E. Insulin, davon<br />
15,1 I.E. als basales Insulin. Es handelt sich um ein Beispiel mit einem eher niedrigen<br />
täglichen Insulinbedarf und relativ geringer Schwankungsbreite des Basalratenprofils.<br />
Diese Kennzeichen finden sich nicht selten bei Langzeitdiabetikern mit einer Erkrankungsdauer<br />
von 20 Jahren und mehr.<br />
64<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
0<br />
Basalrate [I.E./h] Datum/Date<br />
Abb. 27: Basalrate Beispiel 2<br />
Tagessumme 15,1 I.E.<br />
2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22<br />
0<br />
24 h<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
Bolusplan Beispiel 2 (in mg/dl): Humalog als Pumpeninsulin<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Nahrungsinsulin Korrekturinsulin Drück-Ess-Abstand<br />
morgens:<br />
BE-Faktor 1,0 I.E./BE<br />
1. Zwischenmahlzeit<br />
mittags:<br />
2. Zwischenmahlzeit: BE-Faktor 0,7 I.E./BE (siehe oben)<br />
abends<br />
1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />
2 BE ➔ 2,0 I.E.<br />
3 BE ➔ 3,0 I.E.<br />
4 BE ➔ 4,0 I.E.<br />
usw.<br />
BE-Faktor 0,7 I.E./BE<br />
1 BE ➔ 0,5 I.E.<br />
2 BE ➔ 1,5 I.E.<br />
3 BE ➔ 2,0 I.E.<br />
BE-Faktor 0,6 I.E./BE<br />
1 BE ➔ 0,5 I.E.<br />
2 BE ➔ 1,0 I.E.<br />
3 BE ➔ 2,0 I.E.<br />
4 BE ➔ 2,5 I.E.<br />
usw.<br />
BE-Faktor 0,8 I.E./BE<br />
1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />
2 BE ➔ 1,5 I.E.<br />
3 BE ➔ 2,5 I.E.<br />
4 BE ➔ 3,0 I.E.<br />
usw.<br />
Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />
bis 80: 0,0 I.E.<br />
81 - 140: 0,0 I.E.<br />
141 - 160: + 0,5 I.E.<br />
161 - 180: + 1,0 I.E.<br />
181 - 200: + 1,5 I.E.<br />
Korrekturzahl<br />
entfällt<br />
Korrekturzahl 60 mg/dl/I.E.<br />
bis 80: – 0,5 I.E.<br />
81 - 140: 0,0 I.E.<br />
141 - 170: + 0,5 I.E.<br />
171 - 200: + 1,0 I.E.<br />
201 - 230: + 1,5 I.E.<br />
Korrekturzahl 50 mg/dl/I.E.<br />
bis 80: 0,0 I.E.<br />
81 - 140: 0,0 I.E.<br />
141 - 165: + 0,5 I.E.<br />
166 - 190: + 1,0 I.E.<br />
191 - 215: + 1,5 I.E.<br />
Spätmahlzeit: BE-Faktor 0,5 I.E./BE (analog oben)<br />
Abb. 28: Bolusplan Beispiel 2 (in mg/dl): Humalog als Pumpeninsulin<br />
Bolusabgabe<br />
beim Essen<br />
vor dem Essen<br />
ca. 10 Minuten<br />
ca. 15 Minuten<br />
ca. 25 Minuten<br />
Bolusabgabe<br />
vor dem Essen<br />
Bolusabgabe<br />
beim Essen<br />
vor dem Essen<br />
ca. 10 Minuten<br />
ca. 15 Minuten<br />
ca. 20 Minuten<br />
Bolusabgabe<br />
nach dem Essen<br />
vor dem Essen<br />
ca. 10 Minuten<br />
ca. 20 Minuten<br />
ca. 25 Minuten<br />
65
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Bemerkungen zu den Beispielen:<br />
● Im Beispiel 1 wird unabhängig von der Tageszeit stets die gleiche Korrekturzahl<br />
von 40 mg/dl/I.E. benutzt. Um der schlechteren Insulinempfindlichkeit morgens gerecht<br />
zu werden, wird hier bereits ab einem BZ-Wert von 120 mg/dl korrigiert und<br />
zusätzlich der DEA großzügiger verlängert.<br />
● In Beispiel 1 wird bei den Zwischenmahlzeiten stets der im Vergleich zu den Hauptmahlzeiten<br />
eher niedrige BE-Faktor von 1,0 I.E./BE benutzt.<br />
● Der DEA in Beispiel 1 ist morgens tendenziell länger als mittags und abends.<br />
● Im Beispiel 2 entfällt bei Blutzuckerwerten im wünschenswerten Bereich jeglicher<br />
DEA, da das rascher wirksame Insulin Lispro benutzt wird.<br />
● Bei knappen Blutzuckerwerten morgens erfolgt in beiden Beispielen keine Bolusverringerung,<br />
stattdessen wird nur der DEA verkürzt, d.h. es wird beim bzw. nach<br />
dem Essen gespritzt.<br />
● Haupt- und insbesondere Zwischenmahlzeiten können in beiden Beispielen selbstverständlich<br />
entfallen.<br />
● Zu den Zwischenmahlzeiten ist bewusst kein Korrekturinsulin und kein DEA vorgesehen.<br />
Normalerweise erfolgt vor Zwischenmahlzeiten keine Blutzuckerselbstkontrolle<br />
und somit erübrigt sich die Gabe von Korrekturinsulin bzw. das Einhalten eines<br />
DEA. Falls in Sonderfällen eine BZ-Messung stattfindet, können selbstverständlich<br />
entsprechende Konsequenzen gezogen werden.<br />
● Die Anpassungsschemata haben nur Gültigkeit für den »Normalfall«. In Sondersituationen<br />
müssen sinnvolle Änderungen vorgenommen werden. Dies gilt insbesondere<br />
vor körperlicher Aktivität, meist auch vor einer längeren Autofahrt als<br />
Fahrer (in diesen Fällen Bolusverringerung) bzw. bei Begleiterkrankungen mit dadurch<br />
bedingtem vermehrtem Insulinbedarf (Boluserhöhung).<br />
● Das Maximum des Basalratenprofils ist in Beispiel 1 (Normalinsulin!) zeitlich früher<br />
als in Beispiel 2 (Insulin Humalog!).<br />
66<br />
3.3 Das »PPL-System«: Plane – prüfe – lerne<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Wesentliche Fragen bei der Behandlung von Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> (absoluter<br />
Insulinmangel) sind:<br />
● Wie viel Insulin wird in der Blutbahn oder genauer an den Rezeptoren der Zellen<br />
benötigt, damit der Blutzuckerspiegel im wünschenswerten Bereich von 70 -150<br />
mg/dl stabilisiert werden kann?<br />
● Wie kann erreicht werden, dass diese erforderliche Insulinmenge nach Gabe ins<br />
Unterhautfettgewebe zum richtigen Zeitpunkt im Blutkreislauf vorhanden ist?<br />
Beim Gesunden erfolgt die Insulinbildung in den Langerhans’schen Inseln der Bauchspeicheldrüse,<br />
und die Abgabe in die Blutbahn wird entsprechend dem jeweiligen Bedarf<br />
gesteuert. Dabei sind komplexe körpereigene Regulationsmechanismen von Bedeutung.<br />
Aufgrund eines Defektes der Insulinproduktion und -freisetzung ist dies bei Menschen<br />
mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht mehr gewährleistet. Stattdessen muss der »Kopf« des<br />
Typ-1-Diabetikers diese Steuerungsfunktion übernehmen und abschätzen, wie hoch<br />
der Insulinbedarf aktuell und in den Stunden während der Wirkdauer des gespritzten<br />
Insulins sein wird. Diese geschätzte Insulinmenge wird dann in das Unterhautfettgewebe<br />
abgegeben, dabei ist es primär nicht entscheidend, ob dies mit Insulinspritzen,<br />
mit einer Pen-Injektion oder mit Hilfe einer Insulinpumpe geschieht. Anders ausgedrückt:<br />
Das »Organ zwischen den Ohren« muss beim Typ-1-Diabetiker die Steuerungsfunktion<br />
der Bauchspeicheldrüse hinsichtlich der geeigneten Insulinmenge übernehmen.<br />
Nicht die Insulinpumpe an sich ist der Schlüssel zum Erfolg, sondern es kommt darauf<br />
an, wie gut der Mensch mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> erahnen kann, welche Insulinmenge sein<br />
Körper in den verschiedenen Lebenssituationen braucht. Dazu gehört umfangreiches<br />
Wissen, viel Erfahrung, eine gute Wahrnehmung der persönlichen Besonderheiten,<br />
ein ständiges Hinterfragen von Erfolg und Misserfolg, aber auch ein Quäntchen Glück<br />
sowie die Bescheidenheit, nicht alles erklären zu können. Die Insulinpumpe ist lediglich<br />
das zur Zeit optimale Hilfsmittel, um Insulin kontinuierlich in das Unterhautfettgewebe<br />
abzugeben. Entscheidende Fragen sind demnach:<br />
● Wie viel Insulin brauche ich?<br />
● Wovon hängt mein Insulinbedarf ab?<br />
Die Antworten hierauf sind sehr vielschichtig, die Insulinwirkung an der Zelle ist nämlich<br />
von zahlreichen Faktoren abhängig – nicht alle sind messbar und können beeinflusst<br />
werden.<br />
67
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Als wesentliche Bestimmungsgrößen seien genannt:<br />
● Kohlehydratmenge der Nahrung (BE-Anzahl)<br />
● Art der Kohlehydrate (glykämischer Index)<br />
● weitere Nahrungsbestandteile (Eiweiß-, Fett- und Flüssigkeitsanteil)<br />
● körperliche Aktivität (Kapitel 8)<br />
● Insulinempfindlichkeit (Abschnitt 3.1.1)<br />
● Leberstoffwechsel (Abschnitt 3.1.3)<br />
● Muskelauffülleffekt (Abschnitt 3.1.3)<br />
● Autoregulation (Abschnitt 3.1.3)<br />
● Bedarf an basalem Insulin (Abschnitt 3.2.4)<br />
● hormonelle Einflüsse (Kortison, Wachstumshormon, Glukagon, Adrenalin,<br />
Schilddrüsenhormon)<br />
● psychische Situation (Stress, Ärger, Kränkung, Ängste, Trauer, Wut, Verzweiflung)<br />
● circadiane Rhythmik des Insulinbedarfs<br />
● Menstruationszyklus bei Frauen<br />
● begleitende Infekte<br />
● medikamentöse Einflüsse (z.B. Kortisonbehandlung)<br />
● Alkoholgenuss<br />
● Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe.<br />
Manch einer mag angesichts dieser Vielfalt verzweifeln und resignieren und die Meinung<br />
vertreten: »Das schaffe ich nie«. Doch dazu besteht kein Grund. Es gibt eine verhältnismäßig<br />
übersichtliche Methode, wie man sich in diesem Wirrwarr von Einflussfaktoren<br />
zurechtfinden kann, nämlich durch<br />
68<br />
Beobachten – Nachdenken – Handeln.<br />
Eine Hilfe dabei will das sogenannte PPL-System sein: Plane – Prüfe – Lerne.<br />
3.3.1 Planen<br />
Die notwendige Insulinmenge an Bolusinsulin richtet sich im Wesentlichen nach folgenden<br />
Punkten:<br />
1. Was und wie viel will ich essen?<br />
2. Wie ist die aktuelle Blutzucker-Höhe?<br />
3. Ist körperliche Aktivität in den kommenden Stunden geplant?<br />
4. Sind Sonderbedingungen zu berücksichtigen?<br />
5. Ist die Standard-Basalrate richtig?<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Zu 1.:<br />
Der Nahrungsbolus hängt insbesondere davon ab, was gegessen und getrunken wird.<br />
Hierbei ist die BE-Menge wichtig, aber auch die Nahrungszusammensetzung ist von<br />
Bedeutung (Stichwort: glykämischer Index, Abschnitt 12.6). Persönliche Erfahrungen<br />
sind zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlich eiweißreicher Kost (z.B. Steak, Hähnchen)<br />
ist nicht selten eine geringe zusätzliche Menge an Bolusinsulin erforderlich; es<br />
hat sich dabei bewährt, für ca. 30 - 40 g Eiweiß eine Einheit Insulin zusätzlich zu verabreichen,<br />
bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon allerdings mit zeitlicher<br />
Verzögerung (Bolussplitting!). Auch hier gilt: daran denken und ausprobieren.<br />
Zu 2.:<br />
Aufgrund des aktuellen Blutzuckerwertes wird entschieden, ob zusätzlich ein Korrekturbolus<br />
angezeigt ist. Bei erhöhten Blutzuckerwerten haben sich Dosisanpassungsregeln<br />
wie beispielsweise die »40er Regel« bewährt (vgl. Abschnitt 3.1.2). Bei Blutzuckerergebnissen<br />
unter 80 mg/dl ist es oft erfolgreicher, nicht die übliche Menge an Insulin<br />
um 1 bis 2 Einheiten zu verringern, sondern statt dessen den Drück-Ess-Abstand zu<br />
verkleinern, bzw. während des Essens oder auch erst nach dem Essen zu spritzen.<br />
Für die Menge an Korrekturinsulin können neben der Blutzuckerhöhe weitere Gesichtspunkte<br />
von Bedeutung sein:<br />
● Korrekte Ermittlung des tatsächlichen Blutzuckerwertes. Als Hinweise<br />
seien genannt: die Problematik der Messgenauigkeit und der Fehlmessung<br />
(siehe Kapitel 9).<br />
● Blutzuckertrend: Bei ansteigenden Blutzuckerwerten die Insulinmenge<br />
großzügig erhöhen, bei absteigenden Verläufen die Bolusgabe eher verringern.<br />
Der Blutzuckertrend wird im Regelfall nicht nur durch Messung ermittelt – eine<br />
stündliche bzw. halbstündliche Blutzuckerbestimmung wird nicht empfohlen –<br />
sondern er ist durch gedankliche Überlegungen zu erahnen, indem blutzuckerbeeinflussende<br />
Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.<br />
● Mechanismus der »Autoregulation« (siehe Abschnitt 3.1.3).<br />
Zu 3.<br />
Bei körperlicher Aktivität ist der Insulinbedarf geringer. Dies ist bei der Bolusabgabe zu<br />
beachten, wenn die Muskelarbeit während der Wirkdauer des Bolus stattfindet und<br />
wenn sie planbar ist. Entsprechend den persönlichen Erfahrungen ist der übliche Bolus<br />
zu verringern oder/und die Basalrate vorübergehend abzusenken (siehe Abschnitt 8,<br />
körperliche Aktivität). Alternativ sind Zusatz-BE erforderlich.<br />
Zu 4.<br />
Häufig nicht genügend beachtet und unterschätzt wird die Bedeutung von Sonderbedingungen,<br />
die den Insulinbedarf verändern können. Als Beispiele seien aufgeführt:<br />
● fieberhafte Infektionen<br />
● Situationen mit vermehrter psychischer Belastung<br />
69
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
● Einfluss von Alkohol<br />
● Muskelauffülleffekt nach körperlicher Aktivität<br />
● wechselnde Insulinempfindlichkeit beispielsweise durch: Menstruationszyklus,<br />
längerfristig deutlich erniedrigte bzw. erhöhte Blutzuckerverläufe, Gewichtsschwankungen,<br />
mehrtägige drastische Erhöhung bzw. Verringerung der<br />
Gesamtinsulindosis (sog. »up-and-down«-Regulation)<br />
● Wunsch nach bewusster Anhebung des Blutzuckerzielbereichs (längere Autofahrt,<br />
Besprechungen), um eine Unterzuckerung möglichst zu vermeiden.<br />
In solchen Sondersituationen ist teilweise eine größere Bolusgabe zweckmäßig (Infekt,<br />
Stress), teilweise eine Verringerung des Bolus empfehlenswert (höherer Blutzuckerzielbereich,<br />
vor und nach Sport, Alkoholgenuss).<br />
zu 5.<br />
Die bisher beschriebenen Gesichtspunkte zur Ermittlung der Bolusgröße gehen stillschweigend<br />
davon aus, dass die programmierte Basalrate dem tatsächlichen Bedarf an<br />
basalem Insulin unter Standardbedingungen entspricht. Dies muss nicht zwangsläufig<br />
richtig sein. Für eine überschaubare Anwendung des PPL-Systems ist dies allerdings<br />
Voraussetzung. Auf die entsprechenden Ausführungen in Abschnitt 3.2 wird verwiesen.<br />
In der Phase des Planens geht es darum, die erforderliche Menge an Insulin während<br />
der Wirkdauer des verabreichten Bolus zu erahnen. Wünschenswert und notwendig<br />
ist also das »Vor-denken«. Hilfsmittel, sozusagen wesentliche »Handwerkzeuge«, sind<br />
dabei:<br />
● umfassendes Wissen über die Blutzuckerveränderung durch Essen und Trinken<br />
(BE-Kenntnisse, glykämischer Index, BE-Faktoren).<br />
● Einflussgrößen der Insulinwirkung wie Insulinwirkkurven, Insulinempfindlichkeit,<br />
Autoregulation.<br />
● die Möglichkeiten der Korrektur durch Drück-Ess-Abstand und Korrekturzahlen.<br />
● die Auswirkungen von körperlicher Aktivität: Bewegungseinheiten, Muskelauffülleffekt.<br />
● den Bedarf an basalem Insulin, programmierte Basalrate.<br />
● die Berücksichtigung von individuellen Besonderheiten.<br />
● die Nutzung eigener Erfahrungswerte<br />
Abb. 29 beschreibt ein Arbeitsblatt für das praktische Vorgehen mit dem PPL-<br />
System. Für einen konkreten Fall können die einzelnen hier dargestellten Schritte<br />
nachvollzogen werden. Die Bolusgrößen zu den jeweiligen Planungsannahmen sind<br />
einzutragen, das Ergebnis wird bewertet, dann lassen sich geeignete Lernhypothesen<br />
für das zukünftige Vorgehen aufstellen.<br />
70<br />
Praktische Anwendung des PPL-Systems<br />
Blutzuckerwert vorher: ..........................<br />
Was und wie viel will ich essen?<br />
Nahrungsinsulin: .................... I.E.<br />
Ist der Blutzucker im Zielbereich?<br />
evtl. Korrekturinsulin: .................... I.E.<br />
Planen Körperliche Aktivität geplant?<br />
evtl. Insulinverringerung: .................... I.E.<br />
Muss ich Besonderheiten berücksichtigen?<br />
evtl. Insulinveränderung: .................... I.E.<br />
empfehlenswerte Gesamt-Insulinmenge: .................... I.E.<br />
Blutzuckerwert nachher: ..........................<br />
Waren meine Planungsannahmen richtig?<br />
Prüfen Was ist anders als erwartet?<br />
Warum ist der Blutzucker so, wie er ist?<br />
........................................................................................................<br />
........................................................................................................<br />
........................................................................................................<br />
Was kann ich für die Zukunft lernen?<br />
Lernen Was will ich das nächste Mal anders machen?<br />
Abb. 29: Arbeitsblatt zum PPL-System<br />
Welche neuen Erfahrungen sind mir wichtig?<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
........................................................................................................<br />
........................................................................................................<br />
........................................................................................................<br />
71
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
3.3.2 Prüfen<br />
Die Ergebnisse der Blutzucker-Selbstkontrolle sind der »Goldstandard« um zu beurteilen,<br />
ob die verabreichte Insulinmenge richtig war. Damit lassen sich die Planungsannahmen<br />
überprüfen. Für den Zeitpunkt der Blutzuckermessung sind zwei Fälle zu unterscheiden:<br />
a) Nur die Basalrate ist wirksam.<br />
Im Regelfall betrifft dies die Messzeiten »nüchtern«, »vor den Hauptmahlzeiten«, »vor<br />
dem Schlafengehen« und in der zweiten Nachthälfte oder allgemein: Seit der letzten<br />
Bolusgabe ist ein Zeitraum verstrichen, der länger ist als die Wirkdauer des verwendeten<br />
Insulinpumpeninsulins, d.h. bei kurzwirksamem Insulinanalogon mindestens<br />
3 Stunden und bei Normalinsulin mindestens 5 - 6 Stunden. Als Zielbereich ist anzustreben:<br />
80 - 120 mg/dl (vergleiche Abschnitt 3.1.2)<br />
b) Zusätzlich ist Bolusinsulin wirksam.<br />
Eine routinemäßige Bestimmung des Blutzuckerwertes während des Wirkintervalls<br />
des Insulinbolus wird nicht empfohlen. Sollte die Blutzuckermessung bereits weniger<br />
als zwei Stunden nach Bolusgabe von kurzwirksamem Insulinanalogon bzw. weniger<br />
als vier Stunden nach derjenigen von Normalinsulin stattfinden, so ist die noch bestehende<br />
zusätzliche Wirkung des Bolusinsulins zu berücksichtigen. Als Zielbereich ist ein<br />
höherer Wert zu tolerieren, im Regelfall 100 - 160 mg/dl.<br />
Ähnliche Überlegungen sind anzustellen, falls über den Messzeitpunkt hinaus noch<br />
andere wesentliche Faktoren den Blutzucker beeinflussen. Dann gilt es zu erahnen,<br />
wie sich der weitere Blutzuckerverlauf gestalten wird.<br />
Eher zu einem Blutzucker-Anstieg wird es kommen, falls Stunden vorher eine fett- und<br />
eiweißreiche Mahlzeit (z.B. Schnitzel mit Pommes frites, Pizza) gegessen wurde, mitunter<br />
auch nach Speisen mit hohem Ballaststoffanteil (Linsengericht).<br />
Ein Blutzuckerabfall ist möglich und wahrscheinlich, wenn zuvor eine körperliche Aktivität<br />
von längerer Dauer stattgefunden hat, oder falls Stunden vorher ein alkoholisches<br />
Getränk mit niedrigem Kohlenhydratanteil (z.B. Diabetiker-Bier, bzw. trockener<br />
Wein) getrunken wurde.<br />
72<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Solche Zusammenhänge sind zu beachten, wenn das Messergebnis der Blutzucker-<br />
Selbstkontrolle bewertet wird. Durch Nachdenken wird überprüft, ob die Planungsannahmen<br />
richtig waren. Dabei ist eine möglichst genaue und zuverlässige Methode der<br />
Blutzuckermessung unabdingbar. Eine aussagekräftige Dokumentation der Ergebnisse<br />
ist hilfreich, um einen Vergleich mit früheren ähnlichen Situationen zu ermöglichen.<br />
Hierzu eignet sich ein Insulinpumpentagebuch, in dem neben Blutzuckerwerten, BE-<br />
Mengen und Bolusgaben auch Besonderheiten wie körperliche Aktivität, Alkoholgenuss,<br />
psychische Belastungssituationen, Katheterprobleme, fieberhafte Infekte und<br />
weitere Sondersituationen festgehalten werden können. Eine zusätzliche graphische<br />
Darstellung ist oft hilfreich.<br />
Ein gewisser »Spürsinn« ist erforderlich, um die individuellen Gesetzmäßigkeiten zu<br />
erahnen und herauszufinden. Dabei wollen und können folgende Fragen Denkanstöße<br />
sein:<br />
● Warum ist der Blutzucker so, wie er ist?<br />
● Was ist anders als erwartet?<br />
● Welche Einflussgröße wurde unterschätzt?<br />
● Was wurde nicht genügend berücksichtigt?<br />
Bei der Beantwortung dieser Fragen möchten die Checklisten in den Abb. 30 und 31<br />
eine Hilfe sein. Sie sollen das nachträgliche Überdenken erleichtern, wenn es darum<br />
geht, eigene Regeln der Blutzuckersteuerung herauszufinden. Die zugrundeliegenden<br />
Leitideen sind: »Lernen am Erfolg« und »Erfolg gibt Recht«.<br />
Zur Klarstellung soll betont werden: Diese Checklisten sind nicht für die tägliche, routinemäßige<br />
Anwendung gedacht. Sie wollen Denkanstöße geben, um vordergründig<br />
eher überraschende Blutzuckerverläufe angemessen verstehen zu können.<br />
Jeder Pumpenträger ist im Hinblick auf die Blutzuckerverläufe sein eigener »Detektiv«.<br />
Er sammelt so einen großen Erfahrungsschatz, der für eine zukünftige erfolgreiche<br />
Festlegung der Insulindosis vorteilhaft ist. Der »Kopf« des Typ-1-Diabetikers muss<br />
mit seinem Denkvermögen die Fehlfunktion der Bauchspeicheldrüse möglichst gut ersetzen.<br />
73
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Checkliste: Blutzucker höher als erwartet<br />
❍ BE-Menge falsch eingeschätzt, mehr gegessen als geplant, z.B. Restaurant-Essen<br />
❍ Nahrung mit hohem Eiweißgehalt (z.B. Steak, Hähnchen)<br />
❍ Kohlenhydratanteil in Getränken nicht berücksichtigt<br />
❍ Nahrungsbolus zu gering (BE-Faktor zu niedrig)<br />
❍ Korrekturbolus zu gering (Korrekturzahl zu groß)<br />
❍ geplante körperliche Aktivität fand nicht statt<br />
❍ Katheterproblematik: z.B. zu lange Liegedauer,<br />
Schlauch nicht ordnungsgemäß gefüllt, Luftblasenprobleme,<br />
Katheterverschluß ohne Alarmmeldung, Leckage im Katheterverlauf,<br />
Rückfluss bei großem Bolus aus dem Stichkanal<br />
❍ Insulinpumpenproblematik: Insulinpumpe versehentlich im Stopp, kein Insulintransport<br />
❍ außergewöhnliche psychische Belastung, Stress<br />
❍ Gegenregulation nach vorangegangener Unterzuckerung<br />
❍ Bolusgabe zu spät, zu geringer Drück-Ess-Abstand<br />
❍ Überkorrektur: gleichzeitig mehr gegessen und weniger gespritzt<br />
❍ Fehlmessung bei der Blutzucker-Selbstkontrolle<br />
❍ geplante Bolusgabe vergessen<br />
❍ körperliche Tätigkeit bei Insulinmangel<br />
❍ längere Phase ohne Nahrungsaufnahme (verminderte Insulinempfindlichkeit<br />
durch »Hungerazeton«)<br />
❍ beginnender grippaler Infekt oder sonstige Begleiterkrankung<br />
❍ zyklusbedingte Schwankungen bei Frauen<br />
❍ Einfluss von anderen Medikamenten<br />
❍ hormonelle Ursachen (Kortison, Schilddrüsenhormon, Wachstumshormon)<br />
❍ geringere Insulinempfindlichkeit (z.B. bei Gewichtszunahme)<br />
❍ zu große Basalratenabsenkung in Sondersituationen<br />
❍ zu langes Ablegen der Insulinpumpe<br />
weitere eigene Erkenntnisse:<br />
❍ ...........................................................................................................................<br />
❍ ...........................................................................................................................<br />
Abb. 30: Ursachen für unerwartet hohe Blutzuckerwerte<br />
74<br />
Checkliste: Blutzucker niedriger als erwartet<br />
❍ BE-Menge falsch eingeschätzt, weniger gegessen als geplant<br />
❍ Nahrung mit geringem Eiweiß- und Fettanteil<br />
❍ Nahrungsbolus zu hoch (zu großer BE-Faktor)<br />
❍ zu viel Korrekturbolus (Korrekturzahl zu klein)<br />
❍ zu viel körperliche Aktivität<br />
❍ körperliche Aktivität als solche nicht wahrgenommen<br />
❍ körperliche Aktivität bei zu hohen Insulinspiegeln<br />
❍ zu langer Drück-Ess-Abstand, Insulin zu früh abgegeben<br />
❍ Überkorrektur: gleichzeitig weniger gegessen und mehr gespritzt<br />
❍ Fehlmessung bei der Blutzucker-Selbstkontrolle<br />
❍ Überlappung von Bolusgaben nicht beachtet<br />
❍ Bolus versehentlich zweimal abgegeben<br />
❍ Alkoholgenuss<br />
❍ längerfristige körperliche Aktivität (Muskelauffülleffekt)<br />
❍ zyklusbedingte Schwankungen bei Frauen<br />
❍ größere Insulinempfindlichkeit (z.B. bei Gewichtsreduktion)<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
❍ bessere Hautdurchblutung (z.B. Saunabesuch, warmes <strong>Bad</strong>, Sonnenbad)<br />
❍ zu starke Basalratenerhöhung in Sondersituationen, bzw. fehlende<br />
Basalratenabsenkung bei geringerem Insulinbedarf<br />
❍ bereits Unterzuckerung innerhalb der vorangegangenen 24 Stunden<br />
❍ Wechsel der Insulinpatrone ohne gleichzeitigen Katheterwechsel<br />
(durch die Systemadaptation ungewollte Insulinabgabe!)<br />
❍ Magen-Darm-Probleme mit Erbrechen.<br />
❍ Gesundungsphase nach vorherigem fieberhaftem Infekt<br />
weitere eigene Erkenntnisse:<br />
❍ ...........................................................................................................................<br />
❍ ...........................................................................................................................<br />
Abb. 31: Ursachen für unerwartet niedrige Blutzuckerwerte<br />
75
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
3.3.3 Lerne<br />
Ein wichtiger Schritt, um die Komplexität der Blutzuckersteuerung zu erfassen, ist das<br />
Überdenken der Ergebnisse und der Blutzucker-Verläufe. Im Falle des Erfolges wird die<br />
eigene Vorgehensweise bestätigt, das Vertrauen zur eigenen Kompetenz gestärkt, die<br />
Zufriedenheit hinsichtlich der <strong>Diabetes</strong>-Erkrankung gesteigert, kurzum Wohlbefinden<br />
und Lebensqualität des Insulinpumpenträgers werden verbessert.<br />
Falls der Blutzuckerwert nicht im wünschenswerten Bereich liegt, gilt es, hieraus für<br />
das zukünftige Verhalten zu lernen. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein:<br />
● Was sollte ich das nächste Mal anders machen?<br />
● Welche Besonderheiten habe ich falsch eingeschätzt?<br />
● Welche neuen Erfahrungen habe ich gemacht?<br />
● Welche Gesetzmäßigkeiten kann ich vermuten?<br />
● Was ist eher nur zufällig anders?<br />
● Wo brauche ich die Gelassenheit, um Dinge hinzunehmen,<br />
die ich nicht ändern kann?<br />
Eine realistische Bewertung der Ergebnisse ist wünschenswert. Nicht alles ist machbar,<br />
manches kann nicht beeinflusst werden. Es geht darum, Unabänderliches zu akzeptieren<br />
und gewisse Grenzen der Freiheit anzunehmen. Denn trotz Insulinpumpe wird Insulin<br />
an der »falschen« Stelle abgegeben (in das Unterhautfettgewebe und nicht, wie<br />
beim Gesunden, direkt in den Blutkreislauf des Pfortadersystems). Außerdem beträgt<br />
die durchschnittliche Wirkdauer, selbst bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon,<br />
mindestens zwei Stunden und nicht nur 10 - 20 Minuten wie beim Gesunden<br />
– denn Insulin in der Blutbahn hat eine wesentlich kürzere Verweildauer (»falsches<br />
Insulin zur falschen Zeit am falschen Ort«).<br />
Trotz allem sind Zuversicht und Optimismus im Zusammenhang mit der Insulinpumpen-Therapie<br />
berechtigt. Der Insulinpumpenträger kann heute Wesentliches selbst<br />
zum Gelingen beitragen, er besitzt ein besseres »Handwerkszeug« als die Generationen<br />
vor ihm. Gerade die Blutzucker-Selbstkontrolle hat die Behandlungsmöglichkeiten<br />
revolutioniert. Es ist möglich und zu hoffen, dass in den nächsten Jahren neue Meilensteine<br />
der Erleichterung erreicht werden. Als Stichwort seien genannt: unblutige<br />
Blutzuckermessung und geschlossenes System der Blutzuckersteuerung.<br />
Schließlich sind Mut und Phantasie gefragt: Neues will ausprobiert sein, andere Wege<br />
wollen beschritten werden, Sackgassen sind als solche zu erkennen.<br />
Bei allem ist es angebracht, eine offene aber auch selbstkritische Haltung zu bewahren.<br />
Die eigenen Erfahrungen sind von Zeit zu Zeit zu hinterfragen. Tipps und Handlungsanweisungen<br />
von »diabetologischem Fachpersonal« sind auf ihre Gültigkeit und<br />
Zweckmäßigkeit zu überprüfen.<br />
76<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
3.3.4 Ergänzungen und kritische Anmerkungen zum PPL-System<br />
● Zweifelsohne ist das PPL-System nicht nur bei der Insulinpumpenbehandlung eine<br />
Möglichkeit der Therapieverbesserung. Es lässt sich allgemein bei jeglicher Form der<br />
Insulingabe anwenden. Freilich ist unter Insulinpumpen-Therapie wegen der strikten<br />
Trennung von Basalrate und Bolusgabe die Überschaubarkeit und die Berechenbarkeit<br />
des Insulinbedarfs einfacher und übersichtlicher. Bei einer Spritzenbehandlung kommt<br />
natürlich auch Verzögerungsinsulin zur Anwendung. Die Wirkdauer und Resorption<br />
dieser Insulinsorte besitzt gewisse Schwankungen und ist weniger gut vorhersehbar<br />
und steuerbar. <strong>Mit</strong> keiner Sorte von Verzögerungsinsulin lässt sich der nahrungsunabhängige<br />
Grundbedarf an Insulin wegen des zweigipfligen Verlaufs über 24 Stunden<br />
auch nur annähernd so gut nachahmen, wie mit einer Insulinpumpe, bei der sich die<br />
Basalrate in stündlichen Intervallen variabel programmieren lässt, und bei der die Insulinaufnahme<br />
aus dem Unterhautfettgewebe nur gering schwankt.<br />
● Nicht jeder Insulinpumpenträger profitiert von solch einem strukturierten Vorgehen<br />
wie beim PPL-System. Oft entscheiden sich Diabetiker intuitiv – entsprechendes<br />
Wissen vorausgesetzt – für die zweckmäßige Insulinmenge. Sie handeln ohne allzu viel<br />
analytischem Denken nach der Methode »Versuch und Irrtum« sowie »Erfolg gibt<br />
Recht« und erreichen damit das allgemeine Therapieziel, nämlich möglichst weitgehendes<br />
subjektives Wohlbefinden bei guter Lebensqualität sowie gleichzeitig eine<br />
möglichst normnahe Stoffwechseleinstellung ohne größeres Risiko für Akutkomplikationen<br />
(Unterzuckerung, ketoazidotische Entgleisung) bzw. für chronische Folgeerkrankungen.<br />
● Das PPL-System setzt stillschweigend voraus, dass der Anwender ein umfangreiches<br />
Wissen über Insulinbedarf, Wirkdauer der Insulinsorte, Einflussgrößen und Störfaktoren<br />
der Blutzuckersteuerung hat und über die komplexen Zusammenhänge der körpereigenen<br />
Regulationsmechanismen gut informiert ist.<br />
● Das PPL-System in der hier beschriebenen Form geht davon aus, dass die Basalrate<br />
in der Insulinpumpe bedarfsgerecht ermittelt wurde und auch in Sondersituationen<br />
nicht geändert wird. Dementsprechend ist im Abschnitt »Planen« nur die Bolusvariation<br />
beschrieben. Selbstverständlich kann statt Boluserhöhung bzw. -erniedrigung eine<br />
geeignete vorübergehende Veränderung an der Basalrate vorgenommen werden (siehe<br />
Abschnitt 3.2.3).<br />
● Nicht empfehlenswert ist, das aufwändige Konzept des PPL-Systems ständig anwenden<br />
zu wollen. Dies beinhaltet die Gefahr eines »Beruf-Diabetikers«. Stattdessen<br />
kann es vorteilhaft sein, das eigene Vorgehen im Hinblick auf die Insulindosisfindung<br />
hin und wieder etwas strukturierter und überlegter zu hinterfragen. Dies kann beispielsweise<br />
ein- oder zweimal im Monat sein, bzw. auf Situationen beschränkt bleiben,<br />
in denen das Blutzuckerverhalten nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist.<br />
77
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
● Gerade für Sondersituationen, die erfahrungsgemäß immer wieder auftreten und<br />
die sich auf die Blutzuckerstabilität ungünstig auswirken, empfiehlt es sich, das PPL-<br />
System gezielt einzusetzen. Dadurch lassen sich personenspezifische Besonderheiten<br />
leichter erkennen. Beispielhaft seien genannt: Pizzaessen, Einkaufsbummel, Fahrradtour,<br />
Bergwanderung, Saunanachmittag, Tennisspielen, Kegelabend mit anschließendem<br />
Biertrinken, Tanzabend mit Sekt.<br />
● Wie bereits betont, ist umfangreiches Wissen unabdingbar für den Erfolg. Hierbei<br />
kann geeignete Literatur eine Hilfe sein, nicht selten ist der Gedankenaustausch mit<br />
Betroffenen sehr vorteilhaft. Auch die Erfahrung und Beratung von kompetentem<br />
<strong>Diabetes</strong>fachpersonal (Diabetologe, <strong>Diabetes</strong>-BeraterInnen) sind häufig eine wertvolle<br />
Unterstützung. Andererseits sollten die Aussagen von angeblichen »Fachleuten«<br />
nicht zu unkritisch übernommen werden. Die Erfahrung zeigt: Studienergebnisse machen<br />
meist eine <strong>Mit</strong>telwertaussage unter standardisierten Bedingungen, sie lassen sich<br />
nicht uneingeschränkt auf den individuellen Einzelfall übertragen. Die objektiv fassbare<br />
Realität muss nicht stets mit der subjektiv erlebten Wirklichkeit übereinstimmen.<br />
● Das PPL-System will einen Weg zur Therapieoptimierung aufzeigen. Es erhebt nicht<br />
den Anspruch für jeden Diabetiker hilfreich und vorteilhaft zu sein. Manche Diabetiker<br />
sind aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur dafür zu begeistern, andere werden<br />
von dieser strukturierten und analytischen Methode nicht angesprochen. Jeder möge<br />
sich das herausnehmen, was ihm persönlich weiterhilft. Eine Gefahr des PPL-Systems<br />
besteht im Drang zum Perfektionismus. Wir wollen und müssen uns stets darüber im<br />
Klaren sein, dass sich mit keiner Methode der Blutzuckerverlauf zu 100 % vorhersagen<br />
und beherrschen lässt. Die körpereigenen Blutzuckerregulationen sind so komplex<br />
und zeigen uns immer wieder Grenzen der Machbarkeit auf. Dies gilt es, ohne jegliche<br />
Schuldgefühle in Bescheidenheit zu akzeptieren gemäß dem Satz: »Kräht der Hahn<br />
auf dem Mist, so ändert sich der Blutzucker, oder er bleibt wie er ist.« (nach Dr. Teupe,<br />
<strong>Bad</strong> Mergentheim).<br />
78<br />
3.3.5 Beispiele zum PPL-System<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Vorbemerkung:<br />
Für die folgenden Beispiele wird stillschweigend angenommen, dass die Basalrate für<br />
den Normalfall einprogrammiert ist, d.h. sie hat Gültigkeit für die patiententypische,<br />
übliche Insulinempfindlichkeit.<br />
Beispiel A: Bewusste Anhebung des Blutzuckerwertes während einer Autofahrt<br />
Herr N. will zum Frühstück ein Vollkornbrötchen (2 BE) mit Wurstaufschnitt sowie einen<br />
kleinen Fruchtjoghurt (1 BE) essen. Dazu trinkt er Kaffee und 120 ml Orangensaft<br />
(1 BE). Sein BE-Faktor morgens ist 1,75 I.E. Insulin pro BE. Der Blutzuckerwert vor dem<br />
Frühstück liegt bei 160 mg/dl, die Korrekturzahl morgens ist 40 mg/dl pro Einheit Insulin.<br />
Als Pumpeninsulin benutzt er Humalog. Nach dem Frühstück plant Herr N. eine<br />
zweistündige Autofahrt. Der übliche Blutzuckerzielbereich ist 120 mg/dl.<br />
Plane:<br />
Nahrungsinsulin: 4 BE x 1,75 + 7 I.E. Humalog<br />
Korrekturinsulin: (160 - 120) : 40 + 1 I.E. Humalog<br />
Sonderinsulin: höherer Zielbereich wegen Autofahrt - 1 I.E. Humalog<br />
Herr N. gibt sich demnach einen Bolus von 7 I.E. Insulin<br />
zum Frühstück, als DEA wählt er ca. 10 Minuten<br />
Prüfe:<br />
3 Stunden nach dem Frühstück ermittelt Herr N. einen Blutzuckerwert von 150 mg/dl.<br />
<strong>Mit</strong> diesem Ergebnis ist Herr N. zufrieden.<br />
Lerne:<br />
Seine Entscheidungen waren der Situation angemessen. Bei vergleichbaren Gegebenheiten<br />
wird er sich in Zukunft ähnlich verhalten.<br />
Beispiel B: Hausarbeit und Einkaufen<br />
Frau K. isst wie üblich zum Frühstück Brot (2 BE) mit Käseaufstrich, dazu noch Obstsalat<br />
(2 BE). Ihr BE-Faktor ist 1,5 I.E. pro BE. Sie hat allerdings nach dem Aufstehen einen<br />
Blutzuckerwert von 220 mg/dl gemessen. Ihre Korrekturzahl morgens ist 40 mg/dl,<br />
ihr zugehöriger Blutzuckerzielbereich 100 mg/dl, ihr Insulin Humalog. Nach dem Frühstück<br />
räumt sie wie auch sonst an einem Samstag die Wohnung auf und geht dann zu<br />
Fuß in die Stadt zum Einkaufen; Ihre körperliche Aktivität nach dem Frühstück dauert<br />
ca. 2,5 Stunden.<br />
79
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Plane:<br />
Nahrungsinsulin: 4 BE x 1,5 + 6,0 I.E. Humalog<br />
Korrekturinsulin: (220 – 100) : 40 + 3,0 I.E. Humalog<br />
Insulinverringerung wegen geplanter Bewegung - 1,5 I.E. Humalog<br />
80<br />
Auf Grund dieser Überlegungen entscheidet sie sich für<br />
einen Bolus von 7,5 I.E. und wählt als DEA 20 Minuten.<br />
Prüfe:<br />
Auf dem Nachhause-Weg bemerkt Frau K. eine Unterzuckerungssymptomatik. Sie isst<br />
sofort 2 Täfelchen Traubenzucker und misst als Blutzucker einen Wert von 45 mg/dl.<br />
Lerne:<br />
Vermutlich hat Frau K. den blutzuckersenkenden Effekt der körperlichen Aktivität<br />
(Wohnung aufräumen, Einkaufen) unterschätzt. Die Muskeltätigkeit fand zudem im<br />
Zeitraum relativ starker Insulinwirkung statt. In ähnlichen Situationen will sie in Zukunft<br />
eine stärkere Verringerung der Bolusinsulinmenge vornehmen, oder rechtzeitig<br />
während des Einkaufens 1- 2 Extra-BE zu sich nehmen (z.B. Obst, Gebäckstück, Getränk).<br />
Beachte: Humalog hat sein Wirkungsmaximum in der Zeit 1- 2 Stunden nach Injektion,<br />
d.h. in dieser Zeit ist bei körperlicher Aktivität mit einem stärkeren BZ-Abfall zu rechnen.<br />
Beispiel C: Fieberhafter Infekt<br />
Frau S. hat seit zwei Tagen einen grippalen Infekt mit 38,5 Grad Körpertemperatur,<br />
dazu Husten, Hals- und Kopfschmerzen. Aus Erfahrung weiß sie bereits, dass ihr Insulinbedarf<br />
in solchen Situationen ca. 20 % höher ist als sonst. Ihre 24-stündige Basalrate<br />
beträgt insgesamt 20 I.E.. Der Nüchternwert liegt bei 200 mg/dl. Der übliche BE-Faktor<br />
morgens ist 2,0 I.E./BE, die Korrekturzahl 30 mg/dl und der Zielbereich 100 mg/dl. Zum<br />
Frühstück möchte sie ein kleines Honig-Brötchen essen (insgesamt 2,5 BE)<br />
Plane:<br />
Nahrungsinsulin: 2,5 BE x 2 + 5,0 I.E.<br />
Korrekturinsulin: (200 - 100) : 30 + 3,0 I.E.<br />
Zuschlag für Infekt (+ 20%) + 1,5 I.E.<br />
Zuschlag für höheren Basalbedarf am Vormittag + 1,0 I.E.<br />
Nach diesen Überlegungen gibt sie sich einen Bolus von 10,5 I.E. etwa 15 Min. vor Beginn<br />
des Frühstücks.<br />
Prüfe:<br />
Um 11.00 Uhr möchte Frau S. eine heiße Suppe essen, deshalb kontrolliert sie den<br />
Blutzucker und erhält als Ergebnis 220 mg/dl.<br />
3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />
Lerne:<br />
Ihre Erfahrung des größeren Insulinbedarfs bei fieberhaften Infekten bestätigt sich, er<br />
ist sogar mehr als 30 % höher als üblich. Deshalb hätte sie den Bolus morgens statt um<br />
insgesamt 2,5 I.E. sogar um 4,5 I.E. auf 12,5 I.E. erhöhen können. Sie gibt sich deshalb<br />
mittags erneut einen deutlich höheren Bolus als üblich.<br />
Bemerkung zu diesem Beispiel: Während eines Infektes empfiehlt sich am Tag eine Erhöhung<br />
des Bolus vor den Mahlzeiten. Während der Nacht ist es günstiger, die Basalrate<br />
um 10 bis 20 % anzuheben (bei den Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus<br />
möglich). Nicht selten kommt es 1 bis 2 Tage vor Ausbruch der Infektion zu einer<br />
primär nicht nachvollziehbaren Verschlechterung des Blutzuckerprofils. D.h.: Eine<br />
nicht ohne weiteres erklärbare Erhöhung der Blutzuckerwerte kann auch Ausdruck eines<br />
beginnenden fieberhaften Infektes mit noch fehlender klinischer Symptomatik<br />
sein.<br />
Andererseits normalisiert sich nicht selten der vorher erhöhte Insulinbedarf bereits in<br />
der abklingenden Phase einer akuten Erkrankung, also bei noch bestehender klinischer<br />
Symptomatik wie Husten, Halsschmerzen usw. Das bedeutet: Eine vorübergehende<br />
vermehrte Insulinabgabe ist rechtzeitig auf das übliche Niveau zu verringern.<br />
Die Änderungen der Insulinempfindlichkeit während akuter Erkrankungen erfolgen<br />
meist ohne offensichtliche, einfach beschreibbare Gesetzmäßigkeiten. Deshalb ist in<br />
solchen Situationen empfehlenswert:<br />
● häufigere Blutzuckerkontrollen,<br />
● an die Möglichkeit einer kurz- bis mittelfristigen Änderung des<br />
Insulinbedarfs denken,<br />
● geeignete Anpassung der Insulinmenge in kleinen Schritten.<br />
81
4. Insuline für die Insulinpumpenbehandlung<br />
Im Rahmen der Insulinpumpen-Therapie kommen ausschließlich kurzwirksame Insuline<br />
zur Anwendung: Normalinsulin (Altinsulin) bzw. Insulinanalogon.<br />
Die zusätzliche Basalinsulingabe entfällt methodenbedingt bei der Insulinpumpenbehandlung.<br />
Das Insulin für die basale Insulinversorgung des Organismus wird von der<br />
Insulinpumpe entsprechend der voreingestellten Basalrate kontinuierlich in Form von<br />
Kurzzeitinsulin abgegeben. Bei den Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus beispielsweise<br />
wird alle drei Minuten eine kleine Insulinmenge, nämlich 1 /20 der entsprechenden<br />
stündlichen Basalrate freigesetzt.<br />
Als Insulinpumpeninsuline werden heute ausschließlich neutrale Insuline verwendet.<br />
Saure Insuline mit einem pH-Wert von 3,2 - 3,5 spielen heute keine Rolle mehr. Unter<br />
diesen Insulinen kam es früher vermehrt zu einem Fettgewebsschwund sowie zu<br />
Wechselwirkungen mit Katheter- und Ampullenmaterial. Die kurzwirksamen Insulinanaloga<br />
haben inzwischen die kurzwirkenden Humaninsuline (Normalinsuline) in der<br />
Anwendungshäufigkeit überholt.<br />
Neben einer guten Verträglichkeit mit Katheter- und Ampullenmaterialien müssen die<br />
zur Insulinpumpen-Therapie geeigneten Insuline stabil sein gegenüber Temperaturschwankungen<br />
und mechanischen Beeinträchtigungen. Nur so kann ein denkbarer<br />
Wirkungsverlust verhindert werden.<br />
Folgende Insulinsorten sind derzeit für die Insulinpumpen-Therapie zugelassen:<br />
A. Normalinsuline (Humaninsulin, Altinsulin):<br />
● Insuman Infusat (Fa. Aventis)<br />
● Insulin Actrapid PP (Fa. Novo Nordisk)<br />
Diese beiden Insuline sind speziell für die Insulinpumpen-Therapie entwickelt worden.<br />
B. Kurzwirksame Insulinanaloga<br />
● Humalog (Fa. Lilly)<br />
● NovoRapid (Fa. Novo Nordisk)<br />
Diese Insuline werden auch zur Spritzen- bzw. Penbehandlung benutzt. Bei den kurzwirksamen<br />
Insulinanaloga sind keine besonderen Zubereitungsformen für die Insulinpumpenbehandlung<br />
notwendig.<br />
82<br />
4.1 Humaninsuline<br />
Insuman Infusat<br />
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
Dieses Pumpeninsulin ist ein Normalinsulin und wird nur noch in der Konzentration<br />
U100 (100 I.E./ml) hergestellt. Insuman Infusat ist in Fläschchen und in vorgefüllten<br />
Fertigampullen auf dem Markt; die Fertigampullen sind für H-TRON-100-Insulinpumpen-Modelle<br />
geeignet und machen ein Umfüllen des Insulins in die Insulinpumpenampulle<br />
überflüssig.<br />
Im Vergleich zum üblichen Normalinsulin und zu den kurzwirkenden Insulinanaloga<br />
besitzt dieses Insulin zusätzlich Genapol als Stabilisator. Dieses lagert sich an die Kontaktflächen<br />
der Insulinlösung mit der Luft und dem Ampullen- oder Kathetermaterial<br />
an und schützt somit das Insulin vor einer möglichen Beschädigung, welche z.B. zu<br />
Katheterverschlüssen oder einer teilweisen Insulininaktivierung führen kann.<br />
Abb. 32: Das Insulin Insuman Infusat 100<br />
Als Desinfektionsmittel ist Phenol enthalten, dessen Aktivität durch Kathetermaterialien<br />
weniger verringert wird als dies beim üblichen Cresol der Fall ist.<br />
83
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
Insulin Actrapid PP<br />
<strong>Mit</strong> dem Normalinsulin Actrapid PP, welches das früher von Novo Nordisk angebotene<br />
Insulin Velasulin PP ersetzt hat, liegt ein spezielles Pumpeninsulin vor, das kein Genapol<br />
enthält. Erhöht wurde bei diesem Insulin der Anteil des Hydrogenphosphatpuffers,<br />
um Ausfällungen zu vermeiden. Actrapid PP ist ebenfalls ein Humaninsulin mit der<br />
Konzentration U100, allerdings sind dafür keine vorgefüllten Ampullen im Handel.<br />
Die Notwendigkeit eines speziellen Pumpeninsulins mit Genapol oder erhöhtem Anteil<br />
an Puffersubstanz wird kontrovers diskutiert: Die kurzwirksamen Insulinanloga<br />
wurden bisher ohne größere Gefahr der Katheterverstopfung in der Insulinpumpe<br />
D-TRONplus und anderen Insulinpumpenmodellen verwendet.<br />
Die Notwendigkeit einer Puffersubstanz ergab sich nur bei heute nicht mehr im Handel<br />
befindlichen PVC – Kathetern durch die Gefahr der pH-Werterniedrigung durch<br />
darin enthaltene Weichmacher. Das moderne Kathetermaterial ist optimal insulinverträglich.<br />
Es wird diskutiert, ob durch genapolhaltige Infusionslösungen eventuell Entzündungen<br />
der Schilddrüse gefördert werden. Sichere Zusammenhänge diesbezüglich sind bis<br />
jetzt nicht bekannt.<br />
4.2 Kurzwirksame Insulinanaloga<br />
Die kurzwirksamen Insulinanaloga Humalog (Lispro) und NovoRapid (Aspart) eignen<br />
sich in gleicher Weise für die Spritzen/Pentherapie wie für die Insulinpumpenbehandlung.<br />
84<br />
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
Bekanntlich besteht Insulin aus 51 verschiedenen Eiweißbausteinen, die sich wie Perlen<br />
auf einer zweireihigen Kette zu einem komplizierten räumlichen Gebilde anordnen.<br />
Im Unterschied zum Humaninsulin sind beim Insulin Humalog in der Eiweißsequenz<br />
der B-Kette die Aminosäuren in Position 28 und 29 vertauscht; die beiden vertauschten<br />
Eiweißbausteine heißen Lysin und Prolin – daher auch die Namensgebung<br />
Lispro. Beim Insulin NovoRapid wurde an der Position 28 der längeren B-Kette ein<br />
Eiweißbaustein ausgetauscht (Prolin gegen Asparaginsäure). Daher auch der Name<br />
Aspart.<br />
A-Kette<br />
1<br />
1<br />
B-Kette<br />
Abb. 33: Molekülstruktur von Lispro (Humalog)<br />
A-Kette<br />
1<br />
1<br />
B-Kette<br />
S S<br />
S<br />
S<br />
S S<br />
S<br />
S<br />
Abb. 34: Molekülstruktur von Aspart (NovoRapid)<br />
S<br />
S<br />
S<br />
S<br />
21<br />
21<br />
B28<br />
Lys<br />
B28<br />
Asp<br />
B29<br />
Pro<br />
30<br />
30<br />
85
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
Im Vergleich zum Normalinsulin zeichnen sich die kurzwirksamen Insulinanaloga durch<br />
folgende charakteristische Eigenschaften aus:<br />
● rascherer Wirkungsbeginn<br />
● höheres Wirkungsmaximum<br />
● kürzere Wirkungsdauer<br />
● keine wesentliche dosisabhängige Verlängerung der Wirkdauer<br />
In Abb. 35 sind die typischen Kennzeichen der Wirkung zusammengestellt:<br />
Wirkbeginn 0 - 10 Minuten<br />
stärkste Wirkung nach ca. 1 - 1,5 Stunden<br />
Wirkdauer ca. 2 - 4 Stunden<br />
Abb. 35: Wirkungscharakteristika der kurzwirksamen Insulinanaloga<br />
Humalog scheint im Vergleich zu NovoRapid etwas rascher vom Unterhautfettgewebe<br />
in die Blutbahn aufgenommen zu werden. Das Wirkungsmaximum liegt dadurch bei<br />
Humalog etwas früher, die Gesamtwirkdauer ist entsprechend etwas kürzer, d. h. sie<br />
liegt bei Humalog etwa bei 3 Stunden und bei NovoRapid ungefähr bei 3,5 Stunden.<br />
Die Wirkkurven von kurzwirksamem Insulinanalogon bzw. von Normalinsulin im Vergleich<br />
zur nahrungsbedingten Insulinausschüttung eines Nichtdiabetikers (physiologische<br />
Insulinfreisetzung) sind in Abb. 36 dargestellt:<br />
86<br />
physiologische Insulinfreisetzung<br />
bei Mahlzeitenbeginn<br />
kurzwirksames<br />
Insulinanalogon<br />
Normalinsulin<br />
1 2 3 4 5 6<br />
Stunden<br />
Abb. 36: Insulinwirkkurven<br />
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
Ein weitere Eigenschaft der kurzwirksamen Insulinanaloga soll nicht unerwähnt bleiben:<br />
Sie sind reine gentechnologisch hergestellte »Kunstprodukte«. Sie unterscheiden sich<br />
von Humaninsulin dadurch, dass beim Humalog quasi zwei Aminosäuren vertauscht<br />
werden, während beim NovoRapid eine Aminosäure gegen eine neue ausgetauscht<br />
wird. Solche Insulinvarianten kommen in der Natur weder beim Menschen noch bei<br />
irgendeiner Tierart vor. Warum diese kleinen denkbaren »Webfehler« durch Evolutionsprozesse<br />
keine Verbreitung gefunden haben, könnte zumindest etwas nachdenklich<br />
stimmen. Da die allgemeinen klinischen Erfahrungen bisher weniger als 10<br />
Jahre umfassen, lässt sich zur Zeit nichts darüber sagen, wie sich die ausschließliche<br />
Verwendung dieser Kunstprodukte anstelle von Humaninsulin beim Menschen längerfristig,<br />
d.h. nach Jahrzehnten auswirkt. Diesbezüglich sind zwar bis heute keine unerwünschten<br />
Ereignisse (z.B. kein Tumorwachstum, keine Förderung von Arteriosklerose,<br />
keine ungünstigen Auswirkungen auf andere Organsysteme) aufgetreten,<br />
doch eine gewisse Restunsicherheit aufgrund von theoretischen Überlegungen bleibt<br />
bestehen. Dies ist fairerweise hier zu erwähnen, soll aber keinesfalls Anlass zur Dramatisierung<br />
sein.<br />
Da Humalog gegenüber NovoRapid bereits einige Jahre länger auf dem Markt ist und<br />
auch häufiger eingesetzt wird, sind die Bedenken wegen der fehlenden Langzeiterfahrung<br />
mit Kunstinsulinen bei Humalog eher als geringer zu bewerten .<br />
Aufgrund der physikalischen und chemischen Eigenschaften besonders im Hinblick auf<br />
Stabilität der Substanz und Konstanz der Wirkung sind beide Insuline ohne weiteres<br />
für die Behandlung mit der Insulinpumpe geeignet. – Beide Insuline sind pumpentaugliche<br />
Insuline und für diese Therapie auch zugelassen.<br />
4.3 Vorteile der Therapie mit kurzwirkenden Insulinanaloga<br />
Die zahlreichen Patienten, die bisher Humalog oder NovoRapid in einer Insulinpumpe<br />
benutzen, schätzen insbesondere die größere Flexibilität und Freizügigkeit bei gleichzeitiger<br />
Stabilität der Blutzuckerverläufe ohne Zunahme der Unterzuckerungshäufigkeit.<br />
Sie er<strong>leben</strong> mit den kurzwirksamen Insulinanaloga in der Insulinpumpe einen<br />
deutlichen Gewinn an Lebensqualität mit tendenzieller Verbesserung der Stoffwechselqualität.<br />
Besonders hinzuweisen ist auf folgende konkrete Vorteile:<br />
● Wenn die Blutzuckerwerte im Zielbereich sind, ist normalerweise kein oder nur<br />
ein kurzer Drück-Ess-Abstand (DEA) notwendig.<br />
● Kein überschießender Blutzuckeranstieg 1 - 2 Stunden nach den Mahlzeiten<br />
(schnellere Wirkung im Vergleich zu Normalinsulin!).<br />
● Deutlich überhöhte Blutzuckerwerte können rascher abgesenkt werden.<br />
87
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
● Die Gabe von Korrekturinsulin ist bereits 2 - 3 Stunden nach dem letzten Bolus<br />
möglich (geringere Bolusüberlappung!)<br />
● Keine wesentlichen Probleme beim Sport später als 3 Stunden nach Bolusgabe.<br />
● Beim Essen im Restaurant Bolusgabe erst dann, wenn das Essen auf dem Tisch<br />
steht (mitunter sogar erst nach dem Essen, wenn man weiß, wie viel gegessen<br />
wurde).<br />
● Bei Essen mit mehreren Gängen (Festmenü!) »Bolussplitting« empfehlenswert,<br />
d.h. ein Bolus wird zu jedem Gang gegeben (individuellere Insulinanpassung).<br />
Je nach Insulinpumpenmodell kann auch ein verzögerter Bolus programmiert<br />
werden (Insulinpumpe D-TRONplus).<br />
● Größere BE-Mengen (z.B. Pizza mit mehr als 6 BE) am späten Abend möglich,<br />
ohne größere Gefahr der nächtlichen Hypoglykämie. Je nach Insulinpumpenmodell<br />
kann auch hier ein verzögerter Bolus programmiert werden<br />
(Insulinpumpe D-TRONplus).<br />
4.4 Nachteile der Therapie mit kurzwirkenden<br />
Insulinanaloga<br />
Die üblichen Nachteile der Behandlung mit einem kurzwirksamen Insulinanalogon bei<br />
einer Spritzentherapie nach dem ICT-Schema (d.h. häufige tägliche Injektionen, meist<br />
3 x tägliche Gabe eines NPH-Basalinsulins), spielen bei einer Insulinpumpenbehandlung<br />
mit Humalog oder NovoRapid keine Rolle.<br />
Dagegen sind andere Punkte als nachteilig zu nennen:<br />
● Raschere Entwicklung einer ketoazidotischen Entgleisung<br />
● Spontanes Ablegen der Insulinpumpe höchstens für 2,5 Stunden empfehlenswert<br />
ohne zusätzliche Insulingabe mit Spritze oder Pen<br />
● Die Fertigampullen von Humalog passen nur in die Insulinpumpe D-TRONplus;<br />
für NovoRapid gibt es keine Fertigampullen für die Insulinpumpenbehandlung.<br />
● In der Schwangerschaft liegen bisher keine ausreichenden Erfahrungen für kurzwirksame<br />
Insulinanaloga vor. Auch für Frauen mit Kinderwunsch empfehlen wir<br />
daher Zurückhaltung beim Einsatz von kurzwirksamen Insulinanaloga in der<br />
Insulinpumpe.<br />
● Verstärkte Unterzuckerungsgefahr bei körperlicher Aktivität unmittelbar nach<br />
Bolusgabe<br />
● Erhöhtes Unterzuckerungsrisiko bei Gastroparese (Magenlähmung)<br />
Das raschere Auftreten einer Ketoazidose bei fehlender subkutaner Insulinabgabe<br />
(z.B. bei Insulinpumpen- oder Katheterdefekt) wird mitunter als so wesentlich<br />
bewertet, dass deshalb von einer Verwendung von Lispro und Aspart als Insulinpumpeninsulin<br />
abgeraten wird. Dieser Meinung können wir uns nicht anschließen. Denn<br />
88<br />
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
jeder Insulinpumpenträger, ob unter Normalinsulin oder kurzwirksamem Insulinanalogon,<br />
muss über die Frühzeichen einer beginnenden Ketoazidose genauestens Bescheid<br />
wissen, um rasch die richtigen Sofortmaßnahmen ergreifen zu können. Unter<br />
Insulinanalogon treten bei einem absoluten Insulinmangel (z.B. Katheterverschluss)<br />
die Erstsymptome einer drohenden Ketoazidose etwa 2 Stunden früher auf, der weitere<br />
Verlauf und die erforderlichen Gegenmaßnahmen sind ähnlich wie bei der Benutzung<br />
von Normalinsulin als Pumpeninsulin.<br />
Das kürzere Intervall für ein Ablegen der Insulinpumpe (z.B. beim Saunabesuch) wird<br />
mitunter als lästig empfunden. Durch eine einmalige zwischenzeitliche subkutane Insulingabe<br />
mit einem Pen kann der Zeitraum für die Insulinpumpenpause ohne weiteres<br />
auf 4 Stunden verlängert werden.<br />
Die 3ml-Penampullen von Lilly passen in die Insulinpumpe D-TRONplus, so dass bei<br />
Verwendung von Humalog ein Umfüllen in für diese Insulinpumpe geeignete Leerampullen<br />
entfällt. Die Verwendung anderer Insuline in der Insulinpumpe D-TRONplus ist<br />
möglich, diese müssen jedoch zuvor in Leerampullen aufgezogen werden. Kleinere<br />
Widerstände durch Reibung des Ampullenstopfens an der Innenwand der Ampulle<br />
führten anfangs bei der Insulinpumpe D-TRON zu einem gehäuften Auftreten eines<br />
E4-Alarms, obwohl keine Katheterverstopfung vorlag. Durch einen Aufsatz auf den<br />
Flansch (Teller an der Gewindestange) konnte das Auftreten »falscher« E4-Alarme bei<br />
der Insulinpumpe D-TRON deutlich reduziert werden. Beim Nachfolgemodell, der Insulinpumpe<br />
D-TRONplus, ist der Aufsatz bereits im Flansch integriert.<br />
Wird Humalog im Insulinpumpenmodell H-TRONplus von Disetronic oder in den Pumpen<br />
von Medtronic Minimed benutzt, müssen vorab entsprechende Leerampullen gefüllt<br />
werden.<br />
Bei Verwendung von NovoRapid in der Insulinpumpe muss stets in eine geeignete<br />
Leerampulle umgefüllt werden, denn die Pen-Fertigampullen von NovoRapid passen<br />
zur Zeit in kein Insulinpumpenmodell.<br />
Spritzampullen-Set für die<br />
Insulinpumpe H-TRONplus<br />
89
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
Bei Anwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon ist aufgrund des Wirkungsprofils<br />
die stärkste Insulinwirkung ca. 1 - 1,5 Stunden nach Bolusgabe zu erwarten, d.h. zu<br />
einem Zeitpunkt, an dem unter Normalinsulin wegen des verzögert einsetzenden Wirkungsbeginns<br />
eine Unterzuckerung eher unwahrscheinlich ist. Somit muss bei kurzwirksamem<br />
Insulinanalogon bereits relativ kurzzeitig nach der Bolusgabe bei körperlicher<br />
Aktivität mit einer Unterzuckerung gerechnet werden. Andererseits ist die Insulinwirkung<br />
3 - 4 Stunden nach Gabe eines größeren Bolus deutlich geringer als unter<br />
Normalinsulin, d.h. das Risiko für eine Unterzuckerung ist mehr als 3 - 4 Stunden nach<br />
vorangegangener Bolusgabe unter einem kurzwirksamen Insulinanalogon geringer<br />
als unter Normalinsulin. Dies ist sicherlich für Sportler von Vorteil.<br />
Über diese Besonderheiten bei körperlicher Aktivität sollte der Insulinpumpenträger,<br />
der kurzwirksames Insulinanalogon benutzt, genauestens informiert sein, um entsprechende<br />
Vorsichtsmaßnahmen wie ausreichende Reduktion der Insulinmenge vor<br />
körperlicher Aktivität oder rechtzeitige Aufnahme von geeigneten Zusatz-BE vornehmen<br />
zu können.<br />
Nach fett- und eiweißreichen Mahlzeiten (z.B. Pizza) sowie nach ballaststoffreichen<br />
Speisen (z.B. Müsli) ist ein verzögerter Blutzuckeranstieg nach dem Essen möglich. Dies<br />
ist bei der Wahl des Drück-Ess-Abstandes (DEA) zu berücksichtigen, ggf. sollte die Insulingabe<br />
erst nach dem Essen erfolgen. Ein solcher »negativer« DEA ist allerdings ungewohnt<br />
und darf nicht vergessen werden!<br />
Zur Behandlung in der Schwangerschaft sind kurzwirksame Insulinanaloga derzeit offiziell<br />
nicht zugelassen. Deshalb sollte Humalog bzw. NovoRapid bei Frauen mit Kinderwunsch<br />
und bei Schwangeren nicht zum Einsatz kommen. Hier müssen Langzeitstudien<br />
abgewartet werden.<br />
4.5 Weitere Hinweise für die Behandlung mit<br />
kurzwirksamem Insulinanalogon<br />
Infolge des rascheren Wirkungsbeginns sollte bei Umstellung von Normalinsulin auf<br />
kurzwirksames Insulinanalogon das Basalratenprofil um eine Stunde vorgestellt werden.<br />
Ansonsten kann die Gesamtmenge an Basalrate und Bolusgabe in etwa dosisgleich<br />
umgesetzt werden. Dies gilt üblicherweise auch für die BE-Faktoren und Korrekturzahlen.<br />
Allerdings zeigten sich bei den von uns behandelten Patienten nach Umstellung<br />
doch gewisse individuelle Unterschiede. Nicht selten war der tägliche Gesamtinsulinbedarf<br />
um ca. 10 % geringer, ganz vereinzelt allerdings auch bis zu 10 % höher<br />
als unter Normalinsulin. Somit muss die notwendige Feinabstimmung für die erforderliche<br />
Insulinmenge im Einzelfall neu festgelegt gelegt werden.<br />
90<br />
4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />
Aufgrund der kürzeren Wirkdauer und wegen des rascheren Auftretens einer beginnenden<br />
ketoazidotischen Entgleisung haben Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit bei<br />
der Blutzuckerselbstkontrolle einen besonders hohen Stellenwert bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
mit kurzwirksamem Insulinanalogon. Mindestens 4 x täglich (morgens,<br />
mittags, abends und vor dem Schlafengehen) ist die Blutzuckerselbstkontrolle unter<br />
Lispro und Aspart ein notwendiges Muss. Im Folgenden sind die wesentlichen Unterschiede<br />
zwischen Normalinsulin und kurzwirksamem Insulinanalogon im Hinblick auf<br />
die Insulinpumpen-Therapie nochmals übersichtsmäßig in Tabellenform zusammengestellt.<br />
Normalinsulin Kurzwirksames<br />
(Insuman Infusat, Insulinanalogon<br />
Actrapid PP ) (Humalog, NovoRapid)<br />
Wirkungseintritt nach 15 - 30 Minuten nach 0 - 10 Minuten<br />
Wirkungshöhepunkt nach ca. 2 Stunden nach ca. 1 - 1,5 Stunden<br />
Wirkungsdauer ca. 4 - 6 Stunden ca. 2 - 4 Stunden<br />
größere Insulinmengen wirken weitgehend unabhängig<br />
länger, kleinere kürzer von der Insulinmenge<br />
Drück-Ess-Abstand bei 10 - 30 Minuten 0 - 10 Minuten<br />
BZ-Werten im Zielbereich<br />
BZ-Korrektur ca. 4 Stunden ca. 2 Stunden<br />
möglich nach<br />
Zwischenmahlzeit kann evtl. zur Hauptmahlzeit muss extra berechnet<br />
mitgespritzt werden und gespritzt werden<br />
Fertigampullen Für die Insulinpumpe H-TRONplus Für die Insulinpumpe<br />
(Insuman Infusat) D-TRONplus (Humalog)<br />
Entwicklung einer verzögert rascher<br />
Ketoazidose<br />
Basalratenvorlaufzeit ca. 2 Stunden ca. 1 Stunde<br />
Risiko bei Langzeit- unbedenklich ungeklärt<br />
behandlung<br />
Anwendung bei ja z.Zt. noch nein<br />
Schwangeren<br />
Abb. 37: Übersicht Normalinsulin / Kurzwirksame Insulinanaloga<br />
91
5. Katheter: Schnittstelle bei der<br />
Insulinpumpen-Therapie<br />
1<br />
2<br />
3<br />
1 Luer-Anschluss<br />
2 Katheterschlauch<br />
3 Kanülenträger<br />
4 Rondelle<br />
5 Kanüle<br />
Abb. 38: Aufbau eines Katheters<br />
92<br />
5<br />
4<br />
Katheter, auch Infusionssets genannt,<br />
verbinden die Insulinpumpe mit dem Insulinpumpenträger.<br />
Auf dem Weg von<br />
der Insulinpumpe ins Unterhautfettgewebe<br />
kann es zu Störungen des Insulintransportes<br />
kommen: Durch Leckagen<br />
ist ein Insulinverlust möglich, und seltener<br />
kann durch Katheterverschluss ein<br />
Insulinaufstau eintreten.<br />
Eine noch so gut und fein steuerbare Insulinpumpe<br />
ist ohne Nutzen, wenn der<br />
Insulinfluss gestört ist! Deshalb ist der<br />
Katheter das schwächste Glied in der Insulinpumpen-Therapie<br />
(Abbildung 38).<br />
5.1 Katheteraufbau<br />
Luer-Lock-Anschluss*<br />
Der Katheter wird mittels eines Luer-<br />
Lock-Anschlusses an der Insulinampulle<br />
befestigt. Bei allen Insulinpumpen von<br />
Disetronic erfolgt der Anschluss durch<br />
ein Gewinde, bei den Medtronic Minimed-Insulinpumpen<br />
wird der auf die<br />
Spritze aufgesetzte Anschluss mit einem<br />
Bügel fixiert. Früher eingesetzte Luer-<br />
Lock-Anschlüsse aus Hartkunststoff neigten<br />
zur Bildung von Haarrissen, wenn sie<br />
zu fest in das Innengewinde gedreht<br />
wurden. Es kam zu unbemerktem Insu-<br />
* Der universelle Luer-Lock-Anschluss ist bei<br />
den Kathetern für die Insulinpumpe Paradigm<br />
von Medtronic Minimed nicht vorhanden.<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
linverlust und Ketoazidosen. Zu weiches Material führte zu Lockerungen. <strong>Mit</strong>tlerweile<br />
wurden die Materialeigenschaften wesentlich verbessert.<br />
Katheterschlauch<br />
In den ersten Jahren der CSII kamen Nylon-Katheter oder Venülen zum Einsatz, die<br />
sonst zur venösen Infusion/ Blutabnahme bei Säuglingen dienten. Die Katheterschläuche<br />
bestanden fast ausschließlich aus PVC-Material, wobei des öfteren Katheterverstopfungen<br />
und -infektionen an der Kathetereinstichstelle beobachtet wurden. Untersuchungen<br />
zeigten, dass »Weichmacher« im PVC-Kunststoff zur Insulinausfällung<br />
und damit zur Katheterverstopfung führten. Eine Inaktivierung der Insulinkonservierungsstoffe<br />
hatte Infektionen an der Einstichstelle zur Folge. Zwischenzeitlich wurden<br />
neue Materialien entwickelt. An die Stelle des PVC traten Polyethylen, Polyolefin und<br />
Polyuretan, die mit Insulin besser verträglich sind. Die Katheterschläuche werden meist<br />
in den Längen 30, 60, 80 und 110 cm angeboten. Das Innenvolumen der Schläuche hat<br />
abgenommen. Ein 80 cm langer Schlauch beinhaltet nunmehr nur noch ca. 8 Einheiten<br />
U100-Insulin.<br />
Die Durchflussgeschwindigkeit durch den Katheter wurde so erhöht und die Kontaktzeit<br />
des Insulins mit dem Schlauchmaterial verkürzt. Bei einem Katheterwechsel geht<br />
zudem so weniger Insulin verloren.<br />
Kanülenträger<br />
Er stellt die Verbindung zwischen Schlauch und Nadel her. Auch hier wurden mittlerweile<br />
die Materialeigenschaften wesentlich verbessert. Auf Klebstoffe kann inzwi-<br />
93
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
schen weitgehend verzichtet werden. Durch Verschweißung der einzelnen Katheterteile<br />
wurde das Auftreten von Allergien deutlich vermindert. Diskonnektionen mit Undichtigkeit<br />
kommen an diesen Stellen praktisch nicht mehr vor.<br />
Rondelle, Flügel<br />
Dieses Katheterteil dient zur Fixierung des Katheters auf der Haut. Es gibt Rondellen<br />
aus selbstk<strong>leben</strong>dem Vlies mit senkrechter Metallnadel, bzw. senkrecht oder schräg<br />
einzustechender Teflonkanüle. Katheter mit Kunststoffflügeln sind weitgehend vom<br />
Markt verschwunden, sie werden durch Flügel aus Vlies (z.B. Katheter Disetronic Classic)<br />
ersetzt. Kunststoff findet sich heute noch beim Sof-Set (Medtronic Minimed).<br />
Katheterkanülen<br />
Insulinpumpenträger können prinzipiell zwischen Metall- oder Teflonkanülen wählen.<br />
Die angebotenen Stahlkanülen haben einen sehr feinen Durchmesser (0,36 mm beim<br />
den Kathetern Disetronic Rapid und Rapid D) und sind je nach Hautdicke in verschiedenen<br />
Längen lieferbar (12 mm, 10 mm, 8 mm sowie 6 mm). Für Patienten mit einer<br />
Nickelallergie oder sehr dünnem Unterhautfettgewebe gibt es Kanülen aus Teflonmaterial,<br />
die allerdings einen größeren Durchmesser aufweisen (0,5 mm) und somit zu einer<br />
Narbenbildung in der Haut führen können.<br />
Abkoppelbare Katheter<br />
Wenn die Insulinpumpe kurzzeitig abgelegt werden soll, ohne dass anschließend ein<br />
neuer Katheter gelegt werden muss (z.B. beim Sport), ist das mit abkoppelbaren<br />
Kathetern möglich. Dabei verbleibt die Kanüle in der Haut, die Insulinpumpe kann<br />
mit dem Verbindungsschlauch abgelegt werden. Je nach Art des verwendeten Insulins<br />
(Normal- oder kurzwirksames Insulinanalogon) muss die Insulinpumpenpause evtl.<br />
durch Bolusgaben mit einem Pen überbrückt werden (siehe Abschnitt 7.3). Als Vorteil<br />
der abkoppelbaren Katheter ist neben der größeren Flexibilität ebenfalls die Einsparung<br />
von Insulin zu sehen, da das Füllen des Verbindungsschlauchs beim Wechsel<br />
der Kanüle entfällt – vorausgesetzt ein getrennter Bezug von Kanülenteil und Verbindungsschlauch<br />
ist möglich. Dies trifft beispielsweise für den Katheter Disetronic<br />
Rapid D zu, gilt jedoch nicht für die abkoppelbaren Katheter von Medtronic Minimed.<br />
Als abkoppelbare Katheter stehen derzeit der Disetronic Tender, der Disetronic<br />
Rapid D, von Medtronic Minimed das Sof-Set QR, der Quick-Set, der Polyfin QR und<br />
der Easy-Set zur Verfügung.<br />
Disetronic Rapid, Disetronic Tender und Disetronic Classic sind Marken<br />
eines Unternehmens der Roche-Gruppe<br />
94<br />
5.2 Katheterangebot (Stand: Herbst 2002)<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Auf dem Markt sind eine Fülle von verschiedenen Kathetern, so dass die geeignete<br />
Auswahl nicht immer leicht fällt. Es gibt nicht den idealen Katheter schlechthin, sondern<br />
jeder Insulinpumpenträger sollte sich für denjenigen entscheiden, der seinen eigenen<br />
Bedürfnissen am ehesten entspricht. Wesentliche Kriterien dabei sind:<br />
● Verträglichkeit<br />
● Abkoppelbarkeit<br />
● Preis<br />
● Nadel- und Schlauchlänge<br />
Von entscheidender Bedeutung ist die individuelle Verträglichkeit, d.h. keine unerwünschten<br />
Hauterscheinungen, keine allergischen Reaktionen, keine gehäuften Entzündungen,<br />
keine subjektiv störende Beeinträchtigung wie Stechen, Kratzen oder<br />
Pieksen. Üblicherweise ist primär ein Katheter mit Stahlkanüle zu verwenden. Gründe<br />
dafür sind: relativ geringer Nadeldurchmesser, dadurch weniger Schmerzen beim Einstechen,<br />
keine Gefahr des Abknickens, vergleichsweise niedriger Preis, einfache Handhabung.<br />
Nur wenn ein Katheter mit einer Metallnadel nicht vertragen wird oder unangenehme<br />
Trageeigenschaften besitzt, sollte ein Teflonkatheter benutzt werden.<br />
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Abkoppelbarkeit. Wer die Insulinpumpe häufiger<br />
ablegen möchte, z.B. beim Duschen, <strong>Bad</strong>en, Sex, Schwimmen oder bei sportlicher Aktivität,<br />
sollte sich für ein Kathetermodell mit der Möglichkeit des Abkoppelns entscheiden.<br />
Diese Katheter sind in der Herstellung etwas aufwändiger und deshalb teurer.<br />
Ein komplett getrennter Bezug von Kanülenteil und Verbindungsschlauch ist nur<br />
beim Katheter Disetronic Rapid D möglich. Der Austausch des Transfer Sets ist lediglich<br />
beim Ampullenwechsel notwendig. Dies spart Insulin, Abfall, Zeit und Kosten.<br />
Beim Katheter Disetronic Tender sind in einer Packungseinheit jeweils 20 Kanülen und<br />
10 Schläuche vorhanden. Dagegen sind bei den abkoppelbaren Kathetern der Firma<br />
Medtronic Minimed stets Nadel- und Schlauchteil gemeinsam verpackt, wodurch der<br />
Aufwand an Material, Geld und Zeit größer ist. Allerdings beinhaltet die Möglichkeit<br />
des Abkoppelns auch die Gefahr einer Diskonnektion.<br />
Die Kosten für Kathetermaterial sind bei einer Insulinpumpenbehandlung beträchtlich.<br />
Von jedem Insulinpumpenträger sollte der Gesichtspunkt Wirtschaftlichkeit bedacht<br />
werden und bei der Katheterauswahl Berücksichtigung finden. Eine falsche<br />
Sparsamkeit mit zu seltenem Katheterwechsel und gleichzeitig erhöhtem Risiko für<br />
Hautinfektionen mit evtl. Abszessbildung und der Gefahr der BZ-Entgleisung bei seltenem<br />
Wechsel ist freilich nicht angezeigt.<br />
Ein nachgeordnetes Entscheidungskriterium sind Nadel- und Schlauchlänge. Für die<br />
Katheter mit senkrechter Einstichrichtung sind unterschiedliche Kanülenlängen erhältlich.<br />
Eine Nadellänge von 6 mm ist Kindern und sehr schlanken Personen vorbe-<br />
95
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
halten, denn die Gefahr des Herausrutschens der Kanüle und des Insulinrückflusses<br />
bei größerem Bolus ist größer. Auf eine sichere Fixierung ist zu achten. In den meisten<br />
Fällen wird eine Nadellänge von 8 - 10 mm gewählt, dabei sind Hautdicke und Tragekomfort<br />
zu beachten. Kanülen mit einer Länge von 12 mm sind in der Regel nur für<br />
übergewichtige Menschen empfehlenswert. Bei denjenigen Kathetern, die schräg eingestochen<br />
werden, ist die Nadellänge natürlicherweise größer, die wünschenswerte<br />
Einstichtiefe ist durch den Einstichwinkel veränderbar. Ein größerer Wechsel der Einstichtiefe<br />
ist zu vermeiden, da die Geschwindigkeit der Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe<br />
auch davon abhängt. Die Kanülen sollten allerdings mit ihrer gesamten<br />
Länge in die Haut geschoben werden, um das Risiko für ein Herausrutschen zu<br />
verringern. Die Wahl der Schlauchlänge richtet sich nach den persönlichen Vorlieben.<br />
5.2.1 Katheter mit Metallkanüle<br />
Disetronic Rapid: Katheter mit senkrechter Stahlkanüle, selbsthaftender Rondelle aus<br />
Baumwolle, Rondellenhalter einfach abnehmbar (Luer-Anschluss). Kanülendurchmesser<br />
0,36 mm, Kanülenlängen 6, 8, 10 und 12 mm, Schlauchlängen 60, 80 und 110 cm.<br />
Wegen der einfachen Handhabung, der feinen Kanüle, des hohen Tragekomforts und<br />
des relativ günstigen Preises ist er ein sehr bewährtes und häufig benutztes Modell,<br />
wenn auf die Abkoppelbarkeit kein Wert gelegt wird.<br />
Hinweis: Bei vermehrtem Schwitzen und bei Sport ist eine zusätzliche Fixierung mit<br />
einem durchsichtigen Folienpflaster empfehlenswert.<br />
Disetronic Rapid D: Dieser Katheter besitzt hinsichtlich des Kanülenteils die gleichen<br />
Eigenschaften wie der Katheter Disetronic Rapid, also senkrechte Stahlkanüle (Durchmesser:<br />
0,36 mm, Kanülenlängen 6, 8, 10 und 12 mm), selbstk<strong>leben</strong>de Rondelle mit abnehmbarer<br />
Halterung. Die Schlauchlänge ist 10 cm und besitzt ein Kupplungsstück.<br />
Hier kann der Verbindungsschlauch (»Transfer Set Rapid D« genannt) angekoppelt<br />
96<br />
Katheter Disetronic Rapid<br />
mit abnehmbarem Rondellenhalter<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
werden; er ist in den Längen 20, 50, 70 und 100 cm erhältlich. Die Kupplung erfolgt<br />
mit einer kleinen Nadel, die eine elastische Membran durchsticht; beim An- und Abkoppeln<br />
erfolgt daher kein Insulinschub. Zum Schutz vor Verschmutzung werden die<br />
Kupplungsteile nach dem Abkoppeln mit wasserdichten Schutzkappen (»Protective<br />
Cap«) verschlossen. Falls eine Stahlkanüle gut vertragen wird und der Komfort der Abkoppelbarkeit<br />
wichtig ist, stellt dieser Katheter ein sehr empfehlenswertes und auch<br />
relativ kostengünstiges Modell dar.<br />
Hinweis: Kanüle und Katheter können getrennt bezogen werden. Der Austausch<br />
des Verbindungsschlauches sollte aber spätestens beim Ampullenwechsel erfolgen.<br />
Der Einstich der Kanüle ist durch den sehr geringen Durchmesser der Nadel deutlich<br />
schmerzärmer als bei den Teflonkathetern und führt zu einer deutlich geringeren<br />
Narbenbildung.<br />
Disetronic Classic: Der von der Konzeption her älteste Katheter. Die Stahlkanüle ist vorgebogen,<br />
sie wird schräg in die Haut eingestochen. Kanülendurchmesser 0,40 mm,<br />
Katheter Disetronic Classic<br />
mit Flügel<br />
Katheter Disetronic Rapid D –<br />
abkoppelbar mit Metallkanüle<br />
97
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Kanülenlänge 13 mm, Schlauchlängen 30, 60, 80 und 110 cm. Er hat Stoffflügel aus<br />
hautverträglicher Baumwolle und ist derzeit der kostengünstigste Katheter.<br />
Hinweis: Es sollte eine Entlastungsschlaufe gebildet werden.<br />
Polyfin und Polyfin QR (Medtronic Minimed): Katheter mit gebogener Stahlkanüle,<br />
mit und ohne Stofflügel erhältlich. Kanülendurchmesser 0,4 mm, Kanülenlänge<br />
18,2 mm, Schlauchlängen 61 und 107 cm. Das Modell Polyfin QR (Quick Release) besitzt<br />
eine Diskonnektiereinheit und ist von den abkoppelbaren Kathetern der preisgünstigste.<br />
Hinweis: Eine Entlastungsschlaufe ist ratsam.<br />
Easy-set (Medtronic Minimed): Katheter mit senkrechter Stahlkanüle, Kleberondelle<br />
und Entkoppelungseinheit inklusive Kopplungsschutz. Nadelteil und Kupplungsteil<br />
sind wie beim Katheter Disetronic Rapid D mit einem kurzen Schlauchstück verbunden,<br />
allerdings besitzt auch das Kupplungsstück eine Kleberondelle. Es entspricht von<br />
der Bauart her dem des Katheters Disetronic Tender. Nadeldurchmesser 0,4 mm, Nadellängen<br />
6, 8 und 10 mm, Schlauchlänge insgesamt 80 cm. Der getrennte Bezug von<br />
Nadelteil und Schlauchteil ist nicht möglich. Wesentliche Vorteile gegenüber dem vergleichbaren<br />
Katheter Disetronic Rapid D bestehen nicht, der Preis ist jedoch deutlich<br />
höher.<br />
98<br />
Das Easy-set von<br />
Medtronic Minimed<br />
5.2.2 Teflonkatheter<br />
Anstelle einer Stahlkanüle wird bei diesen Kathetern ein Teflonschlauch mit Hilfe einer<br />
Führungsnadel (Mandrin) ins Unterhautfettgewebe eingebracht. Der Stahlmandrin<br />
wird nach dem Einstechen entfernt, der flexible Teflonschlauch verbleibt in der<br />
Haut. Das erneute Einführen des Mandrins in den liegenden Teflonschlauch muss auf<br />
jeden Fall unterbleiben, da ansonsten Teflonteile »abgeschilfert« werden könnten.<br />
Vorteile des Teflonkatheters:<br />
● kein »Kratzen« auf der Muskelfaszie (z.B. beim Sport)<br />
● keine Schmerzen bei dünnem Unterhautfettgewebe<br />
● angenehmerer Tragekomfort<br />
● Ausweg bei Nickelallergie<br />
Nachteile des Teflonkatheters<br />
● größerer Kanülendurchmesser<br />
● der Einstich ist meist schmerzhafter<br />
● Gefahr des »Aufbördelns« des Teflonschlauches beim Einstechen<br />
● höherer Preis<br />
● kein Umsetzen der Nadel möglich<br />
● Gefahr des Abknickens, insbesondere bei schräger Einstichrichtung<br />
● oft bleiben weiße Einstichnarben zurück<br />
Hinweise zum Einstechen des Teflonschlauches<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Um während des Durchstechens der obersten Hautschicht ein Aufbördeln des Teflonschlauches<br />
über dem Mandrin zu vermeiden, kann man den Katheter zuvor eine Stunde<br />
in das Eisfach des Kühlschrankes legen. Der Teflonschlauch wird dadurch härter.<br />
Die Firma Medtronic Minimed bietet für ihre Kathetermodelle Sof-Set bzw. Quick-Set<br />
spezielle Einführhilfen, nämlich den Sof-Serter bzw. den Quick-Serter als Zubehör an.<br />
Damit lassen sich die Teflonkanülen sicherer und schmerzärmer applizieren, die Gefahr<br />
eines »Aufbördelns« ist kaum gegeben. Allerdings ist die Handhabung etwas umständlich,<br />
und die Einstechhilfen sind sperrig und teuer.<br />
99
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
100<br />
Der abkoppelbare Katheter<br />
Disetronic Tender mit Teflonkanüle<br />
Katheter Disetronic Tender: Katheter mit 17 mm langer Kunststoffkanüle aus Teflon, die<br />
schräg in die Haut gestochen wird. Einstichwinkel und damit Einstichtiefe sind individuell<br />
veränderbar. Die Teflonkanüle (0,50 mm) mit Führungsnadel hat im Vergleich zu<br />
anderen Kunststoffkanülen einen geringeren Durchmesser, ein spezielles »Schussgerät«<br />
zum Einstechen ist nicht erforderlich. Die Fixierung erfolgt über eine selbstk<strong>leben</strong>de<br />
Rondelle mit kleinem Sichtfenster an der Einstichstelle. Vier verschiedene<br />
Schlauchlängen mit 30, 60, 80 und 110 cm stehen zur Verfügung. Der Verbindungsschlauch<br />
zur Insulinampulle kann direkt am Kanülenteil abgekoppelt werden, ein Verbindungsstück<br />
wie beim Katheter Disetronic Rapid D oder beim Easy-set ist nicht erforderlich.<br />
Spezielle Adapter dienen zum sicheren Verschluss während des Abkoppelns.<br />
Der Übergang Schlauch/Teflonnadel wird durch eine kleine Nadel mit Membran<br />
hergestellt, so dass beim Ankoppeln kein Insulinschub erfolgt. Eine Packungseinheit<br />
enthält 20 Kanülen und 10 Schläuche, ein Schlauchwechsel erfolgt somit nicht bei jedem<br />
Kanülenwechsel. Dies spart Insulin, Zeit und Geld, auch ist der Abfall geringer.<br />
Das abkoppelbare Soft-set<br />
von Medtronic Minimed<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Sof-Set (Medtronic Minimed): Katheter mit senkrechter Teflonkanüle, Kanülendurchmesser<br />
0,55 mm, Schlauchlänge: 61 cm und 107 cm. Kanülenlänge 9 mm. Kein Abkopplungsmechanismus.<br />
Einführhilfe »Sof-serter« erhältlich. Preisgünstigster Katheter<br />
mit Kunststoffkanüle.<br />
Sof-Set Micro QR / Sof-Set Ultimate QR (Medtronic Minimed): Wie beim Sof-Set senkrechte<br />
Teflonkanüle, gleicher Durchmesser von 0,55 mm, gleiche Schlauchlängen,<br />
Kanülenlänge beim Sof-Set Micro QR 6 mm und beim Sof-Set Ultimate QR 9 mm.<br />
Quick Release Mechanismus zum Abkoppeln. Kanülen- und Schlauchteil sind nur gemeinsam<br />
erhältlich. Als Zubehör gibt es den »Sof-serter« zum leichteren Einstechen.<br />
Hinweis: Bei Kathetern der Sof-Set Reihe wurde vermehrt über ein Herausrutschen<br />
der Kunststoffkanüle aus der Haut berichtet, insbesondere beim Sof-Set Micro QR.<br />
Die Fixierung über eine kleine Klebefläche am Flügel und das mitgelieferte Pflaster<br />
ist manchmal nicht ausreichend.<br />
Quick-Set (Medtronic Minimed): Abkoppelbarer Katheter mit senkrechter Teflonkanüle<br />
und Kleberondelle. Der Abkopplungsmechanismus befindet sich direkt am<br />
Kanülenteil. Kanülendurchmesser 0,50 mm, Nadellänge 6 und 9 mm, Schlauchlänge<br />
58 und 109 cm. Zur Applikationserleichterung steht der »Quick-serter« zur Verfügung.<br />
Ein getrennter Bezug von Kanülenteil und Schlauchteil ist nicht möglich. Gegenüber<br />
den anderen Kathetern mit Kunststoffkanüle bestehen keine offensichtlichen Vorteile,<br />
die den deutlich höheren Preis rechtfertigen.<br />
101
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
5.2.3 Gegenüberstellung der wichtigsten Katheterarten<br />
A: Katheter mit Metallkanüle<br />
Disetronic Polyfin/ Disetronic Disetronic Easy-set<br />
Classic Polyfin QR Rapid Rapid D (Medtronic<br />
mit Flügel (Medtronic Minimed)<br />
Minimed)<br />
Einstichrichtung schräg schräg senkrecht senkrecht senkrecht<br />
abkoppelbar nein nein / QR: ja nein ja ja<br />
Kanülendurch- 0,40 0,40 0,36 0,36 0,40<br />
messer in mm<br />
Kanülenlänge 16 18,2 6; 8; 6; 8; 8; 10;<br />
in mm 10; 12 10; 12 12<br />
Schlauchlänge 30; 60; 61; 107 60; 80; Nadelteil: 10 80<br />
in cm 80; 110 110 TransferSet:<br />
20; 50; 70; 100<br />
Anschluss- Luer Luer und Luer Luer Luer und<br />
möglichkeit ausschließlich ausschließlich<br />
für Paradigm für Paradigm<br />
Abb. 39<br />
102<br />
B: Katheter mit Teflonnadel<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Disetronic Sof-Set Sof-Set Sof-Set Quick-Set<br />
Tender (Medtronic micro QR ultimate QR (Medtronic<br />
Minimed) (Medtronic (Medtronic Minimed)<br />
Minimed) Minimed)<br />
Einstichrichtung schräg senkrecht senkrecht senkrecht senkrecht<br />
abkoppelbar ja nein ja ja ja<br />
Kanülendurch- 0,50 0,55 0,55 0,55 0,50<br />
messer in mm<br />
Kanülenlänge 17 9 6 9 6; 9<br />
in mm<br />
Schlauchlänge 30; 60; 61; 107 61; 107 61; 107 60; 110<br />
in cm 80; 110<br />
Anschluss- Luer Luer Luer und Luer und Luer und<br />
möglichkeit ausschließlich ausschließlich ausschließlich<br />
für Paradigm für Paradigm für Paradigm<br />
Abb. 40<br />
103
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
104<br />
5.3 Katheterwechsel<br />
Körperregionen<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Die Bauchhaut ist sicherlich zurecht beim Insulinpumpenträger die beliebteste Kathetereinstichstelle.<br />
Hier wird das Insulin am schnellsten und gleichmäßigsten aufgenommen,<br />
die Durchblutung der Bauchhaut ist konstanter als bei Körperregionen wie Oberschenkel<br />
und Oberarm, die aktiv bewegt werden. Das relativ dicke Unterhautfettgewebe<br />
am Bauch schützt zudem die obere Muskelschicht vor Verletzungen. Als<br />
Kathetereinstichstellen sollten Bezirke gewählt werden, die »ruhig liegen« (keine<br />
Hautfalten, kein Druck durch Gürtel, Hosenträger oder Gummizug). Der Bereich unmittelbar<br />
um den Nabel ist zu meiden, ebenso narbig veränderte Hautregionen oder<br />
Fettgewebsansammlungen. Wie beim herkömmlichen Insulinspritzen sollte die Einstichstelle<br />
regelmäßig gewechselt werden (rechte / linke Bauchseite sowie oberhalb /<br />
unterhalb des Gürtels). Gerade im Rahmen der Insulinpumpen-Therapie kann die Verwendung<br />
von »Lieblingsstellen« zu massiven Fettgewebsansammlungen (Lipohypertrophien)<br />
führen.<br />
Vereinzelt (z.B. in der Schwangerschaft) kann alternativ die seitliche Gesäßregion als<br />
Einstichstelle benutzt werden. Dabei ist auf eine evtl. langsamere Insulinwirkung zu<br />
achten.<br />
Lipohypertrophien nach 17-jähriger<br />
Insulinpumpen-Therapie<br />
105
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Vorbereitung und Durchführung des Katheterwechsels<br />
Generell sollte hier möglichst sauber gearbeitet werden, um Infektionen zu vermeiden.<br />
Nach dem Händewaschen werden die nötigen Materialien bereit gelegt: Hautspray,<br />
Katheter, Pflaster, evtl. neue Ampulle. Wir plädieren für die Einmalverwendung<br />
der Materialien. Katheter sollten nur einmal benutzt werden. Eine gebrauchte Katheternadel<br />
kann bei mehrfacher Verwendung Keime ins Unterhautfettgewebe bringen<br />
und hier zu Entzündung und Eiteransammlung (Abszess) führen.<br />
Bei sauberem Vorgehen ist es vertretbar und empfehlenswert, dass der Schlauchanteil<br />
bei abkoppelbaren Kathetern mehrmals benutzt wird. Ein Austausch sollte dann<br />
zweckmäßigerweise zusammen mit einem Patronenwechsel vorgenommen werden.<br />
Dies ist aus Kostengründen beim Katheter Rapid D angezeigt, da hier Kanülenstück<br />
und Schlauchanteil getrennt geliefert werden. Beim Quick-Set, Sof-Set und Easy-Set ist<br />
dies bisher leider nicht möglich, da nur Packungen mit Schlauch und Nadelteil geliefert<br />
werden.<br />
Bei Glas- und Kunststoffampullen sind ebenfalls nur für den Einmalgebrauch gedacht.<br />
Nach mehrmaligem Gebrauch kann die Innenbeschichtung der Ampullen abgenutzt<br />
und die Gleitfähigkeit des Gummistopfens herabgesetzt sein. Zudem kann durch unvollständige<br />
Entleerung der Ampulle das Insulin geleeartig verändert und in seiner<br />
Wirkung eingeschränkt werden.<br />
Vor dem Katheterlegen muss die Haut mit einem Spray gewissenhaft desinfiziert werden,<br />
um Hautinfektionen zu vermeiden. Die empfohlene Einwirkzeit des Desinfektionsmittels<br />
(ca. 2 Minuten) ist dabei zu beachten. Besonders zu Hautinfektionen neigende<br />
Patienten profitieren von folgendem Vorgehen: Nach der Desinfektion wird<br />
zunächst ein kleines durchsichtiges Pflaster auf die Haut geklebt (z.B. Tegaderm) und<br />
dann hindurchpunktiert. Dadurch werden weniger Hautkeime in den Stichkanal ein-<br />
106<br />
Fixierung der Schlaufe mit Folie<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
gebracht. Alternativ hat sich in diesen Fällen auch die Verwendung von bakterizider<br />
Salbe (z.B. Braunovidon) bewährt, die nach dem Einstich vorsichtig am Übergang<br />
Nadel-Kanülenträger platziert wird.<br />
Vor der Punktion wird, wie bei der Injektion mit Spritze/Pen, eine Hautfalte gebildet.<br />
Bei Kathetern mit senkrechter Kanüle erfolgt der Einstich senkrecht in die Hautfalte.<br />
Bei den übrigen Kathetern mit schräger Nadel wird im gewünschten Winkel eingestochen.<br />
Von einigen Insulinpumpenzentren wird empfohlen, während des Punktionsvorganges<br />
einen Bolus von 0,5 I.E. abzugeben. Damit wird insbesondere gewährleistet,<br />
dass die Insulinpumpe nicht versehentlich im Stop-Zustand verbleibt und<br />
Hautpartikel nicht die feinen Kanülen verstopfen. Bei Teflonkathetern mit Mandrin<br />
(Tender, Quick-Set, Sof-Set,) ist es notwendig, nach dem Entfernen des Mandrins<br />
(Führungsnadel) 0,5 - 1 I.E. als Extrabolus zu geben, um den Teflonteil zu füllen.<br />
Zur Sicherung des Katheters empfehlen wir, eine Entlastungsschlaufe anzulegen, damit<br />
bei einem plötzlichen Zug der Katheter nicht herausrutscht. In der folgenden<br />
Checkliste ist die Durchführung des Katheterwechsels genau beschrieben (Abb. 41).<br />
Fixierung mit einem Pflaster<br />
107
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Checkliste bei Katheterwechsel<br />
(beispielhaft für Insulinpumpe H-TRONplus)<br />
108<br />
1. Reinigen der Hände ...................................................................... �<br />
2. Bereitlegen der Materialien<br />
(Katheter, Pflaster, Desinfektionsmittel) .......................................... �<br />
3. Gebrauchten Katheter entfernen ................................................... �<br />
4. Insulinpumpe in Stop-Zustand bringen ........................................... �<br />
5. Desinfektion der Haut an der geplanten Einstichstelle<br />
(ca. 2 Minuten Wirkzeit) ................................................................ �<br />
6. Neuen Katheter vorbereiten .......................................................... �<br />
7. Gegebenenfalls neue Ampulle einsetzen und<br />
Insulinpumpe initialisieren ............................................................ �<br />
8. Katheter an der Insulinpumpe festschrauben .................................. �<br />
9. Katheter füllen (Insulinpumpe dabei aufstellen<br />
wegen möglicher Luftbläschen) ..................................................... �<br />
10. Insulinpumpe in Run-Zustand bringen ............................................ �<br />
11. evtl. Bolus von 0,5 Einheiten setzen ............................................... �<br />
12. Katheter einstechen ..................................................................... �<br />
13. Katheter fixieren (Sicherheitsschlaufe) ........................................... �<br />
14. Kontrolle: Insulinpumpe im Grundzustand Run? .............................. �<br />
Abb. 41: Checkliste beim Katheterwechsel für Insulinpumpen von Disetronic<br />
Häufigkeit des Katheterwechsels<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Die üblicherweise empfohlene Katheterliegedauer beträgt ca. 2 Tage. Bei seltenerem<br />
Wechsel erhöht sich die Infektionsgefahr an der Einstichstelle. Nicht selten kommt es<br />
bei längerer Katheterliegedauer zu einer Verschlechterung der Insulinaufnahme mit<br />
Wirkungsabschwächung. Als Folge ist das Risiko einer ketoazidotischen Entgleisung<br />
erhöht.<br />
Blutzucker<br />
Katheterwechsel<br />
Montag Dienstag <strong>Mit</strong>twoch Donnerstag Freitag<br />
Abb. 42: Periodik der Blutzuckerentgleisung bei seltenem Katheterwechsel<br />
(Schematische Darstellung)<br />
Da der Preis für einen Katheter zwischen 5 und 12 € beträgt, wollen kostenbewusste<br />
Insulinpumpenträger auch aus diesen Gründen den Katheterwechsel seltener durchführen.<br />
Dies ist sicher am falschen Ort gespart! Ein täglicher Katheterwechsel ist allerdings<br />
im Regelfall selten notwendig.<br />
Tipp: Unsachgemäßes Ankoppeln des Katheters Rapid D<br />
Falls beim Katheter Disetronic Rapid D die beiden Kupplungsenden nicht passgerecht miteinander<br />
verbunden werden, sondern sie sehr schräg zusammengesteckt werden und dabei<br />
gleichzeitig etwas Druck ausgeübt wird, kann die im Kupplungsteil des Verbindungssets eingeschweißte<br />
Nadel abgebogen werden. Diese kann dann nicht mehr die Sicherheitsmembran<br />
im Kupplungsstück des 10 cm langen Kanülenschlauches durchstoßen. Als Folge tritt Insulin an<br />
der Kopplungsstelle aus (Geruch! Feuchtigkeit!).Wird dieser Defekt vom Insulinpumpenträger<br />
nicht rasch bemerkt und behoben, kommt es zu einem absoluten Insulinmangel mit ketoazidotischer<br />
Entgleisung.<br />
109
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Tipp: Luft in der Ampulle bzw. im Schlauch<br />
Aufgrund von Temperaturschwankungen können sich in der Insulinampulle Luftansammlungen<br />
bilden. Falls diese durch den Katheterschlauch in das Unterhautfettgewebe gelangen,<br />
besteht in keinem Fall eine direkte, größere Gefahr – die Angst vor einer Luftembolie ist völlig<br />
unbegründet und entbehrt jeglichem Realitätssinn. Stattdessen besteht das Problem der unerwünschten<br />
Luftblasen in der fehlenden Insulinwirkung, denn »Luft senkt nicht den Blutzucker«.<br />
Das folgende »Anti-Luft-Programm« will dazu beitragen, dass bedeutsame Luftmengen<br />
in der Ampulle nicht entstehen, bzw. es will verhindern, dass Luft in den Katheter gelangt.<br />
● Insulinfläschchen bzw. Fertigampullen sind rechtzeitig vor dem Umfüllen bzw.<br />
Einsetzen in die Insulinpumpe aus dem Kühlschrank zu nehmen.<br />
● Das Insulin in der Patrone sollte beim Ampullenwechsel auf Zimmertemperatur angewärmt<br />
sein.<br />
● Die Insulinampulle ist vor dem erstmaligen Einsetzen und bei jedem Katheterwechsel auf<br />
eventuelle Luftansammlungen zu überprüfen.<br />
● Die Insulinpumpe während des Katheterfüllprogramms senkrecht stellen mit der Katheteranschlussstelle<br />
nach oben.<br />
● Schlauchsystem auf eventuelle Luftblasen überprüfen.<br />
● Patronen- bzw. Kanülenwechsel möglichst nicht vor dem Schlafengehen durchführen.<br />
● Es wird empfohlen, die Insulinpumpe am Körper nicht senkrecht mit der Katheteranschlussstelle<br />
nach oben zu tragen.<br />
Sollte trotzdem eine kurze Luftstrecke im Katheterschlauch bemerkt werden, besteht überhaupt<br />
kein Grund zur Panik. Luftansammlungen bis 2 cm Länge sind völlig harmlos. Man<br />
beachte: Die Menge von 1 I.E. Insulin entspricht bei einer U100-Konzentration einer Schlauchlänge<br />
von etwa 10 cm.<br />
110<br />
Tipp: Fehler beim Katheterwechsel<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Unwissenheit, aber auch mangelnde Sorgfalt bedingen immer wieder ein fehlerhaftes Vorgehen<br />
beim Katheterwechsel. Dadurch kann die korrekte Insulinabgabe unterbrochen werden<br />
und es besteht die Möglichkeit einer ketoazidotischen Entgleisung.Als Gefahrenpunkte sind zu<br />
nennen:<br />
● Die Insulinpumpe bleibt versehentlich im Stop-Zustand.<br />
● Es wird vergessen, das Katheterfüllprogramm zu aktivieren.<br />
● Der Luer-Lock-Anschluss wird nicht ausreichend festgeschraubt, so dass an dieser Stelle<br />
Insulin entweichen kann.<br />
● Der Luer-Lock-Anschluss wird zu stark festgedreht, so dass ein kleiner Haarriss entsteht,<br />
durch den Insulin austritt.<br />
● Beim abkoppelbaren Katheter werden die beiden Koppelungsteile nicht korrekt miteinander<br />
verbunden, z.B. Abknicken der Nadel beim Katheter Rapid D.<br />
Als zweckmäßige Vorsichtsmaßnahmen bzw. zum raschen Erkennen eines Fehlers dienen folgende<br />
einfache Empfehlungen:<br />
● Vor dem Einstechen der Kanüle in das Unterhautfettgewebe sollte die Insulinpumpe in den<br />
Run-Zustand versetzt werden, es ist ein Bolus von 0,5 - 1 I.E. Insulin abzugeben und es wird<br />
bewusst beobachtet, wie ein kleiner Insulintropfen an der Nadelspitze erscheint. Erst dann<br />
wird die Nadel eingestochen.<br />
● Kommt es 5 - 10 Stunden nach einer Veränderung am Kathetersystem (vorübergehendes<br />
Abkoppeln, Kanülenwechsel, Austausch von Schlauch bzw. Insulinampulle) zu einem vordergründig<br />
unerklärlichen Blutzuckeranstieg bzw. werden Frühzeichen einer ketoazidotischen<br />
Entgleisung wahrgenommen, muss als Ursache auch eine Unterbrechung der Insulinzufuhr<br />
in Erwägung gezogen werden. Das komplette Ampullen-/Katheter-/Kanülensystem<br />
ist zu überprüfen und großzügig zu wechseln.<br />
● Es ist auf den typischen Insulingeruch zu achten. Wird dieser wahrgenommen, gelangt<br />
irgendwo auf dem Weg von der Ampulle zur Nadel Insulin nach außen. Die Leckstelle muss<br />
umgehend ausfindig gemacht werden, und die Ursache ist zu beseitigen.<br />
● Ein weiterer Hinweis für eine Leckage ist das Auftreten von Feuchtigkeit an einer Anschlussstelle<br />
bzw. längs des Katheterverlaufs.<br />
111
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Weitere Tipps:<br />
● Eine Katheterliegedauer länger als 2 bis 3 Tage birgt das Risiko von Infektionen und einer<br />
veränderten Insulinwirkung. Eine fehlende Desinfektion der Kathetereinstichstelle kann zu<br />
Entzündungen führen (Einwirkdauer des Desinfektionsmittels von ca. 2 Minuten beachten).<br />
● Von einem Ampullenwechsel mit im Bauch liegender Katheternadel ist dringend abzuraten.<br />
Auch sollten Manipulationen an der Adapterschraube bzw. am Luer-Anschluss bei liegendem<br />
Katheter vermieden werden. In diesem Fall kann es zu einer unkontrollierten Insulinabgabe<br />
kommen.<br />
● Wird nach dem Wechseln des gesamten Kathetersystems vergessen, den Schlauch mit Insulin<br />
zu füllen, so kommt es je nach benutzter Katheterlänge zu einem Insulinmangel von 5<br />
bis 20 I.E., d.h. es besteht ein Insulindefizit, das bis zur Hälfte des täglich notwendigen Insulinbedarfs<br />
betragen kann.Wegen des sich in der Folge entwickelnden vollständigen Insulinmangels<br />
kann es zu einer beginnenden ketoazidotischen Entgleisung kommen.Abhilfe:Vor<br />
dem Einstechen der Katheternadel in die Haut wird ein »Sicherheitsbolus« von 0,5 - 1 I.E.<br />
Insulin abgegeben und beobachtet, wie an der Nadelspitze ein kleines Flüssigkeitströpfchen<br />
erscheint. Damit ist gewährleistet, dass der Katheter vollständig gefüllt ist und dass sich die<br />
Insulinpumpe im Grundzustand RUN befindet.<br />
5.4 Folien<br />
Folien haben die Aufgabe, den Katheter zu fixieren und eine Keimbesiedlung der Kathetereinstichstelle<br />
zu vermindern. Es gibt zwei Arten von Folienmaterialien:<br />
● wasserdichte durchsichtige Folien<br />
● nicht wasserdichte Folien (Vlies o.ä.)<br />
Folienmaterialien<br />
112<br />
1. Wasserdichte durchsichtige Folien<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Klebkraft Zugfestigkeit Handhabung<br />
Ensure-it<br />
(BD) ++ + gut<br />
Hydrofilm<br />
(Hartmann) O + gut<br />
OpSite<br />
(Smith-Nephew) ++ + sehr gut<br />
Tegaderm<br />
(3M) + + sehr gut<br />
2. Nicht wasserdichte Folien<br />
Klebkraft Zugfestigkeit Handhabung<br />
Leukosilk<br />
(Hartmann) O + gut<br />
Omnifix<br />
(Hartmann) ++ ++ gut<br />
Primapore<br />
(Smith-Nephew) ++ ++ gut<br />
O = gering ausgeprägt + = stark ausgeprägt ++ = sehr stark ausgeprägt<br />
Abb. 43: Eigene Erfahrungen mit Folienmaterialien<br />
Prinzipiell ist bei jeder Folie die Möglichkeit einer allergischen Reaktion gegeben. Diese<br />
äußert sich durch Juckreiz im Bereich der Folie oder Blasenbildung am Rande der<br />
Folie. In diesen Fällen müssen andere Materialien ausprobiert werden. Erfahrungsgemäß<br />
werden die wasserdichten Folien besser vertragen, als die Folien aus Vlies. Die<br />
Ensure-it-Folie scheint besonders selten Allergien hervorzurufen.<br />
113
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Leukosilk eignet sich nur zur Fixation einer Katheterschlaufe, evtl. eines Rondellenkatheters.<br />
Es sollte nicht mit einem Flügelkatheter verwendet werden.<br />
<strong>Mit</strong> dem Cavilon-Spray ® 3M kann ein Film zwischen Haut und Pflastermaterial erzeugt<br />
werden. Damit lassen sich allergische Reaktionen verringern bzw. vollkommen<br />
vermeiden. Auch ist das Infektionsrisiko an der Kathetereinstichstelle kleiner.<br />
5.5 Katheterprobleme und wie man sie vermeidet<br />
Allergien gegen Kathetermaterialien, z.B. gegen das Material der Rondelle und Flügel,<br />
äußern sich durch Rötung und Juckreiz der Haut. Ähnliches gilt auch für Allergien<br />
gegen das Material der Nadel (Nickel), die zu Rötung und Juckreiz an der Einstichstelle<br />
führen und von bakteriell bedingten Entzündungen abgegrenzt werden müssen.<br />
Bei Allergien gegen das Material der Flügel, die Rondelle oder auch das Pflaster kann<br />
das Cavilon-Spray helfen. Es bildet einen luftdurchlässigen Film zwischen der Haut und<br />
dem Material. Außerdem klebt das Pflaster auch besser. Bei Unverträglichkeit der<br />
Nadel (Nickelallergie) hilft oft nur die Umstellung auf Katheter mit Teflonkanüle.<br />
Einige Katheterprobleme äußern sich durch Schmerzen bei der Bolusgabe. Neben Entzündungen<br />
und Infektionen (siehe Abschnitt 5.3) können als Ursachen die Verwendung<br />
einer zu langen oder zu kurzen Kanüle, eine ungünstig ausgewählte Einstichstelle<br />
(Hosenbund o.ä. drückt auf Kanüle, Katheter liegt in einer Hautfalte) sowie eine<br />
zu lange Liegedauer des Katheters in Frage kommen.<br />
Das Auftreten von Blut im Katheter kann durch eine zu lang gewählte Kanüle oder<br />
durch ungenügende Fixierung eines Flügelkatheters hervorgerufen werden. Auch<br />
wenn es nicht zu einem Anstieg der Blutzuckerwerte (das Insulin wird durch Zersetzung<br />
zum Teil inaktiviert) oder zu einem Katheterverschluss durch Blutgerinnung im<br />
Schlauch kommt, sollte man den Katheter sofort wechseln.<br />
Im Gegensatz zum Katheterverschluss mit einem Druckanstieg in der Ampulle<br />
(Insulinpumpe D-TRONplus) gibt es für Katheterleckagen keine Alarmzeichen. Da unter<br />
der laufenden Basalrate nur ein relativ kleines subkutanes Insulindepot von ca.<br />
2-3 Einheiten besteht, kann es durch den auftretenden Insulinmangel infolge eines<br />
Katheterlecks innerhalb weniger Stunden zur Lipolyse und ketoazidotischen Entgleisung<br />
kommen. Regelmäßige Blutzuckerselbstkontrollen (mindestens 4 x / Tag) sind somit<br />
für den Insulinpumpenträger die einzige Sicherheit, Ketoazidosen zu vermeiden.<br />
Ursachen für Katheterleckagen sind in Abb. 44 aufgezeigt.<br />
114<br />
● Herausrutschen der Nadel durch ungenügende Fixierung des Katheters<br />
(Haut »riecht« nach Insulin, Feuchtigkeit an der Einstichstelle)<br />
● Abknicken des Teflonkatheters unter oder über der Haut<br />
● Leckage an Verbindungsstücken oder am Schlauchsystem<br />
(Leck »riecht« nach Insulin)<br />
Beispiele:<br />
● Unsachgemäße Ankopplung der beiden Enden beim abkoppelbaren Katheter<br />
● Riss des Schlauches durch starken Zug (auch ein Tierbiss ist schon vorgekommen)<br />
● Lockerung des Katheters (Luer-Lock-Anschluss)<br />
Abb. 44: Ursachen für Leckagen<br />
5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Bei einem Katheterdefekt sollte der Katheter der jeweiligen Insulinpumpenfirma zugesandt<br />
werden, die wiederum Kontakt mit der Herstellerfirma der Katheter aufnimmt.<br />
Nur so ist schließlich eine weitere Verbesserung des Kathetermaterials möglich.<br />
115
6. Insulinpumpe und Technik<br />
Ganz klar: Eine Insulinpumpe muss unbedingt zuverlässig sein, denn man vertraut ihr<br />
rund um die Uhr seine Insulinversorgung an. Dass man sich wirklich auf dieses kleine<br />
Präzisionssystem verlassen kann, zeigt ein Blick auf die Technik.<br />
Eine Insulinpumpe, hier die D-TRONplus von Disetronic, besteht im Wesentlichen aus<br />
einem programmierbaren Mikroprozessor, einem Motor mit Getriebe, einer Gewindestange,<br />
einer Insulinampulle und einem Adapter. Der lautlose Motor sorgt dafür, dass<br />
die Gewindestange den Stopfen der Insulin gefüllten Ampulle nach oben schiebt. Dieser<br />
Vorgang wird über einen Computer gesteuert und richtet sich nach der vom Benutzer<br />
vorgenommenen Programmierung. Zwei Mikroprozessoren, die sich laufend<br />
gegenseitig auf ihre Funktion überprüfen sorgen für eine reibungslose Insulinabgabe.<br />
Sollte es einmal zu Unregelmäßigkeiten kommen, die die Insulinversorgung gefährden,<br />
z.B. bei einer Katheterverstopfung, meldet sich die Insulinpumpe mit einem entsprechenden<br />
Alarm.<br />
Der Adapter bildet die Brücke zwischen der Insulinampulle und dem Katheter. In ihn<br />
wird der Katheter eingeschraubt, durch den nun das Insulin in den Körper gelangt. Die<br />
Energieversorgung der Insulinpumpe erfolgt über Batterien.<br />
Auch wenn jedes Insulinpumpenmodell technische Variationen aufweist, ist die grundsätzliche<br />
Funktionsweise doch bei allen gleich. Unterschiede zeigen sich vor allem im<br />
Detail, wenn es z.B. um die Programmierung geht. Dies sei am Beispiel der zwei Disetronic-Insulinpumpen<br />
im folgenden dargestellt:<br />
116<br />
6.1 Bedienung<br />
6. Insulinpumpe und Technik<br />
Die Bedienung der Insulinpumpe H-TRONplus erfolgt über drei Knöpfe, zwei auf der<br />
Oberseite der Pumpe und einen auf der Vorderseite. Alle Knöpfe sind gut fühlbar, so<br />
dass die Pumpe auch unsichtbar durch die Kleidung bedient werden kann. Jede Eingabe<br />
wird über Piepstöne akustisch bestätigt, wobei diese Töne – bis auf Alarme – abgestellt<br />
werden können. Für die Bedienung gibt es Schemata.<br />
Menügesteuert erfolgt die Bedienung bei der Insulinpumpe D-TRONplus, der neuesten<br />
Disetronic-Insulinpumpe. Vier Knöpfe dienen zum Blättern in den verschiedenen<br />
Menüs und zur Bestätigung der ausgewählten Funktionen. Alle Befehle werden wie<br />
bei der Insulinpumpe H-TRONplus durch Töne und Vibrationen bestätigt, die ebenfalls<br />
ausgeschaltet werden können.<br />
<strong>Mit</strong> der neu entwickelten DiaLog-Software zur Pumpenprogrammierung ist die<br />
Programmierung der Insulinpumpe und die Auswertung der gespeicherten Daten<br />
auch über PC möglich. DiaLog ist zunächst nur kompatibel mit der Insulinpumpe<br />
D-TRONplus. Die Kommunikation erfolgt bidirektional über eine Infrarot-Schnittstelle.<br />
Software zur Programmierung der Insulinpumpe D-TRONplus: DiaLog<br />
117
6. Insulinpumpe und Technik<br />
6.2 Basalratenprogrammierung<br />
Die Abgabe der Basalraten wird von einem kleinen Computer präzise gesteuert, der<br />
dafür sorgt, dass ständig kleinste Mengen Insulin an den Körper abgegeben werden.<br />
Durch geeignete Programmierung wird versucht, den basalen Insulinbedarf wie bei<br />
einem Nicht-Diabetiker möglichst gut nachzuahmen.<br />
Zur Basalratenprogrammierung werden bei allen Disetronic-Insulinpumpen stündliche<br />
Gesamtabgabemengen festgelegt. Das so entstehende Basalratenprofil setzt sich<br />
aus 24 Basalraten zusammen, die in Feinabstufungen von 0,1 I.E programmiert werden<br />
können.<br />
Bei der Insulinpumpe H-TRONplus kann ein Basalratenprofil und bei der Insulinpumpe<br />
D-TRONplus können zwei Profile programmiert werden.<br />
Die Abgabe des Insulins erfolgt bei den Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus<br />
alle drei Minuten (variable Abgabemenge).<br />
Bei körperlichen Aktivitäten (Sport, Gartenarbeit etc.) kann das Basalratenprofil bei<br />
beiden Insulinpumpen prozentual gesenkt werden ohne das ursprüngliche Basalratenprofil<br />
zu verändern. Entsprechend ist auch eine prozentuale Erhöhung möglich,<br />
z.B. wenn man krank im Bett liegt. Die Senkung bzw. Erhöhung erfolgt prozentual auf<br />
Knopfdruck (Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus).<br />
6.3 Bolusabgabe<br />
Nahrungsbolus und /oder Korrekturbolus werden vom Pumpenträger je nach Bedarf<br />
festgelegt und per Knopfdruck aktuell einprogrammiert. Vor der Bolusabgabe ist<br />
eine abschaltbare akustische Bestätigung fakultativ möglich. Die Insulinpumpe<br />
D-TRONplus bietet mit drei Bolusvarianten (schnell, individuell, verzögert), die sich in<br />
sehr feinen Schritten programmieren lassen, den größten Komfort. Die Insulinpumpe<br />
H-TRONplus und verfügt über eine Bolusvariante.<br />
Bei beiden Insulinpumpenmodellen erfolgt die eigentliche Bolusabgabe – wie übrigens<br />
auch die Abgabe der Basalrate – lautlos, d.h. ohne begleitendes hörbares Motorengeräusch.<br />
118<br />
6.4 Insulinampullen<br />
6. Insulinpumpe und Technik<br />
Für alle Disetronic-Insulinpumpen stehen vorgefüllte Insulinampullen zur Verfügung:<br />
Insuman Infusat in U100 für die Insulinpumpe H-TRONplus sowie vorgefüllte Penampullen<br />
mit HumalogInsulin für die Insulinpumpe D-TRONplus. Andere Insuline können<br />
in Leerampullen aufgezogen werden. Nach dem Einlegen der Ampulle ist nur noch<br />
das Katheterfüllprogramm zu starten.<br />
6.5 Abruf wichtiger Informationen<br />
Bei jedem Knopfdruck schaltet sich das Display ein und zeigt z.B. die aktuelle Basalrate<br />
oder eine aktivierte vorübergehende Basalratenänderung an. Außerdem verfügen<br />
die Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus über Datenspeicher, aus denen folgende<br />
Informationen abgerufen werden können:<br />
● der aktuelle Inhalt der Insulinampulle<br />
● die Tagesinsulinabgabe (Basalrate und Bolus) seit 0 Uhr<br />
● die letzten 10 Boli<br />
● die letzten 5 Sicherheitsmeldungen mit Uhrzeit<br />
● die Insulinpumpe D-TRONplus verfügt zusätzlich über einen Datenspeicher,<br />
der die letzten 1.400 Ereignisse speichern kann. Diese können mit Hilfe der<br />
Pumpensoftware DiaLog abgerufen werden.<br />
Über ein Interface sind weiterhin die letzten 15 Ereignisse bzw. eingegebene Befehle<br />
mit der dazugehörenden Uhrzeit abrufbar, wie z.B. der Aufruf des Katheterfüllprogramms<br />
oder eine vorgenommene Umprogrammierung der Basalrate.<br />
6.6 Sicherheitssystem<br />
Eine wichtige Rolle für die Sicherheit der Insulinpumpen-Therapie spielen die<br />
Alarm- und Errormeldungen, mit denen die Pumpe vor einer Unterbrechung der Insulinversorgung<br />
warnt. Diese Situation kann durch eine Batterie mit zu geringer Spannung<br />
entstehen, eine fast leere Insulinampulle – oder z.B. durch eine Katheterverstopfung<br />
oder ein Leck in der Ampulle. Alle Disetronic-Insulinpumpen verfügen über<br />
ein umfangreiches Sicherheitssystem. Sie »melden« sich über Pieptöne (Insulinpumpe<br />
H-TRONplus) und zusätzlich über Vibrationsalarm (Insulinpumpe D-TRONplus), wenn<br />
es zu Problemen kommt. Alle Alarm- und Errormeldungen sind auf der Rückseite aufgelistet<br />
und können eindeutig zugeordnet werden.<br />
119
6. Insulinpumpe und Technik<br />
Bei Disetronic Insulinpumpen können alle Alarme eindeutig zugeordnet werden<br />
Als einzige Insulinpumpe verfügt die D-TRONplus über ein Drucksensor-System, das<br />
permanent die Insulinabgabe kontrolliert. Steigt der Druck in der Ampulle an, z.B. bei<br />
einer Katheterverstopfung, wird ein Alarm ausgelöst. Ebenso, wenn der Druck in der<br />
Ampulle abfällt, z.B. bei einem Leck.<br />
6.7 Insulinpumpe und Handy<br />
Das Sicherheitssystem der Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus verhindert das<br />
Auftreten von Ungenauigkeiten in der Insulindosierung bei Beeinflussung der Insulinpumpenelektronik<br />
durch starke elektromagnetische Felder. So kommt es im Extremfall<br />
zu einem Sicherheitsalarm (Error07: Elektronikstörung) und die Insulinzufuhr wird unterbrochen.<br />
In aktuellen Untersuchungen (EMC Fribourg SA, EMC Testcenter Zürich; 1999) wurde<br />
speziell der Einfluss von Mobiltelefonen (Handies) auf die Funktionen der Insulinpumpe<br />
H-TRONplus geprüft. Dabei reichte die Sendeleistung der Handies (C-, D- und<br />
E-Netz) nicht einmal aus, um einen Elektronikalarm auszulösen. Obwohl moderne<br />
Handies die Insulinpumpe H-TRONplus nicht beeinträchtigen, empfiehlt Disetronic<br />
dennoch vorsorglich, das Handy nicht in unmittelbarer Nähe der Insulinpumpe zu betreiben<br />
bzw. zu tragen, der Abstand zwischen beiden sollte 5 cm nicht unterschreiten.<br />
120<br />
6.8 Zwei-Insulinpumpen-Konzept<br />
6. Insulinpumpe und Technik<br />
Jeder Insulinpumpenträger erhält zwei Disetronic-Insulinpumpen. <strong>Mit</strong> diesem Zwei-<br />
Insulinpumpen-Konzept hat der Insulinpumpenträger immer eine funktionsfähige<br />
Insulinpumpe, sodass er nicht wegen eventueller technischer Probleme die Behandlung<br />
ändern oder stationär bzw. ambulant behandelt werden muss. Außerdem bietet<br />
dieses Konzept ein hohes Maß an Sicherheit, besonders wenn sich der Insulinpumpenträger<br />
weit entfernt von seinem Arzt bzw. Insulinpumpenzentrum aufhält (z.B. auf<br />
Auslandsreisen). In jede Insulinpumpe ist eine Laufzeit von zwei Jahren einprogrammiert.<br />
121
6. Insulinpumpe und Technik<br />
Tipp: »Technische Fallen«<br />
Insulinpumpe im Grundzustand STOP<br />
(Insulinpumpen H-TRONplus bzw. D-TRONplus)<br />
Nach einem Katheterwechsel wird bei der H-TRONplus bzw. D-TRONplus mitunter vergessen,<br />
die Insulinpumpe wieder einzuschalten. Oft wurde dabei zuvor die üblicherweise jede Minute<br />
auftretende »Stop-Warnung« ausgeschaltet.Wir empfehlen daher, von der Möglichkeit des Abschaltens<br />
der Piepstöne nur selten Gebrauch zu machen. Das versehentliche Belassen der Insulinpumpe<br />
im Stop-Zustand lässt sich verhindern, indem nach einem Katheterwechsel routinemäßig<br />
vor dem Einstechen der Nadel ein kleiner Bolus (z. B. 0,5 Einheiten) gesetzt und die<br />
Abgabe von Insulin an der Nadelspitze beobachtet wird. Dazu muss sich die Insulinpumpe notwendigerweise<br />
im »Run« befinden.<br />
Sicherheitsalarm (Insulinpumpen H-TRONplus bzw. D-TRONplus)<br />
Der Sicherheitsalarm weckt Sie in den frühen Morgenstunden. Grund: In dem voreingestellten<br />
Zeitintervall (meist 12 Stunden) wurde an der Insulinpumpe kein Knopf gedrückt. Abhilfe:<br />
»bed-side-check«, d. h. vor dem Schlafengehen einen beliebigen Bedienknopf z.B. zur Aktivierung<br />
bzw. Beleuchtung des Displays drücken. Gleichzeitig überprüfen Sie, ob sich die Insulinpumpe<br />
im Grundzustand »Run« befindet.<br />
Falscher Ampulleninhalt (Insulinpumpe H-TRONplus)<br />
Nach einem Ampullen- und Katheterwechsel wird mitunter fälschlicherweise erst das Katheterfüllprogramm<br />
gestartet und dann erst die Initialisierung »neue Patrone« durchgeführt. In<br />
diesem Fall ist die auf dem Display angezeigte Insulinmenge größer als die tatsächliche Restfüllmenge<br />
in der Ampulle. Bei leerer Ampulle kommt es schließlich zum Error 04 (Katheter-/<br />
Nadelverschluss) und nicht zum Error 10 (20 Einheiten Restinhalt). Ein ähnliches Problem stellt<br />
sich beim unvollständigen Füllen einer Insulinampulle (z.B. mit Humalog-lnsulin).<br />
122<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
7.1 Tragen der Insulinpumpe<br />
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Insulinpumpe am Körper zu tragen. Dabei sind<br />
die individuellen Wünsche und Vorlieben des Insulinpumpenträgers zu berücksichtigen,<br />
wie z.B. bevorzugte Kleidung, Sichtbarkeit der Insulinpumpe, Einfachheit der Bedienung,<br />
Katheterlänge sowie das Insulinpumpenmodell.<br />
Ganz allgemein sollte bei der persönlichen Trageweise der Insulinpumpe darauf geachtet<br />
werden, dass einerseits die akustischen Alarmmeldungen jederzeit sicher bemerkt<br />
werden können und dass andererseits eine rasche zuverlässige Bedienung der<br />
Insulinpumpe möglich ist. Die wichtigsten Funktionen können bei allen Insulinpumpen<br />
ohne visuelle Kontrolle, d.h. auch unter der Kleidung, betätigt werden.<br />
Befestigung am Gürtel oder Bund<br />
Taschen mit Gürtelschlaufen oder Clip erlauben die Befestigung am Hosen- oder Rockgürtel<br />
bzw. am Bund.<br />
Vorteil:<br />
● gute Bedienbarkeit<br />
Nachteil:<br />
● Insulinpumpe ist sichtbar<br />
Abhilfe schafft hier ein<br />
Insulinpumpengürtel mit<br />
Klettverschluss.<br />
Die Insulinpumpe kann so<br />
unter der Kleidung versteckt<br />
werden.<br />
Befestigung am Gürtel bzw. Hosenbund mit Clip Case<br />
123
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Insulinpumpe in der Hosentasche<br />
Vorteil:<br />
● gute Bedienbarkeit<br />
Nachteil:<br />
● eventuell Hängenbleiben des<br />
Schlauches an Türgriffen, Sichtbarkeit<br />
des Schlauches<br />
● eventuell können Luftblasen in<br />
den Schlauch gelangen (Luer-<br />
Lock-Anschluss zeigt nach oben).<br />
Tipp für Hobbyschneiderlnnen: Die<br />
Hosentasche kann am oberen Ansatz<br />
innen aufgetrennt werden. So<br />
wird die Insulinpumpe mit Schlauch<br />
problemlos von innen in die Hosentasche<br />
eingeführt. Der Schlauch ist<br />
nicht mehr sichtbar.<br />
Eine weitere Möglichkeit ist die<br />
Nutzung einer für die Insulinpumpe<br />
H-TRONplus angebotenen Schutzhülle<br />
zum Einnähen. Dazu wird<br />
auf der Innenseite der Kleidung ein<br />
Klettelement eingenäht bzw. aufgebügelt. Die Schutzhülle besitzt ein entsprechendes<br />
Gegenstück und wird damit befestigt.<br />
Insulinpumpe in Hemd- oder T-Shirt-Tasche<br />
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Unterbringung in Hemdtaschen oder in<br />
T-Shirts mit eingenähter Tasche.<br />
124<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Frauen können die Insulinpumpe außerdem in oder an ihrem BH tragen.<br />
Befestigung an einer Kordel<br />
Eine häufige Methode ist die Befestigung der Insulinpumpe an einer Leder- oder Stoffkordel,<br />
die um den Hals gelegt wird. Die Insulinpumpe kann so unter der Kleidung getragen<br />
werden, der Luer-Lock-Anschluß zeigt nach unten.<br />
Vorteil:<br />
● gute Bedienbarkeit<br />
● Luftblasen gelangen nicht<br />
in den Schlauch<br />
● Insulin bleibt im Winter<br />
körperwarm<br />
Befestigung<br />
an einer Kordel<br />
125
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Insulinpumpe in der Nacht<br />
In der Nacht besteht das Risiko, dass Alarmmeldungen buchstäblich verschlafen werden.<br />
Einige Patienten lagern die Insulinpumpe daher »an der langen Leine« neben<br />
sich.<br />
Nachteil:<br />
● Abkopplungen sowie Verknotungen im Schlauch sind möglich.<br />
Die Insulinpumpenfirmen bieten spezielle Gürtel an, die eine Fixierung der Insulinpumpe<br />
am Körper gestatten oder Cliptaschen, bzw. an der Insulinpumpe zu befestigende<br />
Clip-Einrichtungen für den Schlafanzugbund. Vor dem Zubettgehen hat sich<br />
eine kurze Prüfung der Insulinpumpenfunktion bewährt:<br />
126<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
● Insulinpumpe im Run-Zustand? (»Insulinpumpengruß« bei den Insulinpumpen<br />
H-TRONplus und D-TRONplus)<br />
● Luer-Lock-Anschluss und Katheternadel gut fixiert?<br />
● Größere Luftblasen im Schlauch?<br />
● Genügend Restinsulin in der Ampulle?<br />
Abb. 45: »bed-side-check«<br />
Duschen, Schwimmen und Tauchen mit der Insulinpumpe<br />
Die Insulinpumpe D-TRONplus ist wasserdicht und muss während des Duschens nicht<br />
abgelegt werden, die Minimed 508 sollte in einem Duschbeutel getragen werden. Die<br />
Insulinpumpe H-TRONplus ist während des Duschens abzulegen, dabei haben sich abkoppelbare<br />
Katheter bewährt.<br />
Werden die Sicherheitsmaßnahmen beachtet (Batteriefächer, Ampullenfach durch<br />
Gummiringe sicher gedichtet), kann mit der Insulinpumpe D-TRONplus gebadet werden,<br />
Salzwasser sollte nachher abgespült werden. Für die nur spritzwassergeschützte<br />
Minimed 508 bietet die Firma einen kleinen durchsichtigen Kunststofftresor an, der<br />
das <strong>Bad</strong>en mit diesem Modell ebenfalls erlaubt. Zum Tauchen dürfen die Insulinpumpen<br />
nicht getragen werden. Beim Saunagang müssen alle Insulinpumpenmodelle<br />
»draußenbleiben«.<br />
7.2 Insulinpumpe und Psyche<br />
Die Entscheidung für eine Insulinpumpenbehandlung erfolgt in vielen Fällen nicht nur<br />
aus medizinischer Notwendigkeit, sondern auch mit dem Wunsch, neben einer optimalen<br />
Stoffwechseleinstellung bestimmte Vorteile dieser Therapie zu nutzen. Je mehr<br />
Vorteile ein Diabetiker gegenüber seiner bisherigen Therapie für sich ausfindig machen<br />
kann, um so höher wird seine persönliche Motivation sein, eine derartige Therapie<br />
zu beginnen. Letzte Zweifel können nur durch »Ausprobieren« geklärt werden. In<br />
den meisten Fällen wird dabei auch die psychologische Barriere überwunden, ständig<br />
»verkabelt« zu sein und seine Insulinpumpe immer mit sich herumtragen zu müssen.<br />
Die Auswirkungen der Insulinpumpen-Therapie sind sowohl in Beruf und Freizeit wie<br />
auch in Freundschaft und Partnerschaft mehr oder minder spürbar.<br />
Wenn der künftige Insulinpumpenträger noch keinen festen Partner hat, muss er sich<br />
darüber klar werden, ob er genügend Selbstvertrauen besitzt, vor anderen seine Insu-<br />
127
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
linpumpen-Therapie zu vertreten. Vor allem Mädchen und Frauen scheuen oft aus rein<br />
optischen, ästhetischen Gründen das Tragen einer Insulinpumpe. Wie bereits besprochen,<br />
muss die Insulinpumpe nicht offen sichtbar getragen, sondern kann unter der<br />
Kleidung verborgen werden. Dies erfordert allerdings in den Sommermonaten oft zusätzlichen<br />
Einfallsreichtum.<br />
Jedoch spätestens dann, wenn die Beziehung enger bzw. intimer wird, ist die Konfrontation<br />
des Partners mit der Insulinpumpen-Therapie und der Insulinpumpe nicht zu<br />
vermeiden. Spätestens an diesem Punkt (besser aber früher) sollte der Insulinpumpenträger<br />
»Farbe bekennen« und mit seinem Partner über den <strong>Diabetes</strong> und dessen Therapie<br />
offen sprechen. Sollte der Beziehungswunsch wirklich ernst gemeint sein, wird<br />
auch mit Insulinpumpe einer Intensivierung der Partnerschaft nichts im Wege stehen.<br />
Wenn bereits eine feste Partnerschaft besteht, sollte prinzipiell auch der Partner an<br />
der Entscheidungsfindung pro oder contra Insulinpumpe beteiligt werden. In erster<br />
Linie muss sich natürlich der Diabetiker selbst im Klaren sein, ob er sich vorstellen<br />
kann, Tag und Nacht an eine Insulinpumpe angeschlossen zu sein. Aber auch der Partner<br />
ist direkt und indirekt von einer derartigen Therapie betroffen. Auch er darf die<br />
Insulinpumpe nicht als »Störenfried« empfinden.<br />
Eine Hilfe für beide Partner kann die Erkenntnis sein, dass die Insulinpumpe eine optimale<br />
Stoffwechseleinstellung ermöglicht und damit die Angst vor Folgeerkrankungen<br />
vermindern kann. Eine echt und ernst gemeinte Beziehung wird letztlich nicht am <strong>Diabetes</strong><br />
selbst oder an der Insulinpumpe scheitern. Je besser der Diabetiker geschult ist<br />
und je mehr Erfahrungen er mit der Handhabung der Insulinpumpe hat, um so geringer<br />
ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Insulinpumpe die Partnerschaft kompliziert<br />
und zu einer zusätzlichen Belastung führt. Die Möglichkeit der größeren Flexibilität<br />
durch die Insulinpumpe kann für beide Partner durchaus von Vorteil sein.<br />
In der Regel kann man davon ausgehen, dass dem Diabetiker das Tragen der Insulinpumpe<br />
und deren Handhabung mit der Zeit zur Routine werden. Ein adäquates<br />
Vorgehen bei Alarmmeldungen der Insulinpumpe sollte theoretisch vorbereitet und<br />
für den »Ernstfall« trainiert werden, um aufkommende Angst in lösungsorientierte<br />
Verhaltensweisen umsetzen zu können. Das schließt auch ein, dass der Partner dem Insulinpumpenträger<br />
in Notsituationen (Krankheit, Ketoazidose, schwere Unterzuckerung)<br />
behilflich sein kann.<br />
Wünscht sich eine Diabetikerin Kinder, so ist bereits vor, besonders aber während der<br />
Schwangerschaft eine optimale Stoffwechsellage anzustreben. Dazu kann die Insulinpumpenbehandlung<br />
hilfreich sein. Nach der Entbindung behalten viele Diabetikerinnen<br />
die Insulinpumpen-Therapie bei.<br />
128<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Bereits im Vorfeld der Entscheidung über eine geplante Insulinpumpen-Therapie sollte<br />
auch das Thema Sexualität nicht ausgeklammert werden. Es stellen sich Fragen, ob<br />
die Insulinpumpe die Partner beim Liebesspiel stört, ob Verletzungen durch die Katheternadel<br />
zu erwarten sind, oder ob Spontaneität und Genuss bei der Sexualität<br />
durch die Insulinpumpe eingeschränkt werden. Allein das Aussprechen derartiger Befürchtungen<br />
ist bereits oftmals hilfreich. In einem persönlichen Beratungsgespräch mit<br />
einem Arzt, der Erfahrung mit Insulinpumpen hat, dürfen diese Fragen nicht ausgeklammert<br />
werden.<br />
Eine für jeden gültige Antwort können wir an dieser Stelle nicht geben. Menschliches<br />
Handeln und menschliche Empfindungen sind vielfältig. Im Falle des Liebesspiels bezieht<br />
sich das Handeln keineswegs auf den Geschlechtsakt allein, sondern beinhaltet<br />
viele Formen und Ausdrücke körperlicher und geistiger Nähe zum Partner. Der Geschlechtsverkehr<br />
muss durch das Tragen einer Insulinpumpe nicht gestört werden. Die<br />
Insulinpumpe wird von den meisten Diabetikern nicht als »Liebestöter« empfunden.<br />
Grundsätzlich kann die Insulinpumpe beim Liebesspiel abgelegt und damit die Insulinzufuhr<br />
für einen begrenzten Zeitraum unterbrochen werden. Der Katheter wird entfernt<br />
und später dann erneut angelegt. Viele Diabetiker bevorzugen einen langen Katheter<br />
und haben damit die Möglichkeit, die Insulinpumpe beim Liebesspiel abzule-<br />
129
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
gen. Eine weitere, sehr vorteilhafte Variante ist die Verwendung von abkoppelbaren<br />
Kathetern, wie z.B. des Katheters Disetronic Rapid D. In diesem Fall kann die Insulinpumpe<br />
einfach ab- bzw. angekoppelt werden, ohne dass der Katheter neu gelegt<br />
werden muss. Probieren geht auch in diesem Fall über Studieren.<br />
Je mehr sich die Partner aufeinander einzustellen bereit sind und je besser sich auch<br />
der nichtdiabetische Partner mit der Insulinpumpe auskennt, um so größer ist die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass die Insulinpumpe nicht als etwas »Fremdes« und »Trennendes«<br />
erlebt wird. Manchmal muss die Aufmerksamkeit von der Insulinpumpe, vor allem<br />
aber von der Nadel weg auf die eigentliche Intimbeziehung gelenkt werden.<br />
Die Wiederaufnahme des Intimverkehrs nach Beginn einer Insulinpumpen-Therapie<br />
wird in der Anfangsphase von beiden Partnern ein gewisses Maß an Sensibilität und<br />
Geduld erfordern.<br />
Die gemeinsame Erfahrung, mit dieser Situation fertig geworden zu sein, kann jedoch<br />
auch zu einem beziehungsvertiefenden Erlebnis werden!<br />
Tipp: Denkanstöße<br />
Eine Insulinpumpenbehandlung erfordert auch eine mentale und emotionale Auseinandersetzung<br />
mit dieser speziellen Behandlungsform der intensivierten Insulintherapie. Eine realistische<br />
Bewertung und eine zuversichtliche Einstellung sind wünschenswert; ungünstig sind übertriebene<br />
Hoffnungen oder Sorglosigkeit, mangelnde Eigeninitiative, zu wenig Selbstkritik.<br />
Folgende Hinweise mögen hilfreich sein:<br />
● Als Insulinpumpenträger sind Sie kein Sonderling! Sie sind ein »völlig normaler Mensch«,<br />
bei dem lediglich die Art und Weise der Insulinzufuhr eine andere ist.<br />
● <strong>Diabetes</strong> ist nicht alles! Die Insulinpumpenbehandlung ist eine wichtige Nebensache<br />
in Ihrem Leben – aber nicht die Hauptsache.<br />
● Haben Sie den Mut, Neues auszuprobieren (z.B. hinsichtlich Essen, Getränken,<br />
Süßigkeiten, Eis, körperlicher Tätigkeit, Änderung des Tagesrhythmus).<br />
● Kein Zwang zum Perfektionismus! Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!<br />
Gestehen Sie sich Misserfolge und Unzulänglichkeiten zu.<br />
130<br />
7.3 Pause von der Insulinpumpe<br />
Die Insulinbehandlung mit einer Insulinpumpe kann jederzeit unterbrochen werden.<br />
Es besteht ja bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> keine »Abhängigkeit« von der Insulinpumpe,<br />
sondern lediglich vom Insulin. Als Gründe für ein vorübergehendes Ablegen<br />
einer Insulinpumpe kommen beispielsweise in Frage: Duschen, sexuelle Aktivität,<br />
Schwimmbad- bzw. Saunabesuch, <strong>Bad</strong>eurlaub, Tragen von enganliegender Kleidung<br />
(Abendgarderobe), sportliche Aktivitäten, bei denen die Insulinpumpe lästig ist bzw.<br />
eine Gefahr darstellt (Kampfsport, Wassersport), leere Ampulle bzw. leere Batterie<br />
ohne Ersatzmaterial, Insulinpumpendefekt.<br />
In Abb. 46 sind Tipps zusammengestellt, die beim Ablegen der Insulinpumpe unabhängig<br />
von der Länge der Pause von Bedeutung sind. Nach Wiederanlegen der Insulinpumpe<br />
sind einige Besonderheiten zu beachten; diese sind in Form einer Checkliste in<br />
Abb. 47 aufgeführt.<br />
Insulinpumpenpause – Worauf kommt es an?<br />
● Keine »Abhängigkeit« von der Insulinpumpe, sondern lediglich vom Insulin<br />
● Abkoppelbare Katheter sind empfehlenswert<br />
● »Fehlende« Basalrate während des Ablegens berücksichtigen<br />
● Deutliche Insulinminderversorgung vermeiden (keine »Insulinlöcher«!)<br />
● An die Möglichkeit einer ketoazidotischen Entgleisung denken<br />
● Eventuell die abgelegte Insulinpumpe im »Run-Modus« belassen<br />
● Öfters den Blutzucker messen (Sondersituation!)<br />
● Vorübergehend leicht erhöhte Blutzuckerwerte tolerieren<br />
Abb. 46: Tipps für das Ablegen der Insulinpumpe<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
● Eine größere Blutzuckerlabilität ist besonders bei sportlicher Aktivität möglich<br />
● Die Insulinwirkdauer bestimmt, ob und in welchen Abständen während der<br />
Insulinpumpenpause Insulin zusätzlich gegeben werden sollte<br />
● Die zwischenzeitliche Insulingabe kann mit Spritze/Pen oder durch kurzfristiges<br />
Ankoppeln der Insulinpumpe erfolgen<br />
● Für Zwangspausen (Insulinpumpendefekt, Batterie leer, o.ä.) Ersatzmaterial<br />
bereithalten<br />
● Ergebnisse dokumentieren<br />
● Erfahrungen überdenken<br />
131
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Checkliste nach Wiederanlegen der Insulinpumpe<br />
❍ Insulinpumpe im »Run-Modus« ?<br />
❍ Katheter gefüllt ?<br />
❍ Katheter richtig angekoppelt ?<br />
❍ Luftblasen im Katheter ?<br />
❍ Kleiner Extra-Bolus notwendig ?<br />
❍ Überlappungseffekt, d.h. ist noch Insulin wirksam, das zwischenzeitlich<br />
mit Spritze/Pen oder als Insulinpumpenbolus verabreicht wurde ?<br />
❍ Blutzuckermessung nach Wiederanlegen notwendig ?<br />
❍ Blutzuckerwert nach 3 - 5 Stunden zweckmäßig ?<br />
Hinweise:<br />
● Es kann 2 - 4 Stunden dauern, bis sich der übliche basale Insulinspiegel<br />
wieder stabilisiert hat<br />
● Vorübergehend ist eine größere Blutzuckerlabilität möglich<br />
Abb. 47: Besonderheiten nach einer Insulinpumpenpause<br />
Prinzipiell können, entsprechend der Dauer des Ablegens, verschiedene Arten von Insulinpumpenpausen<br />
unterschieden werden.<br />
Pause bis zu einer Stunde<br />
Ein sehr kurzzeitiges Ablegen der Insulinpumpe (z.B. beim Duschen) mit einer Dauer<br />
von weniger als einer Stunde ist meistens unbedenklich, besondere Maßnahmen sind<br />
hier nicht erforderlich. Eine gesonderte Blutzucker-Selbstkontrolle bzw. eine zusätzliche<br />
Bolusgabe vor oder nach dem Ablegen ist im Regelfall nicht notwendig. Die Verwendung<br />
von abkoppelbaren Kathetern erweist sich als vorteilhaft und empfehlenswert.<br />
Kurzzeitige Pause (kürzer als die Insulinwirkdauer)<br />
Ist die Insulinpumpenpause bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon kürzer<br />
als 2,5 Stunden bzw. bei Verwendung von Normalinsulin kürzer als 4 Stunden, erübrigt<br />
sich eine gesonderte Insulingabe mit der Spritze. Je nach Ausgangssituation<br />
132<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
und Unterzuckerungsgefahr kann ein zusätzlicher Bolus vor und/oder nach dem Ablegen<br />
der Insulinpumpe gegeben werden. Dieser Bolus sollte höchstens so groß sein,<br />
wie die Gesamtmenge der Basalrate während des Ablegens gewesen wäre.<br />
Beispiel:<br />
Das Ablegen der Insulinpumpe findet in der Zeit von 19.00 - 22.00 Uhr statt; Die Basalrate<br />
in dieser Zeit beträgt 0,6 I.E. pro Stunde, d.h. insgesamt 1,8 I.E. während des geplanten<br />
Zeitraumes ohne Insulinpumpe. Eine Möglichkeit wäre, unmittelbar vor dem<br />
Abkoppeln der Insulinpumpe noch einen Zusatzbolus von 0,5 I.E. zu geben sowie direkt<br />
nach dem Wiederanlegen einen weiteren Bolus von 1,0 I.E. Vor einer Bolusgabe,<br />
insbesondere wenn sie vor dem Schlafengehen erfolgt, sollte großzugig eine Blutzuckertestung<br />
durchgeführt werden. Eine alternative Möglichkeit mit geringerem<br />
Unterzuckerungsrisiko bestünde darin, vorher keinen Extrabolus zu setzen und nach<br />
dem Anlegen einen Zusatzbolus von 1 - 1,5 I.E. zu geben (dabei sollte die Höhe des aktuellen<br />
Blutzuckerwertes berücksichtigt werden).<br />
Findet während des Ablegens der Insulinpumpe vermehrte Muskelarbeit statt, sollte<br />
eine Bolusgabe vorher auf jeden Fall unterbleiben, und auch der Bolus nachher ist zu<br />
133
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
verringern. In solchen Fällen ist es empfehlenswert, engmaschigere Blutzuckerselbstkontrollen<br />
durchzuführen und eigene individuelle Erfahrungen zu nutzen.<br />
Bei einem Saunabesuch ist die raschere Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe<br />
sowie die dadurch bedingte etwas kürzere Wirkdauer zu beachten. Zudem ist in<br />
der Sauna eine evtl. Unterzuckerung meist deutlich schlechter oder auch überhaupt<br />
nicht wahrzunehmen. Deshalb ist während des Saunaaufenthaltes eine Erhöhung des<br />
Blutzuckerzielbereiches dringend anzuraten.<br />
Zum Thema »Sauna« ein weiterer Hinweis: Die Insulinpumpe darf auf keinen Fall<br />
mit in die Hitzekammer genommen werden. Bei Verwendung des abkoppelbaren Ka-<br />
134<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
theters Rapid D darf zwar die Nadel mit dem 10 cm langen Schlauchstück am Körper<br />
bleiben – inwieweit dies wünschenswert ist, bleibt dahingestellt. Wegen der hohen<br />
Temperaturen ist jedoch von einer Denaturierung und Inaktivierung des Insulins im<br />
verbleibenden Schlauch auszugehen, d.h. das Insulin im Schlauch wird durch die<br />
Hitzeeinwirkung unbrauchbar. Nach Wiederanlegen der Insulinpumpe muss das Insulin<br />
im Schlauch durch neues ersetzt werden, man benötigt deshalb einen Extrabolus<br />
von 1 - 2 I.E. Da das Ausmaß der Denaturierung des Insulins im Schlauchstück unklar<br />
ist, empfehlen wir, den Rapid D Katheter in der Sauna komplett zu entfernen. Engmaschige<br />
Blutzuckerkontrollen sowie nur sehr vorsichtige Korrekturen mit Insulinbolus<br />
bzw. großzügige Zufuhr von Extra-BE sind bei einem Saunabesuch ratsam.<br />
Bei einem kurzzeitigen Ablegen empfiehlt es sich, die Insulinpumpe im »Run-Zustand«<br />
weiterlaufen zu lassen. Zwar kann die Stopp-Warnung der Insulinpumpen<br />
H-TRONplus und D-TRONplus »weggedrückt werden«, dies birgt jedoch Risiken bei<br />
der späteren erneuten Insulinpumpenanlage. Die fehlende akustische Warnung hat in<br />
manchen Fällen schon zu einer Ketoazidose geführt, weil der Insulinpumpenträger<br />
nach vorübergehendem Ablegen der Insulinpumpe vergaß, diese wieder in den »Run-<br />
Zustand« zu bringen.<br />
Mehrstündige Pause während des Tages<br />
(länger als die Insulinwirkdauer)<br />
Ein längeres Ablegen der Insulinpumpe kann z.B. während eines Strandtages, eines<br />
sportlichen Wettkampfes, eines Gesellschaftsabends (Tragen von enganliegender Kleidung)<br />
oder eines ausgiebigen Saunabesuches wünschenswert sein.<br />
Auch zwangsweise Pausen von mehreren Stunden kommen immer wieder vor: Eine<br />
leere Batterie bei gleichzeitigem Fehlen einer Ersatzbatterie bzw. fehlender Möglichkeit,<br />
Insulin mit einer Spritze oder einem Pen zu verabreichen, hat schon manchen Insulinpumpenträger<br />
in eine kurzfristig unangenehme Situation gebracht. Im Unterschied<br />
zur Spritzenbehandlung fehlt bei der Insulinpumpen-Therapie ein größeres<br />
subkutanes »Insulindepot«, und es kann innerhalb von wenigen Stunden mit absolutem<br />
Insulinmangel zu einer drohenden ketoazidotischen Entgleisung kommen. Diese<br />
Insulinpumpentypische Gefahr ist im Kapitel 10 ausführlich beschrieben.<br />
Bei mehrstündiger, längerer Insulinpumpenpause – freiwillig oder auch zwangsweise<br />
– gibt es verschiedene Möglichkeiten des Handelns:<br />
● Die erforderliche Insulinmenge für die basale Insulinversorgung wird mit einer üblichen<br />
Spritze bzw. mit einem Pen verabreicht. Bei Verwendung einer Spritze kann<br />
das Insulin aus der Insulinpumpenpatrone entnommen werden. Dabei ist zu beachten,<br />
dass die anschließend auf dem Display angezeigte Insulinrestmenge – ab-<br />
135
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
hängig von verwendeten Insulinpumpenmodell – eventuell nicht mehr korrekt ist.<br />
Bei der Insulinpumpe H-TRONplus enthält die Ampulle dann z.B. weniger Insulin<br />
als angezeigt. Anders verhält es sich bei der Insulinpumpe D-TRONplus: anhand der<br />
Stellung der Gewindestage wird die Insulinrestmenge in der Ampulle errechnet<br />
und korrekt angezeigt. Aus diesem Grund ist bei der Insulinpumpe D-TRONplus<br />
auch die Verwendung angebrochener Ampullen möglich. Als maximale Zeitabstände<br />
sind bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon Intervalle von<br />
2-3 Stunden zu wählen; wird Normalinsulin benutzt, so sollten die Injektionen in<br />
mindestens 4 - 5stündlichen Abständen erfolgen. Die Insulinmenge richtet sich<br />
nach dem Basalbedarf im zu überbrückenden Zeitintervall.<br />
Bei intermittierender Gabe mit Spritze/Pen kommt es zwangsläufig zu stärkeren<br />
Schwankungen des Insulinspiegels im Blut (vgl. die Wirkkurven in Abb. 36). Dies<br />
bedingt eine größere Instabilität des Blutzuckerverlaufs. Kurzfristige Phasen mit<br />
überhöhten Insulinspiegeln lassen sich kaum vermeiden und können etwas »unterfüttert«<br />
werden, wenn zum richtigen Zeitpunkt geringe Kohlenhydratmengen<br />
von 0,5 - 1 BE aufgenommen werden.<br />
● Alternativ kann die Insulingabe auch nach kurzzeitigem Anlegen mit der Insulinpumpe<br />
direkt erfolgen (abkoppelbarer Katheter!). Dies ist schmerzfrei, und die Dosierung<br />
kann in feineren Abständen, z.B. in 0,5 I.E.-Schritten variiert werden.<br />
● Bei längerer Insulinpumpenpause am Tag kann auch ein Verzögerungsinsulin (z.B.<br />
ein NPH-Insulin wie Protaphan bzw. Insuman Basal) verwendet werden. Dabei<br />
ist der verzögerte Wirkbeginn nach ca. 45 - 60 Minuten, das Wirkungsmaximum<br />
nach ca. 3 - 5 Stunden sowie die unterschiedlich lange Gesamtwirkdauer von ca.<br />
10 - 16 Stunden zu beachten. Insbesondere wegen der individuell unterschiedlichen<br />
Wirkdauer kann es nach dem Wiederanlegen der Insulinpumpe zu einem unerwünschten<br />
Überlappungseffekt kommen. Durch eine vorübergehende Basalratenabsenkung<br />
auf etwa 50 % kann dieser Sachverhalt berücksichtigt werden.<br />
Das Verzögerungsinsulin Lantus ist wegen seiner langen Wirkdauer von ca. 24<br />
Stunden zur Überbrückung einer Insulinpumpenpause während des Tages nicht<br />
geeignet.<br />
Engmaschige Blutzuckerkontrollen sind in Phasen von Insulinpumpenpausen selbstverständlich<br />
notwendig. Beim Wiederanlegen der Insulinpumpe muss beachtet werden,<br />
dass ca. 2 – 3 Stunden vergehen, bis wieder ein ausreichender Basalinsulinspiegel<br />
aufgebaut ist. Eine kleine zusätzliche Bolusgabe nach Anlegen der Insulinpumpe kann<br />
daher notwendig sein, Überlappungseffekte sind jedoch zu beachten.<br />
Um zwangsweise Pausen wegen Insulinpumpendefekt und gleichzeitigem Fehlen von<br />
Ersatzmaterial zu vermeiden, ist daran zu denken, in einem »Notfall-Täschchen« neben<br />
Materialien zur Blutzucker-Selbstkontrolle und Not-BE’s (Traubenzucker o.ä.) auch<br />
Ersatzbatterien, Aceton-Teststreifen, Materialien zum Katheterwechsel und eine ge-<br />
136<br />
eignete Insulinspritze bzw. einen funktionsfähigen Pen mit sich zu nehmen (vergleiche<br />
Abschnitt 7.51).<br />
Mehrstündige Insulinpumpenpause während der Nacht<br />
Denkbar sind auch Situationen (z.B. neue Partnerschaft), in denen insbesondere während<br />
der Nacht das Tragen einer Insulinpumpe unerwünscht ist. In solchen Fällen darf<br />
auf das Spritzen von Insulin keinesfalls verzichtet werden, ansonsten droht eine ketoazidotische<br />
Entgleisung wegen des absoluten Insulinmangels. Bekanntlich ist die »Depot-Wirkung«<br />
des Insulins unter Insulinpumpen-Therapie je nach verwendeter Insulinsorte<br />
nur 2 - 5 Stunden.<br />
Als Langzeitinsulin wird bei einer Insulinpumpenpause während der Nacht entweder<br />
ein NPH-Insulin (z.B. Protaphan, Insuman-Basal) oder auch Semilente empfohlen. Die<br />
erforderliche Insulinmenge richtet sich nach der jeweiligen zu überbrückenden Basalrate,<br />
Erfahrungen aus der »Vor-Insulinpumpen-Zeit« sind zu berücksichtigen. An die<br />
Möglichkeit des Überlappungseffektes nach Wiederanlegen der Insulinpumpe morgens<br />
ist zu denken. Das Verzögerungsinsulin Lantus ist zur Überbrückung einer lediglich<br />
nächtlichen Insulinpumpenpause wegen seiner langen Wirkdauer von ca. 24 Stunden<br />
nicht geeignet.<br />
Mehrtägige bzw. mehrwöchige Insulinpumpenpause<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Ein Verzicht auf die Insulinpumpen-Therapie während mehrerer Tage oder Wochen ist<br />
ebenfalls möglich. Für die Praxis empfiehlt es sich, auf das bewährte ICT-Schema vor<br />
Einsatz der Insulinpumpen-Therapie zurückzugreifen.<br />
Natürlich ist es sinnvoll, die neuen Erkenntnisse zu berücksichtigen, die während der<br />
Insulinpumpen-Therapie hinsichtlich Basalratenbedarf und tageszeitlich wechselnder<br />
Insulinempfindlichkeit gewonnen wurden. Generell zeigt die Erfahrung, dass der tägliche<br />
Gesamtinsulinbedarf unter ICT mit Spritze oder Pen meist um ca. 10% höher liegt<br />
als bei der Insulinpumpen-Therapie. Somit empfehlen sich in den ersten Tagen nach<br />
Umstellung häufigere Blutzuckerkontrollen. Grundsätzlich ist es ratsam, mit dem behandelnden<br />
Diabetologen ein ICT-Schema mit Normal- und NPH-lnsulin für alle Fälle<br />
zu erarbeiten.<br />
Von Roche Diagnostics wird ein von Dr. R. Renner (München) erstellter Rechenschieber<br />
angeboten, der, ausgehend vom Tagesinsulinbedarf unter der Insulinpumpen-Therapie,<br />
Hinweise zur Verteilung des Verzögerungs- und Mahlzeiteninsulins unter der ICT<br />
gibt.<br />
137
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
7.4 Autofahren und Insulinpumpe<br />
Zweckmäßigerweise sollten bei einer Neueinstellung auf die Insulinpumpen-Therapie<br />
Autofahrten erst durchgeführt werden, wenn es zu einer Stabilisierung des Blutzuckerverlaufs<br />
gekommen ist. Wir empfehlen daher keine Autofahrten während der<br />
Einstellungsphase in der Klinik. Später sollte vor jedem Fahrtantritt eine Blutzuckerkontrolle<br />
erfolgen, weitere Messungen sind alle zwei Stunden sinnvoll (»Boxenstop«).<br />
Der Blutzucker sollte beim Autofahren über 120 mg/dl bzw. 6,7mmol/l liegen.<br />
Im Falle einer Unterzuckerung muss natürlich die Fahrt sofort unterbrochen werden.<br />
Das Auto ist zu parken und der Motor abzustellen. Als »Notfallreserve« sind<br />
genügend schnelle BE (z.B. Cola, Traubenzucker) und langsame BE, z.B. TUC-Kräcker<br />
(3 Stück = 1 BE) unverzichtbar.<br />
Es ist darauf zu achten, dass der Sicherheitsgurt nicht über der Insulinpumpe bzw. über<br />
der Kathetereinstichstelle verläuft.<br />
138<br />
Während einer Autofahrt muss eine Unterzuckerung vermieden werden. Geeignete<br />
Vorsichtsmaßnahmen sind: Bolusverringerung, Basalratenabsenkung, Extra-BE, höherer<br />
Blutzuckerzielbereich, häufigere Blutzuckermessungen.<br />
7.5 Urlaub und Insulinpumpen-Therapie<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Die bessere Steuerbarkeit des Blutinsulinspiegels durch die Insulinpumpen-Therapie<br />
hat große Vorteile bei Urlaubsreisen. Das gilt besonders für Interkontinentalflüge mit<br />
Zeitverschiebung. Flexibilität in der Gestaltung der Mahlzeiten ist besonders in der Urlaubszeit<br />
wichtig, wenn es um die Verschiebung von Essenszeiten oder das Auslassen<br />
von Mahlzeiten geht. Selbstverständlich erfordert eine Urlaubsreise gezielte Planung,<br />
um ungetrübte Urlaubsfreuden zu gewährleisten. Erkrankung am Urlaubsort, Fluglot-<br />
139
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
senstreiks, Lawinenabgänge usw. können eine längere Verweildauer notwendig machen.<br />
Besonders Kathetermaterial, Pflaster, Teststreifen, Insulin, Insulinspritzen, Batterien<br />
sollten daher in ausreichender Menge mitgenommen werden. Im Falle eines<br />
Insulinpumpendefekts ist eine Ersatzinsulinpumpe hilfreich.<br />
Bei Verlust oder Defekt des Blutzuckermessgerätes kann der schönste Urlaub ein abruptes<br />
Ende finden. Dringend zu empfehlen sind daher für den Notfall Blutzuckerteststreifen<br />
mit der Möglichkeit der optischen Kontrolle oder ein zweites BZ-Messgerät.<br />
Im Rahmen des sogenannten Zwei-Insulinpumpen-Konzeptes wird von der<br />
Firma Roche Diagnostics für die Insulinpumpenmodelle H-TRONplus und D-TRONplus<br />
routinemäßig eine Zweitinsulinpumpe zur Verfügung gestellt. Diese sollte bei längerer<br />
Abwesenheit von Zuhause stets mitgenommen werden.<br />
Die Fa. Medtronic Minimed stellt auf Anfrage eine kostenpflichtige Ersatzinsulinpumpe<br />
für die Urlaubszeit zur Verfügung.<br />
Als weitere Materialien gehören ins Reisegepäck: Duschbeutel, Gewindestange für die<br />
Insulinpumpe H-TRONplus, Adapter für die Insulinpumpe D-TRONplus, sowie Pen oder<br />
Spritze, um die Zeiträume ohne Insulinpumpen-Therapie (z. B. Strand) überbrücken zu<br />
können.<br />
Bei Flugreisen kann man prinzipiell davon ausgehen, dass es zu keiner Funktionsstörung<br />
der vier auf dem deutschen Markt angebotenen Insulinpumpen durch Sicherheitskontrollen<br />
am Zoll kommt. Ebenso erfolgt keine Beeinflussung der Insulinpumpe<br />
durch die Bordelektronik und umgekehrt.<br />
Von den Herstellern der Insulinpumpen kann eine Bescheinigung bezogen werden,<br />
die den Reisenden als Insulinpumpenträger ausweist. In dieser Bescheinigung, die<br />
möglichst in der Sprache des jeweiligen Urlaubslandes verfasst sein sollte, muss auch<br />
das Verbrauchsmaterial (Spritzen, Katheter, Teststreifen etc.) Erwähnung finden. Eventuell<br />
sollte mit der jeweiligen Fluggesellschaft vor Reiseantritt Rücksprache genommen<br />
werden. Insulinpumpen-Verbrauchsmaterial sollte mit an Bord genommen werden,<br />
damit bei Verlust der Koffer keine Versorgungsprobleme entstehen.<br />
7.5.1 Das gehört in ein »Notfall-Täschchen«<br />
Bei mehrstündiger Abwesenheit von Zuhause, insbesondere bei auswärtiger Übernachtung,<br />
empfiehlt es sich, ein »Notfall-Täschchen« mitzunehmen, in dem die wichtigsten<br />
Insulinpumpenutensilien enthalten sind.<br />
Sollten Verbrauchsmaterialien nicht ausreichen oder im Urlaub entwendet werden,<br />
kann man sich über die Insulinpumpenfirmen Materialien nachschicken zu lassen.<br />
Roche Diagnostics bietet darüber hinaus Bezugsadressen für ihre Artikel weltweit. Bei<br />
einer Unterzuckerung sind Traubenzucker und evtl. Glukagon im Handgepäck unent-<br />
140<br />
Folgende Hilfsmittel sollten stets mitgeführt werden:<br />
● Traubenzucker (oder andere »schnelle« BE)<br />
● Blutzucker-Teststreifen (Stechhilfe, Tupfer, Blutzucker-Messgerät )<br />
● Insulinspritze (Insulinkonzentration beachten!) oder Pen<br />
● Material zum Katheterwechsel (Ersatzkatheter, Pflaster, Alkoholtupfer,<br />
Adapter für die Insulinpumpe D-TRONplus)<br />
● Ersatzbatterien<br />
● Ketonteststreifen<br />
Eventuell auch:<br />
● Glukagonspritze (bei erschwerter rechtzeitiger Wahrnehmung<br />
einer Unterzuckerung)<br />
Bei mehrtägiger Abwesenheit von Zuhause zusätzlich:<br />
● Insulinpumpenausweis in Landessprache (siehe Anhang)<br />
● Telefonnummer des betreuenden Insulinpumpenzentrums<br />
● neue Insulinampulle bzw. Insulinfläschen und Leerampulle<br />
● Zweit-Insulinpumpe<br />
● Evtl. Ersatzblutzuckermessgerät<br />
● Ersatzadapter, Gewindestange (für die Insulinpumpe H-TRONplus)<br />
Abb. 48: Checkliste für unterwegs<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
behrlich. Wenn möglich, sollte ein Angehöriger mit der Hypoglykämiebehandlung<br />
und den wichtigsten Insulinpumpenfunktionen vertraut sein.<br />
7.5.2 Krankheit im Urlaub<br />
Im Anhang dieses Buches finden Sie Notfallausweise in den Sprachen der wichtigsten<br />
Urlaubsländer. Fieberhafte Magen-Darm-Infekte mit beginnender Ketoazidose sind im<br />
Urlaub keine Seltenheit. Auf Diagnose und Therapie der Ketoazidose wird in Kapitel<br />
10 ausführlich eingegangen. Die <strong>Mit</strong>nahme spezieller Mineralkonzentrate (Elotransbeutel,<br />
Oralpädon) für den Fall einer Durchfallerkrankung ist empfehlenswert.<br />
Wird ein Krankenhausaufenthalt erforderlich, sollte man sich die Insulinpumpe nicht<br />
ohne weiteres wegnehmen lassen, sondern versuchen, die Insulinpumpen-Therapie<br />
gemeinsam mit dem zuständigen Arzt im Krankenhaus weiterzuführen. Die Insulinpumpenfirmen<br />
bieten eine Kurzfassung der Insulinpumpenbetriebsanleitung auch<br />
in englischer Sprache an, um Ärzten am Urlaubsort eine kurze Einführung in die Funktionsweise<br />
einer Insulinpumpe zu ermöglichen.<br />
141
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Tipp: Extreme Temperaturen<br />
Während eines Sommerurlaubs in südlichen Ländern, beim Aufenthalt in den Tropen, aber auch<br />
an heißen Tagen in <strong>Mit</strong>teleuropa können die Lufttemperaturen über 30ºC liegen. In solchen<br />
Fällen sind als Vorsichtsmaßnahmen zu empfehlen:<br />
● Die Insulinpumpe und das Schlauchsystem sollten nicht für längere Zeit direkter Sonneneinstrahlung<br />
ausgesetzt sein; eventuell ist die Insulinpumpe mit Neopren-Taschen zu schützen.<br />
● Die Insulinvorräte sind kühl zu lagern. Falls kein Kühlschrank vorhanden ist – eine Aufbewahrung<br />
im Gefrierfach bzw. in einem Tiefkühlschrank muss freilich unterbleiben - stellt die<br />
»Frio-Tasche« (Infos bei Frio C/-IPS Service Center, 50724 Köln, Tel.Nr. 0800 1817450) eine<br />
brauchbare Alternative dar. Das Prinzip dabei ist: Die Innentasche wird in kaltes Wasser getaucht,<br />
spezielle Kristalle bilden ein Gel und verursachen beim anschließenden Verdunstungsvorgang<br />
über viele Stunden eine ausreichende Kühlwirkung. Ein lästiges Hantieren<br />
mit Thermoskannen, Styroporbehältern, Kühlakkus o.ä. kann unterbleiben, es besteht keine<br />
Abhängigkeit vom elektrischen Strom. Eine beigefügte Außentasche hat nur Schutzfunktion.<br />
Nach Herstellerangaben kann bei 38ºC Außentemperatur Insulin für mehr als 45 Stunden<br />
ausreichend kühl aufbewahrt werden. Bestellungen und weitere Informationen unter<br />
der Tel.-Nr. 0800-181-7450 bzw. beim Versandhandel für Diabetikerbedarf.<br />
● Es ist zu bedenken, dass bei Sonneneinstrahlung die Temperatur im Innenraum eines Autos<br />
– auch im Kofferraum – deutlich höher als die Umgebungstemperatur sein kann.<br />
142<br />
7.5.3 Insulin im Ausland<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
● Bei höheren Lufttemperaturen, verstärkt durch ein gleichzeitiges Sonnenbad, kann Insulin<br />
schneller aus dem Unterhautfettgewebe in die Blutbahn abgegeben werden, d.h. Wirkbeginn<br />
und Wirkmaximum sind früher, die Wirkdauer ist kürzer. Folglich ist der Drück-Ess-Abstand<br />
zu verringern bzw. der Nahrungsbolus sollte erst während des Essens oder auch danach<br />
abgegeben werden.<br />
● Bei stärkerem Schwitzen kann sich das Pflaster zur Katheterbefestigung leichter ablösen;<br />
auch werden häufiger Hautreaktionen (Jucken, Rötungen, Entzündungen) beobachtet. Deshalb<br />
sollte bei übermäßiger Schweißbildung die Nadeleinstichstelle vermehrt kontrolliert<br />
werden, eventuell ist der Katheter häufiger zu wechseln.<br />
Insulin darf keinesfalls Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ausgesetzt werden, dadurch würde<br />
die Molekülstruktur zerstört werden. Gefrorenes und wieder aufgetautes Insulin ist biologisch<br />
unwirksam. Bei extremer Kälteeinwirkung (z.B. beim Skifahren) ist die Insulinpumpe am<br />
Körper zu tragen, damit sie vor Frost geschützt wird. Weiter darf Insulin bei niedrigen Außentemperaturen<br />
nicht für längere Zeit in einem parkenden Auto bzw. im Kofferraum aufbewahrt<br />
werden.<br />
Insulin, das nach extremen Temperaturschwankungen Trübungen bzw. Ausflockungen aufweist,<br />
ist unbrauchbar und darf keinesfalls mehr verwendet werden. Bei außergewöhnlichen<br />
klimatischen Verhältnissen ist eine größere Häufigkeit der Blutzuckerselbstkontrolle empfehlenswert.<br />
Auch ist auf eine richtige Handhabung und Lagerung der Teststreifen zu achten: geeigneter<br />
Temperaturbereich, Schutz vor Feuchtigkeit und Nässe, Aufbewahrung nur in Originalverpackungen.<br />
Wie bereits erwähnt ist es ratsam, im Ausland immer genügend Insulin mitzuführen.<br />
Wenn Sie Insulin in der Apotheke besorgen müssen, ist auf die richtige Insulinkonzentration<br />
zu achten. Bei U40-Insulin enthält 1 ml insgesamt 40 I.E. Insulin. Bei U100-Insulin<br />
ist es die 2,5-fache Menge, nämlich 100 I.E. Insulin je ml. Ist das benutzte Insulinpumpeninsulin<br />
(z.B. Insuman Infusat ) nicht erhältlich, kann konzentrationsgleiches<br />
Normalinsulin (englisch: »regular-insulin«) als Insulinpumpeninsulin verwendet werden.<br />
Abb. 49: Insulinkonzentrationen<br />
U40-Insulin: 1 ml enthält 40 I.E.<br />
U100-Insulin: 1 ml enthält 100 I.E.<br />
143
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
7.5.4 Zeitverschiebung<br />
Bei Flügen über mehrere Zeitzonen wird der Tag in Ost-West-Richtung länger (Frankfurt<br />
– New York), bei Flügen in West-Ost-Richtung kürzer (Frankfurt-Bombay). Durch<br />
diese Zeitverschiebung und Veränderung des Schlaf-Wach-Rhythmus kommt es zu einer<br />
langsamen Änderung der anfangs beschriebenen Biorhythmik der kontrainsulinären<br />
Hormone. Dies gilt besonders für Patienten mit ausgeprägter Schwankung der<br />
Insulinempfindlichkeit im Tagesverlauf. Bekannterweise stellt sich die körpereigene<br />
»innere Uhr« erst innerhalb von einigen Tagen auf den neuen Rhythmus ein. Studien<br />
haben ergeben, dass die Umstellung bei Flügen in West-Ost-Richtung schneller geschieht<br />
als bei Flügen in Ost-West-Richtung.<br />
Wenig bzw. keine Probleme gibt es bei Zeitverschiebungen von höchstens zwei bis<br />
drei Stunden.<br />
Bei Interkontinentalflügen hat es sich bewährt, die Insulinpumpenuhr täglich um 2<br />
Stunden der Ortszeit anzunähern. Alternativ kann ebenfalls folgendermaßen vorgegangen<br />
werden: Für die erste Nacht nach der Ankunft wird eine konstante Basalrate<br />
einprogrammiert, die die <strong>Mit</strong>te des ersten Gipfels und des vormittäglichen Tales repräsentiert.<br />
Nicht vergessen: Vor der Programmierung der konstanten Basalrate sollte<br />
die bisherige Basalrate der Insulinpumpe aufgeschrieben werden! Während der ersten<br />
Zeit mit der geänderten Basalrate ist es notwendig, den Blutzucker häufig zu kontrollieren<br />
und ggf. Boluskorrekturen vorzunehmen. Innerhalb von zwei bis drei nachfolgenden<br />
Tagen erfolgt langsam der Aufbau zur gewohnten Basalrate. Eine andere Variante<br />
ist, bei Zeitverschiebungen vorübergehend bewusst eine niedrigere Basalrate<br />
einzustellen. Dadurch wird das Unterzuckerungsrisiko geringer, aber gleichzeitig eine<br />
kurzfristige Verschlechterung der BZ-Werte in Kauf genommen.<br />
144<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
WICHTIG: Bei Flugreisen muss unbedingt darauf geachtet werden, dass bei der<br />
Insulinpumpe H-TRONplus die roten Verschlussstücke des Adapters nicht aufgesetzt<br />
sind. Dadurch ist der Druckausgleich zwischen Umgebung und Ampullenfach gewährleistet.<br />
Ansonsten besteht die Gefahr einer unkontrollierten, übermäßigen Insulinabgabe<br />
mit massiver Hypoglykämieneigung.<br />
7.6 Ambulante Weiterbetreuung<br />
Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die Insulinpumpe keine Garantie für eine optimale<br />
Blutzuckereinstellung. In der Praxis sehen wir immer wieder Insulinpumpenträger mit<br />
zum Teil deutlich erhöhten HbA 1c -Werten. Studienergebnisse zeigen, dass die Insulinpumpen-Therapie<br />
nur dann der Spritzenbehandlung nach dem Basis-Bolus-Konzept<br />
(unabhängige Gabe von Kurzzeitinsulin und Verzögerungsinsulin) bezüglich der<br />
HbA 1c -Werte überlegen ist, wenn die Insulinpumpenträger entsprechend motiviert<br />
sind, wenn sie die Selbstkontrollen regelmäßig durchführen und wenn sie eine gezielte<br />
Bolusgabe nach aktuellen Gegebenheiten vornehmen. Auf einen Nenner gebracht:<br />
<strong>Mit</strong> der Insulinpumpe kann genauso »geschlampt« werden wie mit jeder anderen Insulintherapie.<br />
Die Ursachen und Folgen einer mangelnden Motivation sind sicher vielfältig.<br />
Ursachen<br />
● beruflicher und privater Stress<br />
● mangelnde Unterstützung und Anerkennung<br />
● Ablehnung der Insulinpumpe<br />
● Ablehnung des <strong>Diabetes</strong> an sich<br />
● psychische Probleme<br />
Folgen<br />
● keine Dokumentation der Blutzuckerwerte<br />
● Vernachlässigung der Selbstkontrollen (Blutzucker und Azeton)<br />
● unsystematische Bolusgabe<br />
● kein Überdenken der eigenen Ergebnisse<br />
● zu seltener Katheterwechsel<br />
Abb. 50: Ursachen und Folgen von Motivationsproblemen (Beispiele)<br />
145
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
In jedem Fall sollte die Insulinpumpe »integriert sein im Gesamtkonzept des Lebens«.<br />
Der Insulinpumpenträger muss die Insulinpumpe »vom Kopf her wollen« und mit ihr<br />
»vom Herz her einverstanden sein« (Zitate Prof. Dr. Frank, Neunkirchen). Widerstände<br />
gegen eine Insulinpumpen-Therapie sollten vorher ausgiebig in Gesprächen mit dem<br />
Lebenspartner und dem betreuenden Arzt geklärt werden (siehe Kapitel 7.2).<br />
Die Insulinpumpe nimmt dem Diabetiker seine Verantwortung bezüglich der Selbstkontrolle<br />
und der Dosisanpassung keineswegs ab. Die vereinfachte Insulinabgabe und<br />
das Vertrauen in die Technik verführen allerdings dazu, es mit den Kontrollen im Alltag<br />
nicht mehr so genau zu nehmen.<br />
Aus diesem Grund sollte sich jeder Insulinpumpenträger einen diabeteserfahrenen<br />
Arzt seines Vertrauens suchen, bei dem er regelmäßig alle drei Monate seine HbA 1c -<br />
Kontrollen sowie Untersuchungen entsprechend dem Gesundheitspass <strong>Diabetes</strong><br />
durchführen lässt. Günstig ist ein Arzt, der Verständnis für die spezifischen Bedürfnisse<br />
des Insulinpumpenträgers aufbringt, der einfühlsam zuhören und mit praxistauglichen<br />
Tipps immer wieder neu motivieren kann.<br />
Fragen Sie nach bei Ihrem Arzt!<br />
Lassen Sie die Werte in den Gesundheitspass <strong>Diabetes</strong> eintragen.<br />
Gesundheits-Pass <strong>Diabetes</strong><br />
146<br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Allgemeines Körpergröße: .....................<br />
Gewicht: .....................<br />
<strong>Diabetes</strong> bekannt seit: .....................<br />
Blutzucker HbA 1c -Wert (Langzeitzuckerwert): .....................<br />
Blutdruck Blutdruckwert:<br />
Blutzuckerwert nüchtern: .....................<br />
Blutzuckerwert nach dem Essen: .....................<br />
Behandlung wegen Bluthochdruck? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Blutfette Gesamt-Cholesterin: .....................<br />
HDL / LDL-Cholesterin: .....................<br />
Triglyceride nüchtern: .....................<br />
Rauchen Nikotinkonsum? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Wenn ja, wie viele Zigaretten pro Tag? .....................<br />
Unterzuckerung Zahl der Unterzuckerungen pro Woche? ca. ................<br />
nächtliche Unterzuckerungen? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Unterzuckerungen mit Hilflosigkeit? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Folgeerkrankungen Folgeerkrankungen wegen des <strong>Diabetes</strong>? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Wenn ja, welche? ...................................................................<br />
...............................................................................................<br />
Niere Micraltest positiv? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Nerven Stimmgabeltest zu niedrig? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Augen regelmäßige Kontrolle? ❏ Ja ❏ Nein<br />
Abb. 51: Fragen zum Gesundheitspass <strong>Diabetes</strong><br />
weitere: .................................................................................<br />
...............................................................................................<br />
147
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Wo stehen Sie? Bitte kreuzen Sie die Spalte mit Ihrem Wert an!<br />
148<br />
Gut Mäßig Schlecht<br />
(geringes Risiko) (erhöhtes Risiko) (hohes Risiko)<br />
HbA 1c in % ❐ bis 6,5 ❐ bis 7,5 ❐ mehr als 7,5<br />
(»Langzeitzucker«)<br />
Nüchtern-Blutzucker<br />
mg/dl<br />
mmol/l<br />
bis 110<br />
❐<br />
bis 6,0<br />
bis 125<br />
❐<br />
bis 7,0<br />
mehr als 125<br />
❐<br />
mehr als 7,0<br />
Blutzucker nach dem<br />
Essen (postprandial)<br />
mg/dl<br />
mmol/l<br />
bis 135<br />
❐<br />
bis 7,5<br />
bis 160<br />
❐<br />
bis 9,0<br />
mehr als 160<br />
❐<br />
mehr als 9,0<br />
Blutdruck<br />
mmHg ❐ bis 130/80 ❐ bis 140/85 ❐ mehr als 140/85<br />
Cholesterin<br />
mg/dl<br />
mmol/l<br />
bis 185<br />
❐<br />
bis 4,8<br />
bis 230<br />
❐<br />
bis 6,0<br />
über 230<br />
❐<br />
über 6,0<br />
HDL-Cholesterin<br />
(»gutes« Cholesterin)<br />
mg/dl<br />
mmol/l<br />
mehr als 46<br />
❐<br />
mehr als 1,2<br />
39 - 46<br />
❐<br />
1,0 - 1,2<br />
weniger als 39<br />
❐<br />
weniger als 1,0<br />
LDL-Cholesterin<br />
(»schlechtes« Cholesterin)<br />
mg/dl<br />
mmol/l<br />
bis 115<br />
❐<br />
bis 3,0<br />
bis 155<br />
❐<br />
bis 4,0<br />
mehr als 155<br />
❐<br />
mehr als 4,0<br />
Triglyceride<br />
mg/dl<br />
mmol/l<br />
bis 150<br />
❐<br />
bis 1,7<br />
bis 200<br />
❐<br />
bis 2,2<br />
mehr als 200<br />
❐<br />
mehr als 2,2<br />
Micraltest ❐ negativ ❐ leicht positiv ❐ deutlich positiv<br />
Rauchen ❐ Nicht Rauchen ❐ Rauchen<br />
Angelehnt an die Richtlinien der Europäischen <strong>Diabetes</strong>gesellschaft (1999)<br />
Bei Vorliegen von bestimmten Folgeerkrankungen oder anderen Erkrankungen können<br />
abweichende Zielwerte notwendig sein.<br />
Abb.52: Risiko-Check bei <strong>Diabetes</strong><br />
7. Leben mit der Insulinpumpe<br />
Ein Insulinpumpenexperte in einer Fachambulanz oder einer Schwerpunktpraxis in der<br />
nächst größeren Stadt kann bei Problemen mit Basalrate, Bolusgabe, Katheter oder<br />
anderen Insulinpumpentypischen Besonderheiten weiterhelfen. Bei Folgeerkrankungen<br />
wie Nephropathie (Nierenerkrankung), Retinopathie (Augenerkrankung), Neuropathie<br />
(Nervenerkrankung), erektile Dysfunktion (Impotenz) und Angiopathie (Herzund<br />
Gefäßerkrankungen) müssen gegebenenfalls Fachärzte in die Behandlung mit<br />
einbezogen werden. Psychische Probleme, die in den meisten Fällen für eine HbA 1c -<br />
Verschlechterung mit verantwortlich sind, bedürfen ebenfalls einer entsprechenden<br />
Aufmerksamkeit und eventuell Behandlung durch einen Psychologen oder Psychotherapeuten<br />
Ihres Vertrauens (siehe Psychotherapieführer für Menschen mit <strong>Diabetes</strong>,<br />
Adresse Kapitel 15.2).<br />
149
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
8.1 Einflussgrößen bei Muskelarbeit<br />
Bei körperlicher Aktivität denken wir natürlich in erster Linie an Sport. Dazu gehören<br />
jedoch auch ganz alltägliche Dinge wie Spaziergänge, Einkaufen, Hausarbeit und<br />
Hausputz, Gartenarbeit, Tanzen und Kegeln. Typ-1-Diabetiker müssen bei jeder Form<br />
von Muskelarbeit verschiedene Einflüsse berücksichtigen: Wann wurde zuletzt Insulin<br />
gespritzt und wie viel Insulin? Wann wurde zuletzt gegessen? – um nur das Wichtigste<br />
zu nennen. Daneben sind der aktuelle Trainingszustand, die Belastungsart, die Belastungsstärke<br />
sowie die Belastungsdauer zu bedenken. Ein großer Vorteil der Insulinpumpen-Therapie<br />
bei körperlicher Aktivität ist die »maßgeschneiderte« Basalrate.<br />
Wurde die Basalrate durch gezielte Mahlzeitenauslassversuche geprüft, liegen zu keinem<br />
Zeitpunkt des Tages erhöhte Basalinsulinspiegel vor. Dies ist eine wichtige Voraussetzung<br />
zur Vermeidung von Hypoglykämien bei Muskelarbeit. Abb. 53 zeigt die<br />
Insulinausschüttung der gesunden Bauchspeicheldrüse mit und ohne körperliche Aktivität.<br />
Beim Nichtdiabetiker kommt es unmittelbar nach Beginn der Muskelarbeit zu einem<br />
Absinken der körpereigenen Insulinausschüttung bis auf ca. 40 % der normalen Basissekretionsrate.<br />
Dadurch fällt der Insulinspiegel im Blut ab. Eine starke Blutzuckersenkung<br />
und damit die Gefahr einer Unterzuckerung werden somit verhindert. Bei Muskelarbeit<br />
ist die Muskelzelle wesentlich insulinempfindlicher als unter Ruhebedingungen.<br />
Es wird also weniger Insulin benötigt, um den Zuckereinstrom in die Zellen zu<br />
gewährleisten. Darüber hinaus haben geringe Insulinspiegel im Blut die vermehrte<br />
Zuckerfreisetzung und -neubildung in der Leber zur Folge. Die Leber ist ein wichtiger<br />
Zuckerspeicher des Körpers. Eine vermehrte Zuckerfreisetzung aus der Leber erfolgt<br />
jedoch nur bei niedrigen Insulinspiegeln.<br />
Für insulinbehandelte Diabetiker ergeben sich daraus folgende Zusammenhänge: Bei<br />
hohem Insulinspiegel zum Zeitpunkt der körperlichen Aktivität kommt es zu einer<br />
starken Blutzuckersenkung. Der Zuckereinstrom in die Muskelzellen ist deutlich gesteigert.<br />
Die Zuckerfreisetzung und -neubildung in der Leber ist dagegen blockiert.<br />
Hinsichtlich der Unterzuckerungsgefahr bei körperlicher Aktivität heißt dies:<br />
150<br />
Erhöhte Hypoglykämiegefahr bei hohen Insulinspiegeln!<br />
6.00<br />
Abb. 53: Insulinausschüttung beim Nichtdiabetiker<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Dem Ausgangsinsulinspiegel bzw. der Insulindosisreduktion kommt somit bei körperlicher<br />
Aktivität eine wesentliche Bedeutung zu. Die Insulindosisreduktion kann bei der<br />
Insulinpumpen-Therapie sowohl über den Bolus wie auch über die Basalrate erfolgen.<br />
Der Insulinspiegel im Blut kann natürlich auch in einigen Fällen zu gering sein, z.B. bei<br />
übermäßiger Insulindosisverringerung, nach längerer Insulinpumpenpause oder im<br />
Falle eines Katheterdefektes. Es kommt dann zu einer vermehrten Bereitstellung von<br />
Zucker aus der Leber und damit zu einem Blutzuckeranstieg trotz körperlicher Aktivität.<br />
Der Insulinspiegel im Blut ist für den Blutzuckerverlauf bei<br />
körperlicher Aktivität von wesentlicher Bedeutung!<br />
Empfehlungen<br />
12.00 18.00 24.00<br />
6.00<br />
Uhr<br />
Mahlzeiteninsulin basale Sekretion<br />
Kurzfristige Aktivitäten bis zu maximal einer Stunde Dauer bedürfen in der Regel keiner<br />
Absenkung der Basalrate. Bei geplanter Muskelarbeit nach einer Mahlzeit ist eine<br />
Bolusreduktion ausreichend, bei spontanen Aktivitäten genügen zusätzliche »Sport-<br />
BE«. Pro 30 Minuten mittlerer Belastung ist eine »Sport-BE« einzuplanen. Als geeignete<br />
»schnelle BE« haben sich Traubenzucker, Fruchtsaft und normale Cola bewährt.<br />
Als »langsame BE« für den Ausdauersport eignen sich Brot, Obst und Schokoriegel<br />
(z. B. 1 Hanuta = 1 BE).<br />
Ist körperliche Aktivität unmittelbar nach einer Mahlzeit geplant, erfolgt die Insulindosisreduktion<br />
sehr effektiv über eine Verringerung des Mahlzeitenbolus (ca. 50 %<br />
oder mehr). Dauert die körperliche Bewegung länger als zwei Stunden an, kann zusätzlich<br />
die Basalrate abgesenkt werden. Bei der Verwendung von Normalinsulin in<br />
151
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
der Insulinpumpe ist es hierbei wichtig, die Basalrate bereits ca. 2 Stunden vor der geplanten<br />
Aktivität abzusenken. Als Faustregel hat sich bei mittelschwerer körperlicher<br />
Belastung eine Basalratenreduktion um ca. 50 % bewährt. Längerdauernde Sportaktivitäten,<br />
z. B. eine Tageswanderung, Fahrradausflug oder Langlauftour, erfordern eine<br />
Absenkung über einen entsprechend längeren Zeitraum. In aller Regel muss dann<br />
auch in der darauffolgenden Nacht die Basalrate gesenkt werden. Leber und Muskulatur<br />
füllen nach einem anstrengenden Sporttag in der Nacht ihre Zuckerspeicher wieder<br />
auf. Dies geht natürlich auf Kosten des Blutzuckers, gefährliche Hypoglykämien in<br />
den Nachtstunden können die Folge sein.<br />
Sport wirkt nach !!!<br />
8.2 Spontane körperliche Aktivität<br />
Menschen ohne <strong>Diabetes</strong>erkrankung brauchen vor jeglicher Art von körperlicher<br />
Tätigkeit nicht darüber nachzudenken, was zu tun ist, damit der Blutzucker während<br />
der Muskelarbeit im Bereich von ca. 60 -160 mg/dl bleibt. Dies trifft für Menschen mit<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht mehr zu, unabhängig davon, ob Insulin mit Spritze, Pen oder Insulinpumpe<br />
zugeführt wird. Stattdessen muss der Diabetiker selbst den Ausfall der<br />
körpereigenen Regulationsmechanismen bezüglich Blutzuckersteuerung übernehmen.<br />
Er hat Sorge dafür zu tragen, dass die zahlreichen Einflussgrößen für die Blutzuckerhöhe<br />
geeignet aufeinander abgestimmt sind, so dass der Blutzuckerwert annähernd<br />
im Normalbereich gehalten werden kann.<br />
Die Insulinwirkung an der Zelle ist dem jeweiligen Bedarf anzupassen: ein »zu viel« an<br />
Insulin bedingt einen Blutzuckerabfall, ein »zu wenig« kann zu einem Blutzuckeranstieg<br />
führen. Daher gilt für Menschen mit einer Insulinbehandlung:<br />
»Bevor der Körper bewegt wird, sollte sich der Geist bewegen«<br />
oder anders ausgedrückt:<br />
Erst denken, dann bewegen !<br />
Durch eine Insulinpumpenbehandlung wird dieses Denken insofern erleichtert, weil<br />
nur eine Insulinsorte mit relativ kurzer Wirkungsdauer zum Einsatz kommt und weil<br />
eine Trennung zwischen Basalbedarf und Nahrungsbedarf besteht bzw. anzustreben<br />
ist.<br />
Kommt es spontan ohne vorherige Planung und folglich ohne Verringerung der üblichen<br />
Insulinmenge (Bolus oder/und Basalrate) zu einer körperlichen Aktivität von mindestens<br />
15 Minuten oder länger, so ist mit einem nennenswerten Blutzuckerabfall zu<br />
rechnen. <strong>Mit</strong> zunehmender Dauer der Muskelarbeit erhöht sich das Risiko einer Un-<br />
152<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
terzuckerung, und es müssen rechtzeitig Extra-BE gegessen bzw. getrunken werden,<br />
um dieser Gefahr entgegenzuwirken. Wie viele zusätzliche Kohlehydrate erforderlich<br />
sind, hängt von zahlreichen Bedingungen ab. Wesentlich sind:<br />
● Dauer der Muskelarbeit: Je länger, desto mehr<br />
● Insulinspiegel im Blut: Je höher, desto mehr<br />
● Blutzuckerausgangswert: Je niedriger, desto mehr<br />
● Intensität der Aktivität: Je anstrengender, desto mehr<br />
● Trainingszustand: Je untrainierter, desto mehr<br />
● Vorerfahrungen: Je unüblicher, desto mehr<br />
● Gefährlichkeit der Aktivität: Je risikoreicher, desto mehr<br />
Gerade die Bedeutung der Höhe des Insulinspiegels wird nach unseren Erfahrungen<br />
immer wieder unterschätzt. Wichtige Zusammenhänge für das praktische Vorgehen<br />
sind in Abb. 54 dargestellt. Der jeweils notwendige Insulinbedarf im Blut ist nicht bekannt<br />
und kann nur erahnt werden. Die angegebenen BE-Mengen in Spalte 3 beziehen<br />
sich auf den durchschnittlichen zusätzlichen Bedarf an Kohlehydraten pro Stunde<br />
ungeplanter körperlicher Aktivität.<br />
153
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Höhe des Insulinspiegels Auswirkung der Notwendigkeit von<br />
im Blut Aktivität auf den Zusatz-Maßnahmen<br />
Blutzuckerverlauf<br />
viel höher als der Bedarf starker BZ-Abfall reichlich Zusatz-BE<br />
(z.B. 2 - 3 BE/Std.)<br />
etwas höher als der Bedarf geringer BZ-Abfall eher wenig Zusatz-BE<br />
(z.B. 1 BE/Std.)<br />
dem Bedarf angemessen stabiler BZ-Verlauf keine Zusatz-BE<br />
deutlich niedriger als der Bedarf BZ-Anstieg! geringer Extra-Bolus<br />
(z.B 0,5 - 1 I.E./Std)<br />
Abb. 54: Bedeutung des Insulinspiegels bei spontaner Muskelarbeit<br />
Will man die Aussagen in Abb. 54 konkretisieren in Bezug auf Bolusgabe und Basalrate,<br />
so heißt dies:<br />
● Findet die spontane körperliche Aktivität während der Maximalwirkung<br />
eines Bolus statt, d.h. bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon in<br />
der Insulinpumpe 1- 2 Stunden nach der Bolusgabe und unter Normalinsulin<br />
1,5 - 3 Stunden danach, so ist mit einem deutlichen Blutzuckerabfall zu rechnen.<br />
● Erfolgt die ungeplante Muskelarbeit während eines Zeitraumes, in dem kein<br />
Bolusinsulin, sondern nur die Basalrate wirksam ist, so ist nur eine relativ geringe<br />
Blutzuckersenkung zu erwarten.<br />
Eine weitere Empfehlung ist uns wichtig: Bei körperlicher Tätigkeit sollten wie in anderen<br />
Sondersituationen eher leicht erhöhte Blutzuckerwerte in Kauf genommen<br />
werden, statt sich durch zu niedrige Blutzuckerspiegel einer größeren Unterzuckerungsgefahr<br />
auszusetzen.<br />
Es gilt hierbei die »Was wäre wenn«-Überlegung:<br />
● Was wäre, wenn der Blutzucker in Sondersituationen deutlich ansteigt?<br />
Antwort: Der Blutzucker wäre vermutlich nur kurzfristig erhöht; er ließe sich<br />
anschließend rasch korrigieren; ausgeprägte unangenehme Konsequenzen, insbesondere<br />
bezüglich Folgeerkrankungen wären vermutlich nicht zu befürchten; d.h.<br />
die kurzfristige Blutzuckererhöhung wäre ziemlich harmlos.<br />
154<br />
● Was wäre, wenn der Blutzucker in Sondersituationen übermäßig abfällt?<br />
Antwort: Es könnte zu einer Unterzuckerung kommen, die unter Umständen nur<br />
schlecht, vielleicht auch zu spät wahrgenommen wird; es könnte zu einer Beeinträchtigung<br />
des Denk- und Handlungsvermögens führen; es könnte sogar zu einer<br />
Hilflosigkeit und in seltenen Fällen zu einer Bewusstlosigkeit kommen. Kurz: Es<br />
könnte sich eventuell eine sehr gefährliche Situation entwickeln.<br />
Diese Zusammenhänge legen die Empfehlung nahe, bei spontaner, unüblicher körperlicher<br />
Aktivität leicht erhöhte Blutzuckerwerte vorübergehend und kurzfristig zuzulassen.<br />
Also: Bei ungeplanter Muskelarbeit großzügige sowie rechtzeitige Zufuhr<br />
von Extra-BE in Form von kohlenhydrathaltigem Essen oder/und Trinken.<br />
Beispiel A: Spontaner Spaziergang am Vormittag<br />
Frau A. wird von einer Freundin morgens nach dem Frühstück überraschend zu einem<br />
Spaziergang mit Stadtbummel (viel Gehen!) eingeladen. Um 8.30 Uhr hatte sie 4 BE<br />
gegessen und dafür wie üblich 6 I.E. als Bolus gegeben. Ihr Pumpeninsulin ist Humalog.<br />
Um 9.30 Uhr wollen die beiden die Einkaufstour mit offenem Ende beginnen. Wie<br />
soll sich Frau A. nach dem Anruf um 9.10 Uhr verhalten?<br />
Ein möglicher Verlauf wäre: Noch zu Hause isst sie einen Apfel von 1 BE extra als Zusatz-BE.<br />
Gegen 10.30 Uhr, also nach einer Stunde, machen die beiden eine Kaffeepause;<br />
dabei isst Frau A. ein Gebäckstück mit ca. 2 BE. Üblicherweise (ohne Bewegung)<br />
würde sie dafür einen Bolus von 2,5 I.E. setzen. Diesen verringert sie bewusst und gibt<br />
nur einen Bolus von 1 I.E. Gegen 11.00 Uhr entscheiden sie sich spontan, für eine weitere<br />
Stunde im Park spazieren zu gehen, da mittlerweile die Sonne scheint. Ungefähr<br />
um 11.30 Uhr misst Frau A. ihren Blutzucker und entscheidet je nach Ergebnis über das<br />
weitere Vorgehen.<br />
Bemerkung: Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, um 9.15 Uhr direkt nach dem Anruf<br />
die Basalrate auf ca. 50 % abzusenken (bei den Insulinpumpen H-TRONplus bzw.<br />
D-TRONplus möglich) oder eine entsprechende konstante Alternativ-Basalrate einzuprogrammieren<br />
(Pumpenmodelle von Medtronic Minimed); die Zusatz-BE gegen 10.30<br />
Uhr hätte dann entfallen können. Die Extra-BE um 9.15 Uhr ist jedoch notwendig, da<br />
der Insulinwirkspiegel um diese Zeit wegen des üblichen Frühstückbolus bei gleichzeitiger<br />
körperlicher Aktivität als zu hoch angenommen werden muss.<br />
Beispiel B: Ungeplanter Spaziergang am Nachmittag<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Frau B. entscheidet kurzfristig nach Dienstschluss um 16.30 Uhr, noch für ca. 1,5 Stunden<br />
mit einem Bekannten im Stadtwald spazieren zu gehen; erfahrungsgemäß legen<br />
sie dabei eine größere Wegstrecke zurück. Die letzte Bolusgabe von 3 I.E. Humalog<br />
155
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
war gegen 12.00 Uhr zum <strong>Mit</strong>tagessen, d.h. der Insulinwirkspiegel bei Beginn der körperlichen<br />
Aktivität wird ausschließlich durch die korrekt ermittelte Basalrate bestimmt.<br />
Eine stärkere Unterzuckerungsgefahr durch Muskeltätigkeit ist in dieser Phase<br />
nicht zu befürchten. Deshalb isst Frau B. vorab nur eine Mandarine (ca. 0,5 BE) zusätzlich.<br />
Diese Beispiele wollen verdeutlichen: Für vergleichbare körperliche Aktivität ist auch<br />
die Tageszeit, genauer der Insulinwirkspiegel im Blut von wesentlicher Bedeutung. Die<br />
Begleitumstände sind wichtig. Der Bedarf an Zusatz-BE bei ungeplanter Muskelarbeit<br />
ist davon abhängig.<br />
Bei einer spontanen körperlichen Aktivität von weniger als 15 Minuten ist im allgemeinen<br />
kein wesentlicher Blutzucker-Abfall zu erwarten. Besondere Vorsorgemaßnahmen<br />
wie Zufuhr von Extra-BE sind in diesem Fall nicht erforderlich.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine ungeplante längerfristige körperliche Aktivität<br />
birgt immer das Risiko einer Unterzuckerung. Dieser Gefahr ist rechtzeitig und<br />
großzügig durch Extra-BE entgegenzuwirken. Eher sollte ein kurzfristiger Blutzuckeranstieg<br />
toleriert werden. Demnach erfordert ungeplante Muskeltätigkeit zusätzliche<br />
Nahrungszufuhr. Falls in diesem Zusammenhang häufiger größere Kalorienmengen<br />
aufgenommen werden, besteht ein erhöhtes Risiko für eine Gewichtszunahme.<br />
Betrachtet man die bisherigen Ausführungen dieses Kapitels und überdenkt man die<br />
Empfehlungen der beiden Beispiele, so kann man bemängeln: Der Aspekt »häufigeres<br />
Messen« wird zu wenig betont. Deshalb einige Klarstellungen:<br />
Regelmäßige Blutzuckerselbstkontrolle ist eine fundamental wichtige Maßnahme für<br />
eine erfolgreiche, situationsangepasste Blutzuckersteuerung – dies gilt insbesondere<br />
für die Insulinpumpen-Therapie. Ohne Kenntnis des aktuellen Blutzuckerwertes ist<br />
eine gezielte Bolusgabe nicht möglich. Untersuchungen haben gezeigt, dass die zu seltene<br />
und zu unsystematische Blutzuckermessung einer der wichtigsten Gründe für<br />
eine unzureichende Stoffwechseleinstellung bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ist.<br />
Andererseits zeigt die Erfahrung – gerade auch beim Insulinpumpenträger – dass mitunter<br />
ohne zwingende Notwendigkeit unangebracht häufig der Blutzucker bestimmt<br />
wird. Gleichzeitig wird versäumt, das Ergebnis kritisch zu hinterfragen. Nicht der Blutzuckerwert<br />
allein ist wichtig, sondern auch die Antwort auf die Frage:<br />
156<br />
Warum ist der Blutzucker so, wie er ist?<br />
Es wird davor gewarnt, nur aufgrund des Blutzuckerwertes Automatismen des Handelns<br />
abzuleiten; stets sind gleichzeitig weitere Rahmenbedingungen wie Boluswirkdauer,<br />
Insulinspiegel im Blut, Blutzuckertrend, letzte Nahrungsaufnahme, psychische<br />
Gegebenheiten, Unterzuckerungsrisiko usw. mit zu beachten. Die Blutzuckerselbstkontrolle<br />
darf nicht zum Alibi werden, das Hinterfragen der Ergebnisse zu unterlassen.<br />
Sie ist kein Ersatz für das Nachdenken, sondern die Voraussetzung dafür.<br />
Nimmt man als weiteren Gesichtspunkt die Erfahrung als Grundlage jeglichen Handelns<br />
dazu, so erhält man drei wichtige »Säulen« für eine erfolgreiche Blutzuckersteuerung<br />
bei körperlicher Aktivität<br />
Messen – Denken – Ausprobieren<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Dazu benötigt man noch ein bisschen Glück und das Bewusstsein, dass nicht alles beherrschbar<br />
und machbar ist.<br />
Beispiel C: Fehlverhalten durch Überbewertung eines Messwertes<br />
ohne gleichzeitiges Nachdenken<br />
Herr S. hat kurzfristig entschieden, 1 Stunde nach dem Frühstück für ca. 2 Stunden im<br />
Garten zu arbeiten. Gewissenhaft ermittelt er vorher seinen Blutzuckerwert und misst<br />
220 mg/dl. Was soll er tun?<br />
● Möglichkeit A: Nichts essen?!<br />
Diese Entscheidung ist naheliegend, wenn nur die Blutzuckerhöhe bedacht wird<br />
und andere Rahmenbedingungen wie letzter Bolus, Blutzuckerwert vor letztem<br />
Essen, Art und BE-Menge der letzten Mahlzeit unberücksichtigt bleiben.<br />
● Möglichkeit B: Trotzdem essen?!<br />
Dies wäre in folgendem Fall empfehlenswert: Der Nüchternwert war 80 mg/dl, deshalb<br />
hat Herr S. den üblichen Bolus (Humalog als Pumpeninsulin) erst nach dem<br />
Frühstück gesetzt. Das Frühstück bestand aus relativ rasch resorbierbaren Kohlehydraten:<br />
ein normales Brötchen mit Marmelade und ein Glas Saft. Der Wert von<br />
220 mg/dl ist Ausdruck des schnellen Blutzuckeranstiegs nach dem Frühstück (hoher<br />
glykämischer Index!) und des relativ späten Anflutens des Insulinbolus. Auch<br />
ohne körperliche Aktivität wäre innerhalb der nächsten beiden Stunden ein deutlicher<br />
Blutzuckerabfall zu erwarten. Also: Eine Extra-BE vor Beginn der Gartenarbeit<br />
ist dringend angezeigt. Die Blutzuckerselbstkontrolle verleitet hier sogar zu<br />
einem falschen Verhalten. Günstiger wäre es in diesem Beispiel, vor Beginn der<br />
Arbeit oder auch erst nach ca. 15 - 30 min ca. 1- 2 BE zu essen und dann nach einer<br />
weiteren Stunde den Blutzucker erstmals zu messen. Dieser Wert wäre aussagekräftiger,<br />
weil er die Blutzuckersituation gegen Ende der Wirkdauer des Frühstücksbolus<br />
beschreibt.<br />
157
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Ausgehend von diesem Beispiel lässt sich verallgemeinern: Vor einer spontanen, längerfristigen<br />
körperlichen Aktivität, die etwa 1 Stunde nach dem Essen beginnt, hilft<br />
eine Blutzuckermessung nicht viel weiter, um zu entscheiden, ob und wie viel Extra-BE<br />
angebracht sind. Sie ist ja auch lästig, schmerzhaft und verursacht Kosten. Wesentlich<br />
sind in diesem Fall die zusätzlichen Rahmenbedingungen (siehe oben). Wenn es jedoch<br />
darum geht, die eigenen Gesetzmäßigkeiten der Blutzuckersteuerung kennenzulernen,<br />
hat die Blutzuckerbestimmung 1 Stunde nach einer Mahlzeit durchaus ihre<br />
Berechtigung. Also: « Es kommt darauf an«.<br />
158<br />
Zwei weitere Bemerkungen:<br />
● Bei jeglicher körperlicher Aktivität,<br />
speziell auch bei ungeplanter Muskelarbeit,<br />
ist es unabdingbar, geeignete<br />
»Not-BE« für eine Unterzuckerung<br />
griffbereit dabei zu haben (z.B. in Form<br />
von Traubenzuckertäfelchen).<br />
Sollte dies nicht möglich sein, beispielsweise<br />
bei Schwimmen oder Kampf-<br />
Sport, müssen Vorsorgemaßnahmen<br />
getroffen werden, die eine Hypoglykämie<br />
sicher verhindern; dann also: sehr<br />
großzügige Zufuhr von Extra-BE und<br />
vorheriges Messen.<br />
● Eine Dokumentation der eigenen Erfahrungen<br />
hilft bei allen Sondersituationen,<br />
also auch bei spontanen Aktivitäten,<br />
persönliche Gesetzmäßigkeiten<br />
zu erkennen. Das Niederschreiben<br />
und Überdenken von Blutzuckerverläufen<br />
und weitereren wichtigen Gesichtspunkten<br />
braucht keinesfalls sofort<br />
zu erfolgen. Der Bolusspeicher der<br />
Insulinpumpe und die Memory-Funktion<br />
des Blutzuckermessgerätes erleichtern<br />
dies zu einem späteren Zeitpunkt.<br />
8.3 Geplante körperliche Aktivität<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Die Notwendigkeit von Zusatz-BE ist nur dann gegeben, wenn der Insulinspiegel im<br />
Blut während der körperlichen Aktivität zu hoch ist. Somit ist bei vorhersehbarer körperlicher<br />
Tätigkeit eine andere Vorgehensweise schon aufgezeigt, nämlich rechtzeitig<br />
dafür zu sorgen, dass im Zeitraum der Muskelarbeit weniger Insulin wirksam ist. Also<br />
käme auch infrage:<br />
● Verringerung des vorhergehenden Bolus<br />
● Absenkung der Basalrate<br />
Die »Faustregeln« 2 und 3 in Abb. 55 zeigen als sogenannte »50%-Regel« einen Weg<br />
dafür auf. Im Einzelfall ist eine Feinabstimmung empfehlenswert.<br />
Die Variante »Insulin verringern« statt »Extra-BE zu sich nehmen« hat folgende Vorteile:<br />
Kein ungewolltes, oft als lästig empfundenes Essen bzw. Trinken, keine sportliche<br />
Aktivität mit vollem Magen, keine zusätzliche Gefahr der Gewichtszunahme. Welche<br />
der beiden Möglichkeiten gewählt wird, entscheidet der Insulinpumpenträger<br />
entsprechend seinen Vorlieben. Die Wahlfreiheit verbessert das Wohlbefinden und erhöht<br />
die Lebensqualität.<br />
Im Idealfall ist die Verringerung der Insulinabgabe gezielt so vorzunehmen, dass bereits<br />
zu Beginn der körperlichen Aktivität der Insulinspiegel im Blut entsprechend<br />
niedriger ist und dass erst nach Beendigung der Muskeltätigkeit der Ausgangszustand<br />
wieder erreicht wird. Ein deutliches »Zuwenig« an Insulin im Blut gilt es zu vermeiden,<br />
sonst kommt es zu einem unerwünschten Blutzuckeranstieg. Dies ist in der Tat keine<br />
leichte Aufgabe, wenn man sich die dabei auftretenden Unsicherheiten bewusst<br />
macht: Der erforderliche Insulinbedarf und damit der Prozentsatz für die Insulinverringerung<br />
müssen geschätzt werden, die Insulinwirkdauer ist mit 3 - 5 Stunden – je<br />
nach Insulinsorte – relativ lang und unterliegt zahlreichen Schwankungen.<br />
Das im Kapitel 3.3 beschriebene PPL-System kann bei sinngemäßer Anwendung hilfreich<br />
sein, eigene Anpassungsregeln zu finden. Zwei Beispiele mögen das praktische<br />
Vorgehen verdeutlichen:<br />
Beispiel D: Geplante Fahrradtour am Vormittag<br />
Herr M. will mit Freunden am Samstag eine größere Fahrradtour machen. Geplante<br />
Dauer ca. 3 Stunden; Beginn 9.30 Uhr; für das Frühstück von 5 BE benötigt Herr M.<br />
normalerweise 8 I.E. Humalog. Stattdessen gibt er nur einen Bolus von 5 I.E., also etwa<br />
ein Drittel weniger, und reduziert bereits beim Frühstück die Basalrate auf 50 % (ausreichende<br />
Vorlaufzeit!). Um 9.30 Uhr vor Beginn der Fahrradtour ermittelt Herr M. einen<br />
Wert von 180 mg/dl. Damit ist er zufrieden. Bei einem Zwischenstopp gegen 11.00<br />
159
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Uhr ist der Blutzucker sogar auf 220 mg/dl angestiegen. Daraus folgert Herr M., dass<br />
die Insulinverringerung etwas zu deutlich war. Bei der Pause trinkt er nur Mineralwasser,<br />
will aber nichts essen. Er gibt sich allerdings einen Bolus von 0,5 I.E., lässt die<br />
Basalratenabsenkung jedoch unverändert. Um 13.00 Uhr am Ende der Tour ist der<br />
Blutzucker bei 170 mg/dl.<br />
Beispiel E: Geplante Fahrradtour am Nachmittag<br />
Herr N. will nach Dienstschluss von 16.00 -18.00 Uhr zwei Stunden Fahrradfahren. Aus<br />
Erfahrung weiß er, dass sein Pumpeninsulin Humalog eine maximale Wirkdauer von<br />
3,5 Stunden hat. Somit ist eine Verringerung des Bolus zum <strong>Mit</strong>tagessen nicht sinnvoll.<br />
Gegen 14.30 Uhr nimmt er eine Basalratenabsenkung auf 60% vor. Der Blutzuckerwert<br />
um 16.00 Uhr ist 110 mg/dl. Er isst noch einen Apfel (1 BE), lässt aber die Basalratenabsenkung<br />
unverändert. Nach Ankunft zu Hause gegen 18.00 Uhr hat er einen<br />
Blutzuckerwert von 140 mg/dl.<br />
Nach Beendigung der körperlichen Aktivität würde man in beiden Fällen die Basalrate<br />
wieder auf das übliche Niveau anheben. Eine Bolusverringerung wäre bei der<br />
anschließenden Hauptmahlzeit vermutlich nicht angezeigt, und zwar aus folgenden<br />
Gründen:<br />
1. Ein stärkerer Muskelauffülleffekt ist nicht zu befürchten, da durch ausreichende<br />
Insulinverringerung das Blutzuckerniveau während der Aktivitätsphase stets über<br />
100 mg/dl gelegen hatte. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass Glykogendepots<br />
(»Speicherzucker«) in Leber bzw. Muskulatur entleert wurden.<br />
2. Eine anhaltende deutliche Verbesserung der üblichen Insulinempfindlichkeit dürfte<br />
eher nicht eintreten, da die vermehrte Muskeltätigkeit in beiden Fällen von<br />
nicht allzu langer Dauer war.<br />
3. Wenn die Basalrate wieder auf 100% erhöht wird, dauert es noch eine gewisse<br />
Zeit, bis der übliche Basalinsulinspiegel wieder aufgebaut ist.<br />
Die Aussage »Sport wirkt nach« ist insbesondere dann zu beachten, wenn zum einen<br />
durch niedrig normale bzw. grenzwertig hypoglykämische Blutzuckerwerte die Glykogenspeicher<br />
teilweise geleert wurden oder wenn zum anderen die körperliche Aktivität<br />
von so langer Dauer war, dass es zu einer anhaltenden Verbesserung der Insulinwirkung<br />
an den Zellen, also zu einer besseren Insulinempfindlichkeit gekommen ist.<br />
Diese Überlegungen wollen zeigen, wie schwierig es sein kann, zuverlässige Prognosen<br />
über den Blutzuckerverlauf während und nach körperlicher Aktivität zu machen.<br />
Muskelarbeit trägt also bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht unbedingt zu einer<br />
Stabilisierung des Blutzuckerverlaufs bei.<br />
160<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Trotzdem ist regelmäßige muskuläre Tätigkeit empfehlenswert: Zahlreiche Körperfunktionen<br />
werden optimiert, die psychische Situation stabilisiert, das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen<br />
(häufigste Todesursache bei Diabetikern!) sowie für diabetische<br />
Folgeerkrankungen verringert. Darüber hinaus sollte eine Hauptmotivation für<br />
regelmäßige körperliche Aktivität sein: Es macht Spaß, es erhöht das subjektive Wohlbefinden,<br />
es verbessert die Lebensqualität. Im wesentlichen sind die Gründe für regelmäßige<br />
körperliche Aktivität bei Menschen mit <strong>Diabetes</strong>erkrankung und bei Stoffwechselgesunden<br />
die gleichen.<br />
8.4 Insulinpumpe als »Störfaktor« bei Sport<br />
Bei manchen Sportarten ist das Tragen einer Insulinpumpe ungünstig, hinderlich und<br />
teilweise auch gefährlich. Dies trifft beispielsweise zu auf Kampfsport mit Körperkontakt<br />
wie Boxen, Ringen oder Judo. Auch beim Schwimmen und beim Wassersport<br />
empfiehlt es sich, die Insulinpumpe abzulegen. Meist besteht ein individueller Ermessensspielraum.<br />
So dürfte z.B. bei einem Fussball-Punktespiel, wo es erfahrungsgemäß<br />
härter zur Sache geht, das Ablegen der Insulinpumpe zweckmäßig sein, während für<br />
einen »Freizeit-Kicker« das Tragen der Insulinpumpe kein Problem darstellen sollte.<br />
Falls die liegende Nadel während der Sportausübung nicht hinderlich ist, dann ist der<br />
abkoppelbare Katheter empfehlenswert. Damit entfällt ein zu häufiger Katheterwechsel<br />
trotz Ablegen der Insulinpumpe (Kostenaspekt!). Im übrigen wird diesbezüglich<br />
auf den Abschnitt 7.3 zum Thema »Insulinpumpenpausen« verwiesen.<br />
Folgende Besonderheit der Insulinpumpenpause bei sportlicher Aktivität ist zu beachten:<br />
Gerade bei Muskeltätigkeit ist ein angemessener Insulinspiegel im Blut wichtig.<br />
Während einer Insulinpumpenpause kommt es zu einer relativ raschen Änderung<br />
der Insulinversorgung. Wird die Insulinpumpe erst unmittelbar vor Beginn der sportlichen<br />
Aktivität abgelegt, ist wegen der relativen Überinsulinierung mit einem anfänglich<br />
deutlicheren Blutzuckerabfall zu rechnen. Dauert das Ablegen der Insulinpumpe<br />
bei Verwendung vom Humalog länger als 2 Stunden, muss von einem zunehmenden<br />
Insulinmangel in der Blutbahn ausgegangen werden, d.h. es kann zu<br />
einem Blutzuckeranstieg trotz körperlicher Aktivität kommen. Längere Insulinpumpenpausen<br />
wegen Sport erfordern viel Fingerspitzengefühl. Es gilt, vor Beginn einen<br />
leicht erhöhten Blutzuckerwert anzustreben, während der Aktivität einen stärkeren<br />
Schwankungsbereich der Blutzuckerverläufe zu akzeptieren und anschließend mit<br />
vorsichtigen Korrekturen wieder stabilere Verhältnisse zu erzielen.<br />
Eine zu lange Insulinpumpenpause bei sportlicher Aktivität kann gefährlich werden.<br />
Dauert das Ablegen der Insulinpumpe länger als die Insulinwirkdauer – also bei einem<br />
kurzwirksamen Insulinanalogon mehr als drei Stunden und bei Normalinsulin über<br />
161
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
vier Stunden, muss mit Spritze oder Pen bzw. durch kurzfristiges Anschließen der Insulinpumpe<br />
an einen abkoppelbaren Katheter eine geringe Insulinmenge verabreicht<br />
werden, um eine drohende ketoazidotische Entgleisung zu verhindern. Beachte:<br />
Keine körperliche Tätigkeit bei deutlichem Insulinmangel<br />
Wird die Insulinpumpe während der sportlichen Betätigung nicht abgelegt, droht eine<br />
andere Möglichkeit für einen übermäßigen Blutzuckeranstieg mit der Gefahr einer<br />
Ketoazidose. Infolge von verstärkten Körperbewegungen kann die Nadel aus der Haut<br />
herausrutschen. Es gelangt, ohne dass Alarm gemeldet wird, kein Insulin mehr ins Unterhautfettgewebe.<br />
Wird dies vom Insulinpumpenträger nicht bemerkt, entwickelt<br />
sich binnen Stunden ein absoluter Insulinmangel mit nachfolgender ketoazidotischer<br />
Entgleisung. Diese unangenehme Situation ist vermeidbar, indem die Nadel mit einem<br />
Pflaster zusätzlich fixiert wird, bzw. die korrekte Lage des Katheters in der Haut von<br />
Zeit zu Zeit überprüft wird.<br />
Zum Thema »Insulinbehandlung und Sport« finden sich in dem Buch »<strong>Diabetes</strong>- und<br />
Sportfibel« von Thurm/Gehr viele wertvolle Informationen und praxisorientierte<br />
Tipps. In zahlreichen Erfahrungsberichten aus dem Bereich Freizeit- und Leistungssport<br />
schreiben Betroffene, wie sie die Insulintherapie während der Sportausübung handhaben,<br />
welche Erfolge, Fallgruben und<br />
Enttäuschungen sie dabei erlebt haben.<br />
Dieses Buch ist eine wahre Fundgrube<br />
von Möglichkeiten und Ideen. Es enthält<br />
auch eine Kontaktbörse mit hilfreichen<br />
Adressen; u.a. sind zahlreiche<br />
diabeteserfahrene Ansprechpartner für<br />
die einzelnen Sportarten genannt sowie<br />
Anschriften von <strong>Diabetes</strong>sportgruppen<br />
aufgeführt. Jeder insulinbehandelte<br />
Diabetiker, der sportlich aktiv<br />
ist oder es werden will, sollte dieses<br />
Buch gelesen haben.<br />
162<br />
8.5 Probleme und Warnhinweise<br />
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Bei körperlicher Aktivität wird das erhöhte Unterzuckerungsrisiko immer wieder unterschätzt.<br />
Eine besondere Vorsicht ist in folgenden Situationen angezeigt:<br />
● Ungeplante Tätigkeit, spontane Bewegung von längerer Dauer: Die blutzuckersenkende<br />
Wirkung der Muskelarbeit wird nicht selten einfach vergessen; die körperliche<br />
Aktivität wird mitunter als solche gar nicht wahrgenommen (z.B. Einkaufsbummel,<br />
Hausputz, Gartenarbeit).<br />
● Muskuläre Tätigkeit während der maximalen Wirkung eines größeren Nahrungsbolus:<br />
<strong>Mit</strong> einem deutlicheren Blutzuckerabfall muss gerechnet werden, wenn die<br />
Muskeltätigkeit bei kurzwirksamen Insulinanalogon ca. 1- 2 Stunden nach einer<br />
Bolusgabe bzw. bei Normalinsulin nach ca. 2 - 3 Stunden erfolgt.<br />
● Intensive körperliche Aktivität direkt nach einer größeren Mahlzeit: Eine verzögerte<br />
Magenentleerung, eine Verlangsamung der Verdauungsvorgänge, eine<br />
beschleunigte Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe können die zu erwartende<br />
blutzuckererhöhende Wirkung der gegessenen Kohlehydrate abschwächen.<br />
● Die körperliche Tätigkeit dauert länger als geplant: Hierfür kommen vielfältige Ursachen<br />
in Frage, beispielsweise ein Verlaufen während eines Spaziergangs in fremder<br />
Umgebung, eine Fehleinschätzung einer Besichtigungstour in einer unbekannten<br />
Stadt, Gartenarbeit von deutlich längerer Dauer, gründlicheres Erledigen<br />
eines Hausputzes, längere Ausdehnung eines Einkaufsbummels.<br />
● Ungewohnte körperliche Aktivität: Es werden mehr Muskelgruppen als üblich beansprucht,<br />
deshalb kann ein überdurchschnittlicher Blutzuckerabfall auftreten.<br />
● Muskuläre Bewegung im Zusammenhang mit Alkoholgenuss: Die Zuckerbildung<br />
und –freisetzung der Leber kann beeinträchtigt werden, durch ein Zuwenig an<br />
»Leberzucker« kann sich der Blutzuckerwert stärker verringern.<br />
In diesen Situationen, aber auch bei jeglicher körperlicher Aktivität sind geeignete<br />
Vermeidungsstrategien für eine Unterzuckerung wichtig; geeignete Maßnahmen können<br />
sein:<br />
● »Erst denken, dann bewegen«.<br />
● Höhere Blutzuckerzielbereiche anstreben: Kurzfristig leicht erhöhte Blutzuckerwerte<br />
sind harmloser als eine eventuelle Unterzuckerung.<br />
● Großzügiges Essen und Trinken: Rechtzeitige Aufnahme von sog. »Sicherheits-BE«<br />
oder anders formuliert: Die Extra-BE bei körperlicher Tätigkeit werden zweckmäßigerweise<br />
im eigenen Magen transportiert.<br />
● Verringerung der Insulinmenge: Rechtzeitige Absenkung der Basalrate und/oder<br />
geringere Bolusgabe.<br />
● Verkürzung des Drück-Ess-Abstandes bzw. Benutzen eines »Ess-Drück-Abstandes«,<br />
d.h. die Bolusgabe erfolgt während des Essens oder erst danach.<br />
● Wenn möglich zwischenzeitliches Ermitteln der Blutzuckerhöhe. Dies ist insbesondere<br />
bei unüblicher körperlicher Aktivität anzuraten.<br />
163
8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />
Überzucker bei Muskelarbeit<br />
Bei Blutzuckerwerten über 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l ohne gleichzeitigen Azetonnachweis<br />
im Urin ist eine ausreichende Insulinzufuhr erforderlich, danach ist Sport<br />
problemlos möglich. Unter wirksamen Insulinspiegeln werden die hohen Blutzuckerwerte<br />
bei körperlicher Aktivität rasch abgebaut.<br />
Ganz anders verhält es sich dagegen bei Azetonnachweis ++/+++. Hier wird Sport gefährlich!<br />
Da Insulinmangel besteht, werden in diesem Fall die Blutzuckerwerte unter<br />
der Belastung rasch ansteigen. Die Übersäuerung des Blutes wird zunehmen. Es entwickelt<br />
sich eine Ketoazidose, die <strong>leben</strong>sgefährlich sein kann (siehe Kapitel 10). Azetonteststreifen<br />
(z.B. Ketur) dürfen daher in keinem Sportgepäck fehlen! Bei Blutzuckerwerten<br />
von mehr als 200 mg/dl (11,1 mmol/l) vor Beginn der körperlichen Aktivität<br />
sollte der Urin auf Azeton getestet werden. Damit wird eine beginnende<br />
ketoazidotische Entgleisung rechtzeitig erkannt bzw. sicher ausgeschlossen. Blutzuckeranstiege<br />
unter Belastung sind auch bei psychisch und körperlich sehr anstrengenden<br />
Aktivitäten (z.B. Wettkämpfen) zu beobachten. Sie sind durch Ausschüttung<br />
von Stresshormonen (Adrenalin, Kortison, STH) bedingt und lassen sich in der Regel<br />
durch vorsichtige Korrektur nach dem Sport rasch beheben. Vor Wettkämpfen ist zudem<br />
ein gutes Aufwärmtraining empfehlenswert, um den Organismus auf die bevorstehende<br />
Belastung vorzubereiten.<br />
Unterzucker bei Muskelarbeit<br />
Wie in Abschnitt 8.1 besprochen, kommt es beim insulinspritzenden Diabetiker in der<br />
Regel zu einem verstärkten Blutzuckerabfall bei körperlicher Aktivität. Somit besteht<br />
ein erhöhtes Unterzuckerungsrisiko, dem durch geeignete Vorsorgemaßnahmen<br />
Rechnung getragen werden muss. Hier sind alle körperlich aktiven und sportbegeisterten<br />
Diabetiker zu größter Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit aufgerufen, um Eigenund<br />
Fremdgefährdung weitgehend auszuschließen! Wir empfehlen bei körperlicher<br />
Aktivität, insbesondere wenn sie neu oder ungewohnt ist, eine konsequente »Hypoglykämie-Vermeidungsstrategie«.<br />
Dies bedeutet eine großzügige Zufuhr von Extra-BE<br />
und/oder eine deutliche Verringerung der Insulinmenge durch Reduktion von Bolus<br />
bzw. Basalrate. Es sollte eher ein geringer Blutzuckeranstieg bei körperlicher Aktivität<br />
in Kauf genommen werden. Ein anschließend etwas erhöhter Blutzuckerwert ist durch<br />
vorsichtige Bolusgabe rasch korrigierbar. Eine schwere Unterzuckerung dagegen kann<br />
zu Fehlverhalten, Sturz und Bewusstlosigkeit führen.<br />
Sind Unterzuckerungen (
9. Blutzuckermessgeräte<br />
Ohne regelmäßige, systematische Blutzuckerselbstmessung ist eine intensivierte Insulinbehandlung<br />
mit normnaher Einstellung bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht<br />
möglich – dies trifft insbesondere auch auf die Insulinpumpenbehandlung zu.<br />
Die Methoden der invasiven Blutzucker-Selbstkontrolle haben in den vergangenen 35<br />
Jahren eine rasante Entwicklung gemacht: Etwa 1965 kam mit dem Dextrostix der erste<br />
visuell ablesbare Teststreifen für die Blutzuckerselbstmessung durch den Patienten<br />
auf den Markt. Die Handhabung war noch verhältnismäßig umständlich, da das Testfeld<br />
nach 60 sec. Einwirkzeit mit Wasser abgespült werden musste.<br />
Der erste handliche Reflexionsphotometer mit Akkubetrieb, der für die Patientenanwendung<br />
geeignet war, erschien ca. 1980. Der Durchbruch in der Blutzuckerselbstkontrolle<br />
kam mit dem Teststreifen Haemoglucotest (HGT 20 - 800). Er eignete sich zur<br />
visuellen Ablesung, konnte aber auch zur objektiveren Bestimmung des Blutzuckerwertes<br />
in dem Reflolux-Gerät verwendet werden.<br />
Im Jahre 1989 kamen in Deutschland die ersten Geräte mit elektrochemischem Verfahren<br />
auf den Markt: Das zeitgenaue Abwischen des Bluttropfens auf den Teststreifen<br />
entfiel, was für die Benutzerfreundlichkeit und für die Störanfälligkeit des Messvorgangs<br />
ein weiterer Meilenstein war.<br />
In den folgenden Jahren wurden die Messgeräte immer kleiner und handlicher, die erforderliche<br />
Blutstropfengröße verringerte sich, die Messzeiten konnten deutlich verkürzt<br />
werden, die »None-wipe«-Methode setzte sich durch (kein Abwischen der Teststreifen<br />
mehr, automatischer Start des Messvorgangs), der Komfort hinsichtlich Datenanalyse<br />
wurde zusätzlich erhöht durch umfangreiche Speichermöglichkeiten,<br />
PC-Schnittstelle und Software zur statistischen Auswertung.<br />
Eine erneute deutliche Weiterentwicklung ist die Blutzuckerbestimmung nach einer<br />
neuen Methode (Coulometrie), wodurch die Blutstropfengröße erneut deutlich verringert<br />
werden konnte – beinahe um das Zehnfache auf derzeit ca. 0,3 Mikroliter Blut.<br />
Damit ist die Möglichkeit gegeben, auch alternative Körperstellen außer Fingerkuppe<br />
zur Gewinnung des Bluttropfens zu verwenden.<br />
166<br />
9. Blutzuckermessgeräte<br />
An einem noch revolutionäreren Meilenstein wird allerdings immer noch intensiv geforscht:<br />
an der nichtinvasiven, also der unblutigen Blutzuckerbestimmung durch die<br />
Haut ohne schmerzhafte Stichverletzung mit einer Lanzette. Zwar gab es in den vergangenen<br />
Jahres diesbezüglich immer wieder hoffnungsvoll klingende Berichte. Eine<br />
zuverlässige nichtinvasive Messmethode, die im Alltag mit einem handlichen Gerät<br />
brauchbar ist und die kostenmäßig akzeptabel erscheint, konnte bis heute nicht entwickelt<br />
werden und ist nach Expertenmeinung für die nächsten Jahre auch nicht zu erwarten.<br />
Dies wäre allerdings eine Voraussetzung für das sogenannte »closed loop«<br />
System; dies bedeutet: kontinuierliche Blutzuckermessung, Ermittlung des aktuellen<br />
Insulinbedarfes mit einem Kleincomputer und Abgabe von kurzwirksamem Insulinanalogon<br />
durch eine nachgeschaltete Insulinpumpe.<br />
Bezüglich der kontinuierlichen interstitiellen (interstitiell: in der Gewebeflüssigkeit)<br />
Blutzuckermessung mit den sogenannten Glucosesensoren wurden dagegen in letzter<br />
Zeit deutliche Fortschritte erzielt. <strong>Mit</strong> einem Katheter, der in das Unterhautfettgewebe<br />
eingestochen wird, und einem daran angeschlossenen handlichen Aufzeichnungsgerät<br />
von Insulinpumpengröße kann über zwei bis vier Tage der Blutzucker engmaschig<br />
in Zeitintervallen von Minutenabständen laufend ermittelt werden (retrospektive<br />
Messung). Anschließend wird der Datenpool mit geeigneter Software am PC<br />
ausgewertet und graphisch analysiert. Als Verfahren hierzu sind auf dem Markt bzw.<br />
in einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase:<br />
● Minimed Glukosesensor CGMS (continous glucose monitoring system)<br />
● Mikrodialyse-Systeme der Firmen Roche und Menarini.<br />
Der Einsatz dieser Glucose-Sensoren ist derzeit – nicht zuletzt auch aus Kostengründen<br />
– speziellen Fragestellungen vorbehalten, wie beispielsweise der Analyse von problematischen<br />
nächtlichen Blutzuckerverläufen, der Überwachung von Schwangeren oder<br />
zur Beurteilung von Sondersituationen (sportliche Aktivitäten usw.) sowie für wissenschaftliche<br />
Fragestellungen. Der Materialaufwand für den Einmalkatheter, d.h. für einen<br />
Messzeitraum von einigen Tagen, ist nicht unerheblich.<br />
167
9. Blutzuckermessgeräte<br />
9.1 Messgenauigkeit<br />
Bauartbedingt haben die Blutzuckermessgeräte gemäß den allgemein gültigen Qualitätsrichtlinien<br />
einen Toleranzbereich von etwa 15 %.<br />
Konkret bedeutet eine Abweichung von 15%:<br />
● Ist die tatsächliche Glucosehöhe in der Blutbahn beispielsweise 150 mg/dl, dann ist<br />
es zulässig und möglich, dass der ermittelte Messwert, der auf dem Display angezeigt<br />
wird, im Bereich von 127 mg/dl bis 173 mg/dl schwankt. Es ist also in diesem<br />
Fall eine Schwankungsbreite von 46 mg/dl bei den Messergebnissen bauartbedingt<br />
zulässig. Zur Veranschaulichung: Wird von einer Korrekturzahl von 40 mg/dl ausgegangen,<br />
so entspricht diese Messwertschwankung einem möglichen Unterschied<br />
an Korrekturinsulin von mehr als 1 I.E.<br />
● Wird mit dem Blutzuckermessgerät ein Wert von beispielsweise 180 mg/dl ermittelt,<br />
so kann der tatsächliche Glucosewert im Blut im Bereich von 153 mg/dl bis<br />
207 mg/dl sein. Man erhält in diesem Fall für den aktuellen tatsächlichen Blutzuckerwert<br />
eine zulässige Streubreite von 54 mg/dl.<br />
Es ist wichtig und hilfreich, sich diese Toleranzbereiche immer wieder bewusst zu machen.<br />
Falls ein gemessener Blutzuckerwert deutlich abweicht von demjenigen, der zu<br />
erwarten gewesen wäre, könnte es sich durchaus auch um zufällige, sogenannte »statistische<br />
Schwankungen« des Messergebnisses handeln. Andererseits ist aber auch an<br />
die Möglichkeit einer Fehlmessung zu denken (vergleiche Abschnitt 9.2).<br />
Nachdem derzeit und vermutlich auch in den nächsten Jahren praxistaugliche nichtinvasive<br />
Gerätetypen nicht zur Verfügung stehen, wäre eine Weiterentwicklung der<br />
momentanen Messsysteme wünschenswert hinsichtlich deutlicher Verbesserung der<br />
Messgenauigkeit mit einem Toleranzbereich von unter 5 %, so wie es für die nasschemischen<br />
Labormethoden üblicher Standard ist.<br />
Es soll nochmals betont werden: Die Zahl auf dem Display eines Messgerätes stellt keinesfalls<br />
ein exaktes Abbild der Wirklichkeit dar oder anders ausgedrückt: der angezeigte<br />
Wert ist nur ein Schätzwert für den tatsächlichen Glucosewert im Blut mit einer<br />
Genauigkeit von ± 15 Prozent.<br />
168<br />
9.2 Fehlermöglichkeiten<br />
9. Blutzuckermessgeräte<br />
Die bisher beschriebenen zufälligen Schwankungen, sogenannte statistische Fehler,<br />
treten auf trotz korrekter Vorgehensweise bei der Gewinnung des Blutstropfens, bei<br />
der Handhabung des Gerätes und bei der Durchführung des Messvorganges. Kommen<br />
in diesen Bereichen zusätzliche vermeidbare Ungenauigkeiten dazu, wird der Fehler<br />
bei den Messergebnissen weiter vergrößert. Denn:<br />
»Geräte machen Fehler! Menschen machen mehr Fehler!<br />
Wenn Menschen mit Geräten umgehen, gibt es noch mehr Fehler!«<br />
Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Benutzer eines Blutzuckermessgerätes<br />
vorab die Gebrauchsanweisung gründlich studiert und diese auch von Zeit zu Zeit<br />
immer wieder einmal durchliest, damit sich keine systematischen vermeidbaren Fehler<br />
einschleichen. Jede Messmethode ist nur so gut, wie der Benutzer sie anwendet. Allerdings<br />
wurden hinsichtlich der Bedienerfreundlichkeit in den letzten Jahren erhebliche<br />
Fortschritte gemacht, z.B. automatischer Start des Messvorgangs, Unempfindlichkeit<br />
des Messfeldes auf dem Streifen hinsichtlich Berührung, automatische Codierung, Fehlermeldung<br />
bei ungeeigneter Tropfengröße.<br />
Mögliche Fehler beim Messgerät<br />
● Falsche Codierung des Messgerätes<br />
● Verunreinigung der Messeinheit<br />
● Möglicher Einfluss von Medikamenten oder veränderten Blutbestandteilen als Störgröße<br />
bei der Messung (z.B. große Mengen an Vitamin C, Aspirin, ASS)<br />
● Extremer Temperaturbereich (z.B. weniger als 10 Grad, mehr als 35 Grad)<br />
Mögliche Fehler beim Teststreifen<br />
● Falsche Lagerung (Licht, Feuchtigkeit)<br />
● Verschmutzung des Testfeldes<br />
● Verfalldatum überschritten<br />
Mögliche Fehler beim Messvorgang<br />
● Zuckerhaltige Verunreinigungen an den Fingern (vorher Hände waschen)<br />
● Zu kleiner Blutstropfen<br />
● »Melken« und »Kneten« der Fingerbeere<br />
● Verdünnung des Blutstropfens (z.B. durch Schweiß, Wasserreste)<br />
● Berühren des Teststreifenfeldes<br />
Abb. 56: Fehlerquellen bei der Blutzuckerselbstkontrolle<br />
169
9. Blutzuckermessgeräte<br />
9.3 Gerätetypen<br />
Auf dem Markt ist eine Fülle von Blutzuckermessgeräten, und jährlich kommen neue<br />
dazu. Es ist schwer und kaum noch möglich, angesichts dieser Vielfalt den Überblick zu<br />
behalten.<br />
Welches Gerät ist für mich das richtige? Diese Frage ist naheliegend und beschäftigt<br />
jeden insulinspritzenden Diabetiker. In Abb. 57 ist eine kleine Übersicht von verschiedenen<br />
Messgeräten zusammengestellt. Es ist allerdings nicht Sinn dieser Aufstellung,<br />
einen kompletten Überblick über sämtliche derzeit auf dem Markt befindlichen Blutzuckermessgeräte<br />
zu geben. Es sollen nur wesentliche Unterschiede bei häufig benutzten<br />
Gerätetypen aufgezeigt werden.<br />
Größe des Gewicht Messzeit<br />
Blutstropfen in in<br />
In Mikroliter (µl) Gramm Sekunden<br />
Accu-Chek Compact ca. 1,5 120 ca. 8<br />
Accu-Chek Sensor 4,0 85 26<br />
Ascensia Contour 0,6 52,3 15<br />
Ascensia Dex 2 2,8 67 300<br />
Ascensia Elite 2,0 50 30<br />
FreeStyle 0,3 73 ca. 15<br />
One Touch Ultra 1,0 45 5<br />
Precision Xtra 2,5 79 20<br />
Abb. 57: Verschiedene Blutzuckermessgeräte im Vergleich (Beispiele, Stand 12/03)<br />
Allgemein lässt sich sagen:<br />
Dasjenige Blutzuckermessgerät ist für einen Diabetiker das Richtige, mit dem er möglichst<br />
bequem und zuverlässig relativ korrekte Blutzuckermessergebnisse erzielen<br />
kann. Der Gesichtspunkt »Gerätemessgenauigkeit« ist zwar von vorrangiger Bedeutung,<br />
sollte aber bei der Patientenentscheidung für ein bestimmtes Gerät eine nachgeordnete<br />
Rolle spielen, da diese bei allen gängigen Modellen in etwa gleich ist<br />
(± 15 Prozent). Auch der Gerätepreis sollte kein wesentliches Kaufargument sein; er<br />
schwankt bis auf einzelne Ausnahmen im Bereich von 20 - 50 Euro.<br />
170<br />
Wesentliche Entscheidungshilfen bei der Geräteauswahl können sein<br />
● Benutzerfreundlichkeit (Handhabung, Codierung, Streifenvorrat)<br />
● Größe des erforderlichen Blutstropfens (Alternative Messstellen)<br />
● Dauer des Messvorgangs<br />
● Größe und Gewicht des Gerätes<br />
● Preis der Teststreifen<br />
● Fehlermeldungen<br />
● Displaygröße und -gestaltung (beeinträchtigtes Sehvermögen)<br />
● marktübliche Batterien<br />
● Art und Umfang der Datenspeicherung<br />
● Datum- und Uhrzeitangabe<br />
● Möglichkeit der Datenauswertung am PC<br />
● Störfaktoren der Messung (z. B. durch Medikamentenspiegel im Blut,<br />
andere Blutbestandteile)<br />
● Temperaturabhängigkeit<br />
● Plausibilitätsprüfung durch visuelle Gegenkontrolle<br />
● weitere Messgrößen (z.B. Ketonkörper im Blut)<br />
● Art und Umfang des Aufbewahrungssets (Tasche, Lanzettenfach, Stechhilfe)<br />
● zusätzliches Sprachmodul<br />
Üblicherweise werden im Rahmen einer guten Diabetikerschulung die verschiedenen<br />
Messgeräte mit ihren Vor- und Nachteilen vorgestellt. Andere Informationsquellen,<br />
um sich einen Überblick zu verschaffen, können sein: Apotheke, Zeitschriften wie <strong>Diabetes</strong>-Journal<br />
oder <strong>Diabetes</strong> Ratgeber, Selbsthilfegruppen, Diabetiker-Tag, Insulinpumpentreffen<br />
oder vielleicht am effektivsten der Erfahrungsaustausch mit anderen<br />
Diabetikern.<br />
Weitere Hinweise zu verschiedenen Gerätetypen:<br />
9. Blutzuckermessgeräte<br />
● Bei einigen Blutzuckermessgeräten (z.B. Accu-Check Compact, One Touch Ultra,<br />
FreeStyle, SoftSense) sind neben den Fingerkuppen alternative Körperregionen zur<br />
Blutgewinnung möglich. Als alternative Messstellen eignen sich insbesondere die<br />
Handballen. Diese Körerregionen sind besser durchblutet als die Unterarmregion<br />
oder der Bauch. Der Verzögerungseffekt ist daher geringer und im Regelfall zu<br />
vernachlässigen. Die zeitliche Verzögerung des Blutzuckerwertes bei Messungen<br />
am Unterarm und Bauch ist insbesondere bei rascher Änderung des Blutzuckerspiegels<br />
zu bedenken. Beispiele hierfür sind: Schneller Blutzuckeranstieg nach Zufuhr<br />
von rasch resorbierbaren Kohlehydraten; schneller Blutzuckerabfall bei körperlicher<br />
Aktivität und relativ hohem Insulinspiegel. Weil dann der Messwert vom<br />
aktuellen Blutwert noch deutlicher als sonst abweichen kann, sind Fehleinschätzungen<br />
möglich.<br />
171
9. Blutzuckermessgeräte<br />
● Manche Messgeräte besitzen ein Vorratssystem mit mehreren integrierten Teststreifen.<br />
Beim Accu-Chek Compact sind die Teststreifen in einer Trommel zu je 17<br />
Stück verpackt; diese wird komplett in das Gerät eingelegt; auf Knopfdruck wird<br />
ein Teststreifen zur Messung bereit gestellt. Ein ähnliches Handhabungsprinzip besitzt<br />
der Ascensia Dex; hier sind je 10 Streifen in einer Scheibe eingeschweißt .<br />
● Für das Messgerät Ascensia Elite gibt es alternative Blutzuckerteststreifen der Fa.<br />
Azupharma (Excel G AZU). Diese sind kostengünstiger; bezüglich Messgenauigkeit<br />
werden unterschiedliche Erfahrungen berichtet.<br />
● Für den Precision Xtra sind alternative Teststreifen zur Bestimmung der Ketonkörper<br />
im Blut (genauer von 3-Hydroxybutyrat) erhältlich. Die Messung der Ketone<br />
im Blut ist vorteilhaft zur Früherkennung einer ketoazidotischen Entgleisung. Da<br />
unter Insulinpumpen-Therapie, wie im Kapitel 10 ausgeführt, ein größeres Ketoazidose-Risiko<br />
besteht, ist dieses Modell zumindest als Ersatzgerät für Insulinpumpenträger<br />
in Erwägung zu ziehen. Der Preis pro Streifen für die Ketonkörper-Bestimmung<br />
ist mit ca. 3,30 Euro allerdings sehr teuer. Zum Vergleich: Teststreifen zur<br />
Bestimmung der Ketone im Urin (z.B. Ketur-Test) kosten ca. 0,15 Euro.<br />
● Für Sonderfälle bietet das Gerät SoftSense der Fa. Medisense Vorteile. Die Stechhilfe<br />
ist im Gerät integriert, ein Vakuummechanismus erleichtert die Blutgewinnung<br />
und ermöglicht die Blutentnahme auch an alternativen Stellen wie Unterarm.<br />
Nachteilig sind die Gerätegröße, das Gewicht von 300 Gramm sowie die Anschaffungskosten<br />
von ca. 125 Euro.<br />
● Bei stärkerer Sehbehinderung oder bei Blindheit empfiehlt sich ein Gerät mit<br />
Sprachmodul; dieses ist vorhanden mit dem OneTouchTalk der Fa. Lifescan bzw.<br />
dem Gluci der Fa. Bayer. Falls selbst schemenhaftes Sehen nicht mehr möglich ist,<br />
wird die Blutzuckerselbstkontrolle zu einem erheblichen Problem. Das richtige<br />
Auftragen des Blutstropfens ist dann kaum möglich. In diesem Fall bietet der Gluci<br />
mit den Teststreifen Ascensia Elite Sensor Vorteile, da die erforderliche Blutmenge<br />
von 2 µl automatisch angesaugt wird und die optimale Menge durch einen Signalton<br />
angezeigt wird. Zum Vergleich: Die erforderliche Blutmenge für das Gerät One<br />
Touch Talk beträgt 10µl.<br />
Wie bereits erwähnt, sind die Handhabung des Messgerätes und die Durchführung<br />
des Messvorgangs von wesentlicher Bedeutung für die Qualität der Ergebnisse. Ein<br />
Gerät kann nur dann genaue Werte ermitteln, wenn es insgesamt richtig bedient wird<br />
und wenn wesentliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.<br />
172<br />
9.4 Tipps und Hinweise<br />
9. Blutzuckermessgeräte<br />
● Es ist empfehlenswert, gelegentliche Vergleichsmessungen mit einer nasschemischen<br />
Methode (Labormethode) durchzuführen, um gewohnheitsmäßige Fehler<br />
bei der Blutzuckerselbstmessung bzw. systematische Gerätefehler zu erkennen.<br />
● Gegenkontrollen mit anderen Blutzuckermessgeräten sind nicht sinnvoll und deshalb<br />
unnötig. Der Vergleich von zwei Messmethoden, die jeweils einen Toleranzbereich<br />
von 15 % haben, ist keinesfalls aussagekräftig.<br />
● Die sachgerechte Aufbewahrung der Teststreifen sollte selbstverständlich sein, d.h.<br />
Schutz vor Nässe und extremen Temperaturen. Keine Lagerung der Teststreifen<br />
außerhalb des Verpackungsmaterials. Vorsicht ist beispielsweise angezeigt bei der<br />
Aufbewahrung von Teststreifen am Strand bzw. im Innenraum eines Autos, der<br />
sich im Sommer bei Sonneneinstrahlung erheblich aufheizen kann.<br />
● Zwischen dem Durchschnittswert aller Blutzuckermesswerte innerhalb von 6 bis 8<br />
Wochen und dem HbA 1c -Wert besteht ein gewisser Zusammenhang. Dieser ist jedoch<br />
von zahlreichen Faktoren abhängig und kann nicht mit einer Formel angegeben<br />
werden. Sollten aber größere Unterschiede hinsichtlich Plausibilität auftreten,<br />
sind ein gründliches Nachdenken sowie eine Fehlersuche angezeigt.<br />
● Der Bezug von Teststreifen über den Versandhandel ist kostengünstiger. Preisvergleiche<br />
sind empfehlenswert. Im allgemeinen erhält man dabei Testmaterial von<br />
guter Qualität. Sollte es sich um Re-Import-Ware handeln, ist eine gewisse Skepsis<br />
angezeigt; insbesondere das Haltbarkeitsdatum ist zu beachten.<br />
● Gerade beim Insulinpumpenpatienten besteht eine große Abhängigkeit von der<br />
Blutzuckermessung, denn das Ergebnis der Selbstkontrolle ist für die Therapiesteuerung<br />
eine wichtige Voraussetzung. Deshalb empfehlen wir die Anschaffung<br />
eines Ersatzgerätes, das bei längerer Abwesenheit von zu Hause auch mitgenommen<br />
werden sollte. Erfreulicherweise sind die Anschaffungskosten für ein Gerät<br />
heute relativ niedrig. Die Industrie verdient das Geld weniger mit den Geräten als<br />
vielmehr durch den Verkauf der Streifen. Bei einem Preis von ca. 20 bis 50 Euro für<br />
ein neues Testgerät sollten die Diskussionen, inwieweit die gesetzliche Krankenkasse<br />
für die Kosten des Gerätes aufzukommen hat, der Vergangenheit angehören.<br />
● Bei Reisen in abgelegene Regionen der Erde (z.B. Zentralafrika, Innerasien) empfiehlt<br />
es sich, Teststreifen mit der Möglichkeit der visuellen Kontrolle mitzunehmen.<br />
Diesbezüglich bewährte Teststreifen sind der Haemo-Glukotest 20 - 800 R der<br />
Firma Roche.<br />
173
9. Blutzuckermessgeräte<br />
Tipp: Blutzucker-Selbstkontrolle<br />
Das regelmäßige Testen des Blutzuckers ist eine wesentliche Voraussetzung für eine stabile<br />
Blutzuckereinstellung.<br />
Zur Blutzuckerselbstkontrolle sollte im Regelfall ein Messgerät benutzt werden. Bei Blutzuckerkontrollen<br />
im Dämmerlicht oder in der Nacht ist mitunter das Schätzen des Blutzuckers<br />
mit einem Teststreifen erschwert.<br />
Die Häufigkeit der Blutzuckerselbstkontrollen beträgt mindestens 4 Messungen täglich jeweils<br />
vor den Hauptmahlzeiten sowie nachts vor dem Einschlafen. Ansonsten liegt ein »Blindflug«<br />
vor mit erhöhter Gefahr von Unterzuckerungen und zu spätem Erkennen einer evtl. drohenden<br />
ketoazidotischen Entgleisung.<br />
Bei einem üblichen Tagesablauf braucht das Blutzuckermessen auch nicht übertrieben zu werden.<br />
Stets ist zu fragen:Was bringt mir eine zusätzliche Blutzuckerselbstkontrolle? Welche Konsequenzen<br />
ergeben sich aus einem gewonnenen Messwert?<br />
In Sondersituationen (körperliche Aktivität, Autofahren, fieberhafte Erkrankung, usw.) öfter<br />
messen, jedoch nicht häufiger als in 2stündigen Abständen.<br />
Nachdenken! Warum ist der Blutzucker so, wie er ist? Was kann ich über die individuellen Besonderheiten<br />
lernen und erfahren?<br />
Dokumentation<br />
Zum Erkennen von Gesetzmäßigkeiten und Fehlern bei der Blutzuckereinstellung ist eine regelmäßige<br />
und übersichtliche Dokumentation unverzichtbar. Das gut geführte Blutzuckertagebuch<br />
dient als wichtige Diskussionsgrundlage im Gespräch mit dem Insulinpumpenerfahrenen<br />
Arzt.<br />
Es gibt eine Fülle von verschiedenen Möglichkeiten der Dokumentation, z.B. tabellarisch, graphisch,<br />
mit PC-Unterstützung. Jeder Diabetiker sollte sich für die Methode entscheiden, die ihm<br />
die meisten Vorteile bringt (Aufwand? Erkennen von Gesetzmäßigkeiten und Trends?).<br />
Was dokumentieren? Nicht nur Blutzucker, BE-Zufuhr und Insulinboli sollten routinemäßig erfasst<br />
werden.Auch von Bedeutung können sein: Katheterwechsel, Katheterprobleme, körperliche<br />
Aktivität, Infekte, psychischer Stress, Basalratenänderung, Insulinpumpenstop, Unterzuckerungsanzeichen,<br />
bei Frauen auch der Monatszyklus.<br />
174<br />
9. Blutzuckermessgeräte<br />
● Jeder ermittelte Blutzuckermesswert sollte Anlass zum Überdenken und Nachdenken<br />
sein: Warum ist der Blutzucker so, wie er ist? Was ist anders als erwartet? Was<br />
kann ich hieraus für die Zukunft lernen? Diesbezüglich wird auf die Ausführungen<br />
zum PPL-System im Abschnitt 3.3 verwiesen.<br />
● Eine aussagekräftige und übersichtliche Dokumentation der Messergebnisse und<br />
wesentlicher Rahmenbedingungen ist unabdingbar – zumindest in Sondersituationen.<br />
Sie ermöglicht das Herausfinden von »persönlichen Gesetzmäßigkeiten«;<br />
sie ist Voraussetzung für eine effektive Beratung durch einen <strong>Diabetes</strong>-Fachmann,<br />
und sie dient nicht zuletzt zur Rechtfertigung des Teststreifenverbrauchs gegenüber<br />
der Krankenkasse.<br />
● Von den Insulinherstellern und den Insulinpumpenfirmen gibt es kostenlos Tagebücher<br />
zum Eintragen der Blutzuckerverläufe. Sie unterscheiden sich in Art und<br />
Umfang der Dokumentation. Ein Insulinpumpenträger sollte verschiedene Systeme<br />
ausprobieren, um dasjenige herauszufinden, das ihm bei der Analyse von<br />
Messergebnissen am nützlichsten ist. Eine zusätzliche graphische Darstellung wird<br />
häufig als hilfreich empfunden. Manche Patienten entwickeln auch eigene Tabellen<br />
und Graphiken. Nicht die Art der Dokumentation ist entscheidend, sondern<br />
wichtig ist, inwieweit das Aufzeichnen der Ergebnisse dabei hilft, die individuellen<br />
Gesetzmäßigkeiten der Blutzuckerregulation zu erkennen.<br />
● Eine Auswertung der Blutzuckerverläufe ist selbstverständlich auch mit geeigneter<br />
Software am eigenen PC möglich. Solche Programme werden von den Herstellern<br />
der Blutzuckermessgeräte für die gängigen Modelle angeboten. Die im Messgerät<br />
mit Datum und Uhrzeit gespeicherten Daten werden auf den PC überspielt und<br />
können anschließend rasch und übersichtlich analysiert werden bezüglich statistischer<br />
Kennzeichen wie z.B. <strong>Mit</strong>telwert, Schwankungsbreite, Häufigkeit von Werten<br />
im erniedrigten Bereich (z.B. unter 70 mg/dl) bzw. im erhöhten Bereich (z.B.<br />
über 200 mg/dl). Die computergesteuerte Auswertung besitzt jedoch einen wesentlichen<br />
Nachteil: Im Regelfall werden bei der Datenerfassung zahlreiche Einflussgrößen,<br />
die für den Blutzuckerverlauf eine gewisse Bedeutung haben, nicht<br />
berücksichtigt. Solche Parameter sind beispielsweise Drück-Ess-Abstand, Zeitdauer<br />
und Intensität von körperlicher Aktivität, Stress, Ärger, Katheterproblematik, Zeitpunkt<br />
und Ausmaß der Unterzuckerung, Alkoholkonsum, Basalratenveränderung,<br />
Menstruationszyklus, Infektsituation. Diese haben jedoch, wie mehrfach erwähnt,<br />
einen wechselnden, keinesfalls aber bedeutungslosen Stellenwert. Durch PC-Programme<br />
wird das Überdenken der persönlichen Blutzuckerverläufe nicht ersetzt,<br />
sondern nur erleichtert.<br />
● Bei den Stechhilfen und den Lanzetten zur Blutgewinnung gibt es ebenfalls Unterschiede.<br />
Hinsichtlich der Stechhilfen sind wesentlich: die Größe, die Handhabung<br />
und die Einstellbarkeit der Stechtiefe. Für eine möglichst schmerzarme Blutge-<br />
175
9. Blutzuckermessgeräte<br />
176<br />
winnung sind insbesondere Schliff und Beschaffenheit der Nadel von Bedeutung.<br />
Diesbezüglich berichten uns die Patienten über gute Erfahrungen mit der<br />
»BD Microfine +«. Auch hier heißt es: Den Erfahrungsaustausch mit Betroffenen<br />
nutzen, die Angebote von verschiedenen Herstellern ausprobieren, um so den persönlichen<br />
»Favoriten« herauszufinden. Nicht jede Lanzette passt in jede Stechhilfe.<br />
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
10.1 Entwicklung einer Ketoazidose<br />
Bei Typ-1-Diabetikern liegt in der Regel keine bzw. eine unzureichende Insulinbildung<br />
der Bauchspeicheldrüse vor. Der Körper des Typ-1-Diabetikers ist deshalb ständig auf<br />
Insulinzufuhr von außen angewiesen. Wird beispielsweise bei einem fieberhaften Infekt<br />
mehr Insulin benötigt oder wird die Insulinzufuhr unterbrochen (z.B. Insulinpumpendefekt,<br />
Herausrutschen der Nadel), entsteht ein relativer bzw. absoluter Insulinmangel.<br />
Statt Traubenzucker wird nun Fett zur Energiegewinnung abgebaut. Dabei<br />
entstehen die Ketonkörper Azeton, Azetoazetat sowie Beta-Hydroxybutyrat, die zu einer<br />
Übersäuerung des Blutes führen und mit zunehmender Konzentration die typischen<br />
Anzeichen wie Unwohlsein, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen verursachen<br />
(siehe schematische Übersicht in Abbildung 58).<br />
Azeton wird hauptsächlich über die Lunge ausgeatmet; es erzeugt den charakteristischen<br />
süßlichen Geruch nach faulen Äpfeln, den weniger der Betroffene, sondern eher<br />
die Umgebung wahrnimmt. Azetoazetat und auch ein Teil des Azetons werden im<br />
Urin ausgeschieden und können mit geeigneten Teststreifen, z.B. Ketur-Test nachgewiesen<br />
werden. Deutliche Verfärbungen des Testfeldes (++ bis +++) sind ein wichtiges<br />
Warnsignal für eine beginnende Stoffwechselentgleisung.<br />
Dagegen verbleibt das in relativ großer Menge gebildete Beta-Hydroxybutyrat im Blut<br />
und wird dort verstoffwechselt. Diese Substanz wird als ein empfindliches Warnsignal<br />
für eine Ketoazidose mit der Urintestung nicht erfasst; sie kann mittlerweile jedoch<br />
mit geeigneten Teststreifen und Messgerät vom Patienten selbst ermittelt werden. Die<br />
Bestimmung der Ketone im Blut ist für die frühzeitige Entdeckung einer kritischen<br />
Stoffwechselentgleisung und zur Überwachung der angemessenen Behandlung neben<br />
der Blutzuckermessung von Vorteil. Dies ist mit dem zunächst zur Blutzuckerbestimmung<br />
entwickelten Gerät Precision Xtra der Fa. Medisense möglich. Wie von<br />
der Zuckermessung gewohnt, wird ein Blutstropfen auf den Teststreifen aufgetragen,<br />
nach 30 sec erscheint im Display das Ergebnis. Im Normalfall liegt die Konzentration<br />
der Ketone im Blut unter 0,6 mmol/l. Ein Wert über 1,0 mmol/l ist Frühkennzeichen einer<br />
drohenden kritischen Stoffwechselsituation und erfordert weitere geeignete Maßnahmen.<br />
Der Azetonnachweis im Urin ist durch die Messung der Blutketonwerte keinesfalls<br />
überflüssig geworden. Die Beurteilung der Ketone im Urin ist für praktische<br />
Belange ausreichend genau, die <strong>Mit</strong>nahme von Urin-Teststreifen ist unproblematisch,<br />
es besteht keine Abhängigkeit von einem speziellen Messgerät, das Verfahren der<br />
Urinkontrolle ist insgesamt kostengünstiger und vermutlich auch weniger störanfällig.<br />
Nicht die Messmethode bzw. ein Zahlenwert auf einem Display ist wesentlich, um eine<br />
177
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
Tipp: Ketoazidose rechtzeitig erkennen<br />
drohende Ketoazidose bereits im Frühstadium zu erfassen, sondern der »Kopf des<br />
Insulinpumpenträgers«, der rechtzeitig daran denken muss.<br />
10.2 Häufigkeit der Ketoazidose<br />
bei der Insulinpumpenbehandlung<br />
Das Risiko einer Ketoazidoseentwicklung ist unter der Insulinpumpen-Therapie im<br />
Vergleich zur Spritzenbehandlung größer. Unter der laufenden Insulinpumpenbasalrate<br />
besteht ein relativ kleines subkutanes Insulindepot von ca. 2-3 Einheiten mit somit<br />
nur kurzer Wirkdauer. Durch den auftretenden absoluten Insulinmangel, beispielsweise<br />
in Folge eines Katheterlecks, kann es daher relativ rasch zur Lipolyse (vermehrte<br />
Fettverbrennung) und ketoazidotischen Entgleisung kommen.<br />
Wichtig ist hierbei die frühzeitige Azetonmessung, da infolge des absoluten Insulinmangels<br />
bereits bei Blutzuckerwerten um 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l das Azeton<br />
deutlich erhöht sein kann.<br />
Somit stellt die Ketoazidose neben der Gefahr der Hautinfektion an der Kathetereinstichstelle<br />
ein Insulinpumpentypisches Risiko dar. Hierüber muss jeder Insulinpumpenträger<br />
gut informiert und geschult werden. Denn die Erfahrung lehrt: Wird eine Ketoazidose<br />
nicht rechtzeitig erkannt, muss meist eine stationäre Krankenhausbehandlung<br />
erfolgen.<br />
Angegeben wird in der Literatur die Anzahl der Ketoazidosen pro Patient pro Jahr,<br />
d.h. diese Zahl bezeichnet die Wahrscheinlichkeit für einen einzelnen Insulinpumpenträger,<br />
während eines Jahres eine Ketoazidose zu er<strong>leben</strong>, die im Krankenhaus behandelt<br />
werden muss (Abb. 59).<br />
178<br />
Bei einem unerklärlich hohen Blutzuckerwert von 250 mg/dl<br />
(13,9 mmol/l) oder höher muss ein Azetontest durchgeführt<br />
werden (z.B. Ketur-Test). Bei Unwohlsein, Übelkeit und Erbrechen<br />
ist bereits bei Blutzuckerwerten um 200 mg/dl<br />
(11,1 mmol/l) ein Azetontest notwendig.<br />
Insulinmangel<br />
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
Hoher Blutzucker Zuckermangel Vermehrte Fett-<br />
(= Hyperglykämie) in der Zelle verbrennung (= Lipolyse)<br />
Blutzucker Abgeschlagenheit Fettverbrennung<br />
übersteigt die Gewichtsverlust jedoch unvollständig<br />
Nierenschwelle Muskelschwund<br />
Zucker im Urin Azeton und andere<br />
Ketonkörper vermehrt<br />
in Blut, Urin, Atemluft<br />
Der Zucker zieht Zusätzlicher Verlust Übersäuerung des<br />
zusätzlich Wasser aus an Blutsalzen Blutes / Azetonvergiftung<br />
dem Körper (= Mineralstoffen)<br />
Austrocknung der Gewebe Wadenkrämpfe Übelkeit Verstärkte<br />
(Nierenversagen, Schock) Herzrhythmus- Erbrechen Atmung<br />
Müdigkeit, Abgeschlagenheit störungen Bauch- (= Hyper-<br />
Verstärkt Durst schmerzen ventilation)<br />
Vermehrtes Harnlassen<br />
(= Polyurie)<br />
Abb. 58: Entwicklung einer Ketoazidose<br />
Heutige Daten liegen bei etwa 0,02 Episoden pro Patient pro Jahr, d.h. von 100 Insulinpumpenträgern<br />
müssen pro Jahr durchschnittlich 2 Patienten wegen einer Ketoazidose<br />
stationär behandelt werden. Die Häufigkeit der stationär behandelten Ketoazidosen<br />
unter der Insulinpumpen-Therapie entspricht damit der unter der ICT. Man kann<br />
aber davon ausgehen, dass die wirkliche Zahl der beginnenden Ketoazidosen deutlich<br />
höher liegt, denn der gut geschulte Insulinpumpenpatient benötigt zur Behandlung<br />
der beginnenden Ketoazidose keine ärztliche Hilfe, insbesondere keine stationäre Behandlung<br />
mehr.<br />
Deutlicher wird bei den aufgeführten Daten auch die positive Entwicklung im Laufe<br />
der letzten Jahre. Diese kann durch die Verbesserung der Kathetermaterialien und In-<br />
179
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
sulinpumpen, durch die größere Erfahrung der Insulinpumpenzentren sowie durch die<br />
bessere Schulung der Patienten begründet sein.<br />
Bei einem Diabetiker nach Umstellung auf die Insulinpumpen-Behandlung (CSII) ist die<br />
Gefahr der Ketoazidoseentwicklung in den ersten Monaten relativ groß. Nachschulungen<br />
und Routine führen zu größerer Sicherheit und Abnahme der Ketoazidosehäufigkeit.<br />
Im weiteren Verlauf können besonders »Routiniers« einer trügerischen<br />
Sicherheit unterliegen. Es werden weniger Blutzuckerwerte pro Tag gemessen, die<br />
Ketoazidosehäufigkeit steigt wieder an.<br />
Peden et al.: 0,24 Episoden pro Patient pro Jahr (1983)<br />
Irsigler et al.: 0,12 Episoden pro Patient pro Jahr (1984)<br />
Renner et al.: 0,06 Episoden pro Patient pro Jahr (1987)<br />
Renner et al.: 0,02 Episoden pro Patient pro Jahr (1998)<br />
Abb. 59: Häufigkeit der Ketoazidose unter Insulinpumpen-Therapie<br />
10.3 Ketoazidose-Ursachen bei der Insulinpumpen-Therapie<br />
Krankheit mit Fieber<br />
Fieberhafte Infekte können natürlich auch bei Insulinpumpenträgern zu Blutzuckeranstieg<br />
und Ketoazidoseentwicklung führen. Fieber erhöht den Insulinbedarf. Pro ein<br />
Grad über 37°C Körpertemperatur müssen ca. 20 % Mehrbedarf an Insulin veranschlagt<br />
werden.<br />
Ein Mangel an Bewegung im Krankheitsfall kann zusätzlich zur Blutzuckerentgleisung<br />
beitragen. Somit gehören fieberhafte Infekte mit fehlender oder unzureichender Insulindosisanpassung<br />
sicher zu den häufigsten Ketoazidose-Ursachen bei Typ-1-Diabetikern<br />
– unabhängig von der Art der Insulinbehandlung. Auch banale Infekte oder<br />
Entzündungen ohne Fieber, wie z.B. Entzündungen im Zahn- oder Kieferbereich und<br />
Weichteilinfektionen, können einen Insulinmehrbedarf begründen.<br />
Die Gefahr der Ketoazidose steigt, je weniger Insulineigenproduktion vorhanden ist.<br />
Im Rahmen eines fieberhaften Infektes entsteht ein relativer Insulinmangel, wenn nur<br />
die sonst übliche Insulinmenge gespritzt wurde. Das entstehende Insulindefizit lässt<br />
den Blutzucker ansteigen. Beim Insulinpumpenträger kommen nun Insulinpumpenspezifische<br />
Ketoazidoseursachen hinzu, die zu einem absoluten Insulinmangel<br />
führen können.<br />
180<br />
Leckagen, Herausrutschen der Nadel<br />
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
Insulinverlust durch Herausrutschen der Nadel oder Leckagen werden von keinem<br />
Alarmsystem der Insulinpumpe registriert (Ausnahme: Insulinpumpe D-TRONplus, s.<br />
Abb. 60). Innerhalb weniger Stunden kann es daher unbemerkt zu einem absoluten<br />
Insulinmangel kommen.<br />
Bei Verwendung der Insulinpumpe H-TRONplus ist auf den regelmäßigen Wechsel des<br />
Adapters zu achten (alle 6 Monate). Adaptergewinde und Dichtungsring können mit<br />
der Zeit abnutzen und somit eine Ursache für Leckagen sein.<br />
Abb. 60: Die Insulinpumpe D-TRONplus verfügt über einen Drucksensor, der eine drohende Unterbrechung<br />
der Insulinversorgung bei Katheterverstopfung, Leckagen etc. frühzeitig erkennt.<br />
Bedienungsfehler und technische Defekte<br />
Technische Defekte als Ursache einer Ketoazidose sind durch das hochentwickelte<br />
Alarmsystem der auf dem Markt befindlichen Insulinpumpen selten geworden. Die<br />
Tatsache, dass sich die Insulinpumpe im Stop-Zustand befindet und deshalb kein Insulin<br />
abgeben kann, wird von allen Insulinpumpen angezeigt. Dieser Warnton kann jedoch<br />
bewusst beim Ablegen der Insulinpumpen »weggedrückt« werden (z.B. beim<br />
Sauna-Besuch). Danach ist unbedingt darauf zu achten, die Insulinpumpe wieder in<br />
den Run-Zustand zu bringen, ansonsten ist die Ketoazidose am nächsten Morgen vorprogrammiert!<br />
(siehe auch Abb. 41 »Checkliste bei Katheterwechsel«).<br />
Eine Verstopfung im Katheter mit Behinderung des Insulinflusses durch Auskristallisierung<br />
des Insulins ist bei heutigem Kathetermaterial selten geworden. Das Einklemmen<br />
des Katheterschlauches von außen (z.B. Gürtel) ist schwer möglich. Kommt es zu einer<br />
Behinderung des Insulinflusses, muss der Motor der Insulinpumpe gegen einen erhöhten<br />
Druck arbeiten. Wird dabei ein Schwellenwert überschritten, kommt es zum Verstopfungsalarm.<br />
Das maximale Staubolusvolumen bis zum Auftreten dieses Alarms<br />
181
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
kann bei einer U100-Insulinampulle abhängig vom Insulinpumpenmodell und den verwendeten<br />
Ampullen mehr als 4 I.E. betragen. Bei der Insulinpumpe D-TRONplus sorgt<br />
ein Sensor dafür, dass ein Verstopfungsalarm bereits nach 2-4 I.E. angezeigt wird. Ein<br />
Verstopfungsalarm kann auch bei erhöhter Reibung in der Insulinpumpe (Ampulle<br />
oder Gewinde) entstehen. Zeigt daher die Insulinpumpe nach einem Katheterwechsel<br />
immer noch einen Verstopfungsalarm an, müssen die Ampulle und ggf. auch die Gewindestange<br />
und die Batterien gewechselt werden. In Einzelfällen wurde fälschlicherweise<br />
ein Verstopfungsalarm bei zu schwacher Batteriespannung ausgelöst.<br />
Nach Verletzung eines Gefäßes im Unterhautfettgewebe beim Einstich des Katheters<br />
kann eine Blutsäule im Katheterschlauch sichtbar werden. Der im Insuman Infusat enthaltene<br />
Stabilisator Genapol wirkt lokal etwas blutgerinnungshemmend. Eine kleine<br />
Blutsäule sollte daher mit dem nächsten Bolus herausspülbar sein. Ist ein größeres Volumen<br />
des Katheters mit Blut gefüllt, kann das geronnene Blut einen Insulinstop verursachen.<br />
Der Katheter sollte rasch gewechselt werden.<br />
Beim Einlegen einer neuen Ampulle bzw. beim Legen eines neuen Katheters müssen<br />
alle Luftblasen im System entfernt werden. Eine Luftblase in der Ampulle kann durch<br />
das Tragen der Insulinpumpe mit nach oben gerichteter Ampullenöffnung in den<br />
Katheter gelangen. Das Ketoazidoserisiko erscheint hierbei gering. Eine Luftblase von<br />
ca. 10 cm Länge im Katheterschlauch entspricht dem Insulinverlust von etwa einer Einheit<br />
U100-Insulin. Zur Vermeidung von Luftblasen sollten die Insulinampullen einige<br />
Stunden vor Gebrauch aus dem Kühlschrank genommen werden.<br />
Bei hoher Insulinempfindlichkeit bzw. einem geringen Tagesgesamtinsulinbedarf<br />
(25 Einheiten oder weniger) empfiehlt sich der Einsatz einer Insulinpumpe mit U40lnsulin.<br />
U40-lnsulin (1 ml entspricht 40 I.E.) hat gegenüber U100-lnsulin eine 2,5-fach<br />
höhere Volumenmenge, die Durchflussrate im Katheter wird dadurch gesteigert.<br />
Veränderungen der Haut<br />
Bei einer Nickelallergie gegen die Katheternadel kann es auch zu Reaktionen des Unterhautfettgewebes<br />
kommen. Typisch sind Verhärtungen im Bereich der Nadeleinstichstelle.<br />
Derartige Granulome sieht man auch bei längerer Liegedauer des Katheters.<br />
Eine unsaubere Arbeitsweise beim Katheterlegen birgt die Gefahr von Entzündungen<br />
an der Kathetereinstichstelle. In all diesen Fällen wird die Insulinaufnahme<br />
behindert, die Entwicklung einer Ketoazidose ist möglich. Da diese Risiken mit der<br />
Liegedauer des Katheters deutlich zunehmen, empfiehlt sich ein Katheterwechsel<br />
mindestens jeden 2. Tag.<br />
182<br />
10.4 Rechtzeitiges Erkennen der Ketoazidose<br />
Es ist wichtig, dass ein Insulinpumpenträger eine sich entwickelnde Stoffwechselentgleisung<br />
bereits im Frühstadium bemerkt. Wer zu spät daran denkt und nicht rechtzeitig<br />
das Richtige tut, kann in eine bedrohliche Situation kommen. Eine fortgeschrittene<br />
Ketoazidose ist eine ernste und gefährliche Krankheit; sie muss im Regelfall stationär<br />
in einer Klinik auf der Intensivstation behandelt werden. Der gut informierte<br />
Patient kann diese kritische Situation in aller Regel verhindern.<br />
Was sind nun die Kennzeichen einer beginnenden Ketoazidose?<br />
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
Große Bedeutung zur Früherkennung haben die sog. »klinischen Symptome«, also<br />
körperliche Veränderungen und Erscheinungen, die der Insulinpumpenträger bei sich<br />
selbst feststellen kann. Oft sind ein allgemeines Unwohlsein mit Bauchbeschwerden<br />
die ersten Anzeichen, später kommen Übelkeit und Erbrechen dazu. Dieser Zustand<br />
darf auf keinen Fall mit einem »verdorbenen Magen« oder mit einer harmlosen Magen-Darm-Verstimmung<br />
verwechselt werden. Immer wieder kommt es zu Fehldeutungen<br />
– gelegentlich auch vom hinzugerufenen Arzt. Es ist sehr wichtig, als Betroffener<br />
diese »Körpersprache« bewusst wahrzunehmen und sie entsprechend zu deuten.<br />
Die üblichen Kennzeichen einer Blutzuckerentgleisung nach oben, nämlich starker<br />
Durst, häufiges Wasserlassen und unerklärliche Müdigkeit sind nicht Frühwarnzeichen<br />
einer Ketoazidose, sondern treten gewöhnlich erst in einem weiter fortgeschrittenem<br />
Stadium auf.<br />
Ein weiterer deutlicher Hinweis kann ein unerwartet hoher Blutzuckerwert sein. Bei<br />
einem Messergebnis über 250 mg/dl, das nicht ohne weiteres erklärbar ist, sollte stets<br />
auch an eine eventuelle Ketoazidose gedacht werden. Ausgeprägte Blutzuckeranstiege<br />
auf Werte über 400 mg/dl sind für eine Entgleisung im Frühstadium nicht typisch.<br />
Falls wie empfohlen der Blutzucker durch Selbstmessung täglich mindestens 3 - 4 mal<br />
überprüft wird, ist es kaum vorstellbar, dass sich eine Ketoazidose bis zu einem äußerst<br />
gefährlichen, schwerwiegenden Stadium mit der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen<br />
Betreuung entwickelt. In solchen Fällen wurden meistens die gleichen Fehler<br />
gemacht:<br />
● Zu seltene Blutzuckerselbstkontrolle, d.h. Intervalle von 12 Stunden oder mehr<br />
● Fehlinterpretation der Frühzeichen<br />
● Nicht ausreichende Information über eine Ketoazidose<br />
● An die Möglichkeit einer Ketoazidose wurde einfach nicht gedacht.<br />
Bei geringstem Verdacht auf eine Stoffwechselentgleisung – entweder wegen typischer<br />
körperlicher Symptome oder wegen unklarer Blutzuckererhöhung auf Werte<br />
über 250 mg/dl – ist die umgehende Bestimmung der Ketonkörper unerlässlich.<br />
183
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
Der Azetonnachweis im Urin stellt dafür die Standardmethode dar und hat auch heute<br />
noch seine Berechtigung. Bei deutlicher Verfärbung des Testfeldes mit zweifach<br />
bzw. dreifach positivem Ergebnis besteht Handlungsbedarf, und es ist gemäß den<br />
Empfehlungen im Abb. 65 vorzugehen. Konsequenterweise gehören Azetonteststreifen<br />
zur Urinkontrolle in das »Notfall-Täschchen« eines jeden Insulinpumpenträgers.<br />
Die Bestimmung der Ketone im Blut liefert einen weiteren wichtigen Mosaikstein zur<br />
frühzeitigen Erkennung einer Stoffwechselentgleisung. Hierzu eignet sich das Blutzuckermessgerät<br />
Precision Xtra mit speziellen Teststreifen. Dieses Verfahren ist zwar<br />
nicht zwingend notwendig, aber es kann vorteilhaft sein. Im Regelfall wird eine beginnende<br />
ketoazidotische Entgleisung damit früher festgestellt werden, als dies mit<br />
der Urintestung möglich wäre. Die Messung ist auch durchführbar, wenn keine Urinprobe<br />
gewonnen werden kann. Schließlich erlaubt das Messgerät eine quantitative Ermittlung<br />
der Ketonwerte im Blut. Auch zur Verlaufskontrolle einer Ketoazidose unter<br />
geeigneter Behandlung bietet die Kenntnis der Ketone im Blut Vorteile.<br />
Allerdings sind uns Einzelfälle bekannt, in denen bei deutlich positivem Azetonnachweis<br />
im Urin das Messgerät keine nennenswert erhöhten Ketonwerte im Blut angezeigt<br />
hat. Eine Erklärung dafür haben wir nicht, auch eine Rückfrage bei der Fa. Medisense<br />
half nicht weiter. Dieser Sachverhalt ist eine zusätzliche Rechtfertigung dafür,<br />
bei Insulinpumpenträgern als Schulungsinhalt eventuell eine beginnende ketoazidotische<br />
Entgleisung zu simulieren. Eine begleitende Parallelmessung von Azeton im Urin<br />
und von Ketonkörpern im Blut ist dabei zweckmäßig und dringend anzuraten.<br />
Wichtige Hinweise auf eine beginnende Entgleisung können also sein:<br />
● Unwohlsein<br />
● Bauchbeschwerden<br />
● Übelkeit<br />
● Erbrechen<br />
Bei entsprechenden körperlichen Beschwerden und/oder deutlich erhöhten Blutzuckerwerten<br />
ohne offensichtlichen Grund muss an die Möglichkeit einer Ketoazidose<br />
gedacht werden, und es sind unverzüglich die sog. »Kontrollmessungen« durchzuführen,<br />
nämlich Azetonüberprüfung im Urin und/ oder Bestimmung der Ketonkörper<br />
im Blut.<br />
184<br />
Rechtzeitiges Erkennen einer ketoazidotischen Entgleisung!<br />
Warnzeichen – Worauf achten?<br />
Wenn<br />
● typische körperliche Symptome auftreten<br />
(Unwohlsein, Bauchbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen)<br />
und / oder<br />
● der Blutzucker unerwartet hoch ist<br />
(über 250 mg/dl bzw. über 14 mmol/l)<br />
muss an eine Ketoazidose gedacht werden.<br />
Dann umgehend<br />
● Azeton im Urin bestimmen<br />
Handlungsbedarf besteht, wenn ++ oder +++<br />
und / oder<br />
● Ketone im Blut messen<br />
Handlungsbedarf besteht, wenn der Wert höher als 1,0 mmol/l ist<br />
Merke: Schon der Verdacht einer Ketoazidose erfordert geeignetes Handeln<br />
Abb. 61: Tipps zur Früherkennung einer Ketoazidose<br />
10.5 Behandlung der Ketoazidose durch den Insulinpumpenträger<br />
Eine fortgeschrittene Ketoazidose mit heftigem Erbrechen, Bewusstseinstrübung oder<br />
Bewusstseinsverlust muss selbstverständlich in einer Klinik unter intensivmedizinischer<br />
Überwachung behandelt werden. Darauf wollen wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen.<br />
Die Notwendigkeit einer stationären Behandlung lässt sich aber in der Regel vermeiden,<br />
wenn eine beginnende Ketoazidose im Frühstadium erkannt wird. Dann kann sie<br />
von einem gut geschulten Insulinpumpenträger in Eigenregie behandelt werden. Es ist<br />
oft auch günstig, wenn Angehörige mit den Behandlungsrichtlinien vertraut sind. In<br />
Zweifelsfällen sollte Kontakt mit einem Insulinpumpenerfahrenen Arzt aufgenommen<br />
werden.<br />
Während einer Ketoazidose kommt es durch die Übersäuerung des Körpers zu einer<br />
verschlechterten Insulinempfindlichkeit, die blutzuckersenkende Wirkung von Insulin<br />
wird geringer. Deshalb ist erfahrungsgemäß ein großer Bedarf an schnell wirkendem<br />
Insulin (Normalinsulin oder Insulinanalogon) erforderlich. Es gilt als Leitlinie:<br />
»Nicht kleckern, sondern klotzen«<br />
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
185
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
Zur Korrektur der erhöhten Blutzuckerwerte empfehlen wir, als Startdosis etwa 20 %<br />
des Tagesgesamtinsulins in zweistündigem Abstand zu spritzen, bis der Blutzucker<br />
deutlich fällt (mehr als 50mg/dl bzw. 2,8 mmol/l). Zweckmäßigerweise sollte die Insulingabe<br />
mit einer Insulinspritze erfolgen, denn ein Insulinpumpen- oder Katheterdefekt<br />
kann in diesem Moment nicht ausgeschlossen werden. Sollte es nach 2 Stunden<br />
nicht zu einem nennenswerten BZ-Abfall kommen, kann die Startdosis solange fortgesetzt,<br />
bis der Blutzucker unter 200mg/dl bzw. 11,1 mmol/l liegt. In diesem Fall wird<br />
die Insulintherapie mit der halbierten Startdosis so lange fortgesetzt werden, bis der<br />
Blutzucker unter 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l liegt. Der Flüssigkeitsverlust muss durch<br />
reichliches Trinken ersetzt werden. Insbesondere auf Urlaubsreisen ist der Einsatz von<br />
Mineralpräparaten (Oralpädon/Elotransbeutel) sinnvoll. Im Falle der Entgleisung ist<br />
Ruhe erforderlich, jede körperliche Anstrengung würde die Übersäuerung des Körpers<br />
verstärken. Selbstverständlich sollte in dieser Phase auch keine Nahrungsaufnahme erfolgen.<br />
Entwarnung kann erst mehrere Stunden nach einer schweren Entgleisung gegeben<br />
werden. Bei negativem Azeton und einem BZ unter 200 mg/dl (11,1 mmol/l) empfehlen<br />
wir, wieder kleine Mahlzeiten einzunehmen (z.B. 2 BE Banane wegen des hohen<br />
Kaliumgehaltes). Eine relative Insulinunempfindlichkeit kann über 12 Stunden nach einer<br />
Entgleisung anhalten, daher müssen evtl. die BE-Faktoren und die Korrekturregeln<br />
verschärft werden (Abb. 62).<br />
Beispiel:<br />
bisheriger BE-Faktor: 2,0 I.E./BE<br />
verschärfter BE-Faktor: 2,5 I.E./BE<br />
bisherige Korrekturregel: Korrektur mit einer Einheit Normalinsulin in 40er Schritten<br />
ab einem Blutzucker von 140 mg/dl<br />
verschärfte Korrekturregel: Korrektur mit einer Einheit Normalinsulin in<br />
30er Schritten ab einem Blutzucker von 120 mg/dl<br />
Abb. 62: BE-Faktor und Korrekturregel nach Entgleisung (Beispiel in mg/dl)<br />
Alle drei bis vier Stunden sollte Normalinsulin (bzw. zwei- bis dreistündlich kurzwirksames<br />
Insulinanalogon) nach der Korrekturregel gespritzt werden, bis die Entgleisung<br />
endgültig überwunden und die ursprüngliche Insulinempfindlichkeit wieder erreicht<br />
ist. Dies gilt vor allem auch in den Nachtstunden (Wecker stellen!). Nach jeder Entgleisung<br />
muss eine Ursachenforschung erfolgen.<br />
186<br />
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
Die folgende Checkliste (Abb. 63) und das Merkblatt Entgleisung (Abb. 64) fassen<br />
nochmals alle wichtigen Punkte zusammen.<br />
Checkliste: Ursachen einer Ketoazidose Ja Nein<br />
1. Fieber? Infekt? ........................................................ ❑ ❑<br />
2. Insulinpumpe im Run? .............................................. ❑ ❑<br />
3. Einstichstellen auffällig? .......................................... ❑<br />
(Rötung, Schmerz, Lipohypertrophie)<br />
❑<br />
4. Katheter richtig fixiert? ............................................ ❑<br />
(Haut »riecht« nach Insulin,<br />
Feuchtigkeit an der Einstichstelle)<br />
❑<br />
5. Katheterliegedauer zu lang? .................................... ❑ ❑<br />
6. Luftblasen im Katheter? .......................................... ❑ ❑<br />
7. Blut im Katheter? .................................................... ❑ ❑<br />
8. Leckage an Verbindungsstücken ................................ ❑<br />
oder am Schlauchsystem?<br />
(Leck »riecht« nach Insulin)<br />
❑<br />
9. Katheter nach dem Herausziehen durchgängig? ........ ❑ ❑<br />
10. Insulinampulle leer? ................................................ ❑ ❑<br />
11. Ampullenfach feucht? (»riecht« nach Insulin) ............ ❑ ❑<br />
12. Riss in der Ampulle? ................................................ ❑ ❑<br />
Abb. 63: Ursachenforschung bei ketoazidotischer Entgleisung<br />
10.6 Entgleisungssimulation<br />
Im Rahmen einer Insulinpumpenerstschulung wird von manchen Pumpenzentren bewusst<br />
eine beginnende Ketoazidose simuliert. <strong>Mit</strong> Einverständnis des Insulinpumpenträgers<br />
und nach intensiver Schulung wird die Insulinpumpe dazu vorsätzlich ausgeschaltet<br />
und somit ein rascher absoluter Insulinmangel provoziert. Nach 3 bis 12 Stunden<br />
(individuell unterschiedlich) beobachtet der Patient in der Regel die typischen<br />
Kennzeichen einer drohenden Entgleisung (siehe Punkt 10.4) und kann dann die beginnende<br />
Ketoazidose durch ausreichende Insulinzufuhr rasch beheben. Als Vorteile<br />
dieser Provokation unter ärztlicher Betreuung werden angesehen:<br />
187
10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />
● Das Risiko einer Ketoazidose ist weniger angstbesetzt.<br />
● Der Insulinpumpenträger erlebt, wie rasch sich eine Entgleisung entwickeln<br />
kann.<br />
● Er lernt seine persönlichen Frühwarnzeichen einer beginnenden Ketoazidose<br />
kennen.<br />
● Er wird darin geübt, im Verdachtsfall (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen)<br />
die Azetonausscheidung im Urin zu überprüfen.<br />
● Er erfährt, wie eine drohende Ketoazidose durch relativ große Insulinmengen<br />
(siehe Kapitel 10.4) rasch beseitigt werden kann. Dabei trainiert er, auch<br />
unter Stress richtig zu reagieren.<br />
Entgleisung<br />
Bei deutlich erhöhtem Blutzucker (über 250 mg/dl bzw. 14 mmol/l)<br />
und Azetonnachweis (Urintestung ++/+++ bzw. Blutketone erhöht)<br />
oft mit Unwohlsein, Bauchbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen<br />
● sofort großzügige Gabe von schnellwirksamen Insulin:<br />
– als Startdosis ca. 20 % des Tagesgesamtinsulins<br />
– alle zwei Stunden wiederholen, bis der Blutzucker deutlich abfällt<br />
(mehr als 50 mg/dl bzw. 3 mmol/l)<br />
– dann Insulinbehandlung mit halbierter Startdosis fortsetzen, bis sich der<br />
Blutzucker tendenziell normalisiert (unter 200mg/dl bzw. 11mmol/l)<br />
● nichts essen<br />
● viel trinken ( ca. 1 Liter Mineralwasser, Tee pro Stunde)<br />
● keine körperliche Anstrengung (Ruhe bewahren!)<br />
Entwarnung<br />
Erst mehrere Stunden nach einer schweren Entgleisung ist die Gefahr gebannt.<br />
In dieser Zeit ist der Körper noch insulinunempfindlich.<br />
● wenn Azeton im Urin negativ bzw. Azeton im Blut unter 0,6 mmol/l<br />
und gleichzeitig Blutzucker unter 200 mg/dl bzw. 11mmol/l dann:<br />
kleine Mahlzeiten mit hohem Kohlenhydratanteil (z.B. Banane) möglich.<br />
Dazu Insulingabe nach BE-Faktor und Korrekturregeln.<br />
Eventuell müssen diese verschärft werden.<br />
● weiter alle vier Stunden Insulingabe nach Korrekturregeln (auch nachts!)<br />
● weiter reichlich trinken<br />
● überlegen: was war die Ursache?<br />
Abb. 64: Merkregeln zur ketoazidotischen Entgleisung<br />
188<br />
11. Unterzuckerung<br />
Die Gefahr einer Unterzuckerung (Hypoglykämie) ist kein Insulinpumpentypisches<br />
Problem. Das Auftreten von Hypoglykämien – was die Häufigkeit, aber auch was den<br />
Schweregrad anbelangt – ist in der Regel bei einer Insulinpumpenbehandlung geringer<br />
als bei einer konventionellen bzw. intensivierten Insulintherapie mit Spritze oder<br />
Pen.<br />
11.1 Insulinpumpenbehandlung bei Hypoglykämieproblemen<br />
Während der Anfangszeit der Insulinpumpenbehandlung in den 80er Jahren wurde<br />
eher davon abgeraten, Patienten mit ausgeprägteren Hypoglykämieproblemen auf<br />
eine Insulinpumpe einzustellen. Diese Meinung gilt heute nicht mehr. Disziplinierte,<br />
gut geschulte Diabetiker, bei denen häufige Unterzuckerungen auftreten, profitieren<br />
sehr oft von einer Insulinpumpenbehandlung, insbesondere in folgenden Fällen:<br />
● häufige nächtliche Hypoglykämien bei hoher Insulinempfindlichkeit nachts und<br />
Vorliegen eines typischen Dawn-Phänomens (Morgendämmerungs-Phänomen)<br />
● geringer Tagesinsulinbedarf von 25 I.E. und weniger<br />
● tageszeitlich stark wechselnde Insulinempfindlichkeit (z.B. hoher Insulinbedarf in<br />
den frühen Morgenstunden bei gleichzeitig geringem Insulinbedarf mittags und<br />
insbesondere um <strong>Mit</strong>ternacht)<br />
189
11. Unterzuckerung<br />
Diabetiker mit einem sogenannten Dawn-Phänomen kommen besonders für die Insulinpumpen-Therapie<br />
in Frage. Wenn sich bei Verwendung von zinkhaltigem Semilente-lnsulin<br />
als Spätspritze keine zufriedenstellende Blutzuckerglättung während der<br />
Nacht erzielen lässt, oder wenn aus praktischen Gründen die morgendliche erste Insulininjektion<br />
nicht vor 6.00 Uhr zugemutet werden kann, ist hier die Insulinpumpenbehandlung<br />
Methode der Wahl. Dabei ist die stündliche Basalrate um <strong>Mit</strong>ternacht sehr<br />
niedrig zu wählen und anschließend etwa ab 3.00 Uhr deutlich schrittweise zu erhöhen,<br />
teilweise auf das 3 - 4fache, in Einzelfällen sogar noch mehr.<br />
Diabetiker mit einer sehr guten Insulinempfindlichkeit - erkennbar an einer niedrigen<br />
Tagesgesamtinsulinmenge – haben häufiger vermehrte Unterzuckerungen. Bei Verwendung<br />
von Spritze / Pen lässt sich die Insulinmenge üblicherweise nur in Intervallen<br />
von jeweils 1 I.E. dosieren. Würde man beispielsweise statt eines Bolus von 3 I.E. hier<br />
nur 2 bzw. 4 I.E. spritzen, so entspräche dies einer relativen Insulinmengenänderung<br />
von 33 %. Bei Verwendung einer Insulinpumpe ist die Insulindosierung in kleineren<br />
Schritten möglich und kann genauer angepasst werden. Es sind allerdings auch Pens<br />
mit Dosierungsintervallen von 0,5 I.E. auf dem Markt (BD Pen mini, NovoPen 3 Demi).<br />
Erfahrungsgemäß gibt es auch Diabetiker mit häufigen Unterzuckerungen, die von einer<br />
Insulinpumpe nicht profitieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ursache der<br />
Unterzuckerung im weiteren Sinne in der Persönlichkeitsstruktur des Diabetikers und<br />
damit in der unzureichenden Selbstbehandlung liegt. Beispielsweise sind hier zu nennen:<br />
● Suchtproblematik (vor allem Alkohol)<br />
● »Null-Bock-Mentalität«<br />
● psychosoziale Probleme<br />
In solchen Fällen sollte der Beginn einer Insulinpumpenbehandlung immer sehr kritisch<br />
gesehen werden, denn persönlichkeitsbedingte Probleme mit der <strong>Diabetes</strong>einstellung<br />
lassen sich durch eine Insulinpumpenbehandlung im Regelfall nicht lösen. Sie<br />
werden durch die zusätzlichen Erfordernisse an vermehrter Eigenverantwortung bei<br />
der Insulinpumpen-Therapie oft noch verstärkt.<br />
Schließlich gibt es auch Diabetiker mit häufigen Hypoglykämien, bei denen die Entscheidung<br />
für eine Insulinpumpenbehandlung besonders gut überdacht werden muss;<br />
zu nennen sind:<br />
● erschwerte bzw. aufgehobene Unterzuckerungswahrnehmung<br />
(sogenannte »Unawareness«)<br />
● alleinstehende Diabetiker<br />
● fortgeschrittene Folgeerkrankungen (z.B. Dialysepflichtigkeit, Gastroparese,<br />
eingeschränktes Sehvermögen)<br />
190<br />
11. Unterzuckerung<br />
Bei Typ-1-Diabetikern mit einer <strong>Diabetes</strong>dauer von 10 Jahren und mehr liegt oft eine<br />
erschwerte bis aufgehobene Wahrnehmung der Unterzuckerungsanzeichen vor. Hier<br />
ist die Gefahr einer Unterzuckerung mit Hilflosigkeit und der Notwendigkeit von<br />
Fremdhilfe besonders groß. Selbstverständlich birgt hier die Insulinpumpen-Therapie<br />
ein gewisses Risiko, besonders in Verbindung mit einer sehr normnahen Blutzuckereinstellung.<br />
Bei einer Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit wird ja von der Insulinpumpe weiterhin<br />
Insulin als Basalrate abgegeben und dadurch die Unterzuckerungssymptomatik noch<br />
verstärkt. Die Hypo-Wahrnehmungsstörung ist oft mit einer sehr häufigen Unterzuckerungsfrequenz,<br />
meist mehr als 2 -3mal wöchentlich, verbunden. Es ist bekannt,<br />
dass die Wahrnehmung eines Unterzuckers mit größerer Häufigkeit von Hypoglykämien<br />
schlechter wird. Durch geringe Anhebung des Blutzuckerzielbereiches und mit<br />
Hilfe einer konsequenten Umsetzung von Hypoglykämie-Vermeidungsstrategien gelingt<br />
es unter Insulinpumpenbehandlung in der Regel, die Anzahl auch der leichten<br />
Hypoglykämien deutlich zu verringern. Wenn gleichzeitig noch die eigene Körperbeobachtung<br />
und die richtige Deutung der oft nur noch gering ausgeprägten Anzeichen<br />
einer Hypoglykämie verbessert werden, erreicht man nicht selten eine Besserung der<br />
vorbestehenden Wahrnehmungsstörung. Der Diabetiker kann anhand von diskreten,<br />
für ihn jedoch relativ typischen Körperveränderungen eine drohende Unterzuckerung<br />
erkennen und rechtzeitig noch geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen (Hypo-Wahrnehmungstraining).<br />
Diabetiker mit einer Hypo-Wahrnehmungsstörung sollten grundsätzlich eine Insulinpumpe<br />
mit einer sogenannten Sicherheitsschaltung benutzen. Dadurch wird gewährleistet,<br />
dass die Insulinpumpe automatisch nach einem fest eingestellten Zeitintervall<br />
(z.B. 12 Stunden) in den Stop-Zustand gesetzt wird, falls zwischenzeitlich kein<br />
Bedienungsknopf gedrückt wird. Dieses Zeitintervall kann auch verringert werden,<br />
beispielsweise auf 8 -10 Stunden. Dabei ist zu beachten: das einprogrammierte Zeitintervall<br />
bestimmt die maximal mögliche Schlafdauer des Insulinpumpenträgers.<br />
Durch zahlreiche Studien ließ sich zeigen, dass bei geeigneter Patientenauswahl die<br />
durchschnittliche Anzahl von Unterzuckerungen unter einer Insulinpumpen-Therapie<br />
trotz verbesserter Stoffwechsellage geringer ist als unter einer Spritzen-/Pen-Therapie.<br />
Dies ist nicht verwunderlich: Denn bei korrekt eingestellter Basalrate kann der gut informierte<br />
und motivierte Insulinpumpenträger die erforderliche Bolusmenge in kleinen<br />
Schritten relativ problemlos abrufen – vorausgesetzt, er kennt den jeweiligen aktuellen<br />
Blutzuckerwert. Ausreichend genaue und häufige Blutzuckerselbstkontrollen<br />
sind natürlich eine wesentliche Voraussetzung für einen stabilen Blutzuckerverlauf,<br />
speziell für eine geringere Häufigkeit von Unterzuckerungen.<br />
191
11. Unterzuckerung<br />
11.2 Risikosituationen<br />
Für Insulinpumpenpatienten ist es wie für jeden insulinspritzenden Diabetiker von<br />
großer Bedeutung, die besonderen Risikosituationen für eine Unterzuckerung zu kennen.<br />
Denn die wichtigste, die häufigste und auch die gefährlichste Nebenwirkung einer<br />
Insulinbehandlung ist eben die Hypoglykämie.<br />
Ganz allgemein besteht die Gefahr einer Unterzuckerung dann, wenn bei einer normnahen<br />
Blutzuckereinstellung der Insulinspiegel im Blut höher ist als der tatsächliche<br />
Bedarf.<br />
Das Unterzuckerungsrisiko ist in folgenden Situationen erhöht:<br />
● übermäßig hoher Insulinspiegel im Blut, z.B. nach einer großen Bolusgabe<br />
● geringer Insulinbedarf, z.B. bei körperlicher Aktivität<br />
● niedriger Blutzuckerausgangswert, z.B. bei sehr knappen Blutzuckerzielbereichen<br />
von 100 mg/dl oder weniger (»Tiefflieger«)<br />
● rasch abfallender Blutzuckertrend<br />
● eingeschränkte Zuckerneubildung in der Leber, z.B. nach vorangegangenem<br />
Alkoholgenuss<br />
● Muskelauffülleffekt: nach längerer körperlicher Aktivität<br />
● verbesserte Hautdurchblutung an der Kathetereinstichstelle (warmes Vollbad,<br />
Saunabesuch, Sonnenbad)<br />
Allgemeine Ursachen einer Hypoglykämie:<br />
● zu wenig gegessen<br />
● zu viel Insulin (zu große Basalrate, zu großer Bolus)<br />
● zu viel körperliche Aktivität<br />
● vermehrter Alkoholgenuss<br />
● Fehler bei der Blutzuckerselbstkontrolle (zu selten, zu ungenau)<br />
● Fehleinschätzung der Nahrung (z.B. Restaurantessen, ungewohnte Kost im Urlaub)<br />
● verbesserte Insulinwirkung (z.B. bei Gewichtsabnahme, bei Frauen z.T. zyklusabhängig)<br />
● Doppelkorrektur (gleichzeitig Korrekturinsulingabe und Weglassen von BE)<br />
● Bolusüberlappung (Missachtung der Insulinwirkdauer)<br />
Insulinpumpenspezifische Ursachen einer Hypoglykämie<br />
● Bedienungsfehler, wie versehentliche doppelte Bolusgabe, fälschliche Basalratenerhöhung<br />
● Ampullenwechsel mit im Bauch liegender Katheternadel<br />
● Verschlossene Öffnungen im Adapter der Insulinpumpe H-TRONplus – (z.B. Schmutz,<br />
rotes Verschlussstück)<br />
Abb. 65: Risikosituationen für Unterzuckerung<br />
192<br />
Insulinbehandelte Diabetiker sollten lernen, solche Risikosituationen zu erkennen, um<br />
rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können: entweder vermehrte<br />
Zufuhr von Kohlehydraten und/oder rechtzeitige Verringerung der Insulinmenge.<br />
Dies trifft insbesondere für den Typ-1-Diabetiker mit absolutem Insulinmangel<br />
zu. Wesentliche Ursachen für eine Unterzuckerung sind in Abb. 65 zusammengestellt.<br />
11.3 Vermeidungsstrategien<br />
Bei jeder Form der Insulinbehandlung müssen Häufigkeit und Schweregrad von Unterzuckerungen<br />
möglichst gering gehalten werden. Hierzu ist hilfreich, bereits im Vorfeld<br />
allgemeine Strategien zur Hypoglykämievermeidung zu kennen und konsequent<br />
einzuhalten (Abb. 67). Eine wichtige Vermeidungsstrategie besteht darin, das eigene<br />
Bewusstsein für eine Unterzuckerungsgefahr zu sensibilisieren. Dabei geht es darum,<br />
allgemeine Risikosituationen zu kennen und im Vorfeld mit einer Art »siebtem Sinn«<br />
entsprechende Gefahrenmomente zu erahnen. Persönliche Besonderheiten und Erfahrungen<br />
sind zu beachten. Etwas provokativ lässt sich behaupten:<br />
»Die Unterzuckerung beginnt oft im Kopf«!<br />
11. Unterzuckerung<br />
So betrachtet sind die Auslöser für eine Hypoglykämie auch im mentalen Bereich zu<br />
suchen, beispielsweise infolge von Sorglosigkeit, Ablenkung, Unwissenheit, und Gedankenlosigkeit.<br />
Es soll jedoch klar gestellt werden: Trotz großer Sorgfalt und gewissenhaftem<br />
Nachdenken können Unterzuckerungen nicht hundertprozentig vermieden<br />
werden; allerdings lässt sich ihre Häufigkeit nicht selten verringern.<br />
Eine andere Vermeidungsstrategie ist das Anheben von übertrieben niedrigen Blutzuckerzielbereichen<br />
(»Tiefflieger-Mentalität«). Dahinter verbirgt sich häufig eine<br />
übersteigerte Angst vor Folgeerkrankungen. Wenn beispielsweise ein Diabetiker nach<br />
mehr als 30-jähriger Krankheitsdauer keinerlei Folgeerkrankungen hat und zusätzlich<br />
zahlreiche »Schutzfaktoren« aufweist, wie z.B. Nichtraucher, normales Körpergewicht,<br />
Strategien zur Vermeidung von Unterzuckerungen:<br />
Denken! Risikosituationen kennen und erahnen<br />
Messen! häufige Blutzuckerselbstkontrolle vor, während und<br />
nach Risikosituationen<br />
Vorbeugen! eventuell Anheben des Blutzuckerzielbereiches<br />
Erfahrung sammeln! persönliche Gesetzmäßigkeiten herausfinden und beachten<br />
Abb. 66: Allgemeine Strategien zur Hypoglykämie-Vermeidung<br />
193
11. Unterzuckerung<br />
regelmäßige körperliche Aktivität, kein Bluthochdruck, gute Blutfette, hohes Alter bei<br />
Vorfahren, so ist schwer nachzuvollziehen, warum durch eine übertrieben straffe Blutzuckereinstellung<br />
ein unangebracht hohes Risiko für Unterzuckerungen eingegangen<br />
wird, insbesondere dann nicht, wenn in der Vergangenheit bereits häufiger Hypoglykämien<br />
mit Hilflosigkeit aufgetreten sind.<br />
Eine weitere Möglichkeit zur Verringerung von Unterzuckerungen besteht darin, persönliche<br />
Erfahrungen mit eigenen Hypoglykämien zu überdenken und sich mögliches<br />
Fehlverhalten bewusst zu machen. Hierzu ist es hilfreich, wenn im Anschluss an eine<br />
Hypoglykämie, eventuell auch erst nach einigen Stunden, gezielt und intensiv darüber<br />
nachgedacht wird, warum es dazu gekommen ist. Dadurch lässt sich nach und nach<br />
eine persönliche Checkliste für eine mögliche Unterzuckerungsgefährdung erstellen.<br />
Für zukünftige Situationen aus dieser Checkliste wird dann empfohlen, den Blutzuckerzielbereich<br />
bewusst anzuheben, d.h. eine rechtzeitige Verringerung der Insulinmenge<br />
(Bolusreduktion oder Basalratensenkung) bzw. angemessene Zufuhr von Extra-<br />
BE.<br />
Schließlich geht es auch darum, veränderte Situationen mit größerer Blutzuckerlabilität<br />
und der Möglichkeit eines stärkeren Blutzuckerabfalls als solche wahrzunehmen<br />
und nicht an starren Anpassungsschemata mit fixen BE-Regeln und Korrekturzahlen<br />
zwanghaft festzuhalten. Solche Sondersituationen können sein:<br />
● vermehrte unübliche körperliche Tätigkeit<br />
● erheblicher, ungewohnter Alkoholkonsum<br />
● geänderter Tagesrhythmus (z.B. im Urlaub)<br />
● unbekannte Speisen und Getränke (z.B. Restaurantessen)<br />
● ausgeprägte sportliche Aktivität<br />
Allgemein empfehlen wir, in Sondersituationen bewusst vorübergehend leicht erhöhte<br />
Blutzuckerwerte in Kauf zu nehmen und damit gleichzeitig das Unterzuckerungsrisiko<br />
zu verringern. Vergleiche hierzu auch die »Was wäre wenn«-Überlegungen im<br />
Abschnitt 8.2.<br />
In Abb. 67 sind für konkrete Risikosituationen denkbare Vermeidungsstrategien aufgelistet.<br />
Eine Ergänzung dieser Aufstellung mit eigenen Erfahrungen dürfte hilfreich<br />
sein.<br />
194<br />
Risikosituation Vermeidungsstrategie<br />
11. Unterzuckerung<br />
zu wenig Kohlehydrate 1. BE-Schätzung verbessern:<br />
gegessen im Verhältnis ● Informationen über BE-Menge besorgen<br />
zum abgegebenen Bolus (z.B. im Buch »Kalorien mundgerecht«)<br />
● Schätzung durch Abwiegen überprüfen<br />
2. Nahrungsbolus verringern:<br />
● BE-Faktor hinterfragen<br />
● mit ähnlichen früheren Situationen vergleichen<br />
3. Bolussplitting:<br />
Bolusgabe aufteilen, dann kann der zweite Anteil verringert<br />
werden, falls das geplante Essen nicht schmeckt<br />
körperliche Aktivität ● bei geplanter körperlicher Aktivität vorher bewusst<br />
weniger Insulin, zum Teil bis 50 % weniger<br />
(Bolus und/oder Basalrate)<br />
● bei ungeplanter körperlicher Aktivität vor Beginn<br />
Extra-BE zu sich nehmen<br />
● körperliche Aktivität (z.B. Hausarbeit, Einkaufen)<br />
als solche wahrnehmen<br />
Alkoholgenuss ● großzügig Extra-BE zu sich nehmen<br />
● geringerer Bolus und/oder Basalratenabsenkung<br />
● bei Alkohogenuss jeglicher Art BZ-Zielwert erhöhen<br />
● niemals Insulin für alkoholische Getränke verabreichen<br />
unbekanntes Essen ● bewusst weniger Bolus, nach 2-3 Stunden Blutzucker<br />
(z.B. im Restaurant) messen, ggf. zusätzlicher Bolus<br />
Blutzuckerselbstkontrolle<br />
weniger als 3 - 4 mal tgl.<br />
● häufiger messen<br />
Saunabesuch ● großzügig Extra-BE<br />
»Bierabend« nach sport- ● Extra-BE mit deutlicher Anhebung des BZ-Zielbereiches<br />
licher Aktivität (z.B. Volleyball, vor dem Schlafengehen und ggf. Basalratensenkung<br />
Kegeln, Aerobic, Tennis) während der Nacht (Sport und Alkohol wirken nach,<br />
Kombination ist schlecht berechenbar)<br />
eigene Risikosituation eigene Vermeidungsstrategie<br />
.......................................... ..............................................................................<br />
.......................................... ..............................................................................<br />
.......................................... ..............................................................................<br />
Abb. 67: konkrete Risikosituationen und mögliche Vermeidungsstrategien<br />
195
11. Unterzuckerung<br />
11.4 Behandlung einer Unterzuckerung<br />
Die Vorgehensweise bei einer Unterzuckerung ist bei Spritzen-Pen-Therapie und bei<br />
Insulinpumpenbehandlung prinzipiell gleichartig (Abb. 68). Insbesondere die Punkte<br />
»Nachdenken« und »Dokumentation« möchten wir besonders betonen. Erfolgreiche<br />
individuelle Vermeidungsstrategien lassen sich nur dann finden, wenn der Diabetiker<br />
für sich persönlich seine häufigsten Risikosituationen für eine Unterzuckerung kennt.<br />
Diese erfährt er durch aufmerksames Beobachten und kritisches Hinterfragen der aufgetretenen<br />
Hypoglykämien.<br />
Maßnahmen bei einer Unterzuckerung:<br />
● im Verdachtsfall 1 - 2 BE rasch resorbierbare Kohlehydrate<br />
einnehmen (z.B. 2 - 5 Plättchen Dextro-Energen-Traubenzucker)<br />
● messen: Bestätigung des Verdachtes?<br />
● evtl. Zufuhr weiterer Kohlehydrate (meist in langsam<br />
resorbierbarer Form)<br />
● nachdenken: Was war die wahrscheinlichste Ursache?<br />
● Dokumentation: Aus Erfahrung lernen.<br />
Abb. 68: Unterzuckerung – Was tun?<br />
11.5 Fehlermöglichkeiten<br />
Im Umgang mit der Unterzuckerung werden häufig immer wieder die gleichen Fehler<br />
gemacht:<br />
1. Zu große Sorglosigkeit bei körperlicher Aktivität:<br />
Wenn bei einer körperlichen Aktivität von 30 Minuten oder länger keine Zufuhr von<br />
Extra-BE bzw. eine rechtzeitige Insulindosisverringerung erfolgt, kann es bei einer<br />
normnahen BZ-Einstellung mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Unterzuckerung<br />
kommen. Dies ist auch bei Alltagsbelastungen wie z.B. bei einem Einkaufsbummel zu<br />
beachten.<br />
2. Zu geringe Häufigkeit bei der Blutzuckerselbstkontrolle,<br />
insbesondere in Sondersituationen:<br />
Die Blutzuckerselbstkontrolle, mindestens 4 x täglich, sollte für den Insulinpumpenträger<br />
eine Selbstverständlichkeit sein. In besonderen Situationen (körperliche Aktivität,<br />
Alkoholgenuss, psychischer Stress, Urlaub, Krankheit usw.) muss der Blutzucker<br />
häufiger gemessen werden.<br />
196<br />
11. Unterzuckerung<br />
3. Unkritisches Festhalten an starren Regeln für die Insulindosisanpassung:<br />
Hier sind Flexibilität und Mut zur Veränderung gefragt. Es ist mitunter unverständlich,<br />
wie sehr Insulinpumpenträger an einem starren Plan der Dosisanpassung festhalten,<br />
ohne dessen Zweckmäßigkeit in Alltagssituationen zu hinterfragen.<br />
4. Überkorrektur bei erhöhten Blutzuckerwerten (zuviel Korrekturinsulin):<br />
Insbesondere Diabetiker mit einer übersteigerten Angst vor Folgeerkrankungen neigen<br />
dazu, kurzfristig erhöhte Blutzuckerwerte (z.B. über 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l)<br />
zu dramatisieren und zuviel Korrekturinsulin zu geben. Als Folge kann es zu einer starken<br />
Unterzuckerung mit gegenregulatorisch bedingtem, erneutem Blutzuckeranstieg<br />
kommen, der sogenannten »Achterbahn« des Blutzuckerverhaltens.<br />
5. Missachtung der relativ langen Insulinwirkdauer bei Normalinsulin<br />
(4-6 Stunden, bei größerer Bolusmenge auch länger):<br />
Bei einer Bolusgabe von 6 I.E. und mehr ist wegen der langen Insulinwirkdauer von<br />
Normalinsulin oft die Zufuhr einer kleinen Zwischenmahlzeit nach ca. 2-3 Stunden<br />
197
11. Unterzuckerung<br />
vorteilhaft, um einer drohenden Unterzuckerung entgegenzuwirken. Diese Vorsichtsmaßnahme<br />
ist bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon als Pumpeninsulin<br />
nicht notwendig.<br />
6. Zu frühe übermäßige Nachkorrektur:<br />
Da bei der Insulinpumpen-Therapie die Gabe eines Korrekturbolus relativ einfach und<br />
im Gegensatz zur Spritzen-/Pen-Behandlung auch mit einem sehr geringen Aufwand<br />
ohne Schmerzen verbunden ist, kann dies zu einer unüberlegten Gabe von Korrekturinsulin<br />
verleiten. Ist bei Verwendung von Normalinsulin der Abstand zwischen 2 Bolusgaben<br />
kürzer als ca. 4 Stunden (bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon<br />
kürzer als ca. 2 Stunden), so kommt es zu einer Bolusüberlappung und anschließend<br />
zu einer verstärkten Insulinwirkung mit erhöhter Unterzuckerungsgefahr (Ausnahme:<br />
Ketoazidose, siehe Abschnitt 10.5).<br />
7. Vermehrter Alkoholgenuss:<br />
Wenn zuviel Alkohol getrunken wurde, kann eine Hypoglykämie ungünstige Folgen<br />
haben. Durch Alkoholgenuss ist das Unterzuckerungsrisiko größer, die typischen Hypoglykämiekennzeichen<br />
sind oft verschleiert und werden vom Diabetiker nicht wahrgenommen<br />
oder falsch wahrgenommen. Durch den Alkoholgenuss ist zudem die eigene<br />
Handlungsfähigkeit beeinträchtigt; von Personen in der Umgebung wird der Unterzuckerungszustand<br />
fälschlicherweise als Alkoholrausch gedeutet.<br />
Vorsichtsregeln bei Alkoholgenuss finden sich in Abb. 69. Vergleiche auch die Ausführungen<br />
zum Thema Alkohol in Abschnitt 12.8.<br />
● zusätzlich ausreichend BE essen<br />
● engmaschige Blutzuckerkontrollen (Messen vor dem Zubettgehen nicht vergessen!)<br />
● Person des Vertrauens über <strong>Diabetes</strong> und Hypoglykämierisiko informieren<br />
● siehe Abb. 67 auf Seite 195<br />
Abb. 69: Vorsichtsregeln bei Alkoholgenuss<br />
8. Keine Not-BE griffbereit vorhanden:<br />
Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein insulinbehandelter Diabetiker für<br />
»alle Fälle« geeignete Not-BE, d.h. schnell resorbierbare Kohlehydrate (am zweckmäßigsten<br />
Traubenzucker) ständig griffbereit hat. Empfehlenswert ist die Aufbewahrung<br />
von 2 - 3 Dextro-Energen Plättchen in einem Zusatzfach des Schlüsseletuis.<br />
Zur Erinnerung: Ein Täfelchen Dextro-Energen enthält 5 Gramm Traubenzucker, also<br />
knapp 0,5 BE.<br />
198<br />
11.6 Tipps für Helfer bei schwerer Unterzuckerung<br />
11. Unterzuckerung<br />
Eine immer wieder gestellte Frage ist: Wie sollen sich Angehörige bzw. Bekannte verhalten,<br />
wenn ein Insulinpumpenträger aufgrund einer Hypoglykämie nicht mehr<br />
selbständig handlungsfähig und im Extremfall bewusstlos ist. Wir empfehlen folgendes<br />
Vorgehen:<br />
● Ruhe bewahren! Kein Grund zur Panik! Es besteht normalerweise keine akute Lebensgefahr.<br />
● bewusstlosen Diabetiker in stabile Seitenlage bringen und Atemwege freihalten<br />
● Katheter aus dem Unterhautfettgewebe herausziehen oder den Schlauch direkt an<br />
der Nadel durchschneiden<br />
● wenn möglich Glukagon intramuskulär spritzen (zweckmäßigerweise in Bauch,<br />
Oberschenkel oder Oberarm)<br />
● rasch ärztliche Hilfe anfordern (Hinweis: »bewusstloser Diabetiker«)<br />
Ein Notfallausweis, den jeder Insulinpumpenträger bei sich tragen sollte, fasst die<br />
wichtigsten Maßnahmen für den Ernstfall zusammen (siehe Abschnitt 15.4: Ausweise<br />
in verschiedenen Sprachen).<br />
Text auf dem Notfallausweis:<br />
Ich bin Diabetiker und werde mit einer Insulinpumpe behandelt, die über einen<br />
Schlauch Insulin unter die Haut pumpt. Bei einem Verwirrtheitszustand oder einer<br />
Bewusstlosigkeit liegt bei mir wahrscheinlich eine Unterzuckerung vor.<br />
Bitte sofort Schlauch und Nadel herausziehen oder den Schlauch direkt an der Nadel<br />
durchschneiden. Arzt benachrichtigen mit dem Hinweis: »bewusstloser Diabetiker«.<br />
199
11. Unterzuckerung<br />
Tipp: Nächtliche Unterzuckerung<br />
Die Gefahr einer nächtlichen Unterzuckerung ist bei der Insulinpumpenbehandlung im Vergleich<br />
zur Spritzentherapie erheblich geringer, allerdings in besonderen Situationen durchaus<br />
gegeben. Als typische Risikosituationen seien hier aufgeführt:<br />
● Spätes, umfangreiches Abendessen mit 5 BE oder mehr (z.B. Restaurantessen nach 20.00<br />
Uhr). Dadurch ist ein verhältnismäßig großer Nahrungsbolus erforderlich. Bei Verwendung<br />
von Normalinsulin wirkt dieser meist 5 Stunden und mitunter auch deutlich länger und<br />
reicht bei nicht zu spätem Zubettgehen noch erheblich in die Schlafenszeit hinein.<br />
● Vermehrter Alkoholgenuss am Abend ohne gleichzeitige Zufuhr von langsam verwertbaren<br />
Kohlehydraten. Die anschließend größere Hypoglykämieneigung ist darin begründet, dass<br />
alkoholbedingt die übliche Zuckerfreisetzung aus der Leber auch noch nach mehreren Stunden<br />
verringert sein kann.<br />
● Längerfristige körperliche Aktivität, z.B. Ganztageswanderung, Fitnesstraining am Abend,<br />
Tanzen. Hier kann es wegen des Muskel- und Leberauffülleffektes einige Stunden später zu<br />
einem länger anhaltenden Blutzuckerabfall kommen.<br />
● Großer Korrekturbolus vor dem Schlafengehen. Im Regelfall ist die Insulinempfindlichkeit<br />
spät abends relativ gut, d.h. 1 I.E. Korrektur-Insulin senkt den Blutzucker um 50 mg/dl<br />
(2,8 mmol/l) und mehr. Die Korrekturzahl muss deshalb am späten Abend meist deutlich<br />
größer gewählt werden als während des Tages (siehe Abschnitt 3.1.2).<br />
● Besonders kritisch ist die Kombination von hier genannten Risikosituationen, beispielsweise<br />
spätes BE-reiches Essen und gleichzeitiger Alkoholgenuss oder auch Sport am Abend und<br />
anschließend Alkoholkonsum.<br />
Nicht in jedem Fall wird eine nächtliche Unterzuckerung bemerkt und führt zu einem Erwachen.<br />
Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass im <strong>Mit</strong>tel jede zweite nächtliche<br />
Unterzuckerung verschlafen wird. Deshalb ist es wichtig, Kriterien zu kennen, die auf eine evtl.<br />
nächtliche verschlafene Hypoglykämie hinweisen können. Sie stellen allerdings in keinem Fall<br />
einen Beweis dar, sondern können nur Anhaltspunkte sein:<br />
● Nachtschweiß<br />
● unruhiger Schlaf, Alpträume<br />
● morgendlicher Kopfschmerz<br />
● hoher Nüchternblutzucker<br />
● überschießender Blutzuckeranstieg nach dem Frühstück.<br />
200<br />
Im Zweifelsfall sind nächtliche Blutzuckermessungen erforderlich.<br />
11. Unterzuckerung<br />
Wie kann unter der Insulinpumpen-Therapie die Gefahr einer nächtlichen Unterzuckerung<br />
deutlich verringert werden? Als wirksame Vermeidungsstrategien sind hierzu nennen:<br />
● konsequente Messung des Blutzuckers vor dem Schlafengehen<br />
● an die Möglichkeit einer nächtlichen Unterzuckerung denken und die typischen Risikosituationen<br />
kennen<br />
● in Sondersituationen Bestimmung des Blutzuckers etwa gegen 2.00 - 3.00 Uhr<br />
● bei Risikosituationen den Blutzuckerzielbereich vor dem Schlafengehen bewusst anheben<br />
(z.B. 160 mg/dl statt 100 mg/dl)<br />
● in Sondersituationen »Betthupferl« mit langsam resorbierbaren Kohlehydraten. Im Alltag<br />
hat sich 1 BE normale Schokolade (in etwa 1 Riegel) als vorteilhaft erwiesen; anschließendes<br />
Zähneputzen nicht vergessen!<br />
● regelmäßige Kontrolle des BZ gegen 2-3 Uhr (etwa alle 10 Tage)<br />
Generell kann die Gefahr einer nächtlichen Unterzuckerung systematisch verringert werden, indem<br />
die Basalrate am späten Abend und um <strong>Mit</strong>ternacht eher niedrig programmiert wird.<br />
Als Ausgleich wird die Basalrate etwa ab 3 Uhr beginnend bewusst erhöht (siehe Abschnitt<br />
3.2.3).<br />
Jede nächtliche Unterzuckerung ohne offensichtlichen Grund sollte Anlass sein, die Basalrateneinstellung<br />
zu hinterfragen und ggf. zu verändern.Ansonsten sind Umprogrammierungen<br />
an der Basalrate eher zurückhaltend vorzunehmen.<br />
201
12. Ernährung<br />
Es mag überraschen, wenn in einem Buch zur Insulinpumpen-Therapie ein gesondertes<br />
Kapitel über die Ernährung erscheint. »Als Insulinpumpenpatient kann ich essen<br />
und trinken, was ich will, ich muss mich doch nicht mit lästigen Ernährungsfragen befassen«,<br />
so wird der eine oder andere denken.<br />
Die erste Hälfte des letzten Satzes ist ohne Zweifel richtig: Ein Insulinpumpenträger<br />
soll und kann das essen und trinken, was ihm schmeckt, wie viel er will und wann er<br />
will. Dies gilt allerdings mit den gleichen Einschränkungen, die für einen Stoffwechselgesunden<br />
zutreffen. Auch für Nicht-Diabetiker ist eine bewusste und gesunde<br />
Ernährung vorteilhaft. Günstig ist eine kohlenhydratreiche, ballaststoffreiche Kost mit<br />
viel frischem Obst, Gemüse und Salat. Ungünstig sind fettreiche Speisen, viel Fleisch<br />
und Wurst, ein hoher Zuckeranteil in der Nahrung, Fertigprodukte und reichlicher<br />
Alkoholkonsum. Diese Empfehlungen treffen auch für Insulinpumpenträger zu. Absolute<br />
Verbote und einengende Ernährungsvorschriften sind dagegen heutzutage<br />
nicht mehr angezeigt, denn die Blutzuckerselbstkontrolle und die Anwendung kurzwirksamer<br />
Insuline ermöglichen eine große Liberalisierung beim Essen und Trinken.<br />
Der zweite Halbsatz der obigen Aussage ist jedoch falsch. Gerade für einen Insulinpumpenträger<br />
ist es wichtig, über Ernährung und Nahrungsmittel gut Bescheid zu wissen.<br />
Nur so lässt sich beurteilen, in welchem Ausmaß und mit welchem zeitlichen Verlauf<br />
Essen und Trinken den Blutzuckerspiegel beeinflussen. Nur dann können Bolusgröße<br />
und Bolusabgabezeit geeignet gewählt werden.<br />
202<br />
12.1 Allgemeine Bemerkungen<br />
12. Ernährung<br />
Nach der Nahrungsaufnahme kommt es durch Verdauung und die anschließenden<br />
Stoffwechselvorgänge zu einem Blutzuckeranstieg. Dieser erfordert eine angemessene<br />
Insulinmenge, die in der richtigen Menge und zum richtigen Zeitpunkt in der Blutbahn<br />
vorhanden sein sollte. Anders ausgedrückt: Die Kurve des zu erwartenden Blutzuckerspiegels<br />
im Blut sollte idealerweise mit der Insulinmenge in der Blutbahn zusammenfallen.<br />
Dafür gibt es streng genommen nur eine adäquate Lösung. Diese<br />
herauszufinden, ist Aufgabe des Insulinpumpenträgers, wünschenswert ist eine »Insulingabe<br />
mit Verstand«.<br />
Es ist also Aufgabe des Insulinpumpenträgers, dafür zu sorgen, dass das Angebot an<br />
Insulin in der Blutbahn – genauer gesagt an den Zellen – mit dem jeweiligen Bedarf an<br />
Insulin möglichst gut übereinstimmt. Er sollte die verschiedenen Einflussgrößen kennen<br />
und diese angemessen steuern. Dazu benötigt er u.a. ein fundiertes Wissen über<br />
die Bestandteile der Nahrungsmittel, über deren Verstoffwechselung sowie über die<br />
Auswirkungen auf den Blutzuckerverlauf.<br />
Zweckmäßige Hilfsmittel dabei sind beispielsweise das Nachschlagebuch »Kalorien<br />
mundgerecht« vom Verlag Umschau/Braus oder auch die »BE-Tabelle«, zusammengestellt<br />
von Sven David Müller, zu beziehen beim Insuliner Verlag.<br />
In dem Nachschlagewerk »Kalorien mundgerecht« fehlen allerdings bei vielen Produkten,<br />
z.B. bei fast allen Süßspeisen und Desserts, bei Eis, bei Süßwaren sowie bei<br />
zahlreichen Getränken die entsprechenden BE-Angaben; statt dessen steht in der BE-<br />
Spalte das Symbol »ø« d.h. »für Diabetiker nicht empfehlenswert«. Diese Aussage ist<br />
für einen Insulinpumpenträger so nicht haltbar. Aus der Spalte »Gramm Kohlehydrate«<br />
lässt sich die entsprechende BE-Menge bestimmen; es ergibt sich damit ein ungefährer<br />
Anhaltspunkt, welche Blutzuckerwirkung durch das jeweilige Nahrungsmittel<br />
in etwa zu erwarten ist (10 -12 Gramm Kohlehydrate entsprechen 1 BE).<br />
12.2 Genuss ohne Reue<br />
Essen und Trinken nach Wunsch und mit Genuss bedeutet sicherlich eine erhebliche<br />
Verbesserung der Lebensqualität. Kurzfristige Blutzuckeranstiege gelegentlich nach<br />
dem Essen sind keine Katastrophe und lassen sich leicht korrigieren. Dies ist aber auf<br />
der anderen Seite kein Freibrief für eine einseitige, zucker- und kalorienreiche Ernährung,<br />
die immer wieder zu überhöhten Blutzuckerwerten nach einer Mahlzeit<br />
führt. Auch kurzfristig erhöhten Werten über 180 mg/dl wird mittlerweile eine gewisse<br />
schädigende Wirkung auf die Gefäße zugeschrieben. Daher empfehlen wir auch Insulinpumpenpatienten,<br />
auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu achten und<br />
zu starke Schwankungen des Blutzuckerverlaufs möglichst zu vermeiden.<br />
203
12. Ernährung<br />
Bei Einladungen, im Restaurant und besonders während des Urlaubs in fremden Ländern<br />
lassen sich BE-Menge und glykämischer Index von Speisen und Getränken oft nur<br />
schwer abschätzen. Bei unbekannten oder exotischen Gerichten ist dies geradezu unmöglich.<br />
Auf kulinarische Spezialitäten braucht ein Insulinpumpenträger allerdings<br />
nicht zu verzichten. Hier gilt es, eine Unterzuckerung möglichst zu verhindern, insbesondere<br />
wenn gleichzeitig Alkoholika getrunken werden. Es empfiehlt sich, den Nahrungsbolus<br />
bewusst etwas niedriger zu wählen. Durch Messung des Blutzuckers 1 bis 2<br />
Stunden nach der Mahlzeit – Zielbereich 140-180 mg/dl – lässt sich in etwa beurteilen,<br />
inwieweit der abgegebene Bolus angemessen war. Gegebenenfalls kann mit Insulin<br />
bzw. mit zusätzlichen Kohlehydraten rasch und geeignet korrigiert werden. Gelegentlich<br />
leicht erhöhte Blutzuckerwerte von kurzer Dauer sollten nicht dramatisiert werden<br />
und insbesondere keine unangenehmen Schuldgefühle erzeugen.<br />
12.3 Insulinpumpentypische Besonderheiten<br />
Hinsichtlich der Insulingabe für Essen und Trinken (Nahrungsbolus) hat die Insulinpumpen-Therapie<br />
Vorteile gegenüber der Spritzenbehandlung:<br />
● Kleinere Intervalle bei der Boluswahl: Üblicherweise sind bei der Bolusgröße Abstände<br />
von 0.5 I.E. zweckmäßig. Bei der Insulinpumpe D-TRONplus, bei der Minimed<br />
508 und bei der Minimed Paradigm kann der Insulinpumpenträger diese Intervall-Länge<br />
selbst verändern, bei der Insulinpumpe H-TRONplus ist sie werkseitig<br />
einstellbar und kann bei Bedarf umprogrammiert werden. Eine noch feinere, vom<br />
Insulinpumpenträger selbst festzulegende Möglichkeit bietet der »Scroll-Bolus«<br />
mit Schritten von 0,1 I.E. bei der Insulinpumpe D-TRONplus, bei der Minimed 508<br />
und bei der Minimed Paradigm.<br />
● Bolussplitting: Es besteht keinerlei Notwendigkeit, den Nahrungsbolus auf einmal<br />
zu setzen. Eine Aufteilung ist zweckmäßig bei zeitlich ausgedehntem Festmenue,<br />
bei zunächst unbekannter Essmenge (»es schmeckt besonders gut«), bei spontanem<br />
Nachtisch usw. Allerdings kommt es dabei immer wieder vor, dass ein geplanter<br />
zweiter Bolus einfach vergessen wird.<br />
● Verzögerter Bolus: Standardmäßig erfolgt die Bolusabgabe rasch innerhalb von<br />
einigen Sekunden. Die Insulinpumpen D-TRONplus, die Minimed Paradigm und die<br />
Minimed 508 bieten die Möglichkeit einer verlängerten Bolusabgabe. Dies ist<br />
günstig bei einer umfangreichen Mahlzeit mit langsamem blutzuckererhöhendem<br />
Effekt, beispielsweise bei einer großen Pizza mit hohem Fettanteil, bei paniertem<br />
Schnitzel mit Pommes frites oder bei Schweinshaxen mit Klößen.<br />
204<br />
12.4 Gesunde Ernährung<br />
Ein erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen<br />
lässt sich bei Menschen mit <strong>Diabetes</strong><br />
nicht wegdiskutieren. Die Gefahr dafür<br />
ist gegeben, das Ausmaß ist unterschiedlich.<br />
Neben einer guten Stoffwechseleinstellung<br />
gibt es weitere »Schutzfaktoren«<br />
wie gesunde Ernährung, regelmäßige<br />
körperliche Aktivität und Verzicht auf Nikotin.<br />
Die 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft<br />
für Ernährung in leicht modifizierter<br />
Form zeigen auf, was nach heutigem<br />
Wissen bei einem gesunden Essen<br />
und Trinken zu beachten ist. (siehe Abbildung<br />
70)<br />
Eine gesunde Kostform sollte schmecken<br />
und viele persönliche Vorlieben berücksichtigen.<br />
Dabei muss man nicht unbedingt<br />
tief in den Geldbeutel greifen, auch<br />
preiswerte Lebensmittel können hochwertig<br />
und delikat sein.<br />
12.5 Gefahren einer Ernährungsliberalisierung<br />
12. Ernährung<br />
Ein zu »großzügiges« Essen und Trinken ist aus gesundheitlichen Überlegungen für<br />
keinen Menschen empfehlenswert und hat manche unerwünschten Begleiterscheinungen<br />
– für einen Insulinpumpenträger in ähnlicher Weise wie für einen Stoffwechselgesunden:<br />
● Zu viele Kalorien: Übergewicht mit seinen ungünstigen Folgen<br />
● Zu fettreich: Kalorienaspekt, ungünstige Blutfette<br />
● Zu hoher Zuckergehalt: »Leere« Kalorien, kurzzeitig überschießender Blutzuckeranstieg<br />
● Zu viel Alkohol: Organschädigungen, ungünstige psychische und soziale Auswirkungen<br />
● Zu geringer Gehalt an Ballaststoffen: ungenügendes Sättigungsgefühl, schlechte<br />
Verdauung<br />
● Zu wenig Vitamine und Mineralsalze: Mangelerscheinungen<br />
205
12. Ernährung<br />
10 Regeln für gesundes Essen und Trinken<br />
(modifiziert nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung)<br />
1. Vielseitig, aber nicht zuviel<br />
Essen mit Phantasie! Abwechslungsreich, damit kein Nährstoff fehlt<br />
2. Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel<br />
»Viel Fett macht fett«, Vorsicht vor »versteckten« Fetten in Fleisch, Wurst, Käse,<br />
Schokolade, Chips und Fertigprodukten<br />
3. Würzig, aber nicht salzig<br />
Statt Salz lieber viele Kräuter und Gewürze.<br />
4. Wenig Süßes<br />
Zu süß kann schädlich sein. Essen und Trinken sind kein »Zuckerlecken«.<br />
5. Viel Vollkorn-Produkte<br />
Ballaststoffe machen satt, aber nicht dick.<br />
6. Reichlich Obst, Gemüse und Salat<br />
Empfehlenswert sind täglich mindestens 5 Portionen Frischobst, frisches Gemüse<br />
oder Salat (Aktion: »5 am Tag«)<br />
7. Wenig tierisches Eiweiß<br />
Nicht zu viel Fleisch und Wurst.<br />
8. Trinken mit Verstand<br />
Zurückhaltung bei alkoholischen und zuckerhaltigen Getränken.<br />
9. Öfters kleinere Mahlzeiten<br />
Essen mit Freude und Genuss; häufiger, jedoch kleinere Portionen.<br />
10. Schmackhaft und schonend zubereiten<br />
Essen mit Vernunft, Nährstoffe schonen.<br />
Abb. 70: Empfehlungen für eine gesunde Ernährung<br />
206<br />
12.6 Glykämischer Index<br />
12. Ernährung<br />
Der nahrungsbedingte Blutzuckeranstieg wird nicht allein durch die Menge an Kohlehydraten<br />
bestimmt, von Bedeutung sind auch:<br />
● die Nahrungszusammensetzung (z.B. Fettanteil? Eiweißanteil?),<br />
● ihre Beschaffenheit (z.B. Haushaltszucker? Mehrfachzucker in Form von Stärke?)<br />
● und der Verarbeitungsgrad (z.B. ausgemahlenes Mehl? Vollkornprodukte?).<br />
Gute BE-Kenntnisse sind notwendig, damit die zweckmäßige Insulinmenge ermittelt<br />
werden kann. Falls mehr »Freizügigkeit« bei der Ernährung gewünscht wird, ist es lohnend,<br />
sich mit dem sogenannten »glykämischen Index« zu beschäftigen. Dieser vergleicht<br />
die blutzuckererhöhende Wirkung bestimmter Nahrungsmittel mit derjenigen<br />
von Traubenzucker. Der glykämische Index drückt aus, wie rasch der Blutzuckeranstieg<br />
nach der Mahlzeit erfolgt, und mit ihm lässt sich in etwa abschätzen, zu welchem Zeitpunkt<br />
der Nahrungsbolus abgegeben werden sollte.<br />
Anhand des glykämischen Index werden Nahrungsmittel mit gleichem Kohlenhydratgehalt<br />
hinsichtlich der Geschwindigkeit des Blutzuckeranstiegs unterschieden. Zuckerhaltige<br />
Produkte haben in der Regel<br />
einen hohen glykämischen Index,<br />
während ballaststoffreiche,<br />
zuckerarme Lebensmittel meist einen<br />
geringen glykämischen Index<br />
aufweisen. Eine Scheibe Weißbrot<br />
mit Honig (2 BE) bedingt einen<br />
raschen Blutzuckeranstieg, während<br />
ein Vollkornbrot mit Streichfett<br />
und Wurstbelag (ebenfalls 2<br />
BE) eine vergleichsweise langsame<br />
Blutzuckererhöhung verursacht.<br />
Abb. 71 enthält qualitative Aussagen<br />
zum glykämischen Index für<br />
verschiedene Nahrungsmittel.<br />
207
12. Ernährung<br />
Glykämischer Index<br />
niedrig mittel hoch<br />
( flacher BZ-Anstieg ) ( mäßiger BZ-Anstieg ) ( steiler BZ-Anstieg )<br />
Vollkornbrot<br />
Vollkornreis<br />
Äpfel, Orangen, Pfirsiche<br />
Birnen, Kirschen<br />
Vollkornteigwaren<br />
Frischkornmüsli<br />
Milch, Joghurt,<br />
Milchprodukte<br />
Karotten roh<br />
Fruchtzucker<br />
Linsen, Bohnen<br />
Abb. 71: Beispiele zum glykämischen Index<br />
Zur Feinabstimmung von Bolusgröße und Drück-Ess-Abstand ist das Wissen um den<br />
glykämischen Index eine wertvolle Hilfe. Dadurch werden aber fundierte BE-Kenntnisse<br />
nicht ersetzt, im Gegenteil: Für den Blutzuckerverlauf nach dem Essen und Trinken<br />
ist sowohl die Kohlenhydratmenge der aufgenommenen Nahrung (BE, Gramm-<br />
Kohlehydrate, KHE) als auch die Geschwindigkeit, mit der die komplexen Kohlehydrate<br />
beim Verdauungsprozess in Glucose umgewandelt werden (glykämischer Index),<br />
von wesentlicher Bedeutung. Beispielsweise wird ein Frühstück von 5 BE, das aus einem<br />
hellen Brötchen, Marmelade, Saft und Cornflakes besteht, zu einem rascheren<br />
Blutzuckeranstieg mit deutlich höheren Spitzenwerten führen als ein Frühstück, das<br />
bei gleicher Kohlenhydratmenge ein Vollkornbrötchen, Wurstbelag, Naturjoghurt und<br />
Obst enthält.<br />
Nahrungsmittel mit hohem glykämischen Index verursachen einen kurzfristigen, zugleich<br />
aber deutlichen Blutzuckeranstieg; als geeignete Insulinsorte ist kurzwirksames<br />
Insulinanalogon vorteilhaft, um die rasche Blutzuckerhöhung abzufangen. Da Normalinsulin<br />
eine vergleichsweise flachere Wirkkurve hat (vgl. Abbildung 36) empfehlen<br />
wir bei Verwendung dieser Insulinsorte, keine größere Mengen an Nahrungsmitteln<br />
mit hohem glykämischen Index zu essen oder zu trinken, insbesondere dann nicht,<br />
wenn gleichzeitig kein Drück-Ess-Abstand eingehalten wird.<br />
Für eine diabetesgerechte Ernährung »alten Stils« wurden meistens Nahrungsmittel<br />
mit geringem glykämischen Index empfohlen. Diese bedingen einen eher trägen, aber<br />
208<br />
Roggenmischbrot<br />
Langkornreis<br />
Bananen, Trauben,Rosinen<br />
Spaghetti, Gnocchi<br />
Haferbrei<br />
Frischer Fruchtsaft<br />
gezuckerte Konfitüre<br />
Haushaltszucker<br />
Erbsen aus der Dose<br />
Weißbrot, Baguette<br />
heller Reis<br />
Karotten gekocht<br />
Kartoffelpüree<br />
Cornflakes<br />
Cola, Limonade<br />
Honig<br />
Traubenzucker, Malzzucker<br />
Dosenfrüchte<br />
12. Ernährung<br />
länger anhaltenden Blutzuckeranstieg. Bei kurzwirksamem Insulinanalogon in der Insulinpumpe<br />
darf der Nahrungsbolus dann nicht zu früh gesetzt werden, gelegentlich<br />
ist sogar ein »Ess-Drück-Abstand« zweckmäßig, d.h. die Bolusgabe erfolgt während<br />
des Essens oder erst danach. Bei Normalinsulin empfiehlt sich in diesem Fall kein wesentlicher<br />
Drück-Ess-Abstand (DEA) – vorausgesetzt, der Blutzuckerwert ist vor der<br />
Mahlzeit im wünschenswerten Bereich.<br />
Der Blutzuckerwert am Ende der Wirkdauer des Bolusinsulins sagt etwas darüber aus,<br />
ob die Bolusmenge richtig war (bei kurzwirksamem Insulinanalogon in der Insulinpumpe<br />
nach etwa 3 Stunden, bei Normalinsulin nach ca. 5 Stunden). Aufgrund der<br />
Blutzuckerhöhe ca. 1 bis 2 Stunden nach dem Essen können DEA und glykämischer<br />
Index beurteilt werden.<br />
Wird beabsichtigt, Nahrungsmittel mit hohem glykämischen Index in größerer Menge,<br />
d.h. 4 BE oder mehr, zu essen bzw. zu trinken, so ist ihre Zufuhr in kleineren Portionen<br />
über einen längeren Zeitabschnitt günstig. Der aufgrund der Nahrungszusammensetzung<br />
fehlende Verzögerungseffekt wird also durch eine verzögerte Aufnahme ausgeglichen.<br />
Als Beispiele seien genannt: Essen von 4 BE Plätzchen während ca. 2 Stunden<br />
bei einem Fernsehabend; Trinken von 2 Gläsern Cola (400 ml = 4 BE) während 90 Minuten,<br />
falls kein Cola light zur Verfügung steht. Der erforderliche Bolus für diese 4 BE<br />
wird zu Beginn gesetzt, es muß allerdings anschließend gewährleistet werden, dass<br />
die gesamte Nahrungsmenge wie geplant aufgenommen wird. Zur Klarstellung folgender<br />
Hinweis: Die genannten Beispiele stellen keine gesunde Kostform dar; weil<br />
aber erfahrungsgemäß solche Nahrungsmittel immer wieder gegessen bzw. getrunken<br />
werden, schienen uns geeignete Tipps angebracht.<br />
Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Anwendung des glykämischen<br />
Index wegen der zahlreichen Einflussgrößen nicht allgemein durchgesetzt hat. Selten<br />
wird ein Nahrungsmittel isoliert gegessen. Durch Begleitprodukte und insbesondere<br />
bei zusätzlichem Fettanteil ändert sich der glykämische Index. Weitere Störfaktoren<br />
können sein: Essverhalten, Füllungszustand und Entleerungsgeschwindigkeit des Magens,<br />
Produktion und Abgabe der Gallenflüssigkeit, Funktion der Bauchspeicheldrüse,<br />
Passagezeit im Dünndarm, Aufnahme der verdauten Nahrungsbestandteile in die Blutbahn.<br />
Somit ist es für jeden Diabetiker ratsam, für seine »Lieblingsspeisen und -getränke«<br />
die individuelle Blutzuckerwirksamkeit zu ermitteln. Das bedeutet: Ausprobieren und<br />
Sammeln eigener Erfahrungen. Zur Beurteilung des kurzfristigen Blutzuckeranstiegs<br />
ist der sog. postprandiale Blutzuckerwert (pp-Wert) wichtig – bei kurzwirksamem Insulinanalogon<br />
wird empfohlen, nach 60 bis 90 Minuten zu messen, bei Normalinsulin<br />
nach ca. 2 Stunden. Wesentlich ist für den pp-Wert neben dem glykämischen Index<br />
und der Insulinsorte auch der Zeitpunkt der Bolusabgabe, d.h. der Drück-Ess-Abstand,<br />
und die Abgabegeschwindigkeit des Bolusinsulins, z.B. verzögerte Bolusabgabe mit<br />
der Insulinpumpe D-TRONplus, der Minimed 508 oder der Minimed Paradigm.<br />
209
12. Ernährung<br />
12.7 Hoher Eiweißanteil<br />
Meist wird bei der Berechnung des Nahrungsbolus auf die Eiweißmenge der Speisen<br />
keinerlei Wert gelegt; es ist nicht üblich, neben dem BE-Faktor einen »Eiweißfaktor«<br />
zu berücksichtigen. Praktische Erfahrungen zeigen jedoch, dass dies in Einzelfällen<br />
sinnvoll sein kann. Es macht bei vergleichbarer Kohlenhydratmenge einen gewissen<br />
Unterschied hinsichtlich des Blutzuckerverhaltens, ob der Eiweißanteil in der Nahrung<br />
gering ist (vegetarische Gerichte, überwiegend Obst und Gemüse), oder ob der Gehalt<br />
an tierischem Eiweiß sehr hoch ist (viel Fleisch, wenig Beilagen). Häufig kommt es nach<br />
dem Verzehr von Speisen, die reich an tierischem Eiweiß sind, nach 2 - 6 Stunden zu einem<br />
zusätzlichen Blutzuckeranstieg. Der Nahrungsbolus ist entsprechend zu erhöhen,<br />
die Insulinwirkkurve ist zu beachten – bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon<br />
ist mitunter ein Bolussplitting zweckmäßig.<br />
Es ist zwar nicht üblich, aber mitunter hilfreich, eine »PE« (= Proteineinheit = Eiweißeinheit)<br />
zu definieren: Darunter versteht man die Menge an tierischem Eiweiß, die annähernd<br />
den gleichen blutzuckererhöhenden Effekt hat wie eine BE Kohlehydrate.<br />
Eine »PE« entspricht etwa 30 - 40 g tierischem Eiweiß. Der Eiweißgehalt in pflanzlichen<br />
Produkten kann in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. Der eiweißbedingte<br />
Blutzuckeranstieg tritt meist erst einige Stunden nach dem Essen auf, dies ist<br />
beim Zeitpunkt der Bolusabgabe zu beachten. Auch hier gilt wieder: Dran denken,<br />
ausprobieren und persönliche Erfahrungen sammeln.<br />
210<br />
Kennzeichen einer gesunden Ernährung<br />
ist auch, dass der Eiweißanteil in den<br />
Speisen nicht zu hoch ist. Empfohlen<br />
wird für Erwachsene eine tägliche Eiweißmenge<br />
von 60-80 g (0,8-1,0 g pro<br />
kg Körpergewicht). Dieser Anteil wird in<br />
der deutschen Bevölkerung wegen des<br />
hohen Fleisch- und Wurstkonsums oft<br />
deutlich überschritten. Dadurch wird die<br />
Entwicklung einer diabetischen Nierenschädigung<br />
gefördert und der Verlauf einer<br />
bereits bestehenden Nierenerkrankung<br />
ungünstig beeinflusst. Somit lohnt<br />
es sich, die Menge an tierischem Eiweiß<br />
in den Speisen zu beachten.<br />
12.8 Alkohol<br />
12. Ernährung<br />
Es gibt keine rationalen Gründe, Menschen mit <strong>Diabetes</strong> wegen ihrer Erkrankung den<br />
Alkoholgenuss zu verbieten. Aus den gleichen Gründen wie ein Stoffwechselgesunder<br />
kann ein Diabetiker Alkohol trinken: weil es schmeckt, weil es in Gesellschaft üblich<br />
ist, kurz, weil es Wohlbefinden und Lebensqualität steigert. Es bestehen grundsätzlich<br />
die gleichen Gefahren wie bei einem Nicht-Diabetiker: Kontrollverlust bei übermäßigem<br />
»Saufen«, Organschädigungen, Abhängigkeit mit finanziellen und sozialen Problemen.<br />
Moderater Alkoholkonsum, d.h. ca. 20 g täglich für den Mann und etwa 10 g täglich<br />
für die Frau, scheint ein Schutzfaktor hinsichtlich Gefäß-Erkrankungen zu sein. Die<br />
Menge von 20 g reinem Alkohol ist enthalten in ca. 200 ml Wein bzw. in ca. 400 ml<br />
normalem Bier.<br />
An dieser Stelle appellieren wir bewusst und eindringlich an die Eigenverantwortung<br />
sowie an die Selbstkritik des Einzelnen. Diese Ausführungen dürfen und sollen kein<br />
Freibrief für einen unüberlegten Alkoholgenuss sein.<br />
Für insulinspritzende Diabetiker allerdings kommt es durch alkoholhaltige Getränke<br />
zu einer zusätzlichen, unerwünschten Gefahr: teilweise schwer abschätzbare Einflüsse<br />
auf den Blutzuckerverlauf mit der Möglichkeit einer verspätet auftretenden Blutzuckersenkung<br />
und somit einer erhöhten Unterzuckerungsgefahr (siehe Kap 11.5.7).<br />
Es ist empfehlenswert, dass ein Insulinpumpenträger mit seinen Lieblingsgetränken<br />
individuelle Erfahrungen macht. Ein gezielter, wiederholter »Bier-, Schoppen- oder<br />
Sekttest« mit anschließendem Messen und Beobachten der Blutzuckerentwicklung<br />
hat schon manchem Diabetiker neue Erkenntnisse und mehr Sicherheit gebracht.<br />
Eine weitere unangenehme Begleiterscheinung eines übermäßigen Alkoholkonsums<br />
ist der Kalorienaspekt. Es besteht die Gefahr von Übergewicht mit den bekannten negativen<br />
Folgen. Zur Erinnerung: Ein Gramm Alkohol enthält sieben Kilokalorien.<br />
Ein Extremfall soll nicht unerwähnt bleiben: Der Alkoholrausch. Diese Situation kann<br />
gerade für einen Insulinpumpenpatienten äußerst gefährlich werden; zum einen wegen<br />
der erhöhten Unterzuckerungsgefahr mit Hilflosigkeit (die Insulinpumpe gibt<br />
dann weiterhin Insulin ab, wegen des eingeschränkten Denkvermögens besteht die<br />
Möglichkeit der falschen Boluswahl); zum anderen deshalb, weil eine Unterzuckerung<br />
selbst mit einem rauschähnlichen Zustand einhergehen kann, der von der Umgebung<br />
leicht fehlinterpretiert wird. Für diese außergewöhnliche Situation unser Tipp: Falls<br />
ein »Besäufnis« aufgrund von sozialen Gegebenheiten nicht unwahrscheinlich erscheint,<br />
oder wenn ein Insulinpumpenträger seine diesbezügliche Schwäche kennt, ist<br />
vorher Sorge dafür zu tragen, dass ein guter Vertrauter über die Problematik eines<br />
Alkoholrausches bei Insulinbehandlung Bescheid weiß und gegebenenfalls geeigne-<br />
211
12. Ernährung<br />
te Schritte unternehmen kann. Für Diabetiker mit bekannter Alkoholabhängigkeit<br />
kommt eine Insulinpumpenbehandlung allerdings nicht in Frage.<br />
Vermehrter Alkoholgenuss ist als eine Sondersituation zu bewerten. Für besondere<br />
Gegebenheiten hat die allgemeine Empfehlung Gültigkeit: Anheben des Blutzuckerzielbereiches,<br />
strikte Vermeidung einer Unterzuckerung. Vorsicht ist angezeigt bei Alkoholkonsum<br />
am Abend – es besteht eine erhöhte nächtliche Unterzuckerungsgefahr.<br />
Dies trifft insbesondere zu für sportliche Aktivität nach Feierabend mit anschließendem<br />
Alkoholgenuss.<br />
12.9 Übergewicht<br />
Eine zu kalorienreiche Ernährung ist in einer Wohlstandsgesellschaft ein großes Problem.<br />
Ein Buchtitel bringt es auf den Punkt: Viele Menschen sind »krank im Schlaraffenland«.<br />
Übergewicht ist häufig und weit verbreitet; es hat zahlreiche ungünstige<br />
Auswirkungen, insbesondere auf das Gefäßsystem und auf den Bewegungsapparat.<br />
Die Insulinpumpenbehandlung mit der Möglichkeit der unproblematischen Insulinabgabe<br />
zu jeder Zeit und an jedem Ort verleitet zu einem vermehrten Essen nach<br />
Appetit, die Schwelle zu einem ungesunden und kalorienreichen Ernährungsstil ist<br />
gering.<br />
Andererseits erhöht eine zu straffe Blutzuckereinstellung die Häufigkeit von Unterzuckerungen.<br />
Häufige »Zwang-BE’s« führen zu einer tendenziellen Gewichtszunahme.<br />
Überzählige Pfunde sind bei Diabetikern bekanntermaßen nachteilig: die Insulinempfindlichkeit<br />
verschlechtert sich, der Insulinbedarf steigt an, d.h. eine größere<br />
Basalrate und eine höhere Bolusgabe werden notwendig. In der Regel kommt es mit<br />
Erhöhung des Körpergewichts auch zu einer zunehmenden Blutzuckerinstabilität.<br />
Daneben ist Übergewicht ein eigenständiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />
Es trägt zusätzlich zu einer Verschlechterung von anderen Risikofaktoren bei:<br />
Blutdruck und Blutfette steigen ebenfalls an und erhöhen die Gefahr von schwerwiegenden<br />
Gefäßkrankheiten. Die Häufigkeit von Herzinfarkt und Schlaganfall wird mit<br />
zunehmendem Körpergewicht größer.<br />
Eigene Beobachtungen stützen diese Thesen. Wir haben über 100 Typ-1-Diabetiker<br />
mit einer mehr als 30-jährigen <strong>Diabetes</strong>dauer auf den Zusammenhang zwischen Folgekrankheiten<br />
und allgemeinen Risikofaktoren untersucht und befragt. Der Anteil<br />
derjenigen, bei denen trotz relativ langer Krankheitsdauer noch keine Folgeerkrankungen<br />
nachweisbar waren, betrug etwa 20 %. Diese Gruppe ohne jegliche Hinweise<br />
auf ein diabetisches Spätsyndrom hatten im wesentlichen folgende Gemeinsamkeiten:<br />
Nichtraucher, sehr gute Blutfette, keine erhöhten Blutdruckwerte, regelmäßige<br />
körperliche Aktivität. Keiner von ihnen war übergewichtig. Eine gewisse genetische<br />
212<br />
Schutzkomponente ist allerdings zu<br />
vermuten.<br />
Hier ist wieder die Eigenverantwortung<br />
jedes einzelnen Insulinpumpenträgers<br />
gefragt. Er ist aufgefordert,<br />
seine individuellen Schutzund<br />
Risikofaktoren kennenzulernen.<br />
Dann sollte er selbst entscheiden,<br />
was ihm wichtig ist.<br />
12. Ernährung<br />
Neben der <strong>Diabetes</strong>erkrankung und<br />
dem Übergewicht sind folgende sogenannte<br />
Risikofaktoren ungünstig<br />
für die Gefäße: Bewegungsmangel,<br />
Rauchen, Bluthochdruck, erhöhte<br />
Blutfette, hoher LDL/HDL-Quotient<br />
(d.h. ungünstiges Verhältnis zwischen<br />
»schlechtem« und »gutem«<br />
Cholesterin) sowie vermutlich eine<br />
skeptische, feindselige Lebensgrundhaltung<br />
und eine stärkere Stressbelastung. Als direkt nicht beeinflussbare Risikofaktoren<br />
sind zu nennen: männliches Geschlecht, Alter und gehäuftes Auftreten von<br />
Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Familie.<br />
Günstige Schutzfaktoren hinsichtlich des Auftretens von gefäßbedingten Erkrankungen<br />
sind neben normnaher Blutzuckereinstellung und Normalgewicht: regelmäßige<br />
körperliche Aktivität, gesunde Ernährung, Nichtrauchen und eventuell moderater Alkoholgenuss.<br />
Auch scheinen harmonische soziale Beziehungen, eine stabile, glückliche<br />
Partnerschaft sowie eine realistische, von Zuversicht geprägte Lebenseinstellung<br />
vorteilhaft zu sein. Ein nicht zu unterschätzender, allerdings nicht beeinflussbarer<br />
Schutzfaktor ist das günstige Erbgut: Hohes Lebensalter von Eltern und Verwandten<br />
1. Grades, familiär kein oder seltenes Auftreten von Gefäßleiden.<br />
12.10 Essstörung<br />
Nach unseren Erfahrungen ist suchthaft gestörtes Essverhalten bei Insulinpumpenträgern<br />
nicht selten – von einer gewissen Dunkelziffer mit bisher unbekannten Essstörungen<br />
ist auszugehen. Eine Übergewichtigkeit muss keinesfalls immer vorliegen.<br />
Stark schwankende Blutzuckerwerte, große Nahrungsboli in den Abendstunden, des<br />
öfteren deutlich erhöhte Blutzuckerwerte vor dem Schlafengehen ohne offensichtliche<br />
Ursache sowie untypisch hohe Basalraten in der ersten Nachthälfte stützen einen<br />
213
12. Ernährung<br />
eventuellen Verdacht. Klassische Essstörungen wie Anorexia nervosa (Schlankheitswahn)<br />
bzw. Bulimie (bewusstes Erbrechen nach Nahrungsaufnahme) sind bei Insulinpumpenträgern<br />
eher selten, sie werden meist auch als Kontraindikation einer Insulinpumpenbehandlung<br />
aufgelistet.<br />
Zu starre Ernährungsvorschriften können einen übermäßigen Drang und eine nicht<br />
beherrschbare Gier nach Süßem (»Verbotenes reizt«) auslösen und sich zu einem unkontrollierten,<br />
suchthaften Verhalten ausweiten. Dabei sind bekanntlich strikte Verbote<br />
bezüglich Essen und Trinken bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht angezeigt<br />
und keinesfalls mehr zeitgemäß.<br />
Insulinpumpenträgern mit bisher verheimlichter Essproblematik empfehlen wir dringend,<br />
sich einen Arzt oder Psychologen ihres Vertrauens zu suchen, damit sie geeignete<br />
Hilfe erhalten können. (Siehe auch »Psychotherapieführer für Menschen mit <strong>Diabetes</strong>«<br />
im Abschnitt 15.2).<br />
Bei geplantem Beginn einer Insulinpumpenbehandlung wegen stark schwankender<br />
Blutzuckerverläufe ist beim Abwägen des Für und Wider einer Insulinpumpen-Therapie<br />
auch an die Möglichkeit einer Essproblematik zu denken. Unerkannte Essstörungen<br />
mit dadurch »schwer einstellbarem« <strong>Diabetes</strong> verleiten immer wieder dazu, die<br />
technisch optimale Therapieform, nämlich eine Insulinpumpe zu wählen; das wesentliche<br />
Problem des psychisch bedingten suchthaften Essverhaltens bleibt dabei nicht selten<br />
unerkannt. Nach anfänglichen »Scheinerfolgen« ist ein Scheitern der Insulinpumpen-Therapie<br />
meist vorprogrammiert. Zu Beginn kann mit der Insulinpumpe eine<br />
Essstörung leicht verschleiert werden, später kommt es in Einzelfällen immer wieder<br />
zu einer Verstärkung der Essproblematik. Menschen mit gestörtem Essverhalten, die<br />
bereits mit einer Insulinpumpe behandelt werden, benötigen gleichermaßen eine verständnisvolle<br />
sowie kompetente diabetologische Betreuung und parallel dazu eine intensive<br />
sowie gute psychotherapeutische Behandlung.<br />
214<br />
13. Weitere Hinweise<br />
13.1 Irrtümer und Mythen<br />
Immer wieder werden Meinungen vertreten, die für eine angemessene Behandlung<br />
mit der Insulinpumpe nicht hilfreich sind. Teils führen sie zu einem unüberlegten und<br />
schematischen Handeln, teils bedingen sie unnötig einengende Verhaltensvorschriften,<br />
teils missachten sie die besonderen Möglichkeiten einer flexiblen Insulinpumpenbehandlung,<br />
teils gehen sie von unangebrachten Zielvorgaben aus.<br />
Uns ist in diesem Zusammenhang der Hinweis wichtig, mehr den Erfolg als Maßstab<br />
für das Handeln zu nehmen und sich weniger nach starren Empfehlungen zu richten,<br />
die in der Regel individuelle Besonderheiten zu wenig berücksichtigen. Auch sei uns<br />
die provokative Behauptung erlaubt: Nicht alles, was angebliche »Insulinpumpenfachleute«<br />
behaupten, muss im Einzelfall richtig sein. Eine gewisses Skepsis sowie ein<br />
gesunder Menschenverstand sind meist vorteilhaft. Dies bezieht sich auch auf unsere<br />
Aussagen in diesem Buch.<br />
<strong>Mit</strong> Hilfe einer sinnvoll eingesetzten Blutzuckerselbstkontrolle kann in vielfacher Hinsicht<br />
einfach und schnell beurteilt werden, ob das eigene Vorgehen erfolgreich war<br />
oder nicht. Zugegeben, ein solches Konzept ist nicht immer ganz unproblematisch.<br />
Beispielsweise ist unklar, welche konkreten Zielbereiche für den Blutzucker im Tagesverlauf<br />
anzustreben sind und welche HbA 1c -Werte erreicht werden sollten. Deshalb<br />
gleich ein erster Mythos:<br />
»Je niedriger der HbA 1c -Wert, desto besser«<br />
Diese Aussage ist richtig, wenn nur das Risiko für Folgeerkrankungen bedacht wird,<br />
wenn also der Blick ausschließlich in die Zukunft gerichtet ist. Wesentlich sind aber<br />
auch die Unterzuckerungsproblematik und die persönliche jetzige Lebensqualität, d.h.<br />
die Gegenwart ist genauso wichtig. Den Diabetiker interessiert nicht nur: »<strong>Mit</strong> welchen<br />
Folgeerkrankungen muss ich rechnen? Wie kann ich sie vermeiden?« Für ihn ist<br />
auch bedeutsam: »Wie stark werde ich heute in meinem Alltag durch die <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />
beeinträchtigt?«<br />
Werden die Zielbereiche für Blutzucker und HbA 1c zu niedrig angesetzt, erhöht sich<br />
das Risiko für eine Hypoglykämie, der Behandlungsaufwand steigt notwendigerweise,<br />
das momentane Wohlbefinden wird geringer. Als abstraktes Ziel lässt sich formulieren:<br />
Möglichst normnahe Blutzuckereinstellung bei gleichzeitig hoher Lebensqualität und<br />
seltenen Unterzuckerungen. Der optimale Zielbereich des Blutzuckers und des HbA 1c -<br />
Wertes wird dabei individuell verschieden sein, er wird von dem gut informierten, eigenverantwortlich<br />
handelnden Patienten im wesentlichen selbst festgelegt.<br />
215
13. Weitere Hinweise<br />
»Die Insulinbehandlung mit der Insulinpumpe ist besser als mit der Spritze«<br />
Diese Aussage trifft für viele Typ-1-Diabetiker zu, insbesondere für diejenigen ohne<br />
körpereigene Restfunktion. Sie gilt keinesfalls für die überwiegende Mehrzahl der insulinbehandelten<br />
Typ-2-Diabetiker, bei denen weniger der Insulinmangel als vielmehr<br />
die gestörte und abgeschwächte Insulinwirkung (Insulinresistenz) im Vordergrund<br />
steht. Diese Patientengruppe ist meistens übergewichtig; eine Verringerung des Körpergewichts<br />
führt in der Regel zu einer Verbesserung der Insulinempfindlichkeit und<br />
sollte deshalb wesentliches Behandlungsziel sein. Dies gelingt freilich unter einer Insulinpumpen-Therapie<br />
nur sehr selten. Der Beginn einer Insulinpumpenbehandlung<br />
muss im Einzelfall kritisch überdacht werden. Die Entscheidung wird vom Patienten<br />
nach ausführlicher Beratung durch ein kompetentes <strong>Diabetes</strong>-Team gefällt. Die individuellen<br />
Vor- und Nachteile sind abzuwägen, aber auch die gesetzlichen Vorgaben zur<br />
Kostenübernahme sind zu beachten. Der langfristige Erfolg einer Insulinpumpenbehandlung<br />
wird in erster Linie durch das Engagement des Patienten bestimmt.<br />
»Eine Insulinpumpenbehandlung ist einfach und bequem«<br />
Dies ist richtig, wenn die Art der Insulinabgabe beschrieben wird. Wie mehrfach betont,<br />
ist es unabdingbar, dass der Insulinpumpenträger »Spezialist in eigener Sache«<br />
ist. Dazu sind notwendig: viel Wissen, ständiges <strong>Mit</strong>denken, eine gute Beobachtungsgabe,<br />
angemessene Kritikfähigkeit und eine große Lernbereitschaft. Vom Insulinpumpenträger<br />
ist eine erhebliche Eigenbeteiligung zu fordern – nicht finanzieller Art, sondern<br />
in Form von aktivem <strong>Mit</strong>denken. Dann wird sich eine Insulinpumpenbehandlung<br />
langfristig für alle Beteiligten lohnen, auch die deutlichen Mehrkosten sollten vertretbar<br />
sein.<br />
»Die Insulinpumpenbehandlung verbessert immer die Blutzuckereinstellung«<br />
Dies ist zutreffend, wenn es gelingt, mit der Insulinpumpe als Hilfsmittel die Insulinabgabe<br />
dem Bedarf optimal anzupassen. Für die Steuerung sind jedoch Menschen verantwortlich:<br />
der Insulinpumpenträger und das ihn betreuende <strong>Diabetes</strong>-Team. Dabei<br />
werden immer wieder Fehler gemacht. Es gibt Einzelfälle, in denen es trotz Insulinpumpen-Therapie<br />
zu einer Verschlechterung der Stoffwechselsituation und zu einem<br />
Anstieg des HbA 1c -Wertes kommt. Oft wären solche Entwicklungen bei mehr Erfahrung<br />
und mehr Sorgfalt bei der Patientenauswahl zu vermeiden gewesen, z.B. bei<br />
sozialen Konfliktsituationen, depressiven Erkrankungen, fehlender Krankheitsakzeptanz,<br />
Essstörungen, Suchtverhalten, aber auch bei ungenügender Insulinpumpenschulung.<br />
216<br />
»Mein Hausarzt weiß über Insulinpumpenbehandlung nicht Bescheid«<br />
Es kann nicht Aufgabe eines Allgemeinarztes oder auch eines Internisten ohne<br />
Schwerpunkt Diabetologie sein, sich in die Besonderheiten einer Insulinpumpen-Therapie<br />
einzuarbeiten. Geeignete Ansprechpartner für Insulinpumpenträger sind Diabetologen<br />
und <strong>Diabetes</strong>-Teams, die mit dieser Behandlungsform eine umfangreiche Erfahrung<br />
haben.<br />
»Mein Insulinpumpenzentrum muss rund um die Uhr für mich<br />
telefonisch erreichbar sein«<br />
Jeder Insulinpumpenträger kann in eine Situation kommen, in der er kurzfristig mit<br />
der Insulinpumpenbehandlung nicht weiter weiß. In solchen Fällen ist es ohne Zweifel<br />
hilfreich, wenn er sich sofort an eine kompetente Stelle wenden kann. Dies ist jedoch<br />
keinesfalls absolut notwendig. Falls ein Insulinpumpenbezogenes Problem auftaucht,<br />
für das der Insulinpumpenträger keine Lösung weiß, gilt die Empfehlung, Katheter<br />
und Insulinpumpe zu entfernen und mit Spritze bzw. Pen weiter zu behandeln. Dies<br />
setzt voraus, dass ein Insulinpumpenträger die Prinzipien der intensivierten Insulintherapie<br />
(ICT) beherrscht und eine ausreichende Vorerfahrung mit dem Basis-Bolus-<br />
Konzept besitzt. Deshalb ist vor Beginn einer Insulinpumpen-Therapie ein mindestens<br />
6-monatige Behandlungsphase mit ICT dringend anzuraten.<br />
»Meine BE-Faktoren und Korrekturzahlen muss<br />
der <strong>Diabetes</strong>fachmann festlegen«<br />
Es ist von Vorteil, wenn das Betreuungsteam zu Beginn einer Insulinpumpenbehandlung<br />
Anhaltspunkte zur Bolusgabe vorgibt. Dabei sind die Erfahrungen des<br />
Diabetikers unter der Spritzentherapie zu berücksichtigen. Solche Vorgaben sind jedoch<br />
nicht »in Stein gemeißelt«. Sie sind vom Insulinpumpenträger immer wieder kritisch<br />
zu hinterfragen und müssen von Zeit zu Zeit, meist in kleinen Schritten, aufgrund<br />
der eigenen Erfahrungen unter Insulinpumpenbehandlung geeignet angepasst werden.<br />
»Für eine mehrtätige Insulinpumpenpause muss das Behandlungsteam<br />
einen Plan für die Spritzen- bzw. Pentherapie erstellen«<br />
13. Weitere Hinweise<br />
Es ist hilfreich, sich im voraus bei geplantem Ablegen der Insulinpumpe über mehrere<br />
Tage Gedanken zu machen, welches Insulin-Spritz-Regime und wie viele Einheiten an<br />
Kurzzeitinsulin bzw. an Verzögerungsinsulin zweckmäßig sein könnten. Hierbei kann<br />
das <strong>Diabetes</strong>team wertvolle Tipps geben. Entscheidend aber ist, dass der Insulinpumpenträger<br />
selbst durch Nachdenken und Ausprobieren herausfindet, welches Konzept<br />
nach dem Umsetzen auf Spritzen-/Pen-Behandlung einigermaßen erfolgreich ist. Das<br />
217
13. Weitere Hinweise<br />
Wissen über die Wirkprofile von Kurzzeit- und Verzögerungsinsulin ist hierbei eine<br />
entscheidende Voraussetzung.<br />
»Die Richtigkeit der Basalrate muss regelmäßig durch Fastentests überprüft werden«<br />
Das Auslassen von Mahlzeiten kann eine Hilfe sein, das angemessene Basalratenprofil<br />
zu ermitteln. Da der Bedarf an basalem Insulin, wie mehrfach ausgeführt, gewissen<br />
Schwankungen unterliegt – Stichwort: wechselnde Insulinempfindlichkeit –, kann jede<br />
einprogrammierte Basalrate nur näherungsweise richtig sein. Viel wichtiger und für<br />
die Praxis bedeutsamer ist:<br />
● Bei ausgeglichenem Lebensstil (übliches Essen und Trinken, keine vermehrte körperliche<br />
Aktivität, keine Sondersituation) beinhaltet die 24-stündige Basalratenmenge<br />
ungefähr die Hälfte des Tagesgesamtinsulins.<br />
● Zwischen Höhe der stündlichen Basalrate, BE-Faktor und Korrekturzahl besteht<br />
meistens ein gewisser Zusammenhang (vgl. Abschnitt 3.2.4, insbesondere Abb. 24).<br />
218<br />
»Zwischen zwei aufeinanderfolgenden Bolusgaben müssen<br />
mindestens zwei Stunden vergangen sein«<br />
13. Weitere Hinweise<br />
<strong>Mit</strong> dieser Anweisung soll eine Bolusüberlappung möglichst vermieden werden. Wenn<br />
ein Insulinpumpenträger über die Wirkdauer seines Insulins gut Bescheid weiß und sie<br />
entsprechend einkalkuliert, wird er die Bolusgaben so setzen, wie er sie braucht. Im<br />
konkreten Fall heißt das: Wenn etwas besonders gut schmeckt und man mehr davon<br />
essen möchte, wird dafür ein zusätzlicher Bolus abgegeben – unabhängig davon,<br />
wann der vorhergehende gesetzt wurde.<br />
»Bei einem Blutzuckerwert über 250 mg/dl muss immer Azeton überprüft werden«<br />
Eine deutliche Blutzuckererhöhung mit Werten über 250 mg/dl kann Ausdruck einer<br />
beginnenden ketoazidotischen Entgleisung sein. In solchen Fällen hilft die Azetonbestimmung<br />
im Urin bzw. im Blut weiter. Falls für den zu hohen Blutzuckerwert eine naheliegende<br />
Ursache sehr wahrscheinlich ist (z.B. Fehleinschätzung der Nahrung, vorherige<br />
Bolusabgabe vergessen, Bolus zu gering gewählt), genügt es, sofort einen geeigneten<br />
Korrekturbolus zu setzen. Der Blutzucker sollte nach ca. 2 - 4 Stunden erneut<br />
überprüft werden. Wenn der Messwert immer noch über 250 mg/dl liegt, könnte es<br />
sich doch um eine drohende Ketoazidose handeln, somit ist dann die Azetontestung<br />
unbedingt erforderlich.<br />
»Bei einem Blutzuckerwert über 250 mg/dl<br />
ist jegliche körperliche Aktivität verboten«<br />
Wenn ein Insulinmangel die Ursache für die deutliche Blutzuckererhöhung ist, muss<br />
körperliche Aktivität auf jeden Fall unterbleiben, denn bei einer Insulinminderversorgung<br />
verschlechtert sich die Stoffwechselsituation unter Muskeltätigkeit. Wenn allerdings<br />
durch entsprechende Insulingabe und durch ein negatives Ergebnis beim Azetontest<br />
gewährleistet ist, dass eine beginnende ketoazidotische Entgleisung nicht zu<br />
befürchten ist, kann körperliche Aktivität erfolgen. Allerdings sollte der Blutzucker<br />
nach 2-3 Stunden erneut gemessen werden.<br />
»Wenn das Blutzuckermessgerät eine Speicherfunktion hat,<br />
ist das Aufschreiben der Ergebnisse überflüssig«<br />
Das Überdenken der Blutzuckerwerte ist wesentlich, um die Bolusabgabe richtig zu<br />
steuern und die persönlichen Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Dabei sind die Rahmenbedingungen<br />
(Essen und Trinken, Bewegung, Besonderheiten) wichtig. Diese sollten<br />
in einer aussagekräftigen Dokumentation enthalten sein. Zumindest zur Beurteilung<br />
von Sondersituationen ist sie empfehlenswert. Die Erfahrung zeigt: Gut eingestellte<br />
Diabetiker verzichten selten auf eine übersichtliche Dokumentation der<br />
Messergebnisse und wichtiger zusätzlicher Informationen.<br />
219
13. Weitere Hinweise<br />
13.2 Was ein Insulinpumpenträger unbedingt beachten sollte<br />
In der Insulinpumpen-Therapie gibt es nur wenige, zwingend einzuhaltende, verbindliche<br />
Vorschriften. Beispiele für absolute Handlungsanweisungen sind:<br />
● Kein Wechsel der Insulinpatrone bei liegendem Katheter.<br />
● Nach Katheterwechsel sicherstellen, dass der Schlauch gefüllt ist und die Insulinpumpe<br />
im »Run-Modus« ist.<br />
● Bei Verdacht auf eine Unterzuckerung sofort handeln, nämlich Zufuhr von »schnellen<br />
Kohlehydraten«.<br />
● Geeignete »Not-BE« müssen stets griffbereit sein.<br />
● Vor länger andauernder körperlicher Aktivität muss stets überlegt werden, wie<br />
eine Hypoglykämie vermieden werden kann.<br />
● Bei positivem Azetonnachweis keine körperliche Aktivität.<br />
● Bei Unwohlsein, Bauchbeschwerden, Erbrechen und einem Blutzuckerwert über<br />
250 mg/dl muss Azeton überprüft werden.<br />
● Regelmäßige BZ-Kontrolle.<br />
13.3 Erhebliche Blutzuckerschwankungen<br />
Bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> kann der tatsächliche Bedarf an Insulin trotz großer<br />
Sorgfalt und ausgefeilter Anpassungsschemata nur näherungsweise ermittelt werden.<br />
Deshalb lassen sich stärkere Blutzuckerschwankungen nicht immer vermeiden, mehr<br />
oder weniger deutliche Abweichungen vom wünschenswerten normnahen Zielbereich<br />
müssen in Kauf genommen werden. Es ist wie beim Bogenschießen auf eine Zielscheibe:<br />
Trotz aufrichtigen Bemühens trifft man nur selten ins Schwarze, eine gewisse<br />
Streubreite bei den Ergebnissen ist üblich und normal, durch systematisches Training<br />
kann die Trefferquote verbessert werden.<br />
In diesem Zusammenhang ist wichtig: Welche Begleitumstände können Ursache für<br />
eine überdurchschnittliche Stoffwechsellabilität mit übermäßigen Schwankungen der<br />
Blutzuckerwerte sein? Als Gründe dafür sind zu nennen:<br />
● Ungenügendes Wissen des Insulinpumpenträgers: Er ist über Insulinbedarf und Insulinwirkung<br />
schlecht informiert; er kennt den Einfluss von Essen und Trinken auf<br />
den Blutzuckerverlauf zu wenig; er weiß nicht ausreichend Bescheid über körpereigene<br />
Regulationsmechanismen, die für die Blutzuckersteuerung von Bedeutung<br />
sind, wie z.B. Verdauungsvorgänge, Leberstoffwechsel, hormonelle Einflüsse.<br />
● Die Insulinabgabe entspricht nicht dem tatsächlichen Bedarf: Das Basalratenprofil<br />
ist falsch; die Festlegung der Insulinboli ist nicht zweckmäßig (BE-Faktoren und<br />
Korrekturzahlen sind nicht richtig); das Dosisanpassungsschema wird zu starr gehandhabt<br />
und nicht kritisch hinterfragt.<br />
220<br />
13. Weitere Hinweise<br />
● Es bestehen erhebliche Mängel bei der Stoffwechselselbstkontrolle: Die Blutzukkermessung<br />
erfolgt zu selten, sie ist ungenau; die Messergebnisse werden nicht<br />
systematisch dokumentiert und analysiert; stärkere Abweichungen vom Zielwert<br />
werden zu wenig überdacht.<br />
● Die Häufigkeit von Unterzuckerungen ist relativ hoch: Der Blutzuckerzielbereich ist<br />
zu niedrig gewählt; Vermeidungsstrategien für eine Hypoglykämie werden nicht<br />
beachtet; im Falle einer Unterzuckerung erfolgt ein übermäßiges, unkontrolliertes<br />
Essen und Trinken; durch hormonelle Gegenregulation kommt es zu einem überschießenden<br />
Blutzuckeranstieg.<br />
● Stark wechselnde körperliche Aktivität ohne entsprechende Dosisanpassung kann<br />
die Blutzuckerstabilität stören: oft ist es schwierig, die angemessene Insulinmenge<br />
in der Blutbahn zu erahnen; nicht selten besteht eine Überinsulinierung; die Insulinempfindlichkeit<br />
kann sich während und nach körperlicher Tätigkeit verändern;<br />
eine eventuelle Entleerung von Glykogenspeichern in der Muskulatur und der<br />
»Muskelauffülleffekt« nach Belastung lassen sich kaum berechnen; bei relativem<br />
Insulinmangel kann es sogar zu einem Blutzuckeranstieg während körperlicher Aktivität<br />
kommen.<br />
● Große Freizügigkeit beim Essen und Trinken erschwert stabile Blutzuckerverläufe:<br />
Bei unbekannten Speisen und Getränken kann der Kohlenhydratanteil falsch geschätzt<br />
werden; auch an eine Essstörung ist zu denken; ein erhebliches Übergewicht<br />
verschlechtert die Insulinwirkung.<br />
● Eine fehlende bzw. mangelhafte Krankheitsakzeptanz verleitet zu einer gewissen<br />
Oberflächlichkeit: Die <strong>Diabetes</strong>erkrankung wird verdrängt; es besteht keine Bereitschaft<br />
zum eigenverantwortlichen Handeln; es werden unrealistische Einstellungsziele<br />
angestrebt.<br />
● Eine instabile psychische Situation bedingt nicht selten eine unausgeglichene<br />
Stoffwechselsituation: Vermehrter Stress, Ärger, Stimmungsschwankungen wirken<br />
sich ungünstig aus.<br />
● Die hormonelle Situation kann die Blutzuckerstabilität beeinflussen: Monatsblutung,<br />
Wechseljahre, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Cortisonbehandlung haben<br />
mitunter negative Auswirkungen auf den Blutzuckerverlauf.<br />
● Ein stark wechselnder Schlaf-Wach-Rhythmus kann sich ungünstig auswirken: der<br />
Tagesablauf ist sehr unregelmäßig; es wird im Schichtdienst gearbeitet; durch häufige<br />
Intercontinentalflüge kommt es immer wieder zu Zeitverschiebungen.<br />
● Das Ablegen der Insulinpumpe über einen längeren Zeitraum kann von Nachteil<br />
sein: Es erfolgt keine geeignete basale Insulinversorgung; es kann eventuell zu einem<br />
problematischen Druckabfall beim abkoppelbaren Katheter kommen.<br />
● Durch eine Magenentleerungsstörung oder begleitende Verdauungskrankheiten<br />
ist die Kohlenhydrataufnahme gestört bzw. nicht berechenbar.<br />
● Es liegt eine chronische Entzündung vor: z.B. eine Erkrankung der Nasennebenhöhlen,<br />
der Gallenblase, eine Bronchitis oder eine Polyarthritis.<br />
221
13. Weitere Hinweise<br />
222<br />
Weiterhin gibt es zahlreiche äußere Störfaktoren; diese können vom Insulinpumpenträger<br />
selbst beeinflusst werden, sie sind ihm jedoch häufiger nicht bewusst. Als Beispiele<br />
seien genannt:<br />
● Überkorrektur mit Insulin oder BE<br />
● Bolusgabe ohne Blutzuckerkontrolle<br />
● Kathetereinstichstelle in lipodystrophische Bezirke (Fettgewebsansammlungen)<br />
● zu lange Katheterliegedauer<br />
● Kohlehydratreiche Kost mit stark wechselndem glykämischen Index<br />
● sehr eiweißreiches Essen.<br />
Auch interne Störfaktoren können eine erhebliche Rolle spielen; diese sind durch körpereigene<br />
Regulationsmechanismen bedingt und sind vom Insulinpumpenträger nicht<br />
direkt beeinflussbar. Für den Blutzuckerverlauf können beispielsweise von Bedeutung<br />
sein:<br />
● Leberstoffwechsel (vgl. Abschnitt 3.1.3)<br />
● Autoregulation<br />
● Muskelauffülleffekt<br />
● verschlechterte Insulinempfindlichkeit vor der Periode<br />
● Alkoholverstoffwechselung<br />
● hormonelle Gegenregulation nach einer Unterzuckerung<br />
● circadiane Rhythmik<br />
● funktionelle Magenentleerungsstörung bei hohen Blutzuckerwerten<br />
● verschlechterte Insulinwirkung bei erhöhten freien Fettsäuren im Blut.<br />
Diese umfangreichen Aufstellungen – sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit<br />
– verdeutlichen die Komplexität und Störanfälligkeit der Blutzuckerregulation.<br />
Bei übermäßiger Stoffwechsellabilität sind eine Fülle von Ursachen zu bedenken.<br />
Meist sind mehrere Gründe in unterschiedlicher Ausprägung dafür verantwortlich.<br />
Gleichzeitig ist leicht nachvollziehbar, dass mit einer Insulinpumpenbehandlung nicht<br />
zwangsläufig eine langfristig ausgeglichenere Stoffwechseleinstellung auf normnahem<br />
Niveau zu erzielen ist.<br />
<strong>Mit</strong> Erkennen der Ursache für eine übermäßige Blutzuckerlabiltät wird meist bereits<br />
aufgezeigt, welche geeigneten Schritte als Gegenmaßnahme zu ergreifen sind. Diese<br />
können sein:<br />
● Beseitigung von Informationslücken und Wissensdefiziten<br />
● Zweckmäßige Dosisanpassungsregeln<br />
● Systematische Stoffwechselselbstkontrolle<br />
● Strategien zur Vermeidung von Unterzuckerungen<br />
13. Weitere Hinweise<br />
223
13. Weitere Hinweise<br />
● Konsequentes Überdenken der Blutzuckerverläufe, »PPL-System« als Hilfsmittel<br />
(siehe Abschnitt 3.3)<br />
● Mehr »Disziplin« beim Essen und Trinken<br />
● Stressabbau, Einüben eines Entspannungsverfahrens<br />
● Annehmen der Erkrankung als eine persönliche Herausforderung<br />
● Eventuell psychotherapeutische Behandlung<br />
● Mehr Regelmäßigkeit im Tagesablauf<br />
● Behandlung von Begleiterkrankungen<br />
Allerdings: Nicht immer sind die Gründe einer Blutzuckerlabilität offensichtlich. Nicht<br />
jede Ursache kann leicht und vollständig beseitigt werden. Bei einer ausgeprägten<br />
Magenentleerungsstörung beispielsweise ist ein einigermaßen stabiler Blutzuckerverlauf<br />
trotz großer Anstrengungen kaum erreichbar. Hormonelle Begleitumstände<br />
sind immer wieder schwer beeinflussbare Störfaktoren. Psychische Gegebenheiten,<br />
insbesondere persönlichkeitsbezogene Besonderheiten, erweisen sich meist als wenig<br />
veränderbar. Es gilt, Grenzen der Machbarkeit zu akzeptieren und sich immer wieder<br />
bewusst zu machen: Bei der Behandlung von Menschen mit <strong>Diabetes</strong> ist nicht alles beherrschbar,<br />
manches beim Blutzuckerverlauf ist nicht »logisch«, aber alles ist »biologisch«.<br />
In Abwandlung einer bekannten Lebensweisheit von Oettinger sind für einen Insulinpumpenträger<br />
drei Eigenschaften wünschenswert und vorteilhaft:<br />
Die Fähigkeit, den Blutzucker angemessen zu steuern,<br />
wo er beeinflusst werden kann.<br />
Die Gelassenheit, den Blutzuckerverlauf zu akzeptieren<br />
wo er nicht beeinflusst werden kann.<br />
224<br />
Die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.<br />
14. Krankheitsbewältigung<br />
Der angemessene Umgang mit dem <strong>Diabetes</strong> ist für jeden Betroffenen eine ständige<br />
Herausforderung, die einiges an Energie, aber auch einen gewissen Zeitaufwand abverlangt.<br />
Selbstverständlich sind dazu fundiertes und umfangreiches Wissen über die<br />
Krankheit im allgemeinen sowie über die insulinpumpentypischen Besonderheiten unabdingbar.<br />
Für eine gute Einstellung ist dies jedoch nicht ausreichend.<br />
Es gibt Insulinpumpenträger, die bestens informiert sind; sie kennen die neuesten Entwicklungen,<br />
sie haben für alle Probleme im Zusammenhang mit <strong>Diabetes</strong> eine plausible<br />
Erklärung, aber ihre Stoffwechselqualität ist objektiv gesehen unbefriedigend, z.B.<br />
HbA 1c über 8 % bzw. mehr als 30 % Übergewicht.<br />
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden in diesem Kapitel weitere wichtige Gesichtspunkte<br />
angesprochen, die für einen angemessenen Umgang mit der <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />
zweckmäßig und vorteilhaft sind. Jeder möge sich das herausnehmen, was<br />
für ihn persönlich hilfreich ist.<br />
Wir haben nicht wenige Insulinpumpenträger kennen gelernt, die mit ihrer Erkrankung<br />
im Alltag in bewundernswerter Weise zurecht kommen. Wer trotz des <strong>Diabetes</strong><br />
sich nicht wesentlich beeinträchtigt fühlt, wer einen großen Teil seiner Bedürfnisse<br />
und Wünsche verwirklichen kann, wer in seinem Wohlbefinden keine großen Zugeständnisse<br />
zu machen braucht, wer dabei meist gute Blutzuckerwerte und keine Unterzuckerungsproblematik<br />
hat, der braucht sich mit den Ausführungen dieses Kapitels<br />
nicht intensiver zu beschäftigen. Ansonsten laden wir dazu ein, sich einige alternative<br />
Gedanken über den Stellenwert der Erkrankung zu machen.<br />
14.1 Allgemeine Behandlungsziele<br />
Als allgemeine Ziele für eine gute Behandlung der <strong>Diabetes</strong>erkrankung lassen sich<br />
zwei wesentliche Gesichtspunkte nennen:<br />
Zum einen geht es um eine optimale Stoffwechselqualität mit individuellen, erreichbaren<br />
Zielvorgaben. Die persönliche Lebenssituation des Patienten und eventuelle Begleiterkrankungen<br />
sind dabei zu berücksichtigen. Beispielsweise werden in der Pubertät<br />
andere Blutzuckerverläufe zu tolerieren sein als während einer Schwangerschaft.<br />
Bei einer schmerzhaften Polyneuropathie ist eine bessere Blutzuckereinstellung anzustreben<br />
als z.B. bei einem Insulinpumpenträger, bei dem nach einer mehr als 30-jährigen<br />
<strong>Diabetes</strong>dauer keine Folgeerkrankungen nachweisbar sind, der aber gleichzeitig<br />
die Unterzuckerungen schlecht bemerkt.<br />
225
14. Krankheitsbewältigung<br />
Zum anderen ist ein möglichst großes subjektives Wohlbefinden für den Betroffenen<br />
wünschenswert. Eigene Bedürfnisse, individuelle Lebensziele und die Persönlichkeit<br />
des Patienten sind zu beachten. Jeder Insulinpumpenträger sollte die vielfältigen Möglichkeiten,<br />
aber auch die Grenzen der Behandlung kennen, um frei und eigenverantwortlich<br />
entscheiden zu können, was zu tun ist.<br />
14.2 Persönliche Bewertung<br />
Wie immer wieder betont, sollte jeder Mensch mit <strong>Diabetes</strong> seinen individuellen Weg<br />
im Umgang mit der Erkrankung finden. Der Insulinpumpenträger selbst legt fest, was<br />
ihm wichtig ist und was er bewusst in Kauf nimmt. Folgende Fragen wollen zum Nachdenken<br />
anregen:<br />
● Wie ist mein Wissensstand?<br />
● Welche persönlichen Ziele habe ich?<br />
● Welchen Stellenwert messe ich der Krankheit zu?<br />
● Was kann ich schon gut?<br />
● Wo habe ich noch Defizite?<br />
● Was möchte ich anders machen?<br />
● Was will ich bewusst beibehalten?<br />
Beschäftigen Sie sich von Zeit zu Zeit mit solchen Fragen. Scheuen Sie sich nicht, Ihre<br />
Antworten gelegentlich aufzuschreiben. Dann fällt es leichter, Veränderungen bei sich<br />
wahrzunehmen. Probieren Sie es einfach aus.<br />
Ein sehr empfehlenswertes Buch bringt es mit dem Titel »<strong>Diabetes</strong> ist meine Sache«<br />
auf den Punkt. Es enthält hilfreiche Denkanstöße im Umgang mit der chronischen<br />
Krankheit. Der Autor Axel Hirsch ist Psychologe mit verhaltenstherapeutischem<br />
Schwerpunkt, er ist Betroffener (Typ-1-Diabetiker) und arbeitet seit vielen Jahren als<br />
Therapeut in einem <strong>Diabetes</strong>-Schulungsteam. Das Buch spiegelt seine vielfältigen Erfahrungen<br />
wider. Jeder an <strong>Diabetes</strong> erkrankte Mensch sollte dieses Buch gelesen haben,<br />
um selbst herauszufinden, inwieweit es ihm nützt.<br />
14.3 Realistische Sichtweise<br />
Für einen konstruktiven Umgang mit der <strong>Diabetes</strong>erkrankung ist es wichtig, die<br />
tatsächlichen Gegebenheiten zu erfassen und sie zu respektieren. »Anerkennen, was<br />
ist« stellt eine wichtige Voraussetzung zur Krankheitsbewältigung dar. Wie sieht nun<br />
die Realität für einen Insulinpumpenträger aus?<br />
● Tatsache ist, dass zu wenig bzw. meist kein Insulin mehr in der Bauchspeicheldrüse<br />
gebildet wird. Trotz Insulinpumpenbehandlung wird Insulin nicht wie beim Gesun-<br />
226<br />
14. Krankheitsbewältigung<br />
den in das Pfortadersystem bedarfsgerecht abgegeben, sondern es gelangt über<br />
das Unterhautfettgewebe – die »falsche Stelle!« – in den Blutkreislauf.<br />
● Tatsache ist, dass der Diabetiker selbst mit seinem »Kopf« die mangelnde Funktion<br />
der Bauchspeicheldrüse ersetzen muss. Dabei geht es darum, mit viel Cleverness die<br />
körpereigenen Regulationsmechanismen möglichst gut nachzuahmen.<br />
● Tatsache ist, dass die Blutzuckerselbstkontrolle ein wichtiges Hilfsmittel darstellt.<br />
Sie erfolgt allerdings nur punktuell und hat eine methodenbedingte Ungenauigkeit.<br />
● Tatsache ist, dass die natürlichen Steuerungsvorgänge für den Blutzucker sehr<br />
komplex sind. Nicht alle Zusammenhänge sind bekannt, geschweige denn mit einfachen<br />
<strong>Mit</strong>teln messbar. Es gilt, Grenzen der Machbarkeit zu erkennen und zu respektieren.<br />
● Tatsache ist, dass der individuelle Insulinbedarf größeren Schwankungen unterliegt.<br />
Zudem sind die Reaktionsmuster von Patient zu Patient verschieden.<br />
● Tatsache ist, dass ein allzu dogmatisches Vorgehen bei der Behandlung ungeeignet<br />
ist. Die Anweisungen von <strong>Diabetes</strong>fachleuten sind immer wieder hinsichtlich Erfolg<br />
bzw. Misserfolg zu hinterfragen.<br />
● Tatsache ist, dass der täglich notwendige Zeitaufwand auch unter Insulinpumpenbehandlung<br />
durchschnittlich mindestens 20 Minuten erfordert. Die komplexe Aufgabe<br />
der Blutzuckersteuerung kann nicht einfach nebenbei erledigt werden.<br />
● Tatsache ist, dass Wissen, Erfahrung, Nachdenken und Ausprobieren wichtige Säulen<br />
der Behandlung sind; dies gilt für den Patienten, aber auch für den Therapeuten;<br />
für beide ist ein engagiertes Vorgehen wünschenswert.<br />
Der an <strong>Diabetes</strong> erkrankte Mensch, aber auch seine Berater sollten sich mit diesen<br />
Realitäten immer wieder auseinandersetzen und sie zur Grundlage ihres Handelns machen.<br />
14.4 Verhältnis Patient – Therapeut<br />
Nachdem in unserer Gesellschaft das autoritäre, diktatorische System im politischen<br />
sowie im familiären Bereich weitgehend abgeschafft wurde, ist es an der Zeit, dies<br />
auch bei der Behandlung von chronischen Krankheiten zu tun, d.h. die Beziehung zwischen<br />
Betroffenem und Therapeut sollte durch ein partnerschaftliches Vorgehen bestimmt<br />
sein. Der Patient besitzt die Entscheidungskompetenz, der <strong>Diabetes</strong>spezialist<br />
die Fachkompetenz.<br />
Ein zu sehr bewertendes oder gar verurteilendes Denken hat dabei keinen Platz. Beispielsweise<br />
gibt es keine »Diätsünden«, bestenfalls ungünstige und weniger geeignete<br />
Speisen und Getränke. Der Insulinpumpenträger ist nicht zum blinden Gehorsam<br />
gegenüber den ärztlichen Anweisungen verpflichtet, sondern er sollte von seinem<br />
Handeln selbst überzeugt sein. Der Betroffene legt fest, was ihm wichtig ist, welche<br />
227
14. Krankheitsbewältigung<br />
Regeln die Grundlagen seines Tuns sind. Er selbst entscheidet, er trägt aber auch die<br />
Verantwortung dafür, wenn er von allgemein bewährten Empfehlungen abweicht.<br />
Der Patient ist der »Bestimmer«. Dies setzt natürlicherweise voraus, dass der an <strong>Diabetes</strong><br />
erkrankte Mensch sehr gut informiert ist, damit er die Möglichkeiten, aber auch<br />
die Risiken seines Handelns kennt und damit er die Konsequenzen seines Tuns beurteilen<br />
kann.<br />
Der Therapeut sollte sich seine Rolle als engagierter Berater bewusst machen, er sollte<br />
seine Bemühungen darauf setzen, durch alltagsbezogene, phantasievolle und erlebnisorientierte<br />
Schulungsmaßnahmen den Patienten zu befähigen, das Wesentliche<br />
seiner Krankheit zu erkennen, darüber nachzudenken und dann angemessen zu handeln.<br />
Die <strong>Diabetes</strong>fachleute sind Berater und Begleiter, sie haben die Funktion eines<br />
»Wegweisers«, sie bieten ein hilfreiches und erprobtes Handwerkszeug zur Behandlung<br />
an, sie geben Erfahrungen weiter, sie informieren über die Gesetzmäßigkeiten<br />
der Natur und sie forschen mit wissenschaftlichen Methoden nach neuen Erkenntnissen.<br />
Sie sollten lernen, das Recht der Entscheidung, aber auch die Verantwortung für<br />
die Konsequenzen an den Patienten abzugeben. Zudem sollten sie auch die Chance<br />
nutzen, von den Betroffenen viele praktische Tipps zu erfahren, die sich im Alltag mit<br />
der Insulinpumpe als zweckmäßig erwiesen haben.<br />
14.5 Hilfreiche Einstellungen<br />
Manch einer mag sich nach diesen Ausführungen fragen, wie kann ich dies alles schaffen?<br />
Deshalb sollen einige alternative Denkanstöße gegeben werden, die mehr die gedankliche<br />
Einstellung zur Krankheit betreffen. Jeder möge sich sein eigenes Urteil<br />
dazu bilden.<br />
Manche Insulinpumpenträger meinen, es sei sehr wichtig, sich bei der Behandlung der<br />
<strong>Diabetes</strong>erkrankung möglichst absolut fehlerlos zu verhalten. Wer so denkt, macht etwas<br />
Bedeutsames falsch: Er wagt kaum etwas Neues, er geht kein Risiko ein. Aufgrund<br />
eines übertriebenen Sicherheitsbedürfnisses nimmt er sich die Chance, neue Erfahrungen<br />
zu machen, er kann die Vielfalt seines Handlungsspielraumes gar nicht kennen lernen.<br />
Hier ist Mut gefragt: Mut zum Risiko, Mut zum phantasievollen Handeln, Mut<br />
zum Experiment und Mut, andere Wege zu gehen.<br />
Wünschenswert ist ein diabetologisches Selbstbewusstsein, d.h. der Betroffene ist sich<br />
selbst darüber bewusst, welche Bedeutung die gestörte Insulinbildung für die Gesamtabläufe<br />
seines Körpers besitzt. Er ist sich darüber im klaren, dass er selbst mit<br />
seinem »Kopf« die Fehlfunktion der Bauchspeicheldrüse übernehmen muss. Dazu<br />
braucht er Wissen, Erfahrung, Nachdenken und Experimentierfreudigkeit. Er ist dazu<br />
aufgefordert, bewährtes Verhalten im Umgang mit seiner Erkrankung auch gegen-<br />
228<br />
14. Krankheitsbewältigung<br />
229
14. Krankheitsbewältigung<br />
über <strong>Diabetes</strong>fachleuten zu vertreten, deren Empfehlungen manchmal zu starr sind.<br />
Noch bedeutsamer ist es, sich gegenüber ärztlichem Personal zu behaupten, das über<br />
die Besonderheiten der Insulinpumpenbehandlung nicht Bescheid weiß.<br />
Erstrebenswert ist eine Haltung der Gelassenheit. Es geht darum, sich von der Erwartung<br />
zu lösen, alles im Griff haben zu können; es geht darum, die Dinge primär erst<br />
einmal so zu akzeptieren, wie sie sind; es geht darum zu erkennen, dass trotz größter<br />
Anstrengungen der Blutzuckerverlauf bei einem Diabetiker meist nicht so ausgeglichen<br />
sein kann wie bei einem Gesunden. Das kann auch bedeuten, sich einzugestehen,<br />
dass die Vorgaben von <strong>Diabetes</strong>fachgesellschaften im Einzelfall nicht immer eingehalten<br />
werden können. Wünschenswert ist eine befreiende Gelassenheit, die nicht<br />
mit Oberflächlichkeit, Gleichgültigkeit oder Gedankenlosigkeit verwechselt werden<br />
darf. Wer gelassen ist, gerät nicht in Panik, wenn Unerwartetes auftritt; er macht sich<br />
keine unnötigen Sorgen um Dinge, die er nicht beeinflussen kann; er hat keine übersteigerten<br />
Ängste vor Ereignissen, die außerhalb seines Gestaltungsspielraumes liegen.<br />
Gelassen zu bleiben bei den immer wieder neuen Überraschungen im Alltag eines<br />
Menschen mit insulinpflichtigem <strong>Diabetes</strong>, das ist in der Tat ein weites Übungsfeld<br />
und eine ständige Herausforderung.<br />
In einer Zeit, die mitunter von einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis und von einer<br />
pessimistischen Grundhaltung geprägt wird, sind gerade im Umgang mit einer<br />
chronischen Krankheit das Prinzip Hoffnung und eine große Portion Zuversicht notwendig.<br />
Ein Leben mit <strong>Diabetes</strong> muss kein Drama sein und endet heute meist eben<br />
nicht mit einer Katastrophe. Es gilt nur, die persönliche Herausforderung zu erkennen,<br />
sie anzunehmen, sich den Behandlungsempfehlungen zu stellen und seinen eigenen<br />
Weg zu finden. In den vergangenen Jahrzehnten wurden große Fortschritte gemacht.<br />
Blutzuckerselbstkontrolle, kompetente Patientenschulung, Insulinpumpenbehandlung,<br />
kurzwirksame Insulinanaloga seien als Stichworte genannt. An bahnbrechenden<br />
Erleichterungen wird intensiv geforscht, z.B. an der unblutigen Blutzuckerbestimmung<br />
oder am sog. Closed-loop-System mit der automatischen Blutzuckersteuerung.<br />
Vorteilhaft ist der Erfahrungsaustausch mit anderen Insulinpumpenträgern. Dadurch<br />
bekommt man Tipps und Anregungen, welche vielfältigen Lösungsmöglichkeiten es<br />
für Alltagssituationen im Leben eines »Pumpis« gibt. Man erfährt Neuigkeiten auf<br />
dem Hilfsmittelmarkt, man wird immer wieder motiviert, sich der nicht ganz leichten<br />
Herausforderung der <strong>Diabetes</strong>erkrankung zu stellen. Außerdem tut es meist gut, sich<br />
ungezwungen mit anderen Betroffenen zu unterhalten und Verständnis zu er<strong>leben</strong>.<br />
Eine immer wieder gestellte Frage ist, wie man eine solche Gruppe zum Erfahrungsaustausch<br />
findet. Primärer Ansprechpartner kann die Diabetiker-Selbsthilfegruppe vor<br />
Ort sein, weitere Möglichkeiten sind beim »Bundesverband Insulinpumpenträger e.V.«<br />
oder bei den »Insulinern« nachzufragen, eine andere Informationsquelle ist das Internet<br />
(Adressen siehe Kapitel 15.3), häufig kommt man diesbezüglich auch über Insulinpumpenambulanzen<br />
oder diabetologische Schwerpunktpraxen weiter. Wer Augen<br />
230<br />
14. Krankheitsbewältigung<br />
und Ohren offen hält, etwas Phantasie entwickelt und das Bedürfnis zum Erfahrungsaustausch<br />
mit Betroffenen hat, wird Möglichkeiten dazu finden.<br />
Erforderlich ist auch ein gewisser Spürsinn, wenn es darum geht, die körpereigenen<br />
Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Beispielweise können Situationen, die mit Ärger,<br />
Wut oder Kränkung verbunden sind, zu einer Blutzuckererhöhung führen. Dies kann<br />
von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. Jedem Insulinpumpenträger wird<br />
empfohlen, genau zu beobachten, persönliche Zusammenhänge zu erkennen und<br />
daraus erfolgreiche Handlungsanweisungen abzuleiten.<br />
Ohne Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit geht es nicht, wenn die »natürlichen Ordnungen<br />
im Chaos« der Blutzuckerverläufe herausgefunden werden wollen. Das Überdenken<br />
der Ergebnisse ist dabei unabdingbar; eine aussagekräftige und übersichtliche<br />
Dokumentation kann eine wertvolle Hilfe sein.<br />
231
14. Krankheitsbewältigung<br />
Wer die vielfältigen Anforderungen, welche die <strong>Diabetes</strong>behandlung den Betroffenen<br />
abverlangt, einigermaßen erfüllen will, braucht eine gute Portion Ausdauer, Energie<br />
und die Fähigkeit, enttäuschende Rückschläge zu ertragen. Wir kennen nicht wenige<br />
Insulinpumpenträger, die mit viel Schwung und Begeisterung ihre Insulinpumpenbehandlung<br />
begonnen haben. Doch nach einiger Zeit schwindet der Reiz des Neuen,<br />
Misserfolge stellen sich ein, und man erkennt: Auch mit Insulinpumpe ist das Leben<br />
mit <strong>Diabetes</strong> kein »Zuckerschlecken«; auch mit Insulinpumpe läuft nicht alles so, wie<br />
man es gerne hätte. Bei manch einem macht sich sogar Resignation breit, und es kommen<br />
Gedanken wie: »Es hat ja doch keinen Zweck, das schaffe ich nie«. Wer so oder<br />
ähnlich denkt, dem raten wir, seine Erwartungen und seine Zielvorgaben zu hinterfragen<br />
– sind sie der Wirklichkeit angemessen? Sind sie überhaupt erreichbar? Weiter<br />
möge er sich darüber im Klaren sein, dass ein erfülltes, erfolgreiches Leben meist mit<br />
Anstrengungen verbunden ist, und dass immer wieder ein gewisses Maß an Verzicht<br />
gefordert ist – Dinge, über die man in unserer heutigen »Spaßgesellschaft« kaum<br />
spricht und über die man nur selten nachdenkt. Es bringt nichts, irgendwelchen Illusionen<br />
nachzujagen, sondern es gilt, sich jeden Tag aufs Neue mit den momentanen<br />
Gegebenheiten auseinander zu setzen. »Ohne Fleiß kein Preis« und »Es ist noch kein<br />
Meister vom Himmel gefallen«, so lauten zwei alte Sprichwörter. Ähnlich einem angehenden<br />
Handwerksmeister, der lernt, übt, ausprobiert, neue Ideen entwickelt und dabei<br />
Durchhaltevermögen braucht, ist es für einen Insulinpumpenträger vorteilhaft,<br />
wenn er sich mit einer gewissen Beharrlichkeit der Realität stellt. Eine erfolgreiche<br />
Blutzuckersteuerung lässt sich auch mit einer Insulinpumpe nicht so einfach nebenbei<br />
erreichen. Es ist wünschenswert, trotz Enttäuschungen nicht aufzugeben, sondern immer<br />
wieder genügend Kraft für das »Handicap« <strong>Diabetes</strong> aufzubringen. Im »Lebensrucksack«<br />
eines Menschen mit <strong>Diabetes</strong> ist mit der chronischen Krankheit eine zusätzliche<br />
Last, die getragen werden muss. Mancher fühlt sich dabei überfordert, er empfindet<br />
sein Los als zu schwer, er leidet unter dem Druck. Wer dabei an eigene Grenzen<br />
stößt, sollte sich dies zugestehen und nicht zögern, geeignete Hilfen in Anspruch zu<br />
nehmen. Solche können sein: <strong>Mit</strong>betreuung durch Insulinpumpenerfahrene Fachleute,<br />
Erfahrungsaustausch mit Betroffenen, Heranziehen von geeigneten Informationsquellen<br />
wie Büchern, Zeitschriften, Internet. Nicht selten bringt auch eine stationäre<br />
<strong>Reha</strong>-Maßnahme in einer geeigneten Klinik wegweisende Unterstützung. Falls die<br />
<strong>Diabetes</strong>erkrankung psychisch als sehr belastend erlebt wird – immer wieder kommt<br />
es auch zu depressiven Erscheinungsbildern – sollte man sich nicht scheuen, eine geeignete<br />
psychotherapeutische Unterstützung zu suchen.<br />
Wünschenswert ist weiterhin eine Offenheit für Neues. Manch einer ist im Trott der<br />
Gewohnheiten erstarrt. Hier heißt es, die eigene Vorgehensweisen selbstkritisch mit<br />
einem gewissen Abstand zu hinterfragen. Es geht darum, sich immer wieder über aktuelle<br />
Entwicklungen zu informieren, sich von hilfreichen Ideen inspirieren zu lassen<br />
und vorteilhafte Verhaltensweisen einzuüben.<br />
232<br />
14. Krankheitsbewältigung<br />
Ein Insulinpumpenträger sollte sich darin üben, gut zu sich selbst zu sein. Nachsicht<br />
und Geduld sind gefragt. Manch einer beschimpft sich stattdessen innerlich, wenn einmal<br />
etwas schief läuft und der Blutzucker nicht im wünschenswerten Bereich liegt.<br />
Nicht selten ist ein hartherziges »Über-Ich« beherrschend, das jegliches Fühlen, Denken<br />
und Handeln wie ein strenger Richter beurteilt und das schnell ein unangenehmes<br />
schlechtes Gewissen hervorruft. Eine übermäßige Strenge zu sich selbst wird gelegentlich<br />
durch <strong>Diabetes</strong>fachleute verstärkt, die zu sehr auf den Blutzuckerverlauf und<br />
auf den HbA 1c -Wert fixiert sind. Grenzen der Machbarkeit sind zu erkennen und zu<br />
akzeptieren, ohne dass sich unangenehme Gefühle des Versagens entwickeln. Jeder<br />
Insulinpumpenträger darf Schwächen haben und unvollkommen sein. In gleicher Weise<br />
muss ein Therapeut nicht alles wissen und können.<br />
In manchen Situationen ist eine gewisse Großzügigkeit beim Handeln angezeigt. Ein<br />
Beispiel möge verdeutlichen, was gemeint ist: Üblicherweise wird empfohlen, vor jeder<br />
Mahlzeit den Blutzucker zu messen. Insbesondere bei beruflichen Gegebenheiten,<br />
z.B. bei einem Geschäftsessen, bei dem die Teilnehmer in der Regel über die <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />
nicht informiert sind, kann von dieser Empfehlung durchaus abgewichen<br />
werden. Der Sinn der Blutzuckerkontrolle vor der Bolusgabe besteht vor allem<br />
darin, entscheiden zu können, ob Korrekturinsulin notwendig und welcher Drück-Ess-<br />
Abstand zweckmäßig ist. Zur Festlegung des Nahrungsbolus ist der aktuelle Blutzuckerwert<br />
von geringerer Bedeutung. Bei unserem Beispiel des Geschäftsessens ist<br />
also folgendes Vorgehen vertretbar: Piepstöne abschalten, Nahrungsbolus nach Schätzung<br />
der BE-Menge abgeben, großzügig Bolussplitting anwenden. Die Blutzuckerkontrolle<br />
wird erst gegen Ende der Wirkdauer des benutzten Pumpeninsulins durchgeführt,<br />
d.h. bei kurzwirksamem Insulinanalogon nach ca. 3 Stunden, bei Normalinsulin<br />
nach ca. 5 Stunden. Sollte der Blutzucker früher ermittelt werden, ist ein gewisser<br />
Wirkungsüberhang des Insulins zu beachten. Wer als Insulinpumpenpatient über den<br />
Sinn von Verhaltensempfehlungen Bescheid weiß, kann im Einzelfall von der üblichen<br />
Vorgehensweise durchaus abweichen und seinen eigenen Stil entwickeln. Dies ist freilich<br />
kein Freibrief zur Schlamperei.<br />
Wünschenswert sind schließlich Weisheit und Klugheit. Weisheit ist notwendig, um<br />
realistisch einschätzen zu können, was beeinflussbar ist und was nicht verändert werden<br />
kann. Weise ist es zum Beispiel, während eines fieberhaften Infekts einen größeren<br />
Schwankungsbereich des Blutzuckers auf leicht erhöhtem Niveau ohne schlechtes<br />
Gewissen zu tolerieren. Klugheit ist erforderlich, wenn es darum geht, im Alltag Entscheidungen<br />
zu treffen, welche die jeweiligen Gegebenheiten berücksichtigen. Auf<br />
das obige Beispiel der Infektsituation angewandt, würde dies bedeuten, den Blutzucker<br />
häufiger zu ermitteln und ggf. kleine Mengen an Korrekturbolus zu verabreichen.<br />
Klug ist, wem es gelingt, sein Wissen und seine Erfahrungen so in Handlungen<br />
umzusetzen, dass das eigene Tun der Wirklichkeit angemessen ist.<br />
233
14. Krankheitsbewältigung<br />
Die umfassenden Ausführungen in diesem Abschnitt erheben keinen Anspruch auf<br />
Vollständigkeit. Vielleicht haben Sie andere Erfahrungen gemacht. Es mag sein, dass<br />
für Sie wichtige Punkte nicht genannt wurden. Es würde uns freuen, wenn Sie uns Ihre<br />
persönliche Sichtweise, auch abweichende Bewertungen, mitteilen könnten. Die Bewältigung<br />
der <strong>Diabetes</strong>erkrankung lebt von der Vielfalt der Meinungen und Erfahrungen.<br />
Jeder Betroffene möge dabei seinen persönlichen Weg der Krankheitsbewältigung<br />
suchen und finden.<br />
234<br />
15. Weitere Informationen<br />
15.1 Adressen<br />
Insulinpumpenfirmen:<br />
Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus<br />
Vertrieb:<br />
Roche Diagnostics GmbH<br />
Sandhofer Straße 116<br />
D-68305 Mannheim<br />
Kundenservice Tel. 0180 2 000 412<br />
info@disetronic.de<br />
www.disetronic.de<br />
www.accu-chek.de<br />
Minimed 508, Minimed Paradigm:<br />
Medtronic Minimed<br />
Emanuel-Leutze-Str. 20, 40547 Düsseldorf<br />
Telefon: 02 11/52 93 370<br />
Service-Hotline: 0 800 /64 64 633<br />
www.minimed.de<br />
Selbsthilfegruppen<br />
Bundesverband Insulinpumpenträger e.V.<br />
Reinecke-Straße 31, 51145 Köln<br />
Telefon: 0 22 03 / 2 58 62<br />
www.insulinpumpenträger.de<br />
Deutscher Diabetiker Bund e.V.<br />
Danziger Weg 1, 58511 Lüdenscheid<br />
Telefon: 0 23 51/798 91 53<br />
www.diabetikerbund.de<br />
Insuliner Selbsthilfegruppen<br />
Kontaktadresse: Anneliese Kuhn-Prinz<br />
Narzissenweg 17, 57548 Kirchen-Frensburg<br />
Telefon: 0 27 41/93 00 40<br />
www.insuliner.de<br />
235
15. Weitere Informationen<br />
15.2 Literaturhinweise<br />
Insulinpumpenspezifische Literatur<br />
U. Thurm:<br />
Insulinpumpenfibel oder… bei Dir piept’s ja<br />
4. Auflage 2002, ISBN 3-936362-00-9<br />
(sehr anschauliche, gut verständliche Darstellung;<br />
zu beziehen über Roche Diagnostics, z. Zt. vergriffen, Neuauflage geplant)<br />
G. Lohmüller:<br />
Pumpentherapie<br />
Handbuch für Anwender und ihre Berater<br />
1. Auflage 2001, Kirchheim Verlag, Mainz<br />
ISBN 3-87409-347-6<br />
(praxisorientierte Darstellung mit vielen nützlichen Tipps)<br />
R. Zick, F. Schnitger:<br />
Insulin aus der Insulinpumpe<br />
Eine Anregung für die Praxis<br />
1. Auflage 2002 Kirchheim Verlag, Mainz<br />
ISBN 3-87409-350-6<br />
(komprimierte, wissenschaftlich fundierte Darstellung;<br />
eher für medizinisches Fachpersonal geeignet)<br />
Leben auf Pump:<br />
Erfahrungen und Informationen zur Insulinpumpen-Therapie<br />
1. Auflage 2002, Insuliner Verlag<br />
(viele praktische Tipps von Insulinpumpenträgern für Insulinpumpenträger)<br />
R. Renner et al.:<br />
Informationen zur Insulinpumpen-Therapie (CSII)<br />
2. Auflage, 2002, ISBN 3-936362-01-7<br />
(zu beziehen über Disetronic, primär für medizinisches Fachpersonal)<br />
E. Austenat:<br />
Das Insulinpumpenbuch<br />
1. Auflage 1998, Blackwell Verlag<br />
ISBN 3-89412-340-0<br />
(vor allem wissenschaftliche Informationen für medizinisches Fachpersonal)<br />
236<br />
Weitere Buchempfehlungen für Typ-1-Diabetiker<br />
G.-W. Schmeisl:<br />
Schulungsbuch für Diabetiker<br />
5. Auflage 2002, Gustav-Fischer-Verlag, ISBN 3-437-31170-0<br />
R. Jäckle, A. Hirsch, M. Dreyer:<br />
Gut <strong>leben</strong> mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />
Arbeitsbuch zur Basis-Bolus-Therapie<br />
4. Auflage 2000, Gustav-Fischer-Verlag, ISBN 3-437-21050-5<br />
A. Hirsch:<br />
<strong>Diabetes</strong> ist meine Sache<br />
2. Auflage 2001, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-37409-295-X<br />
U. Thurm:<br />
<strong>Diabetes</strong>- und Sportfibel<br />
4. Auflage 2003, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-338-7<br />
K. Howorka:<br />
Insulinabhängig? Funktioneller Insulingebrauch<br />
7. Auflage 2002, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-281-X<br />
C. Deparde:<br />
Ich bin Diabetikerin – und freue mich auf mein Kind<br />
Schwangerschaft und Familienplanung heute<br />
4. Auflage 2002, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-269-0<br />
G.Nuber, H. Hillenbrand:<br />
<strong>Diabetes</strong>-Journal – Das Buch<br />
Informationen, Adressen, Ansprechpartner<br />
Ausgabe 2003/2004, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-326-3<br />
H. Finck, L. Malcherczyk:<br />
<strong>Diabetes</strong> und Soziales<br />
Ratgeber zu sozialen Fragen bei <strong>Diabetes</strong> mellitus<br />
3. Auflage 2002, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-331-X<br />
Kalorien mundgerecht:<br />
Praxisorientiertes Handbuch für das tägliche Essen und Trinken<br />
11. Auflage 2000, Umschau/Braus-Verlag, Frankfurt am Main,<br />
ISBN 3-8295-7117-8<br />
15. Weitere Informationen<br />
237
15. Weitere Informationen<br />
S.-D. Müller:<br />
BE-Tabelle mit zuckerhaltigen Lebensmitteln, Fertigprodukten,<br />
Fast-Food und exotischem Obst<br />
5. Auflage 2001, Insuliner-Verlag, Kirchen, ISBN 3-925618-04-X<br />
Psychotherapieführer für Menschen mit <strong>Diabetes</strong><br />
Herausgeber: <strong>Diabetes</strong> und Psychologie e.V.<br />
AG Psychologie und Verhaltensmedizin der DDG<br />
Vorsitzender: Dipl. Psych. B.Kulzer, <strong>Diabetes</strong>-<strong>Zentrum</strong>, 97980 <strong>Bad</strong> Mergentheim<br />
Zeitschriften für Diabetiker<br />
DIABETES- JOURNAL:<br />
Offizielles Organ Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Gesellschaft,<br />
Deutscher Diabetiker-Bund, Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Union<br />
Kirchheim-Verlag, Kaiserstr. 40, 55116 Mainz<br />
(2 kostenlose Probeausgaben über Verlegerdienst München<br />
Abo-Service, Postfach 1280, 82197 Gilching)<br />
www.diabetes-journal.de<br />
DIABETES LIVE:<br />
Zeitschrift für Benutzer einer Insulinpumpe von Roche Diagnostics (Disetronic)<br />
(zu beziehen über: Roche Diagnostics GmbH, Kundenservice Infusionssysteme,<br />
Hotline 0180 2 000 412 (6 Cent/Gespräch))<br />
SUBKUTAN:<br />
Zeitschrift der DDE Landesverbände Brandenburg, Hamburg,<br />
Schleswig-Holstein, Hessen, Nordrhein-Westfahlen, Thüringen,<br />
Bremen und des Bundesverbandes Insulinpumpenträger<br />
Kirchheim-Verlag, Kaiserstr. 40, 55116 Mainz<br />
(Zeitschrift für <strong>Mit</strong>glieder dieser Verbände kostenlos)<br />
INSULINER:<br />
Zeitschrift von Diabetikern für Diabetiker<br />
Kontaktadresse:<br />
Anneliese Kuhn-Prinz<br />
Narzissenweg 17, 57548 Kirchen-Frensburg<br />
www.insuliner.de<br />
238<br />
15.3 Hilfreiche Internetadressen<br />
Allgemeine Informationen<br />
www.insulinpumpen.de<br />
www.insulinpumpenträger.de<br />
www.diabetes.de<br />
www.diabetesweb.de<br />
www.diabetes-deutschland.de<br />
www.diabetes-news.de<br />
www.diabetes-forum.de<br />
www.disetronic.de<br />
Suchseiten für Diabetologen und Schwerpunktpraxen<br />
www.diabetesarzt.de<br />
www.schwerpunktpraxis.de<br />
www.diabsite.de/fachleute<br />
www.diabetesweb.de/adressen<br />
Gesellschaften, Verbände, Kliniken<br />
www.diabetes-union.de<br />
www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de<br />
www.BVKD.de<br />
www.diabetes-zentrum.de<br />
www.uni-duesseldorf.de/ddfi<br />
www.saaleklinik.de<br />
15. Weitere Informationen<br />
239
15. Weitere Informationen<br />
15.4 Insulinpumpennotfallausweise in verschiedenen Sprachen<br />
Für die Erstellung der Pumpennotfallausweise in den verschiedenen Sprachen möchten<br />
wir uns bei den aufgeführten Personen bedanken:<br />
● Arabisch: M. Morouj<br />
● Bulgarisch: Antonina Loppnow<br />
● Dänisch: Heike Speitz<br />
● Englisch: Barbara Bauer<br />
● Finnisch: Dr. Krauth<br />
● Französisch: Eva-Maria Petrik<br />
● Griechisch: Prof. Raptis<br />
● Hebräisch: Eva Rosenblatt<br />
● Holländisch: E. A. Sartorius<br />
● Indonesisch: Harry Suharkat<br />
● Italienisch: Frederiko Tosetto<br />
● Japanisch: Dr. Shigeo Kashiwagi<br />
● Griechisch: Prof. Raptis<br />
● Koreanisch: Yum-Ak Bauer<br />
● Polnisch: Eva Majewski<br />
● Portugiesisch: Anemaria Benevides-Werner<br />
● Rumänisch: Hans Welmann<br />
● Russisch: Natascha Schröder<br />
● Schwedisch: Dr. Armbrecht<br />
● Spanisch: Juan Osario<br />
● Türkisch: Dr. Tunali<br />
● Ungarisch: Dr. Roth<br />
240<br />
Arabisch<br />
Bulgarisch<br />
Dänisch:<br />
I nødstilfælde:<br />
15. Weitere Informationen<br />
Jeg er diabetiker og bliver behandlet met en insulinpumpe som punger insulin under<br />
huden gennem en slange. Skulle jeg være i forvirret tilstand eller bevidstløs har jeg<br />
formodentlig for lavt blodsukker. Træk venligst straks slangen og nålen ud eller klip<br />
slangen over direkte ved nålen. Send bud efter lægen og lad ham vide, at det drejer<br />
sig om en »bevidstløs diabetiker«.<br />
241
15. Weitere Informationen<br />
Deutsch<br />
Im Notfall:<br />
Ich bin Diabetiker und werde mit einer Insulinpumpe behandelt, die über einen<br />
Schlauch Insulin unter die Haut pumpt. Bei einem Verwirrtheitszustand oder einer<br />
Bewusstlosigkeit liegt bei mir wahrscheinlich eine Unterzuckerung vor. Bitte sofort<br />
Schlauch und Nadel herausziehen oder den Schlauch direkt an der Nadel durchschneiden.<br />
Arzt benachrichtigen mit dem Hinweis: »bewusstloser Diabetiker«.<br />
Englisch<br />
In Case of Emergency:<br />
I am a diabetic patient and I am treated with an insulin pump; this pump continuously<br />
delivers insulin by a thin catheter into my skin. In case of abnormal behaviour or<br />
a blackout I most probably suffer from hypoglycaemia. Please pull the catheter with<br />
the needle out of my skin or cut the catheter off directly at the needle. Please call a<br />
doctor immediately and let him know: »there is a diabetic patient with a blackout«.<br />
Finnisch:<br />
Hätätilanteessa:<br />
Minulla on sokeritauti ja minua käsitellään insuliinipumpulla, joka letkun kautta<br />
annostelee insuliinia ihon alle. Jos käyttäydyn sekavasti tai olen tajuton on ilmeisesti<br />
veren sokerin pitoisuus liian alhainen. Irroittakaa välittömästi letku ja neula tai leikatkaa<br />
letkun poikki neulan kohdalla. Kääntäytykää lääkärin puolen ja ilmoittakaa<br />
että kysymyksessä on tajuton diabeetikko.<br />
Französisch:<br />
Au Besoin:<br />
Je suis diabétique et je suis traité avec une pompe insuline conduisant – par un<br />
cathéter – de l’insulin sous ma peau. En cas de désorientation ou d’évanouissement,<br />
il s’agit probablement d’une hypoglycémie (quantité diminuée de glucose dans le<br />
sang). Veuillez immédiatement retirer le cathéter et l´aiguille ou couper le cathéter<br />
directement à l’aiguille. Veuiller informer sans délai un médecin en lui signalant:<br />
»diabétique évanoui«.<br />
242<br />
Griechisch:<br />
Hebräisch:<br />
15. Weitere Informationen<br />
243
15. Weitere Informationen<br />
Holländisch:<br />
S.O.S. in Noodgevallen:<br />
Ik heb diabetes en draag een insulinepomp. Door de aangesloten slang met naald<br />
geeft de insulinepomp kontinu insuline onder de huid af. Indien ik buiten bewustzijn<br />
raak, heb ik waarschijnlijk een hypoglykaemie (te laag bloedsuikergehalte) door een<br />
teveel aan insuline. Verwijder onmiddelijk de naald uit mijn huid. Wees niet bang<br />
het bloed niet. Waarschuw onmiddelijk een arts of een ambulance met de melding:<br />
»Hier is een bewusteloze diabetespatient«. Voor meer informatie: Zie mijn diabetesdagboek.<br />
Italienisch:<br />
In Caso di Emergenca:<br />
Sono un diabetico ed ho una pompa per l’insulina in dotazione, con la quale viene<br />
pompata insulina sotto la mia pelle, con l’aiuto di un piccolo catetere. In caso di uno<br />
stato confusionario mio oppure per una perdita dei sensi, molto probabilmente<br />
soffro di ipoglicamia (valori dello zucchero molto bassi). Per favore, in questo caso,<br />
togliere il catetere con l’ago dalla mia pelle, oppure tagliare il catetere direttamente<br />
in prossimità dell´ago. Chiamare immediatamente un medico con l´avviso:<br />
»diabetico svenuto«.<br />
Japanisch:<br />
244<br />
Koreanisch<br />
Norwegisch:<br />
I en nødsituasjon:<br />
15. Weitere Informationen<br />
Jeg er diabetiker og blir behandlet med en insulinpumpe som pumper insulin under<br />
huden gjennom en slange. I forvirret eller bevisstløs tilstand har jeg sannsynligvis<br />
for lavt blodsukker. Vennligst trekk slangen og nålen ut eller klipp slangen over<br />
direkte ved nålen. Kontakt lege og la ham vite at det dreier seg om en »bevisstløs<br />
diabetiker«.<br />
Polnisch:<br />
Pierwsza pomoc:<br />
Jestem chory na cukrzyce, posiadam insulin pompe, ktora przez żyłkę pod<br />
powtoka brzuszna dostarcza insuline. W przypadku otumanienia, albo<br />
nieprzytomnosci, jestem w stanie opadu cukru w organizmie. W tym przypadku<br />
należy natychmiast żyłkę i igłę z powłoki brzusznej wyciągność albo żyłkę przy<br />
igłę przeciąc. Natychmiast zawołać lekarza ze słowami »nieprzytomny cukrzyk«<br />
Portugiesisch:<br />
Em caso de emergência<br />
Sou diabético e tratado com uma bomba de insulina, que me transporta insulina<br />
através de um canudo ligado com uma agulha na minha pele (abdomen). Em caso<br />
de mal estar ou desmaio provavelmente estarei com hipoglicemia. Por favor retire<br />
rapidamente esse canudo com a agulha do meu corpo ou corte o canudo na altura<br />
da agulha. Por favor, chame um médico e informe: »Paciente diabético desmaiado«.<br />
245
15. Weitere Informationen<br />
Rumänisch<br />
In caz de necesitate<br />
Eu suf ~ ar de diabet și m ~ a tratez cu o pompit ~ a in insulin ~ a care prin intermediul unui<br />
furtunel pompeaz ~ a sub piele. In cazul unei st ~ ari de agitaţie sau leșin al organismului<br />
meu, cauza probalil ~ ava fi o insuficient ~ a de zah ~ ar. Va rog extrageţi – mi imediat<br />
furtunelul la nivelul siringa sau t ~ aiaţi furtunelul la nivelul siringii. Anunţaţi imediat<br />
medicul cu informaţia »Bolnav de diabet in stare de leșin«.<br />
Russisch:<br />
Schwedisch<br />
Vid nödfall:<br />
Jag är diabetiker och behandlas med en insulinpump, som pumpar insulin under<br />
huden genom en slang. Skulle jag komma i ett förvirrat tillstånd eller bli medvetslös<br />
har jag förmodligen ett för lågt blodsockervärde.<br />
Var vänlig och dra omedelbart ut slangen och nålen, eller klipp av slangen direkt vid<br />
nålen. Meddela omedelbart läkare att det finns en »medvetslös Diabetiker«.<br />
246<br />
Spanisch:<br />
En caso de Emergencia:<br />
15. Weitere Informationen<br />
Yo soy diabètico y estoy en tratamiento con una bomba de Insulina, ésta bomba<br />
continuamente la insulina en mi cuerpo a través de una manguerita i una aguja<br />
inyectada en mi cuerpo. En caso de confusión, pánico ó desmayo, es porque<br />
mi nivel de azúcar es muy bayo. Por favor desinyencte (saque) inmediatamente la<br />
manguerita i la aguja de mi cuerpo, ó corte la manguerita directamente sobre la<br />
aguja. Informe a un Médico inmediatamente con la noticia: »Diabético desmayado«<br />
»aqui hay un diabético en estado inconciente«.<br />
Türkisch:<br />
Acil durumda<br />
˛Seker hastasıyım ˙Ince bir Borulya deri altına Insülin veren bir Pompa ile tedavi<br />
görmekteyim.<br />
Anormal hareketlerde bulunmam veya kendimi kaybetme halim büyük bir olasılıkla<br />
Kann ˛sekerimin a˛sırı dü˛smü˛s olmasını ve Hypoglisemiye girmi˛s oldu˘gumu kanıtlar.<br />
Lütfen derhal ince boruyu ve ˙I˘gneyi deri altından çıkariniz veyahutta Boruyu ˙I˘gneyle<br />
ba˘glantısının oldu˘gu yerden kesiniz. Doktoru haberdar ediniz ve »kendini kaybetmi˛s<br />
˛Seker Hastası« demeyi unutmayınız.<br />
Ungarisch:<br />
Szükég esetén:<br />
Cukorbeteg vagyok és insulinadagoló készülékkel kezelnek, amelyik úgy müködik,<br />
hogy egy gumicsövön keresztül insulint pumpál a bör alá. Ha zavart vagy eszméletlen<br />
állapotban talál rám, akkor valószínüleg cukorhiányban vagyok. Kérem, hogy húzza<br />
ki a gummicsövet és a tüt, vagy vágja le a gumicsövet közvetlen a tü végén. Azután<br />
értesitsen lehetöleg azonnal egy orvost arrol, hogy egy eszméletlen cukorbeteget<br />
talált.<br />
247
15. Weitere Informationen<br />
15.5 Umrechnungstabelle für Blutzuckerwerte<br />
Umrechnungszahl 18, d.h.: ● mg/dl : 18 entspricht mmol/l<br />
● mmol/l x 18 entspricht mg/dl<br />
248<br />
mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l<br />
40 2,2 98 5,4 156 8,7<br />
42 2,3 100 5,5 158 8,8<br />
44 2,4 102 5,7 160 8,9<br />
45 2,5 104 5,8 162 9,0<br />
46 2,6 105 5,8 164 9,1<br />
48 2,7 106 5,9 165 9,2<br />
50 2,8 108 6,0 166 9,2<br />
52 2,9 110 6,1 168 9,3<br />
54 3,0 112 6,2 170 9,4<br />
55 3,1 114 6,3 172 9,5<br />
56 3,1 115 6,4 174 9,7<br />
58 3,2 116 6,4 175 9,7<br />
60 3,3 118 6,5 176 9,8<br />
62 3,4 120 6,7 178 9,9<br />
64 3,6 122 6,8 180 10,0<br />
65 3,6 124 6,9 182 10,1<br />
66 3,7 125 6,9 184 10,2<br />
68 3,8 126 7,0 185 10,3<br />
70 3,9 128 7,1 186 10,3<br />
72 4,0 130 7,2 188 10,4<br />
74 4,1 132 7,3 190 10,5<br />
75 4,2 134 7,4 192 10,7<br />
76 4,2 135 7,5 194 10,8<br />
78 4,3 136 7,5 195 10,8<br />
80 4,4 138 7,7 196 10,9<br />
82 4,6 140 7,8 198 11,0<br />
84 4,7 142 7,9 200 11,1<br />
85 4,7 144 8,0 225 12,5<br />
86 4,8 145 8,0 250 13,9<br />
88 4,9 146 8,1 275 15,3<br />
90 5,0 148 8,2 300 16,6<br />
92 5,1 150 8,3 325 18,0<br />
94 5,2 152 8,4 350 19,4<br />
95 5,3 154 8,5 375 20,8<br />
96 5,3 155 8,6 400 22,2