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Mit Diabetes unbeschwerter leben - Reha-Zentrum Bad Kissingen

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R. Herrmann, J. Bauer, V. Jung<br />

<strong>Mit</strong> <strong>Diabetes</strong> <strong>unbeschwerter</strong> <strong>leben</strong><br />

Wissenswertes über die Insulinpumpen-Therapie<br />

4. Auflage


Herausgeber:<br />

Roche Diagnostics GmbH<br />

Sandhofer Straße 116<br />

D-68305 Mannheim<br />

Kundenservice Tel. 0180 2 000 412<br />

info@disetronic.de<br />

www.disetronic.de<br />

www.accu-chek.de<br />

4. Auflage 2004<br />

ISBN 3-936362-02-5<br />

Vertrieb nur über Roche Diagnostics GmbH<br />

Autorenteam:<br />

Dr. med. Rudolf Herrmann<br />

Dr. med. Volker Jung<br />

Saale-Klinik <strong>Bad</strong> <strong>Kissingen</strong><br />

<strong>Reha</strong>-<strong>Zentrum</strong> der BfA<br />

Pfaffstraße 10<br />

97688 <strong>Bad</strong> <strong>Kissingen</strong><br />

Tel.: 09 71/85 01<br />

Telefax: 09 71/85 12 87<br />

Dr. med. Johannes Bauer<br />

Hochrheinklinik <strong>Bad</strong> Säckingen<br />

Bergseestraße 57<br />

79713 <strong>Bad</strong> Säckingen<br />

Tel.: 0 77 61/558-0<br />

Telefax: 0 77 61/55 83 52<br />

Inhalt<br />

Einleitung 7<br />

1. Geschichte der Insulipumpen-Therapie 11<br />

2. Wer eignet sich für eine Insulipumpen-Therapie 17<br />

2.1 Vorteile der Insulinpumpen-Therapie 18<br />

2.2 Nachteile der Insulinpumpen-Therapie 18<br />

2.3 Gründe für eine Insulinpumpen-Therapie 19<br />

2.4 Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie 22<br />

2.5 Gegenanzeigen für eine Insulinpumpen-Therapie 23<br />

2.6 Gesetzliche Grundlagen 24<br />

2.7 Eigene Erfahrungen 25<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate 28<br />

3.1 Bolusabgabe 28<br />

3.1.1 Nahrungsbolus 29<br />

3.1.2 Korrekturbolus 32<br />

3.1.3 Besonderheiten 42<br />

3.2 Basalrate 47<br />

3.2.1 Tageszeitabhängiger Rhythmus 47<br />

3.2.2 Höhe der Basalrate 49<br />

3.2.3 Ermittlung der Basalrate 49<br />

3.2.4 Überprüfung der Basalrate 60<br />

3.3 Das »PPL-System«: Plane – prüfe – lerne 67<br />

3.3.1 Planen 68<br />

3.3.2 Prüfen 72<br />

3.3.3 Lernen 76<br />

3.3.4 Ergänzungen und Kritische Anmerkungen zum PPL-System 77<br />

3.3.5 Beispiele zum PPL-System 79<br />

4. Insuline für die Insulinpumpenbehandlung 82<br />

4.1 Humaninsuline 83<br />

4.2 Kurzwirksame Insulinanaloga 84<br />

4.3 Vorteile der Therapie mit kurzwirkenden Insulinanaloga 87<br />

4.4 Nachteile der Therapie mit kurzwirkenden Insulinanaloga 88<br />

4.5 Weitere Hinweise für die Behandlung<br />

mit kurzwirksamem Insulinanalogon 90


Inhalt<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie 92<br />

5.1 Katheteraufbau 92<br />

5.2 Katheterangebot 95<br />

5.2.1 Katheter mit Metallkanüle 96<br />

5.2.2 Teflonkatheter 99<br />

5.2.3 Gegenüberstellung der wichtigsten Katheterarten 102<br />

5.3 Katheterwechsel 105<br />

5.4 Folien und Pflaster 112<br />

5.5 Katheterprobleme und wie man sie vermeidet 114<br />

6. Insulinpumpe und Technik 116<br />

6.1 Bedienung 117<br />

6.2 Basalratenprogrammierung 118<br />

6.3 Bolusabgabe 118<br />

6.4 Insulinampullen 119<br />

6.5 Abruf wichtiger Informationen 119<br />

6.6 Sicherheitssystem 119<br />

6.7 Insulinpumpe und Handy 120<br />

6.8 Zwei-Insulinpumpen-Konzept 121<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe 123<br />

7.1 Tragen der Insulinpumpe 123<br />

7.2 Insulinpumpe und Psyche 127<br />

7.3 Pause von der Insulinpumpe 131<br />

7.4 Autofahren und Insulinpumpe 138<br />

7.5 Urlaub und Insulinpumpen-Therapie 139<br />

7.5.1 Das gehört in ein »Notfall-Täschchen« 140<br />

7.5.2 Krankheit im Urlaub 141<br />

7.5.3 Insulin im Ausland 143<br />

7.6 Ambulante Weiterbehandlung 145<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität 150<br />

8.1 Einflussgrößen bei Muskelarbeit 150<br />

8.2 Spontane körperliche Arbeit 152<br />

8.3 Geplante körperliche Aktivität 159<br />

8.4 Insulinpumpe als »Störfaktor« beim Sport 161<br />

8.5 Probleme und Warnhinweise 163<br />

9. Blutzuckermessgeräte 166<br />

9.1 Messgenauigkeit 168<br />

9.2 Fehlermöglichkeiten 169<br />

9.3 Gerätetypen 170<br />

9.4 Tipps und Hinweise 173<br />

Inhalt<br />

10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose 177<br />

10.1 Entwicklung einer Ketoazidose 177<br />

10.2 Häufigkeit der Ketoazidose bei der Insulinpumpenbehandlung 177<br />

10.3 Ketoazidose-Ursachen bei der Insulinpumpen-Therapie 180<br />

10.4 Rechtzeitiges Erkennen der Ketoazidose 183<br />

10.5 Behandlung der Ketoazidose durch den Insulinpumpenträger 185<br />

10.6 Entgleisungssimulation 187<br />

11. Unterzuckerung 189<br />

11.1 Insulinpumpenbehandlung bei Hypoglykämieproblemen 189<br />

11.2 Risikosituationen 192<br />

11.3 Vermeidungsstrategien 193<br />

11.4 Behandlung einer Unterzuckerung 196<br />

11.5 Fehlermöglichkeiten 196<br />

11.6 Tipps für Helfer bei schwerer Unterzuckerung 196<br />

12. Ernährung 202<br />

12.1 Allgemeine Bemerkungen 203<br />

12.2 Genuss ohne Reue 203<br />

12.3 Insulintypische Besonderheiten 204<br />

12.4 Gesunde Ernährung 205<br />

12.5 Gefahren einer Ernährungsliberalisierung 205<br />

12.6 Glykämischer Index 207<br />

12.7 Hoher Eiweißanteil 210<br />

12.8 Alkohol 211<br />

12.9 Übergewicht 212<br />

12.10 Essstörung 213<br />

13. Weitere Hinweise 215<br />

13.1 Irrtümer und Mythen 215<br />

13.2 Was ein Insulinpumpenträger unbedingt beachten sollte 220<br />

13.3 Erhebliche Blutzuckerschwankungen 220


Inhalt<br />

14. Krankheitsbewältigung 225<br />

14.1 Allgemeine Behandlungsziele 225<br />

14.2 Persönliche Bewertung 226<br />

14.3 Realistische Sichtweise 226<br />

14.4 Verhältnis Patient – Therapeut 227<br />

14.5 Hilfreiche Einstellungen 228<br />

15. Weitere Informationen 235<br />

15.1 Adressen 235<br />

15.2 Literaturhinweise 236<br />

15.3 Hilfreiche Internetadressen 239<br />

15.4 Insulinpumpennotfallausweise in verschiedenen Sprachen 240<br />

15.5 Umrechnungstabelle für Blutzuckerwerte 248<br />

Einleitung<br />

Für die Behandlung des Typ-1-Diabetikers ist heute die »Intensivierte Insulintherapie«<br />

allgemein anerkannter Standard. Wesentliche Voraussetzungen hierfür sind regelmäßige<br />

Blutzucker-Selbstkontrollen und die eigenverantwortliche Dosisselbstanpassung<br />

durch den gut geschulten Diabetiker.<br />

Eine Sonderform der intensivierten Therapieform ist die Insulinpumpenbehandlung -<br />

auch CSII genannt, d.h. kontinuierliche (engl. continuous) subkutane Insulin-Infusion.<br />

In diesem Fall erfolgt die Insulinabgabe mit einer Insulinpumpe, die ständig über ein<br />

Katheter-Schlauchsystem Insulin in das Unterhautfettgewebe abgibt.<br />

Die Insulinpumpen-Therapie ist heute eine etablierte und immer häufiger angewandte<br />

Behandlungsform für den Typ-1-<strong>Diabetes</strong>. In der Bundesrepublik Deutschland werden<br />

derzeit über 8-9% der Typ-1-Diabetiker, d.h. rund 35.000 Menschen mit dieser<br />

Methode behandelt. Dabei werden an den Insulinpumpenträger* selbst, aber auch an<br />

das betreuende Team (<strong>Diabetes</strong>berater, Diabetologen, niedergelassene Internisten<br />

und Allgemeinärzte) zusätzliche Anforderungen gestellt, um die komplexen pumpentypischen<br />

Besonderheiten im Alltag sinnvoll umsetzen zu können.<br />

Wenn die allgemeinen Behandlungsziele, d.h. Wohlbefinden des Diabetikers und Stabilisierung<br />

des Blutzuckerverlaufs im normnahen Bereich, mit einer Insulinpumpe verbessert<br />

werden sollen, muss für jeden Insulinpumpenträger eine »maßgeschneiderte«<br />

Insulintherapie gefunden werden. Hierzu ist umfangreiches Wissen notwendig, nach<br />

welchen Gesetzmäßigkeiten die körpereigenen Regulationsmechanismen zur Blutzuckersteuerung<br />

erfolgen, aber auch die Kenntnis von Störfaktoren, Möglichkeiten<br />

der Beeinflussung und deren Alltagsrelevanz. Weiter geht es darum, neben dem Wissen<br />

um die Insulinpumpentechnik ein großes Repertoire an Erfahrung zu erwerben.<br />

Unser Autoren-Team ist seit vielen Jahren mit der Ersteinstellung, Schulung und Weiterbetreuung<br />

von Insulinpumpenträgern beschäftigt und konnte dabei einen reichhaltigen<br />

Erfahrungsschatz sammeln. Dies wird durch persönliche Betroffenheit ergänzt:<br />

Ein <strong>Mit</strong>glied unseres Teams ist selbst seit vielen Jahren Insulinpumpenträger.<br />

Bereits drei Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen unseres Insulinpumpenbuchs war<br />

die 4. Auflage erforderlich. Dies zeigt, wie groß das Interesse an Informationen über<br />

den praktischen Umgang mit einer Insulinpumpe ist. Gleichzeitig werden wir be-<br />

* Um die Lesbarkeit des Textes zu vereinfachen, sprechen wir verkürzt vom »Insulinpumpenträger«<br />

und meinen damit explizit »Insulinpumpenträgerin und -träger«.<br />

7


Einleitung<br />

Rudolf Herrmann Johannes Bauer Volker Jung<br />

stätigt, die Bedürfnisse einer großen Leserschaft – sei es von Insulinpumpenträgern,<br />

noch Unentschlossenen oder Schulungspersonal – zu kennen.<br />

Die Neuauflage ist bereits im äußeren Erscheinungsbild anders, inhaltlich erfolgte ein<br />

komplette Überarbeitung, außerdem änderte sich auch die Autorenreihenfolge. Bereits<br />

vorhandene Themen wurden ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht: Das<br />

Angebot an Insulinsorten und Insulinpumpenmodellen hat sich verändert, das Spektrum<br />

der Katheter ist vielfältiger geworden. Die Ausführungen über Insulinpumpenpausen,<br />

körperliche Aktivität und Unterzuckerung haben wir erweitert. Das Kapitel<br />

über Indikationen zur Insulinpumpen-Therapie ist bewusst sehr umfangreich gestaltet.<br />

Dem gegenübergestellt sind die Empfehlungen aufgrund von Leitlinien, wie sie von<br />

medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet wurden, außerdem die gesetzlichen Vorgaben<br />

nach dem Hilfsmittelverzeichnis sowie individuelle Erfahrungen und persönliche<br />

Bewertungen der Autoren. Vollkommen neu sind die Abschnitte über Ernährung,<br />

Blutzuckermessgeräte, Krankheitsbewältigung, das »PPL-System« und das Kapitel »Irrtümer<br />

und Mythen«.<br />

Wir wollen den Leser zum Hinterfragen der eigenen Vorgehensweise anregen, ausführliche<br />

Checklisten können Handlungsabläufe erleichtern, umfangreiche Aufzählungen<br />

verschiedener Möglichkeiten sollen die Vielfältigkeit mancher Probleme<br />

verdeutlichen, praktische Beispiele können die Verständlichkeit von komplizierten<br />

Ausführungen verbessern. Unsere Absicht ist auch, zu einem weitgefächerten, phantasievollem<br />

Nachdenken anzuregen und die eigene Meinungsbildung zu erleichtern.<br />

Gewisse inhaltliche Überschneidungen sind gewollt, sie sind Ausdruck für die Komplexität<br />

der Thematik. Wir sind davon überzeugt, dass Dogmatismus zur Behandlung von<br />

Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> wenig hilfreich ist. Es geht uns nicht primär darum, allgemeingültige,<br />

verbindliche Richtlinien zu formulieren. Stattdessen berichten wir immer<br />

wieder über eigene Erfahrungen. Wir möchten Denkanstöße geben gemäß dem<br />

Motto: »Für ein Problem gibt es meist viele verschiedene Lösungen«. Unser Buch will<br />

Einleitung<br />

eine praktische Hilfe für den nicht immer unbeschwerten Alltag von Insulinpumpenträgern<br />

sein.<br />

Über wesentliche Ergänzungen, widersprüchliche Erfahrungen, aber auch mutmachende<br />

Bestätigung aus dem Leserkreis würden wir uns sehr freuen. Zahlreiche Tipps<br />

und praktische Anregungen, die in dem Buch enthalten sind, haben wir von Betroffenen<br />

erhalten. Vieles durften wir von den zahlreichen Insulinpumpenträgern lernen,<br />

die wir in den vergangenen Jahren eine kurze Wegstrecke in ihrem Leben als Menschen<br />

mit <strong>Diabetes</strong> begleitet haben.<br />

Bei allen, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben, möchten wir uns sehr<br />

bedanken. Frau Dr. Langen, Fa. Roche Diagnostics, hat das Kapitel über Insulinpumpe<br />

und Technik ergänzt. Bei der formalen Gestaltung sind wir von Frau Buchmüller, Marketing<br />

Service, Mainz und von Frau Wesely, Fa. Roche Diagnostics, wesentlich unterstützt<br />

worden. Die umfangreichen Schreibarbeiten wurden von Frau Günther, Saale-<br />

Klinik, gewissenhaft und mit großer Geduld erledigt. Nicht zuletzt gilt ein herzlicher<br />

Dank unseren Frauen Helga Herrmann, Barbara Bauer und Angela Hildenbrand-Jung,<br />

die viel Verständnis für unser berufliches Engagement aufbringen.<br />

Aus Gründen der Übersichtlichkeit haben wir auf die konsequente Doppelangabe der<br />

Blutzucker-Werte in mg/dl und mmol/l verzichtet. Wir verweisen auf die Umrechnungstabelle<br />

auf Seite 248.<br />

<strong>Bad</strong> <strong>Kissingen</strong>, März 2004<br />

Rudolf Herrmann<br />

Johannes Bauer<br />

Volker Jung<br />

8 9


1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />

Vom Dinosaurier zur High-Tech-Insulinpumpe<br />

Auf dem Weg von den ersten Prototypen bis zu den heutigen Insulinpumpen hat sich<br />

in den letzten 25 Jahren Beachtliches getan. Bezüglich Insulinpumpengröße, Insulinpumpenleistung,<br />

Bedienungskomfort und technischer Sicherheit bleiben heute kaum<br />

noch Wünsche offen.<br />

Nach einer kurzen Phase der Insulinpumpen-Therapie in die Vene, begann Ende der<br />

70er Jahre die subkutane Abgabe mit recht großen und schweren Geräten wie dem<br />

Mill-Hill-Infuser und der Auto-Syringe-6C-Insulinpumpe.<br />

Ältere Insulinpumpen-Modelle<br />

10 11


1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />

Diese waren, streng genommen, keine Insulin- sondern Medikamentenpumpen z.B. für<br />

die Applikation von Schmerzmitteln, deren Förderrate nicht in Insulineinheiten geeicht<br />

war. Eine Umrechnung in Insulineinheiten war daher notwendig und zeitraubend.<br />

Bei der Mill-Hill-Insulinpumpe wurde der Bolus mechanisch durch Drehen einer<br />

Rändelschraube abgegeben. Die Basalrate musste durch Änderung des Mischungsverhältnisses<br />

von Insulin und Kochsalzlösung angepasst werden, da die Förderrate konstant<br />

war. Alarmsysteme gab es praktisch nicht.<br />

Im Laufe der Jahre kamen zahlreiche Insulinpumpenmodelle auf den Markt, die zunehmend<br />

kompakter und technisch ausgereifter waren. 1985 gab es mit dem Hoechst<br />

MRS1-Infusor erstmals eine Insulinpumpe, mit der die Basalrate stündlich programmiert<br />

werden konnte. Dieser Infusor wurde von der Schweizer Firma Disetronic entwickelt,<br />

hergestellt und von Hoechst vertrieben. Schrittweise wurden die Nachfolgemodelle,<br />

die Insulinpumpen H-TRON und D-TRON von Disetronic verbessert bzw. entwickelt<br />

bis hin zu den heutigen Modellen.<br />

Aktuelle Insulinpumpenmodelle von Roche Diagnostics (Disetronic)<br />

12<br />

1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />

Die niederländische Firma Dahedi stellte ihre »RW-Insulinpumpe« <strong>Mit</strong>te der 80iger<br />

Jahre vor. Es handelte sich zunächst um eine Einbasalratenpumpe, die in einer späteren<br />

Version mit einer alternativen Basalrate versehen wurde. Diese Insulinpumpe wurde<br />

bis 2003 von Disetronic vertrieben.<br />

Aktuelle Insulinpumpenmodelle der Firma Medtronic Minimed<br />

Die von der Firma Medtronic Minimed entwickelten Insulinpumpen hatten zunächst<br />

vier, sechs und zwölf Basalratenfelder. <strong>Mit</strong>tlerweile wird die Medtronic Minimed 508<br />

mit 48 Basalraten pro 24 Stunden angeboten. Seit Anfang 2003 ist das Pumpenmodell<br />

Paradigm der Firma Medtronic Minimed auf dem Markt.<br />

13


1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />

14<br />

Insulinpumpenname Herstellungs- Besonderheiten<br />

land<br />

Mill-Hill-Infusor GB ● eine Basalrate<br />

ab ca. 1978 ● Insulin-Kochsalzmischung<br />

● nur eine Vorschubgeschwindigkeit<br />

● Bolus mechanisch über Rändelschraube<br />

Auto-Syringe 6C USA ● eine Basalrate<br />

ab ca. 1980 ● Insulin-Kochsalzmischung<br />

● Vorschubgeschwindigkeit wählbar<br />

CPI 9100 USA ● erste Insulinpumpe mit alternativer Basalab<br />

ca. 1981 rate, die jeden Abend programmiert<br />

werden musste<br />

● Sicherheitsschaltung<br />

Siemens Promedos D ● Rolleninsulinpumpe mit einer Basalrate<br />

ab ca. 1981 ● Zusatzrate in Rechteckform möglich<br />

Auto-Syringe 8 MP USA ● erste Insulinpumpe mit 4 Basalraten<br />

ab ca. 1983 ● Alarmsystem verbessert<br />

● Insulinkonzentration programmierbar<br />

Betatron II USA ● alternative Basalrate<br />

ab ca. 1983 ● reichhaltigere Alarme<br />

Nordisk-Infuser GB ● eine Basalrate<br />

ab ca. 1983 ● vorgefüllte Insulinpatrone mit U100-Insulin<br />

● robustes Gehäuse aus Spritzguss<br />

Medtronic Minimed 504 USA ● 4 Basalraten<br />

ab ca. 1984<br />

Dahedi RW 90/91 Niederlande ● eine Basalrate<br />

ab ca. 1985 ● später auch als RW 90/91 P<br />

mit alternativer Basalrate<br />

Hoechst MRS1-Infusor Schweiz ● erstmals 24-Stunden-Basalratenprofil<br />

1985 mit externem Programmiergerät<br />

● Zusatzrate als 1-stündiger Rechteckbolus<br />

Syrotron 40 DDR ● eine Basalrate<br />

ab ca. 1985<br />

Abb. 1: Historische Insulinpumpenmodelle<br />

Insulinpumpenname Herstellungs- Besonderheiten<br />

land<br />

1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />

H-TRONplus Schweiz ● erweiterter Datenspeicher:<br />

Disetronic 1997 letzte 10 Boli mit Uhrzeit,<br />

letzte 5 Error-Meldungen mit Uhrzeit<br />

● vorübergehende Basalratenerhöhung in<br />

10%-Schritten über 12 Stunden (z.B. bei<br />

Grippe)<br />

● vorübergehende Basalratensenkung<br />

in 10%-Schritten über 4 Stunden<br />

(z.B. bei längerer Wanderung)<br />

● Fertigampullen (3 ml) mit stabilisiertem<br />

Insuman Infusat<br />

● Stündlich programmierbare Basalrate<br />

über 24 Stunden<br />

● Zwei-Pumpen-Konzept, d.h. ständig<br />

Ersatzinsulinpumpe verfügbar<br />

D-TRONplus Schweiz ● Vorgefüllte 3 ml Patronen mit Humalog<br />

Disetronic 2002 verwendbar<br />

● Spezielles Druckventil auch für verminderten<br />

Druck in der Ampulle<br />

● Zwei verschiedene Basalraten<br />

programmierbar<br />

● Zeitintervall für prozentuale Basalratenerhöhung<br />

und -absenkung am Gerät<br />

programmierbar<br />

● Bolusstreckung über vorwählbares<br />

Zeitintervall<br />

● Beleuchtetes Display<br />

● Vibrationsalarm<br />

● Anzeige des Restinhaltes der vorgefüllten<br />

Ampulle<br />

● Zwei-Pumpen-Konzept<br />

● Datenspeicher<br />

● Tastensperre<br />

Abb. 2: Aktuelle Insulinpumpenmodelle<br />

15


1. Geschichte der Insulinpumpen-Therapie<br />

16<br />

Insulinpumpenname Herstellungs- Besonderheiten<br />

land<br />

Dahedi 25 Früher Holland, ● Stündlich programmierbare Basalrate<br />

1997 - 2003 nun Deutschland über 24 Stunden<br />

● Pause nach Bolus (vorübergehender Stop<br />

der Basalrate in Abhängigkeit von der<br />

Bolusgröße)<br />

● Fertigampullen mit stabilisiertem<br />

U100-Insulin (Insuman Infusat)<br />

● Insulinpumpe wasserdicht<br />

● z.Zt. kleinste Insulinpumpe<br />

(67 x 43 x 20 mm)<br />

● ständig Ersatzinsulinpumpe verfügbar<br />

Medtronic Minimed 508 USA ● 48 Basalraten pro 24 Stunden<br />

2000 ● verbesserte Speicherfunktionen<br />

(letzte 24 Bolusdosen, letzte 12 Fehleroder<br />

Warnmeldungen)<br />

● Kombinierter Bolus (schnelle<br />

und verzögerte Bolusabgabe kombinierbar)<br />

● Fernsteuerung für Run/Stop- Zustand und<br />

Bolusabgabe<br />

● Drei verschiedene Basalratenprogramme<br />

● Beleuchtetes Display<br />

● Umstellbar von U40 auf U100<br />

Medtronic Paradigm USA ● Wichtige Funktionen ähnlich<br />

2003 dem Modell 508<br />

● Optimierte Menüführung<br />

● Kein Insulinabgabegeräusch<br />

● Nur Verwendung von Minimed-Kathetern<br />

möglich (kein Luer-Anschluss)<br />

● Leerampulle mit 1,76 ml<br />

Abb. 2: Aktuelle Insulinpumpenmodelle<br />

2. Wer eignet sich für eine<br />

Insulinpumpen-Therapie?<br />

»<strong>Mit</strong> einer Insulinpumpe habe ich immer normale Blutzuckerwerte.«<br />

»<strong>Mit</strong> der Insulinpumpe kann ich meinen <strong>Diabetes</strong> vergessen.«<br />

»Ich brauche viel weniger Selbstkontrollen als unter der herkömmlichen Therapie.«<br />

Dies sind Aussagen von Patienten, bei denen eine Insulinpumpen-Therapie höchstwahrscheinlich<br />

scheitern wird. Die Therapie mit der Insulinpumpe ist nur so gut wie<br />

ihre Anwender. Der <strong>Diabetes</strong> kann nicht an die Insulinpumpe abgegeben werde! Eine<br />

Insulinpumpenbehandlung erfordert vielmehr Interesse, Engagement und Motivation.<br />

17


2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

2.1 Vorteile der Insulinpumpen-Therapie<br />

Gegenüber der intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT) mit Insulinspritze/<br />

Pen ergeben sich bei der kontinuierlichen subkutanen Insulininfusion (CSII) mit der Insulinpumpe<br />

Vorteile durch die ständige Abgabe des Insulins. In kurzen Abständen fördert<br />

die Insulinpumpe kleinste Insulinmengen und schafft somit die Voraussetzung für<br />

eine bedarfsgerechtere Insulinversorgung im Unterhautfettgewebe. Die subkutane<br />

Aufnahme des Verzögerungsinsulins bei der ICT ist dagegen größeren Schwankungen<br />

unterworfen. Insulinpumpen mit stündlich programmierbarer Basalrate erlauben zudem<br />

eine variable basale Versorgung unter Berücksichtigung der sich tageszeitlich<br />

ändernden Insulinempfindlichkeit. Dies ist vor allem in der Nacht und in den frühen<br />

Morgenstunden von Bedeutung. Wesentliche Vorteile einer Insulinpumpenbehandlung<br />

sind in Abb. 3 aufgeführt.<br />

Aus der Sicht der Diabetiker steht als Vorteil der Insulinpumpen-Therapie neben der<br />

besseren Stoffwechseleinstellung vor allem der Gewinn an Flexibilität und Lebensqualität<br />

im Vordergrund. Dies haben mehrere Befragungen von Insulinpumpenträgern<br />

gezeigt (siehe Abbildung 4). Die unter ICT notwendigen vielfachen Injektionen (4 bis<br />

8 pro Tag) entfallen. Der Katheterwechsel ist lediglich alle 2 bis 3 Tage erforderlich.<br />

Diabetiker können unter der Insulinpumpen-Therapie Mahlzeiten problemlos verschieben,<br />

Zwischenmahlzeiten sind verzichtbar. Ausschlafen am Wochenende ist wieder<br />

möglich ohne hohe Nüchternblutzuckerwerte zu riskieren.<br />

2.2 Nachteile der Insulinpumpen-Therapie<br />

Nach der oben angeführten Umfrage aus dem Jahre 1998 bei 6.890 Insulinpumpenträgern<br />

empfinden 60 % der befragten Diabetiker ihre Insulinpumpe als Fremdkörper,<br />

der ständig am Körper getragen werden muss. Beim Sport, Urlaub, <strong>Bad</strong>en u.a. kann<br />

die Insulinpumpe hinderlich sein (24 %). 31% der Befragten geben an, dass sie u.a.<br />

Probleme mit der Katheterverträglichkeit oder der Betreuung (keine Insulinpumpenspezialisten<br />

in der näheren Umgebung) haben.<br />

Aus medizinischer Sicht ist das erhöhte Ketoazidoserisiko sowie das Infektionsrisiko an<br />

der Kathetereinstichstelle zu bedenken (s. Kapitel 5 und10). Generell sind Insulinpumpenträger<br />

auf Betreuung durch pumpenerfahrene Ärzte angewiesen.<br />

Hinsichtlich Anschaffungspreis, Schulungsaufwand und laufenden Kosten ist die Insulinpumpen-Therapie<br />

teurer als die ICT. Die aktuellen Insulinpumpenmodelle kosten<br />

derzeit ca. 3.400,- € (D-TRONplus) und 3.680,- € (Paradigm). Die Kosten für Insulinpumpenspezifisches<br />

Verbrauchsmaterial liegen zwischen 5,- und 12,- €. Im Vergleich zur ICT<br />

liegen somit die Mehrkosten der Insulinpumpen-Therapie bei ca. 6,- €/Tag.<br />

18<br />

2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

● konstantere und normnähere Blutzuckerwerte durch kontinuierliche Insulinabgabe<br />

● ausreichende Basalinsulinversorgung, vor allem während der Nacht<br />

und in den frühen Morgenstunden<br />

● größere Unabhängigkeit beim Essen bezüglich Zeitpunkt und Menge<br />

● bessere Steuerbarkeit des Stoffwechsels bei körperlicher Aktivität,<br />

bei Schichtarbeit oder auch bei erhöhtem Insulinbedarf (z.B. fieberhafter Infekt)<br />

● tendenziell weniger Unterzuckerungen insbesondere bei Diabetikern mit<br />

stark schwankenden Blutzuckerwerten und häufigen Hypoglykämien<br />

● meist deutlicher Gewinn an Lebensqualität<br />

Abb. 3: Vorteile der Insulinpumpen-Therapie<br />

bessere Stoffwechseleinstellung<br />

höhere Flexibilität<br />

höhere Lebensqualität<br />

keine Spritzen/Injektionen mehr<br />

optimale Insulinverabreichung<br />

Sonstiges<br />

0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000<br />

Anzahl der Antworten<br />

Abb. 4: Vorteile der Insulinpumpen-Therapie<br />

(Internationale Befragung von 6.890 Insulinpumpenträgern 1998;<br />

pro Patient maximal 3 Antworten möglich)<br />

19


2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

2.3 Gründe für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

In erster Linie ist die Insulinpumpen-Therapie eine Behandlungsform des Insulinmangeldiabetes<br />

(Typ 1). Sie ist immer dann zu erwägen, wenn mit einer ICT das individuelle<br />

Therapieziel nicht erreicht werden kann (Abb. 4). Diabetiker mit einem ausgeprägten<br />

»Morgendämmerungs-Phänomen« haben einen starken Blutzuckeranstieg etwa<br />

ab 4.00 Uhr in den Morgenstunden. Das ist bedingt durch einen Anstieg von Hormonen,<br />

die gegensätzlich zum Insulin wirken (siehe Abschnitt 3.2.1). Hohe Nüchternblutzuckerwerte<br />

sind die Folge. Hier ist der Einsatz einer Insulinpumpe mit variabel programmierbarer<br />

Basalrate besonders sinnvoll.<br />

Bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern haben wir mit der Insulinpumpenbehandlung<br />

eher schlechte Erfahrungen gemacht. Dies ist nicht verwunderlich. Bei dieser Patientengruppe<br />

steht im Regelfall nicht ein Insulinmangel im Vordergrund, sondern eine<br />

mangelnde Insulinwirksamkeit infolge einer genetischen Veranlagung und aufgrund<br />

des bestehenden Übergewichtes. Anders ausgedrückt: nicht ein »Insulinversagen« ist<br />

hier in erster Linie das Kernproblem, sondern der nicht diabetesgerechte Lebensstil<br />

(zuviel Kalorien, zuwenig Bewegung) sind von wesentlicher Bedeutung.<br />

Zwingende Gründe, sogenannte »absolute Indikationen« für eine Insulinpumpenbehandlung,<br />

gibt es nicht. Ein Mensch mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ist zwar auf Insulin angewiesen,<br />

nicht aber auf eine Insulinpumpe. Folglich stellen sich die Fragen:<br />

● Wer hat Anspruch auf eine Insulinpumpe?<br />

● Wem soll die Insulinpumpe verweigert werden?<br />

Diesbezüglich besteht ein Interessenkonflikt zwischen den Ansprüchen und den Bedürfnissen<br />

von Patienten, Ärzten, Industrie, Krankenkassen und Gesellschaft. Die<br />

Grenzen der Entscheidung sind dabei fließend, es gibt einen großen Graubereich.<br />

Zwar heißt es: »Der Patient muss im <strong>Mit</strong>telpunkt stehen«. Dies ist vordergründig meist<br />

richtig und drückt auch unser Bemühen aus. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass in dem<br />

komplexen deutschen Sozialsystem diese wünschenswerte Zielvorstellung teilweise<br />

kritisch zu hinterfragen ist. Ethik und »Monetik« prallen auch hier aufeinander.<br />

Eine Hilfe bei dem Bemühen um möglichst große Objektivität können dabei Leitlinien<br />

sein, wie sie beispielsweise von der Fachkommission <strong>Diabetes</strong> von Sachsen erarbeitet<br />

wurden. Diese Leitlinien sind sinngemäß in Abb. 5 zusammengestellt.<br />

20<br />

Gründe für eine Insulinpumpenbehandlung<br />

● »Dawn-Phänomen« (sog. »Morgendämmerungsphänomen«)<br />

2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

● im Tagesverlauf stark schwankende Blutzucker-Verläufe (»Brittle-<strong>Diabetes</strong>«)<br />

● berufliche Gegebenheiten<br />

● diabetische Folgeerkrankungen, insbesondere schmerzhafte diabetische Neuropathie<br />

● Zusatzerkrankungen, welche den Blutzuckerverlauf beeinflussen (hormonelle<br />

Erkrankungen, Erkrankungen mit medikamentöser Kortisonbehandlung u.ä.)<br />

● schlechte Hypoglykämiewahrnehmung<br />

● Diabetikerinnen mit Kinderwunsch und während der Schwangerschaft<br />

Abb. 5: Indikationen zur Insulinpumpen-Therapie aufgrund von Leitlinien<br />

(gemäß Fachkommission <strong>Diabetes</strong> Sachsen, Dezember 1998)<br />

21


2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

2.4 Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

Eine ausreichende Motivation und das Wissen, dass der <strong>Diabetes</strong> nicht »an die Insulinpumpe<br />

abgegeben werden kann«, sind für uns die wichtigste Voraussetzung für eine<br />

erfolgreiche Insulinpumpen-Therapie. <strong>Mit</strong> Intuition und detektivischem Spürsinn müssen<br />

bisweilen Ursachen für hohe Blutzuckerwerte herausgefunden werden, um entsprechende<br />

Abhilfe zu schaffen. Technische Pannen dürfen nicht gleich zur Verzweiflung<br />

führen. Eine gewisse psychische Stabilität ist bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

sicherlich erforderlich. Das regelmäßige Führen eines Blutzuckertagebuches sowie regelmäßige<br />

Blutzuckerkontrollen gehören zu den Grundvoraussetzungen. Daneben<br />

sind ausreichende theoretische und praktische Kenntnisse über die Durchführung der<br />

ICT zu fordern. Der Insulinpumpenträger braucht eine gute Schulung in der Erkennung<br />

und Behandlung von Hypo- bzw. Hyperglykämien. Wünschenswert ist ferner<br />

eine längerfristige Betreuung durch ein Insulinpumpenzentrum oder durch einen niedergelassenen<br />

insulinpumpenerfahrenen Diabetologen.<br />

Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

● gute Kenntnisse und Erfahrungen mit der ICT<br />

● Akzeptanz des <strong>Diabetes</strong><br />

● »diabetologisches Selbstbewusstsein«<br />

● psychische Stabilität<br />

● Kreativität und Intuition<br />

● »detektivischer Spürsinn«<br />

● Disziplin beim Führen des BZ-Tagebuches sowie bei den Blutzuckerkontrollen<br />

(mindestens 4 x täglich)<br />

● gute Insulinpumpenschulung<br />

Abb. 6: Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

22<br />

2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

2.5 Gegenanzeigen für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

Nicht geeignet für eine Insulinpumpen-Therapie sind sicherlich Diabetiker mit Alkohol-<br />

und Drogenabhängigkeit sowie Patienten mit schweren Essstörungen. Zurückhaltung<br />

erscheint ferner angezeigt bei Diabetikern mit erheblichen psychischen Problemen.<br />

Diabetiker mit fortgeschrittener diabetischer Augenerkrankung (proliferativer Retinopathie)<br />

sollten vor einer geplanten Insulinpumpen-Therapie ihren Augenarzt konsultieren.<br />

Eine rasche Stoffwechselnormalisierung ist in diesen Fällen zu vermeiden. Die<br />

Blutzuckerwerte müssen hier im Laufe von mehreren Monaten langsam gesenkt werden.<br />

Ähnlich wie bei den Gründen für die Insulinpumpen-Therapie gibt es einen Ermessensspielraum<br />

bei der Entscheidung, welcher Patient eher nicht in Frage kommt (relative<br />

Kontraindikation) bzw. bei welchen Patienten sie unbedingt abzulehnen ist (absolute<br />

Kontraindikation). Beispielhaft sollen hier wieder sinngemäß die Empfehlungen<br />

der Fachkommission <strong>Diabetes</strong> von Sachsen aufgeführt werden. (Abb. 7)<br />

Absolute Kontraindikation<br />

● Medikamenten-, Drogen- und Alkoholabhängigkeit<br />

● Selbstmordgefährdung (akute und chronische Suizidalität)<br />

Relative Kontraindikationen<br />

Allgemein besteht für Patienten, bei denen gegenüber dem erhöhten<br />

Aufwand kein therapeutischer Nutzen zu erwarten ist, keine Notwendigkeit<br />

zur Insulinpumpenbehandlung.<br />

Gründe hierfür können sein:<br />

● fehlende Bereitschaft des Patienten zur Insulinpumpenbehandlung<br />

● eingeschränkte <strong>Mit</strong>arbeit und Eigenverantwortung von Seiten des Patienten<br />

(Blutzucker-Selbstkontrolle, Lebensführung, Intellekt u.ä.)<br />

● Unbefriedigende Stoffwechselsituation aufgrund psychischer oder<br />

psychosozialer Probleme<br />

● fehlende kompetente ambulante Weiterbetreuung wohnortnah<br />

Abb. 7: Kontraindikationen zur Insulinpumpen-Therapie aufgrund von Leitlinien<br />

(gemäß Fachkommission <strong>Diabetes</strong>, Sachsen, Dezember 1998)<br />

23


2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

2.6 Gesetzliche Grundlagen<br />

Im Zeitalter der Budgetierungen und der leeren Kassen im Sozialversicherungssystem<br />

muss es Richtlinien geben, für welche Patienten unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten<br />

eine medizinisch wünschenswerte Insulinpumpenbehandlung vertretbar ist. Nicht<br />

alles ist machbar und finanzierbar. Die gesetzlichen Vorgaben ermöglichen keine »optimale«,<br />

sondern nur eine »notwendige« Therapie.<br />

Allgemeingültige Empfehlungen für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen<br />

(AOK, Ersatzkassen, Betriebskrankenkassen, usw.) sind im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt.<br />

Dieses wurde im Bundesanzeiger Nummer 126 a, Jahrgang 50, ausgegeben<br />

und am 11. Juli 1998 veröffentlicht.<br />

Im Kapitel »Produktgruppe 03 – Applikationshilfen« sind die Indikationen für die Verordnung<br />

von Insulinpumpen aufgelistet; die Kostenübernahme für eine Insulinpumpe<br />

kann erfolgen für<br />

● Diabetiker, die trotz intensivierter konventioneller Insulintherapie (ICT)<br />

bei mehreren Insulininjektionen täglich keine stabile normoglykämische<br />

Blutzuckereinstellung erreichen können (z.B. wegen einer hohen Stoffwechsellabilität).<br />

● Diabetiker mit Neigung zu schweren Hypoglykämien, insbesondere wenn<br />

diese nachts auftreten.<br />

● Diabetiker mit deutlich erhöhtem Insulinbedarf in den Morgenstunden<br />

(z.B. ausgeprägtes Dawn-Phänomen).<br />

● Diabetiker mit einem sehr unregelmäßigen Lebensrhythmus, insbesondere<br />

häufig wechselndem Tag-/Nachtrhythmus, z.B. bedingt durch Schichtarbeit,<br />

die mit konventioneller Insulinapplikation nicht eingestellt werden können.<br />

● Diabetikerinnen (mit aktuellem Kinderwunsch) vor und während einer<br />

Schwangerschaft, insbesondere bei schwierig einzustellendem Stoffwechsel<br />

(der Insulinpumpeneinsatz kann auf die Schwangerschaft begrenzt sein).<br />

● Diabetiker mit ausgeprägten Symptomen durch Spätkomplikationen, welche<br />

eine normoglykämische Blutzuckereinstellung erfordern.<br />

Als weitere Voraussetzungen für eine Insulinpumpen-Behandlung sind im Hilfsmittelverzeichnis<br />

ausgeführt:<br />

Eine Insulinpumpenbehandlung erfordert vom Versicherten ein hohes Maß an<br />

Kenntnis, Motivation und Zuverlässigkeit. Ferner muss die Bereitschaft zu einer langfristigen<br />

Blutzucker-Selbstkontrolle mit adäquater Protokollierung bestehen. Die Einhaltung<br />

folgender Voraussetzungen ist bei einer Insulinpumpen-Therapie notwendig:<br />

● Durch Teilnahme an einem allgemeinen <strong>Diabetes</strong>-Schulungsprogramm müssen<br />

umfangreiche Kenntnisse über die Krankheit und ihre Behandlung vorliegen;<br />

24<br />

2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

die Durchführung der konventionellen intensivierten Therapie muss beherrscht<br />

werden.<br />

● Durch Teilnahme an einem speziellen Schulungskurs zur Insulinpumpen-Behandlung<br />

ist eine spezifische Einweisung in diese Therapieform und in die Bedienung<br />

der Insulinpumpe erfolgt.<br />

● Es ist eine adäquate Nachbetreuung/Nachbehandlung durch ein Pumpenzentrum/eine<br />

Pumpenambulanz sichergestellt, mit welchem/welcher bei Problemen<br />

jederzeit Kontakt aufgenommen werden kann, um fachlichen Rat einzuholen.<br />

2.7 Eigene Erfahrungen<br />

Die Autoren haben jeweils eine mehr als zehnjährige Erfahrung in der Insulinpumpen-<br />

Therapie – überwiegend als Ärzte in einer <strong>Diabetes</strong>klinik. Während dieser Zeit betreuten<br />

sie zusammen über 1.000 Insulinpumpenträger und konnten ein breites Spektrum<br />

von Besonderheiten beobachten. Der größere Teil der Patienten kam bereits mit einer<br />

Insulinpumpe in die Klinik. Sie wurden ambulant von den verschiedensten Einrichtungen<br />

betreut (diabetologische Schwerpunktpraxen, Insulinpumpenambulanzen von<br />

Kliniken mit diabetologischem Schwerpunkt, niedergelassene Allgemeinärzte bzw. Internisten).<br />

Als Resümee der eigenen Erfahrungen lässt sich formulieren:<br />

● Erfolg und Zufriedenheit unter Insulinpumpenbehandlung sind in erster Linie<br />

vom Patienten selbst abhängig. Dabei spielen eine wesentliche Rolle: Persönlichkeitsstruktur,<br />

Krankheitsakzeptanz, Motivation, Eigenverantwortung, Wissen.<br />

● Die Kompetenz der pumpenbetreuenden Einrichtung ist von nachgeordneter,<br />

aber nicht unwichtiger Bedeutung.<br />

● Die subjektive Zufriedenheit der Insulinpumpenträger ist meist sehr groß. Die<br />

objektiven Gegebenheiten sind gelegentlich verbesserungsbedürftig: keine<br />

normnahe Blutzuckereinstellung, HbA 1c -Werte über 8%, trotz Insulinpumpe<br />

sehr hohe Unterzuckerungshäufigkeit, unangemessen hoher Verbrauch an<br />

Hilfsmitteln, fehlende Beachtung der insulinpumpentypischen Besonderheiten,<br />

übermäßige Gewichtszunahme seit Beginn der Insulinpumpenbehandlung.<br />

● Es gibt einige Patienten, die während Ersteinstellung und Weiterbehandlung<br />

zeitlich und fachlich eher dürftig betreut wurden und deshalb von den Vorteilen<br />

einer Insulinpumpen-Therapie nicht wesentlich profitieren. Nur als »Spritzenersatz«<br />

ist eine Insulinpumpenbehandlung zu kostspielig und unter dem Aspekt<br />

der notwendigen und wirtschaftlichen Verteilung von Sozialversicherungsgeldern<br />

nicht vertretbar.<br />

25


2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

Dabei ist zu beachten, dass unter den Insulinpumpenträgern, die zu einer stationären<br />

<strong>Reha</strong>-Massnahme in die Klinik kommen, gehäuft Problempatienten sind. Deshalb sind<br />

die eigenen Erfahrungen nicht unbedingt repräsentativ. In Tabelle 8 sind unsere Beobachtungen<br />

in tabellarischer Form für verschiedene Patientengruppen zusammengestellt.<br />

Wie bereits ausgeführt, gibt es keine zwingenden Gründe für die Insulinpumpen-Therapie.<br />

Es handelt sich um eine vordergründig sehr bequeme, allerdings auch kostenintensiv<br />

erscheinende Behandlung. Bei der Einzelfallentscheidung für oder gegen eine<br />

Insulinpumpe spielen nach unserer Meinung folgende Gesichtspunkte eine wichtige<br />

Rolle:<br />

● objektive körpereigene Gegebenheiten wie Restfunktion der Bauchspeicheldrüse,<br />

Insulinempfindlichkeit, »Dawn-Phänomen«<br />

● Unterzuckerungsproblematik: große Hypoglykämiehäufigkeit, erschwerte<br />

Wahrnehmung einer Unterzuckerung<br />

● begleitende Folgeerkrankungen, insbesondere schmerzhafte Polyneuropathie<br />

● Persönlichkeitsstruktur des Patienten, psychische Stabilität, soziales Umfeld<br />

● bisherige Erfahrung des Patienten mit der intensivierten Insulintherapie; genaue<br />

Analyse, warum eine Spritzenbehandlung nicht erfolgreich war<br />

● Wunsch nach Flexibilität im Alltag, z.B. Schichtdienst, ungeregelte Arbeitszeiten,<br />

spontaner Lebensstil, sehr unterschiedliche Essenszeiten, stark wechselnde<br />

körperliche Aktivität, Ausschlafen<br />

● erhöhte Anforderungen an eine gute Einstellungsqualität, z.B. möglichst<br />

Normalwerte vor und während einer Schwangerschaft<br />

● Bereitschaft des Patienten zur Eigenverantwortung, Krankheitsakzeptanz<br />

● diabetologische Weiterbetreuung: fachliche Kompetenz, Pumpenerfahrung,<br />

zeitliches und personelles Engagement.<br />

Die Einstellphase der Insulinpumpen-Therapie sollte duchaus als »Probephase« genutzt<br />

werden; hierzu bietet sich die Verordnung einer Leihpumpe an. Werden die allgemeinen<br />

Behandlungsziele längerfristig nicht erreicht, sollte man den Mut haben,<br />

eine Insulinpumpenbehandlung in Einzelfällen wieder abzubrechen.<br />

Warnen wollen wir vor der gelegentlich anzutreffenden Meinung und falschen Erwartung,<br />

in der Insulinpumpe das »Allheilmittel« zu sehen, das bei schlechter Einstellungsqualität<br />

unter der Spritzentherapie stets zu einer Verbesserung der Stoffwechselsituation<br />

führt. Mehrfach haben wir betont, dass die Insulinpumpe nur ein Insulindosiergerät<br />

ist, also ein Hilfsmittel für die Insulinabgabe und kein »Automat« zur<br />

Lösung von Problemen aller Art. Folglich kann die Insulinpumpe keine »Reservemethode«<br />

sein, die immer mit Erfolg einzusetzen ist, wenn ausgefeilte Spritzschemata<br />

bereits gescheitert sind. Insulinpumpenbehandlung ist nicht »einfacher« als die intensivierte<br />

Insulintherapie mit der Spritze, sie führt nicht zwangsläufig zu einer besseren<br />

Patientengruppe<br />

keine körpereigene Insulinbildung mehr<br />

(C-Peptid nicht mehr nachweisbar):<br />

● Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ohne Restfunktion<br />

der Bauchspeicheldrüse<br />

● Patienten mit operativ kompletter<br />

Entfernung der Bauchspeicheldrüse<br />

noch geringe körpereigene Insulinbildung<br />

(C-Peptid nachweisbar, aber erniedrigt):<br />

● Typ-1-<strong>Diabetes</strong> mit Restfunktion<br />

der Bauchspeicheldrüse<br />

● evtl. auch normalgewichtigte Typ-2-<br />

Diabetiker<br />

Patienten mit deutlicher peripherer<br />

Insulinresistenz (C-Peptid-Spiegel<br />

kaum erniedrigt, teilweise sogar<br />

relativ hoch):<br />

● Typ-2 mit Übergewicht<br />

● Typ-2 mit Essproblematik<br />

Bewertung<br />

Abb. 8: Therapieerfolge bei unterschiedlichen Patientenguppen<br />

2. Wer eignet sich für eine Insulinpumpen-Therapie<br />

Bei geeigneter Patientenauswahl und<br />

kompetenter ärztlicher Betreuung:<br />

sehr gute Langzeitergebnisse bezüglich<br />

subjektiver Patientenzufriedenheit und<br />

objektiver Einstellungsqualität.<br />

»Domäne« der Insulinpumpen-Therapie<br />

Insulinpumpen-Therapie oft erfolgreich,<br />

aber streng genommen nicht notwendig.<br />

Meist Gewinn an Lebensqualität, aber<br />

oft keine Verbesserung der Stoffwechseleinstellung.<br />

Fragliche Aufwand/Nutzen-Relation<br />

Eine Insulinpumpenbehandlung ist sehr<br />

kritisch zu sehen. Oft Problem der Gewichtszunahme<br />

unter der Insulinpumpen-<br />

Therapie, teilweise drastisch (in einem<br />

Einzelfall mehr als 50 kg in 3 Jahren).<br />

Objektiv betrachtet meist ein ungünstiges<br />

Langzeitergebnis.<br />

Stoffwechseleinstellung. Auch die Insulinpumpe bringt nicht die absolute Freiheit<br />

nach dem Motto: »Jetzt kann ich essen, trinken und tun, was ich will, die Insulinpumpe<br />

wird es schon richten«.<br />

In der Hand des geeigneten, gut geschulten, eigenverantwortlichen Patienten und bei<br />

kompetenter diabetologischer Betreuung ist die Insulinpumpen-Therapie derzeit eine<br />

erfolgversprechende sowie komfortable Behandlungsform für Menschen mit Typ-1-<br />

<strong>Diabetes</strong> ohne körpereigene Restfunktion – und langfristig gesehen vermutlich auch<br />

kostengünstig. Die Richtigkeit dieser Aussage gilt zumindest solange, bis irgendwann<br />

mit der automatischen Insulinsteuerung, dem sogenannten »closed loop« Verfahren,<br />

eine neue Behandlungsepoche für Typ-1-Diabetiker eingeläutet wird.<br />

26 27


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Der Insulinbedarf des Typ-1-Diabetikers setzt sich bei systematischer Trennung aus folgenden<br />

Anteilen zusammen:<br />

Insulinbedarf = Basalrate + Nahrungsbolus + Korrekturbolus<br />

Die Besonderheit der Insulinpumpen-Therapie gegenüber einer Spritzenbehandlung<br />

besteht darin, dass eine konsequentere Trennung zwischen Basalrate und Bolusinsulin<br />

möglich ist. Zwar wird auch bei der intensivierten Insulintherapie (ICT) nach dem Basis/<br />

Boluskonzept diese Aufteilung angestrebt, doch ist unter einer Spritzenbehandlung<br />

insbesondere die nächtliche bzw. frühmorgendliche Basalinsulinversorgung problematisch<br />

und oft nicht bedarfsgerecht zu verwirklichen.<br />

3.1 Bolusgabe<br />

Zwischen einer Insulinpumpen-Therapie und der ICT gibt es hinsichtlich der Bolusgabe<br />

keinen wesentlichen Unterschied – allenfalls in der Häufigkeit der Bolusverabreichung.<br />

28<br />

Als eher pumpentypische Besonderheiten sind jedoch aufzuführen:<br />

● Zwischenmahlzeiten werden meist extra abgespritzt.<br />

● Die getrennte Gabe von Nahrungs- und Korrekturbolus ist möglich.<br />

● Es besteht die Möglichkeit von Bolussplitting für das Nahrungsinsulin, z.B. bei<br />

großen Mahlzeiten, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken (s. 3.1.3).<br />

● Die Bolusgröße kann in kleinen Schritten verändert werden (z.B. in Abständen<br />

von 0,1 l.E.).<br />

● Bei den neueren Pumpen ist wahlweise eine verzögerte Bolusabgabe über ein<br />

vorwählbares Zeitintervall möglich.<br />

3.1.1 Nahrungsbolus<br />

Der Bedarf an Insulin zu den Mahlzeiten unterliegt in der Regel tageszeitlichen<br />

Schwankungen (sog. circadiane Rhythmik). Der Grund dafür ist die wechselnde Insulinempfindlichkeit<br />

während eines Tages mit, im Normalfall, zweigipfligem Verlauf.<br />

Besonders morgens ist die Insulinempfindlichkeit relativ gering (siehe Abschnitt 3.2<br />

Basalrate), weshalb für das Frühstück ein verhältnismäßig hoher Bedarf an Nahrungsinsulin<br />

besteht. Dagegen ist die Insulinempfindlichkeit eher hoch während der <strong>Mit</strong>tagszeit<br />

und insbesondere zwischen 22.00 Uhr und 3.00 Uhr mit folglich verhältnismäßig<br />

geringem Insulinbedarf.<br />

Kennzeichnend für die ICT und die Insulinpumpen-Therapie ist, dass der Diabetiker die<br />

aufzunehmende Menge an Kohlehydraten schätzt und anhand des sogenannten BE-<br />

Faktors die Dosis des Mahlzeiteninsulins festlegt. Als BE-Faktor wird die Insulinmenge<br />

bezeichnet, die für die Verstoffwechselung einer einzigen BE (entspricht 10-12 g<br />

Kohlehydrate) benötigt wird. Damit errechnet sich die erforderliche Nahrungsinsulinmenge<br />

für eine geplante Mahlzeit wie folgt:<br />

Nahrungsinsulin = gewünschte BE-Menge x BE-Faktor<br />

Beispiel:<br />

gewünschte Kohlehydratmenge: 3 BE<br />

individueller BE-Faktor: 2 I.E. pro BE<br />

➔ Nahrungsbolus: 6 I.E.<br />

Abb. 9: Berechnung des Nahrungsbolus mit BE-Faktor<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

29


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Die Höhe des BE-Faktors ist eng mit der jeweiligen Insulinempfindlichkeit verbunden.<br />

Diese wird von verschiedenen Einflussfaktoren bestimmt und ist im Wesentlichen<br />

abhängig von:<br />

● Tageszeit<br />

● Qualität der Blutzuckereinstellung<br />

● körperlicher Aktivität<br />

● Körpergewicht<br />

● Fettstoffwechsel<br />

● hormoneller Situation (Menstruationszyklus, Infekt, psychische Situation usw.)<br />

Zwischen relativer Höhe der jeweiligen Basalrate und der Größe des Nahrungsbolus<br />

zur entsprechenden Tageszeit besteht ein logischer Zusammenhang: Bei vergleichsweise<br />

hoher stündlicher Basalrate ist auch der entsprechende Nahrungsbolus relativ<br />

groß; umgekehrt ist bei eher niedriger stündlicher Basalrate auch der jeweilige Bedarf<br />

an Nahrungsinsulin verhältnismäßig gering.<br />

Die folgende Tabelle zeigt Anhaltspunkte für BE-Faktoren in Abhängigkeit von der<br />

Tagesgesamtinsulinmenge (Basalbedarf und Nahrungsbedarf) sowie der jeweiligen Tageszeit.<br />

BE-Faktor<br />

Tagesgesamtinsulin morgens mittags abends<br />

(Bolus + Basal)<br />

20 I.E. 1 0,5 0,75<br />

30 l.E. 1,5 0,75 1<br />

45 I.E. 2 1 1,5<br />

60 I.E. 3 1,5 2<br />

Abb. 10: Anhaltspunkte für BE-Faktoren<br />

Es wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Tabellenwerte nur als<br />

Faustregeln anzusehen sind. Ihre Gültigkeit ist im Einzelfall stets kritisch zu hinterfragen;<br />

ihre Richtigkeit wird jeweils nach der Methode »Versuch und Irrtum« sowie »Erfolg<br />

gibt Recht« herausgefunden.<br />

30<br />

3.1.2 Korrekturbolus<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Der Korrekturbolus ist genau wie bei der ICT erforderlich, um den Blutzuckerwert in<br />

das gewünschte Zielintervall zu bringen. In der Regel sind folgende Blutzuckerzielbereiche<br />

anzustreben:<br />

● nüchtern bzw. vor den Hauptmahlzeiten:<br />

80 - 120 mg/dl<br />

4,4 - 6,6 mmol/l<br />

● vor dem Schlafengehen:<br />

Abb. 11: Blutzuckerzielbereiche<br />

90 - 130 mg/dl<br />

4,9 - 7,2 mmol/l<br />

31


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Ein Anheben des BZ-Zielbereiches vor dem Schlafen auf Werte von mindestens<br />

110 mg/dl, wie es für die Spritzenbehandlung üblicherweise empfohlen wird, ist im<br />

Regelfall bei der Insulinpumpen-Therapie nicht erforderlich (vgl. Kap. 3.2.3, Hinweis<br />

4. Nächtliche Basalrate).<br />

Die Blutzuckerwerte ca. 1 bis 2 Stunden nach einer Mahlzeit (sogenannte post-prandiale<br />

Werte = pp-Werte) liegen meist 30 - 50 mg/dl bzw. 1,7 - 2,8 mmol/l höher als vorher.<br />

Es gilt die Empfehlung: Korrekturinsulin ist im Regelfall nur zu geben, falls der Blutzuckerwert<br />

nüchtern, vor den Hauptmahlzeiten bzw. vor dem Schlafengehen nicht im<br />

gewünschten Zielbereich liegt. Folglich ist routinemäßig nur zu diesen Zeiten eine<br />

Blutzuckerselbstkontrolle erforderlich (in Sondersituationen selbstverständlich häufiger).<br />

Die Differenz zwischen dem aktuellen Blutzuckerwert und dem Zielwert wird ermittelt<br />

und anschließend durch die sogenannte Korrekturzahl geteilt.<br />

Korrekturinsulin =<br />

Beispiel:<br />

32<br />

(aktueller Blutzuckerwert minus Zielwert)<br />

Korrekturzahl<br />

aktueller Blutzuckerwert: 240 mg/dl<br />

Blutzucker-Zielwert: 120 mg/dl<br />

individuelle Korrekturzahl: 40 mg/dl pro I.E.<br />

➔ erforderliches Korrekturinsulin: 3 Einheiten Insulin<br />

240 – 120<br />

=<br />

40<br />

Abb. 12: Bestimmung des Korrekturinsulins (Beispiel in mg/dl)<br />

Die Korrekturzahl bezeichnet dabei den Blutzuckerabfall bei subkutaner Gabe von<br />

1 Einheit Insulin. Weicht der aktuell gemessene Blutzuckerwert von dem gewünschten<br />

Zielwert ab, so lässt sich die notwendige Menge an Korrekturinsulin, wie in Abb. 12<br />

beschrieben, berechnen.<br />

Alternativ kann man bei dem Beispiel in Abb. 12 auch von der sogenannten »40er Regel«<br />

ab einem Blutzucker von 120 mg/dl sprechen. Ab einem Blutzucker von 120 mg/dl<br />

wird in 40er Schritten mit jeweils einer Insulineinheit korrigiert. Es ergibt sich folgendes<br />

praktikables Schema zur Berechnung des Korrekturinsulins (Abb 12.1).<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

»40er Regel« ab einem Zielwert von 120 mg/dl (Schritte von 1 I.E.):<br />

bis 120 mg/dl ➔ + 0 I.E.<br />

121 - 160 mg/dl ➔ + 1 I.E.<br />

161 - 200 mg/dl ➔ + 2 I.E.<br />

201 - 240 mg/dl ➔ + 3 I.E. usw.<br />

Abb. 12.1: Bestimmung des Korrekturinsulins in Schritten von 1 I.E. (Beispiel in mg/dl)<br />

Korrekturzahl und Blutzuckerzielwert müssen idealerweise nun für jede Tageszeit<br />

gesondert ermittelt werden. So kann beispielsweise für das Frühstück eine »schärfere«<br />

Korrekturregel erforderlich sein, z.B. eine »30er Regel« bei einem Blutzuckerzielbereich<br />

von 120 mg/dl. Zum <strong>Mit</strong>tagessen darf eventuell erst ab einem Blutzucker von<br />

150 mg/dl mit der »50er Regel« korrigiert werden. Der Grund für diesen unterschiedlichen<br />

Bedarf an Korrekturinsulin liegt, wie bereits oben ausgeführt, in der tageszeitlich<br />

verschiedenen Insulinempfindlichkeit. Bei der Insulinpumpenbehandlung kann die<br />

Bolusabgabe üblicherweise in Abständen von 0,1 I.E. verändert werden. Diese Möglichkeit<br />

sollte bei der Ermittlung des Nahrungsbolus und des Korrekturbolus durchaus<br />

genutzt werden. Auf das Beispiel von Abb. 12.1 übertragen, hieße dies:<br />

»40er Regel« ab einem Zielwert von 120 mg/dl (Schritte von 0,5 I.E.):<br />

bis 120 mg/dl ➔ + 0 I.E.<br />

121 - 140 mg/dl ➔ + 0,5 I.E.<br />

141 - 160 mg/dl ➔ + 1 I.E.<br />

161 - 180 mg/dl ➔ + 1,5 I.E. usw.<br />

Abb. 12.2: Bestimmung des Korrekturinsulins in Schritten von 0,5 I.E. (Beispiel in mg/dl)<br />

33


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Abb. 13 enthält Anhaltspunkte für die Höhe der Korrekturzahl in Abhängigkeit vom<br />

Tagesgesamtinsulin und der Tageszeit.<br />

Korrekturzahl (in mg/dl pro I.E.)<br />

Tagesgesamtinsulin<br />

(Bolus + Basal) morgens mittags abends<br />

20 I.E. 45 75 60<br />

30 I.E. 40 60 50<br />

45 I.E. 30 50 40<br />

60 I.E. 25 40 30<br />

Korrekturzahl (in mmol/l pro I.E.)<br />

Tagesgesamtinsulin<br />

(Bolus + Basal) morgens mittags abends<br />

20 I.E. 2,7 4,2 3,3<br />

30 I.E. 2,2 3,3 2,8<br />

45 I.E. 1,7 2,8 2,2<br />

60 I.E. 1,4 2,2 1,7<br />

Abb. 13: Anhaltspunkte für die Korrekturzahl<br />

Hinweise:<br />

Es wird ausdrücklich betont, dass diese Tabellenwerte nur Faustregeln sein können.<br />

Die Richtigkeit der Korrekturzahl muss individuell überprüft werden. Der Abstand zwischen<br />

zwei Blutzuckerkorrekturen sollte bei Verwendung von Normalinsulin im Allgemeinen<br />

mindestens 4 Stunden betragen (Ausnahme: Azeton ++/+++ bei drohender<br />

ketoazidotischer Entgleisung). Bei Verwendung von einem kurzwirksamen Insulinanalogon<br />

als Korrekturinsulin sollte mindestens ein Abstand von 2 Stunden eingehalten<br />

werden. Bei Blutzuckerkorrektur im Zusammenhang mit Sport, nach Alkoholgenuss<br />

bzw. vor einer Autofahrt empfehlen wir besondere Vorsicht. In diesen Fällen<br />

erhöht zuviel Korrekturinsulin das Risiko einer Unterzuckerung.<br />

Trotz ausgefeilter Korrekturregeln kann es nicht gelingen, den Blutzuckerverlauf<br />

100%ig zu beherrschen, um stets optimale Blutzuckerwerte zu erreichen. Die Beeinflussung<br />

und Steuerung des Blutzuckers ist eben nicht vergleichbar mit der Bedienung<br />

einer Maschine, bei der wir alle Einstellungsmöglichkeiten kennen. Die Insulinpum-<br />

34<br />

penbehandlung ist nur eine andere Form der Insulinabgabe. Zwar kann die Insulinversorgung<br />

nach Bedarf einfacher gesteuert werden, Gegebenheiten wie bei einem<br />

Nichtdiabetiker lassen sich jedoch nicht erreichen. Als Gründe seien hier nur stichwortartig<br />

genannt: subkutane Insulinbereitstellung statt Insulinabgabe in den Leberkreislauf<br />

wie beim Gesunden, wechselnde Insulinempfindlichkeit durch viele Faktoren<br />

(z.B. Stress, Bewegung, Infekt). Eine gewisse Gelassenheit und Bescheidenheit bei den<br />

Zielvorgaben für eine gute Stoffwechseleinstellung sind daher angebracht und wünschenswert.<br />

Die folgende Checkliste fasst zusammen, worauf bei der Festlegung der Bolusgröße zu<br />

achten ist.<br />

Checkliste für die Bolusgröße<br />

Aktueller Blutzuckerwert?<br />

● Wert glaubhaft?<br />

● Messfehler möglich?<br />

● Verdacht auf drohende Entgleisung?<br />

Was war vorher?<br />

● Wann und was vorher gegessen?<br />

● Letzter Bolus?<br />

● Vorherige körperliche Aktivität?<br />

● Vorher Alkoholgenuss?<br />

● Vorangegangene Unterzuckerung?<br />

● Blutzuckertrend?<br />

● Insulinpumpendefekt bzw. Bedienungsfehler denkbar?<br />

Was ist geplant?<br />

● Essenswunsch (Was? Wie viel? Wann?)<br />

● Körperliche Aktivität?<br />

● Alkoholgenuss?<br />

● Autofahrt?<br />

● Neue, unübliche Situation?<br />

Individuelle Besonderheiten?<br />

● Akute Krankheit mit erfahrungsgemäßer Stoffwechselverschlechterung?<br />

● Zu lange Katheterliegezeit?<br />

● Geänderte Insulinempfindlichkeit? (z.B. Periode)<br />

● Außergewöhnliche psychische Belastung?<br />

● Bewusste Veränderung des Blutzucker-Zielbereiches?<br />

● Änderung der Begleitmedikation? (z.B. Cortison, Diuretika)<br />

● Magenentleerungsstörung?<br />

Abb. 14: Checkliste für die Bolusgröße<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

35


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

36<br />

Drück-Ess-Abstand (DEA)<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

BZ vor dem Essen bei Normalinsulin bei kurzwirksamem<br />

in mg/dl in mmol/l Insulinanalogon<br />

unter 60 unter 3,3 erst Hypoglykämie behandeln erst Hypoglykämie behandeln<br />

60 - 80 3,3 - 4,4 spritzen und gleich essen nach dem Essen spritzen<br />

80 - 120 4,4 - 6,7 10 - 30 Minuten direkt vor dem Essen spritzen<br />

120 - 200 6,7 - 11,1 20 - 45 Minuten 0 - 20 Minuten<br />

200 - 250 11,1 - 13,9 35 - 60 Minuten 15 - 30 Minuten<br />

über 250 über 13,9 • Azeton messen! ➔ Korrektur spritzen<br />

• erneut Blutzucker testen vor dem Essen<br />

• erst essen bei BZ unter 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l<br />

genereller Tipp: • morgens eher längerer DEA<br />

• mittags eher kürzerer DEA<br />

Abb. 15: Faustregeln für den Drück-Ess-Abstand<br />

Bei Verwendung von Normalinsulin als Pumpeninsulin ist in der Regel ein Drück-Ess-<br />

Abstand (DEA) in Abhängigkeit von der Höhe des Blutzuckerwertes unverzichtbar. Zu<br />

Zeiten geringerer Insulinempfindlichkeit (z.B. morgens vor dem Frühstück) wird oft ein<br />

größerer DEA benötigt als beispielsweise vor dem <strong>Mit</strong>tagessen.<br />

Falls bei Verwendung von Normalinsulin kein DEA eingehalten werden kann, ist mit<br />

einem erhöhten pp-Wert (pp = post-prandial, d.h. ca. 1 - 2 Stunden nach der Mahlzeit)<br />

zu rechnen. Die Anwendung eines kurzwirkamen Insulinanalogon (Humalog, Novo-<br />

Rapid) als Insulinpumpeninsulin kann hier von Vorteil sein. Der Drück-Ess-Abstand ist<br />

in diesem Fall aufgrund des rascheren Wirkungsbeginns im Allgemeinen 15-30 Min.<br />

kürzer als bei Verwendung von Normalinsulin. Wenn der Blutzucker vor einer Mahlzeit<br />

im wünschenswerten Bereich von 80-120 mg/dl bzw. 4,4-6,7 mmol/l liegt, ist daher<br />

bei Verwendung von kurzwirkamem Insulinanalogon kein DEA erforderlich.<br />

Da Normalinsulin üblicherweise eine Wirkdauer von ca. 4-6 Stunden besitzt, stellen<br />

die pp-Werte, die 1-2 Stunden nach der Mahlzeit ermittelt werden, kein Kriterium<br />

für die Höhe des Bolusinsulins dar. Die pp-Werte sind vor allem vom DEA und von<br />

der Nahrungszusammensetzung abhängig. »Schnelle Kohlehydrate« (z.B. Cola) gehen<br />

rascher ins Blut als »langsame Kohlehydrate« (z.B. Müsli); auch erhöhen fettarme bzw.<br />

fettfreie Mahlzeiten (z.B. Obst) den Blutzucker rascher als fettreiche Speisen (z.B.<br />

Pizza).<br />

37


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Die Bestimmung und Korrektur des pp-Wertes wird deshalb nicht routinemäßig empfohlen.<br />

Beispielsweise kann ein pp-Wert von 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l durchaus<br />

durch einen zu kurzen DEA bedingt sein. Eine Korrektur mit Normalinsulin könnte<br />

hierbei zu einer Bolusüberlappung führen. Bei Korrektur mit einem kurzwirksamen Insulinanalogon<br />

ist dies erfahrungsgemäß unproblematischer.<br />

Tipp: Insulindosis-Anpassung<br />

Bei der Festlegung der Bolusmenge gehen nicht wenige Insulinpumpenträger nach verhältnismäßig<br />

starren Anpassungsregeln vor, die eher schematisch und unflexibel gehandhabt werden.<br />

Ohne Zweifel haben »BE-Faktoren« und »Korrekturzahlen« ihre Berechtigung und sind nützlich,<br />

um sich im Gestrüpp der Blutzuckersteuerung einigermaßen zurechtzufinden. Sie gründen<br />

sich auf folgende Erfahrungen:<br />

● Bei höherem Blutzuckerwert ist der Bedarf an Korrekturinsulin größer.<br />

● Die Menge an Nahrungsinsulin hängt davon ab, wie viel und was (BE!)<br />

gegessen und getrunken wird.<br />

Andererseits ist der Blutzuckerverlauf von zahlreichen mehr oder weniger wichtigen Einflussfaktoren<br />

abhängig wie: Insulinmenge im Blut, Insulinwirkprofil, körperliche Aktivität,<br />

Insulinempfindlichkeit, psychische Verfassung, hormonelle Situation (Kortison, Adrenalin,<br />

Wachstumshormon, Schilddrüsenhormon), Begleiterkrankungen, Fettstoffwechsel, Einfluss von<br />

Medikamenten. Bleiben diese unberücksichtigt, entsteht nicht selten der Eindruck einer unberechenbaren<br />

Willkür.<br />

Bei der Prognose des Blutzuckerverlaufs ist es ähnlich wie bei Wettervorhersagen. Eine<br />

100 %ige Treffsicherheit ist nicht erreichbar. In beiden Fällen ist eine genaue Beobachtung der<br />

Begleitumstände wichtig; es können Regeln aufgestellt werden, die Prognosen für den weiteren<br />

Verlauf zulassen. Unerwartete, nicht berücksichtigte Ereignisse können solche Vorhersagen<br />

jedoch über den Haufen werfen. Das Regelwerk für die Prognoseerstellung muss immer wieder<br />

überdacht und aufgrund von Erfahrungen punktuell korrigiert werden.<br />

Als Grundlage für die Insulindosisanpassung kann folgendes Schema dienen:<br />

Beobachten (B) Handeln (H)<br />

➔<br />

Nachdenken (N) ➔ Entscheiden (E)<br />

Wie dies konkret aussehen kann, wird an einigen Beispielen aufgezeigt (Abb. 16).<br />

38<br />

➔<br />

➔<br />

Beispiel A: Blutzucker<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Beobachten: Wie ist der aktuelle Blutzucker? (Blutzuckermessung)<br />

Nachdenken: Warum ist der Blutzuckerwert so, wie er ist? Was war vorher?<br />

Entscheiden: Korrekturinsulin erforderlich? Hypoglykämiegefahr?<br />

Handeln: evtl. Bolusgabe bzw. Extra-BE?<br />

Beispiel B: Essen im Restaurant<br />

B: Was will ich essen? Wie groß ist die BE-Menge?<br />

Wie ist die Zubereitung? Will ich Alkohol trinken?<br />

N: Hatte ich in der Vergangenheit vergleichbare Situationen?<br />

Was wäre, wenn ich eine Unterzuckerung hätte (Risikoabschätzung)?<br />

E: Welche Bolusmenge benötige ich?<br />

Welcher Drück-Ess-Abstand ist empfehlenswert?<br />

H: Bolusgabe<br />

Beispiel C: unerwartet hoher Blutzucker<br />

B: aktueller Blutzucker 280 mg/dl (15,5 mmol/l), keine offensichtliche Erklärung,<br />

leichtes Unwohlsein<br />

N: Warum ist der Blutzucker so hoch? Zuviel gegessen? Vorher zu geringer Bolus?<br />

Bolus vergessen? Katheterliegedauer? Insulinpumpendefekt möglich?<br />

Fehlmessung mit dem BZ-Messgerät? Zuckerreste an der Hand?<br />

E: von der Möglichkeit einer drohenden ketoazidotischen Entgleisung ausgehen<br />

H: Urinkontrolle auf Azeton, Zweitmessung des Blutzuckers nach Händewaschen,<br />

Bolusgabe zur Blutzuckersenkung, keine körperliche Aktivität,<br />

Blutzucker-Selbstkontrolle in 2stündigen Abständen<br />

Abb. 16: Beispiele für die Insulindosis-Anpassung<br />

Diese Beispiele können beliebig fortgesetzt werden. Jeder insulinspritzende Diabetiker<br />

mit flexibler Lebensgestaltung sollte sich immer wieder klarmachen, welchen zentralen<br />

Stellenwert Beobachtung und Nachdenken haben.<br />

39


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Tipp: Üppiges (BE-reiches) Essen am späten Abend<br />

Insulinpumpenträger können sich bei der Tagesgestaltung weitgehend genauso verhalten wie<br />

Nichtdiabetiker. Allerdings müssen mögliche Probleme vorher bedacht werden.<br />

So ist bei Verwendung von Normalinsulin in der Insulinpumpe ein umfangreiches Abendessen<br />

nach 20.00 Uhr mitunter kritisch, denn der notwendige größere Nahrungsbolus hat eine Wirkdauer<br />

von 5 Stunden und mehr. Es besteht deshalb eine erhöhte Unterzuckerungsgefahr in der<br />

zweiten Nachthälfte zwischen 1.00 und 4.00 Uhr.<br />

Hierbei gibt es folgende Lösungsmöglichkeiten:<br />

a) Der Nahrungsbolus vor dem Abendessen wird gezielt um 1-3 I.E. Insulin verringert, d.h.<br />

eine anschließend schlechtere Blutzuckereinstellung wird bewusst in Kauf genommen.<br />

Damit wird natürlich das nächtliche Unterzuckerungsrisiko deutlich verringert.<br />

b) Es wird der übliche Nahrungsbolus gespritzt, jedoch anschließend vor dem Schlafen<br />

gehen bewusst der Blutzucker in der Nacht durch Zufuhr von Extra-BE angehoben.<br />

c) Vor dem Abendessen wird der übliche Nahrungsbolus gesetzt, anschließend aber die<br />

Basalrate deutlich für 3-4 Stunden reduziert (50 % oder mehr).<br />

d) Der Nahrungsbolus zum Abendessen wird als kurzwirksames Insulinanaloga (Humalog<br />

bzw. NovoRapid) in einem Pen abgegeben. Beachte: kurzwirksame Insulinanaloga<br />

können als sogenanntes »Partyinsulin« dienen. Die zusätzliche Verwendung eines Insulin-<br />

Pens wird allerdings von vielen Insulinpumpenträgern als umständlich angesehen.<br />

Das hier dargestellte Beispiel soll auch verdeutlichen, dass es für ein Problem (z.B. üppiges<br />

Essen am späten Abend) meist mehrere verschiedene Lösungsmöglichkeiten gibt. Dabei sind<br />

Phantasie, Kreativität sowie Mut zum Ausprobieren gefragt.<br />

40<br />

Tipp: Blutzucker-Zielbereiche<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Die üblichen, wünschenswerten Blutzuckerzielbereiche (siehe Abb. 11) müssen selbstverständlich<br />

immer wieder kritisch hinterfragt werden und sind stets den individuellen und aktuellen<br />

Gegebenheiten anzupassen. Eine »schärfere« Blutzuckereinstellung als im Regelfall ist beispielsweise<br />

anzustreben:<br />

● vor einer geplanten Schwangerschaft<br />

● während einer Schwangerschaft<br />

● bei schmerzhafter Polyneuropathie (diabetische Nervenerkrankung)<br />

Gelegentlich ist es auch empfehlenswert, die Blutzuckerzielwerte anzuheben. Eine kurzfristige<br />

Erhöhung des Blutzuckerzielbereiches kann vorteilhaft sein:<br />

● vor, während und mitunter auch nach körperlicher Aktivität<br />

● nach Alkoholgenuss<br />

● während einer Autofahrt<br />

● immer dann, wenn eine Hypoglykämie ein besonderes Risiko darstellt (z.B. Klettern,<br />

Radfahren, Schwimmen)<br />

Eine längerfristige Erhöhung des Blutzuckerzielbereiches kann in Erwägung gezogen werden<br />

bei:<br />

● proliferativer Retinopathie (fortgeschrittene Netzhautveränderungen mit Gefäßneubildungen),<br />

bis eine augenärztliche Behandlung (Lasertherapie) zu einer Stabilisierung<br />

der Augenhintergrundsveränderungen geführt hat<br />

● häufigen problematischen Unterzuckerungen<br />

● einer erschwerten oder aufgehobenen Hypoglykämiewahrnehmung (siehe Kapitel 11)<br />

● Langzeitdiabetikern (<strong>Diabetes</strong>dauer 25 Jahre oder mehr), die vermehrte Unterzuckerungsprobleme,<br />

aber keine wesentlichen Folgeerkrankungen haben.<br />

41


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Tipp: Korrekturinsulin<br />

Die notwendige Menge an Korrekturbolus hängt keinesfalls nur von der aktuellen Blutzuckerhöhe<br />

ab. Diese stellt zwar eine wesentliche Bezugsgröße dar, doch müssen bei der Festlegung<br />

der Menge an Korrekturinsulin auch weitere Punkte berücksichtigt werden. Bei einem mäßig<br />

erhöhten Blutzuckerwert von ca. 200 mg/dl (11,1 mmol/l) sollte zurückhaltend (bzw. gar nicht)<br />

korrigiert werden:<br />

42<br />

● 1 - 2 Stunden nach einer Mahlzeit (bei Verwendung von Normalinsulin)<br />

● vor einer Autofahrt<br />

● vor körperlicher Aktivität<br />

● vor dem Schlafengehen nach vorangegangenem Alkoholgenuss.<br />

Dagegen kann eher großzügig korrigiert werden:<br />

● bei erhöhtem Nüchternwert morgens<br />

● bei positivem Azetonnachweis im Urin (siehe Abschnitt 10.5)<br />

● bei fieberhaften Infekten<br />

● bei länger bestehender Blutzuckererhöhung.<br />

In diesen Fällen liegt meist eine verminderte Insulinempfindlichkeit vor.<br />

3.1.3 Besonderheiten<br />

Zwischenmahlzeiten<br />

Ein wesentlicher Vorteil der Insulinpumpen-Therapie besteht auch darin, dass für jede<br />

Zwischenmahlzeit ohne großen Aufwand ein Insulinbolus abgegeben werden kann.<br />

Dies bedingt mehr Flexibilität, denn Zeitpunkt und Umfang des Essens können weitgehend<br />

freizügig durch den Insulinpumpenträger festgelegt werden.<br />

Konkret heißt dies:<br />

● Es besteht kein »Muss« für Zwischenmahlzeiten.<br />

● Umfang und Zeitpunkt der Zwischenmahlzeiten sind variabel.<br />

● Die Bolusabgabe für die Zwischenmahlzeit erfolgt in direktem zeitlichen<br />

Zusammenhang mit der gewünschten Nahrungszufuhr.<br />

● Vor Zwischenmahlzeiten wird in der Regel keine Blutzuckerselbstkontrolle<br />

empfohlen und dementsprechend auch kein Korrekturinsulin verabreicht<br />

(Gefahr der Insulinüberlappung beim Einsatz von Normalinsulin!).<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

● Um das Risiko einer evtl. Unterzuckerung gering zu halten (keine begleitende<br />

Blutzuckerselbstkontrolle!) wird der Nahrungsbolus zu den Zwischenmahlzeiten<br />

eher knapp berechnet bzw. nach unten abgerundet. Der entsprechende<br />

BE-Faktor kann als <strong>Mit</strong>telwert aus den Faktoren der Hauptmahlzeiten vorher<br />

und nachher berechnet werden (Abb. 17).<br />

Beispiel:<br />

Alternativ besteht hier auch die Möglichkeit, den kleineren der beiden entsprechenden<br />

BE-Faktoren zu verwenden. Das Risiko für eine Unterzuckerung wird bei diesem<br />

Vorgehen weiter verringert. In unserem Beispiel hieße dies: BE-Faktor für Zwischenmahlzeit<br />

am Vormittag: 1,0 I.E./BE.<br />

Großer Bolus<br />

Bei Verwendung von Normalinsulin: Wegen der vergleichsweise langen Wirkdauer<br />

von Normalinsulin (4 - 6 Stunden) ist es gelegentlich vorteilhaft, nach Gabe eines relativ<br />

großen Bolus (8 I.E. oder mehr) nach ca. 3 Stunden eine Zwischenmahlzeit von 1 BE<br />

zu essen, ohne diese mit einem gesonderten Bolus abzuspritzen. Dadurch kann das<br />

nach 4 - 6 Stunden auftretende Unterzuckerungsrisiko verringert werden. Eine zusätzliche<br />

Zufuhr von Kohlehydraten ist natürlich besonders wichtig bei sportlicher Aktivität<br />

in diesem Zeitraum.<br />

Bolussplitting<br />

BE-Faktor morgens: 2,0 I.E./BE<br />

BE-Faktor mittags: 1,0 I.E./BE<br />

BE-Faktor für Zwischenmahlzeit<br />

am Vormittag: 1,5 I.E./BE<br />

Abb. 17: BE-Faktor für Zwischenmahlzeiten (Beispiel)<br />

Alternativ ist auch bei hohen Insulindosen ein sogenanntes Bolussplitting möglich. Vor<br />

einer Mahlzeit mit relativ langsam resorbierbaren Kohlehydraten (z.B. 8 BE Pizza) werden<br />

nur 2/3 der berechneten Insulinmenge verabreicht. Das restliche Drittel wird erst<br />

1 - 2 Stunden später gegeben. Bolussplitting ist insbesondere bei Verwendung von einem<br />

kurzwirksamen Insulinanalogon empfehlenswert, falls sich das Essen (z.B. mehrere<br />

Gänge eines Festmahls) über einen längeren Zeitraum erstreckt (siehe auch S. 40,<br />

Tipp: Üppiges – BE-reiches – Essen).<br />

43


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Tipp: Bolussplitting<br />

Ein großer Vorteil bei der Insulinpumpenbehandlung gegenüber der Spritzen-/Pen-Therapie besteht<br />

darin, dass die Insulingabe ohne nennenswerten Aufwand und ohne Injektionsschmerz<br />

erfolgen kann. <strong>Mit</strong> Beginn einer Insulinpumpen-Therapie wird im Regelfall die bei der ICT sinnvolle<br />

und praktische Gewohnheit beibehalten, Nahrungsbolus und Korrekturbolus gemeinsam,<br />

d.h. als einen Gesamtbolus zu verabreichen. <strong>Mit</strong>unter ist es aber vorteilhaft, von dieser Vorgehensweise<br />

abzuweichen.<br />

Situationen für ein sogenanntes »Bolussplitting« können sein:<br />

● getrennte Gabe von Nahrungsinsulin und Korrekturinsulin: Daran kann gedacht werden,<br />

wenn ein hoher Ausgangsblutzucker gemessen wurde und der Zeitpunkt der nächsten Mahlzeit<br />

noch nicht klar ist. Dies trifft beispielsweise zu bei einem hohen Blutzuckerwert nach dem Aufstehen<br />

und Frühstücksbeginn erst nach dem Brötchenholen. Oder auch beim Essen im Restaurant<br />

bzw. bei Einladungen mit oft nicht genau festzulegendem Beginn der Nahrungsaufnahme<br />

und bei gleichzeitig vorher ermitteltem deutlich erhöhtem Blutzuckerwert. Eine getrennte Gabe<br />

von Korrekturinsulin und Nahrungsinsulin ist auch sinnvoll bei erhöhtem Blutzuckernüchternwert<br />

in der Schwangerschaft und Neigung zu morgendlichem Erbrechen. Umfang und Beginn<br />

des Frühstückes können dann relativ freizügig gewählt werden.<br />

● Aufteilung des Nahrungsbolus in zwei oder auch mehrere kleinere Mengen: Dies ist beispielsweise<br />

sinnvoll, wenn während des Essens der Wunsch nach mehr Nahrungszufuhr besteht,<br />

d.h. es werden mehr BE gegessen als vorher geplant, weil es einfach gut schmeckt oder<br />

weil es so gemütlich beim Essen ist. Insbesondere bei einem mehrgängigen Festmenü wird der<br />

Insulinpumpenträger die notwendige Nahrungsinsulinmenge nach und nach in kleineren Portionen<br />

abgeben. Hier erweist sich ein kurzwirksames Insulinanalogon als besonders vorteilhaft.<br />

Andere Alltagssituationen für ein Splitting des Nahrungsbolus können sein: niedrige BZ-Werte<br />

vor dem Essen (z.B. unter 70 mg/dl bzw. 3,9 mmol/l) oder das Vorliegen einer sogenannten<br />

Gastroparese, d.h. einer verzögerten Entleerung des Magens mit dadurch bedingten tendenziell<br />

niedrigen BZ-Werten 1 - 2 Stunden nach einer Mahlzeit.<br />

● Die Insulinpumpe D-TRONplus von Roche Diagnostics (Disetronic) und die Insulinpumpen von<br />

Medtronic Minimed bieten über den »verzögerten Bolus« eine hervorragende Möglichkeit den<br />

Nahrungsbolus zu verteilen. Beispielsweise bei Banketts, Empfängen oder auch bei fettreichen<br />

Speisen ist es von Vorteil, die Bolusgabe über einen zuvor festgelegten Zeitraum gleichmäßig<br />

abzugeben.<br />

Auf einige Gefahren des Bolussplittings ist hinzuweisen:<br />

● Da die aufgeteilten Boli im Regelfall in zeitlich nicht zu großen Abständen gegeben werden,<br />

kommt es zu einer Bolusüberlappung mit verstärkter Insulinwirkung nach 2 - 4 Stunden. Dies ist<br />

insbesondere bei Verwendung von Normalinsulin wegen der längeren Insulinwirkungsdauer<br />

von Bedeutung.<br />

44<br />

Autoregulation<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

● Ein für später geplanter Nahrungsbolus wird einfach vergessen. Die Gabe des Nahrungsinsulins<br />

vor einer Mahlzeit ist eine oft seit Jahren bestehende, 3 x täglich durchgeführte Gewohnheit,<br />

und es erfordert ein bewusstes Umdenken, davon in Sonderfällen abzuweichen.<br />

● Man kann insbesondere während eines Festessens mit gleichzeitigem Alkoholgenuss leicht<br />

die Kontrolle über die Aufeinanderfolge der aufgesplitteten Nahrungsboli verlieren. Hier ist es<br />

hilfreich, die letzten Boli einschließlich der dazugehörigen Uhrzeit bei der Insulinpumpe abzufragen.<br />

Dies ist ohne weiteres bei den Disetronic- und Minimed-Insulinpumpen möglich.<br />

Unter Blutzuckerautoregulation versteht man, dass im Bereich bis ca. 180 mg/dl eine<br />

selbständige langsame Regulation des Blutzuckers auf den Normalbereich hin erfolgen<br />

kann, ohne dass zusätzlich Korrekturinsulin gegeben wird. Dieses Prinzip scheint<br />

bei einigen Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> eine gewisse Bedeutung zu besitzen.<br />

Als Konsequenz für die Praxis bedeutet dies:<br />

Bei Blutzuckerwerten von 140-180 mg/dl können einige Typ-1-Diabetiker mit der Gabe<br />

von Korrekturinsulin zurückhaltend sein und abwarten, ob sich der Blutzucker bis zur<br />

nächsten Kontrolle normalisiert hat. Dies setzt voraus, dass eine Verschlechterung<br />

der Insulinempfindlichkeit (z.B. fieberhafter Infekt) oder technische Katheter- bzw.<br />

Pumpenprobleme mit Insulinmangelversorgung (z.B. Luftblasen im Katheter, zu lange<br />

Katheterliegedauer) als Ursache der Blutzuckererhöhung ausgeschlossen sind.<br />

Andererseits empfiehlt es sich, bei leicht erniedrigten Blutzuckerwerten von 70-100<br />

mg/dl die übliche Insulinmenge für das Essen, d.h. den normalerweise erforderlichen<br />

Nahrungsbolus nicht zu verringern; auch hier gilt wieder die Einschränkung, dass eine<br />

Verbesserung der Insulinempfindlichkeit (z.B. durch Sport) weitgehend als Grund auszuschließen<br />

ist.<br />

Zweckmäßigerweise erfolgt in diesen Fällen eine Korrektur ausschließlich über den<br />

Drück-Ess-Abstand. Also: Bei Blutzuckerwerten von 140 -180 mg/dl den DEA um ca.<br />

5-15 min verlängern. Bei Werten von 70-100 mg/dl empfiehlt sich eine Verkürzung<br />

des DEA um 5 -10 min, bzw. die Bolusgabe erst während des Essens oder sogar auch<br />

erst nach dem Essen (siehe Abb. 15).<br />

Um die Bedeutung der Autoregulation im Einzelfall erkennen zu können, sollte man<br />

probeweise mit der Gabe von Korrekturinsulin im Blutzuckerbereich von 140-180<br />

mg/dl zurückhaltend sein bzw. auf eine Verringerung des üblichen Nahrungsbolus im<br />

Bereich von 70-100 mg/dl verzichten. Anhand von eigenen Erfahrungen gilt es, die<br />

persönlichen individuellen Reaktionsmuster kennenzulernen.<br />

45


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Tipp: Einfluss von Leber bzw. Muskelgewebe<br />

Bei der Blutzuckersteuerung sind zahlreiche körpereigene Regulationsmechanismen von wesentlicher<br />

Bedeutung, beispielsweise die blutzuckererhöhenden Hormone Cortison, Adrenalin<br />

und das Wachstumshormon. Aber auch zwei Organsysteme, nämlich Leber und Muskulatur,<br />

spielen eine wichtige Rolle:<br />

Die Leber stellt eine Art »Zuckerfabrik« im menschlichen Körper dar. Wie bei einer richtigen<br />

Fabrik alten Stils laufen Produktionsvorgänge ab und es erfolgt eine Lagerhaltung.<br />

Die Leber speichert Zucker in Form von Glykogen (5 - 10 BE!), das bei Bedarf als Glucose in die<br />

Blutbahn abgegeben werden kann.Als Folge davon kann es zu einem Blutzucker-Anstieg ohne<br />

vorangegangene Nahrungsaufnahme kommen (z.B. unter hormonellem Einfluss in psychisch<br />

belastenden Situationen). Andererseits gibt es Situationen, in denen ein vorher teilweise entleerter<br />

Glykogenspeicher (z.B. wegen körperlicher Tätigkeit bei knappen Blutzuckerwerten)<br />

wieder aufgefüllt wird. In diesem Fall kommt es zu einem nicht ohne weiteres erklärbaren Blutzuckerabfall<br />

(»Sport wirkt nach«).<br />

Schließlich ist die Leber auch ein Produktionsort zur Bildung von Zucker (sogenannte »Glukoneogenese«).<br />

Im Durchschnitt produziert die Leber pro Stunde 0,5 bis 1 BE Glucose – beispielsweise<br />

durch Abbau von Eiweißstoffen. Diese Zuckerneubildung in der Leber unterliegt<br />

mengenmäßig größeren Schwankungen. Durch hormonelle Einflüsse kann die Abgabe von sogenanntem<br />

»Leberzucker« in die Blutbahn verändert werden, was ebenfalls Auswirkungen auf<br />

die Blutzuckerhöhe hat.<br />

Die Muskulatur hat insbesondere im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität einen bedeutsamen<br />

Einfluss auf den Blutzuckerspiegel (vergleiche Kapitel 8). Auch in der Muskulatur ist<br />

»Speicherzucker« in Form von Gykogen vorhanden – allerdings deutlich weniger als in der Leber.<br />

Diese Depots können bei körperlicher Tätigkeit teilweise entleert werden, wodurch ein zu<br />

rascher Blutzuckerabfall verhindert wird. In der Erholungsphase nach Muskeltätigkeit werden<br />

diese Glykogendepots wieder gefüllt, sogenannter »Muskelauffülleffekt« nach körperlicher<br />

Tätigkeit. Desweiteren kann die Muskulatur im Zusammenhang mit der Blutzuckerautoregulation<br />

ebenfalls die Höhe des Blutzuckerspiegels beeinflussen.<br />

Zwar lassen sich Ausmaß und Stärke der Blutzuckerveränderungen, die von Leber und Muskelgewebe<br />

ausgeübt werden, weder direkt messen noch unmittelbar beeinflussen, es ist jedoch<br />

vorteilhaft, diese Zusammenhänge zu kennen und zu beachten. So erklären sich manche vordergründig<br />

unverständlichen Blutzuckerwerte und es lassen sich durch aufmerksames Beobachten<br />

gewisse körpereigene Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich des Blutzuckerverlaufs erahnen.<br />

Diese können in Zukunft bei der Festlegung der Insulinmenge berücksichtigt werden.<br />

46<br />

3.2 Basalrate<br />

Auch wenn nichts gegessen wird, braucht der Körper Insulin. Dieser Insulinbedarf ist<br />

u.a. erforderlich für den Zuckereinstrom in die verschiedenen Körperzellen, denn<br />

Zucker ist ein wesentlicher Energielieferant für die Zellen. Außerdem wird Insulin für<br />

die Zuckerspeicherung in der Leber benötigt (Glykogensynthese). Man spricht hier insgesamt<br />

vom nahrungsunabhängigen Insulingrundbedarf bzw. vom basalen Insulinbedarf.<br />

3.2.1 Tageszeitabhängiger Rhythmus<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Der basale Insulinbedarf ist während der 24 Stunden eines Tages nicht stets gleich<br />

hoch, sondern unterliegt im Regelfall einem typischen, zweigipfligen Verlauf. Es liegt<br />

eine tageszeitabhängige Rhythmik vor mit einem deutlichen Gipfel am frühen Mor-<br />

47


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

gen (meist zwischen 5.00 und 7.00 Uhr), dem »Morgendämmerungs-Phänomen«. Der<br />

Gipfel am späten Nachmittag ist meist geringer ausgeprägt (»Abenddämmerungs-<br />

Phänomen«). Ein geringerer Insulinbedarf (sog. »Insulintal«) besteht gegen 12.00 Uhr<br />

mittags sowie um <strong>Mit</strong>ternacht (siehe Abb. 18).<br />

Der wechselnde Insulinbedarf ist hauptsächlich durch Hormone (körpereigene Botenstoffe)<br />

bedingt, die den Blutzucker erhöhen können. Beispiele hierfür sind: Cortison,<br />

das Wachstumshormon STH und Adrenalin. Diese Hormone sind tageszeitabhängig<br />

verschieden stark aktiv und verursachen dadurch in der Regel eine wechselnde Insulinempfindlichkeit<br />

des Körpers mit dem charakteristischen zweigipfligen Muster.<br />

48<br />

Dawn-Phänomen<br />

(Morgendämmerung)<br />

6.00<br />

höchster<br />

Insulinbedarf<br />

niedriger<br />

Insulinbedarf<br />

Abb. 18: Insulinbedarf beim Nicht-Diabetiker<br />

Dusk-Phänomen<br />

(Abenddämmerung)<br />

12.00 18.00 24.00 6.00<br />

Uhr<br />

hoher<br />

Insulinbedarf<br />

niedrigster<br />

Insulinbedarf<br />

Durch die Insulinpumpen-Therapie kann die Basalmenge an Insulin viel bedarfsgerechter<br />

verabreicht werden, als dies unter einer Spritzenbehandlung mit mehreren Injektionen<br />

pro Tag möglich ist. Besonders deutlich wird das in der Nacht, wenn der Insulinbedarf<br />

des Körpers aus dem »Insulintal« zum »Morgendämmerungsgipfel« wechselt.<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

In der Anfangszeit der Insulinpumpen-Therapie besaßen die Geräte häufig nur eine<br />

einzige Basalrate, die während 24 Stunden auf konstanter Höhe eingestellt war. Dadurch<br />

kam es insbesondere um <strong>Mit</strong>ternacht eher zu einer Überinsulinierung, während<br />

in den früheren Morgenstunden häufiger eine Insulinmangelversorgung in Kauf genommen<br />

werden musste. Die physiologischen Überlegungen sowie die Erfahrungen<br />

mit programmierbaren Insulinpumpenmodellen zeigten jedoch, dass es von Vorteil<br />

ist, wenn die basale Insulinabgabe durch automatische Steuerung mit der Insulinpumpe<br />

die circadiane Rhythmik des Insulinbedarfs möglichst gut nachahmt. Im Regelfall<br />

werden deshalb heute Insulinpumpen benutzt, bei denen im Voraus eine tageszeitlich<br />

variable Insulinbasalrate fest einprogrammiert werden kann (z.B. stündliche<br />

Variation des Basalratenprofils bei den Disetronic-Insulinpumpen: H-TRONplus und<br />

D-TRONplus; 48 Basalraten pro 24 Stunden bei Medtronic Minimed 508 und Medtronic<br />

Paradigm).<br />

Nur in Ausnahmefällen ist der typische zweigipflige Verlauf des basalen Insulinbedarfs<br />

weitgehend aufgehoben bzw. nicht vorhanden.<br />

Insulinabgabe<br />

[I.E./h]<br />

10,0<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

0,1<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24<br />

Uhrzeit [Std.]<br />

Abb. 19: Beispiel für Basalrate mit zweigipfligem Verlauf<br />

3.2.2 Höhe der Basalrate<br />

Die strenge Trennung zwischen basalem Insulinbedarf und Nahrungs- bzw. Korrekturinsulin<br />

gelingt bei der intensivierten Insulintherapie nicht völlig; sie ist dagegen bei<br />

der Insulinpumpen-Therapie unter Berücksichtigung von typischen Gesetzmäßigkeiten<br />

meist relativ leicht zu verwirklichen. Ein solches Charakteristikum ist neben dem<br />

49


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

zweigipfligen Verlauf die Höhe des Gesamtbedarfs an Basalinsulin während 24 Stunden.<br />

Zwischen der Tagesgesamtinsulinmenge unter Insulinpumpen-Therapie und dem<br />

Basalinsulinbedarf besteht die folgende Faustregel (Abb. 20).<br />

Basalinsulin während 24 Stunden = ca. 50% des Tagesgesamtinsulins<br />

Beispiel:<br />

Tagesgesamtinsulin: 44 I.E.<br />

Basalrate insgesamt: ca. 22 I.E.<br />

Abb. 20: Faustregel für die Basalrate<br />

Diese Faustregel gilt unter folgenden Voraussetzungen:<br />

● Ernährung mit ausgeglichener Kalorienzahl, d.h. die täglich aufgenommene Nahrungsmenge<br />

führt weder zu einer Gewichtszunahme noch zu einer Gewichtsabnahme<br />

● keine stärkere körperliche Aktivität<br />

● keine begleitende Infektionskrankheit<br />

● keine Phasen mit atypisch hohem bzw. niedrigem Insulinbedarf<br />

Falls die Höhe der täglichen Basalrate sehr stark von der Hälfte des Tagesgesamtinsulins<br />

abweicht, ist immer zu vermuten, dass eine strikte Aufteilung zwischen Basalinsulin<br />

und Nahrungsinsulin nicht erfolgt ist.<br />

3.2.3 Ermittlung der Basalrate<br />

Aufgrund der bisherigen Ausführungen können wir folgende Merksätze zusammenfassen:<br />

● Für eine erfolgreiche, vorteilhafte Insulinpumpen-Therapie ist die Ermittlung<br />

des adäquaten Basalratenprofils von großer Bedeutung.<br />

● Eine einmal gefundene und sich als richtig bewährte Basalrate sollte nicht<br />

vorschnell komplett geändert werden.<br />

● In Sondersituationen (z.B. sportliche Aktivität, Infektionskrankheit) ist<br />

es wünschenswert, das Basalratenprofil während eines bestimmten Zeitraums<br />

prozentual abzusenken bzw. prozentual zu erhöhen. Eine solche<br />

prozentuale Basalratenvariation ist beispielsweise bei den Insulinpumpenmodellen<br />

H-TRONplus und D-TRONplus möglich.<br />

50<br />

Wie findet man die passende Basalrate?<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Bei der Umstellung von ICT auf Insulinpumpen-Therapie hat sich folgende Vorgehensweise<br />

bewährt (Modifikation nach Empfehlungen des Insulinpumpenzentrums München-Bogenhausen,<br />

Abb. 21).<br />

a) Patienten mit vorbestehender befriedigender bis guter Blutzuckereinstellung und<br />

seltenen Hypoglykämien (d.h. HbA 1c etwa 7 - 8 %; höchstens im <strong>Mit</strong>tel zwei leichtere<br />

Unterzuckerungen pro Woche):<br />

➔ Tagesgesamtinsulinmenge unter ICT um 10 - 20 % verringern;<br />

von der verbleibenden Menge für die Basalrate die Hälfte nehmen<br />

b) Patienten mit guter bis sehr guter vorangegangener Einstellung und häufigen Hypoglykämien<br />

(d.h. HbA 1c unter 7%, im <strong>Mit</strong>tel mehr als zwei Unterzuckerungen pro Woche):<br />

➔ Insulinmenge unter ICT um ca. 30 % reduzieren;<br />

von der verbleibenden Menge für die Basalrate die Hälfte nehmen<br />

c) Patienten mit vorbestehender nicht befriedigender Stoffwechselqualität und seltenen<br />

Hypoglykämien (d.h. HbA 1c über 8 %; im Durchschnitt weniger als eine Unterzuckerung<br />

pro Woche):<br />

➔ Insulinmenge nicht reduzieren;<br />

➔ Von der vorbestehenden Tagesgesamtinsulinmenge wird 45 - 50 % als Basalrate über<br />

24 Stunden angesetzt.<br />

Abb. 21: Umstellung von ICT auf Insulinpumpenbehandlung<br />

Für die Festlegung der stündlichen Basalraten ist ein Rechenschieber hilfreich, der<br />

bei Roche Diagnostics erhältlich ist. Hiermit kann man für eine bestimmte Basalrate/<br />

24 Std. (z.B. 18 I.E.) leicht ermitteln, wie hoch die einzelnen Basalraten für die Stundenintervalle<br />

während eines Tages sind – dabei ist der charakteristische zweigipflige<br />

Basalratenverlauf während 24 Stunden Voraussetzung (Abb. 22).<br />

Ergänzende Hinweise:<br />

1. Start der Insulinpumpen-Therapie<br />

Bei Beginn einer Insulinpumpen-Therapie ist zu bedenken, dass ein vorher gespritztes<br />

Verzögerungsinsulin noch nachwirkt und eine zu niedrige Basalrate vortäuscht. Die Erstanlage<br />

der Insulinpumpe sollte daher am Vormittag nach dem Frühstück erfolgen,<br />

wobei der Diabetiker zuvor auf sein morgendliches Basalinsulin verzichtet hat. Entsprechendes<br />

gilt bei der Rückumstellung einer vorübergehenden ICT-Behandlung auf<br />

die Insulinpumpen-Therapie.<br />

51


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

2. Anpassung in der Einstellungszeit<br />

Bei Neueinstellung auf die Insulinpumpen-Therapie kommt es in der Regel zu einer<br />

besseren Ausgeglichenheit der Blutzuckerverläufe mit geringerer Hypoglykämiehäufigkeit<br />

und reduzierten Blutzuckerspitzen. Durch die insgesamt stabileren Blutzuckerverläufe<br />

erfolgt eine Verbesserung der Insulinempfindlichkeit, d.h. der Tagesgesamtinsulinbedarf<br />

und damit auch die Basalraten können nicht selten während der ersten<br />

14 Tage nach Beginn einer Insulinbehandlung zusätzlich um ca. 5 -15 % verringert<br />

werden.<br />

3. Atypischer Basalratenverlauf<br />

● Es besteht ein relativ hoher Insulinbedarf morgens und eher geringer Insulinbedarf<br />

abends (überhöhter Morgengipfel, abgeflachter Abendgipfel). Ein solches Basalratenprofil<br />

kommt nach unseren Erfahrungen nicht selten bei schlanken Frauen<br />

mit großer Insulinempfindlichkeit und später Erstmanifestation nach dem 20. Lebensjahr<br />

vor.<br />

● Der zweigipflige Verlauf ist nur sehr gering ausgeprägt (abgeflachter Morgen-und<br />

Abendgipfel, ausgefüllte Täler). Diese Basalrate findet sich häufiger bei Langzeitdiabetikern<br />

mit fortgeschrittener autonomer Polyneuropathie.<br />

● Das Basalratenprofil ist zwar typisch zweigipflig, jedoch auf erhöhtem Niveau. Ein<br />

so gearteter Basalratenverlauf zeigt sich mitunter bei übergewichtigen Typ-1-Diabetikern<br />

(als Ursache wird eine zusätzliche periphere Insulinresistenz diskutiert).<br />

4. Nächtliche Basalrate<br />

Die bedarfsangemessene Insulinbereitstellung während der Nacht ist ein wesentlicher<br />

Vorteil der Insulinpumpenbehandlung im Vergleich zur Spritzentherapie. Eine bewusst<br />

niedrig programmierte Basalrate in der ersten Nachthälfte, also um <strong>Mit</strong>ternacht,<br />

verringert im Regelfall die Gefahr einer Unterzuckerung während des Schlafens deutlich.<br />

Dadurch ist üblicherweise eine Erhöhung des Blutzuckerzielbereiches vor dem<br />

Schlafengehen nicht notwendig. Zum Ausgleich empfehlen wir, die Basalrate in der<br />

zweiten Nachthälfte, d.h. etwa morgens ab 4.00 Uhr bei Verwendung von Normalinsulin<br />

und ab 5.00 Uhr bei Gebrauch von kurzwirksamem Insulinanalogon zu erhöhen.<br />

Unter dieser Strategie für die Programmierung der nächtlichen Basalrate tritt eine<br />

Hypoglykämie, wenn überhaupt, erst in den Morgenstunden auf, d.h. zu einer Zeit der<br />

geringeren Schlaftiefe bei gleichzeitig besserer Wahrnehmung von Unterzuckerungszeichen.<br />

Auf besondere Situationen mit erhöhtem Risiko für eine nächtliche Unterzuckerung<br />

wird in Kapitel 11 eingegangen.<br />

5. Vorübergehende Basalratenerhöhung<br />

Während mancher akuter Begleiterkrankung (z.B. fieberhafter Infekt) oder nach einer<br />

ketoazidotischen Entgleisung ist der Basalratenbedarf über mehrere Stunden erhöht.<br />

Diesem Sachverhalt kann durch eine vorübergehende Basalratenerhöhung entgegengewirkt<br />

werden. Dies ist beispielsweise bei den InsulinpumpenH-TRONplus und<br />

D-TRONplus möglich. Alternativ kann in etwa 3-stündigen Intervallen Korrekturinsu-<br />

52<br />

lin als Bolus in geringen Mengen gegeben<br />

werden. Auch durch medikamentöse<br />

Einflüsse (z.B. durch eine Cortisonbehandlung)<br />

kann es zu einer deutlichen<br />

Veränderung des Basalratenbedarfs<br />

kommen.<br />

6. Menstruationszyklus<br />

Bei Frauen ist nicht selten eine wechselnde<br />

Insulinempfindlichkeit parallel<br />

zum Menstruationszyklus zu beobachten.<br />

Es kommt häufig vermehrt an den<br />

Tagen vor der Monatsblutung zu einer<br />

vorübergehenden Erhöhung des Insulinbedarfs<br />

und mit Einsetzen der Periode<br />

wieder zu einer Verringerung. Bisweilen<br />

verhält es sich aber genau umgekehrt,<br />

oder es ist keine Beeinflussung<br />

feststellbar. Daher ist es vorteilhaft, in<br />

dieser Zeit engmaschige BZ-Kontrollen<br />

durchzuführen und zu protokollieren,<br />

um eigene Gesetzmäßigkeiten zu erkennen.<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

7. Schwangerschaft<br />

Während der Schwangerschaft muss die Basalrate in der ersten Hälfte (etwa bis zur<br />

20. Woche) meist geringgradig verringert werden. Erfahrungsgemäß steigt der Basalratenbedarf<br />

in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft oft sehr deutlich an, mitunter<br />

bis mehr als das Doppelte des Ausgangsniveaus. Nach der Entbindung ist in der Regel<br />

eine drastische Reduzierung der Insulinmenge notwendig.<br />

8. Vorübergehende Basalratensenkung<br />

Bei körperlicher Aktivität über mehrere Stunden (z.B. Bergwanderung, Fahrradtour)<br />

ist auch der Basalinsulinbedarf geringer. Deshalb empfiehlt sich in solchen Fällen eine<br />

Basalratenabsenkung (ca. um 50 % oder auch mehr). Bei einem mehrstündigen kompletten<br />

Insulinpumpenstopp kann es allerdings leicht zu einem deutlichen Insulinmangel<br />

kommen und dadurch bedingt zu einem Blutzuckeranstieg trotz körperlicher<br />

Aktivität (siehe auch Kapitel 8).<br />

9. Änderungen der Basalrate<br />

Änderungen an der Basalrate sind insgesamt eher selten vorzunehmen und sollten<br />

sehr überlegt erfolgen. Ihre Richtigkeit sollte durch gezielte Fastentests überprüft<br />

werden (siehe 3.2.4). Große Sprünge in der Insulinempfindlichkeit sind von einer Stun-<br />

53


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

de zur anderen physiologisch nicht zu erwarten. Deshalb sollte sich auch die Basalratenhöhe<br />

nicht zu abrupt ändern. Sogenannte »Manhattan-Profile« mit deutlichem,<br />

häufig wechselndem »Auf und Ab« müssen immer kritisch hinterfragt werden. Nicht<br />

selten sind sie Ausdruck von häufig wiederkehrenden Ereignissen (z.B. Hypoglykämie<br />

nach Alkoholgenuss, erhöhte Eiweißzufuhr am Abend), die fälschlicherweise in die<br />

Basalratenprogrammierung übernommen werden.<br />

Bei Verwendung von Normalinsulin mit einer Wirkdauer von ca. 4 Stunden ist zu berücksichtigen,<br />

dass sich eine Basalratenänderung erst ca. 2 Stunden später auswirkt.<br />

Beispielsweise zeigt sich der Effekt einer Änderung um 10.00 Uhr morgens erst nach<br />

ca. 2 Stunden, d.h. etwa um 12.00 Uhr. Dies erklärt sich durch die verzögerte Aufnahme<br />

des Normalinsulins aus dem subkutanen Depot. Aufgrund der kürzeren Wirkdauer<br />

und des unmittelbar einsetzenden Wirkbeginns spielen diese Überlegungen bei der<br />

Anwendung von einem kurzwirksamen Insulinanalogon eine geringere Rolle (Vorlaufzeit<br />

etwa 30 Minuten).<br />

54<br />

Tipp: Start mit der Insulinpumpe<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Zu Beginn der Insulinpumpenbehandlung empfehlen wir ebenfalls, den Blutzuckerzielbereich<br />

etwas anzuheben. Es ist immer wieder überraschend, wie deutlich die Tagesgesamtmenge an<br />

Insulin bei kontinuierlicher, bedarfsangemessener Basalversorgung verringert werden kann.<br />

Absenkungen der Gesamtinsulinmenge von 30% und mehr sind keine Seltenheit. Bei dosisgleichem<br />

Übergang von ICT auf Insulinpumpe besteht ein relativ hohes Risiko für gehäufte Unterzuckerungen.<br />

In der Anfangszeit der Insulinpumpen-Therapie hat man diesen Aspekt mitunter zu wenig beachtet.<br />

Es gibt Berichte über eine vorübergehende Verschlechterung einer vorbestehenden diabetischen<br />

Retinopathie sowie über ein vermehrtes Auftreten von Netzhautblutungen nach Insulinpumpen-Therapiebeginn.Aus<br />

diesen Gründen raten wir zu einer vorherigen Untersuchung<br />

beim Augenarzt. Gegebenenfalls ist erst großzügig eine Lasertherapie durchzuführen und später<br />

mit der Insulinpumpenbehandlung zu starten.<br />

Falls vor Beginn der Insulinpumpen-Therapie die basale Insulinversorgung mit Lantus erfolgte,<br />

ist die relativ lange Wirkungsdauer dieses Verzögerungsinsulins zu berücksichtigen. Diese<br />

scheint entgegen manchen Behauptungen größere Schwankungen zu haben, vereinzelt kann<br />

sie bis zu 30 Stunden betragen.Wenn unter ICT der basale Insulinbedarf mit einer abendlichen<br />

Einmalgabe von Lantus näherungsweise abgedeckt wurde, haben wir gute Erfahrung damit<br />

gemacht, am Vorabend ein NPH-Insulin spritzen zu lassen und zwar etwa 40 - 50 Prozent der<br />

üblichen Lantusmenge. Der Überlappungseffekt erweist sich dann meist als gering, wenn am<br />

Folgetag in den Vormittagsstunden mit der Insulinpumpenbehandlung begonnen wird.<br />

Wegen der kaum vorhersehbaren Absenkung des Insulinbedarfs raten wir in den ersten Tagen<br />

nach Beginn der Insulinpumpen-Therapie zu einer besonderen Vorsicht beim Autofahren. Die<br />

Fahrtüchtigkeit kann, wie amerikanische Studien zeigten, bereits bei Blutzuckerwerten von<br />

50 -70 mg/dl – also im grenzwertig hypoglykämischen Bereich – erheblich beeinträchtigt sein.<br />

Dieser Aspekt ist insbesondere bei einer ambulanten Umstellung auf die Insulinpumpe zu beachten,<br />

und der Insulinpumpenträger sollte über diese Problematik informiert sein.<br />

Vor dem Start einer Insulinpumpenbehandlung setzen wir voraus, dass der Insulinpumpenträger<br />

die intensivierte Insulinbehandlung (ICT) mit Spritze/Pen beherrscht.Als einfach zu überprüfendes,<br />

minimales Kriterium ist zu fordern, dass diese über einen Zeitraum von mindestens<br />

sechs Monaten durchgeführt wurde. Dies erleichtert es abzuschätzen, inwieweit mit der Insulinpumpe<br />

eine bessere Einstellung zu erwarten ist. Eventuelle andere Probleme, die trotz Insulinpumpen-Therapie<br />

erfahrungsgemäß nicht gelöst werden, lassen sich rascher erkennen.<br />

Viele Behandlungserfordernisse sind unabhängig von der Art der Insulinabgabe und können<br />

so bereits eingeübt werden. Zudem kann später bei einer längeren Insulinpumpenpause, einem<br />

Insulinpumpendefekt ohne Ersatzgerät oder einem geplanten mehrtätigen Ablegen der Insulinpumpe,<br />

auf die Vorerfahrungen mit ICT zurückgegriffen werden.<br />

55


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Abb. 22: »Rechenschieber« für Basalratenverteilung nach Dr. R. Renner, München<br />

56<br />

Tipp: Basalratenveränderung<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Ein weiterer Vorteil der Insulinpumpen-Therapie gegenüber ICT ist die Möglichkeit der relativ<br />

einfach und rasch durchzuführenden Basalratenvariation, d.h. für einen gewissen Zeitraum<br />

kann die fest einprogrammierte Basalrate bewusst verändert werden. Bei den Insulinpumpenmodellen<br />

Medtronic Minimed 508 und Medtronic Paradigm wird als vorübergehend neue<br />

Basalrate eine konstante, d.h. feste Größe eingegeben. Dagegen kann bei den Insulinpumpen<br />

H-TRONplus und D-TRONplus die Basalrate prozentual in 10%-lntervallen erniedrigt bzw. erhöht<br />

werden. Bei der Insulinpumpe H-TRONplus erfolgt die Basalratenabsenkung standardmäßig<br />

während eines Zeitraumes von 4 Stunden, die Basalratenerhöhung ist beim Standardmodell<br />

für 12 Stunden einprogrammiert. Diese Zeiten können jedoch von Roche Diagnostics<br />

(Disetronic) umprogrammiert werden. Bei der Insulinpumpe D-TRONplus ist die Basalratenabsenkung<br />

von 1-24 h frei einstellbar.<br />

Eine Basalratenabsenkung kann in folgenden Fällen in Betracht gezogen werden:<br />

● im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität (siehe Kapitel 8)<br />

● Falls bei Alkoholgenuss die Aufnahme von Extra-BE nicht gewünscht wird, kann durch Basalratenabsenkung<br />

einer drohenden Hypoglykämie zirka 3 - 6 Stunden nach Alkoholgenuss<br />

vorgebeugt werden.<br />

● <strong>Mit</strong>unter ist auch eine bewusste Anhebung des Blutzuckerzielbereiches wünschenswert<br />

(z.B. vor/bei längerer Autofahrt). Wer dies nicht mit Extra-BE bzw. Verringerung des vorangehenden<br />

Nahrungsbolus erreichen möchte, kann stattdessen auch die Basalrate vorübergehend<br />

absenken. Immer dann, wenn das Unterzuckerungsrisiko über einen längeren Zeitraum<br />

bewusst verringert werden soll (z.B. auch bei wichtigen Besprechungen), kann an eine<br />

Basalratenabsenkung gedacht werden.<br />

● Bei Verwendung von Normalinsulin kommt es nach einem großen Nahrungsbolus (z.B. mehr<br />

als 8 I.E.) aufgrund der relativ langen Wirkungsdauer nach 3 - 5 Stunden oft zu einem »Insulinüberhang«.<br />

Falls in diesem Zeitraum eine Zwischenmahlzeit auf keinen Fall gewünscht<br />

wird, lässt sich eine drohende Unterzuckerungsneigung statt dessen auch durch Basalratenabsenkung<br />

verringern.<br />

Eine Basalratenerhöhung ist bei einer vorübergehenden Verschlechterung der Insulinempfindlichkeit<br />

angezeigt. Als Beispiele hierfür können genannt werden:<br />

● fieberhafte Infekte<br />

● medikamentöse Begleitbehandlung (z.B. mit kortisonhaltigen Tabletten)<br />

● nach einer ketoazidotischen Entgleisung<br />

● verminderte körperliche Bewegung (z.B. »Faulenzerurlaub«, Bettlägerigkeit)<br />

● vereinzelt im Rahmen des Menstruationszyklus.<br />

57


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Tipp: Geringer Insulinbedarf<br />

Nachdem im Jahre 2002 der Vertrieb von H-Tronin 40 eingestellt wurde, ist derzeit in vorgefertigten<br />

Verpackungen bedauerlicherweise kein U40-Insulin mehr erhältlich, das offiziell für die<br />

Insulinpumpenbehandlung zugelassen ist. Früher hatten wir bei sehr guter Insulinempfindlichkeit,<br />

d.h. bei einem täglichen Gesamtbedarf von weniger als 25 I.E. unter ICT, die Verwendung<br />

eines U40-Insulins empfohlen.Wird stattdessen auch in diesen Fällen ein U100-Insulin benutzt,<br />

bestehen folgende wesentliche Nachteile:<br />

● Geringere Durchflussrate, deshalb höheres Risiko für einen Katheterverschluss.<br />

● Zeitlich späteres Auftreten eines Verstopfungsalarmes, da dieser von der absoluten Insulinmenge<br />

abhängig ist.<br />

● Der Gesamtinhalt einer Insulinampulle reicht mehr als 10 Tage. Deshalb ist das Insulin<br />

relativ lange ungünstigen äußeren Einflüssen wie Schütteln und Wärme ausgesetzt.<br />

● Höheres Risiko für die Entstehung von Luftblasen. Diese haben zusätzlich eine größere<br />

Bedeutung, denn gleich große Luftblasen entsprechen bei einer U100-Konzentration<br />

mehr Insulineinheiten.<br />

● U100-Insuline fluten hinsichtlich der blutzuckersenkenden Wirkung etwas langsamer<br />

an als U40-Insuline, d.h. Wirkungsbeginn und Wirkungsmaximum sind zeitlich später, die<br />

Wirkungsdauer ist etwas länger. Dieser Gesichtspunkt ist insbesondere bei der Verwendung<br />

von Normalinsulin zu beachten.<br />

Sollten im Einzelfall einige dieser Nachteile von erheblicher Bedeutung sein, kann als Ersatzlösung<br />

folgendes ausprobiert werden:<br />

In der Apotheke lässt man das U100-Insulin aus einem 10 ml Fläschchen mit einer geeigneten<br />

Verdünnungslösung im Verhältnis 1:1 mischen und wieder steril verpacken. Damit bekommt<br />

man eine U50-Konzentration, d.h. 1 ml der neuen Mischlösung enthält 50 I.E. Insulin und nicht<br />

wie üblich 100 I.E. Diese Mischlösung kann in die für das jeweilige Insulinpumpenmodell<br />

geeignete Insulinampulle umgefüllt werden. Auch für die Insulinpumpen D-TRONplus und<br />

H-TRONplus gibt es entsprechende Leerpatronen. Anschließend ist zu beachten:<br />

● Wird ein Bolus von 1 I.E. per Knopfdruck abgegeben, so entspricht dies nur einer Insulinmenge<br />

von 0,5 I.E. (Faktor 1/2!).<br />

● Wird eine Insulinmenge von 1 I.E. benötigt, so muss per Knopfdruck ein Bolus von 2 I.E.<br />

gesetzt werden (Faktor 2!)<br />

Anders ausgedrückt: Die per Knopfdruck abzugebende Menge ist formal doppelt so groß wie<br />

die gewünschte tatsächliche Insulinmenge. Eine Insulinampulle mit der U50-Mischlösung<br />

reicht nur halb so lange wie eine frühere U100-Originallösung. Die Durchflussgeschwindigkeit<br />

58<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

ist doppelt so hoch; ein eventueller Verstopfungsalarm erscheint bereits nach der Hälfte der<br />

üblichen Zeit.<br />

<strong>Mit</strong> dieser Methode lässt sich prinzipiell jede beliebige Insulinkonzentration erzeugen. Beispielsweise<br />

erhält man eine U40-Konzentration, wenn ein U100-Insulin mit der entsprechenden<br />

Mischlösung im Verhältnis 2:3 verdünnt wird.<br />

Nach Angaben der Insulinhersteller ist eine physiologische Kochsalzlösung aus Stabilitätsgründen<br />

zum Mischen nicht geeignet und offiziell auch nicht zugelassen. Für U100 Humalog<br />

wird von Lilly die Lösung »Sterile Diluent ND-800« angeboten. Diese ist in 10 ml Fläschchen erhältlich<br />

und besitzt die Zulassung in den USA. Weitere Informationen hierzu erteilt die Kundenbetreuung<br />

der Fa. Lilly unter der Telefonnummer 0180/1545592. Für das Normalinsulin<br />

Insuman Infusat kann über Aventis als geeignete Mischlösung die Substanz »Verdünnungspuffer<br />

HOE 21 PH« bezogen werden. Dagegen ist nach Aussage Novo Nordisk für das U100 Insulin<br />

NovoRapid keine Verdünnungslösung erhältlich.<br />

Es wird allerdings ausdrücklich betont, dass die Verdünnung eines U100-Insulins selbstverständlich<br />

keine Routinemaßnahme sein darf, sondern sie sollte nur in besonderen Ausnahmefällen<br />

unter fachlich kompetenter Aufsicht durchgeführt werden.<br />

59


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

3.2.4 Überprüfung der Basalrate<br />

Die Basalrate kennzeichnet den Insulinbedarf des Organismus ohne begleitende Nahrungsaufnahme.<br />

Somit erscheint es naheliegend, die Richtigkeit des Basalratenprofils<br />

durch eine Nahrungspause ohne wesentliche körperliche Aktivität zu überprüfen. Ein<br />

24-stündiger Fastentag wird von manchen Insulinpumpenzentren auch heute noch favorisiert.<br />

Wir empfehlen stattdessen gezielte Mahlzeitenauslassversuche, d.h. es wird<br />

jeweils nur eine Hauptmahlzeit sowie die eventuell anschließende Zwischenmahlzeit<br />

weggelassen. Voraussetzung hierfür ist ein Ausgangsblutzucker von 80-140 mg/dl<br />

bzw. 4,4 - 7,8 mmol/l. Durch zweistündliche Blutzuckermessungen wird nun überprüft,<br />

ob die Basalrate »passt«. Im Anschluss daran können Änderungen der Basalrate gezielt<br />

und dosiert vorgenommen werden.<br />

Zwar erstreckt sich dieses Vorgehen über mehrere Tage, es wird jedoch von den Insulinpumpenträgern<br />

als viel angenehmer empfunden. Außerdem kann es während einer<br />

24-stündigen Nahrungspause zu störenden Stoffwechselvorgängen mit vermehrtem<br />

Eiweiß- und Fettabbau kommen, wodurch sich die Insulinempfindlichkeit und damit<br />

der basale Insulinbedarf ändert. Gezielte Mahlzeitenauslassversuche können auch<br />

ohne weiteres ambulant unter häuslichen Bedingungen erfolgen.<br />

Eine mögliche Vorgehensweise für die Basalratentestung durch Mahlzeitenauslassversuche<br />

ist in Abb. 23 zusammengestellt.<br />

Bei der Austestung des Basalratenprofils ist gerade die nächtliche Basalrate besonders<br />

wichtig. Nur wenn diese relativ genau ermittelt wurde, ist zum einen das Risiko für<br />

eine nächtliche Unterzuckerung gering, zum anderen die Wahrscheinlichkeit für gute<br />

Blutzuckernüchternwerte hoch. Damit ist ein längeres Ausschlafen mit guten Blutzuckerwerten<br />

ohne weiteres möglich.<br />

Ein weiterer wichtiger Hinweis für die Richtigkeit des Basalratenprofils ergibt sich<br />

daraus, dass zwischen der jeweiligen stündlichen Basalrate, dem BE-Faktor und der<br />

Korrekturzahl zu einer bestimmten Tageszeit ein logischer Zusammenhang besteht.<br />

Die verbindende Größe wird durch die entsprechende Insulinempfindlichkeit charakterisiert.<br />

Bei geringer Basalrate ist der BE-Faktor entsprechend klein und die Korrekturzahl<br />

verhältnismäßig groß. Bei hoher Basalrate verhält es sich umgekehrt.<br />

Grobe Richtwerte für die Beziehung zwischen Basalrate, BE-Faktor und Korrekturzahl<br />

sind in Abb. 24 aufgeführt. Sie müssen selbstverständlich individuell angepasst werden.<br />

60<br />

Tag A: kein Frühstück<br />

Tag B: kein <strong>Mit</strong>tagessen<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Tag C: kein Abendessen, ab 21.00 Uhr Spätmahlzeit erlaubt<br />

Tag D: nach dem Abendessen: Keine Spätmahlzeit!<br />

Ausgangsblutzucker: zwischen 80 und 140 mg/dl bzw. 4,4 - 7,8 mmol/l<br />

Durchführung: • Blutzuckermessung alle 2 Stunden<br />

(nachts in der Regel 22.00 Uhr, 2.00 Uhr, 6.00 Uhr)<br />

• keine Zwischenmahlzeiten<br />

• ausreichend trinken<br />

• möglichst wenig körperliche Bewegung<br />

Abbruch: Fall 1: wenn Blutzucker stark ansteigt ➔ Basalrate erhöhen<br />

Abb. 23: A-B-C-D-Basalratentest<br />

Basalrate<br />

[I.E. Insulin pro Stunde]<br />

0,5<br />

1,0<br />

1,5<br />

2,0<br />

3,0<br />

Fall 2: wenn Blutzucker stark abfällt ➔ Basalrate reduzieren<br />

Hinweise: • Die A-B-C-D-Fastentests sind zur Feineinstellung der<br />

Basalrate empfehlenswert.<br />

• Zwischen zwei Fastentests sollten mindestens 3 Hauptmahlzeiten<br />

eingenommen werden.<br />

• kein Fastentest bei Krankheit.<br />

• kein Fastentest nach vorangegangener Hypoglykämie oder<br />

ketoazidotischer Entgleisung.<br />

• kein Fastentest nach vorhergehendem Alkoholkonsum.<br />

• Nach Korrektur der Basalrate muss meist der BE-Faktor<br />

angepasst werden.<br />

Abb. 24: Anhaltspunkte für den Insulinbedarf<br />

BE-Faktor<br />

[I.E. Insulin pro BE]<br />

0,6<br />

1,0<br />

1,8<br />

2,5<br />

4,0<br />

Korrekturzahl<br />

[mg/dl pro I.E. Insulin]<br />

60<br />

40<br />

30<br />

25<br />

20<br />

61


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Im Folgenden wird mit zwei Beispielen aufgezeigt, wie der Zusammenhang zwischen<br />

Basalratenmenge und Bolusbedarf im Einzelfall aussehen kann. Aufgeführt ist der<br />

Nahrungsbolus in Abhängigkeit von der geplanten BE-Menge, zusätzlich wird der<br />

eventuell erforderliche Korrekturbolus mit dem zugehörigen empfehlenswerten<br />

Drück-Ess-Abstand (DEA) angegeben.<br />

Beispiel 1<br />

● 28jährige Frau, Typ-1-<strong>Diabetes</strong> seit dem 14. Lebensjahr,<br />

seit 2 Jahren Insulinpumpenbehandlung<br />

● Insulinpumpenmodell: H-TRONplus, Insulin: Insuman Infusat<br />

● keine Folgeerkrankungen<br />

● Es liegt ein klassisches Dawn-Phänomen mit typischerweise<br />

erhöhtem Insulinbedarf in den Morgenstunden vor.<br />

Auch in den Abendstunden ist der basale Insulinbedarf erhöht.<br />

62<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

0<br />

0<br />

Basalrate [I.E./h] Datum/Date<br />

Abb. 25: Basalrate Beispiel 1<br />

Tagessumme 22,3 I.E.<br />

2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 h<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

0<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Bolusplan Beispiel 1 (in mg/dl): Insuman Infusat als Pumpeninsulin<br />

Nahrungsinsulin Korrekturinsulin Drück-Ess-Abstand<br />

morgens:<br />

BE-Faktor 2,0 I.E./BE<br />

1. Zwischenmahlzeit<br />

mittags:<br />

2. Zwischenmahlzeit: BE-Faktor 1,0 I.E./BE (siehe oben)<br />

abends<br />

1 BE ➔ 2,0 I.E.<br />

2 BE ➔ 4,0 I.E.<br />

3 BE ➔ 6,0 I.E.<br />

4 BE ➔ 8,0 I.E.<br />

usw.<br />

BE-Faktor 1,0 I.E./BE<br />

1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />

2 BE ➔ 2,0 I.E.<br />

3 BE ➔ 3,0 I.E.<br />

BE-Faktor 1,0 I.E./BE<br />

1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />

2 BE ➔ 2,0 I.E.<br />

3 BE ➔ 3,0 I.E.<br />

4 BE ➔ 4,0 I.E.<br />

usw.<br />

BE-Faktor 1,5 I.E./BE<br />

1 BE ➔ 1,5 I.E.<br />

2 BE ➔ 3,0 I.E.<br />

3 BE ➔ 4,5 I.E.<br />

4 BE ➔ 6,0 I.E.<br />

usw.<br />

Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />

bis 80: 0,0 I.E.<br />

81 - 120: 0,0 I.E.<br />

121 - 140: + 0,5 I.E.<br />

141 - 160: + 1,0 I.E.<br />

161 - 180: + 1,5 I.E.<br />

181 - 200: + 2,0 I.E.<br />

Korrekturzahl<br />

entfällt<br />

Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />

bis 80: – 0,5 I.E.<br />

81 - 140: 0,0 I.E.<br />

141 - 160: + 0,5 I.E.<br />

161 - 180: + 1,0 I.E.<br />

181 - 200: + 1,5 I.E.<br />

Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />

bis 80: 0,0 I.E.<br />

81 - 140: 0,0 I.E.<br />

141 - 160: + 0,5 I.E.<br />

161 - 180: + 1,0 I.E.<br />

181 - 200: + 1,5 I.E.<br />

Spätmahlzeit: BE-Faktor 1,0 I.E./BE (siehe oben)<br />

Abb. 26: Bolusplan Beispiel 1 (in mg/dl): Insuman Infusat als Pumpeninsulin<br />

Bolusabgabe<br />

vor dem Essen<br />

ca. 15 Minuten<br />

ca. 20 Minuten<br />

ca. 30 Minuten<br />

ca. 35 Minuten<br />

ca. 45 Minuten<br />

Bolusabgabe<br />

vor dem Essen<br />

Bolusabgabe<br />

beim Essen<br />

vor dem Essen<br />

ca. 10 Minuten<br />

ca. 20 Minuten<br />

ca. 30 Minuten<br />

Bolusabgabe<br />

vor dem Essen<br />

ca. 10 Minuten<br />

ca. 20 Minuten<br />

ca. 30 Minuten<br />

ca. 40 Minuten<br />

63


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Beispiel 2<br />

● 55jähriger Mann, Typ-1-<strong>Diabetes</strong> seit dem 12. Lebensjahr,<br />

Insulinpumpen-Therapie seit 5 Jahren<br />

● Insulinpumpenmodell: H-TRONplus, Insulin: Humalog<br />

● Folgeerkrankungen: Polyneuropathie, Nephropathie<br />

Von der Persönlichkeitsstruktur handelt es sich um einen disziplinierten, gewissenhaften,<br />

kritisch denkenden, bzgl. der <strong>Diabetes</strong>erkrankung sehr selbständig handelnden<br />

Menschen, der um ausgefeilte Anpassungsregeln bemüht ist.<br />

Der täglich notwendige Gesamtinsulinbedarf beträgt ca. 30 - 35 I.E. Insulin, davon<br />

15,1 I.E. als basales Insulin. Es handelt sich um ein Beispiel mit einem eher niedrigen<br />

täglichen Insulinbedarf und relativ geringer Schwankungsbreite des Basalratenprofils.<br />

Diese Kennzeichen finden sich nicht selten bei Langzeitdiabetikern mit einer Erkrankungsdauer<br />

von 20 Jahren und mehr.<br />

64<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

0<br />

0<br />

Basalrate [I.E./h] Datum/Date<br />

Abb. 27: Basalrate Beispiel 2<br />

Tagessumme 15,1 I.E.<br />

2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22<br />

0<br />

24 h<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

Bolusplan Beispiel 2 (in mg/dl): Humalog als Pumpeninsulin<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Nahrungsinsulin Korrekturinsulin Drück-Ess-Abstand<br />

morgens:<br />

BE-Faktor 1,0 I.E./BE<br />

1. Zwischenmahlzeit<br />

mittags:<br />

2. Zwischenmahlzeit: BE-Faktor 0,7 I.E./BE (siehe oben)<br />

abends<br />

1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />

2 BE ➔ 2,0 I.E.<br />

3 BE ➔ 3,0 I.E.<br />

4 BE ➔ 4,0 I.E.<br />

usw.<br />

BE-Faktor 0,7 I.E./BE<br />

1 BE ➔ 0,5 I.E.<br />

2 BE ➔ 1,5 I.E.<br />

3 BE ➔ 2,0 I.E.<br />

BE-Faktor 0,6 I.E./BE<br />

1 BE ➔ 0,5 I.E.<br />

2 BE ➔ 1,0 I.E.<br />

3 BE ➔ 2,0 I.E.<br />

4 BE ➔ 2,5 I.E.<br />

usw.<br />

BE-Faktor 0,8 I.E./BE<br />

1 BE ➔ 1,0 I.E.<br />

2 BE ➔ 1,5 I.E.<br />

3 BE ➔ 2,5 I.E.<br />

4 BE ➔ 3,0 I.E.<br />

usw.<br />

Korrekturzahl 40 mg/dl/I.E.<br />

bis 80: 0,0 I.E.<br />

81 - 140: 0,0 I.E.<br />

141 - 160: + 0,5 I.E.<br />

161 - 180: + 1,0 I.E.<br />

181 - 200: + 1,5 I.E.<br />

Korrekturzahl<br />

entfällt<br />

Korrekturzahl 60 mg/dl/I.E.<br />

bis 80: – 0,5 I.E.<br />

81 - 140: 0,0 I.E.<br />

141 - 170: + 0,5 I.E.<br />

171 - 200: + 1,0 I.E.<br />

201 - 230: + 1,5 I.E.<br />

Korrekturzahl 50 mg/dl/I.E.<br />

bis 80: 0,0 I.E.<br />

81 - 140: 0,0 I.E.<br />

141 - 165: + 0,5 I.E.<br />

166 - 190: + 1,0 I.E.<br />

191 - 215: + 1,5 I.E.<br />

Spätmahlzeit: BE-Faktor 0,5 I.E./BE (analog oben)<br />

Abb. 28: Bolusplan Beispiel 2 (in mg/dl): Humalog als Pumpeninsulin<br />

Bolusabgabe<br />

beim Essen<br />

vor dem Essen<br />

ca. 10 Minuten<br />

ca. 15 Minuten<br />

ca. 25 Minuten<br />

Bolusabgabe<br />

vor dem Essen<br />

Bolusabgabe<br />

beim Essen<br />

vor dem Essen<br />

ca. 10 Minuten<br />

ca. 15 Minuten<br />

ca. 20 Minuten<br />

Bolusabgabe<br />

nach dem Essen<br />

vor dem Essen<br />

ca. 10 Minuten<br />

ca. 20 Minuten<br />

ca. 25 Minuten<br />

65


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Bemerkungen zu den Beispielen:<br />

● Im Beispiel 1 wird unabhängig von der Tageszeit stets die gleiche Korrekturzahl<br />

von 40 mg/dl/I.E. benutzt. Um der schlechteren Insulinempfindlichkeit morgens gerecht<br />

zu werden, wird hier bereits ab einem BZ-Wert von 120 mg/dl korrigiert und<br />

zusätzlich der DEA großzügiger verlängert.<br />

● In Beispiel 1 wird bei den Zwischenmahlzeiten stets der im Vergleich zu den Hauptmahlzeiten<br />

eher niedrige BE-Faktor von 1,0 I.E./BE benutzt.<br />

● Der DEA in Beispiel 1 ist morgens tendenziell länger als mittags und abends.<br />

● Im Beispiel 2 entfällt bei Blutzuckerwerten im wünschenswerten Bereich jeglicher<br />

DEA, da das rascher wirksame Insulin Lispro benutzt wird.<br />

● Bei knappen Blutzuckerwerten morgens erfolgt in beiden Beispielen keine Bolusverringerung,<br />

stattdessen wird nur der DEA verkürzt, d.h. es wird beim bzw. nach<br />

dem Essen gespritzt.<br />

● Haupt- und insbesondere Zwischenmahlzeiten können in beiden Beispielen selbstverständlich<br />

entfallen.<br />

● Zu den Zwischenmahlzeiten ist bewusst kein Korrekturinsulin und kein DEA vorgesehen.<br />

Normalerweise erfolgt vor Zwischenmahlzeiten keine Blutzuckerselbstkontrolle<br />

und somit erübrigt sich die Gabe von Korrekturinsulin bzw. das Einhalten eines<br />

DEA. Falls in Sonderfällen eine BZ-Messung stattfindet, können selbstverständlich<br />

entsprechende Konsequenzen gezogen werden.<br />

● Die Anpassungsschemata haben nur Gültigkeit für den »Normalfall«. In Sondersituationen<br />

müssen sinnvolle Änderungen vorgenommen werden. Dies gilt insbesondere<br />

vor körperlicher Aktivität, meist auch vor einer längeren Autofahrt als<br />

Fahrer (in diesen Fällen Bolusverringerung) bzw. bei Begleiterkrankungen mit dadurch<br />

bedingtem vermehrtem Insulinbedarf (Boluserhöhung).<br />

● Das Maximum des Basalratenprofils ist in Beispiel 1 (Normalinsulin!) zeitlich früher<br />

als in Beispiel 2 (Insulin Humalog!).<br />

66<br />

3.3 Das »PPL-System«: Plane – prüfe – lerne<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Wesentliche Fragen bei der Behandlung von Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> (absoluter<br />

Insulinmangel) sind:<br />

● Wie viel Insulin wird in der Blutbahn oder genauer an den Rezeptoren der Zellen<br />

benötigt, damit der Blutzuckerspiegel im wünschenswerten Bereich von 70 -150<br />

mg/dl stabilisiert werden kann?<br />

● Wie kann erreicht werden, dass diese erforderliche Insulinmenge nach Gabe ins<br />

Unterhautfettgewebe zum richtigen Zeitpunkt im Blutkreislauf vorhanden ist?<br />

Beim Gesunden erfolgt die Insulinbildung in den Langerhans’schen Inseln der Bauchspeicheldrüse,<br />

und die Abgabe in die Blutbahn wird entsprechend dem jeweiligen Bedarf<br />

gesteuert. Dabei sind komplexe körpereigene Regulationsmechanismen von Bedeutung.<br />

Aufgrund eines Defektes der Insulinproduktion und -freisetzung ist dies bei Menschen<br />

mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht mehr gewährleistet. Stattdessen muss der »Kopf« des<br />

Typ-1-Diabetikers diese Steuerungsfunktion übernehmen und abschätzen, wie hoch<br />

der Insulinbedarf aktuell und in den Stunden während der Wirkdauer des gespritzten<br />

Insulins sein wird. Diese geschätzte Insulinmenge wird dann in das Unterhautfettgewebe<br />

abgegeben, dabei ist es primär nicht entscheidend, ob dies mit Insulinspritzen,<br />

mit einer Pen-Injektion oder mit Hilfe einer Insulinpumpe geschieht. Anders ausgedrückt:<br />

Das »Organ zwischen den Ohren« muss beim Typ-1-Diabetiker die Steuerungsfunktion<br />

der Bauchspeicheldrüse hinsichtlich der geeigneten Insulinmenge übernehmen.<br />

Nicht die Insulinpumpe an sich ist der Schlüssel zum Erfolg, sondern es kommt darauf<br />

an, wie gut der Mensch mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> erahnen kann, welche Insulinmenge sein<br />

Körper in den verschiedenen Lebenssituationen braucht. Dazu gehört umfangreiches<br />

Wissen, viel Erfahrung, eine gute Wahrnehmung der persönlichen Besonderheiten,<br />

ein ständiges Hinterfragen von Erfolg und Misserfolg, aber auch ein Quäntchen Glück<br />

sowie die Bescheidenheit, nicht alles erklären zu können. Die Insulinpumpe ist lediglich<br />

das zur Zeit optimale Hilfsmittel, um Insulin kontinuierlich in das Unterhautfettgewebe<br />

abzugeben. Entscheidende Fragen sind demnach:<br />

● Wie viel Insulin brauche ich?<br />

● Wovon hängt mein Insulinbedarf ab?<br />

Die Antworten hierauf sind sehr vielschichtig, die Insulinwirkung an der Zelle ist nämlich<br />

von zahlreichen Faktoren abhängig – nicht alle sind messbar und können beeinflusst<br />

werden.<br />

67


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Als wesentliche Bestimmungsgrößen seien genannt:<br />

● Kohlehydratmenge der Nahrung (BE-Anzahl)<br />

● Art der Kohlehydrate (glykämischer Index)<br />

● weitere Nahrungsbestandteile (Eiweiß-, Fett- und Flüssigkeitsanteil)<br />

● körperliche Aktivität (Kapitel 8)<br />

● Insulinempfindlichkeit (Abschnitt 3.1.1)<br />

● Leberstoffwechsel (Abschnitt 3.1.3)<br />

● Muskelauffülleffekt (Abschnitt 3.1.3)<br />

● Autoregulation (Abschnitt 3.1.3)<br />

● Bedarf an basalem Insulin (Abschnitt 3.2.4)<br />

● hormonelle Einflüsse (Kortison, Wachstumshormon, Glukagon, Adrenalin,<br />

Schilddrüsenhormon)<br />

● psychische Situation (Stress, Ärger, Kränkung, Ängste, Trauer, Wut, Verzweiflung)<br />

● circadiane Rhythmik des Insulinbedarfs<br />

● Menstruationszyklus bei Frauen<br />

● begleitende Infekte<br />

● medikamentöse Einflüsse (z.B. Kortisonbehandlung)<br />

● Alkoholgenuss<br />

● Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe.<br />

Manch einer mag angesichts dieser Vielfalt verzweifeln und resignieren und die Meinung<br />

vertreten: »Das schaffe ich nie«. Doch dazu besteht kein Grund. Es gibt eine verhältnismäßig<br />

übersichtliche Methode, wie man sich in diesem Wirrwarr von Einflussfaktoren<br />

zurechtfinden kann, nämlich durch<br />

68<br />

Beobachten – Nachdenken – Handeln.<br />

Eine Hilfe dabei will das sogenannte PPL-System sein: Plane – Prüfe – Lerne.<br />

3.3.1 Planen<br />

Die notwendige Insulinmenge an Bolusinsulin richtet sich im Wesentlichen nach folgenden<br />

Punkten:<br />

1. Was und wie viel will ich essen?<br />

2. Wie ist die aktuelle Blutzucker-Höhe?<br />

3. Ist körperliche Aktivität in den kommenden Stunden geplant?<br />

4. Sind Sonderbedingungen zu berücksichtigen?<br />

5. Ist die Standard-Basalrate richtig?<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Zu 1.:<br />

Der Nahrungsbolus hängt insbesondere davon ab, was gegessen und getrunken wird.<br />

Hierbei ist die BE-Menge wichtig, aber auch die Nahrungszusammensetzung ist von<br />

Bedeutung (Stichwort: glykämischer Index, Abschnitt 12.6). Persönliche Erfahrungen<br />

sind zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlich eiweißreicher Kost (z.B. Steak, Hähnchen)<br />

ist nicht selten eine geringe zusätzliche Menge an Bolusinsulin erforderlich; es<br />

hat sich dabei bewährt, für ca. 30 - 40 g Eiweiß eine Einheit Insulin zusätzlich zu verabreichen,<br />

bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon allerdings mit zeitlicher<br />

Verzögerung (Bolussplitting!). Auch hier gilt: daran denken und ausprobieren.<br />

Zu 2.:<br />

Aufgrund des aktuellen Blutzuckerwertes wird entschieden, ob zusätzlich ein Korrekturbolus<br />

angezeigt ist. Bei erhöhten Blutzuckerwerten haben sich Dosisanpassungsregeln<br />

wie beispielsweise die »40er Regel« bewährt (vgl. Abschnitt 3.1.2). Bei Blutzuckerergebnissen<br />

unter 80 mg/dl ist es oft erfolgreicher, nicht die übliche Menge an Insulin<br />

um 1 bis 2 Einheiten zu verringern, sondern statt dessen den Drück-Ess-Abstand zu<br />

verkleinern, bzw. während des Essens oder auch erst nach dem Essen zu spritzen.<br />

Für die Menge an Korrekturinsulin können neben der Blutzuckerhöhe weitere Gesichtspunkte<br />

von Bedeutung sein:<br />

● Korrekte Ermittlung des tatsächlichen Blutzuckerwertes. Als Hinweise<br />

seien genannt: die Problematik der Messgenauigkeit und der Fehlmessung<br />

(siehe Kapitel 9).<br />

● Blutzuckertrend: Bei ansteigenden Blutzuckerwerten die Insulinmenge<br />

großzügig erhöhen, bei absteigenden Verläufen die Bolusgabe eher verringern.<br />

Der Blutzuckertrend wird im Regelfall nicht nur durch Messung ermittelt – eine<br />

stündliche bzw. halbstündliche Blutzuckerbestimmung wird nicht empfohlen –<br />

sondern er ist durch gedankliche Überlegungen zu erahnen, indem blutzuckerbeeinflussende<br />

Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.<br />

● Mechanismus der »Autoregulation« (siehe Abschnitt 3.1.3).<br />

Zu 3.<br />

Bei körperlicher Aktivität ist der Insulinbedarf geringer. Dies ist bei der Bolusabgabe zu<br />

beachten, wenn die Muskelarbeit während der Wirkdauer des Bolus stattfindet und<br />

wenn sie planbar ist. Entsprechend den persönlichen Erfahrungen ist der übliche Bolus<br />

zu verringern oder/und die Basalrate vorübergehend abzusenken (siehe Abschnitt 8,<br />

körperliche Aktivität). Alternativ sind Zusatz-BE erforderlich.<br />

Zu 4.<br />

Häufig nicht genügend beachtet und unterschätzt wird die Bedeutung von Sonderbedingungen,<br />

die den Insulinbedarf verändern können. Als Beispiele seien aufgeführt:<br />

● fieberhafte Infektionen<br />

● Situationen mit vermehrter psychischer Belastung<br />

69


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

● Einfluss von Alkohol<br />

● Muskelauffülleffekt nach körperlicher Aktivität<br />

● wechselnde Insulinempfindlichkeit beispielsweise durch: Menstruationszyklus,<br />

längerfristig deutlich erniedrigte bzw. erhöhte Blutzuckerverläufe, Gewichtsschwankungen,<br />

mehrtägige drastische Erhöhung bzw. Verringerung der<br />

Gesamtinsulindosis (sog. »up-and-down«-Regulation)<br />

● Wunsch nach bewusster Anhebung des Blutzuckerzielbereichs (längere Autofahrt,<br />

Besprechungen), um eine Unterzuckerung möglichst zu vermeiden.<br />

In solchen Sondersituationen ist teilweise eine größere Bolusgabe zweckmäßig (Infekt,<br />

Stress), teilweise eine Verringerung des Bolus empfehlenswert (höherer Blutzuckerzielbereich,<br />

vor und nach Sport, Alkoholgenuss).<br />

zu 5.<br />

Die bisher beschriebenen Gesichtspunkte zur Ermittlung der Bolusgröße gehen stillschweigend<br />

davon aus, dass die programmierte Basalrate dem tatsächlichen Bedarf an<br />

basalem Insulin unter Standardbedingungen entspricht. Dies muss nicht zwangsläufig<br />

richtig sein. Für eine überschaubare Anwendung des PPL-Systems ist dies allerdings<br />

Voraussetzung. Auf die entsprechenden Ausführungen in Abschnitt 3.2 wird verwiesen.<br />

In der Phase des Planens geht es darum, die erforderliche Menge an Insulin während<br />

der Wirkdauer des verabreichten Bolus zu erahnen. Wünschenswert und notwendig<br />

ist also das »Vor-denken«. Hilfsmittel, sozusagen wesentliche »Handwerkzeuge«, sind<br />

dabei:<br />

● umfassendes Wissen über die Blutzuckerveränderung durch Essen und Trinken<br />

(BE-Kenntnisse, glykämischer Index, BE-Faktoren).<br />

● Einflussgrößen der Insulinwirkung wie Insulinwirkkurven, Insulinempfindlichkeit,<br />

Autoregulation.<br />

● die Möglichkeiten der Korrektur durch Drück-Ess-Abstand und Korrekturzahlen.<br />

● die Auswirkungen von körperlicher Aktivität: Bewegungseinheiten, Muskelauffülleffekt.<br />

● den Bedarf an basalem Insulin, programmierte Basalrate.<br />

● die Berücksichtigung von individuellen Besonderheiten.<br />

● die Nutzung eigener Erfahrungswerte<br />

Abb. 29 beschreibt ein Arbeitsblatt für das praktische Vorgehen mit dem PPL-<br />

System. Für einen konkreten Fall können die einzelnen hier dargestellten Schritte<br />

nachvollzogen werden. Die Bolusgrößen zu den jeweiligen Planungsannahmen sind<br />

einzutragen, das Ergebnis wird bewertet, dann lassen sich geeignete Lernhypothesen<br />

für das zukünftige Vorgehen aufstellen.<br />

70<br />

Praktische Anwendung des PPL-Systems<br />

Blutzuckerwert vorher: ..........................<br />

Was und wie viel will ich essen?<br />

Nahrungsinsulin: .................... I.E.<br />

Ist der Blutzucker im Zielbereich?<br />

evtl. Korrekturinsulin: .................... I.E.<br />

Planen Körperliche Aktivität geplant?<br />

evtl. Insulinverringerung: .................... I.E.<br />

Muss ich Besonderheiten berücksichtigen?<br />

evtl. Insulinveränderung: .................... I.E.<br />

empfehlenswerte Gesamt-Insulinmenge: .................... I.E.<br />

Blutzuckerwert nachher: ..........................<br />

Waren meine Planungsannahmen richtig?<br />

Prüfen Was ist anders als erwartet?<br />

Warum ist der Blutzucker so, wie er ist?<br />

........................................................................................................<br />

........................................................................................................<br />

........................................................................................................<br />

Was kann ich für die Zukunft lernen?<br />

Lernen Was will ich das nächste Mal anders machen?<br />

Abb. 29: Arbeitsblatt zum PPL-System<br />

Welche neuen Erfahrungen sind mir wichtig?<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

........................................................................................................<br />

........................................................................................................<br />

........................................................................................................<br />

71


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

3.3.2 Prüfen<br />

Die Ergebnisse der Blutzucker-Selbstkontrolle sind der »Goldstandard« um zu beurteilen,<br />

ob die verabreichte Insulinmenge richtig war. Damit lassen sich die Planungsannahmen<br />

überprüfen. Für den Zeitpunkt der Blutzuckermessung sind zwei Fälle zu unterscheiden:<br />

a) Nur die Basalrate ist wirksam.<br />

Im Regelfall betrifft dies die Messzeiten »nüchtern«, »vor den Hauptmahlzeiten«, »vor<br />

dem Schlafengehen« und in der zweiten Nachthälfte oder allgemein: Seit der letzten<br />

Bolusgabe ist ein Zeitraum verstrichen, der länger ist als die Wirkdauer des verwendeten<br />

Insulinpumpeninsulins, d.h. bei kurzwirksamem Insulinanalogon mindestens<br />

3 Stunden und bei Normalinsulin mindestens 5 - 6 Stunden. Als Zielbereich ist anzustreben:<br />

80 - 120 mg/dl (vergleiche Abschnitt 3.1.2)<br />

b) Zusätzlich ist Bolusinsulin wirksam.<br />

Eine routinemäßige Bestimmung des Blutzuckerwertes während des Wirkintervalls<br />

des Insulinbolus wird nicht empfohlen. Sollte die Blutzuckermessung bereits weniger<br />

als zwei Stunden nach Bolusgabe von kurzwirksamem Insulinanalogon bzw. weniger<br />

als vier Stunden nach derjenigen von Normalinsulin stattfinden, so ist die noch bestehende<br />

zusätzliche Wirkung des Bolusinsulins zu berücksichtigen. Als Zielbereich ist ein<br />

höherer Wert zu tolerieren, im Regelfall 100 - 160 mg/dl.<br />

Ähnliche Überlegungen sind anzustellen, falls über den Messzeitpunkt hinaus noch<br />

andere wesentliche Faktoren den Blutzucker beeinflussen. Dann gilt es zu erahnen,<br />

wie sich der weitere Blutzuckerverlauf gestalten wird.<br />

Eher zu einem Blutzucker-Anstieg wird es kommen, falls Stunden vorher eine fett- und<br />

eiweißreiche Mahlzeit (z.B. Schnitzel mit Pommes frites, Pizza) gegessen wurde, mitunter<br />

auch nach Speisen mit hohem Ballaststoffanteil (Linsengericht).<br />

Ein Blutzuckerabfall ist möglich und wahrscheinlich, wenn zuvor eine körperliche Aktivität<br />

von längerer Dauer stattgefunden hat, oder falls Stunden vorher ein alkoholisches<br />

Getränk mit niedrigem Kohlenhydratanteil (z.B. Diabetiker-Bier, bzw. trockener<br />

Wein) getrunken wurde.<br />

72<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Solche Zusammenhänge sind zu beachten, wenn das Messergebnis der Blutzucker-<br />

Selbstkontrolle bewertet wird. Durch Nachdenken wird überprüft, ob die Planungsannahmen<br />

richtig waren. Dabei ist eine möglichst genaue und zuverlässige Methode der<br />

Blutzuckermessung unabdingbar. Eine aussagekräftige Dokumentation der Ergebnisse<br />

ist hilfreich, um einen Vergleich mit früheren ähnlichen Situationen zu ermöglichen.<br />

Hierzu eignet sich ein Insulinpumpentagebuch, in dem neben Blutzuckerwerten, BE-<br />

Mengen und Bolusgaben auch Besonderheiten wie körperliche Aktivität, Alkoholgenuss,<br />

psychische Belastungssituationen, Katheterprobleme, fieberhafte Infekte und<br />

weitere Sondersituationen festgehalten werden können. Eine zusätzliche graphische<br />

Darstellung ist oft hilfreich.<br />

Ein gewisser »Spürsinn« ist erforderlich, um die individuellen Gesetzmäßigkeiten zu<br />

erahnen und herauszufinden. Dabei wollen und können folgende Fragen Denkanstöße<br />

sein:<br />

● Warum ist der Blutzucker so, wie er ist?<br />

● Was ist anders als erwartet?<br />

● Welche Einflussgröße wurde unterschätzt?<br />

● Was wurde nicht genügend berücksichtigt?<br />

Bei der Beantwortung dieser Fragen möchten die Checklisten in den Abb. 30 und 31<br />

eine Hilfe sein. Sie sollen das nachträgliche Überdenken erleichtern, wenn es darum<br />

geht, eigene Regeln der Blutzuckersteuerung herauszufinden. Die zugrundeliegenden<br />

Leitideen sind: »Lernen am Erfolg« und »Erfolg gibt Recht«.<br />

Zur Klarstellung soll betont werden: Diese Checklisten sind nicht für die tägliche, routinemäßige<br />

Anwendung gedacht. Sie wollen Denkanstöße geben, um vordergründig<br />

eher überraschende Blutzuckerverläufe angemessen verstehen zu können.<br />

Jeder Pumpenträger ist im Hinblick auf die Blutzuckerverläufe sein eigener »Detektiv«.<br />

Er sammelt so einen großen Erfahrungsschatz, der für eine zukünftige erfolgreiche<br />

Festlegung der Insulindosis vorteilhaft ist. Der »Kopf« des Typ-1-Diabetikers muss<br />

mit seinem Denkvermögen die Fehlfunktion der Bauchspeicheldrüse möglichst gut ersetzen.<br />

73


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Checkliste: Blutzucker höher als erwartet<br />

❍ BE-Menge falsch eingeschätzt, mehr gegessen als geplant, z.B. Restaurant-Essen<br />

❍ Nahrung mit hohem Eiweißgehalt (z.B. Steak, Hähnchen)<br />

❍ Kohlenhydratanteil in Getränken nicht berücksichtigt<br />

❍ Nahrungsbolus zu gering (BE-Faktor zu niedrig)<br />

❍ Korrekturbolus zu gering (Korrekturzahl zu groß)<br />

❍ geplante körperliche Aktivität fand nicht statt<br />

❍ Katheterproblematik: z.B. zu lange Liegedauer,<br />

Schlauch nicht ordnungsgemäß gefüllt, Luftblasenprobleme,<br />

Katheterverschluß ohne Alarmmeldung, Leckage im Katheterverlauf,<br />

Rückfluss bei großem Bolus aus dem Stichkanal<br />

❍ Insulinpumpenproblematik: Insulinpumpe versehentlich im Stopp, kein Insulintransport<br />

❍ außergewöhnliche psychische Belastung, Stress<br />

❍ Gegenregulation nach vorangegangener Unterzuckerung<br />

❍ Bolusgabe zu spät, zu geringer Drück-Ess-Abstand<br />

❍ Überkorrektur: gleichzeitig mehr gegessen und weniger gespritzt<br />

❍ Fehlmessung bei der Blutzucker-Selbstkontrolle<br />

❍ geplante Bolusgabe vergessen<br />

❍ körperliche Tätigkeit bei Insulinmangel<br />

❍ längere Phase ohne Nahrungsaufnahme (verminderte Insulinempfindlichkeit<br />

durch »Hungerazeton«)<br />

❍ beginnender grippaler Infekt oder sonstige Begleiterkrankung<br />

❍ zyklusbedingte Schwankungen bei Frauen<br />

❍ Einfluss von anderen Medikamenten<br />

❍ hormonelle Ursachen (Kortison, Schilddrüsenhormon, Wachstumshormon)<br />

❍ geringere Insulinempfindlichkeit (z.B. bei Gewichtszunahme)<br />

❍ zu große Basalratenabsenkung in Sondersituationen<br />

❍ zu langes Ablegen der Insulinpumpe<br />

weitere eigene Erkenntnisse:<br />

❍ ...........................................................................................................................<br />

❍ ...........................................................................................................................<br />

Abb. 30: Ursachen für unerwartet hohe Blutzuckerwerte<br />

74<br />

Checkliste: Blutzucker niedriger als erwartet<br />

❍ BE-Menge falsch eingeschätzt, weniger gegessen als geplant<br />

❍ Nahrung mit geringem Eiweiß- und Fettanteil<br />

❍ Nahrungsbolus zu hoch (zu großer BE-Faktor)<br />

❍ zu viel Korrekturbolus (Korrekturzahl zu klein)<br />

❍ zu viel körperliche Aktivität<br />

❍ körperliche Aktivität als solche nicht wahrgenommen<br />

❍ körperliche Aktivität bei zu hohen Insulinspiegeln<br />

❍ zu langer Drück-Ess-Abstand, Insulin zu früh abgegeben<br />

❍ Überkorrektur: gleichzeitig weniger gegessen und mehr gespritzt<br />

❍ Fehlmessung bei der Blutzucker-Selbstkontrolle<br />

❍ Überlappung von Bolusgaben nicht beachtet<br />

❍ Bolus versehentlich zweimal abgegeben<br />

❍ Alkoholgenuss<br />

❍ längerfristige körperliche Aktivität (Muskelauffülleffekt)<br />

❍ zyklusbedingte Schwankungen bei Frauen<br />

❍ größere Insulinempfindlichkeit (z.B. bei Gewichtsreduktion)<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

❍ bessere Hautdurchblutung (z.B. Saunabesuch, warmes <strong>Bad</strong>, Sonnenbad)<br />

❍ zu starke Basalratenerhöhung in Sondersituationen, bzw. fehlende<br />

Basalratenabsenkung bei geringerem Insulinbedarf<br />

❍ bereits Unterzuckerung innerhalb der vorangegangenen 24 Stunden<br />

❍ Wechsel der Insulinpatrone ohne gleichzeitigen Katheterwechsel<br />

(durch die Systemadaptation ungewollte Insulinabgabe!)<br />

❍ Magen-Darm-Probleme mit Erbrechen.<br />

❍ Gesundungsphase nach vorherigem fieberhaftem Infekt<br />

weitere eigene Erkenntnisse:<br />

❍ ...........................................................................................................................<br />

❍ ...........................................................................................................................<br />

Abb. 31: Ursachen für unerwartet niedrige Blutzuckerwerte<br />

75


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

3.3.3 Lerne<br />

Ein wichtiger Schritt, um die Komplexität der Blutzuckersteuerung zu erfassen, ist das<br />

Überdenken der Ergebnisse und der Blutzucker-Verläufe. Im Falle des Erfolges wird die<br />

eigene Vorgehensweise bestätigt, das Vertrauen zur eigenen Kompetenz gestärkt, die<br />

Zufriedenheit hinsichtlich der <strong>Diabetes</strong>-Erkrankung gesteigert, kurzum Wohlbefinden<br />

und Lebensqualität des Insulinpumpenträgers werden verbessert.<br />

Falls der Blutzuckerwert nicht im wünschenswerten Bereich liegt, gilt es, hieraus für<br />

das zukünftige Verhalten zu lernen. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein:<br />

● Was sollte ich das nächste Mal anders machen?<br />

● Welche Besonderheiten habe ich falsch eingeschätzt?<br />

● Welche neuen Erfahrungen habe ich gemacht?<br />

● Welche Gesetzmäßigkeiten kann ich vermuten?<br />

● Was ist eher nur zufällig anders?<br />

● Wo brauche ich die Gelassenheit, um Dinge hinzunehmen,<br />

die ich nicht ändern kann?<br />

Eine realistische Bewertung der Ergebnisse ist wünschenswert. Nicht alles ist machbar,<br />

manches kann nicht beeinflusst werden. Es geht darum, Unabänderliches zu akzeptieren<br />

und gewisse Grenzen der Freiheit anzunehmen. Denn trotz Insulinpumpe wird Insulin<br />

an der »falschen« Stelle abgegeben (in das Unterhautfettgewebe und nicht, wie<br />

beim Gesunden, direkt in den Blutkreislauf des Pfortadersystems). Außerdem beträgt<br />

die durchschnittliche Wirkdauer, selbst bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon,<br />

mindestens zwei Stunden und nicht nur 10 - 20 Minuten wie beim Gesunden<br />

– denn Insulin in der Blutbahn hat eine wesentlich kürzere Verweildauer (»falsches<br />

Insulin zur falschen Zeit am falschen Ort«).<br />

Trotz allem sind Zuversicht und Optimismus im Zusammenhang mit der Insulinpumpen-Therapie<br />

berechtigt. Der Insulinpumpenträger kann heute Wesentliches selbst<br />

zum Gelingen beitragen, er besitzt ein besseres »Handwerkszeug« als die Generationen<br />

vor ihm. Gerade die Blutzucker-Selbstkontrolle hat die Behandlungsmöglichkeiten<br />

revolutioniert. Es ist möglich und zu hoffen, dass in den nächsten Jahren neue Meilensteine<br />

der Erleichterung erreicht werden. Als Stichwort seien genannt: unblutige<br />

Blutzuckermessung und geschlossenes System der Blutzuckersteuerung.<br />

Schließlich sind Mut und Phantasie gefragt: Neues will ausprobiert sein, andere Wege<br />

wollen beschritten werden, Sackgassen sind als solche zu erkennen.<br />

Bei allem ist es angebracht, eine offene aber auch selbstkritische Haltung zu bewahren.<br />

Die eigenen Erfahrungen sind von Zeit zu Zeit zu hinterfragen. Tipps und Handlungsanweisungen<br />

von »diabetologischem Fachpersonal« sind auf ihre Gültigkeit und<br />

Zweckmäßigkeit zu überprüfen.<br />

76<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

3.3.4 Ergänzungen und kritische Anmerkungen zum PPL-System<br />

● Zweifelsohne ist das PPL-System nicht nur bei der Insulinpumpenbehandlung eine<br />

Möglichkeit der Therapieverbesserung. Es lässt sich allgemein bei jeglicher Form der<br />

Insulingabe anwenden. Freilich ist unter Insulinpumpen-Therapie wegen der strikten<br />

Trennung von Basalrate und Bolusgabe die Überschaubarkeit und die Berechenbarkeit<br />

des Insulinbedarfs einfacher und übersichtlicher. Bei einer Spritzenbehandlung kommt<br />

natürlich auch Verzögerungsinsulin zur Anwendung. Die Wirkdauer und Resorption<br />

dieser Insulinsorte besitzt gewisse Schwankungen und ist weniger gut vorhersehbar<br />

und steuerbar. <strong>Mit</strong> keiner Sorte von Verzögerungsinsulin lässt sich der nahrungsunabhängige<br />

Grundbedarf an Insulin wegen des zweigipfligen Verlaufs über 24 Stunden<br />

auch nur annähernd so gut nachahmen, wie mit einer Insulinpumpe, bei der sich die<br />

Basalrate in stündlichen Intervallen variabel programmieren lässt, und bei der die Insulinaufnahme<br />

aus dem Unterhautfettgewebe nur gering schwankt.<br />

● Nicht jeder Insulinpumpenträger profitiert von solch einem strukturierten Vorgehen<br />

wie beim PPL-System. Oft entscheiden sich Diabetiker intuitiv – entsprechendes<br />

Wissen vorausgesetzt – für die zweckmäßige Insulinmenge. Sie handeln ohne allzu viel<br />

analytischem Denken nach der Methode »Versuch und Irrtum« sowie »Erfolg gibt<br />

Recht« und erreichen damit das allgemeine Therapieziel, nämlich möglichst weitgehendes<br />

subjektives Wohlbefinden bei guter Lebensqualität sowie gleichzeitig eine<br />

möglichst normnahe Stoffwechseleinstellung ohne größeres Risiko für Akutkomplikationen<br />

(Unterzuckerung, ketoazidotische Entgleisung) bzw. für chronische Folgeerkrankungen.<br />

● Das PPL-System setzt stillschweigend voraus, dass der Anwender ein umfangreiches<br />

Wissen über Insulinbedarf, Wirkdauer der Insulinsorte, Einflussgrößen und Störfaktoren<br />

der Blutzuckersteuerung hat und über die komplexen Zusammenhänge der körpereigenen<br />

Regulationsmechanismen gut informiert ist.<br />

● Das PPL-System in der hier beschriebenen Form geht davon aus, dass die Basalrate<br />

in der Insulinpumpe bedarfsgerecht ermittelt wurde und auch in Sondersituationen<br />

nicht geändert wird. Dementsprechend ist im Abschnitt »Planen« nur die Bolusvariation<br />

beschrieben. Selbstverständlich kann statt Boluserhöhung bzw. -erniedrigung eine<br />

geeignete vorübergehende Veränderung an der Basalrate vorgenommen werden (siehe<br />

Abschnitt 3.2.3).<br />

● Nicht empfehlenswert ist, das aufwändige Konzept des PPL-Systems ständig anwenden<br />

zu wollen. Dies beinhaltet die Gefahr eines »Beruf-Diabetikers«. Stattdessen<br />

kann es vorteilhaft sein, das eigene Vorgehen im Hinblick auf die Insulindosisfindung<br />

hin und wieder etwas strukturierter und überlegter zu hinterfragen. Dies kann beispielsweise<br />

ein- oder zweimal im Monat sein, bzw. auf Situationen beschränkt bleiben,<br />

in denen das Blutzuckerverhalten nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist.<br />

77


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

● Gerade für Sondersituationen, die erfahrungsgemäß immer wieder auftreten und<br />

die sich auf die Blutzuckerstabilität ungünstig auswirken, empfiehlt es sich, das PPL-<br />

System gezielt einzusetzen. Dadurch lassen sich personenspezifische Besonderheiten<br />

leichter erkennen. Beispielhaft seien genannt: Pizzaessen, Einkaufsbummel, Fahrradtour,<br />

Bergwanderung, Saunanachmittag, Tennisspielen, Kegelabend mit anschließendem<br />

Biertrinken, Tanzabend mit Sekt.<br />

● Wie bereits betont, ist umfangreiches Wissen unabdingbar für den Erfolg. Hierbei<br />

kann geeignete Literatur eine Hilfe sein, nicht selten ist der Gedankenaustausch mit<br />

Betroffenen sehr vorteilhaft. Auch die Erfahrung und Beratung von kompetentem<br />

<strong>Diabetes</strong>fachpersonal (Diabetologe, <strong>Diabetes</strong>-BeraterInnen) sind häufig eine wertvolle<br />

Unterstützung. Andererseits sollten die Aussagen von angeblichen »Fachleuten«<br />

nicht zu unkritisch übernommen werden. Die Erfahrung zeigt: Studienergebnisse machen<br />

meist eine <strong>Mit</strong>telwertaussage unter standardisierten Bedingungen, sie lassen sich<br />

nicht uneingeschränkt auf den individuellen Einzelfall übertragen. Die objektiv fassbare<br />

Realität muss nicht stets mit der subjektiv erlebten Wirklichkeit übereinstimmen.<br />

● Das PPL-System will einen Weg zur Therapieoptimierung aufzeigen. Es erhebt nicht<br />

den Anspruch für jeden Diabetiker hilfreich und vorteilhaft zu sein. Manche Diabetiker<br />

sind aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur dafür zu begeistern, andere werden<br />

von dieser strukturierten und analytischen Methode nicht angesprochen. Jeder möge<br />

sich das herausnehmen, was ihm persönlich weiterhilft. Eine Gefahr des PPL-Systems<br />

besteht im Drang zum Perfektionismus. Wir wollen und müssen uns stets darüber im<br />

Klaren sein, dass sich mit keiner Methode der Blutzuckerverlauf zu 100 % vorhersagen<br />

und beherrschen lässt. Die körpereigenen Blutzuckerregulationen sind so komplex<br />

und zeigen uns immer wieder Grenzen der Machbarkeit auf. Dies gilt es, ohne jegliche<br />

Schuldgefühle in Bescheidenheit zu akzeptieren gemäß dem Satz: »Kräht der Hahn<br />

auf dem Mist, so ändert sich der Blutzucker, oder er bleibt wie er ist.« (nach Dr. Teupe,<br />

<strong>Bad</strong> Mergentheim).<br />

78<br />

3.3.5 Beispiele zum PPL-System<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Vorbemerkung:<br />

Für die folgenden Beispiele wird stillschweigend angenommen, dass die Basalrate für<br />

den Normalfall einprogrammiert ist, d.h. sie hat Gültigkeit für die patiententypische,<br />

übliche Insulinempfindlichkeit.<br />

Beispiel A: Bewusste Anhebung des Blutzuckerwertes während einer Autofahrt<br />

Herr N. will zum Frühstück ein Vollkornbrötchen (2 BE) mit Wurstaufschnitt sowie einen<br />

kleinen Fruchtjoghurt (1 BE) essen. Dazu trinkt er Kaffee und 120 ml Orangensaft<br />

(1 BE). Sein BE-Faktor morgens ist 1,75 I.E. Insulin pro BE. Der Blutzuckerwert vor dem<br />

Frühstück liegt bei 160 mg/dl, die Korrekturzahl morgens ist 40 mg/dl pro Einheit Insulin.<br />

Als Pumpeninsulin benutzt er Humalog. Nach dem Frühstück plant Herr N. eine<br />

zweistündige Autofahrt. Der übliche Blutzuckerzielbereich ist 120 mg/dl.<br />

Plane:<br />

Nahrungsinsulin: 4 BE x 1,75 + 7 I.E. Humalog<br />

Korrekturinsulin: (160 - 120) : 40 + 1 I.E. Humalog<br />

Sonderinsulin: höherer Zielbereich wegen Autofahrt - 1 I.E. Humalog<br />

Herr N. gibt sich demnach einen Bolus von 7 I.E. Insulin<br />

zum Frühstück, als DEA wählt er ca. 10 Minuten<br />

Prüfe:<br />

3 Stunden nach dem Frühstück ermittelt Herr N. einen Blutzuckerwert von 150 mg/dl.<br />

<strong>Mit</strong> diesem Ergebnis ist Herr N. zufrieden.<br />

Lerne:<br />

Seine Entscheidungen waren der Situation angemessen. Bei vergleichbaren Gegebenheiten<br />

wird er sich in Zukunft ähnlich verhalten.<br />

Beispiel B: Hausarbeit und Einkaufen<br />

Frau K. isst wie üblich zum Frühstück Brot (2 BE) mit Käseaufstrich, dazu noch Obstsalat<br />

(2 BE). Ihr BE-Faktor ist 1,5 I.E. pro BE. Sie hat allerdings nach dem Aufstehen einen<br />

Blutzuckerwert von 220 mg/dl gemessen. Ihre Korrekturzahl morgens ist 40 mg/dl,<br />

ihr zugehöriger Blutzuckerzielbereich 100 mg/dl, ihr Insulin Humalog. Nach dem Frühstück<br />

räumt sie wie auch sonst an einem Samstag die Wohnung auf und geht dann zu<br />

Fuß in die Stadt zum Einkaufen; Ihre körperliche Aktivität nach dem Frühstück dauert<br />

ca. 2,5 Stunden.<br />

79


3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Plane:<br />

Nahrungsinsulin: 4 BE x 1,5 + 6,0 I.E. Humalog<br />

Korrekturinsulin: (220 – 100) : 40 + 3,0 I.E. Humalog<br />

Insulinverringerung wegen geplanter Bewegung - 1,5 I.E. Humalog<br />

80<br />

Auf Grund dieser Überlegungen entscheidet sie sich für<br />

einen Bolus von 7,5 I.E. und wählt als DEA 20 Minuten.<br />

Prüfe:<br />

Auf dem Nachhause-Weg bemerkt Frau K. eine Unterzuckerungssymptomatik. Sie isst<br />

sofort 2 Täfelchen Traubenzucker und misst als Blutzucker einen Wert von 45 mg/dl.<br />

Lerne:<br />

Vermutlich hat Frau K. den blutzuckersenkenden Effekt der körperlichen Aktivität<br />

(Wohnung aufräumen, Einkaufen) unterschätzt. Die Muskeltätigkeit fand zudem im<br />

Zeitraum relativ starker Insulinwirkung statt. In ähnlichen Situationen will sie in Zukunft<br />

eine stärkere Verringerung der Bolusinsulinmenge vornehmen, oder rechtzeitig<br />

während des Einkaufens 1- 2 Extra-BE zu sich nehmen (z.B. Obst, Gebäckstück, Getränk).<br />

Beachte: Humalog hat sein Wirkungsmaximum in der Zeit 1- 2 Stunden nach Injektion,<br />

d.h. in dieser Zeit ist bei körperlicher Aktivität mit einem stärkeren BZ-Abfall zu rechnen.<br />

Beispiel C: Fieberhafter Infekt<br />

Frau S. hat seit zwei Tagen einen grippalen Infekt mit 38,5 Grad Körpertemperatur,<br />

dazu Husten, Hals- und Kopfschmerzen. Aus Erfahrung weiß sie bereits, dass ihr Insulinbedarf<br />

in solchen Situationen ca. 20 % höher ist als sonst. Ihre 24-stündige Basalrate<br />

beträgt insgesamt 20 I.E.. Der Nüchternwert liegt bei 200 mg/dl. Der übliche BE-Faktor<br />

morgens ist 2,0 I.E./BE, die Korrekturzahl 30 mg/dl und der Zielbereich 100 mg/dl. Zum<br />

Frühstück möchte sie ein kleines Honig-Brötchen essen (insgesamt 2,5 BE)<br />

Plane:<br />

Nahrungsinsulin: 2,5 BE x 2 + 5,0 I.E.<br />

Korrekturinsulin: (200 - 100) : 30 + 3,0 I.E.<br />

Zuschlag für Infekt (+ 20%) + 1,5 I.E.<br />

Zuschlag für höheren Basalbedarf am Vormittag + 1,0 I.E.<br />

Nach diesen Überlegungen gibt sie sich einen Bolus von 10,5 I.E. etwa 15 Min. vor Beginn<br />

des Frühstücks.<br />

Prüfe:<br />

Um 11.00 Uhr möchte Frau S. eine heiße Suppe essen, deshalb kontrolliert sie den<br />

Blutzucker und erhält als Ergebnis 220 mg/dl.<br />

3. Insulinbedarf: Bolusgröße und Basalrate<br />

Lerne:<br />

Ihre Erfahrung des größeren Insulinbedarfs bei fieberhaften Infekten bestätigt sich, er<br />

ist sogar mehr als 30 % höher als üblich. Deshalb hätte sie den Bolus morgens statt um<br />

insgesamt 2,5 I.E. sogar um 4,5 I.E. auf 12,5 I.E. erhöhen können. Sie gibt sich deshalb<br />

mittags erneut einen deutlich höheren Bolus als üblich.<br />

Bemerkung zu diesem Beispiel: Während eines Infektes empfiehlt sich am Tag eine Erhöhung<br />

des Bolus vor den Mahlzeiten. Während der Nacht ist es günstiger, die Basalrate<br />

um 10 bis 20 % anzuheben (bei den Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus<br />

möglich). Nicht selten kommt es 1 bis 2 Tage vor Ausbruch der Infektion zu einer<br />

primär nicht nachvollziehbaren Verschlechterung des Blutzuckerprofils. D.h.: Eine<br />

nicht ohne weiteres erklärbare Erhöhung der Blutzuckerwerte kann auch Ausdruck eines<br />

beginnenden fieberhaften Infektes mit noch fehlender klinischer Symptomatik<br />

sein.<br />

Andererseits normalisiert sich nicht selten der vorher erhöhte Insulinbedarf bereits in<br />

der abklingenden Phase einer akuten Erkrankung, also bei noch bestehender klinischer<br />

Symptomatik wie Husten, Halsschmerzen usw. Das bedeutet: Eine vorübergehende<br />

vermehrte Insulinabgabe ist rechtzeitig auf das übliche Niveau zu verringern.<br />

Die Änderungen der Insulinempfindlichkeit während akuter Erkrankungen erfolgen<br />

meist ohne offensichtliche, einfach beschreibbare Gesetzmäßigkeiten. Deshalb ist in<br />

solchen Situationen empfehlenswert:<br />

● häufigere Blutzuckerkontrollen,<br />

● an die Möglichkeit einer kurz- bis mittelfristigen Änderung des<br />

Insulinbedarfs denken,<br />

● geeignete Anpassung der Insulinmenge in kleinen Schritten.<br />

81


4. Insuline für die Insulinpumpenbehandlung<br />

Im Rahmen der Insulinpumpen-Therapie kommen ausschließlich kurzwirksame Insuline<br />

zur Anwendung: Normalinsulin (Altinsulin) bzw. Insulinanalogon.<br />

Die zusätzliche Basalinsulingabe entfällt methodenbedingt bei der Insulinpumpenbehandlung.<br />

Das Insulin für die basale Insulinversorgung des Organismus wird von der<br />

Insulinpumpe entsprechend der voreingestellten Basalrate kontinuierlich in Form von<br />

Kurzzeitinsulin abgegeben. Bei den Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus beispielsweise<br />

wird alle drei Minuten eine kleine Insulinmenge, nämlich 1 /20 der entsprechenden<br />

stündlichen Basalrate freigesetzt.<br />

Als Insulinpumpeninsuline werden heute ausschließlich neutrale Insuline verwendet.<br />

Saure Insuline mit einem pH-Wert von 3,2 - 3,5 spielen heute keine Rolle mehr. Unter<br />

diesen Insulinen kam es früher vermehrt zu einem Fettgewebsschwund sowie zu<br />

Wechselwirkungen mit Katheter- und Ampullenmaterial. Die kurzwirksamen Insulinanaloga<br />

haben inzwischen die kurzwirkenden Humaninsuline (Normalinsuline) in der<br />

Anwendungshäufigkeit überholt.<br />

Neben einer guten Verträglichkeit mit Katheter- und Ampullenmaterialien müssen die<br />

zur Insulinpumpen-Therapie geeigneten Insuline stabil sein gegenüber Temperaturschwankungen<br />

und mechanischen Beeinträchtigungen. Nur so kann ein denkbarer<br />

Wirkungsverlust verhindert werden.<br />

Folgende Insulinsorten sind derzeit für die Insulinpumpen-Therapie zugelassen:<br />

A. Normalinsuline (Humaninsulin, Altinsulin):<br />

● Insuman Infusat (Fa. Aventis)<br />

● Insulin Actrapid PP (Fa. Novo Nordisk)<br />

Diese beiden Insuline sind speziell für die Insulinpumpen-Therapie entwickelt worden.<br />

B. Kurzwirksame Insulinanaloga<br />

● Humalog (Fa. Lilly)<br />

● NovoRapid (Fa. Novo Nordisk)<br />

Diese Insuline werden auch zur Spritzen- bzw. Penbehandlung benutzt. Bei den kurzwirksamen<br />

Insulinanaloga sind keine besonderen Zubereitungsformen für die Insulinpumpenbehandlung<br />

notwendig.<br />

82<br />

4.1 Humaninsuline<br />

Insuman Infusat<br />

4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

Dieses Pumpeninsulin ist ein Normalinsulin und wird nur noch in der Konzentration<br />

U100 (100 I.E./ml) hergestellt. Insuman Infusat ist in Fläschchen und in vorgefüllten<br />

Fertigampullen auf dem Markt; die Fertigampullen sind für H-TRON-100-Insulinpumpen-Modelle<br />

geeignet und machen ein Umfüllen des Insulins in die Insulinpumpenampulle<br />

überflüssig.<br />

Im Vergleich zum üblichen Normalinsulin und zu den kurzwirkenden Insulinanaloga<br />

besitzt dieses Insulin zusätzlich Genapol als Stabilisator. Dieses lagert sich an die Kontaktflächen<br />

der Insulinlösung mit der Luft und dem Ampullen- oder Kathetermaterial<br />

an und schützt somit das Insulin vor einer möglichen Beschädigung, welche z.B. zu<br />

Katheterverschlüssen oder einer teilweisen Insulininaktivierung führen kann.<br />

Abb. 32: Das Insulin Insuman Infusat 100<br />

Als Desinfektionsmittel ist Phenol enthalten, dessen Aktivität durch Kathetermaterialien<br />

weniger verringert wird als dies beim üblichen Cresol der Fall ist.<br />

83


4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

Insulin Actrapid PP<br />

<strong>Mit</strong> dem Normalinsulin Actrapid PP, welches das früher von Novo Nordisk angebotene<br />

Insulin Velasulin PP ersetzt hat, liegt ein spezielles Pumpeninsulin vor, das kein Genapol<br />

enthält. Erhöht wurde bei diesem Insulin der Anteil des Hydrogenphosphatpuffers,<br />

um Ausfällungen zu vermeiden. Actrapid PP ist ebenfalls ein Humaninsulin mit der<br />

Konzentration U100, allerdings sind dafür keine vorgefüllten Ampullen im Handel.<br />

Die Notwendigkeit eines speziellen Pumpeninsulins mit Genapol oder erhöhtem Anteil<br />

an Puffersubstanz wird kontrovers diskutiert: Die kurzwirksamen Insulinanloga<br />

wurden bisher ohne größere Gefahr der Katheterverstopfung in der Insulinpumpe<br />

D-TRONplus und anderen Insulinpumpenmodellen verwendet.<br />

Die Notwendigkeit einer Puffersubstanz ergab sich nur bei heute nicht mehr im Handel<br />

befindlichen PVC – Kathetern durch die Gefahr der pH-Werterniedrigung durch<br />

darin enthaltene Weichmacher. Das moderne Kathetermaterial ist optimal insulinverträglich.<br />

Es wird diskutiert, ob durch genapolhaltige Infusionslösungen eventuell Entzündungen<br />

der Schilddrüse gefördert werden. Sichere Zusammenhänge diesbezüglich sind bis<br />

jetzt nicht bekannt.<br />

4.2 Kurzwirksame Insulinanaloga<br />

Die kurzwirksamen Insulinanaloga Humalog (Lispro) und NovoRapid (Aspart) eignen<br />

sich in gleicher Weise für die Spritzen/Pentherapie wie für die Insulinpumpenbehandlung.<br />

84<br />

4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

Bekanntlich besteht Insulin aus 51 verschiedenen Eiweißbausteinen, die sich wie Perlen<br />

auf einer zweireihigen Kette zu einem komplizierten räumlichen Gebilde anordnen.<br />

Im Unterschied zum Humaninsulin sind beim Insulin Humalog in der Eiweißsequenz<br />

der B-Kette die Aminosäuren in Position 28 und 29 vertauscht; die beiden vertauschten<br />

Eiweißbausteine heißen Lysin und Prolin – daher auch die Namensgebung<br />

Lispro. Beim Insulin NovoRapid wurde an der Position 28 der längeren B-Kette ein<br />

Eiweißbaustein ausgetauscht (Prolin gegen Asparaginsäure). Daher auch der Name<br />

Aspart.<br />

A-Kette<br />

1<br />

1<br />

B-Kette<br />

Abb. 33: Molekülstruktur von Lispro (Humalog)<br />

A-Kette<br />

1<br />

1<br />

B-Kette<br />

S S<br />

S<br />

S<br />

S S<br />

S<br />

S<br />

Abb. 34: Molekülstruktur von Aspart (NovoRapid)<br />

S<br />

S<br />

S<br />

S<br />

21<br />

21<br />

B28<br />

Lys<br />

B28<br />

Asp<br />

B29<br />

Pro<br />

30<br />

30<br />

85


4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

Im Vergleich zum Normalinsulin zeichnen sich die kurzwirksamen Insulinanaloga durch<br />

folgende charakteristische Eigenschaften aus:<br />

● rascherer Wirkungsbeginn<br />

● höheres Wirkungsmaximum<br />

● kürzere Wirkungsdauer<br />

● keine wesentliche dosisabhängige Verlängerung der Wirkdauer<br />

In Abb. 35 sind die typischen Kennzeichen der Wirkung zusammengestellt:<br />

Wirkbeginn 0 - 10 Minuten<br />

stärkste Wirkung nach ca. 1 - 1,5 Stunden<br />

Wirkdauer ca. 2 - 4 Stunden<br />

Abb. 35: Wirkungscharakteristika der kurzwirksamen Insulinanaloga<br />

Humalog scheint im Vergleich zu NovoRapid etwas rascher vom Unterhautfettgewebe<br />

in die Blutbahn aufgenommen zu werden. Das Wirkungsmaximum liegt dadurch bei<br />

Humalog etwas früher, die Gesamtwirkdauer ist entsprechend etwas kürzer, d. h. sie<br />

liegt bei Humalog etwa bei 3 Stunden und bei NovoRapid ungefähr bei 3,5 Stunden.<br />

Die Wirkkurven von kurzwirksamem Insulinanalogon bzw. von Normalinsulin im Vergleich<br />

zur nahrungsbedingten Insulinausschüttung eines Nichtdiabetikers (physiologische<br />

Insulinfreisetzung) sind in Abb. 36 dargestellt:<br />

86<br />

physiologische Insulinfreisetzung<br />

bei Mahlzeitenbeginn<br />

kurzwirksames<br />

Insulinanalogon<br />

Normalinsulin<br />

1 2 3 4 5 6<br />

Stunden<br />

Abb. 36: Insulinwirkkurven<br />

4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

Ein weitere Eigenschaft der kurzwirksamen Insulinanaloga soll nicht unerwähnt bleiben:<br />

Sie sind reine gentechnologisch hergestellte »Kunstprodukte«. Sie unterscheiden sich<br />

von Humaninsulin dadurch, dass beim Humalog quasi zwei Aminosäuren vertauscht<br />

werden, während beim NovoRapid eine Aminosäure gegen eine neue ausgetauscht<br />

wird. Solche Insulinvarianten kommen in der Natur weder beim Menschen noch bei<br />

irgendeiner Tierart vor. Warum diese kleinen denkbaren »Webfehler« durch Evolutionsprozesse<br />

keine Verbreitung gefunden haben, könnte zumindest etwas nachdenklich<br />

stimmen. Da die allgemeinen klinischen Erfahrungen bisher weniger als 10<br />

Jahre umfassen, lässt sich zur Zeit nichts darüber sagen, wie sich die ausschließliche<br />

Verwendung dieser Kunstprodukte anstelle von Humaninsulin beim Menschen längerfristig,<br />

d.h. nach Jahrzehnten auswirkt. Diesbezüglich sind zwar bis heute keine unerwünschten<br />

Ereignisse (z.B. kein Tumorwachstum, keine Förderung von Arteriosklerose,<br />

keine ungünstigen Auswirkungen auf andere Organsysteme) aufgetreten,<br />

doch eine gewisse Restunsicherheit aufgrund von theoretischen Überlegungen bleibt<br />

bestehen. Dies ist fairerweise hier zu erwähnen, soll aber keinesfalls Anlass zur Dramatisierung<br />

sein.<br />

Da Humalog gegenüber NovoRapid bereits einige Jahre länger auf dem Markt ist und<br />

auch häufiger eingesetzt wird, sind die Bedenken wegen der fehlenden Langzeiterfahrung<br />

mit Kunstinsulinen bei Humalog eher als geringer zu bewerten .<br />

Aufgrund der physikalischen und chemischen Eigenschaften besonders im Hinblick auf<br />

Stabilität der Substanz und Konstanz der Wirkung sind beide Insuline ohne weiteres<br />

für die Behandlung mit der Insulinpumpe geeignet. – Beide Insuline sind pumpentaugliche<br />

Insuline und für diese Therapie auch zugelassen.<br />

4.3 Vorteile der Therapie mit kurzwirkenden Insulinanaloga<br />

Die zahlreichen Patienten, die bisher Humalog oder NovoRapid in einer Insulinpumpe<br />

benutzen, schätzen insbesondere die größere Flexibilität und Freizügigkeit bei gleichzeitiger<br />

Stabilität der Blutzuckerverläufe ohne Zunahme der Unterzuckerungshäufigkeit.<br />

Sie er<strong>leben</strong> mit den kurzwirksamen Insulinanaloga in der Insulinpumpe einen<br />

deutlichen Gewinn an Lebensqualität mit tendenzieller Verbesserung der Stoffwechselqualität.<br />

Besonders hinzuweisen ist auf folgende konkrete Vorteile:<br />

● Wenn die Blutzuckerwerte im Zielbereich sind, ist normalerweise kein oder nur<br />

ein kurzer Drück-Ess-Abstand (DEA) notwendig.<br />

● Kein überschießender Blutzuckeranstieg 1 - 2 Stunden nach den Mahlzeiten<br />

(schnellere Wirkung im Vergleich zu Normalinsulin!).<br />

● Deutlich überhöhte Blutzuckerwerte können rascher abgesenkt werden.<br />

87


4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

● Die Gabe von Korrekturinsulin ist bereits 2 - 3 Stunden nach dem letzten Bolus<br />

möglich (geringere Bolusüberlappung!)<br />

● Keine wesentlichen Probleme beim Sport später als 3 Stunden nach Bolusgabe.<br />

● Beim Essen im Restaurant Bolusgabe erst dann, wenn das Essen auf dem Tisch<br />

steht (mitunter sogar erst nach dem Essen, wenn man weiß, wie viel gegessen<br />

wurde).<br />

● Bei Essen mit mehreren Gängen (Festmenü!) »Bolussplitting« empfehlenswert,<br />

d.h. ein Bolus wird zu jedem Gang gegeben (individuellere Insulinanpassung).<br />

Je nach Insulinpumpenmodell kann auch ein verzögerter Bolus programmiert<br />

werden (Insulinpumpe D-TRONplus).<br />

● Größere BE-Mengen (z.B. Pizza mit mehr als 6 BE) am späten Abend möglich,<br />

ohne größere Gefahr der nächtlichen Hypoglykämie. Je nach Insulinpumpenmodell<br />

kann auch hier ein verzögerter Bolus programmiert werden<br />

(Insulinpumpe D-TRONplus).<br />

4.4 Nachteile der Therapie mit kurzwirkenden<br />

Insulinanaloga<br />

Die üblichen Nachteile der Behandlung mit einem kurzwirksamen Insulinanalogon bei<br />

einer Spritzentherapie nach dem ICT-Schema (d.h. häufige tägliche Injektionen, meist<br />

3 x tägliche Gabe eines NPH-Basalinsulins), spielen bei einer Insulinpumpenbehandlung<br />

mit Humalog oder NovoRapid keine Rolle.<br />

Dagegen sind andere Punkte als nachteilig zu nennen:<br />

● Raschere Entwicklung einer ketoazidotischen Entgleisung<br />

● Spontanes Ablegen der Insulinpumpe höchstens für 2,5 Stunden empfehlenswert<br />

ohne zusätzliche Insulingabe mit Spritze oder Pen<br />

● Die Fertigampullen von Humalog passen nur in die Insulinpumpe D-TRONplus;<br />

für NovoRapid gibt es keine Fertigampullen für die Insulinpumpenbehandlung.<br />

● In der Schwangerschaft liegen bisher keine ausreichenden Erfahrungen für kurzwirksame<br />

Insulinanaloga vor. Auch für Frauen mit Kinderwunsch empfehlen wir<br />

daher Zurückhaltung beim Einsatz von kurzwirksamen Insulinanaloga in der<br />

Insulinpumpe.<br />

● Verstärkte Unterzuckerungsgefahr bei körperlicher Aktivität unmittelbar nach<br />

Bolusgabe<br />

● Erhöhtes Unterzuckerungsrisiko bei Gastroparese (Magenlähmung)<br />

Das raschere Auftreten einer Ketoazidose bei fehlender subkutaner Insulinabgabe<br />

(z.B. bei Insulinpumpen- oder Katheterdefekt) wird mitunter als so wesentlich<br />

bewertet, dass deshalb von einer Verwendung von Lispro und Aspart als Insulinpumpeninsulin<br />

abgeraten wird. Dieser Meinung können wir uns nicht anschließen. Denn<br />

88<br />

4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

jeder Insulinpumpenträger, ob unter Normalinsulin oder kurzwirksamem Insulinanalogon,<br />

muss über die Frühzeichen einer beginnenden Ketoazidose genauestens Bescheid<br />

wissen, um rasch die richtigen Sofortmaßnahmen ergreifen zu können. Unter<br />

Insulinanalogon treten bei einem absoluten Insulinmangel (z.B. Katheterverschluss)<br />

die Erstsymptome einer drohenden Ketoazidose etwa 2 Stunden früher auf, der weitere<br />

Verlauf und die erforderlichen Gegenmaßnahmen sind ähnlich wie bei der Benutzung<br />

von Normalinsulin als Pumpeninsulin.<br />

Das kürzere Intervall für ein Ablegen der Insulinpumpe (z.B. beim Saunabesuch) wird<br />

mitunter als lästig empfunden. Durch eine einmalige zwischenzeitliche subkutane Insulingabe<br />

mit einem Pen kann der Zeitraum für die Insulinpumpenpause ohne weiteres<br />

auf 4 Stunden verlängert werden.<br />

Die 3ml-Penampullen von Lilly passen in die Insulinpumpe D-TRONplus, so dass bei<br />

Verwendung von Humalog ein Umfüllen in für diese Insulinpumpe geeignete Leerampullen<br />

entfällt. Die Verwendung anderer Insuline in der Insulinpumpe D-TRONplus ist<br />

möglich, diese müssen jedoch zuvor in Leerampullen aufgezogen werden. Kleinere<br />

Widerstände durch Reibung des Ampullenstopfens an der Innenwand der Ampulle<br />

führten anfangs bei der Insulinpumpe D-TRON zu einem gehäuften Auftreten eines<br />

E4-Alarms, obwohl keine Katheterverstopfung vorlag. Durch einen Aufsatz auf den<br />

Flansch (Teller an der Gewindestange) konnte das Auftreten »falscher« E4-Alarme bei<br />

der Insulinpumpe D-TRON deutlich reduziert werden. Beim Nachfolgemodell, der Insulinpumpe<br />

D-TRONplus, ist der Aufsatz bereits im Flansch integriert.<br />

Wird Humalog im Insulinpumpenmodell H-TRONplus von Disetronic oder in den Pumpen<br />

von Medtronic Minimed benutzt, müssen vorab entsprechende Leerampullen gefüllt<br />

werden.<br />

Bei Verwendung von NovoRapid in der Insulinpumpe muss stets in eine geeignete<br />

Leerampulle umgefüllt werden, denn die Pen-Fertigampullen von NovoRapid passen<br />

zur Zeit in kein Insulinpumpenmodell.<br />

Spritzampullen-Set für die<br />

Insulinpumpe H-TRONplus<br />

89


4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

Bei Anwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon ist aufgrund des Wirkungsprofils<br />

die stärkste Insulinwirkung ca. 1 - 1,5 Stunden nach Bolusgabe zu erwarten, d.h. zu<br />

einem Zeitpunkt, an dem unter Normalinsulin wegen des verzögert einsetzenden Wirkungsbeginns<br />

eine Unterzuckerung eher unwahrscheinlich ist. Somit muss bei kurzwirksamem<br />

Insulinanalogon bereits relativ kurzzeitig nach der Bolusgabe bei körperlicher<br />

Aktivität mit einer Unterzuckerung gerechnet werden. Andererseits ist die Insulinwirkung<br />

3 - 4 Stunden nach Gabe eines größeren Bolus deutlich geringer als unter<br />

Normalinsulin, d.h. das Risiko für eine Unterzuckerung ist mehr als 3 - 4 Stunden nach<br />

vorangegangener Bolusgabe unter einem kurzwirksamen Insulinanalogon geringer<br />

als unter Normalinsulin. Dies ist sicherlich für Sportler von Vorteil.<br />

Über diese Besonderheiten bei körperlicher Aktivität sollte der Insulinpumpenträger,<br />

der kurzwirksames Insulinanalogon benutzt, genauestens informiert sein, um entsprechende<br />

Vorsichtsmaßnahmen wie ausreichende Reduktion der Insulinmenge vor<br />

körperlicher Aktivität oder rechtzeitige Aufnahme von geeigneten Zusatz-BE vornehmen<br />

zu können.<br />

Nach fett- und eiweißreichen Mahlzeiten (z.B. Pizza) sowie nach ballaststoffreichen<br />

Speisen (z.B. Müsli) ist ein verzögerter Blutzuckeranstieg nach dem Essen möglich. Dies<br />

ist bei der Wahl des Drück-Ess-Abstandes (DEA) zu berücksichtigen, ggf. sollte die Insulingabe<br />

erst nach dem Essen erfolgen. Ein solcher »negativer« DEA ist allerdings ungewohnt<br />

und darf nicht vergessen werden!<br />

Zur Behandlung in der Schwangerschaft sind kurzwirksame Insulinanaloga derzeit offiziell<br />

nicht zugelassen. Deshalb sollte Humalog bzw. NovoRapid bei Frauen mit Kinderwunsch<br />

und bei Schwangeren nicht zum Einsatz kommen. Hier müssen Langzeitstudien<br />

abgewartet werden.<br />

4.5 Weitere Hinweise für die Behandlung mit<br />

kurzwirksamem Insulinanalogon<br />

Infolge des rascheren Wirkungsbeginns sollte bei Umstellung von Normalinsulin auf<br />

kurzwirksames Insulinanalogon das Basalratenprofil um eine Stunde vorgestellt werden.<br />

Ansonsten kann die Gesamtmenge an Basalrate und Bolusgabe in etwa dosisgleich<br />

umgesetzt werden. Dies gilt üblicherweise auch für die BE-Faktoren und Korrekturzahlen.<br />

Allerdings zeigten sich bei den von uns behandelten Patienten nach Umstellung<br />

doch gewisse individuelle Unterschiede. Nicht selten war der tägliche Gesamtinsulinbedarf<br />

um ca. 10 % geringer, ganz vereinzelt allerdings auch bis zu 10 % höher<br />

als unter Normalinsulin. Somit muss die notwendige Feinabstimmung für die erforderliche<br />

Insulinmenge im Einzelfall neu festgelegt gelegt werden.<br />

90<br />

4. Insuline für die Pumpenbehandlung<br />

Aufgrund der kürzeren Wirkdauer und wegen des rascheren Auftretens einer beginnenden<br />

ketoazidotischen Entgleisung haben Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit bei<br />

der Blutzuckerselbstkontrolle einen besonders hohen Stellenwert bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

mit kurzwirksamem Insulinanalogon. Mindestens 4 x täglich (morgens,<br />

mittags, abends und vor dem Schlafengehen) ist die Blutzuckerselbstkontrolle unter<br />

Lispro und Aspart ein notwendiges Muss. Im Folgenden sind die wesentlichen Unterschiede<br />

zwischen Normalinsulin und kurzwirksamem Insulinanalogon im Hinblick auf<br />

die Insulinpumpen-Therapie nochmals übersichtsmäßig in Tabellenform zusammengestellt.<br />

Normalinsulin Kurzwirksames<br />

(Insuman Infusat, Insulinanalogon<br />

Actrapid PP ) (Humalog, NovoRapid)<br />

Wirkungseintritt nach 15 - 30 Minuten nach 0 - 10 Minuten<br />

Wirkungshöhepunkt nach ca. 2 Stunden nach ca. 1 - 1,5 Stunden<br />

Wirkungsdauer ca. 4 - 6 Stunden ca. 2 - 4 Stunden<br />

größere Insulinmengen wirken weitgehend unabhängig<br />

länger, kleinere kürzer von der Insulinmenge<br />

Drück-Ess-Abstand bei 10 - 30 Minuten 0 - 10 Minuten<br />

BZ-Werten im Zielbereich<br />

BZ-Korrektur ca. 4 Stunden ca. 2 Stunden<br />

möglich nach<br />

Zwischenmahlzeit kann evtl. zur Hauptmahlzeit muss extra berechnet<br />

mitgespritzt werden und gespritzt werden<br />

Fertigampullen Für die Insulinpumpe H-TRONplus Für die Insulinpumpe<br />

(Insuman Infusat) D-TRONplus (Humalog)<br />

Entwicklung einer verzögert rascher<br />

Ketoazidose<br />

Basalratenvorlaufzeit ca. 2 Stunden ca. 1 Stunde<br />

Risiko bei Langzeit- unbedenklich ungeklärt<br />

behandlung<br />

Anwendung bei ja z.Zt. noch nein<br />

Schwangeren<br />

Abb. 37: Übersicht Normalinsulin / Kurzwirksame Insulinanaloga<br />

91


5. Katheter: Schnittstelle bei der<br />

Insulinpumpen-Therapie<br />

1<br />

2<br />

3<br />

1 Luer-Anschluss<br />

2 Katheterschlauch<br />

3 Kanülenträger<br />

4 Rondelle<br />

5 Kanüle<br />

Abb. 38: Aufbau eines Katheters<br />

92<br />

5<br />

4<br />

Katheter, auch Infusionssets genannt,<br />

verbinden die Insulinpumpe mit dem Insulinpumpenträger.<br />

Auf dem Weg von<br />

der Insulinpumpe ins Unterhautfettgewebe<br />

kann es zu Störungen des Insulintransportes<br />

kommen: Durch Leckagen<br />

ist ein Insulinverlust möglich, und seltener<br />

kann durch Katheterverschluss ein<br />

Insulinaufstau eintreten.<br />

Eine noch so gut und fein steuerbare Insulinpumpe<br />

ist ohne Nutzen, wenn der<br />

Insulinfluss gestört ist! Deshalb ist der<br />

Katheter das schwächste Glied in der Insulinpumpen-Therapie<br />

(Abbildung 38).<br />

5.1 Katheteraufbau<br />

Luer-Lock-Anschluss*<br />

Der Katheter wird mittels eines Luer-<br />

Lock-Anschlusses an der Insulinampulle<br />

befestigt. Bei allen Insulinpumpen von<br />

Disetronic erfolgt der Anschluss durch<br />

ein Gewinde, bei den Medtronic Minimed-Insulinpumpen<br />

wird der auf die<br />

Spritze aufgesetzte Anschluss mit einem<br />

Bügel fixiert. Früher eingesetzte Luer-<br />

Lock-Anschlüsse aus Hartkunststoff neigten<br />

zur Bildung von Haarrissen, wenn sie<br />

zu fest in das Innengewinde gedreht<br />

wurden. Es kam zu unbemerktem Insu-<br />

* Der universelle Luer-Lock-Anschluss ist bei<br />

den Kathetern für die Insulinpumpe Paradigm<br />

von Medtronic Minimed nicht vorhanden.<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

linverlust und Ketoazidosen. Zu weiches Material führte zu Lockerungen. <strong>Mit</strong>tlerweile<br />

wurden die Materialeigenschaften wesentlich verbessert.<br />

Katheterschlauch<br />

In den ersten Jahren der CSII kamen Nylon-Katheter oder Venülen zum Einsatz, die<br />

sonst zur venösen Infusion/ Blutabnahme bei Säuglingen dienten. Die Katheterschläuche<br />

bestanden fast ausschließlich aus PVC-Material, wobei des öfteren Katheterverstopfungen<br />

und -infektionen an der Kathetereinstichstelle beobachtet wurden. Untersuchungen<br />

zeigten, dass »Weichmacher« im PVC-Kunststoff zur Insulinausfällung<br />

und damit zur Katheterverstopfung führten. Eine Inaktivierung der Insulinkonservierungsstoffe<br />

hatte Infektionen an der Einstichstelle zur Folge. Zwischenzeitlich wurden<br />

neue Materialien entwickelt. An die Stelle des PVC traten Polyethylen, Polyolefin und<br />

Polyuretan, die mit Insulin besser verträglich sind. Die Katheterschläuche werden meist<br />

in den Längen 30, 60, 80 und 110 cm angeboten. Das Innenvolumen der Schläuche hat<br />

abgenommen. Ein 80 cm langer Schlauch beinhaltet nunmehr nur noch ca. 8 Einheiten<br />

U100-Insulin.<br />

Die Durchflussgeschwindigkeit durch den Katheter wurde so erhöht und die Kontaktzeit<br />

des Insulins mit dem Schlauchmaterial verkürzt. Bei einem Katheterwechsel geht<br />

zudem so weniger Insulin verloren.<br />

Kanülenträger<br />

Er stellt die Verbindung zwischen Schlauch und Nadel her. Auch hier wurden mittlerweile<br />

die Materialeigenschaften wesentlich verbessert. Auf Klebstoffe kann inzwi-<br />

93


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

schen weitgehend verzichtet werden. Durch Verschweißung der einzelnen Katheterteile<br />

wurde das Auftreten von Allergien deutlich vermindert. Diskonnektionen mit Undichtigkeit<br />

kommen an diesen Stellen praktisch nicht mehr vor.<br />

Rondelle, Flügel<br />

Dieses Katheterteil dient zur Fixierung des Katheters auf der Haut. Es gibt Rondellen<br />

aus selbstk<strong>leben</strong>dem Vlies mit senkrechter Metallnadel, bzw. senkrecht oder schräg<br />

einzustechender Teflonkanüle. Katheter mit Kunststoffflügeln sind weitgehend vom<br />

Markt verschwunden, sie werden durch Flügel aus Vlies (z.B. Katheter Disetronic Classic)<br />

ersetzt. Kunststoff findet sich heute noch beim Sof-Set (Medtronic Minimed).<br />

Katheterkanülen<br />

Insulinpumpenträger können prinzipiell zwischen Metall- oder Teflonkanülen wählen.<br />

Die angebotenen Stahlkanülen haben einen sehr feinen Durchmesser (0,36 mm beim<br />

den Kathetern Disetronic Rapid und Rapid D) und sind je nach Hautdicke in verschiedenen<br />

Längen lieferbar (12 mm, 10 mm, 8 mm sowie 6 mm). Für Patienten mit einer<br />

Nickelallergie oder sehr dünnem Unterhautfettgewebe gibt es Kanülen aus Teflonmaterial,<br />

die allerdings einen größeren Durchmesser aufweisen (0,5 mm) und somit zu einer<br />

Narbenbildung in der Haut führen können.<br />

Abkoppelbare Katheter<br />

Wenn die Insulinpumpe kurzzeitig abgelegt werden soll, ohne dass anschließend ein<br />

neuer Katheter gelegt werden muss (z.B. beim Sport), ist das mit abkoppelbaren<br />

Kathetern möglich. Dabei verbleibt die Kanüle in der Haut, die Insulinpumpe kann<br />

mit dem Verbindungsschlauch abgelegt werden. Je nach Art des verwendeten Insulins<br />

(Normal- oder kurzwirksames Insulinanalogon) muss die Insulinpumpenpause evtl.<br />

durch Bolusgaben mit einem Pen überbrückt werden (siehe Abschnitt 7.3). Als Vorteil<br />

der abkoppelbaren Katheter ist neben der größeren Flexibilität ebenfalls die Einsparung<br />

von Insulin zu sehen, da das Füllen des Verbindungsschlauchs beim Wechsel<br />

der Kanüle entfällt – vorausgesetzt ein getrennter Bezug von Kanülenteil und Verbindungsschlauch<br />

ist möglich. Dies trifft beispielsweise für den Katheter Disetronic<br />

Rapid D zu, gilt jedoch nicht für die abkoppelbaren Katheter von Medtronic Minimed.<br />

Als abkoppelbare Katheter stehen derzeit der Disetronic Tender, der Disetronic<br />

Rapid D, von Medtronic Minimed das Sof-Set QR, der Quick-Set, der Polyfin QR und<br />

der Easy-Set zur Verfügung.<br />

Disetronic Rapid, Disetronic Tender und Disetronic Classic sind Marken<br />

eines Unternehmens der Roche-Gruppe<br />

94<br />

5.2 Katheterangebot (Stand: Herbst 2002)<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Auf dem Markt sind eine Fülle von verschiedenen Kathetern, so dass die geeignete<br />

Auswahl nicht immer leicht fällt. Es gibt nicht den idealen Katheter schlechthin, sondern<br />

jeder Insulinpumpenträger sollte sich für denjenigen entscheiden, der seinen eigenen<br />

Bedürfnissen am ehesten entspricht. Wesentliche Kriterien dabei sind:<br />

● Verträglichkeit<br />

● Abkoppelbarkeit<br />

● Preis<br />

● Nadel- und Schlauchlänge<br />

Von entscheidender Bedeutung ist die individuelle Verträglichkeit, d.h. keine unerwünschten<br />

Hauterscheinungen, keine allergischen Reaktionen, keine gehäuften Entzündungen,<br />

keine subjektiv störende Beeinträchtigung wie Stechen, Kratzen oder<br />

Pieksen. Üblicherweise ist primär ein Katheter mit Stahlkanüle zu verwenden. Gründe<br />

dafür sind: relativ geringer Nadeldurchmesser, dadurch weniger Schmerzen beim Einstechen,<br />

keine Gefahr des Abknickens, vergleichsweise niedriger Preis, einfache Handhabung.<br />

Nur wenn ein Katheter mit einer Metallnadel nicht vertragen wird oder unangenehme<br />

Trageeigenschaften besitzt, sollte ein Teflonkatheter benutzt werden.<br />

Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Abkoppelbarkeit. Wer die Insulinpumpe häufiger<br />

ablegen möchte, z.B. beim Duschen, <strong>Bad</strong>en, Sex, Schwimmen oder bei sportlicher Aktivität,<br />

sollte sich für ein Kathetermodell mit der Möglichkeit des Abkoppelns entscheiden.<br />

Diese Katheter sind in der Herstellung etwas aufwändiger und deshalb teurer.<br />

Ein komplett getrennter Bezug von Kanülenteil und Verbindungsschlauch ist nur<br />

beim Katheter Disetronic Rapid D möglich. Der Austausch des Transfer Sets ist lediglich<br />

beim Ampullenwechsel notwendig. Dies spart Insulin, Abfall, Zeit und Kosten.<br />

Beim Katheter Disetronic Tender sind in einer Packungseinheit jeweils 20 Kanülen und<br />

10 Schläuche vorhanden. Dagegen sind bei den abkoppelbaren Kathetern der Firma<br />

Medtronic Minimed stets Nadel- und Schlauchteil gemeinsam verpackt, wodurch der<br />

Aufwand an Material, Geld und Zeit größer ist. Allerdings beinhaltet die Möglichkeit<br />

des Abkoppelns auch die Gefahr einer Diskonnektion.<br />

Die Kosten für Kathetermaterial sind bei einer Insulinpumpenbehandlung beträchtlich.<br />

Von jedem Insulinpumpenträger sollte der Gesichtspunkt Wirtschaftlichkeit bedacht<br />

werden und bei der Katheterauswahl Berücksichtigung finden. Eine falsche<br />

Sparsamkeit mit zu seltenem Katheterwechsel und gleichzeitig erhöhtem Risiko für<br />

Hautinfektionen mit evtl. Abszessbildung und der Gefahr der BZ-Entgleisung bei seltenem<br />

Wechsel ist freilich nicht angezeigt.<br />

Ein nachgeordnetes Entscheidungskriterium sind Nadel- und Schlauchlänge. Für die<br />

Katheter mit senkrechter Einstichrichtung sind unterschiedliche Kanülenlängen erhältlich.<br />

Eine Nadellänge von 6 mm ist Kindern und sehr schlanken Personen vorbe-<br />

95


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

halten, denn die Gefahr des Herausrutschens der Kanüle und des Insulinrückflusses<br />

bei größerem Bolus ist größer. Auf eine sichere Fixierung ist zu achten. In den meisten<br />

Fällen wird eine Nadellänge von 8 - 10 mm gewählt, dabei sind Hautdicke und Tragekomfort<br />

zu beachten. Kanülen mit einer Länge von 12 mm sind in der Regel nur für<br />

übergewichtige Menschen empfehlenswert. Bei denjenigen Kathetern, die schräg eingestochen<br />

werden, ist die Nadellänge natürlicherweise größer, die wünschenswerte<br />

Einstichtiefe ist durch den Einstichwinkel veränderbar. Ein größerer Wechsel der Einstichtiefe<br />

ist zu vermeiden, da die Geschwindigkeit der Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe<br />

auch davon abhängt. Die Kanülen sollten allerdings mit ihrer gesamten<br />

Länge in die Haut geschoben werden, um das Risiko für ein Herausrutschen zu<br />

verringern. Die Wahl der Schlauchlänge richtet sich nach den persönlichen Vorlieben.<br />

5.2.1 Katheter mit Metallkanüle<br />

Disetronic Rapid: Katheter mit senkrechter Stahlkanüle, selbsthaftender Rondelle aus<br />

Baumwolle, Rondellenhalter einfach abnehmbar (Luer-Anschluss). Kanülendurchmesser<br />

0,36 mm, Kanülenlängen 6, 8, 10 und 12 mm, Schlauchlängen 60, 80 und 110 cm.<br />

Wegen der einfachen Handhabung, der feinen Kanüle, des hohen Tragekomforts und<br />

des relativ günstigen Preises ist er ein sehr bewährtes und häufig benutztes Modell,<br />

wenn auf die Abkoppelbarkeit kein Wert gelegt wird.<br />

Hinweis: Bei vermehrtem Schwitzen und bei Sport ist eine zusätzliche Fixierung mit<br />

einem durchsichtigen Folienpflaster empfehlenswert.<br />

Disetronic Rapid D: Dieser Katheter besitzt hinsichtlich des Kanülenteils die gleichen<br />

Eigenschaften wie der Katheter Disetronic Rapid, also senkrechte Stahlkanüle (Durchmesser:<br />

0,36 mm, Kanülenlängen 6, 8, 10 und 12 mm), selbstk<strong>leben</strong>de Rondelle mit abnehmbarer<br />

Halterung. Die Schlauchlänge ist 10 cm und besitzt ein Kupplungsstück.<br />

Hier kann der Verbindungsschlauch (»Transfer Set Rapid D« genannt) angekoppelt<br />

96<br />

Katheter Disetronic Rapid<br />

mit abnehmbarem Rondellenhalter<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

werden; er ist in den Längen 20, 50, 70 und 100 cm erhältlich. Die Kupplung erfolgt<br />

mit einer kleinen Nadel, die eine elastische Membran durchsticht; beim An- und Abkoppeln<br />

erfolgt daher kein Insulinschub. Zum Schutz vor Verschmutzung werden die<br />

Kupplungsteile nach dem Abkoppeln mit wasserdichten Schutzkappen (»Protective<br />

Cap«) verschlossen. Falls eine Stahlkanüle gut vertragen wird und der Komfort der Abkoppelbarkeit<br />

wichtig ist, stellt dieser Katheter ein sehr empfehlenswertes und auch<br />

relativ kostengünstiges Modell dar.<br />

Hinweis: Kanüle und Katheter können getrennt bezogen werden. Der Austausch<br />

des Verbindungsschlauches sollte aber spätestens beim Ampullenwechsel erfolgen.<br />

Der Einstich der Kanüle ist durch den sehr geringen Durchmesser der Nadel deutlich<br />

schmerzärmer als bei den Teflonkathetern und führt zu einer deutlich geringeren<br />

Narbenbildung.<br />

Disetronic Classic: Der von der Konzeption her älteste Katheter. Die Stahlkanüle ist vorgebogen,<br />

sie wird schräg in die Haut eingestochen. Kanülendurchmesser 0,40 mm,<br />

Katheter Disetronic Classic<br />

mit Flügel<br />

Katheter Disetronic Rapid D –<br />

abkoppelbar mit Metallkanüle<br />

97


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Kanülenlänge 13 mm, Schlauchlängen 30, 60, 80 und 110 cm. Er hat Stoffflügel aus<br />

hautverträglicher Baumwolle und ist derzeit der kostengünstigste Katheter.<br />

Hinweis: Es sollte eine Entlastungsschlaufe gebildet werden.<br />

Polyfin und Polyfin QR (Medtronic Minimed): Katheter mit gebogener Stahlkanüle,<br />

mit und ohne Stofflügel erhältlich. Kanülendurchmesser 0,4 mm, Kanülenlänge<br />

18,2 mm, Schlauchlängen 61 und 107 cm. Das Modell Polyfin QR (Quick Release) besitzt<br />

eine Diskonnektiereinheit und ist von den abkoppelbaren Kathetern der preisgünstigste.<br />

Hinweis: Eine Entlastungsschlaufe ist ratsam.<br />

Easy-set (Medtronic Minimed): Katheter mit senkrechter Stahlkanüle, Kleberondelle<br />

und Entkoppelungseinheit inklusive Kopplungsschutz. Nadelteil und Kupplungsteil<br />

sind wie beim Katheter Disetronic Rapid D mit einem kurzen Schlauchstück verbunden,<br />

allerdings besitzt auch das Kupplungsstück eine Kleberondelle. Es entspricht von<br />

der Bauart her dem des Katheters Disetronic Tender. Nadeldurchmesser 0,4 mm, Nadellängen<br />

6, 8 und 10 mm, Schlauchlänge insgesamt 80 cm. Der getrennte Bezug von<br />

Nadelteil und Schlauchteil ist nicht möglich. Wesentliche Vorteile gegenüber dem vergleichbaren<br />

Katheter Disetronic Rapid D bestehen nicht, der Preis ist jedoch deutlich<br />

höher.<br />

98<br />

Das Easy-set von<br />

Medtronic Minimed<br />

5.2.2 Teflonkatheter<br />

Anstelle einer Stahlkanüle wird bei diesen Kathetern ein Teflonschlauch mit Hilfe einer<br />

Führungsnadel (Mandrin) ins Unterhautfettgewebe eingebracht. Der Stahlmandrin<br />

wird nach dem Einstechen entfernt, der flexible Teflonschlauch verbleibt in der<br />

Haut. Das erneute Einführen des Mandrins in den liegenden Teflonschlauch muss auf<br />

jeden Fall unterbleiben, da ansonsten Teflonteile »abgeschilfert« werden könnten.<br />

Vorteile des Teflonkatheters:<br />

● kein »Kratzen« auf der Muskelfaszie (z.B. beim Sport)<br />

● keine Schmerzen bei dünnem Unterhautfettgewebe<br />

● angenehmerer Tragekomfort<br />

● Ausweg bei Nickelallergie<br />

Nachteile des Teflonkatheters<br />

● größerer Kanülendurchmesser<br />

● der Einstich ist meist schmerzhafter<br />

● Gefahr des »Aufbördelns« des Teflonschlauches beim Einstechen<br />

● höherer Preis<br />

● kein Umsetzen der Nadel möglich<br />

● Gefahr des Abknickens, insbesondere bei schräger Einstichrichtung<br />

● oft bleiben weiße Einstichnarben zurück<br />

Hinweise zum Einstechen des Teflonschlauches<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Um während des Durchstechens der obersten Hautschicht ein Aufbördeln des Teflonschlauches<br />

über dem Mandrin zu vermeiden, kann man den Katheter zuvor eine Stunde<br />

in das Eisfach des Kühlschrankes legen. Der Teflonschlauch wird dadurch härter.<br />

Die Firma Medtronic Minimed bietet für ihre Kathetermodelle Sof-Set bzw. Quick-Set<br />

spezielle Einführhilfen, nämlich den Sof-Serter bzw. den Quick-Serter als Zubehör an.<br />

Damit lassen sich die Teflonkanülen sicherer und schmerzärmer applizieren, die Gefahr<br />

eines »Aufbördelns« ist kaum gegeben. Allerdings ist die Handhabung etwas umständlich,<br />

und die Einstechhilfen sind sperrig und teuer.<br />

99


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

100<br />

Der abkoppelbare Katheter<br />

Disetronic Tender mit Teflonkanüle<br />

Katheter Disetronic Tender: Katheter mit 17 mm langer Kunststoffkanüle aus Teflon, die<br />

schräg in die Haut gestochen wird. Einstichwinkel und damit Einstichtiefe sind individuell<br />

veränderbar. Die Teflonkanüle (0,50 mm) mit Führungsnadel hat im Vergleich zu<br />

anderen Kunststoffkanülen einen geringeren Durchmesser, ein spezielles »Schussgerät«<br />

zum Einstechen ist nicht erforderlich. Die Fixierung erfolgt über eine selbstk<strong>leben</strong>de<br />

Rondelle mit kleinem Sichtfenster an der Einstichstelle. Vier verschiedene<br />

Schlauchlängen mit 30, 60, 80 und 110 cm stehen zur Verfügung. Der Verbindungsschlauch<br />

zur Insulinampulle kann direkt am Kanülenteil abgekoppelt werden, ein Verbindungsstück<br />

wie beim Katheter Disetronic Rapid D oder beim Easy-set ist nicht erforderlich.<br />

Spezielle Adapter dienen zum sicheren Verschluss während des Abkoppelns.<br />

Der Übergang Schlauch/Teflonnadel wird durch eine kleine Nadel mit Membran<br />

hergestellt, so dass beim Ankoppeln kein Insulinschub erfolgt. Eine Packungseinheit<br />

enthält 20 Kanülen und 10 Schläuche, ein Schlauchwechsel erfolgt somit nicht bei jedem<br />

Kanülenwechsel. Dies spart Insulin, Zeit und Geld, auch ist der Abfall geringer.<br />

Das abkoppelbare Soft-set<br />

von Medtronic Minimed<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Sof-Set (Medtronic Minimed): Katheter mit senkrechter Teflonkanüle, Kanülendurchmesser<br />

0,55 mm, Schlauchlänge: 61 cm und 107 cm. Kanülenlänge 9 mm. Kein Abkopplungsmechanismus.<br />

Einführhilfe »Sof-serter« erhältlich. Preisgünstigster Katheter<br />

mit Kunststoffkanüle.<br />

Sof-Set Micro QR / Sof-Set Ultimate QR (Medtronic Minimed): Wie beim Sof-Set senkrechte<br />

Teflonkanüle, gleicher Durchmesser von 0,55 mm, gleiche Schlauchlängen,<br />

Kanülenlänge beim Sof-Set Micro QR 6 mm und beim Sof-Set Ultimate QR 9 mm.<br />

Quick Release Mechanismus zum Abkoppeln. Kanülen- und Schlauchteil sind nur gemeinsam<br />

erhältlich. Als Zubehör gibt es den »Sof-serter« zum leichteren Einstechen.<br />

Hinweis: Bei Kathetern der Sof-Set Reihe wurde vermehrt über ein Herausrutschen<br />

der Kunststoffkanüle aus der Haut berichtet, insbesondere beim Sof-Set Micro QR.<br />

Die Fixierung über eine kleine Klebefläche am Flügel und das mitgelieferte Pflaster<br />

ist manchmal nicht ausreichend.<br />

Quick-Set (Medtronic Minimed): Abkoppelbarer Katheter mit senkrechter Teflonkanüle<br />

und Kleberondelle. Der Abkopplungsmechanismus befindet sich direkt am<br />

Kanülenteil. Kanülendurchmesser 0,50 mm, Nadellänge 6 und 9 mm, Schlauchlänge<br />

58 und 109 cm. Zur Applikationserleichterung steht der »Quick-serter« zur Verfügung.<br />

Ein getrennter Bezug von Kanülenteil und Schlauchteil ist nicht möglich. Gegenüber<br />

den anderen Kathetern mit Kunststoffkanüle bestehen keine offensichtlichen Vorteile,<br />

die den deutlich höheren Preis rechtfertigen.<br />

101


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

5.2.3 Gegenüberstellung der wichtigsten Katheterarten<br />

A: Katheter mit Metallkanüle<br />

Disetronic Polyfin/ Disetronic Disetronic Easy-set<br />

Classic Polyfin QR Rapid Rapid D (Medtronic<br />

mit Flügel (Medtronic Minimed)<br />

Minimed)<br />

Einstichrichtung schräg schräg senkrecht senkrecht senkrecht<br />

abkoppelbar nein nein / QR: ja nein ja ja<br />

Kanülendurch- 0,40 0,40 0,36 0,36 0,40<br />

messer in mm<br />

Kanülenlänge 16 18,2 6; 8; 6; 8; 8; 10;<br />

in mm 10; 12 10; 12 12<br />

Schlauchlänge 30; 60; 61; 107 60; 80; Nadelteil: 10 80<br />

in cm 80; 110 110 TransferSet:<br />

20; 50; 70; 100<br />

Anschluss- Luer Luer und Luer Luer Luer und<br />

möglichkeit ausschließlich ausschließlich<br />

für Paradigm für Paradigm<br />

Abb. 39<br />

102<br />

B: Katheter mit Teflonnadel<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Disetronic Sof-Set Sof-Set Sof-Set Quick-Set<br />

Tender (Medtronic micro QR ultimate QR (Medtronic<br />

Minimed) (Medtronic (Medtronic Minimed)<br />

Minimed) Minimed)<br />

Einstichrichtung schräg senkrecht senkrecht senkrecht senkrecht<br />

abkoppelbar ja nein ja ja ja<br />

Kanülendurch- 0,50 0,55 0,55 0,55 0,50<br />

messer in mm<br />

Kanülenlänge 17 9 6 9 6; 9<br />

in mm<br />

Schlauchlänge 30; 60; 61; 107 61; 107 61; 107 60; 110<br />

in cm 80; 110<br />

Anschluss- Luer Luer Luer und Luer und Luer und<br />

möglichkeit ausschließlich ausschließlich ausschließlich<br />

für Paradigm für Paradigm für Paradigm<br />

Abb. 40<br />

103


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

104<br />

5.3 Katheterwechsel<br />

Körperregionen<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Die Bauchhaut ist sicherlich zurecht beim Insulinpumpenträger die beliebteste Kathetereinstichstelle.<br />

Hier wird das Insulin am schnellsten und gleichmäßigsten aufgenommen,<br />

die Durchblutung der Bauchhaut ist konstanter als bei Körperregionen wie Oberschenkel<br />

und Oberarm, die aktiv bewegt werden. Das relativ dicke Unterhautfettgewebe<br />

am Bauch schützt zudem die obere Muskelschicht vor Verletzungen. Als<br />

Kathetereinstichstellen sollten Bezirke gewählt werden, die »ruhig liegen« (keine<br />

Hautfalten, kein Druck durch Gürtel, Hosenträger oder Gummizug). Der Bereich unmittelbar<br />

um den Nabel ist zu meiden, ebenso narbig veränderte Hautregionen oder<br />

Fettgewebsansammlungen. Wie beim herkömmlichen Insulinspritzen sollte die Einstichstelle<br />

regelmäßig gewechselt werden (rechte / linke Bauchseite sowie oberhalb /<br />

unterhalb des Gürtels). Gerade im Rahmen der Insulinpumpen-Therapie kann die Verwendung<br />

von »Lieblingsstellen« zu massiven Fettgewebsansammlungen (Lipohypertrophien)<br />

führen.<br />

Vereinzelt (z.B. in der Schwangerschaft) kann alternativ die seitliche Gesäßregion als<br />

Einstichstelle benutzt werden. Dabei ist auf eine evtl. langsamere Insulinwirkung zu<br />

achten.<br />

Lipohypertrophien nach 17-jähriger<br />

Insulinpumpen-Therapie<br />

105


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Vorbereitung und Durchführung des Katheterwechsels<br />

Generell sollte hier möglichst sauber gearbeitet werden, um Infektionen zu vermeiden.<br />

Nach dem Händewaschen werden die nötigen Materialien bereit gelegt: Hautspray,<br />

Katheter, Pflaster, evtl. neue Ampulle. Wir plädieren für die Einmalverwendung<br />

der Materialien. Katheter sollten nur einmal benutzt werden. Eine gebrauchte Katheternadel<br />

kann bei mehrfacher Verwendung Keime ins Unterhautfettgewebe bringen<br />

und hier zu Entzündung und Eiteransammlung (Abszess) führen.<br />

Bei sauberem Vorgehen ist es vertretbar und empfehlenswert, dass der Schlauchanteil<br />

bei abkoppelbaren Kathetern mehrmals benutzt wird. Ein Austausch sollte dann<br />

zweckmäßigerweise zusammen mit einem Patronenwechsel vorgenommen werden.<br />

Dies ist aus Kostengründen beim Katheter Rapid D angezeigt, da hier Kanülenstück<br />

und Schlauchanteil getrennt geliefert werden. Beim Quick-Set, Sof-Set und Easy-Set ist<br />

dies bisher leider nicht möglich, da nur Packungen mit Schlauch und Nadelteil geliefert<br />

werden.<br />

Bei Glas- und Kunststoffampullen sind ebenfalls nur für den Einmalgebrauch gedacht.<br />

Nach mehrmaligem Gebrauch kann die Innenbeschichtung der Ampullen abgenutzt<br />

und die Gleitfähigkeit des Gummistopfens herabgesetzt sein. Zudem kann durch unvollständige<br />

Entleerung der Ampulle das Insulin geleeartig verändert und in seiner<br />

Wirkung eingeschränkt werden.<br />

Vor dem Katheterlegen muss die Haut mit einem Spray gewissenhaft desinfiziert werden,<br />

um Hautinfektionen zu vermeiden. Die empfohlene Einwirkzeit des Desinfektionsmittels<br />

(ca. 2 Minuten) ist dabei zu beachten. Besonders zu Hautinfektionen neigende<br />

Patienten profitieren von folgendem Vorgehen: Nach der Desinfektion wird<br />

zunächst ein kleines durchsichtiges Pflaster auf die Haut geklebt (z.B. Tegaderm) und<br />

dann hindurchpunktiert. Dadurch werden weniger Hautkeime in den Stichkanal ein-<br />

106<br />

Fixierung der Schlaufe mit Folie<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

gebracht. Alternativ hat sich in diesen Fällen auch die Verwendung von bakterizider<br />

Salbe (z.B. Braunovidon) bewährt, die nach dem Einstich vorsichtig am Übergang<br />

Nadel-Kanülenträger platziert wird.<br />

Vor der Punktion wird, wie bei der Injektion mit Spritze/Pen, eine Hautfalte gebildet.<br />

Bei Kathetern mit senkrechter Kanüle erfolgt der Einstich senkrecht in die Hautfalte.<br />

Bei den übrigen Kathetern mit schräger Nadel wird im gewünschten Winkel eingestochen.<br />

Von einigen Insulinpumpenzentren wird empfohlen, während des Punktionsvorganges<br />

einen Bolus von 0,5 I.E. abzugeben. Damit wird insbesondere gewährleistet,<br />

dass die Insulinpumpe nicht versehentlich im Stop-Zustand verbleibt und<br />

Hautpartikel nicht die feinen Kanülen verstopfen. Bei Teflonkathetern mit Mandrin<br />

(Tender, Quick-Set, Sof-Set,) ist es notwendig, nach dem Entfernen des Mandrins<br />

(Führungsnadel) 0,5 - 1 I.E. als Extrabolus zu geben, um den Teflonteil zu füllen.<br />

Zur Sicherung des Katheters empfehlen wir, eine Entlastungsschlaufe anzulegen, damit<br />

bei einem plötzlichen Zug der Katheter nicht herausrutscht. In der folgenden<br />

Checkliste ist die Durchführung des Katheterwechsels genau beschrieben (Abb. 41).<br />

Fixierung mit einem Pflaster<br />

107


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Checkliste bei Katheterwechsel<br />

(beispielhaft für Insulinpumpe H-TRONplus)<br />

108<br />

1. Reinigen der Hände ...................................................................... �<br />

2. Bereitlegen der Materialien<br />

(Katheter, Pflaster, Desinfektionsmittel) .......................................... �<br />

3. Gebrauchten Katheter entfernen ................................................... �<br />

4. Insulinpumpe in Stop-Zustand bringen ........................................... �<br />

5. Desinfektion der Haut an der geplanten Einstichstelle<br />

(ca. 2 Minuten Wirkzeit) ................................................................ �<br />

6. Neuen Katheter vorbereiten .......................................................... �<br />

7. Gegebenenfalls neue Ampulle einsetzen und<br />

Insulinpumpe initialisieren ............................................................ �<br />

8. Katheter an der Insulinpumpe festschrauben .................................. �<br />

9. Katheter füllen (Insulinpumpe dabei aufstellen<br />

wegen möglicher Luftbläschen) ..................................................... �<br />

10. Insulinpumpe in Run-Zustand bringen ............................................ �<br />

11. evtl. Bolus von 0,5 Einheiten setzen ............................................... �<br />

12. Katheter einstechen ..................................................................... �<br />

13. Katheter fixieren (Sicherheitsschlaufe) ........................................... �<br />

14. Kontrolle: Insulinpumpe im Grundzustand Run? .............................. �<br />

Abb. 41: Checkliste beim Katheterwechsel für Insulinpumpen von Disetronic<br />

Häufigkeit des Katheterwechsels<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Die üblicherweise empfohlene Katheterliegedauer beträgt ca. 2 Tage. Bei seltenerem<br />

Wechsel erhöht sich die Infektionsgefahr an der Einstichstelle. Nicht selten kommt es<br />

bei längerer Katheterliegedauer zu einer Verschlechterung der Insulinaufnahme mit<br />

Wirkungsabschwächung. Als Folge ist das Risiko einer ketoazidotischen Entgleisung<br />

erhöht.<br />

Blutzucker<br />

Katheterwechsel<br />

Montag Dienstag <strong>Mit</strong>twoch Donnerstag Freitag<br />

Abb. 42: Periodik der Blutzuckerentgleisung bei seltenem Katheterwechsel<br />

(Schematische Darstellung)<br />

Da der Preis für einen Katheter zwischen 5 und 12 € beträgt, wollen kostenbewusste<br />

Insulinpumpenträger auch aus diesen Gründen den Katheterwechsel seltener durchführen.<br />

Dies ist sicher am falschen Ort gespart! Ein täglicher Katheterwechsel ist allerdings<br />

im Regelfall selten notwendig.<br />

Tipp: Unsachgemäßes Ankoppeln des Katheters Rapid D<br />

Falls beim Katheter Disetronic Rapid D die beiden Kupplungsenden nicht passgerecht miteinander<br />

verbunden werden, sondern sie sehr schräg zusammengesteckt werden und dabei<br />

gleichzeitig etwas Druck ausgeübt wird, kann die im Kupplungsteil des Verbindungssets eingeschweißte<br />

Nadel abgebogen werden. Diese kann dann nicht mehr die Sicherheitsmembran<br />

im Kupplungsstück des 10 cm langen Kanülenschlauches durchstoßen. Als Folge tritt Insulin an<br />

der Kopplungsstelle aus (Geruch! Feuchtigkeit!).Wird dieser Defekt vom Insulinpumpenträger<br />

nicht rasch bemerkt und behoben, kommt es zu einem absoluten Insulinmangel mit ketoazidotischer<br />

Entgleisung.<br />

109


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Tipp: Luft in der Ampulle bzw. im Schlauch<br />

Aufgrund von Temperaturschwankungen können sich in der Insulinampulle Luftansammlungen<br />

bilden. Falls diese durch den Katheterschlauch in das Unterhautfettgewebe gelangen,<br />

besteht in keinem Fall eine direkte, größere Gefahr – die Angst vor einer Luftembolie ist völlig<br />

unbegründet und entbehrt jeglichem Realitätssinn. Stattdessen besteht das Problem der unerwünschten<br />

Luftblasen in der fehlenden Insulinwirkung, denn »Luft senkt nicht den Blutzucker«.<br />

Das folgende »Anti-Luft-Programm« will dazu beitragen, dass bedeutsame Luftmengen<br />

in der Ampulle nicht entstehen, bzw. es will verhindern, dass Luft in den Katheter gelangt.<br />

● Insulinfläschchen bzw. Fertigampullen sind rechtzeitig vor dem Umfüllen bzw.<br />

Einsetzen in die Insulinpumpe aus dem Kühlschrank zu nehmen.<br />

● Das Insulin in der Patrone sollte beim Ampullenwechsel auf Zimmertemperatur angewärmt<br />

sein.<br />

● Die Insulinampulle ist vor dem erstmaligen Einsetzen und bei jedem Katheterwechsel auf<br />

eventuelle Luftansammlungen zu überprüfen.<br />

● Die Insulinpumpe während des Katheterfüllprogramms senkrecht stellen mit der Katheteranschlussstelle<br />

nach oben.<br />

● Schlauchsystem auf eventuelle Luftblasen überprüfen.<br />

● Patronen- bzw. Kanülenwechsel möglichst nicht vor dem Schlafengehen durchführen.<br />

● Es wird empfohlen, die Insulinpumpe am Körper nicht senkrecht mit der Katheteranschlussstelle<br />

nach oben zu tragen.<br />

Sollte trotzdem eine kurze Luftstrecke im Katheterschlauch bemerkt werden, besteht überhaupt<br />

kein Grund zur Panik. Luftansammlungen bis 2 cm Länge sind völlig harmlos. Man<br />

beachte: Die Menge von 1 I.E. Insulin entspricht bei einer U100-Konzentration einer Schlauchlänge<br />

von etwa 10 cm.<br />

110<br />

Tipp: Fehler beim Katheterwechsel<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Unwissenheit, aber auch mangelnde Sorgfalt bedingen immer wieder ein fehlerhaftes Vorgehen<br />

beim Katheterwechsel. Dadurch kann die korrekte Insulinabgabe unterbrochen werden<br />

und es besteht die Möglichkeit einer ketoazidotischen Entgleisung.Als Gefahrenpunkte sind zu<br />

nennen:<br />

● Die Insulinpumpe bleibt versehentlich im Stop-Zustand.<br />

● Es wird vergessen, das Katheterfüllprogramm zu aktivieren.<br />

● Der Luer-Lock-Anschluss wird nicht ausreichend festgeschraubt, so dass an dieser Stelle<br />

Insulin entweichen kann.<br />

● Der Luer-Lock-Anschluss wird zu stark festgedreht, so dass ein kleiner Haarriss entsteht,<br />

durch den Insulin austritt.<br />

● Beim abkoppelbaren Katheter werden die beiden Koppelungsteile nicht korrekt miteinander<br />

verbunden, z.B. Abknicken der Nadel beim Katheter Rapid D.<br />

Als zweckmäßige Vorsichtsmaßnahmen bzw. zum raschen Erkennen eines Fehlers dienen folgende<br />

einfache Empfehlungen:<br />

● Vor dem Einstechen der Kanüle in das Unterhautfettgewebe sollte die Insulinpumpe in den<br />

Run-Zustand versetzt werden, es ist ein Bolus von 0,5 - 1 I.E. Insulin abzugeben und es wird<br />

bewusst beobachtet, wie ein kleiner Insulintropfen an der Nadelspitze erscheint. Erst dann<br />

wird die Nadel eingestochen.<br />

● Kommt es 5 - 10 Stunden nach einer Veränderung am Kathetersystem (vorübergehendes<br />

Abkoppeln, Kanülenwechsel, Austausch von Schlauch bzw. Insulinampulle) zu einem vordergründig<br />

unerklärlichen Blutzuckeranstieg bzw. werden Frühzeichen einer ketoazidotischen<br />

Entgleisung wahrgenommen, muss als Ursache auch eine Unterbrechung der Insulinzufuhr<br />

in Erwägung gezogen werden. Das komplette Ampullen-/Katheter-/Kanülensystem<br />

ist zu überprüfen und großzügig zu wechseln.<br />

● Es ist auf den typischen Insulingeruch zu achten. Wird dieser wahrgenommen, gelangt<br />

irgendwo auf dem Weg von der Ampulle zur Nadel Insulin nach außen. Die Leckstelle muss<br />

umgehend ausfindig gemacht werden, und die Ursache ist zu beseitigen.<br />

● Ein weiterer Hinweis für eine Leckage ist das Auftreten von Feuchtigkeit an einer Anschlussstelle<br />

bzw. längs des Katheterverlaufs.<br />

111


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Weitere Tipps:<br />

● Eine Katheterliegedauer länger als 2 bis 3 Tage birgt das Risiko von Infektionen und einer<br />

veränderten Insulinwirkung. Eine fehlende Desinfektion der Kathetereinstichstelle kann zu<br />

Entzündungen führen (Einwirkdauer des Desinfektionsmittels von ca. 2 Minuten beachten).<br />

● Von einem Ampullenwechsel mit im Bauch liegender Katheternadel ist dringend abzuraten.<br />

Auch sollten Manipulationen an der Adapterschraube bzw. am Luer-Anschluss bei liegendem<br />

Katheter vermieden werden. In diesem Fall kann es zu einer unkontrollierten Insulinabgabe<br />

kommen.<br />

● Wird nach dem Wechseln des gesamten Kathetersystems vergessen, den Schlauch mit Insulin<br />

zu füllen, so kommt es je nach benutzter Katheterlänge zu einem Insulinmangel von 5<br />

bis 20 I.E., d.h. es besteht ein Insulindefizit, das bis zur Hälfte des täglich notwendigen Insulinbedarfs<br />

betragen kann.Wegen des sich in der Folge entwickelnden vollständigen Insulinmangels<br />

kann es zu einer beginnenden ketoazidotischen Entgleisung kommen.Abhilfe:Vor<br />

dem Einstechen der Katheternadel in die Haut wird ein »Sicherheitsbolus« von 0,5 - 1 I.E.<br />

Insulin abgegeben und beobachtet, wie an der Nadelspitze ein kleines Flüssigkeitströpfchen<br />

erscheint. Damit ist gewährleistet, dass der Katheter vollständig gefüllt ist und dass sich die<br />

Insulinpumpe im Grundzustand RUN befindet.<br />

5.4 Folien<br />

Folien haben die Aufgabe, den Katheter zu fixieren und eine Keimbesiedlung der Kathetereinstichstelle<br />

zu vermindern. Es gibt zwei Arten von Folienmaterialien:<br />

● wasserdichte durchsichtige Folien<br />

● nicht wasserdichte Folien (Vlies o.ä.)<br />

Folienmaterialien<br />

112<br />

1. Wasserdichte durchsichtige Folien<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Klebkraft Zugfestigkeit Handhabung<br />

Ensure-it<br />

(BD) ++ + gut<br />

Hydrofilm<br />

(Hartmann) O + gut<br />

OpSite<br />

(Smith-Nephew) ++ + sehr gut<br />

Tegaderm<br />

(3M) + + sehr gut<br />

2. Nicht wasserdichte Folien<br />

Klebkraft Zugfestigkeit Handhabung<br />

Leukosilk<br />

(Hartmann) O + gut<br />

Omnifix<br />

(Hartmann) ++ ++ gut<br />

Primapore<br />

(Smith-Nephew) ++ ++ gut<br />

O = gering ausgeprägt + = stark ausgeprägt ++ = sehr stark ausgeprägt<br />

Abb. 43: Eigene Erfahrungen mit Folienmaterialien<br />

Prinzipiell ist bei jeder Folie die Möglichkeit einer allergischen Reaktion gegeben. Diese<br />

äußert sich durch Juckreiz im Bereich der Folie oder Blasenbildung am Rande der<br />

Folie. In diesen Fällen müssen andere Materialien ausprobiert werden. Erfahrungsgemäß<br />

werden die wasserdichten Folien besser vertragen, als die Folien aus Vlies. Die<br />

Ensure-it-Folie scheint besonders selten Allergien hervorzurufen.<br />

113


5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Leukosilk eignet sich nur zur Fixation einer Katheterschlaufe, evtl. eines Rondellenkatheters.<br />

Es sollte nicht mit einem Flügelkatheter verwendet werden.<br />

<strong>Mit</strong> dem Cavilon-Spray ® 3M kann ein Film zwischen Haut und Pflastermaterial erzeugt<br />

werden. Damit lassen sich allergische Reaktionen verringern bzw. vollkommen<br />

vermeiden. Auch ist das Infektionsrisiko an der Kathetereinstichstelle kleiner.<br />

5.5 Katheterprobleme und wie man sie vermeidet<br />

Allergien gegen Kathetermaterialien, z.B. gegen das Material der Rondelle und Flügel,<br />

äußern sich durch Rötung und Juckreiz der Haut. Ähnliches gilt auch für Allergien<br />

gegen das Material der Nadel (Nickel), die zu Rötung und Juckreiz an der Einstichstelle<br />

führen und von bakteriell bedingten Entzündungen abgegrenzt werden müssen.<br />

Bei Allergien gegen das Material der Flügel, die Rondelle oder auch das Pflaster kann<br />

das Cavilon-Spray helfen. Es bildet einen luftdurchlässigen Film zwischen der Haut und<br />

dem Material. Außerdem klebt das Pflaster auch besser. Bei Unverträglichkeit der<br />

Nadel (Nickelallergie) hilft oft nur die Umstellung auf Katheter mit Teflonkanüle.<br />

Einige Katheterprobleme äußern sich durch Schmerzen bei der Bolusgabe. Neben Entzündungen<br />

und Infektionen (siehe Abschnitt 5.3) können als Ursachen die Verwendung<br />

einer zu langen oder zu kurzen Kanüle, eine ungünstig ausgewählte Einstichstelle<br />

(Hosenbund o.ä. drückt auf Kanüle, Katheter liegt in einer Hautfalte) sowie eine<br />

zu lange Liegedauer des Katheters in Frage kommen.<br />

Das Auftreten von Blut im Katheter kann durch eine zu lang gewählte Kanüle oder<br />

durch ungenügende Fixierung eines Flügelkatheters hervorgerufen werden. Auch<br />

wenn es nicht zu einem Anstieg der Blutzuckerwerte (das Insulin wird durch Zersetzung<br />

zum Teil inaktiviert) oder zu einem Katheterverschluss durch Blutgerinnung im<br />

Schlauch kommt, sollte man den Katheter sofort wechseln.<br />

Im Gegensatz zum Katheterverschluss mit einem Druckanstieg in der Ampulle<br />

(Insulinpumpe D-TRONplus) gibt es für Katheterleckagen keine Alarmzeichen. Da unter<br />

der laufenden Basalrate nur ein relativ kleines subkutanes Insulindepot von ca.<br />

2-3 Einheiten besteht, kann es durch den auftretenden Insulinmangel infolge eines<br />

Katheterlecks innerhalb weniger Stunden zur Lipolyse und ketoazidotischen Entgleisung<br />

kommen. Regelmäßige Blutzuckerselbstkontrollen (mindestens 4 x / Tag) sind somit<br />

für den Insulinpumpenträger die einzige Sicherheit, Ketoazidosen zu vermeiden.<br />

Ursachen für Katheterleckagen sind in Abb. 44 aufgezeigt.<br />

114<br />

● Herausrutschen der Nadel durch ungenügende Fixierung des Katheters<br />

(Haut »riecht« nach Insulin, Feuchtigkeit an der Einstichstelle)<br />

● Abknicken des Teflonkatheters unter oder über der Haut<br />

● Leckage an Verbindungsstücken oder am Schlauchsystem<br />

(Leck »riecht« nach Insulin)<br />

Beispiele:<br />

● Unsachgemäße Ankopplung der beiden Enden beim abkoppelbaren Katheter<br />

● Riss des Schlauches durch starken Zug (auch ein Tierbiss ist schon vorgekommen)<br />

● Lockerung des Katheters (Luer-Lock-Anschluss)<br />

Abb. 44: Ursachen für Leckagen<br />

5. Katheter: Schnittstelle bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Bei einem Katheterdefekt sollte der Katheter der jeweiligen Insulinpumpenfirma zugesandt<br />

werden, die wiederum Kontakt mit der Herstellerfirma der Katheter aufnimmt.<br />

Nur so ist schließlich eine weitere Verbesserung des Kathetermaterials möglich.<br />

115


6. Insulinpumpe und Technik<br />

Ganz klar: Eine Insulinpumpe muss unbedingt zuverlässig sein, denn man vertraut ihr<br />

rund um die Uhr seine Insulinversorgung an. Dass man sich wirklich auf dieses kleine<br />

Präzisionssystem verlassen kann, zeigt ein Blick auf die Technik.<br />

Eine Insulinpumpe, hier die D-TRONplus von Disetronic, besteht im Wesentlichen aus<br />

einem programmierbaren Mikroprozessor, einem Motor mit Getriebe, einer Gewindestange,<br />

einer Insulinampulle und einem Adapter. Der lautlose Motor sorgt dafür, dass<br />

die Gewindestange den Stopfen der Insulin gefüllten Ampulle nach oben schiebt. Dieser<br />

Vorgang wird über einen Computer gesteuert und richtet sich nach der vom Benutzer<br />

vorgenommenen Programmierung. Zwei Mikroprozessoren, die sich laufend<br />

gegenseitig auf ihre Funktion überprüfen sorgen für eine reibungslose Insulinabgabe.<br />

Sollte es einmal zu Unregelmäßigkeiten kommen, die die Insulinversorgung gefährden,<br />

z.B. bei einer Katheterverstopfung, meldet sich die Insulinpumpe mit einem entsprechenden<br />

Alarm.<br />

Der Adapter bildet die Brücke zwischen der Insulinampulle und dem Katheter. In ihn<br />

wird der Katheter eingeschraubt, durch den nun das Insulin in den Körper gelangt. Die<br />

Energieversorgung der Insulinpumpe erfolgt über Batterien.<br />

Auch wenn jedes Insulinpumpenmodell technische Variationen aufweist, ist die grundsätzliche<br />

Funktionsweise doch bei allen gleich. Unterschiede zeigen sich vor allem im<br />

Detail, wenn es z.B. um die Programmierung geht. Dies sei am Beispiel der zwei Disetronic-Insulinpumpen<br />

im folgenden dargestellt:<br />

116<br />

6.1 Bedienung<br />

6. Insulinpumpe und Technik<br />

Die Bedienung der Insulinpumpe H-TRONplus erfolgt über drei Knöpfe, zwei auf der<br />

Oberseite der Pumpe und einen auf der Vorderseite. Alle Knöpfe sind gut fühlbar, so<br />

dass die Pumpe auch unsichtbar durch die Kleidung bedient werden kann. Jede Eingabe<br />

wird über Piepstöne akustisch bestätigt, wobei diese Töne – bis auf Alarme – abgestellt<br />

werden können. Für die Bedienung gibt es Schemata.<br />

Menügesteuert erfolgt die Bedienung bei der Insulinpumpe D-TRONplus, der neuesten<br />

Disetronic-Insulinpumpe. Vier Knöpfe dienen zum Blättern in den verschiedenen<br />

Menüs und zur Bestätigung der ausgewählten Funktionen. Alle Befehle werden wie<br />

bei der Insulinpumpe H-TRONplus durch Töne und Vibrationen bestätigt, die ebenfalls<br />

ausgeschaltet werden können.<br />

<strong>Mit</strong> der neu entwickelten DiaLog-Software zur Pumpenprogrammierung ist die<br />

Programmierung der Insulinpumpe und die Auswertung der gespeicherten Daten<br />

auch über PC möglich. DiaLog ist zunächst nur kompatibel mit der Insulinpumpe<br />

D-TRONplus. Die Kommunikation erfolgt bidirektional über eine Infrarot-Schnittstelle.<br />

Software zur Programmierung der Insulinpumpe D-TRONplus: DiaLog<br />

117


6. Insulinpumpe und Technik<br />

6.2 Basalratenprogrammierung<br />

Die Abgabe der Basalraten wird von einem kleinen Computer präzise gesteuert, der<br />

dafür sorgt, dass ständig kleinste Mengen Insulin an den Körper abgegeben werden.<br />

Durch geeignete Programmierung wird versucht, den basalen Insulinbedarf wie bei<br />

einem Nicht-Diabetiker möglichst gut nachzuahmen.<br />

Zur Basalratenprogrammierung werden bei allen Disetronic-Insulinpumpen stündliche<br />

Gesamtabgabemengen festgelegt. Das so entstehende Basalratenprofil setzt sich<br />

aus 24 Basalraten zusammen, die in Feinabstufungen von 0,1 I.E programmiert werden<br />

können.<br />

Bei der Insulinpumpe H-TRONplus kann ein Basalratenprofil und bei der Insulinpumpe<br />

D-TRONplus können zwei Profile programmiert werden.<br />

Die Abgabe des Insulins erfolgt bei den Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus<br />

alle drei Minuten (variable Abgabemenge).<br />

Bei körperlichen Aktivitäten (Sport, Gartenarbeit etc.) kann das Basalratenprofil bei<br />

beiden Insulinpumpen prozentual gesenkt werden ohne das ursprüngliche Basalratenprofil<br />

zu verändern. Entsprechend ist auch eine prozentuale Erhöhung möglich,<br />

z.B. wenn man krank im Bett liegt. Die Senkung bzw. Erhöhung erfolgt prozentual auf<br />

Knopfdruck (Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus).<br />

6.3 Bolusabgabe<br />

Nahrungsbolus und /oder Korrekturbolus werden vom Pumpenträger je nach Bedarf<br />

festgelegt und per Knopfdruck aktuell einprogrammiert. Vor der Bolusabgabe ist<br />

eine abschaltbare akustische Bestätigung fakultativ möglich. Die Insulinpumpe<br />

D-TRONplus bietet mit drei Bolusvarianten (schnell, individuell, verzögert), die sich in<br />

sehr feinen Schritten programmieren lassen, den größten Komfort. Die Insulinpumpe<br />

H-TRONplus und verfügt über eine Bolusvariante.<br />

Bei beiden Insulinpumpenmodellen erfolgt die eigentliche Bolusabgabe – wie übrigens<br />

auch die Abgabe der Basalrate – lautlos, d.h. ohne begleitendes hörbares Motorengeräusch.<br />

118<br />

6.4 Insulinampullen<br />

6. Insulinpumpe und Technik<br />

Für alle Disetronic-Insulinpumpen stehen vorgefüllte Insulinampullen zur Verfügung:<br />

Insuman Infusat in U100 für die Insulinpumpe H-TRONplus sowie vorgefüllte Penampullen<br />

mit HumalogInsulin für die Insulinpumpe D-TRONplus. Andere Insuline können<br />

in Leerampullen aufgezogen werden. Nach dem Einlegen der Ampulle ist nur noch<br />

das Katheterfüllprogramm zu starten.<br />

6.5 Abruf wichtiger Informationen<br />

Bei jedem Knopfdruck schaltet sich das Display ein und zeigt z.B. die aktuelle Basalrate<br />

oder eine aktivierte vorübergehende Basalratenänderung an. Außerdem verfügen<br />

die Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus über Datenspeicher, aus denen folgende<br />

Informationen abgerufen werden können:<br />

● der aktuelle Inhalt der Insulinampulle<br />

● die Tagesinsulinabgabe (Basalrate und Bolus) seit 0 Uhr<br />

● die letzten 10 Boli<br />

● die letzten 5 Sicherheitsmeldungen mit Uhrzeit<br />

● die Insulinpumpe D-TRONplus verfügt zusätzlich über einen Datenspeicher,<br />

der die letzten 1.400 Ereignisse speichern kann. Diese können mit Hilfe der<br />

Pumpensoftware DiaLog abgerufen werden.<br />

Über ein Interface sind weiterhin die letzten 15 Ereignisse bzw. eingegebene Befehle<br />

mit der dazugehörenden Uhrzeit abrufbar, wie z.B. der Aufruf des Katheterfüllprogramms<br />

oder eine vorgenommene Umprogrammierung der Basalrate.<br />

6.6 Sicherheitssystem<br />

Eine wichtige Rolle für die Sicherheit der Insulinpumpen-Therapie spielen die<br />

Alarm- und Errormeldungen, mit denen die Pumpe vor einer Unterbrechung der Insulinversorgung<br />

warnt. Diese Situation kann durch eine Batterie mit zu geringer Spannung<br />

entstehen, eine fast leere Insulinampulle – oder z.B. durch eine Katheterverstopfung<br />

oder ein Leck in der Ampulle. Alle Disetronic-Insulinpumpen verfügen über<br />

ein umfangreiches Sicherheitssystem. Sie »melden« sich über Pieptöne (Insulinpumpe<br />

H-TRONplus) und zusätzlich über Vibrationsalarm (Insulinpumpe D-TRONplus), wenn<br />

es zu Problemen kommt. Alle Alarm- und Errormeldungen sind auf der Rückseite aufgelistet<br />

und können eindeutig zugeordnet werden.<br />

119


6. Insulinpumpe und Technik<br />

Bei Disetronic Insulinpumpen können alle Alarme eindeutig zugeordnet werden<br />

Als einzige Insulinpumpe verfügt die D-TRONplus über ein Drucksensor-System, das<br />

permanent die Insulinabgabe kontrolliert. Steigt der Druck in der Ampulle an, z.B. bei<br />

einer Katheterverstopfung, wird ein Alarm ausgelöst. Ebenso, wenn der Druck in der<br />

Ampulle abfällt, z.B. bei einem Leck.<br />

6.7 Insulinpumpe und Handy<br />

Das Sicherheitssystem der Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus verhindert das<br />

Auftreten von Ungenauigkeiten in der Insulindosierung bei Beeinflussung der Insulinpumpenelektronik<br />

durch starke elektromagnetische Felder. So kommt es im Extremfall<br />

zu einem Sicherheitsalarm (Error07: Elektronikstörung) und die Insulinzufuhr wird unterbrochen.<br />

In aktuellen Untersuchungen (EMC Fribourg SA, EMC Testcenter Zürich; 1999) wurde<br />

speziell der Einfluss von Mobiltelefonen (Handies) auf die Funktionen der Insulinpumpe<br />

H-TRONplus geprüft. Dabei reichte die Sendeleistung der Handies (C-, D- und<br />

E-Netz) nicht einmal aus, um einen Elektronikalarm auszulösen. Obwohl moderne<br />

Handies die Insulinpumpe H-TRONplus nicht beeinträchtigen, empfiehlt Disetronic<br />

dennoch vorsorglich, das Handy nicht in unmittelbarer Nähe der Insulinpumpe zu betreiben<br />

bzw. zu tragen, der Abstand zwischen beiden sollte 5 cm nicht unterschreiten.<br />

120<br />

6.8 Zwei-Insulinpumpen-Konzept<br />

6. Insulinpumpe und Technik<br />

Jeder Insulinpumpenträger erhält zwei Disetronic-Insulinpumpen. <strong>Mit</strong> diesem Zwei-<br />

Insulinpumpen-Konzept hat der Insulinpumpenträger immer eine funktionsfähige<br />

Insulinpumpe, sodass er nicht wegen eventueller technischer Probleme die Behandlung<br />

ändern oder stationär bzw. ambulant behandelt werden muss. Außerdem bietet<br />

dieses Konzept ein hohes Maß an Sicherheit, besonders wenn sich der Insulinpumpenträger<br />

weit entfernt von seinem Arzt bzw. Insulinpumpenzentrum aufhält (z.B. auf<br />

Auslandsreisen). In jede Insulinpumpe ist eine Laufzeit von zwei Jahren einprogrammiert.<br />

121


6. Insulinpumpe und Technik<br />

Tipp: »Technische Fallen«<br />

Insulinpumpe im Grundzustand STOP<br />

(Insulinpumpen H-TRONplus bzw. D-TRONplus)<br />

Nach einem Katheterwechsel wird bei der H-TRONplus bzw. D-TRONplus mitunter vergessen,<br />

die Insulinpumpe wieder einzuschalten. Oft wurde dabei zuvor die üblicherweise jede Minute<br />

auftretende »Stop-Warnung« ausgeschaltet.Wir empfehlen daher, von der Möglichkeit des Abschaltens<br />

der Piepstöne nur selten Gebrauch zu machen. Das versehentliche Belassen der Insulinpumpe<br />

im Stop-Zustand lässt sich verhindern, indem nach einem Katheterwechsel routinemäßig<br />

vor dem Einstechen der Nadel ein kleiner Bolus (z. B. 0,5 Einheiten) gesetzt und die<br />

Abgabe von Insulin an der Nadelspitze beobachtet wird. Dazu muss sich die Insulinpumpe notwendigerweise<br />

im »Run« befinden.<br />

Sicherheitsalarm (Insulinpumpen H-TRONplus bzw. D-TRONplus)<br />

Der Sicherheitsalarm weckt Sie in den frühen Morgenstunden. Grund: In dem voreingestellten<br />

Zeitintervall (meist 12 Stunden) wurde an der Insulinpumpe kein Knopf gedrückt. Abhilfe:<br />

»bed-side-check«, d. h. vor dem Schlafengehen einen beliebigen Bedienknopf z.B. zur Aktivierung<br />

bzw. Beleuchtung des Displays drücken. Gleichzeitig überprüfen Sie, ob sich die Insulinpumpe<br />

im Grundzustand »Run« befindet.<br />

Falscher Ampulleninhalt (Insulinpumpe H-TRONplus)<br />

Nach einem Ampullen- und Katheterwechsel wird mitunter fälschlicherweise erst das Katheterfüllprogramm<br />

gestartet und dann erst die Initialisierung »neue Patrone« durchgeführt. In<br />

diesem Fall ist die auf dem Display angezeigte Insulinmenge größer als die tatsächliche Restfüllmenge<br />

in der Ampulle. Bei leerer Ampulle kommt es schließlich zum Error 04 (Katheter-/<br />

Nadelverschluss) und nicht zum Error 10 (20 Einheiten Restinhalt). Ein ähnliches Problem stellt<br />

sich beim unvollständigen Füllen einer Insulinampulle (z.B. mit Humalog-lnsulin).<br />

122<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

7.1 Tragen der Insulinpumpe<br />

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Insulinpumpe am Körper zu tragen. Dabei sind<br />

die individuellen Wünsche und Vorlieben des Insulinpumpenträgers zu berücksichtigen,<br />

wie z.B. bevorzugte Kleidung, Sichtbarkeit der Insulinpumpe, Einfachheit der Bedienung,<br />

Katheterlänge sowie das Insulinpumpenmodell.<br />

Ganz allgemein sollte bei der persönlichen Trageweise der Insulinpumpe darauf geachtet<br />

werden, dass einerseits die akustischen Alarmmeldungen jederzeit sicher bemerkt<br />

werden können und dass andererseits eine rasche zuverlässige Bedienung der<br />

Insulinpumpe möglich ist. Die wichtigsten Funktionen können bei allen Insulinpumpen<br />

ohne visuelle Kontrolle, d.h. auch unter der Kleidung, betätigt werden.<br />

Befestigung am Gürtel oder Bund<br />

Taschen mit Gürtelschlaufen oder Clip erlauben die Befestigung am Hosen- oder Rockgürtel<br />

bzw. am Bund.<br />

Vorteil:<br />

● gute Bedienbarkeit<br />

Nachteil:<br />

● Insulinpumpe ist sichtbar<br />

Abhilfe schafft hier ein<br />

Insulinpumpengürtel mit<br />

Klettverschluss.<br />

Die Insulinpumpe kann so<br />

unter der Kleidung versteckt<br />

werden.<br />

Befestigung am Gürtel bzw. Hosenbund mit Clip Case<br />

123


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Insulinpumpe in der Hosentasche<br />

Vorteil:<br />

● gute Bedienbarkeit<br />

Nachteil:<br />

● eventuell Hängenbleiben des<br />

Schlauches an Türgriffen, Sichtbarkeit<br />

des Schlauches<br />

● eventuell können Luftblasen in<br />

den Schlauch gelangen (Luer-<br />

Lock-Anschluss zeigt nach oben).<br />

Tipp für Hobbyschneiderlnnen: Die<br />

Hosentasche kann am oberen Ansatz<br />

innen aufgetrennt werden. So<br />

wird die Insulinpumpe mit Schlauch<br />

problemlos von innen in die Hosentasche<br />

eingeführt. Der Schlauch ist<br />

nicht mehr sichtbar.<br />

Eine weitere Möglichkeit ist die<br />

Nutzung einer für die Insulinpumpe<br />

H-TRONplus angebotenen Schutzhülle<br />

zum Einnähen. Dazu wird<br />

auf der Innenseite der Kleidung ein<br />

Klettelement eingenäht bzw. aufgebügelt. Die Schutzhülle besitzt ein entsprechendes<br />

Gegenstück und wird damit befestigt.<br />

Insulinpumpe in Hemd- oder T-Shirt-Tasche<br />

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Unterbringung in Hemdtaschen oder in<br />

T-Shirts mit eingenähter Tasche.<br />

124<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Frauen können die Insulinpumpe außerdem in oder an ihrem BH tragen.<br />

Befestigung an einer Kordel<br />

Eine häufige Methode ist die Befestigung der Insulinpumpe an einer Leder- oder Stoffkordel,<br />

die um den Hals gelegt wird. Die Insulinpumpe kann so unter der Kleidung getragen<br />

werden, der Luer-Lock-Anschluß zeigt nach unten.<br />

Vorteil:<br />

● gute Bedienbarkeit<br />

● Luftblasen gelangen nicht<br />

in den Schlauch<br />

● Insulin bleibt im Winter<br />

körperwarm<br />

Befestigung<br />

an einer Kordel<br />

125


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Insulinpumpe in der Nacht<br />

In der Nacht besteht das Risiko, dass Alarmmeldungen buchstäblich verschlafen werden.<br />

Einige Patienten lagern die Insulinpumpe daher »an der langen Leine« neben<br />

sich.<br />

Nachteil:<br />

● Abkopplungen sowie Verknotungen im Schlauch sind möglich.<br />

Die Insulinpumpenfirmen bieten spezielle Gürtel an, die eine Fixierung der Insulinpumpe<br />

am Körper gestatten oder Cliptaschen, bzw. an der Insulinpumpe zu befestigende<br />

Clip-Einrichtungen für den Schlafanzugbund. Vor dem Zubettgehen hat sich<br />

eine kurze Prüfung der Insulinpumpenfunktion bewährt:<br />

126<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

● Insulinpumpe im Run-Zustand? (»Insulinpumpengruß« bei den Insulinpumpen<br />

H-TRONplus und D-TRONplus)<br />

● Luer-Lock-Anschluss und Katheternadel gut fixiert?<br />

● Größere Luftblasen im Schlauch?<br />

● Genügend Restinsulin in der Ampulle?<br />

Abb. 45: »bed-side-check«<br />

Duschen, Schwimmen und Tauchen mit der Insulinpumpe<br />

Die Insulinpumpe D-TRONplus ist wasserdicht und muss während des Duschens nicht<br />

abgelegt werden, die Minimed 508 sollte in einem Duschbeutel getragen werden. Die<br />

Insulinpumpe H-TRONplus ist während des Duschens abzulegen, dabei haben sich abkoppelbare<br />

Katheter bewährt.<br />

Werden die Sicherheitsmaßnahmen beachtet (Batteriefächer, Ampullenfach durch<br />

Gummiringe sicher gedichtet), kann mit der Insulinpumpe D-TRONplus gebadet werden,<br />

Salzwasser sollte nachher abgespült werden. Für die nur spritzwassergeschützte<br />

Minimed 508 bietet die Firma einen kleinen durchsichtigen Kunststofftresor an, der<br />

das <strong>Bad</strong>en mit diesem Modell ebenfalls erlaubt. Zum Tauchen dürfen die Insulinpumpen<br />

nicht getragen werden. Beim Saunagang müssen alle Insulinpumpenmodelle<br />

»draußenbleiben«.<br />

7.2 Insulinpumpe und Psyche<br />

Die Entscheidung für eine Insulinpumpenbehandlung erfolgt in vielen Fällen nicht nur<br />

aus medizinischer Notwendigkeit, sondern auch mit dem Wunsch, neben einer optimalen<br />

Stoffwechseleinstellung bestimmte Vorteile dieser Therapie zu nutzen. Je mehr<br />

Vorteile ein Diabetiker gegenüber seiner bisherigen Therapie für sich ausfindig machen<br />

kann, um so höher wird seine persönliche Motivation sein, eine derartige Therapie<br />

zu beginnen. Letzte Zweifel können nur durch »Ausprobieren« geklärt werden. In<br />

den meisten Fällen wird dabei auch die psychologische Barriere überwunden, ständig<br />

»verkabelt« zu sein und seine Insulinpumpe immer mit sich herumtragen zu müssen.<br />

Die Auswirkungen der Insulinpumpen-Therapie sind sowohl in Beruf und Freizeit wie<br />

auch in Freundschaft und Partnerschaft mehr oder minder spürbar.<br />

Wenn der künftige Insulinpumpenträger noch keinen festen Partner hat, muss er sich<br />

darüber klar werden, ob er genügend Selbstvertrauen besitzt, vor anderen seine Insu-<br />

127


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

linpumpen-Therapie zu vertreten. Vor allem Mädchen und Frauen scheuen oft aus rein<br />

optischen, ästhetischen Gründen das Tragen einer Insulinpumpe. Wie bereits besprochen,<br />

muss die Insulinpumpe nicht offen sichtbar getragen, sondern kann unter der<br />

Kleidung verborgen werden. Dies erfordert allerdings in den Sommermonaten oft zusätzlichen<br />

Einfallsreichtum.<br />

Jedoch spätestens dann, wenn die Beziehung enger bzw. intimer wird, ist die Konfrontation<br />

des Partners mit der Insulinpumpen-Therapie und der Insulinpumpe nicht zu<br />

vermeiden. Spätestens an diesem Punkt (besser aber früher) sollte der Insulinpumpenträger<br />

»Farbe bekennen« und mit seinem Partner über den <strong>Diabetes</strong> und dessen Therapie<br />

offen sprechen. Sollte der Beziehungswunsch wirklich ernst gemeint sein, wird<br />

auch mit Insulinpumpe einer Intensivierung der Partnerschaft nichts im Wege stehen.<br />

Wenn bereits eine feste Partnerschaft besteht, sollte prinzipiell auch der Partner an<br />

der Entscheidungsfindung pro oder contra Insulinpumpe beteiligt werden. In erster<br />

Linie muss sich natürlich der Diabetiker selbst im Klaren sein, ob er sich vorstellen<br />

kann, Tag und Nacht an eine Insulinpumpe angeschlossen zu sein. Aber auch der Partner<br />

ist direkt und indirekt von einer derartigen Therapie betroffen. Auch er darf die<br />

Insulinpumpe nicht als »Störenfried« empfinden.<br />

Eine Hilfe für beide Partner kann die Erkenntnis sein, dass die Insulinpumpe eine optimale<br />

Stoffwechseleinstellung ermöglicht und damit die Angst vor Folgeerkrankungen<br />

vermindern kann. Eine echt und ernst gemeinte Beziehung wird letztlich nicht am <strong>Diabetes</strong><br />

selbst oder an der Insulinpumpe scheitern. Je besser der Diabetiker geschult ist<br />

und je mehr Erfahrungen er mit der Handhabung der Insulinpumpe hat, um so geringer<br />

ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Insulinpumpe die Partnerschaft kompliziert<br />

und zu einer zusätzlichen Belastung führt. Die Möglichkeit der größeren Flexibilität<br />

durch die Insulinpumpe kann für beide Partner durchaus von Vorteil sein.<br />

In der Regel kann man davon ausgehen, dass dem Diabetiker das Tragen der Insulinpumpe<br />

und deren Handhabung mit der Zeit zur Routine werden. Ein adäquates<br />

Vorgehen bei Alarmmeldungen der Insulinpumpe sollte theoretisch vorbereitet und<br />

für den »Ernstfall« trainiert werden, um aufkommende Angst in lösungsorientierte<br />

Verhaltensweisen umsetzen zu können. Das schließt auch ein, dass der Partner dem Insulinpumpenträger<br />

in Notsituationen (Krankheit, Ketoazidose, schwere Unterzuckerung)<br />

behilflich sein kann.<br />

Wünscht sich eine Diabetikerin Kinder, so ist bereits vor, besonders aber während der<br />

Schwangerschaft eine optimale Stoffwechsellage anzustreben. Dazu kann die Insulinpumpenbehandlung<br />

hilfreich sein. Nach der Entbindung behalten viele Diabetikerinnen<br />

die Insulinpumpen-Therapie bei.<br />

128<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Bereits im Vorfeld der Entscheidung über eine geplante Insulinpumpen-Therapie sollte<br />

auch das Thema Sexualität nicht ausgeklammert werden. Es stellen sich Fragen, ob<br />

die Insulinpumpe die Partner beim Liebesspiel stört, ob Verletzungen durch die Katheternadel<br />

zu erwarten sind, oder ob Spontaneität und Genuss bei der Sexualität<br />

durch die Insulinpumpe eingeschränkt werden. Allein das Aussprechen derartiger Befürchtungen<br />

ist bereits oftmals hilfreich. In einem persönlichen Beratungsgespräch mit<br />

einem Arzt, der Erfahrung mit Insulinpumpen hat, dürfen diese Fragen nicht ausgeklammert<br />

werden.<br />

Eine für jeden gültige Antwort können wir an dieser Stelle nicht geben. Menschliches<br />

Handeln und menschliche Empfindungen sind vielfältig. Im Falle des Liebesspiels bezieht<br />

sich das Handeln keineswegs auf den Geschlechtsakt allein, sondern beinhaltet<br />

viele Formen und Ausdrücke körperlicher und geistiger Nähe zum Partner. Der Geschlechtsverkehr<br />

muss durch das Tragen einer Insulinpumpe nicht gestört werden. Die<br />

Insulinpumpe wird von den meisten Diabetikern nicht als »Liebestöter« empfunden.<br />

Grundsätzlich kann die Insulinpumpe beim Liebesspiel abgelegt und damit die Insulinzufuhr<br />

für einen begrenzten Zeitraum unterbrochen werden. Der Katheter wird entfernt<br />

und später dann erneut angelegt. Viele Diabetiker bevorzugen einen langen Katheter<br />

und haben damit die Möglichkeit, die Insulinpumpe beim Liebesspiel abzule-<br />

129


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

gen. Eine weitere, sehr vorteilhafte Variante ist die Verwendung von abkoppelbaren<br />

Kathetern, wie z.B. des Katheters Disetronic Rapid D. In diesem Fall kann die Insulinpumpe<br />

einfach ab- bzw. angekoppelt werden, ohne dass der Katheter neu gelegt<br />

werden muss. Probieren geht auch in diesem Fall über Studieren.<br />

Je mehr sich die Partner aufeinander einzustellen bereit sind und je besser sich auch<br />

der nichtdiabetische Partner mit der Insulinpumpe auskennt, um so größer ist die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass die Insulinpumpe nicht als etwas »Fremdes« und »Trennendes«<br />

erlebt wird. Manchmal muss die Aufmerksamkeit von der Insulinpumpe, vor allem<br />

aber von der Nadel weg auf die eigentliche Intimbeziehung gelenkt werden.<br />

Die Wiederaufnahme des Intimverkehrs nach Beginn einer Insulinpumpen-Therapie<br />

wird in der Anfangsphase von beiden Partnern ein gewisses Maß an Sensibilität und<br />

Geduld erfordern.<br />

Die gemeinsame Erfahrung, mit dieser Situation fertig geworden zu sein, kann jedoch<br />

auch zu einem beziehungsvertiefenden Erlebnis werden!<br />

Tipp: Denkanstöße<br />

Eine Insulinpumpenbehandlung erfordert auch eine mentale und emotionale Auseinandersetzung<br />

mit dieser speziellen Behandlungsform der intensivierten Insulintherapie. Eine realistische<br />

Bewertung und eine zuversichtliche Einstellung sind wünschenswert; ungünstig sind übertriebene<br />

Hoffnungen oder Sorglosigkeit, mangelnde Eigeninitiative, zu wenig Selbstkritik.<br />

Folgende Hinweise mögen hilfreich sein:<br />

● Als Insulinpumpenträger sind Sie kein Sonderling! Sie sind ein »völlig normaler Mensch«,<br />

bei dem lediglich die Art und Weise der Insulinzufuhr eine andere ist.<br />

● <strong>Diabetes</strong> ist nicht alles! Die Insulinpumpenbehandlung ist eine wichtige Nebensache<br />

in Ihrem Leben – aber nicht die Hauptsache.<br />

● Haben Sie den Mut, Neues auszuprobieren (z.B. hinsichtlich Essen, Getränken,<br />

Süßigkeiten, Eis, körperlicher Tätigkeit, Änderung des Tagesrhythmus).<br />

● Kein Zwang zum Perfektionismus! Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!<br />

Gestehen Sie sich Misserfolge und Unzulänglichkeiten zu.<br />

130<br />

7.3 Pause von der Insulinpumpe<br />

Die Insulinbehandlung mit einer Insulinpumpe kann jederzeit unterbrochen werden.<br />

Es besteht ja bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> keine »Abhängigkeit« von der Insulinpumpe,<br />

sondern lediglich vom Insulin. Als Gründe für ein vorübergehendes Ablegen<br />

einer Insulinpumpe kommen beispielsweise in Frage: Duschen, sexuelle Aktivität,<br />

Schwimmbad- bzw. Saunabesuch, <strong>Bad</strong>eurlaub, Tragen von enganliegender Kleidung<br />

(Abendgarderobe), sportliche Aktivitäten, bei denen die Insulinpumpe lästig ist bzw.<br />

eine Gefahr darstellt (Kampfsport, Wassersport), leere Ampulle bzw. leere Batterie<br />

ohne Ersatzmaterial, Insulinpumpendefekt.<br />

In Abb. 46 sind Tipps zusammengestellt, die beim Ablegen der Insulinpumpe unabhängig<br />

von der Länge der Pause von Bedeutung sind. Nach Wiederanlegen der Insulinpumpe<br />

sind einige Besonderheiten zu beachten; diese sind in Form einer Checkliste in<br />

Abb. 47 aufgeführt.<br />

Insulinpumpenpause – Worauf kommt es an?<br />

● Keine »Abhängigkeit« von der Insulinpumpe, sondern lediglich vom Insulin<br />

● Abkoppelbare Katheter sind empfehlenswert<br />

● »Fehlende« Basalrate während des Ablegens berücksichtigen<br />

● Deutliche Insulinminderversorgung vermeiden (keine »Insulinlöcher«!)<br />

● An die Möglichkeit einer ketoazidotischen Entgleisung denken<br />

● Eventuell die abgelegte Insulinpumpe im »Run-Modus« belassen<br />

● Öfters den Blutzucker messen (Sondersituation!)<br />

● Vorübergehend leicht erhöhte Blutzuckerwerte tolerieren<br />

Abb. 46: Tipps für das Ablegen der Insulinpumpe<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

● Eine größere Blutzuckerlabilität ist besonders bei sportlicher Aktivität möglich<br />

● Die Insulinwirkdauer bestimmt, ob und in welchen Abständen während der<br />

Insulinpumpenpause Insulin zusätzlich gegeben werden sollte<br />

● Die zwischenzeitliche Insulingabe kann mit Spritze/Pen oder durch kurzfristiges<br />

Ankoppeln der Insulinpumpe erfolgen<br />

● Für Zwangspausen (Insulinpumpendefekt, Batterie leer, o.ä.) Ersatzmaterial<br />

bereithalten<br />

● Ergebnisse dokumentieren<br />

● Erfahrungen überdenken<br />

131


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Checkliste nach Wiederanlegen der Insulinpumpe<br />

❍ Insulinpumpe im »Run-Modus« ?<br />

❍ Katheter gefüllt ?<br />

❍ Katheter richtig angekoppelt ?<br />

❍ Luftblasen im Katheter ?<br />

❍ Kleiner Extra-Bolus notwendig ?<br />

❍ Überlappungseffekt, d.h. ist noch Insulin wirksam, das zwischenzeitlich<br />

mit Spritze/Pen oder als Insulinpumpenbolus verabreicht wurde ?<br />

❍ Blutzuckermessung nach Wiederanlegen notwendig ?<br />

❍ Blutzuckerwert nach 3 - 5 Stunden zweckmäßig ?<br />

Hinweise:<br />

● Es kann 2 - 4 Stunden dauern, bis sich der übliche basale Insulinspiegel<br />

wieder stabilisiert hat<br />

● Vorübergehend ist eine größere Blutzuckerlabilität möglich<br />

Abb. 47: Besonderheiten nach einer Insulinpumpenpause<br />

Prinzipiell können, entsprechend der Dauer des Ablegens, verschiedene Arten von Insulinpumpenpausen<br />

unterschieden werden.<br />

Pause bis zu einer Stunde<br />

Ein sehr kurzzeitiges Ablegen der Insulinpumpe (z.B. beim Duschen) mit einer Dauer<br />

von weniger als einer Stunde ist meistens unbedenklich, besondere Maßnahmen sind<br />

hier nicht erforderlich. Eine gesonderte Blutzucker-Selbstkontrolle bzw. eine zusätzliche<br />

Bolusgabe vor oder nach dem Ablegen ist im Regelfall nicht notwendig. Die Verwendung<br />

von abkoppelbaren Kathetern erweist sich als vorteilhaft und empfehlenswert.<br />

Kurzzeitige Pause (kürzer als die Insulinwirkdauer)<br />

Ist die Insulinpumpenpause bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon kürzer<br />

als 2,5 Stunden bzw. bei Verwendung von Normalinsulin kürzer als 4 Stunden, erübrigt<br />

sich eine gesonderte Insulingabe mit der Spritze. Je nach Ausgangssituation<br />

132<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

und Unterzuckerungsgefahr kann ein zusätzlicher Bolus vor und/oder nach dem Ablegen<br />

der Insulinpumpe gegeben werden. Dieser Bolus sollte höchstens so groß sein,<br />

wie die Gesamtmenge der Basalrate während des Ablegens gewesen wäre.<br />

Beispiel:<br />

Das Ablegen der Insulinpumpe findet in der Zeit von 19.00 - 22.00 Uhr statt; Die Basalrate<br />

in dieser Zeit beträgt 0,6 I.E. pro Stunde, d.h. insgesamt 1,8 I.E. während des geplanten<br />

Zeitraumes ohne Insulinpumpe. Eine Möglichkeit wäre, unmittelbar vor dem<br />

Abkoppeln der Insulinpumpe noch einen Zusatzbolus von 0,5 I.E. zu geben sowie direkt<br />

nach dem Wiederanlegen einen weiteren Bolus von 1,0 I.E. Vor einer Bolusgabe,<br />

insbesondere wenn sie vor dem Schlafengehen erfolgt, sollte großzugig eine Blutzuckertestung<br />

durchgeführt werden. Eine alternative Möglichkeit mit geringerem<br />

Unterzuckerungsrisiko bestünde darin, vorher keinen Extrabolus zu setzen und nach<br />

dem Anlegen einen Zusatzbolus von 1 - 1,5 I.E. zu geben (dabei sollte die Höhe des aktuellen<br />

Blutzuckerwertes berücksichtigt werden).<br />

Findet während des Ablegens der Insulinpumpe vermehrte Muskelarbeit statt, sollte<br />

eine Bolusgabe vorher auf jeden Fall unterbleiben, und auch der Bolus nachher ist zu<br />

133


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

verringern. In solchen Fällen ist es empfehlenswert, engmaschigere Blutzuckerselbstkontrollen<br />

durchzuführen und eigene individuelle Erfahrungen zu nutzen.<br />

Bei einem Saunabesuch ist die raschere Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe<br />

sowie die dadurch bedingte etwas kürzere Wirkdauer zu beachten. Zudem ist in<br />

der Sauna eine evtl. Unterzuckerung meist deutlich schlechter oder auch überhaupt<br />

nicht wahrzunehmen. Deshalb ist während des Saunaaufenthaltes eine Erhöhung des<br />

Blutzuckerzielbereiches dringend anzuraten.<br />

Zum Thema »Sauna« ein weiterer Hinweis: Die Insulinpumpe darf auf keinen Fall<br />

mit in die Hitzekammer genommen werden. Bei Verwendung des abkoppelbaren Ka-<br />

134<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

theters Rapid D darf zwar die Nadel mit dem 10 cm langen Schlauchstück am Körper<br />

bleiben – inwieweit dies wünschenswert ist, bleibt dahingestellt. Wegen der hohen<br />

Temperaturen ist jedoch von einer Denaturierung und Inaktivierung des Insulins im<br />

verbleibenden Schlauch auszugehen, d.h. das Insulin im Schlauch wird durch die<br />

Hitzeeinwirkung unbrauchbar. Nach Wiederanlegen der Insulinpumpe muss das Insulin<br />

im Schlauch durch neues ersetzt werden, man benötigt deshalb einen Extrabolus<br />

von 1 - 2 I.E. Da das Ausmaß der Denaturierung des Insulins im Schlauchstück unklar<br />

ist, empfehlen wir, den Rapid D Katheter in der Sauna komplett zu entfernen. Engmaschige<br />

Blutzuckerkontrollen sowie nur sehr vorsichtige Korrekturen mit Insulinbolus<br />

bzw. großzügige Zufuhr von Extra-BE sind bei einem Saunabesuch ratsam.<br />

Bei einem kurzzeitigen Ablegen empfiehlt es sich, die Insulinpumpe im »Run-Zustand«<br />

weiterlaufen zu lassen. Zwar kann die Stopp-Warnung der Insulinpumpen<br />

H-TRONplus und D-TRONplus »weggedrückt werden«, dies birgt jedoch Risiken bei<br />

der späteren erneuten Insulinpumpenanlage. Die fehlende akustische Warnung hat in<br />

manchen Fällen schon zu einer Ketoazidose geführt, weil der Insulinpumpenträger<br />

nach vorübergehendem Ablegen der Insulinpumpe vergaß, diese wieder in den »Run-<br />

Zustand« zu bringen.<br />

Mehrstündige Pause während des Tages<br />

(länger als die Insulinwirkdauer)<br />

Ein längeres Ablegen der Insulinpumpe kann z.B. während eines Strandtages, eines<br />

sportlichen Wettkampfes, eines Gesellschaftsabends (Tragen von enganliegender Kleidung)<br />

oder eines ausgiebigen Saunabesuches wünschenswert sein.<br />

Auch zwangsweise Pausen von mehreren Stunden kommen immer wieder vor: Eine<br />

leere Batterie bei gleichzeitigem Fehlen einer Ersatzbatterie bzw. fehlender Möglichkeit,<br />

Insulin mit einer Spritze oder einem Pen zu verabreichen, hat schon manchen Insulinpumpenträger<br />

in eine kurzfristig unangenehme Situation gebracht. Im Unterschied<br />

zur Spritzenbehandlung fehlt bei der Insulinpumpen-Therapie ein größeres<br />

subkutanes »Insulindepot«, und es kann innerhalb von wenigen Stunden mit absolutem<br />

Insulinmangel zu einer drohenden ketoazidotischen Entgleisung kommen. Diese<br />

Insulinpumpentypische Gefahr ist im Kapitel 10 ausführlich beschrieben.<br />

Bei mehrstündiger, längerer Insulinpumpenpause – freiwillig oder auch zwangsweise<br />

– gibt es verschiedene Möglichkeiten des Handelns:<br />

● Die erforderliche Insulinmenge für die basale Insulinversorgung wird mit einer üblichen<br />

Spritze bzw. mit einem Pen verabreicht. Bei Verwendung einer Spritze kann<br />

das Insulin aus der Insulinpumpenpatrone entnommen werden. Dabei ist zu beachten,<br />

dass die anschließend auf dem Display angezeigte Insulinrestmenge – ab-<br />

135


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

hängig von verwendeten Insulinpumpenmodell – eventuell nicht mehr korrekt ist.<br />

Bei der Insulinpumpe H-TRONplus enthält die Ampulle dann z.B. weniger Insulin<br />

als angezeigt. Anders verhält es sich bei der Insulinpumpe D-TRONplus: anhand der<br />

Stellung der Gewindestage wird die Insulinrestmenge in der Ampulle errechnet<br />

und korrekt angezeigt. Aus diesem Grund ist bei der Insulinpumpe D-TRONplus<br />

auch die Verwendung angebrochener Ampullen möglich. Als maximale Zeitabstände<br />

sind bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon Intervalle von<br />

2-3 Stunden zu wählen; wird Normalinsulin benutzt, so sollten die Injektionen in<br />

mindestens 4 - 5stündlichen Abständen erfolgen. Die Insulinmenge richtet sich<br />

nach dem Basalbedarf im zu überbrückenden Zeitintervall.<br />

Bei intermittierender Gabe mit Spritze/Pen kommt es zwangsläufig zu stärkeren<br />

Schwankungen des Insulinspiegels im Blut (vgl. die Wirkkurven in Abb. 36). Dies<br />

bedingt eine größere Instabilität des Blutzuckerverlaufs. Kurzfristige Phasen mit<br />

überhöhten Insulinspiegeln lassen sich kaum vermeiden und können etwas »unterfüttert«<br />

werden, wenn zum richtigen Zeitpunkt geringe Kohlenhydratmengen<br />

von 0,5 - 1 BE aufgenommen werden.<br />

● Alternativ kann die Insulingabe auch nach kurzzeitigem Anlegen mit der Insulinpumpe<br />

direkt erfolgen (abkoppelbarer Katheter!). Dies ist schmerzfrei, und die Dosierung<br />

kann in feineren Abständen, z.B. in 0,5 I.E.-Schritten variiert werden.<br />

● Bei längerer Insulinpumpenpause am Tag kann auch ein Verzögerungsinsulin (z.B.<br />

ein NPH-Insulin wie Protaphan bzw. Insuman Basal) verwendet werden. Dabei<br />

ist der verzögerte Wirkbeginn nach ca. 45 - 60 Minuten, das Wirkungsmaximum<br />

nach ca. 3 - 5 Stunden sowie die unterschiedlich lange Gesamtwirkdauer von ca.<br />

10 - 16 Stunden zu beachten. Insbesondere wegen der individuell unterschiedlichen<br />

Wirkdauer kann es nach dem Wiederanlegen der Insulinpumpe zu einem unerwünschten<br />

Überlappungseffekt kommen. Durch eine vorübergehende Basalratenabsenkung<br />

auf etwa 50 % kann dieser Sachverhalt berücksichtigt werden.<br />

Das Verzögerungsinsulin Lantus ist wegen seiner langen Wirkdauer von ca. 24<br />

Stunden zur Überbrückung einer Insulinpumpenpause während des Tages nicht<br />

geeignet.<br />

Engmaschige Blutzuckerkontrollen sind in Phasen von Insulinpumpenpausen selbstverständlich<br />

notwendig. Beim Wiederanlegen der Insulinpumpe muss beachtet werden,<br />

dass ca. 2 – 3 Stunden vergehen, bis wieder ein ausreichender Basalinsulinspiegel<br />

aufgebaut ist. Eine kleine zusätzliche Bolusgabe nach Anlegen der Insulinpumpe kann<br />

daher notwendig sein, Überlappungseffekte sind jedoch zu beachten.<br />

Um zwangsweise Pausen wegen Insulinpumpendefekt und gleichzeitigem Fehlen von<br />

Ersatzmaterial zu vermeiden, ist daran zu denken, in einem »Notfall-Täschchen« neben<br />

Materialien zur Blutzucker-Selbstkontrolle und Not-BE’s (Traubenzucker o.ä.) auch<br />

Ersatzbatterien, Aceton-Teststreifen, Materialien zum Katheterwechsel und eine ge-<br />

136<br />

eignete Insulinspritze bzw. einen funktionsfähigen Pen mit sich zu nehmen (vergleiche<br />

Abschnitt 7.51).<br />

Mehrstündige Insulinpumpenpause während der Nacht<br />

Denkbar sind auch Situationen (z.B. neue Partnerschaft), in denen insbesondere während<br />

der Nacht das Tragen einer Insulinpumpe unerwünscht ist. In solchen Fällen darf<br />

auf das Spritzen von Insulin keinesfalls verzichtet werden, ansonsten droht eine ketoazidotische<br />

Entgleisung wegen des absoluten Insulinmangels. Bekanntlich ist die »Depot-Wirkung«<br />

des Insulins unter Insulinpumpen-Therapie je nach verwendeter Insulinsorte<br />

nur 2 - 5 Stunden.<br />

Als Langzeitinsulin wird bei einer Insulinpumpenpause während der Nacht entweder<br />

ein NPH-Insulin (z.B. Protaphan, Insuman-Basal) oder auch Semilente empfohlen. Die<br />

erforderliche Insulinmenge richtet sich nach der jeweiligen zu überbrückenden Basalrate,<br />

Erfahrungen aus der »Vor-Insulinpumpen-Zeit« sind zu berücksichtigen. An die<br />

Möglichkeit des Überlappungseffektes nach Wiederanlegen der Insulinpumpe morgens<br />

ist zu denken. Das Verzögerungsinsulin Lantus ist zur Überbrückung einer lediglich<br />

nächtlichen Insulinpumpenpause wegen seiner langen Wirkdauer von ca. 24 Stunden<br />

nicht geeignet.<br />

Mehrtägige bzw. mehrwöchige Insulinpumpenpause<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Ein Verzicht auf die Insulinpumpen-Therapie während mehrerer Tage oder Wochen ist<br />

ebenfalls möglich. Für die Praxis empfiehlt es sich, auf das bewährte ICT-Schema vor<br />

Einsatz der Insulinpumpen-Therapie zurückzugreifen.<br />

Natürlich ist es sinnvoll, die neuen Erkenntnisse zu berücksichtigen, die während der<br />

Insulinpumpen-Therapie hinsichtlich Basalratenbedarf und tageszeitlich wechselnder<br />

Insulinempfindlichkeit gewonnen wurden. Generell zeigt die Erfahrung, dass der tägliche<br />

Gesamtinsulinbedarf unter ICT mit Spritze oder Pen meist um ca. 10% höher liegt<br />

als bei der Insulinpumpen-Therapie. Somit empfehlen sich in den ersten Tagen nach<br />

Umstellung häufigere Blutzuckerkontrollen. Grundsätzlich ist es ratsam, mit dem behandelnden<br />

Diabetologen ein ICT-Schema mit Normal- und NPH-lnsulin für alle Fälle<br />

zu erarbeiten.<br />

Von Roche Diagnostics wird ein von Dr. R. Renner (München) erstellter Rechenschieber<br />

angeboten, der, ausgehend vom Tagesinsulinbedarf unter der Insulinpumpen-Therapie,<br />

Hinweise zur Verteilung des Verzögerungs- und Mahlzeiteninsulins unter der ICT<br />

gibt.<br />

137


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

7.4 Autofahren und Insulinpumpe<br />

Zweckmäßigerweise sollten bei einer Neueinstellung auf die Insulinpumpen-Therapie<br />

Autofahrten erst durchgeführt werden, wenn es zu einer Stabilisierung des Blutzuckerverlaufs<br />

gekommen ist. Wir empfehlen daher keine Autofahrten während der<br />

Einstellungsphase in der Klinik. Später sollte vor jedem Fahrtantritt eine Blutzuckerkontrolle<br />

erfolgen, weitere Messungen sind alle zwei Stunden sinnvoll (»Boxenstop«).<br />

Der Blutzucker sollte beim Autofahren über 120 mg/dl bzw. 6,7mmol/l liegen.<br />

Im Falle einer Unterzuckerung muss natürlich die Fahrt sofort unterbrochen werden.<br />

Das Auto ist zu parken und der Motor abzustellen. Als »Notfallreserve« sind<br />

genügend schnelle BE (z.B. Cola, Traubenzucker) und langsame BE, z.B. TUC-Kräcker<br />

(3 Stück = 1 BE) unverzichtbar.<br />

Es ist darauf zu achten, dass der Sicherheitsgurt nicht über der Insulinpumpe bzw. über<br />

der Kathetereinstichstelle verläuft.<br />

138<br />

Während einer Autofahrt muss eine Unterzuckerung vermieden werden. Geeignete<br />

Vorsichtsmaßnahmen sind: Bolusverringerung, Basalratenabsenkung, Extra-BE, höherer<br />

Blutzuckerzielbereich, häufigere Blutzuckermessungen.<br />

7.5 Urlaub und Insulinpumpen-Therapie<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Die bessere Steuerbarkeit des Blutinsulinspiegels durch die Insulinpumpen-Therapie<br />

hat große Vorteile bei Urlaubsreisen. Das gilt besonders für Interkontinentalflüge mit<br />

Zeitverschiebung. Flexibilität in der Gestaltung der Mahlzeiten ist besonders in der Urlaubszeit<br />

wichtig, wenn es um die Verschiebung von Essenszeiten oder das Auslassen<br />

von Mahlzeiten geht. Selbstverständlich erfordert eine Urlaubsreise gezielte Planung,<br />

um ungetrübte Urlaubsfreuden zu gewährleisten. Erkrankung am Urlaubsort, Fluglot-<br />

139


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

senstreiks, Lawinenabgänge usw. können eine längere Verweildauer notwendig machen.<br />

Besonders Kathetermaterial, Pflaster, Teststreifen, Insulin, Insulinspritzen, Batterien<br />

sollten daher in ausreichender Menge mitgenommen werden. Im Falle eines<br />

Insulinpumpendefekts ist eine Ersatzinsulinpumpe hilfreich.<br />

Bei Verlust oder Defekt des Blutzuckermessgerätes kann der schönste Urlaub ein abruptes<br />

Ende finden. Dringend zu empfehlen sind daher für den Notfall Blutzuckerteststreifen<br />

mit der Möglichkeit der optischen Kontrolle oder ein zweites BZ-Messgerät.<br />

Im Rahmen des sogenannten Zwei-Insulinpumpen-Konzeptes wird von der<br />

Firma Roche Diagnostics für die Insulinpumpenmodelle H-TRONplus und D-TRONplus<br />

routinemäßig eine Zweitinsulinpumpe zur Verfügung gestellt. Diese sollte bei längerer<br />

Abwesenheit von Zuhause stets mitgenommen werden.<br />

Die Fa. Medtronic Minimed stellt auf Anfrage eine kostenpflichtige Ersatzinsulinpumpe<br />

für die Urlaubszeit zur Verfügung.<br />

Als weitere Materialien gehören ins Reisegepäck: Duschbeutel, Gewindestange für die<br />

Insulinpumpe H-TRONplus, Adapter für die Insulinpumpe D-TRONplus, sowie Pen oder<br />

Spritze, um die Zeiträume ohne Insulinpumpen-Therapie (z. B. Strand) überbrücken zu<br />

können.<br />

Bei Flugreisen kann man prinzipiell davon ausgehen, dass es zu keiner Funktionsstörung<br />

der vier auf dem deutschen Markt angebotenen Insulinpumpen durch Sicherheitskontrollen<br />

am Zoll kommt. Ebenso erfolgt keine Beeinflussung der Insulinpumpe<br />

durch die Bordelektronik und umgekehrt.<br />

Von den Herstellern der Insulinpumpen kann eine Bescheinigung bezogen werden,<br />

die den Reisenden als Insulinpumpenträger ausweist. In dieser Bescheinigung, die<br />

möglichst in der Sprache des jeweiligen Urlaubslandes verfasst sein sollte, muss auch<br />

das Verbrauchsmaterial (Spritzen, Katheter, Teststreifen etc.) Erwähnung finden. Eventuell<br />

sollte mit der jeweiligen Fluggesellschaft vor Reiseantritt Rücksprache genommen<br />

werden. Insulinpumpen-Verbrauchsmaterial sollte mit an Bord genommen werden,<br />

damit bei Verlust der Koffer keine Versorgungsprobleme entstehen.<br />

7.5.1 Das gehört in ein »Notfall-Täschchen«<br />

Bei mehrstündiger Abwesenheit von Zuhause, insbesondere bei auswärtiger Übernachtung,<br />

empfiehlt es sich, ein »Notfall-Täschchen« mitzunehmen, in dem die wichtigsten<br />

Insulinpumpenutensilien enthalten sind.<br />

Sollten Verbrauchsmaterialien nicht ausreichen oder im Urlaub entwendet werden,<br />

kann man sich über die Insulinpumpenfirmen Materialien nachschicken zu lassen.<br />

Roche Diagnostics bietet darüber hinaus Bezugsadressen für ihre Artikel weltweit. Bei<br />

einer Unterzuckerung sind Traubenzucker und evtl. Glukagon im Handgepäck unent-<br />

140<br />

Folgende Hilfsmittel sollten stets mitgeführt werden:<br />

● Traubenzucker (oder andere »schnelle« BE)<br />

● Blutzucker-Teststreifen (Stechhilfe, Tupfer, Blutzucker-Messgerät )<br />

● Insulinspritze (Insulinkonzentration beachten!) oder Pen<br />

● Material zum Katheterwechsel (Ersatzkatheter, Pflaster, Alkoholtupfer,<br />

Adapter für die Insulinpumpe D-TRONplus)<br />

● Ersatzbatterien<br />

● Ketonteststreifen<br />

Eventuell auch:<br />

● Glukagonspritze (bei erschwerter rechtzeitiger Wahrnehmung<br />

einer Unterzuckerung)<br />

Bei mehrtägiger Abwesenheit von Zuhause zusätzlich:<br />

● Insulinpumpenausweis in Landessprache (siehe Anhang)<br />

● Telefonnummer des betreuenden Insulinpumpenzentrums<br />

● neue Insulinampulle bzw. Insulinfläschen und Leerampulle<br />

● Zweit-Insulinpumpe<br />

● Evtl. Ersatzblutzuckermessgerät<br />

● Ersatzadapter, Gewindestange (für die Insulinpumpe H-TRONplus)<br />

Abb. 48: Checkliste für unterwegs<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

behrlich. Wenn möglich, sollte ein Angehöriger mit der Hypoglykämiebehandlung<br />

und den wichtigsten Insulinpumpenfunktionen vertraut sein.<br />

7.5.2 Krankheit im Urlaub<br />

Im Anhang dieses Buches finden Sie Notfallausweise in den Sprachen der wichtigsten<br />

Urlaubsländer. Fieberhafte Magen-Darm-Infekte mit beginnender Ketoazidose sind im<br />

Urlaub keine Seltenheit. Auf Diagnose und Therapie der Ketoazidose wird in Kapitel<br />

10 ausführlich eingegangen. Die <strong>Mit</strong>nahme spezieller Mineralkonzentrate (Elotransbeutel,<br />

Oralpädon) für den Fall einer Durchfallerkrankung ist empfehlenswert.<br />

Wird ein Krankenhausaufenthalt erforderlich, sollte man sich die Insulinpumpe nicht<br />

ohne weiteres wegnehmen lassen, sondern versuchen, die Insulinpumpen-Therapie<br />

gemeinsam mit dem zuständigen Arzt im Krankenhaus weiterzuführen. Die Insulinpumpenfirmen<br />

bieten eine Kurzfassung der Insulinpumpenbetriebsanleitung auch<br />

in englischer Sprache an, um Ärzten am Urlaubsort eine kurze Einführung in die Funktionsweise<br />

einer Insulinpumpe zu ermöglichen.<br />

141


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Tipp: Extreme Temperaturen<br />

Während eines Sommerurlaubs in südlichen Ländern, beim Aufenthalt in den Tropen, aber auch<br />

an heißen Tagen in <strong>Mit</strong>teleuropa können die Lufttemperaturen über 30ºC liegen. In solchen<br />

Fällen sind als Vorsichtsmaßnahmen zu empfehlen:<br />

● Die Insulinpumpe und das Schlauchsystem sollten nicht für längere Zeit direkter Sonneneinstrahlung<br />

ausgesetzt sein; eventuell ist die Insulinpumpe mit Neopren-Taschen zu schützen.<br />

● Die Insulinvorräte sind kühl zu lagern. Falls kein Kühlschrank vorhanden ist – eine Aufbewahrung<br />

im Gefrierfach bzw. in einem Tiefkühlschrank muss freilich unterbleiben - stellt die<br />

»Frio-Tasche« (Infos bei Frio C/-IPS Service Center, 50724 Köln, Tel.Nr. 0800 1817450) eine<br />

brauchbare Alternative dar. Das Prinzip dabei ist: Die Innentasche wird in kaltes Wasser getaucht,<br />

spezielle Kristalle bilden ein Gel und verursachen beim anschließenden Verdunstungsvorgang<br />

über viele Stunden eine ausreichende Kühlwirkung. Ein lästiges Hantieren<br />

mit Thermoskannen, Styroporbehältern, Kühlakkus o.ä. kann unterbleiben, es besteht keine<br />

Abhängigkeit vom elektrischen Strom. Eine beigefügte Außentasche hat nur Schutzfunktion.<br />

Nach Herstellerangaben kann bei 38ºC Außentemperatur Insulin für mehr als 45 Stunden<br />

ausreichend kühl aufbewahrt werden. Bestellungen und weitere Informationen unter<br />

der Tel.-Nr. 0800-181-7450 bzw. beim Versandhandel für Diabetikerbedarf.<br />

● Es ist zu bedenken, dass bei Sonneneinstrahlung die Temperatur im Innenraum eines Autos<br />

– auch im Kofferraum – deutlich höher als die Umgebungstemperatur sein kann.<br />

142<br />

7.5.3 Insulin im Ausland<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

● Bei höheren Lufttemperaturen, verstärkt durch ein gleichzeitiges Sonnenbad, kann Insulin<br />

schneller aus dem Unterhautfettgewebe in die Blutbahn abgegeben werden, d.h. Wirkbeginn<br />

und Wirkmaximum sind früher, die Wirkdauer ist kürzer. Folglich ist der Drück-Ess-Abstand<br />

zu verringern bzw. der Nahrungsbolus sollte erst während des Essens oder auch danach<br />

abgegeben werden.<br />

● Bei stärkerem Schwitzen kann sich das Pflaster zur Katheterbefestigung leichter ablösen;<br />

auch werden häufiger Hautreaktionen (Jucken, Rötungen, Entzündungen) beobachtet. Deshalb<br />

sollte bei übermäßiger Schweißbildung die Nadeleinstichstelle vermehrt kontrolliert<br />

werden, eventuell ist der Katheter häufiger zu wechseln.<br />

Insulin darf keinesfalls Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ausgesetzt werden, dadurch würde<br />

die Molekülstruktur zerstört werden. Gefrorenes und wieder aufgetautes Insulin ist biologisch<br />

unwirksam. Bei extremer Kälteeinwirkung (z.B. beim Skifahren) ist die Insulinpumpe am<br />

Körper zu tragen, damit sie vor Frost geschützt wird. Weiter darf Insulin bei niedrigen Außentemperaturen<br />

nicht für längere Zeit in einem parkenden Auto bzw. im Kofferraum aufbewahrt<br />

werden.<br />

Insulin, das nach extremen Temperaturschwankungen Trübungen bzw. Ausflockungen aufweist,<br />

ist unbrauchbar und darf keinesfalls mehr verwendet werden. Bei außergewöhnlichen<br />

klimatischen Verhältnissen ist eine größere Häufigkeit der Blutzuckerselbstkontrolle empfehlenswert.<br />

Auch ist auf eine richtige Handhabung und Lagerung der Teststreifen zu achten: geeigneter<br />

Temperaturbereich, Schutz vor Feuchtigkeit und Nässe, Aufbewahrung nur in Originalverpackungen.<br />

Wie bereits erwähnt ist es ratsam, im Ausland immer genügend Insulin mitzuführen.<br />

Wenn Sie Insulin in der Apotheke besorgen müssen, ist auf die richtige Insulinkonzentration<br />

zu achten. Bei U40-Insulin enthält 1 ml insgesamt 40 I.E. Insulin. Bei U100-Insulin<br />

ist es die 2,5-fache Menge, nämlich 100 I.E. Insulin je ml. Ist das benutzte Insulinpumpeninsulin<br />

(z.B. Insuman Infusat ) nicht erhältlich, kann konzentrationsgleiches<br />

Normalinsulin (englisch: »regular-insulin«) als Insulinpumpeninsulin verwendet werden.<br />

Abb. 49: Insulinkonzentrationen<br />

U40-Insulin: 1 ml enthält 40 I.E.<br />

U100-Insulin: 1 ml enthält 100 I.E.<br />

143


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

7.5.4 Zeitverschiebung<br />

Bei Flügen über mehrere Zeitzonen wird der Tag in Ost-West-Richtung länger (Frankfurt<br />

– New York), bei Flügen in West-Ost-Richtung kürzer (Frankfurt-Bombay). Durch<br />

diese Zeitverschiebung und Veränderung des Schlaf-Wach-Rhythmus kommt es zu einer<br />

langsamen Änderung der anfangs beschriebenen Biorhythmik der kontrainsulinären<br />

Hormone. Dies gilt besonders für Patienten mit ausgeprägter Schwankung der<br />

Insulinempfindlichkeit im Tagesverlauf. Bekannterweise stellt sich die körpereigene<br />

»innere Uhr« erst innerhalb von einigen Tagen auf den neuen Rhythmus ein. Studien<br />

haben ergeben, dass die Umstellung bei Flügen in West-Ost-Richtung schneller geschieht<br />

als bei Flügen in Ost-West-Richtung.<br />

Wenig bzw. keine Probleme gibt es bei Zeitverschiebungen von höchstens zwei bis<br />

drei Stunden.<br />

Bei Interkontinentalflügen hat es sich bewährt, die Insulinpumpenuhr täglich um 2<br />

Stunden der Ortszeit anzunähern. Alternativ kann ebenfalls folgendermaßen vorgegangen<br />

werden: Für die erste Nacht nach der Ankunft wird eine konstante Basalrate<br />

einprogrammiert, die die <strong>Mit</strong>te des ersten Gipfels und des vormittäglichen Tales repräsentiert.<br />

Nicht vergessen: Vor der Programmierung der konstanten Basalrate sollte<br />

die bisherige Basalrate der Insulinpumpe aufgeschrieben werden! Während der ersten<br />

Zeit mit der geänderten Basalrate ist es notwendig, den Blutzucker häufig zu kontrollieren<br />

und ggf. Boluskorrekturen vorzunehmen. Innerhalb von zwei bis drei nachfolgenden<br />

Tagen erfolgt langsam der Aufbau zur gewohnten Basalrate. Eine andere Variante<br />

ist, bei Zeitverschiebungen vorübergehend bewusst eine niedrigere Basalrate<br />

einzustellen. Dadurch wird das Unterzuckerungsrisiko geringer, aber gleichzeitig eine<br />

kurzfristige Verschlechterung der BZ-Werte in Kauf genommen.<br />

144<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

WICHTIG: Bei Flugreisen muss unbedingt darauf geachtet werden, dass bei der<br />

Insulinpumpe H-TRONplus die roten Verschlussstücke des Adapters nicht aufgesetzt<br />

sind. Dadurch ist der Druckausgleich zwischen Umgebung und Ampullenfach gewährleistet.<br />

Ansonsten besteht die Gefahr einer unkontrollierten, übermäßigen Insulinabgabe<br />

mit massiver Hypoglykämieneigung.<br />

7.6 Ambulante Weiterbetreuung<br />

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die Insulinpumpe keine Garantie für eine optimale<br />

Blutzuckereinstellung. In der Praxis sehen wir immer wieder Insulinpumpenträger mit<br />

zum Teil deutlich erhöhten HbA 1c -Werten. Studienergebnisse zeigen, dass die Insulinpumpen-Therapie<br />

nur dann der Spritzenbehandlung nach dem Basis-Bolus-Konzept<br />

(unabhängige Gabe von Kurzzeitinsulin und Verzögerungsinsulin) bezüglich der<br />

HbA 1c -Werte überlegen ist, wenn die Insulinpumpenträger entsprechend motiviert<br />

sind, wenn sie die Selbstkontrollen regelmäßig durchführen und wenn sie eine gezielte<br />

Bolusgabe nach aktuellen Gegebenheiten vornehmen. Auf einen Nenner gebracht:<br />

<strong>Mit</strong> der Insulinpumpe kann genauso »geschlampt« werden wie mit jeder anderen Insulintherapie.<br />

Die Ursachen und Folgen einer mangelnden Motivation sind sicher vielfältig.<br />

Ursachen<br />

● beruflicher und privater Stress<br />

● mangelnde Unterstützung und Anerkennung<br />

● Ablehnung der Insulinpumpe<br />

● Ablehnung des <strong>Diabetes</strong> an sich<br />

● psychische Probleme<br />

Folgen<br />

● keine Dokumentation der Blutzuckerwerte<br />

● Vernachlässigung der Selbstkontrollen (Blutzucker und Azeton)<br />

● unsystematische Bolusgabe<br />

● kein Überdenken der eigenen Ergebnisse<br />

● zu seltener Katheterwechsel<br />

Abb. 50: Ursachen und Folgen von Motivationsproblemen (Beispiele)<br />

145


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

In jedem Fall sollte die Insulinpumpe »integriert sein im Gesamtkonzept des Lebens«.<br />

Der Insulinpumpenträger muss die Insulinpumpe »vom Kopf her wollen« und mit ihr<br />

»vom Herz her einverstanden sein« (Zitate Prof. Dr. Frank, Neunkirchen). Widerstände<br />

gegen eine Insulinpumpen-Therapie sollten vorher ausgiebig in Gesprächen mit dem<br />

Lebenspartner und dem betreuenden Arzt geklärt werden (siehe Kapitel 7.2).<br />

Die Insulinpumpe nimmt dem Diabetiker seine Verantwortung bezüglich der Selbstkontrolle<br />

und der Dosisanpassung keineswegs ab. Die vereinfachte Insulinabgabe und<br />

das Vertrauen in die Technik verführen allerdings dazu, es mit den Kontrollen im Alltag<br />

nicht mehr so genau zu nehmen.<br />

Aus diesem Grund sollte sich jeder Insulinpumpenträger einen diabeteserfahrenen<br />

Arzt seines Vertrauens suchen, bei dem er regelmäßig alle drei Monate seine HbA 1c -<br />

Kontrollen sowie Untersuchungen entsprechend dem Gesundheitspass <strong>Diabetes</strong><br />

durchführen lässt. Günstig ist ein Arzt, der Verständnis für die spezifischen Bedürfnisse<br />

des Insulinpumpenträgers aufbringt, der einfühlsam zuhören und mit praxistauglichen<br />

Tipps immer wieder neu motivieren kann.<br />

Fragen Sie nach bei Ihrem Arzt!<br />

Lassen Sie die Werte in den Gesundheitspass <strong>Diabetes</strong> eintragen.<br />

Gesundheits-Pass <strong>Diabetes</strong><br />

146<br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Allgemeines Körpergröße: .....................<br />

Gewicht: .....................<br />

<strong>Diabetes</strong> bekannt seit: .....................<br />

Blutzucker HbA 1c -Wert (Langzeitzuckerwert): .....................<br />

Blutdruck Blutdruckwert:<br />

Blutzuckerwert nüchtern: .....................<br />

Blutzuckerwert nach dem Essen: .....................<br />

Behandlung wegen Bluthochdruck? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Blutfette Gesamt-Cholesterin: .....................<br />

HDL / LDL-Cholesterin: .....................<br />

Triglyceride nüchtern: .....................<br />

Rauchen Nikotinkonsum? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Wenn ja, wie viele Zigaretten pro Tag? .....................<br />

Unterzuckerung Zahl der Unterzuckerungen pro Woche? ca. ................<br />

nächtliche Unterzuckerungen? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Unterzuckerungen mit Hilflosigkeit? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Folgeerkrankungen Folgeerkrankungen wegen des <strong>Diabetes</strong>? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Wenn ja, welche? ...................................................................<br />

...............................................................................................<br />

Niere Micraltest positiv? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Nerven Stimmgabeltest zu niedrig? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Augen regelmäßige Kontrolle? ❏ Ja ❏ Nein<br />

Abb. 51: Fragen zum Gesundheitspass <strong>Diabetes</strong><br />

weitere: .................................................................................<br />

...............................................................................................<br />

147


7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Wo stehen Sie? Bitte kreuzen Sie die Spalte mit Ihrem Wert an!<br />

148<br />

Gut Mäßig Schlecht<br />

(geringes Risiko) (erhöhtes Risiko) (hohes Risiko)<br />

HbA 1c in % ❐ bis 6,5 ❐ bis 7,5 ❐ mehr als 7,5<br />

(»Langzeitzucker«)<br />

Nüchtern-Blutzucker<br />

mg/dl<br />

mmol/l<br />

bis 110<br />

❐<br />

bis 6,0<br />

bis 125<br />

❐<br />

bis 7,0<br />

mehr als 125<br />

❐<br />

mehr als 7,0<br />

Blutzucker nach dem<br />

Essen (postprandial)<br />

mg/dl<br />

mmol/l<br />

bis 135<br />

❐<br />

bis 7,5<br />

bis 160<br />

❐<br />

bis 9,0<br />

mehr als 160<br />

❐<br />

mehr als 9,0<br />

Blutdruck<br />

mmHg ❐ bis 130/80 ❐ bis 140/85 ❐ mehr als 140/85<br />

Cholesterin<br />

mg/dl<br />

mmol/l<br />

bis 185<br />

❐<br />

bis 4,8<br />

bis 230<br />

❐<br />

bis 6,0<br />

über 230<br />

❐<br />

über 6,0<br />

HDL-Cholesterin<br />

(»gutes« Cholesterin)<br />

mg/dl<br />

mmol/l<br />

mehr als 46<br />

❐<br />

mehr als 1,2<br />

39 - 46<br />

❐<br />

1,0 - 1,2<br />

weniger als 39<br />

❐<br />

weniger als 1,0<br />

LDL-Cholesterin<br />

(»schlechtes« Cholesterin)<br />

mg/dl<br />

mmol/l<br />

bis 115<br />

❐<br />

bis 3,0<br />

bis 155<br />

❐<br />

bis 4,0<br />

mehr als 155<br />

❐<br />

mehr als 4,0<br />

Triglyceride<br />

mg/dl<br />

mmol/l<br />

bis 150<br />

❐<br />

bis 1,7<br />

bis 200<br />

❐<br />

bis 2,2<br />

mehr als 200<br />

❐<br />

mehr als 2,2<br />

Micraltest ❐ negativ ❐ leicht positiv ❐ deutlich positiv<br />

Rauchen ❐ Nicht Rauchen ❐ Rauchen<br />

Angelehnt an die Richtlinien der Europäischen <strong>Diabetes</strong>gesellschaft (1999)<br />

Bei Vorliegen von bestimmten Folgeerkrankungen oder anderen Erkrankungen können<br />

abweichende Zielwerte notwendig sein.<br />

Abb.52: Risiko-Check bei <strong>Diabetes</strong><br />

7. Leben mit der Insulinpumpe<br />

Ein Insulinpumpenexperte in einer Fachambulanz oder einer Schwerpunktpraxis in der<br />

nächst größeren Stadt kann bei Problemen mit Basalrate, Bolusgabe, Katheter oder<br />

anderen Insulinpumpentypischen Besonderheiten weiterhelfen. Bei Folgeerkrankungen<br />

wie Nephropathie (Nierenerkrankung), Retinopathie (Augenerkrankung), Neuropathie<br />

(Nervenerkrankung), erektile Dysfunktion (Impotenz) und Angiopathie (Herzund<br />

Gefäßerkrankungen) müssen gegebenenfalls Fachärzte in die Behandlung mit<br />

einbezogen werden. Psychische Probleme, die in den meisten Fällen für eine HbA 1c -<br />

Verschlechterung mit verantwortlich sind, bedürfen ebenfalls einer entsprechenden<br />

Aufmerksamkeit und eventuell Behandlung durch einen Psychologen oder Psychotherapeuten<br />

Ihres Vertrauens (siehe Psychotherapieführer für Menschen mit <strong>Diabetes</strong>,<br />

Adresse Kapitel 15.2).<br />

149


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

8.1 Einflussgrößen bei Muskelarbeit<br />

Bei körperlicher Aktivität denken wir natürlich in erster Linie an Sport. Dazu gehören<br />

jedoch auch ganz alltägliche Dinge wie Spaziergänge, Einkaufen, Hausarbeit und<br />

Hausputz, Gartenarbeit, Tanzen und Kegeln. Typ-1-Diabetiker müssen bei jeder Form<br />

von Muskelarbeit verschiedene Einflüsse berücksichtigen: Wann wurde zuletzt Insulin<br />

gespritzt und wie viel Insulin? Wann wurde zuletzt gegessen? – um nur das Wichtigste<br />

zu nennen. Daneben sind der aktuelle Trainingszustand, die Belastungsart, die Belastungsstärke<br />

sowie die Belastungsdauer zu bedenken. Ein großer Vorteil der Insulinpumpen-Therapie<br />

bei körperlicher Aktivität ist die »maßgeschneiderte« Basalrate.<br />

Wurde die Basalrate durch gezielte Mahlzeitenauslassversuche geprüft, liegen zu keinem<br />

Zeitpunkt des Tages erhöhte Basalinsulinspiegel vor. Dies ist eine wichtige Voraussetzung<br />

zur Vermeidung von Hypoglykämien bei Muskelarbeit. Abb. 53 zeigt die<br />

Insulinausschüttung der gesunden Bauchspeicheldrüse mit und ohne körperliche Aktivität.<br />

Beim Nichtdiabetiker kommt es unmittelbar nach Beginn der Muskelarbeit zu einem<br />

Absinken der körpereigenen Insulinausschüttung bis auf ca. 40 % der normalen Basissekretionsrate.<br />

Dadurch fällt der Insulinspiegel im Blut ab. Eine starke Blutzuckersenkung<br />

und damit die Gefahr einer Unterzuckerung werden somit verhindert. Bei Muskelarbeit<br />

ist die Muskelzelle wesentlich insulinempfindlicher als unter Ruhebedingungen.<br />

Es wird also weniger Insulin benötigt, um den Zuckereinstrom in die Zellen zu<br />

gewährleisten. Darüber hinaus haben geringe Insulinspiegel im Blut die vermehrte<br />

Zuckerfreisetzung und -neubildung in der Leber zur Folge. Die Leber ist ein wichtiger<br />

Zuckerspeicher des Körpers. Eine vermehrte Zuckerfreisetzung aus der Leber erfolgt<br />

jedoch nur bei niedrigen Insulinspiegeln.<br />

Für insulinbehandelte Diabetiker ergeben sich daraus folgende Zusammenhänge: Bei<br />

hohem Insulinspiegel zum Zeitpunkt der körperlichen Aktivität kommt es zu einer<br />

starken Blutzuckersenkung. Der Zuckereinstrom in die Muskelzellen ist deutlich gesteigert.<br />

Die Zuckerfreisetzung und -neubildung in der Leber ist dagegen blockiert.<br />

Hinsichtlich der Unterzuckerungsgefahr bei körperlicher Aktivität heißt dies:<br />

150<br />

Erhöhte Hypoglykämiegefahr bei hohen Insulinspiegeln!<br />

6.00<br />

Abb. 53: Insulinausschüttung beim Nichtdiabetiker<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Dem Ausgangsinsulinspiegel bzw. der Insulindosisreduktion kommt somit bei körperlicher<br />

Aktivität eine wesentliche Bedeutung zu. Die Insulindosisreduktion kann bei der<br />

Insulinpumpen-Therapie sowohl über den Bolus wie auch über die Basalrate erfolgen.<br />

Der Insulinspiegel im Blut kann natürlich auch in einigen Fällen zu gering sein, z.B. bei<br />

übermäßiger Insulindosisverringerung, nach längerer Insulinpumpenpause oder im<br />

Falle eines Katheterdefektes. Es kommt dann zu einer vermehrten Bereitstellung von<br />

Zucker aus der Leber und damit zu einem Blutzuckeranstieg trotz körperlicher Aktivität.<br />

Der Insulinspiegel im Blut ist für den Blutzuckerverlauf bei<br />

körperlicher Aktivität von wesentlicher Bedeutung!<br />

Empfehlungen<br />

12.00 18.00 24.00<br />

6.00<br />

Uhr<br />

Mahlzeiteninsulin basale Sekretion<br />

Kurzfristige Aktivitäten bis zu maximal einer Stunde Dauer bedürfen in der Regel keiner<br />

Absenkung der Basalrate. Bei geplanter Muskelarbeit nach einer Mahlzeit ist eine<br />

Bolusreduktion ausreichend, bei spontanen Aktivitäten genügen zusätzliche »Sport-<br />

BE«. Pro 30 Minuten mittlerer Belastung ist eine »Sport-BE« einzuplanen. Als geeignete<br />

»schnelle BE« haben sich Traubenzucker, Fruchtsaft und normale Cola bewährt.<br />

Als »langsame BE« für den Ausdauersport eignen sich Brot, Obst und Schokoriegel<br />

(z. B. 1 Hanuta = 1 BE).<br />

Ist körperliche Aktivität unmittelbar nach einer Mahlzeit geplant, erfolgt die Insulindosisreduktion<br />

sehr effektiv über eine Verringerung des Mahlzeitenbolus (ca. 50 %<br />

oder mehr). Dauert die körperliche Bewegung länger als zwei Stunden an, kann zusätzlich<br />

die Basalrate abgesenkt werden. Bei der Verwendung von Normalinsulin in<br />

151


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

der Insulinpumpe ist es hierbei wichtig, die Basalrate bereits ca. 2 Stunden vor der geplanten<br />

Aktivität abzusenken. Als Faustregel hat sich bei mittelschwerer körperlicher<br />

Belastung eine Basalratenreduktion um ca. 50 % bewährt. Längerdauernde Sportaktivitäten,<br />

z. B. eine Tageswanderung, Fahrradausflug oder Langlauftour, erfordern eine<br />

Absenkung über einen entsprechend längeren Zeitraum. In aller Regel muss dann<br />

auch in der darauffolgenden Nacht die Basalrate gesenkt werden. Leber und Muskulatur<br />

füllen nach einem anstrengenden Sporttag in der Nacht ihre Zuckerspeicher wieder<br />

auf. Dies geht natürlich auf Kosten des Blutzuckers, gefährliche Hypoglykämien in<br />

den Nachtstunden können die Folge sein.<br />

Sport wirkt nach !!!<br />

8.2 Spontane körperliche Aktivität<br />

Menschen ohne <strong>Diabetes</strong>erkrankung brauchen vor jeglicher Art von körperlicher<br />

Tätigkeit nicht darüber nachzudenken, was zu tun ist, damit der Blutzucker während<br />

der Muskelarbeit im Bereich von ca. 60 -160 mg/dl bleibt. Dies trifft für Menschen mit<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht mehr zu, unabhängig davon, ob Insulin mit Spritze, Pen oder Insulinpumpe<br />

zugeführt wird. Stattdessen muss der Diabetiker selbst den Ausfall der<br />

körpereigenen Regulationsmechanismen bezüglich Blutzuckersteuerung übernehmen.<br />

Er hat Sorge dafür zu tragen, dass die zahlreichen Einflussgrößen für die Blutzuckerhöhe<br />

geeignet aufeinander abgestimmt sind, so dass der Blutzuckerwert annähernd<br />

im Normalbereich gehalten werden kann.<br />

Die Insulinwirkung an der Zelle ist dem jeweiligen Bedarf anzupassen: ein »zu viel« an<br />

Insulin bedingt einen Blutzuckerabfall, ein »zu wenig« kann zu einem Blutzuckeranstieg<br />

führen. Daher gilt für Menschen mit einer Insulinbehandlung:<br />

»Bevor der Körper bewegt wird, sollte sich der Geist bewegen«<br />

oder anders ausgedrückt:<br />

Erst denken, dann bewegen !<br />

Durch eine Insulinpumpenbehandlung wird dieses Denken insofern erleichtert, weil<br />

nur eine Insulinsorte mit relativ kurzer Wirkungsdauer zum Einsatz kommt und weil<br />

eine Trennung zwischen Basalbedarf und Nahrungsbedarf besteht bzw. anzustreben<br />

ist.<br />

Kommt es spontan ohne vorherige Planung und folglich ohne Verringerung der üblichen<br />

Insulinmenge (Bolus oder/und Basalrate) zu einer körperlichen Aktivität von mindestens<br />

15 Minuten oder länger, so ist mit einem nennenswerten Blutzuckerabfall zu<br />

rechnen. <strong>Mit</strong> zunehmender Dauer der Muskelarbeit erhöht sich das Risiko einer Un-<br />

152<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

terzuckerung, und es müssen rechtzeitig Extra-BE gegessen bzw. getrunken werden,<br />

um dieser Gefahr entgegenzuwirken. Wie viele zusätzliche Kohlehydrate erforderlich<br />

sind, hängt von zahlreichen Bedingungen ab. Wesentlich sind:<br />

● Dauer der Muskelarbeit: Je länger, desto mehr<br />

● Insulinspiegel im Blut: Je höher, desto mehr<br />

● Blutzuckerausgangswert: Je niedriger, desto mehr<br />

● Intensität der Aktivität: Je anstrengender, desto mehr<br />

● Trainingszustand: Je untrainierter, desto mehr<br />

● Vorerfahrungen: Je unüblicher, desto mehr<br />

● Gefährlichkeit der Aktivität: Je risikoreicher, desto mehr<br />

Gerade die Bedeutung der Höhe des Insulinspiegels wird nach unseren Erfahrungen<br />

immer wieder unterschätzt. Wichtige Zusammenhänge für das praktische Vorgehen<br />

sind in Abb. 54 dargestellt. Der jeweils notwendige Insulinbedarf im Blut ist nicht bekannt<br />

und kann nur erahnt werden. Die angegebenen BE-Mengen in Spalte 3 beziehen<br />

sich auf den durchschnittlichen zusätzlichen Bedarf an Kohlehydraten pro Stunde<br />

ungeplanter körperlicher Aktivität.<br />

153


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Höhe des Insulinspiegels Auswirkung der Notwendigkeit von<br />

im Blut Aktivität auf den Zusatz-Maßnahmen<br />

Blutzuckerverlauf<br />

viel höher als der Bedarf starker BZ-Abfall reichlich Zusatz-BE<br />

(z.B. 2 - 3 BE/Std.)<br />

etwas höher als der Bedarf geringer BZ-Abfall eher wenig Zusatz-BE<br />

(z.B. 1 BE/Std.)<br />

dem Bedarf angemessen stabiler BZ-Verlauf keine Zusatz-BE<br />

deutlich niedriger als der Bedarf BZ-Anstieg! geringer Extra-Bolus<br />

(z.B 0,5 - 1 I.E./Std)<br />

Abb. 54: Bedeutung des Insulinspiegels bei spontaner Muskelarbeit<br />

Will man die Aussagen in Abb. 54 konkretisieren in Bezug auf Bolusgabe und Basalrate,<br />

so heißt dies:<br />

● Findet die spontane körperliche Aktivität während der Maximalwirkung<br />

eines Bolus statt, d.h. bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon in<br />

der Insulinpumpe 1- 2 Stunden nach der Bolusgabe und unter Normalinsulin<br />

1,5 - 3 Stunden danach, so ist mit einem deutlichen Blutzuckerabfall zu rechnen.<br />

● Erfolgt die ungeplante Muskelarbeit während eines Zeitraumes, in dem kein<br />

Bolusinsulin, sondern nur die Basalrate wirksam ist, so ist nur eine relativ geringe<br />

Blutzuckersenkung zu erwarten.<br />

Eine weitere Empfehlung ist uns wichtig: Bei körperlicher Tätigkeit sollten wie in anderen<br />

Sondersituationen eher leicht erhöhte Blutzuckerwerte in Kauf genommen<br />

werden, statt sich durch zu niedrige Blutzuckerspiegel einer größeren Unterzuckerungsgefahr<br />

auszusetzen.<br />

Es gilt hierbei die »Was wäre wenn«-Überlegung:<br />

● Was wäre, wenn der Blutzucker in Sondersituationen deutlich ansteigt?<br />

Antwort: Der Blutzucker wäre vermutlich nur kurzfristig erhöht; er ließe sich<br />

anschließend rasch korrigieren; ausgeprägte unangenehme Konsequenzen, insbesondere<br />

bezüglich Folgeerkrankungen wären vermutlich nicht zu befürchten; d.h.<br />

die kurzfristige Blutzuckererhöhung wäre ziemlich harmlos.<br />

154<br />

● Was wäre, wenn der Blutzucker in Sondersituationen übermäßig abfällt?<br />

Antwort: Es könnte zu einer Unterzuckerung kommen, die unter Umständen nur<br />

schlecht, vielleicht auch zu spät wahrgenommen wird; es könnte zu einer Beeinträchtigung<br />

des Denk- und Handlungsvermögens führen; es könnte sogar zu einer<br />

Hilflosigkeit und in seltenen Fällen zu einer Bewusstlosigkeit kommen. Kurz: Es<br />

könnte sich eventuell eine sehr gefährliche Situation entwickeln.<br />

Diese Zusammenhänge legen die Empfehlung nahe, bei spontaner, unüblicher körperlicher<br />

Aktivität leicht erhöhte Blutzuckerwerte vorübergehend und kurzfristig zuzulassen.<br />

Also: Bei ungeplanter Muskelarbeit großzügige sowie rechtzeitige Zufuhr<br />

von Extra-BE in Form von kohlenhydrathaltigem Essen oder/und Trinken.<br />

Beispiel A: Spontaner Spaziergang am Vormittag<br />

Frau A. wird von einer Freundin morgens nach dem Frühstück überraschend zu einem<br />

Spaziergang mit Stadtbummel (viel Gehen!) eingeladen. Um 8.30 Uhr hatte sie 4 BE<br />

gegessen und dafür wie üblich 6 I.E. als Bolus gegeben. Ihr Pumpeninsulin ist Humalog.<br />

Um 9.30 Uhr wollen die beiden die Einkaufstour mit offenem Ende beginnen. Wie<br />

soll sich Frau A. nach dem Anruf um 9.10 Uhr verhalten?<br />

Ein möglicher Verlauf wäre: Noch zu Hause isst sie einen Apfel von 1 BE extra als Zusatz-BE.<br />

Gegen 10.30 Uhr, also nach einer Stunde, machen die beiden eine Kaffeepause;<br />

dabei isst Frau A. ein Gebäckstück mit ca. 2 BE. Üblicherweise (ohne Bewegung)<br />

würde sie dafür einen Bolus von 2,5 I.E. setzen. Diesen verringert sie bewusst und gibt<br />

nur einen Bolus von 1 I.E. Gegen 11.00 Uhr entscheiden sie sich spontan, für eine weitere<br />

Stunde im Park spazieren zu gehen, da mittlerweile die Sonne scheint. Ungefähr<br />

um 11.30 Uhr misst Frau A. ihren Blutzucker und entscheidet je nach Ergebnis über das<br />

weitere Vorgehen.<br />

Bemerkung: Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, um 9.15 Uhr direkt nach dem Anruf<br />

die Basalrate auf ca. 50 % abzusenken (bei den Insulinpumpen H-TRONplus bzw.<br />

D-TRONplus möglich) oder eine entsprechende konstante Alternativ-Basalrate einzuprogrammieren<br />

(Pumpenmodelle von Medtronic Minimed); die Zusatz-BE gegen 10.30<br />

Uhr hätte dann entfallen können. Die Extra-BE um 9.15 Uhr ist jedoch notwendig, da<br />

der Insulinwirkspiegel um diese Zeit wegen des üblichen Frühstückbolus bei gleichzeitiger<br />

körperlicher Aktivität als zu hoch angenommen werden muss.<br />

Beispiel B: Ungeplanter Spaziergang am Nachmittag<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Frau B. entscheidet kurzfristig nach Dienstschluss um 16.30 Uhr, noch für ca. 1,5 Stunden<br />

mit einem Bekannten im Stadtwald spazieren zu gehen; erfahrungsgemäß legen<br />

sie dabei eine größere Wegstrecke zurück. Die letzte Bolusgabe von 3 I.E. Humalog<br />

155


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

war gegen 12.00 Uhr zum <strong>Mit</strong>tagessen, d.h. der Insulinwirkspiegel bei Beginn der körperlichen<br />

Aktivität wird ausschließlich durch die korrekt ermittelte Basalrate bestimmt.<br />

Eine stärkere Unterzuckerungsgefahr durch Muskeltätigkeit ist in dieser Phase<br />

nicht zu befürchten. Deshalb isst Frau B. vorab nur eine Mandarine (ca. 0,5 BE) zusätzlich.<br />

Diese Beispiele wollen verdeutlichen: Für vergleichbare körperliche Aktivität ist auch<br />

die Tageszeit, genauer der Insulinwirkspiegel im Blut von wesentlicher Bedeutung. Die<br />

Begleitumstände sind wichtig. Der Bedarf an Zusatz-BE bei ungeplanter Muskelarbeit<br />

ist davon abhängig.<br />

Bei einer spontanen körperlichen Aktivität von weniger als 15 Minuten ist im allgemeinen<br />

kein wesentlicher Blutzucker-Abfall zu erwarten. Besondere Vorsorgemaßnahmen<br />

wie Zufuhr von Extra-BE sind in diesem Fall nicht erforderlich.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine ungeplante längerfristige körperliche Aktivität<br />

birgt immer das Risiko einer Unterzuckerung. Dieser Gefahr ist rechtzeitig und<br />

großzügig durch Extra-BE entgegenzuwirken. Eher sollte ein kurzfristiger Blutzuckeranstieg<br />

toleriert werden. Demnach erfordert ungeplante Muskeltätigkeit zusätzliche<br />

Nahrungszufuhr. Falls in diesem Zusammenhang häufiger größere Kalorienmengen<br />

aufgenommen werden, besteht ein erhöhtes Risiko für eine Gewichtszunahme.<br />

Betrachtet man die bisherigen Ausführungen dieses Kapitels und überdenkt man die<br />

Empfehlungen der beiden Beispiele, so kann man bemängeln: Der Aspekt »häufigeres<br />

Messen« wird zu wenig betont. Deshalb einige Klarstellungen:<br />

Regelmäßige Blutzuckerselbstkontrolle ist eine fundamental wichtige Maßnahme für<br />

eine erfolgreiche, situationsangepasste Blutzuckersteuerung – dies gilt insbesondere<br />

für die Insulinpumpen-Therapie. Ohne Kenntnis des aktuellen Blutzuckerwertes ist<br />

eine gezielte Bolusgabe nicht möglich. Untersuchungen haben gezeigt, dass die zu seltene<br />

und zu unsystematische Blutzuckermessung einer der wichtigsten Gründe für<br />

eine unzureichende Stoffwechseleinstellung bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ist.<br />

Andererseits zeigt die Erfahrung – gerade auch beim Insulinpumpenträger – dass mitunter<br />

ohne zwingende Notwendigkeit unangebracht häufig der Blutzucker bestimmt<br />

wird. Gleichzeitig wird versäumt, das Ergebnis kritisch zu hinterfragen. Nicht der Blutzuckerwert<br />

allein ist wichtig, sondern auch die Antwort auf die Frage:<br />

156<br />

Warum ist der Blutzucker so, wie er ist?<br />

Es wird davor gewarnt, nur aufgrund des Blutzuckerwertes Automatismen des Handelns<br />

abzuleiten; stets sind gleichzeitig weitere Rahmenbedingungen wie Boluswirkdauer,<br />

Insulinspiegel im Blut, Blutzuckertrend, letzte Nahrungsaufnahme, psychische<br />

Gegebenheiten, Unterzuckerungsrisiko usw. mit zu beachten. Die Blutzuckerselbstkontrolle<br />

darf nicht zum Alibi werden, das Hinterfragen der Ergebnisse zu unterlassen.<br />

Sie ist kein Ersatz für das Nachdenken, sondern die Voraussetzung dafür.<br />

Nimmt man als weiteren Gesichtspunkt die Erfahrung als Grundlage jeglichen Handelns<br />

dazu, so erhält man drei wichtige »Säulen« für eine erfolgreiche Blutzuckersteuerung<br />

bei körperlicher Aktivität<br />

Messen – Denken – Ausprobieren<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Dazu benötigt man noch ein bisschen Glück und das Bewusstsein, dass nicht alles beherrschbar<br />

und machbar ist.<br />

Beispiel C: Fehlverhalten durch Überbewertung eines Messwertes<br />

ohne gleichzeitiges Nachdenken<br />

Herr S. hat kurzfristig entschieden, 1 Stunde nach dem Frühstück für ca. 2 Stunden im<br />

Garten zu arbeiten. Gewissenhaft ermittelt er vorher seinen Blutzuckerwert und misst<br />

220 mg/dl. Was soll er tun?<br />

● Möglichkeit A: Nichts essen?!<br />

Diese Entscheidung ist naheliegend, wenn nur die Blutzuckerhöhe bedacht wird<br />

und andere Rahmenbedingungen wie letzter Bolus, Blutzuckerwert vor letztem<br />

Essen, Art und BE-Menge der letzten Mahlzeit unberücksichtigt bleiben.<br />

● Möglichkeit B: Trotzdem essen?!<br />

Dies wäre in folgendem Fall empfehlenswert: Der Nüchternwert war 80 mg/dl, deshalb<br />

hat Herr S. den üblichen Bolus (Humalog als Pumpeninsulin) erst nach dem<br />

Frühstück gesetzt. Das Frühstück bestand aus relativ rasch resorbierbaren Kohlehydraten:<br />

ein normales Brötchen mit Marmelade und ein Glas Saft. Der Wert von<br />

220 mg/dl ist Ausdruck des schnellen Blutzuckeranstiegs nach dem Frühstück (hoher<br />

glykämischer Index!) und des relativ späten Anflutens des Insulinbolus. Auch<br />

ohne körperliche Aktivität wäre innerhalb der nächsten beiden Stunden ein deutlicher<br />

Blutzuckerabfall zu erwarten. Also: Eine Extra-BE vor Beginn der Gartenarbeit<br />

ist dringend angezeigt. Die Blutzuckerselbstkontrolle verleitet hier sogar zu<br />

einem falschen Verhalten. Günstiger wäre es in diesem Beispiel, vor Beginn der<br />

Arbeit oder auch erst nach ca. 15 - 30 min ca. 1- 2 BE zu essen und dann nach einer<br />

weiteren Stunde den Blutzucker erstmals zu messen. Dieser Wert wäre aussagekräftiger,<br />

weil er die Blutzuckersituation gegen Ende der Wirkdauer des Frühstücksbolus<br />

beschreibt.<br />

157


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Ausgehend von diesem Beispiel lässt sich verallgemeinern: Vor einer spontanen, längerfristigen<br />

körperlichen Aktivität, die etwa 1 Stunde nach dem Essen beginnt, hilft<br />

eine Blutzuckermessung nicht viel weiter, um zu entscheiden, ob und wie viel Extra-BE<br />

angebracht sind. Sie ist ja auch lästig, schmerzhaft und verursacht Kosten. Wesentlich<br />

sind in diesem Fall die zusätzlichen Rahmenbedingungen (siehe oben). Wenn es jedoch<br />

darum geht, die eigenen Gesetzmäßigkeiten der Blutzuckersteuerung kennenzulernen,<br />

hat die Blutzuckerbestimmung 1 Stunde nach einer Mahlzeit durchaus ihre<br />

Berechtigung. Also: « Es kommt darauf an«.<br />

158<br />

Zwei weitere Bemerkungen:<br />

● Bei jeglicher körperlicher Aktivität,<br />

speziell auch bei ungeplanter Muskelarbeit,<br />

ist es unabdingbar, geeignete<br />

»Not-BE« für eine Unterzuckerung<br />

griffbereit dabei zu haben (z.B. in Form<br />

von Traubenzuckertäfelchen).<br />

Sollte dies nicht möglich sein, beispielsweise<br />

bei Schwimmen oder Kampf-<br />

Sport, müssen Vorsorgemaßnahmen<br />

getroffen werden, die eine Hypoglykämie<br />

sicher verhindern; dann also: sehr<br />

großzügige Zufuhr von Extra-BE und<br />

vorheriges Messen.<br />

● Eine Dokumentation der eigenen Erfahrungen<br />

hilft bei allen Sondersituationen,<br />

also auch bei spontanen Aktivitäten,<br />

persönliche Gesetzmäßigkeiten<br />

zu erkennen. Das Niederschreiben<br />

und Überdenken von Blutzuckerverläufen<br />

und weitereren wichtigen Gesichtspunkten<br />

braucht keinesfalls sofort<br />

zu erfolgen. Der Bolusspeicher der<br />

Insulinpumpe und die Memory-Funktion<br />

des Blutzuckermessgerätes erleichtern<br />

dies zu einem späteren Zeitpunkt.<br />

8.3 Geplante körperliche Aktivität<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Die Notwendigkeit von Zusatz-BE ist nur dann gegeben, wenn der Insulinspiegel im<br />

Blut während der körperlichen Aktivität zu hoch ist. Somit ist bei vorhersehbarer körperlicher<br />

Tätigkeit eine andere Vorgehensweise schon aufgezeigt, nämlich rechtzeitig<br />

dafür zu sorgen, dass im Zeitraum der Muskelarbeit weniger Insulin wirksam ist. Also<br />

käme auch infrage:<br />

● Verringerung des vorhergehenden Bolus<br />

● Absenkung der Basalrate<br />

Die »Faustregeln« 2 und 3 in Abb. 55 zeigen als sogenannte »50%-Regel« einen Weg<br />

dafür auf. Im Einzelfall ist eine Feinabstimmung empfehlenswert.<br />

Die Variante »Insulin verringern« statt »Extra-BE zu sich nehmen« hat folgende Vorteile:<br />

Kein ungewolltes, oft als lästig empfundenes Essen bzw. Trinken, keine sportliche<br />

Aktivität mit vollem Magen, keine zusätzliche Gefahr der Gewichtszunahme. Welche<br />

der beiden Möglichkeiten gewählt wird, entscheidet der Insulinpumpenträger<br />

entsprechend seinen Vorlieben. Die Wahlfreiheit verbessert das Wohlbefinden und erhöht<br />

die Lebensqualität.<br />

Im Idealfall ist die Verringerung der Insulinabgabe gezielt so vorzunehmen, dass bereits<br />

zu Beginn der körperlichen Aktivität der Insulinspiegel im Blut entsprechend<br />

niedriger ist und dass erst nach Beendigung der Muskeltätigkeit der Ausgangszustand<br />

wieder erreicht wird. Ein deutliches »Zuwenig« an Insulin im Blut gilt es zu vermeiden,<br />

sonst kommt es zu einem unerwünschten Blutzuckeranstieg. Dies ist in der Tat keine<br />

leichte Aufgabe, wenn man sich die dabei auftretenden Unsicherheiten bewusst<br />

macht: Der erforderliche Insulinbedarf und damit der Prozentsatz für die Insulinverringerung<br />

müssen geschätzt werden, die Insulinwirkdauer ist mit 3 - 5 Stunden – je<br />

nach Insulinsorte – relativ lang und unterliegt zahlreichen Schwankungen.<br />

Das im Kapitel 3.3 beschriebene PPL-System kann bei sinngemäßer Anwendung hilfreich<br />

sein, eigene Anpassungsregeln zu finden. Zwei Beispiele mögen das praktische<br />

Vorgehen verdeutlichen:<br />

Beispiel D: Geplante Fahrradtour am Vormittag<br />

Herr M. will mit Freunden am Samstag eine größere Fahrradtour machen. Geplante<br />

Dauer ca. 3 Stunden; Beginn 9.30 Uhr; für das Frühstück von 5 BE benötigt Herr M.<br />

normalerweise 8 I.E. Humalog. Stattdessen gibt er nur einen Bolus von 5 I.E., also etwa<br />

ein Drittel weniger, und reduziert bereits beim Frühstück die Basalrate auf 50 % (ausreichende<br />

Vorlaufzeit!). Um 9.30 Uhr vor Beginn der Fahrradtour ermittelt Herr M. einen<br />

Wert von 180 mg/dl. Damit ist er zufrieden. Bei einem Zwischenstopp gegen 11.00<br />

159


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Uhr ist der Blutzucker sogar auf 220 mg/dl angestiegen. Daraus folgert Herr M., dass<br />

die Insulinverringerung etwas zu deutlich war. Bei der Pause trinkt er nur Mineralwasser,<br />

will aber nichts essen. Er gibt sich allerdings einen Bolus von 0,5 I.E., lässt die<br />

Basalratenabsenkung jedoch unverändert. Um 13.00 Uhr am Ende der Tour ist der<br />

Blutzucker bei 170 mg/dl.<br />

Beispiel E: Geplante Fahrradtour am Nachmittag<br />

Herr N. will nach Dienstschluss von 16.00 -18.00 Uhr zwei Stunden Fahrradfahren. Aus<br />

Erfahrung weiß er, dass sein Pumpeninsulin Humalog eine maximale Wirkdauer von<br />

3,5 Stunden hat. Somit ist eine Verringerung des Bolus zum <strong>Mit</strong>tagessen nicht sinnvoll.<br />

Gegen 14.30 Uhr nimmt er eine Basalratenabsenkung auf 60% vor. Der Blutzuckerwert<br />

um 16.00 Uhr ist 110 mg/dl. Er isst noch einen Apfel (1 BE), lässt aber die Basalratenabsenkung<br />

unverändert. Nach Ankunft zu Hause gegen 18.00 Uhr hat er einen<br />

Blutzuckerwert von 140 mg/dl.<br />

Nach Beendigung der körperlichen Aktivität würde man in beiden Fällen die Basalrate<br />

wieder auf das übliche Niveau anheben. Eine Bolusverringerung wäre bei der<br />

anschließenden Hauptmahlzeit vermutlich nicht angezeigt, und zwar aus folgenden<br />

Gründen:<br />

1. Ein stärkerer Muskelauffülleffekt ist nicht zu befürchten, da durch ausreichende<br />

Insulinverringerung das Blutzuckerniveau während der Aktivitätsphase stets über<br />

100 mg/dl gelegen hatte. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass Glykogendepots<br />

(»Speicherzucker«) in Leber bzw. Muskulatur entleert wurden.<br />

2. Eine anhaltende deutliche Verbesserung der üblichen Insulinempfindlichkeit dürfte<br />

eher nicht eintreten, da die vermehrte Muskeltätigkeit in beiden Fällen von<br />

nicht allzu langer Dauer war.<br />

3. Wenn die Basalrate wieder auf 100% erhöht wird, dauert es noch eine gewisse<br />

Zeit, bis der übliche Basalinsulinspiegel wieder aufgebaut ist.<br />

Die Aussage »Sport wirkt nach« ist insbesondere dann zu beachten, wenn zum einen<br />

durch niedrig normale bzw. grenzwertig hypoglykämische Blutzuckerwerte die Glykogenspeicher<br />

teilweise geleert wurden oder wenn zum anderen die körperliche Aktivität<br />

von so langer Dauer war, dass es zu einer anhaltenden Verbesserung der Insulinwirkung<br />

an den Zellen, also zu einer besseren Insulinempfindlichkeit gekommen ist.<br />

Diese Überlegungen wollen zeigen, wie schwierig es sein kann, zuverlässige Prognosen<br />

über den Blutzuckerverlauf während und nach körperlicher Aktivität zu machen.<br />

Muskelarbeit trägt also bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht unbedingt zu einer<br />

Stabilisierung des Blutzuckerverlaufs bei.<br />

160<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Trotzdem ist regelmäßige muskuläre Tätigkeit empfehlenswert: Zahlreiche Körperfunktionen<br />

werden optimiert, die psychische Situation stabilisiert, das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen<br />

(häufigste Todesursache bei Diabetikern!) sowie für diabetische<br />

Folgeerkrankungen verringert. Darüber hinaus sollte eine Hauptmotivation für<br />

regelmäßige körperliche Aktivität sein: Es macht Spaß, es erhöht das subjektive Wohlbefinden,<br />

es verbessert die Lebensqualität. Im wesentlichen sind die Gründe für regelmäßige<br />

körperliche Aktivität bei Menschen mit <strong>Diabetes</strong>erkrankung und bei Stoffwechselgesunden<br />

die gleichen.<br />

8.4 Insulinpumpe als »Störfaktor« bei Sport<br />

Bei manchen Sportarten ist das Tragen einer Insulinpumpe ungünstig, hinderlich und<br />

teilweise auch gefährlich. Dies trifft beispielsweise zu auf Kampfsport mit Körperkontakt<br />

wie Boxen, Ringen oder Judo. Auch beim Schwimmen und beim Wassersport<br />

empfiehlt es sich, die Insulinpumpe abzulegen. Meist besteht ein individueller Ermessensspielraum.<br />

So dürfte z.B. bei einem Fussball-Punktespiel, wo es erfahrungsgemäß<br />

härter zur Sache geht, das Ablegen der Insulinpumpe zweckmäßig sein, während für<br />

einen »Freizeit-Kicker« das Tragen der Insulinpumpe kein Problem darstellen sollte.<br />

Falls die liegende Nadel während der Sportausübung nicht hinderlich ist, dann ist der<br />

abkoppelbare Katheter empfehlenswert. Damit entfällt ein zu häufiger Katheterwechsel<br />

trotz Ablegen der Insulinpumpe (Kostenaspekt!). Im übrigen wird diesbezüglich<br />

auf den Abschnitt 7.3 zum Thema »Insulinpumpenpausen« verwiesen.<br />

Folgende Besonderheit der Insulinpumpenpause bei sportlicher Aktivität ist zu beachten:<br />

Gerade bei Muskeltätigkeit ist ein angemessener Insulinspiegel im Blut wichtig.<br />

Während einer Insulinpumpenpause kommt es zu einer relativ raschen Änderung<br />

der Insulinversorgung. Wird die Insulinpumpe erst unmittelbar vor Beginn der sportlichen<br />

Aktivität abgelegt, ist wegen der relativen Überinsulinierung mit einem anfänglich<br />

deutlicheren Blutzuckerabfall zu rechnen. Dauert das Ablegen der Insulinpumpe<br />

bei Verwendung vom Humalog länger als 2 Stunden, muss von einem zunehmenden<br />

Insulinmangel in der Blutbahn ausgegangen werden, d.h. es kann zu<br />

einem Blutzuckeranstieg trotz körperlicher Aktivität kommen. Längere Insulinpumpenpausen<br />

wegen Sport erfordern viel Fingerspitzengefühl. Es gilt, vor Beginn einen<br />

leicht erhöhten Blutzuckerwert anzustreben, während der Aktivität einen stärkeren<br />

Schwankungsbereich der Blutzuckerverläufe zu akzeptieren und anschließend mit<br />

vorsichtigen Korrekturen wieder stabilere Verhältnisse zu erzielen.<br />

Eine zu lange Insulinpumpenpause bei sportlicher Aktivität kann gefährlich werden.<br />

Dauert das Ablegen der Insulinpumpe länger als die Insulinwirkdauer – also bei einem<br />

kurzwirksamen Insulinanalogon mehr als drei Stunden und bei Normalinsulin über<br />

161


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

vier Stunden, muss mit Spritze oder Pen bzw. durch kurzfristiges Anschließen der Insulinpumpe<br />

an einen abkoppelbaren Katheter eine geringe Insulinmenge verabreicht<br />

werden, um eine drohende ketoazidotische Entgleisung zu verhindern. Beachte:<br />

Keine körperliche Tätigkeit bei deutlichem Insulinmangel<br />

Wird die Insulinpumpe während der sportlichen Betätigung nicht abgelegt, droht eine<br />

andere Möglichkeit für einen übermäßigen Blutzuckeranstieg mit der Gefahr einer<br />

Ketoazidose. Infolge von verstärkten Körperbewegungen kann die Nadel aus der Haut<br />

herausrutschen. Es gelangt, ohne dass Alarm gemeldet wird, kein Insulin mehr ins Unterhautfettgewebe.<br />

Wird dies vom Insulinpumpenträger nicht bemerkt, entwickelt<br />

sich binnen Stunden ein absoluter Insulinmangel mit nachfolgender ketoazidotischer<br />

Entgleisung. Diese unangenehme Situation ist vermeidbar, indem die Nadel mit einem<br />

Pflaster zusätzlich fixiert wird, bzw. die korrekte Lage des Katheters in der Haut von<br />

Zeit zu Zeit überprüft wird.<br />

Zum Thema »Insulinbehandlung und Sport« finden sich in dem Buch »<strong>Diabetes</strong>- und<br />

Sportfibel« von Thurm/Gehr viele wertvolle Informationen und praxisorientierte<br />

Tipps. In zahlreichen Erfahrungsberichten aus dem Bereich Freizeit- und Leistungssport<br />

schreiben Betroffene, wie sie die Insulintherapie während der Sportausübung handhaben,<br />

welche Erfolge, Fallgruben und<br />

Enttäuschungen sie dabei erlebt haben.<br />

Dieses Buch ist eine wahre Fundgrube<br />

von Möglichkeiten und Ideen. Es enthält<br />

auch eine Kontaktbörse mit hilfreichen<br />

Adressen; u.a. sind zahlreiche<br />

diabeteserfahrene Ansprechpartner für<br />

die einzelnen Sportarten genannt sowie<br />

Anschriften von <strong>Diabetes</strong>sportgruppen<br />

aufgeführt. Jeder insulinbehandelte<br />

Diabetiker, der sportlich aktiv<br />

ist oder es werden will, sollte dieses<br />

Buch gelesen haben.<br />

162<br />

8.5 Probleme und Warnhinweise<br />

8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Bei körperlicher Aktivität wird das erhöhte Unterzuckerungsrisiko immer wieder unterschätzt.<br />

Eine besondere Vorsicht ist in folgenden Situationen angezeigt:<br />

● Ungeplante Tätigkeit, spontane Bewegung von längerer Dauer: Die blutzuckersenkende<br />

Wirkung der Muskelarbeit wird nicht selten einfach vergessen; die körperliche<br />

Aktivität wird mitunter als solche gar nicht wahrgenommen (z.B. Einkaufsbummel,<br />

Hausputz, Gartenarbeit).<br />

● Muskuläre Tätigkeit während der maximalen Wirkung eines größeren Nahrungsbolus:<br />

<strong>Mit</strong> einem deutlicheren Blutzuckerabfall muss gerechnet werden, wenn die<br />

Muskeltätigkeit bei kurzwirksamen Insulinanalogon ca. 1- 2 Stunden nach einer<br />

Bolusgabe bzw. bei Normalinsulin nach ca. 2 - 3 Stunden erfolgt.<br />

● Intensive körperliche Aktivität direkt nach einer größeren Mahlzeit: Eine verzögerte<br />

Magenentleerung, eine Verlangsamung der Verdauungsvorgänge, eine<br />

beschleunigte Insulinaufnahme aus dem Unterhautfettgewebe können die zu erwartende<br />

blutzuckererhöhende Wirkung der gegessenen Kohlehydrate abschwächen.<br />

● Die körperliche Tätigkeit dauert länger als geplant: Hierfür kommen vielfältige Ursachen<br />

in Frage, beispielsweise ein Verlaufen während eines Spaziergangs in fremder<br />

Umgebung, eine Fehleinschätzung einer Besichtigungstour in einer unbekannten<br />

Stadt, Gartenarbeit von deutlich längerer Dauer, gründlicheres Erledigen<br />

eines Hausputzes, längere Ausdehnung eines Einkaufsbummels.<br />

● Ungewohnte körperliche Aktivität: Es werden mehr Muskelgruppen als üblich beansprucht,<br />

deshalb kann ein überdurchschnittlicher Blutzuckerabfall auftreten.<br />

● Muskuläre Bewegung im Zusammenhang mit Alkoholgenuss: Die Zuckerbildung<br />

und –freisetzung der Leber kann beeinträchtigt werden, durch ein Zuwenig an<br />

»Leberzucker« kann sich der Blutzuckerwert stärker verringern.<br />

In diesen Situationen, aber auch bei jeglicher körperlicher Aktivität sind geeignete<br />

Vermeidungsstrategien für eine Unterzuckerung wichtig; geeignete Maßnahmen können<br />

sein:<br />

● »Erst denken, dann bewegen«.<br />

● Höhere Blutzuckerzielbereiche anstreben: Kurzfristig leicht erhöhte Blutzuckerwerte<br />

sind harmloser als eine eventuelle Unterzuckerung.<br />

● Großzügiges Essen und Trinken: Rechtzeitige Aufnahme von sog. »Sicherheits-BE«<br />

oder anders formuliert: Die Extra-BE bei körperlicher Tätigkeit werden zweckmäßigerweise<br />

im eigenen Magen transportiert.<br />

● Verringerung der Insulinmenge: Rechtzeitige Absenkung der Basalrate und/oder<br />

geringere Bolusgabe.<br />

● Verkürzung des Drück-Ess-Abstandes bzw. Benutzen eines »Ess-Drück-Abstandes«,<br />

d.h. die Bolusgabe erfolgt während des Essens oder erst danach.<br />

● Wenn möglich zwischenzeitliches Ermitteln der Blutzuckerhöhe. Dies ist insbesondere<br />

bei unüblicher körperlicher Aktivität anzuraten.<br />

163


8. Insulinpumpe und körperliche Aktivität<br />

Überzucker bei Muskelarbeit<br />

Bei Blutzuckerwerten über 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l ohne gleichzeitigen Azetonnachweis<br />

im Urin ist eine ausreichende Insulinzufuhr erforderlich, danach ist Sport<br />

problemlos möglich. Unter wirksamen Insulinspiegeln werden die hohen Blutzuckerwerte<br />

bei körperlicher Aktivität rasch abgebaut.<br />

Ganz anders verhält es sich dagegen bei Azetonnachweis ++/+++. Hier wird Sport gefährlich!<br />

Da Insulinmangel besteht, werden in diesem Fall die Blutzuckerwerte unter<br />

der Belastung rasch ansteigen. Die Übersäuerung des Blutes wird zunehmen. Es entwickelt<br />

sich eine Ketoazidose, die <strong>leben</strong>sgefährlich sein kann (siehe Kapitel 10). Azetonteststreifen<br />

(z.B. Ketur) dürfen daher in keinem Sportgepäck fehlen! Bei Blutzuckerwerten<br />

von mehr als 200 mg/dl (11,1 mmol/l) vor Beginn der körperlichen Aktivität<br />

sollte der Urin auf Azeton getestet werden. Damit wird eine beginnende<br />

ketoazidotische Entgleisung rechtzeitig erkannt bzw. sicher ausgeschlossen. Blutzuckeranstiege<br />

unter Belastung sind auch bei psychisch und körperlich sehr anstrengenden<br />

Aktivitäten (z.B. Wettkämpfen) zu beobachten. Sie sind durch Ausschüttung<br />

von Stresshormonen (Adrenalin, Kortison, STH) bedingt und lassen sich in der Regel<br />

durch vorsichtige Korrektur nach dem Sport rasch beheben. Vor Wettkämpfen ist zudem<br />

ein gutes Aufwärmtraining empfehlenswert, um den Organismus auf die bevorstehende<br />

Belastung vorzubereiten.<br />

Unterzucker bei Muskelarbeit<br />

Wie in Abschnitt 8.1 besprochen, kommt es beim insulinspritzenden Diabetiker in der<br />

Regel zu einem verstärkten Blutzuckerabfall bei körperlicher Aktivität. Somit besteht<br />

ein erhöhtes Unterzuckerungsrisiko, dem durch geeignete Vorsorgemaßnahmen<br />

Rechnung getragen werden muss. Hier sind alle körperlich aktiven und sportbegeisterten<br />

Diabetiker zu größter Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit aufgerufen, um Eigenund<br />

Fremdgefährdung weitgehend auszuschließen! Wir empfehlen bei körperlicher<br />

Aktivität, insbesondere wenn sie neu oder ungewohnt ist, eine konsequente »Hypoglykämie-Vermeidungsstrategie«.<br />

Dies bedeutet eine großzügige Zufuhr von Extra-BE<br />

und/oder eine deutliche Verringerung der Insulinmenge durch Reduktion von Bolus<br />

bzw. Basalrate. Es sollte eher ein geringer Blutzuckeranstieg bei körperlicher Aktivität<br />

in Kauf genommen werden. Ein anschließend etwas erhöhter Blutzuckerwert ist durch<br />

vorsichtige Bolusgabe rasch korrigierbar. Eine schwere Unterzuckerung dagegen kann<br />

zu Fehlverhalten, Sturz und Bewusstlosigkeit führen.<br />

Sind Unterzuckerungen (


9. Blutzuckermessgeräte<br />

Ohne regelmäßige, systematische Blutzuckerselbstmessung ist eine intensivierte Insulinbehandlung<br />

mit normnaher Einstellung bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht<br />

möglich – dies trifft insbesondere auch auf die Insulinpumpenbehandlung zu.<br />

Die Methoden der invasiven Blutzucker-Selbstkontrolle haben in den vergangenen 35<br />

Jahren eine rasante Entwicklung gemacht: Etwa 1965 kam mit dem Dextrostix der erste<br />

visuell ablesbare Teststreifen für die Blutzuckerselbstmessung durch den Patienten<br />

auf den Markt. Die Handhabung war noch verhältnismäßig umständlich, da das Testfeld<br />

nach 60 sec. Einwirkzeit mit Wasser abgespült werden musste.<br />

Der erste handliche Reflexionsphotometer mit Akkubetrieb, der für die Patientenanwendung<br />

geeignet war, erschien ca. 1980. Der Durchbruch in der Blutzuckerselbstkontrolle<br />

kam mit dem Teststreifen Haemoglucotest (HGT 20 - 800). Er eignete sich zur<br />

visuellen Ablesung, konnte aber auch zur objektiveren Bestimmung des Blutzuckerwertes<br />

in dem Reflolux-Gerät verwendet werden.<br />

Im Jahre 1989 kamen in Deutschland die ersten Geräte mit elektrochemischem Verfahren<br />

auf den Markt: Das zeitgenaue Abwischen des Bluttropfens auf den Teststreifen<br />

entfiel, was für die Benutzerfreundlichkeit und für die Störanfälligkeit des Messvorgangs<br />

ein weiterer Meilenstein war.<br />

In den folgenden Jahren wurden die Messgeräte immer kleiner und handlicher, die erforderliche<br />

Blutstropfengröße verringerte sich, die Messzeiten konnten deutlich verkürzt<br />

werden, die »None-wipe«-Methode setzte sich durch (kein Abwischen der Teststreifen<br />

mehr, automatischer Start des Messvorgangs), der Komfort hinsichtlich Datenanalyse<br />

wurde zusätzlich erhöht durch umfangreiche Speichermöglichkeiten,<br />

PC-Schnittstelle und Software zur statistischen Auswertung.<br />

Eine erneute deutliche Weiterentwicklung ist die Blutzuckerbestimmung nach einer<br />

neuen Methode (Coulometrie), wodurch die Blutstropfengröße erneut deutlich verringert<br />

werden konnte – beinahe um das Zehnfache auf derzeit ca. 0,3 Mikroliter Blut.<br />

Damit ist die Möglichkeit gegeben, auch alternative Körperstellen außer Fingerkuppe<br />

zur Gewinnung des Bluttropfens zu verwenden.<br />

166<br />

9. Blutzuckermessgeräte<br />

An einem noch revolutionäreren Meilenstein wird allerdings immer noch intensiv geforscht:<br />

an der nichtinvasiven, also der unblutigen Blutzuckerbestimmung durch die<br />

Haut ohne schmerzhafte Stichverletzung mit einer Lanzette. Zwar gab es in den vergangenen<br />

Jahres diesbezüglich immer wieder hoffnungsvoll klingende Berichte. Eine<br />

zuverlässige nichtinvasive Messmethode, die im Alltag mit einem handlichen Gerät<br />

brauchbar ist und die kostenmäßig akzeptabel erscheint, konnte bis heute nicht entwickelt<br />

werden und ist nach Expertenmeinung für die nächsten Jahre auch nicht zu erwarten.<br />

Dies wäre allerdings eine Voraussetzung für das sogenannte »closed loop«<br />

System; dies bedeutet: kontinuierliche Blutzuckermessung, Ermittlung des aktuellen<br />

Insulinbedarfes mit einem Kleincomputer und Abgabe von kurzwirksamem Insulinanalogon<br />

durch eine nachgeschaltete Insulinpumpe.<br />

Bezüglich der kontinuierlichen interstitiellen (interstitiell: in der Gewebeflüssigkeit)<br />

Blutzuckermessung mit den sogenannten Glucosesensoren wurden dagegen in letzter<br />

Zeit deutliche Fortschritte erzielt. <strong>Mit</strong> einem Katheter, der in das Unterhautfettgewebe<br />

eingestochen wird, und einem daran angeschlossenen handlichen Aufzeichnungsgerät<br />

von Insulinpumpengröße kann über zwei bis vier Tage der Blutzucker engmaschig<br />

in Zeitintervallen von Minutenabständen laufend ermittelt werden (retrospektive<br />

Messung). Anschließend wird der Datenpool mit geeigneter Software am PC<br />

ausgewertet und graphisch analysiert. Als Verfahren hierzu sind auf dem Markt bzw.<br />

in einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase:<br />

● Minimed Glukosesensor CGMS (continous glucose monitoring system)<br />

● Mikrodialyse-Systeme der Firmen Roche und Menarini.<br />

Der Einsatz dieser Glucose-Sensoren ist derzeit – nicht zuletzt auch aus Kostengründen<br />

– speziellen Fragestellungen vorbehalten, wie beispielsweise der Analyse von problematischen<br />

nächtlichen Blutzuckerverläufen, der Überwachung von Schwangeren oder<br />

zur Beurteilung von Sondersituationen (sportliche Aktivitäten usw.) sowie für wissenschaftliche<br />

Fragestellungen. Der Materialaufwand für den Einmalkatheter, d.h. für einen<br />

Messzeitraum von einigen Tagen, ist nicht unerheblich.<br />

167


9. Blutzuckermessgeräte<br />

9.1 Messgenauigkeit<br />

Bauartbedingt haben die Blutzuckermessgeräte gemäß den allgemein gültigen Qualitätsrichtlinien<br />

einen Toleranzbereich von etwa 15 %.<br />

Konkret bedeutet eine Abweichung von 15%:<br />

● Ist die tatsächliche Glucosehöhe in der Blutbahn beispielsweise 150 mg/dl, dann ist<br />

es zulässig und möglich, dass der ermittelte Messwert, der auf dem Display angezeigt<br />

wird, im Bereich von 127 mg/dl bis 173 mg/dl schwankt. Es ist also in diesem<br />

Fall eine Schwankungsbreite von 46 mg/dl bei den Messergebnissen bauartbedingt<br />

zulässig. Zur Veranschaulichung: Wird von einer Korrekturzahl von 40 mg/dl ausgegangen,<br />

so entspricht diese Messwertschwankung einem möglichen Unterschied<br />

an Korrekturinsulin von mehr als 1 I.E.<br />

● Wird mit dem Blutzuckermessgerät ein Wert von beispielsweise 180 mg/dl ermittelt,<br />

so kann der tatsächliche Glucosewert im Blut im Bereich von 153 mg/dl bis<br />

207 mg/dl sein. Man erhält in diesem Fall für den aktuellen tatsächlichen Blutzuckerwert<br />

eine zulässige Streubreite von 54 mg/dl.<br />

Es ist wichtig und hilfreich, sich diese Toleranzbereiche immer wieder bewusst zu machen.<br />

Falls ein gemessener Blutzuckerwert deutlich abweicht von demjenigen, der zu<br />

erwarten gewesen wäre, könnte es sich durchaus auch um zufällige, sogenannte »statistische<br />

Schwankungen« des Messergebnisses handeln. Andererseits ist aber auch an<br />

die Möglichkeit einer Fehlmessung zu denken (vergleiche Abschnitt 9.2).<br />

Nachdem derzeit und vermutlich auch in den nächsten Jahren praxistaugliche nichtinvasive<br />

Gerätetypen nicht zur Verfügung stehen, wäre eine Weiterentwicklung der<br />

momentanen Messsysteme wünschenswert hinsichtlich deutlicher Verbesserung der<br />

Messgenauigkeit mit einem Toleranzbereich von unter 5 %, so wie es für die nasschemischen<br />

Labormethoden üblicher Standard ist.<br />

Es soll nochmals betont werden: Die Zahl auf dem Display eines Messgerätes stellt keinesfalls<br />

ein exaktes Abbild der Wirklichkeit dar oder anders ausgedrückt: der angezeigte<br />

Wert ist nur ein Schätzwert für den tatsächlichen Glucosewert im Blut mit einer<br />

Genauigkeit von ± 15 Prozent.<br />

168<br />

9.2 Fehlermöglichkeiten<br />

9. Blutzuckermessgeräte<br />

Die bisher beschriebenen zufälligen Schwankungen, sogenannte statistische Fehler,<br />

treten auf trotz korrekter Vorgehensweise bei der Gewinnung des Blutstropfens, bei<br />

der Handhabung des Gerätes und bei der Durchführung des Messvorganges. Kommen<br />

in diesen Bereichen zusätzliche vermeidbare Ungenauigkeiten dazu, wird der Fehler<br />

bei den Messergebnissen weiter vergrößert. Denn:<br />

»Geräte machen Fehler! Menschen machen mehr Fehler!<br />

Wenn Menschen mit Geräten umgehen, gibt es noch mehr Fehler!«<br />

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Benutzer eines Blutzuckermessgerätes<br />

vorab die Gebrauchsanweisung gründlich studiert und diese auch von Zeit zu Zeit<br />

immer wieder einmal durchliest, damit sich keine systematischen vermeidbaren Fehler<br />

einschleichen. Jede Messmethode ist nur so gut, wie der Benutzer sie anwendet. Allerdings<br />

wurden hinsichtlich der Bedienerfreundlichkeit in den letzten Jahren erhebliche<br />

Fortschritte gemacht, z.B. automatischer Start des Messvorgangs, Unempfindlichkeit<br />

des Messfeldes auf dem Streifen hinsichtlich Berührung, automatische Codierung, Fehlermeldung<br />

bei ungeeigneter Tropfengröße.<br />

Mögliche Fehler beim Messgerät<br />

● Falsche Codierung des Messgerätes<br />

● Verunreinigung der Messeinheit<br />

● Möglicher Einfluss von Medikamenten oder veränderten Blutbestandteilen als Störgröße<br />

bei der Messung (z.B. große Mengen an Vitamin C, Aspirin, ASS)<br />

● Extremer Temperaturbereich (z.B. weniger als 10 Grad, mehr als 35 Grad)<br />

Mögliche Fehler beim Teststreifen<br />

● Falsche Lagerung (Licht, Feuchtigkeit)<br />

● Verschmutzung des Testfeldes<br />

● Verfalldatum überschritten<br />

Mögliche Fehler beim Messvorgang<br />

● Zuckerhaltige Verunreinigungen an den Fingern (vorher Hände waschen)<br />

● Zu kleiner Blutstropfen<br />

● »Melken« und »Kneten« der Fingerbeere<br />

● Verdünnung des Blutstropfens (z.B. durch Schweiß, Wasserreste)<br />

● Berühren des Teststreifenfeldes<br />

Abb. 56: Fehlerquellen bei der Blutzuckerselbstkontrolle<br />

169


9. Blutzuckermessgeräte<br />

9.3 Gerätetypen<br />

Auf dem Markt ist eine Fülle von Blutzuckermessgeräten, und jährlich kommen neue<br />

dazu. Es ist schwer und kaum noch möglich, angesichts dieser Vielfalt den Überblick zu<br />

behalten.<br />

Welches Gerät ist für mich das richtige? Diese Frage ist naheliegend und beschäftigt<br />

jeden insulinspritzenden Diabetiker. In Abb. 57 ist eine kleine Übersicht von verschiedenen<br />

Messgeräten zusammengestellt. Es ist allerdings nicht Sinn dieser Aufstellung,<br />

einen kompletten Überblick über sämtliche derzeit auf dem Markt befindlichen Blutzuckermessgeräte<br />

zu geben. Es sollen nur wesentliche Unterschiede bei häufig benutzten<br />

Gerätetypen aufgezeigt werden.<br />

Größe des Gewicht Messzeit<br />

Blutstropfen in in<br />

In Mikroliter (µl) Gramm Sekunden<br />

Accu-Chek Compact ca. 1,5 120 ca. 8<br />

Accu-Chek Sensor 4,0 85 26<br />

Ascensia Contour 0,6 52,3 15<br />

Ascensia Dex 2 2,8 67 300<br />

Ascensia Elite 2,0 50 30<br />

FreeStyle 0,3 73 ca. 15<br />

One Touch Ultra 1,0 45 5<br />

Precision Xtra 2,5 79 20<br />

Abb. 57: Verschiedene Blutzuckermessgeräte im Vergleich (Beispiele, Stand 12/03)<br />

Allgemein lässt sich sagen:<br />

Dasjenige Blutzuckermessgerät ist für einen Diabetiker das Richtige, mit dem er möglichst<br />

bequem und zuverlässig relativ korrekte Blutzuckermessergebnisse erzielen<br />

kann. Der Gesichtspunkt »Gerätemessgenauigkeit« ist zwar von vorrangiger Bedeutung,<br />

sollte aber bei der Patientenentscheidung für ein bestimmtes Gerät eine nachgeordnete<br />

Rolle spielen, da diese bei allen gängigen Modellen in etwa gleich ist<br />

(± 15 Prozent). Auch der Gerätepreis sollte kein wesentliches Kaufargument sein; er<br />

schwankt bis auf einzelne Ausnahmen im Bereich von 20 - 50 Euro.<br />

170<br />

Wesentliche Entscheidungshilfen bei der Geräteauswahl können sein<br />

● Benutzerfreundlichkeit (Handhabung, Codierung, Streifenvorrat)<br />

● Größe des erforderlichen Blutstropfens (Alternative Messstellen)<br />

● Dauer des Messvorgangs<br />

● Größe und Gewicht des Gerätes<br />

● Preis der Teststreifen<br />

● Fehlermeldungen<br />

● Displaygröße und -gestaltung (beeinträchtigtes Sehvermögen)<br />

● marktübliche Batterien<br />

● Art und Umfang der Datenspeicherung<br />

● Datum- und Uhrzeitangabe<br />

● Möglichkeit der Datenauswertung am PC<br />

● Störfaktoren der Messung (z. B. durch Medikamentenspiegel im Blut,<br />

andere Blutbestandteile)<br />

● Temperaturabhängigkeit<br />

● Plausibilitätsprüfung durch visuelle Gegenkontrolle<br />

● weitere Messgrößen (z.B. Ketonkörper im Blut)<br />

● Art und Umfang des Aufbewahrungssets (Tasche, Lanzettenfach, Stechhilfe)<br />

● zusätzliches Sprachmodul<br />

Üblicherweise werden im Rahmen einer guten Diabetikerschulung die verschiedenen<br />

Messgeräte mit ihren Vor- und Nachteilen vorgestellt. Andere Informationsquellen,<br />

um sich einen Überblick zu verschaffen, können sein: Apotheke, Zeitschriften wie <strong>Diabetes</strong>-Journal<br />

oder <strong>Diabetes</strong> Ratgeber, Selbsthilfegruppen, Diabetiker-Tag, Insulinpumpentreffen<br />

oder vielleicht am effektivsten der Erfahrungsaustausch mit anderen<br />

Diabetikern.<br />

Weitere Hinweise zu verschiedenen Gerätetypen:<br />

9. Blutzuckermessgeräte<br />

● Bei einigen Blutzuckermessgeräten (z.B. Accu-Check Compact, One Touch Ultra,<br />

FreeStyle, SoftSense) sind neben den Fingerkuppen alternative Körperregionen zur<br />

Blutgewinnung möglich. Als alternative Messstellen eignen sich insbesondere die<br />

Handballen. Diese Körerregionen sind besser durchblutet als die Unterarmregion<br />

oder der Bauch. Der Verzögerungseffekt ist daher geringer und im Regelfall zu<br />

vernachlässigen. Die zeitliche Verzögerung des Blutzuckerwertes bei Messungen<br />

am Unterarm und Bauch ist insbesondere bei rascher Änderung des Blutzuckerspiegels<br />

zu bedenken. Beispiele hierfür sind: Schneller Blutzuckeranstieg nach Zufuhr<br />

von rasch resorbierbaren Kohlehydraten; schneller Blutzuckerabfall bei körperlicher<br />

Aktivität und relativ hohem Insulinspiegel. Weil dann der Messwert vom<br />

aktuellen Blutwert noch deutlicher als sonst abweichen kann, sind Fehleinschätzungen<br />

möglich.<br />

171


9. Blutzuckermessgeräte<br />

● Manche Messgeräte besitzen ein Vorratssystem mit mehreren integrierten Teststreifen.<br />

Beim Accu-Chek Compact sind die Teststreifen in einer Trommel zu je 17<br />

Stück verpackt; diese wird komplett in das Gerät eingelegt; auf Knopfdruck wird<br />

ein Teststreifen zur Messung bereit gestellt. Ein ähnliches Handhabungsprinzip besitzt<br />

der Ascensia Dex; hier sind je 10 Streifen in einer Scheibe eingeschweißt .<br />

● Für das Messgerät Ascensia Elite gibt es alternative Blutzuckerteststreifen der Fa.<br />

Azupharma (Excel G AZU). Diese sind kostengünstiger; bezüglich Messgenauigkeit<br />

werden unterschiedliche Erfahrungen berichtet.<br />

● Für den Precision Xtra sind alternative Teststreifen zur Bestimmung der Ketonkörper<br />

im Blut (genauer von 3-Hydroxybutyrat) erhältlich. Die Messung der Ketone<br />

im Blut ist vorteilhaft zur Früherkennung einer ketoazidotischen Entgleisung. Da<br />

unter Insulinpumpen-Therapie, wie im Kapitel 10 ausgeführt, ein größeres Ketoazidose-Risiko<br />

besteht, ist dieses Modell zumindest als Ersatzgerät für Insulinpumpenträger<br />

in Erwägung zu ziehen. Der Preis pro Streifen für die Ketonkörper-Bestimmung<br />

ist mit ca. 3,30 Euro allerdings sehr teuer. Zum Vergleich: Teststreifen zur<br />

Bestimmung der Ketone im Urin (z.B. Ketur-Test) kosten ca. 0,15 Euro.<br />

● Für Sonderfälle bietet das Gerät SoftSense der Fa. Medisense Vorteile. Die Stechhilfe<br />

ist im Gerät integriert, ein Vakuummechanismus erleichtert die Blutgewinnung<br />

und ermöglicht die Blutentnahme auch an alternativen Stellen wie Unterarm.<br />

Nachteilig sind die Gerätegröße, das Gewicht von 300 Gramm sowie die Anschaffungskosten<br />

von ca. 125 Euro.<br />

● Bei stärkerer Sehbehinderung oder bei Blindheit empfiehlt sich ein Gerät mit<br />

Sprachmodul; dieses ist vorhanden mit dem OneTouchTalk der Fa. Lifescan bzw.<br />

dem Gluci der Fa. Bayer. Falls selbst schemenhaftes Sehen nicht mehr möglich ist,<br />

wird die Blutzuckerselbstkontrolle zu einem erheblichen Problem. Das richtige<br />

Auftragen des Blutstropfens ist dann kaum möglich. In diesem Fall bietet der Gluci<br />

mit den Teststreifen Ascensia Elite Sensor Vorteile, da die erforderliche Blutmenge<br />

von 2 µl automatisch angesaugt wird und die optimale Menge durch einen Signalton<br />

angezeigt wird. Zum Vergleich: Die erforderliche Blutmenge für das Gerät One<br />

Touch Talk beträgt 10µl.<br />

Wie bereits erwähnt, sind die Handhabung des Messgerätes und die Durchführung<br />

des Messvorgangs von wesentlicher Bedeutung für die Qualität der Ergebnisse. Ein<br />

Gerät kann nur dann genaue Werte ermitteln, wenn es insgesamt richtig bedient wird<br />

und wenn wesentliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.<br />

172<br />

9.4 Tipps und Hinweise<br />

9. Blutzuckermessgeräte<br />

● Es ist empfehlenswert, gelegentliche Vergleichsmessungen mit einer nasschemischen<br />

Methode (Labormethode) durchzuführen, um gewohnheitsmäßige Fehler<br />

bei der Blutzuckerselbstmessung bzw. systematische Gerätefehler zu erkennen.<br />

● Gegenkontrollen mit anderen Blutzuckermessgeräten sind nicht sinnvoll und deshalb<br />

unnötig. Der Vergleich von zwei Messmethoden, die jeweils einen Toleranzbereich<br />

von 15 % haben, ist keinesfalls aussagekräftig.<br />

● Die sachgerechte Aufbewahrung der Teststreifen sollte selbstverständlich sein, d.h.<br />

Schutz vor Nässe und extremen Temperaturen. Keine Lagerung der Teststreifen<br />

außerhalb des Verpackungsmaterials. Vorsicht ist beispielsweise angezeigt bei der<br />

Aufbewahrung von Teststreifen am Strand bzw. im Innenraum eines Autos, der<br />

sich im Sommer bei Sonneneinstrahlung erheblich aufheizen kann.<br />

● Zwischen dem Durchschnittswert aller Blutzuckermesswerte innerhalb von 6 bis 8<br />

Wochen und dem HbA 1c -Wert besteht ein gewisser Zusammenhang. Dieser ist jedoch<br />

von zahlreichen Faktoren abhängig und kann nicht mit einer Formel angegeben<br />

werden. Sollten aber größere Unterschiede hinsichtlich Plausibilität auftreten,<br />

sind ein gründliches Nachdenken sowie eine Fehlersuche angezeigt.<br />

● Der Bezug von Teststreifen über den Versandhandel ist kostengünstiger. Preisvergleiche<br />

sind empfehlenswert. Im allgemeinen erhält man dabei Testmaterial von<br />

guter Qualität. Sollte es sich um Re-Import-Ware handeln, ist eine gewisse Skepsis<br />

angezeigt; insbesondere das Haltbarkeitsdatum ist zu beachten.<br />

● Gerade beim Insulinpumpenpatienten besteht eine große Abhängigkeit von der<br />

Blutzuckermessung, denn das Ergebnis der Selbstkontrolle ist für die Therapiesteuerung<br />

eine wichtige Voraussetzung. Deshalb empfehlen wir die Anschaffung<br />

eines Ersatzgerätes, das bei längerer Abwesenheit von zu Hause auch mitgenommen<br />

werden sollte. Erfreulicherweise sind die Anschaffungskosten für ein Gerät<br />

heute relativ niedrig. Die Industrie verdient das Geld weniger mit den Geräten als<br />

vielmehr durch den Verkauf der Streifen. Bei einem Preis von ca. 20 bis 50 Euro für<br />

ein neues Testgerät sollten die Diskussionen, inwieweit die gesetzliche Krankenkasse<br />

für die Kosten des Gerätes aufzukommen hat, der Vergangenheit angehören.<br />

● Bei Reisen in abgelegene Regionen der Erde (z.B. Zentralafrika, Innerasien) empfiehlt<br />

es sich, Teststreifen mit der Möglichkeit der visuellen Kontrolle mitzunehmen.<br />

Diesbezüglich bewährte Teststreifen sind der Haemo-Glukotest 20 - 800 R der<br />

Firma Roche.<br />

173


9. Blutzuckermessgeräte<br />

Tipp: Blutzucker-Selbstkontrolle<br />

Das regelmäßige Testen des Blutzuckers ist eine wesentliche Voraussetzung für eine stabile<br />

Blutzuckereinstellung.<br />

Zur Blutzuckerselbstkontrolle sollte im Regelfall ein Messgerät benutzt werden. Bei Blutzuckerkontrollen<br />

im Dämmerlicht oder in der Nacht ist mitunter das Schätzen des Blutzuckers<br />

mit einem Teststreifen erschwert.<br />

Die Häufigkeit der Blutzuckerselbstkontrollen beträgt mindestens 4 Messungen täglich jeweils<br />

vor den Hauptmahlzeiten sowie nachts vor dem Einschlafen. Ansonsten liegt ein »Blindflug«<br />

vor mit erhöhter Gefahr von Unterzuckerungen und zu spätem Erkennen einer evtl. drohenden<br />

ketoazidotischen Entgleisung.<br />

Bei einem üblichen Tagesablauf braucht das Blutzuckermessen auch nicht übertrieben zu werden.<br />

Stets ist zu fragen:Was bringt mir eine zusätzliche Blutzuckerselbstkontrolle? Welche Konsequenzen<br />

ergeben sich aus einem gewonnenen Messwert?<br />

In Sondersituationen (körperliche Aktivität, Autofahren, fieberhafte Erkrankung, usw.) öfter<br />

messen, jedoch nicht häufiger als in 2stündigen Abständen.<br />

Nachdenken! Warum ist der Blutzucker so, wie er ist? Was kann ich über die individuellen Besonderheiten<br />

lernen und erfahren?<br />

Dokumentation<br />

Zum Erkennen von Gesetzmäßigkeiten und Fehlern bei der Blutzuckereinstellung ist eine regelmäßige<br />

und übersichtliche Dokumentation unverzichtbar. Das gut geführte Blutzuckertagebuch<br />

dient als wichtige Diskussionsgrundlage im Gespräch mit dem Insulinpumpenerfahrenen<br />

Arzt.<br />

Es gibt eine Fülle von verschiedenen Möglichkeiten der Dokumentation, z.B. tabellarisch, graphisch,<br />

mit PC-Unterstützung. Jeder Diabetiker sollte sich für die Methode entscheiden, die ihm<br />

die meisten Vorteile bringt (Aufwand? Erkennen von Gesetzmäßigkeiten und Trends?).<br />

Was dokumentieren? Nicht nur Blutzucker, BE-Zufuhr und Insulinboli sollten routinemäßig erfasst<br />

werden.Auch von Bedeutung können sein: Katheterwechsel, Katheterprobleme, körperliche<br />

Aktivität, Infekte, psychischer Stress, Basalratenänderung, Insulinpumpenstop, Unterzuckerungsanzeichen,<br />

bei Frauen auch der Monatszyklus.<br />

174<br />

9. Blutzuckermessgeräte<br />

● Jeder ermittelte Blutzuckermesswert sollte Anlass zum Überdenken und Nachdenken<br />

sein: Warum ist der Blutzucker so, wie er ist? Was ist anders als erwartet? Was<br />

kann ich hieraus für die Zukunft lernen? Diesbezüglich wird auf die Ausführungen<br />

zum PPL-System im Abschnitt 3.3 verwiesen.<br />

● Eine aussagekräftige und übersichtliche Dokumentation der Messergebnisse und<br />

wesentlicher Rahmenbedingungen ist unabdingbar – zumindest in Sondersituationen.<br />

Sie ermöglicht das Herausfinden von »persönlichen Gesetzmäßigkeiten«;<br />

sie ist Voraussetzung für eine effektive Beratung durch einen <strong>Diabetes</strong>-Fachmann,<br />

und sie dient nicht zuletzt zur Rechtfertigung des Teststreifenverbrauchs gegenüber<br />

der Krankenkasse.<br />

● Von den Insulinherstellern und den Insulinpumpenfirmen gibt es kostenlos Tagebücher<br />

zum Eintragen der Blutzuckerverläufe. Sie unterscheiden sich in Art und<br />

Umfang der Dokumentation. Ein Insulinpumpenträger sollte verschiedene Systeme<br />

ausprobieren, um dasjenige herauszufinden, das ihm bei der Analyse von<br />

Messergebnissen am nützlichsten ist. Eine zusätzliche graphische Darstellung wird<br />

häufig als hilfreich empfunden. Manche Patienten entwickeln auch eigene Tabellen<br />

und Graphiken. Nicht die Art der Dokumentation ist entscheidend, sondern<br />

wichtig ist, inwieweit das Aufzeichnen der Ergebnisse dabei hilft, die individuellen<br />

Gesetzmäßigkeiten der Blutzuckerregulation zu erkennen.<br />

● Eine Auswertung der Blutzuckerverläufe ist selbstverständlich auch mit geeigneter<br />

Software am eigenen PC möglich. Solche Programme werden von den Herstellern<br />

der Blutzuckermessgeräte für die gängigen Modelle angeboten. Die im Messgerät<br />

mit Datum und Uhrzeit gespeicherten Daten werden auf den PC überspielt und<br />

können anschließend rasch und übersichtlich analysiert werden bezüglich statistischer<br />

Kennzeichen wie z.B. <strong>Mit</strong>telwert, Schwankungsbreite, Häufigkeit von Werten<br />

im erniedrigten Bereich (z.B. unter 70 mg/dl) bzw. im erhöhten Bereich (z.B.<br />

über 200 mg/dl). Die computergesteuerte Auswertung besitzt jedoch einen wesentlichen<br />

Nachteil: Im Regelfall werden bei der Datenerfassung zahlreiche Einflussgrößen,<br />

die für den Blutzuckerverlauf eine gewisse Bedeutung haben, nicht<br />

berücksichtigt. Solche Parameter sind beispielsweise Drück-Ess-Abstand, Zeitdauer<br />

und Intensität von körperlicher Aktivität, Stress, Ärger, Katheterproblematik, Zeitpunkt<br />

und Ausmaß der Unterzuckerung, Alkoholkonsum, Basalratenveränderung,<br />

Menstruationszyklus, Infektsituation. Diese haben jedoch, wie mehrfach erwähnt,<br />

einen wechselnden, keinesfalls aber bedeutungslosen Stellenwert. Durch PC-Programme<br />

wird das Überdenken der persönlichen Blutzuckerverläufe nicht ersetzt,<br />

sondern nur erleichtert.<br />

● Bei den Stechhilfen und den Lanzetten zur Blutgewinnung gibt es ebenfalls Unterschiede.<br />

Hinsichtlich der Stechhilfen sind wesentlich: die Größe, die Handhabung<br />

und die Einstellbarkeit der Stechtiefe. Für eine möglichst schmerzarme Blutge-<br />

175


9. Blutzuckermessgeräte<br />

176<br />

winnung sind insbesondere Schliff und Beschaffenheit der Nadel von Bedeutung.<br />

Diesbezüglich berichten uns die Patienten über gute Erfahrungen mit der<br />

»BD Microfine +«. Auch hier heißt es: Den Erfahrungsaustausch mit Betroffenen<br />

nutzen, die Angebote von verschiedenen Herstellern ausprobieren, um so den persönlichen<br />

»Favoriten« herauszufinden. Nicht jede Lanzette passt in jede Stechhilfe.<br />

10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

10.1 Entwicklung einer Ketoazidose<br />

Bei Typ-1-Diabetikern liegt in der Regel keine bzw. eine unzureichende Insulinbildung<br />

der Bauchspeicheldrüse vor. Der Körper des Typ-1-Diabetikers ist deshalb ständig auf<br />

Insulinzufuhr von außen angewiesen. Wird beispielsweise bei einem fieberhaften Infekt<br />

mehr Insulin benötigt oder wird die Insulinzufuhr unterbrochen (z.B. Insulinpumpendefekt,<br />

Herausrutschen der Nadel), entsteht ein relativer bzw. absoluter Insulinmangel.<br />

Statt Traubenzucker wird nun Fett zur Energiegewinnung abgebaut. Dabei<br />

entstehen die Ketonkörper Azeton, Azetoazetat sowie Beta-Hydroxybutyrat, die zu einer<br />

Übersäuerung des Blutes führen und mit zunehmender Konzentration die typischen<br />

Anzeichen wie Unwohlsein, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen verursachen<br />

(siehe schematische Übersicht in Abbildung 58).<br />

Azeton wird hauptsächlich über die Lunge ausgeatmet; es erzeugt den charakteristischen<br />

süßlichen Geruch nach faulen Äpfeln, den weniger der Betroffene, sondern eher<br />

die Umgebung wahrnimmt. Azetoazetat und auch ein Teil des Azetons werden im<br />

Urin ausgeschieden und können mit geeigneten Teststreifen, z.B. Ketur-Test nachgewiesen<br />

werden. Deutliche Verfärbungen des Testfeldes (++ bis +++) sind ein wichtiges<br />

Warnsignal für eine beginnende Stoffwechselentgleisung.<br />

Dagegen verbleibt das in relativ großer Menge gebildete Beta-Hydroxybutyrat im Blut<br />

und wird dort verstoffwechselt. Diese Substanz wird als ein empfindliches Warnsignal<br />

für eine Ketoazidose mit der Urintestung nicht erfasst; sie kann mittlerweile jedoch<br />

mit geeigneten Teststreifen und Messgerät vom Patienten selbst ermittelt werden. Die<br />

Bestimmung der Ketone im Blut ist für die frühzeitige Entdeckung einer kritischen<br />

Stoffwechselentgleisung und zur Überwachung der angemessenen Behandlung neben<br />

der Blutzuckermessung von Vorteil. Dies ist mit dem zunächst zur Blutzuckerbestimmung<br />

entwickelten Gerät Precision Xtra der Fa. Medisense möglich. Wie von<br />

der Zuckermessung gewohnt, wird ein Blutstropfen auf den Teststreifen aufgetragen,<br />

nach 30 sec erscheint im Display das Ergebnis. Im Normalfall liegt die Konzentration<br />

der Ketone im Blut unter 0,6 mmol/l. Ein Wert über 1,0 mmol/l ist Frühkennzeichen einer<br />

drohenden kritischen Stoffwechselsituation und erfordert weitere geeignete Maßnahmen.<br />

Der Azetonnachweis im Urin ist durch die Messung der Blutketonwerte keinesfalls<br />

überflüssig geworden. Die Beurteilung der Ketone im Urin ist für praktische<br />

Belange ausreichend genau, die <strong>Mit</strong>nahme von Urin-Teststreifen ist unproblematisch,<br />

es besteht keine Abhängigkeit von einem speziellen Messgerät, das Verfahren der<br />

Urinkontrolle ist insgesamt kostengünstiger und vermutlich auch weniger störanfällig.<br />

Nicht die Messmethode bzw. ein Zahlenwert auf einem Display ist wesentlich, um eine<br />

177


10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

Tipp: Ketoazidose rechtzeitig erkennen<br />

drohende Ketoazidose bereits im Frühstadium zu erfassen, sondern der »Kopf des<br />

Insulinpumpenträgers«, der rechtzeitig daran denken muss.<br />

10.2 Häufigkeit der Ketoazidose<br />

bei der Insulinpumpenbehandlung<br />

Das Risiko einer Ketoazidoseentwicklung ist unter der Insulinpumpen-Therapie im<br />

Vergleich zur Spritzenbehandlung größer. Unter der laufenden Insulinpumpenbasalrate<br />

besteht ein relativ kleines subkutanes Insulindepot von ca. 2-3 Einheiten mit somit<br />

nur kurzer Wirkdauer. Durch den auftretenden absoluten Insulinmangel, beispielsweise<br />

in Folge eines Katheterlecks, kann es daher relativ rasch zur Lipolyse (vermehrte<br />

Fettverbrennung) und ketoazidotischen Entgleisung kommen.<br />

Wichtig ist hierbei die frühzeitige Azetonmessung, da infolge des absoluten Insulinmangels<br />

bereits bei Blutzuckerwerten um 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l das Azeton<br />

deutlich erhöht sein kann.<br />

Somit stellt die Ketoazidose neben der Gefahr der Hautinfektion an der Kathetereinstichstelle<br />

ein Insulinpumpentypisches Risiko dar. Hierüber muss jeder Insulinpumpenträger<br />

gut informiert und geschult werden. Denn die Erfahrung lehrt: Wird eine Ketoazidose<br />

nicht rechtzeitig erkannt, muss meist eine stationäre Krankenhausbehandlung<br />

erfolgen.<br />

Angegeben wird in der Literatur die Anzahl der Ketoazidosen pro Patient pro Jahr,<br />

d.h. diese Zahl bezeichnet die Wahrscheinlichkeit für einen einzelnen Insulinpumpenträger,<br />

während eines Jahres eine Ketoazidose zu er<strong>leben</strong>, die im Krankenhaus behandelt<br />

werden muss (Abb. 59).<br />

178<br />

Bei einem unerklärlich hohen Blutzuckerwert von 250 mg/dl<br />

(13,9 mmol/l) oder höher muss ein Azetontest durchgeführt<br />

werden (z.B. Ketur-Test). Bei Unwohlsein, Übelkeit und Erbrechen<br />

ist bereits bei Blutzuckerwerten um 200 mg/dl<br />

(11,1 mmol/l) ein Azetontest notwendig.<br />

Insulinmangel<br />

10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

Hoher Blutzucker Zuckermangel Vermehrte Fett-<br />

(= Hyperglykämie) in der Zelle verbrennung (= Lipolyse)<br />

Blutzucker Abgeschlagenheit Fettverbrennung<br />

übersteigt die Gewichtsverlust jedoch unvollständig<br />

Nierenschwelle Muskelschwund<br />

Zucker im Urin Azeton und andere<br />

Ketonkörper vermehrt<br />

in Blut, Urin, Atemluft<br />

Der Zucker zieht Zusätzlicher Verlust Übersäuerung des<br />

zusätzlich Wasser aus an Blutsalzen Blutes / Azetonvergiftung<br />

dem Körper (= Mineralstoffen)<br />

Austrocknung der Gewebe Wadenkrämpfe Übelkeit Verstärkte<br />

(Nierenversagen, Schock) Herzrhythmus- Erbrechen Atmung<br />

Müdigkeit, Abgeschlagenheit störungen Bauch- (= Hyper-<br />

Verstärkt Durst schmerzen ventilation)<br />

Vermehrtes Harnlassen<br />

(= Polyurie)<br />

Abb. 58: Entwicklung einer Ketoazidose<br />

Heutige Daten liegen bei etwa 0,02 Episoden pro Patient pro Jahr, d.h. von 100 Insulinpumpenträgern<br />

müssen pro Jahr durchschnittlich 2 Patienten wegen einer Ketoazidose<br />

stationär behandelt werden. Die Häufigkeit der stationär behandelten Ketoazidosen<br />

unter der Insulinpumpen-Therapie entspricht damit der unter der ICT. Man kann<br />

aber davon ausgehen, dass die wirkliche Zahl der beginnenden Ketoazidosen deutlich<br />

höher liegt, denn der gut geschulte Insulinpumpenpatient benötigt zur Behandlung<br />

der beginnenden Ketoazidose keine ärztliche Hilfe, insbesondere keine stationäre Behandlung<br />

mehr.<br />

Deutlicher wird bei den aufgeführten Daten auch die positive Entwicklung im Laufe<br />

der letzten Jahre. Diese kann durch die Verbesserung der Kathetermaterialien und In-<br />

179


10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

sulinpumpen, durch die größere Erfahrung der Insulinpumpenzentren sowie durch die<br />

bessere Schulung der Patienten begründet sein.<br />

Bei einem Diabetiker nach Umstellung auf die Insulinpumpen-Behandlung (CSII) ist die<br />

Gefahr der Ketoazidoseentwicklung in den ersten Monaten relativ groß. Nachschulungen<br />

und Routine führen zu größerer Sicherheit und Abnahme der Ketoazidosehäufigkeit.<br />

Im weiteren Verlauf können besonders »Routiniers« einer trügerischen<br />

Sicherheit unterliegen. Es werden weniger Blutzuckerwerte pro Tag gemessen, die<br />

Ketoazidosehäufigkeit steigt wieder an.<br />

Peden et al.: 0,24 Episoden pro Patient pro Jahr (1983)<br />

Irsigler et al.: 0,12 Episoden pro Patient pro Jahr (1984)<br />

Renner et al.: 0,06 Episoden pro Patient pro Jahr (1987)<br />

Renner et al.: 0,02 Episoden pro Patient pro Jahr (1998)<br />

Abb. 59: Häufigkeit der Ketoazidose unter Insulinpumpen-Therapie<br />

10.3 Ketoazidose-Ursachen bei der Insulinpumpen-Therapie<br />

Krankheit mit Fieber<br />

Fieberhafte Infekte können natürlich auch bei Insulinpumpenträgern zu Blutzuckeranstieg<br />

und Ketoazidoseentwicklung führen. Fieber erhöht den Insulinbedarf. Pro ein<br />

Grad über 37°C Körpertemperatur müssen ca. 20 % Mehrbedarf an Insulin veranschlagt<br />

werden.<br />

Ein Mangel an Bewegung im Krankheitsfall kann zusätzlich zur Blutzuckerentgleisung<br />

beitragen. Somit gehören fieberhafte Infekte mit fehlender oder unzureichender Insulindosisanpassung<br />

sicher zu den häufigsten Ketoazidose-Ursachen bei Typ-1-Diabetikern<br />

– unabhängig von der Art der Insulinbehandlung. Auch banale Infekte oder<br />

Entzündungen ohne Fieber, wie z.B. Entzündungen im Zahn- oder Kieferbereich und<br />

Weichteilinfektionen, können einen Insulinmehrbedarf begründen.<br />

Die Gefahr der Ketoazidose steigt, je weniger Insulineigenproduktion vorhanden ist.<br />

Im Rahmen eines fieberhaften Infektes entsteht ein relativer Insulinmangel, wenn nur<br />

die sonst übliche Insulinmenge gespritzt wurde. Das entstehende Insulindefizit lässt<br />

den Blutzucker ansteigen. Beim Insulinpumpenträger kommen nun Insulinpumpenspezifische<br />

Ketoazidoseursachen hinzu, die zu einem absoluten Insulinmangel<br />

führen können.<br />

180<br />

Leckagen, Herausrutschen der Nadel<br />

10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

Insulinverlust durch Herausrutschen der Nadel oder Leckagen werden von keinem<br />

Alarmsystem der Insulinpumpe registriert (Ausnahme: Insulinpumpe D-TRONplus, s.<br />

Abb. 60). Innerhalb weniger Stunden kann es daher unbemerkt zu einem absoluten<br />

Insulinmangel kommen.<br />

Bei Verwendung der Insulinpumpe H-TRONplus ist auf den regelmäßigen Wechsel des<br />

Adapters zu achten (alle 6 Monate). Adaptergewinde und Dichtungsring können mit<br />

der Zeit abnutzen und somit eine Ursache für Leckagen sein.<br />

Abb. 60: Die Insulinpumpe D-TRONplus verfügt über einen Drucksensor, der eine drohende Unterbrechung<br />

der Insulinversorgung bei Katheterverstopfung, Leckagen etc. frühzeitig erkennt.<br />

Bedienungsfehler und technische Defekte<br />

Technische Defekte als Ursache einer Ketoazidose sind durch das hochentwickelte<br />

Alarmsystem der auf dem Markt befindlichen Insulinpumpen selten geworden. Die<br />

Tatsache, dass sich die Insulinpumpe im Stop-Zustand befindet und deshalb kein Insulin<br />

abgeben kann, wird von allen Insulinpumpen angezeigt. Dieser Warnton kann jedoch<br />

bewusst beim Ablegen der Insulinpumpen »weggedrückt« werden (z.B. beim<br />

Sauna-Besuch). Danach ist unbedingt darauf zu achten, die Insulinpumpe wieder in<br />

den Run-Zustand zu bringen, ansonsten ist die Ketoazidose am nächsten Morgen vorprogrammiert!<br />

(siehe auch Abb. 41 »Checkliste bei Katheterwechsel«).<br />

Eine Verstopfung im Katheter mit Behinderung des Insulinflusses durch Auskristallisierung<br />

des Insulins ist bei heutigem Kathetermaterial selten geworden. Das Einklemmen<br />

des Katheterschlauches von außen (z.B. Gürtel) ist schwer möglich. Kommt es zu einer<br />

Behinderung des Insulinflusses, muss der Motor der Insulinpumpe gegen einen erhöhten<br />

Druck arbeiten. Wird dabei ein Schwellenwert überschritten, kommt es zum Verstopfungsalarm.<br />

Das maximale Staubolusvolumen bis zum Auftreten dieses Alarms<br />

181


10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

kann bei einer U100-Insulinampulle abhängig vom Insulinpumpenmodell und den verwendeten<br />

Ampullen mehr als 4 I.E. betragen. Bei der Insulinpumpe D-TRONplus sorgt<br />

ein Sensor dafür, dass ein Verstopfungsalarm bereits nach 2-4 I.E. angezeigt wird. Ein<br />

Verstopfungsalarm kann auch bei erhöhter Reibung in der Insulinpumpe (Ampulle<br />

oder Gewinde) entstehen. Zeigt daher die Insulinpumpe nach einem Katheterwechsel<br />

immer noch einen Verstopfungsalarm an, müssen die Ampulle und ggf. auch die Gewindestange<br />

und die Batterien gewechselt werden. In Einzelfällen wurde fälschlicherweise<br />

ein Verstopfungsalarm bei zu schwacher Batteriespannung ausgelöst.<br />

Nach Verletzung eines Gefäßes im Unterhautfettgewebe beim Einstich des Katheters<br />

kann eine Blutsäule im Katheterschlauch sichtbar werden. Der im Insuman Infusat enthaltene<br />

Stabilisator Genapol wirkt lokal etwas blutgerinnungshemmend. Eine kleine<br />

Blutsäule sollte daher mit dem nächsten Bolus herausspülbar sein. Ist ein größeres Volumen<br />

des Katheters mit Blut gefüllt, kann das geronnene Blut einen Insulinstop verursachen.<br />

Der Katheter sollte rasch gewechselt werden.<br />

Beim Einlegen einer neuen Ampulle bzw. beim Legen eines neuen Katheters müssen<br />

alle Luftblasen im System entfernt werden. Eine Luftblase in der Ampulle kann durch<br />

das Tragen der Insulinpumpe mit nach oben gerichteter Ampullenöffnung in den<br />

Katheter gelangen. Das Ketoazidoserisiko erscheint hierbei gering. Eine Luftblase von<br />

ca. 10 cm Länge im Katheterschlauch entspricht dem Insulinverlust von etwa einer Einheit<br />

U100-Insulin. Zur Vermeidung von Luftblasen sollten die Insulinampullen einige<br />

Stunden vor Gebrauch aus dem Kühlschrank genommen werden.<br />

Bei hoher Insulinempfindlichkeit bzw. einem geringen Tagesgesamtinsulinbedarf<br />

(25 Einheiten oder weniger) empfiehlt sich der Einsatz einer Insulinpumpe mit U40lnsulin.<br />

U40-lnsulin (1 ml entspricht 40 I.E.) hat gegenüber U100-lnsulin eine 2,5-fach<br />

höhere Volumenmenge, die Durchflussrate im Katheter wird dadurch gesteigert.<br />

Veränderungen der Haut<br />

Bei einer Nickelallergie gegen die Katheternadel kann es auch zu Reaktionen des Unterhautfettgewebes<br />

kommen. Typisch sind Verhärtungen im Bereich der Nadeleinstichstelle.<br />

Derartige Granulome sieht man auch bei längerer Liegedauer des Katheters.<br />

Eine unsaubere Arbeitsweise beim Katheterlegen birgt die Gefahr von Entzündungen<br />

an der Kathetereinstichstelle. In all diesen Fällen wird die Insulinaufnahme<br />

behindert, die Entwicklung einer Ketoazidose ist möglich. Da diese Risiken mit der<br />

Liegedauer des Katheters deutlich zunehmen, empfiehlt sich ein Katheterwechsel<br />

mindestens jeden 2. Tag.<br />

182<br />

10.4 Rechtzeitiges Erkennen der Ketoazidose<br />

Es ist wichtig, dass ein Insulinpumpenträger eine sich entwickelnde Stoffwechselentgleisung<br />

bereits im Frühstadium bemerkt. Wer zu spät daran denkt und nicht rechtzeitig<br />

das Richtige tut, kann in eine bedrohliche Situation kommen. Eine fortgeschrittene<br />

Ketoazidose ist eine ernste und gefährliche Krankheit; sie muss im Regelfall stationär<br />

in einer Klinik auf der Intensivstation behandelt werden. Der gut informierte<br />

Patient kann diese kritische Situation in aller Regel verhindern.<br />

Was sind nun die Kennzeichen einer beginnenden Ketoazidose?<br />

10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

Große Bedeutung zur Früherkennung haben die sog. »klinischen Symptome«, also<br />

körperliche Veränderungen und Erscheinungen, die der Insulinpumpenträger bei sich<br />

selbst feststellen kann. Oft sind ein allgemeines Unwohlsein mit Bauchbeschwerden<br />

die ersten Anzeichen, später kommen Übelkeit und Erbrechen dazu. Dieser Zustand<br />

darf auf keinen Fall mit einem »verdorbenen Magen« oder mit einer harmlosen Magen-Darm-Verstimmung<br />

verwechselt werden. Immer wieder kommt es zu Fehldeutungen<br />

– gelegentlich auch vom hinzugerufenen Arzt. Es ist sehr wichtig, als Betroffener<br />

diese »Körpersprache« bewusst wahrzunehmen und sie entsprechend zu deuten.<br />

Die üblichen Kennzeichen einer Blutzuckerentgleisung nach oben, nämlich starker<br />

Durst, häufiges Wasserlassen und unerklärliche Müdigkeit sind nicht Frühwarnzeichen<br />

einer Ketoazidose, sondern treten gewöhnlich erst in einem weiter fortgeschrittenem<br />

Stadium auf.<br />

Ein weiterer deutlicher Hinweis kann ein unerwartet hoher Blutzuckerwert sein. Bei<br />

einem Messergebnis über 250 mg/dl, das nicht ohne weiteres erklärbar ist, sollte stets<br />

auch an eine eventuelle Ketoazidose gedacht werden. Ausgeprägte Blutzuckeranstiege<br />

auf Werte über 400 mg/dl sind für eine Entgleisung im Frühstadium nicht typisch.<br />

Falls wie empfohlen der Blutzucker durch Selbstmessung täglich mindestens 3 - 4 mal<br />

überprüft wird, ist es kaum vorstellbar, dass sich eine Ketoazidose bis zu einem äußerst<br />

gefährlichen, schwerwiegenden Stadium mit der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen<br />

Betreuung entwickelt. In solchen Fällen wurden meistens die gleichen Fehler<br />

gemacht:<br />

● Zu seltene Blutzuckerselbstkontrolle, d.h. Intervalle von 12 Stunden oder mehr<br />

● Fehlinterpretation der Frühzeichen<br />

● Nicht ausreichende Information über eine Ketoazidose<br />

● An die Möglichkeit einer Ketoazidose wurde einfach nicht gedacht.<br />

Bei geringstem Verdacht auf eine Stoffwechselentgleisung – entweder wegen typischer<br />

körperlicher Symptome oder wegen unklarer Blutzuckererhöhung auf Werte<br />

über 250 mg/dl – ist die umgehende Bestimmung der Ketonkörper unerlässlich.<br />

183


10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

Der Azetonnachweis im Urin stellt dafür die Standardmethode dar und hat auch heute<br />

noch seine Berechtigung. Bei deutlicher Verfärbung des Testfeldes mit zweifach<br />

bzw. dreifach positivem Ergebnis besteht Handlungsbedarf, und es ist gemäß den<br />

Empfehlungen im Abb. 65 vorzugehen. Konsequenterweise gehören Azetonteststreifen<br />

zur Urinkontrolle in das »Notfall-Täschchen« eines jeden Insulinpumpenträgers.<br />

Die Bestimmung der Ketone im Blut liefert einen weiteren wichtigen Mosaikstein zur<br />

frühzeitigen Erkennung einer Stoffwechselentgleisung. Hierzu eignet sich das Blutzuckermessgerät<br />

Precision Xtra mit speziellen Teststreifen. Dieses Verfahren ist zwar<br />

nicht zwingend notwendig, aber es kann vorteilhaft sein. Im Regelfall wird eine beginnende<br />

ketoazidotische Entgleisung damit früher festgestellt werden, als dies mit<br />

der Urintestung möglich wäre. Die Messung ist auch durchführbar, wenn keine Urinprobe<br />

gewonnen werden kann. Schließlich erlaubt das Messgerät eine quantitative Ermittlung<br />

der Ketonwerte im Blut. Auch zur Verlaufskontrolle einer Ketoazidose unter<br />

geeigneter Behandlung bietet die Kenntnis der Ketone im Blut Vorteile.<br />

Allerdings sind uns Einzelfälle bekannt, in denen bei deutlich positivem Azetonnachweis<br />

im Urin das Messgerät keine nennenswert erhöhten Ketonwerte im Blut angezeigt<br />

hat. Eine Erklärung dafür haben wir nicht, auch eine Rückfrage bei der Fa. Medisense<br />

half nicht weiter. Dieser Sachverhalt ist eine zusätzliche Rechtfertigung dafür,<br />

bei Insulinpumpenträgern als Schulungsinhalt eventuell eine beginnende ketoazidotische<br />

Entgleisung zu simulieren. Eine begleitende Parallelmessung von Azeton im Urin<br />

und von Ketonkörpern im Blut ist dabei zweckmäßig und dringend anzuraten.<br />

Wichtige Hinweise auf eine beginnende Entgleisung können also sein:<br />

● Unwohlsein<br />

● Bauchbeschwerden<br />

● Übelkeit<br />

● Erbrechen<br />

Bei entsprechenden körperlichen Beschwerden und/oder deutlich erhöhten Blutzuckerwerten<br />

ohne offensichtlichen Grund muss an die Möglichkeit einer Ketoazidose<br />

gedacht werden, und es sind unverzüglich die sog. »Kontrollmessungen« durchzuführen,<br />

nämlich Azetonüberprüfung im Urin und/ oder Bestimmung der Ketonkörper<br />

im Blut.<br />

184<br />

Rechtzeitiges Erkennen einer ketoazidotischen Entgleisung!<br />

Warnzeichen – Worauf achten?<br />

Wenn<br />

● typische körperliche Symptome auftreten<br />

(Unwohlsein, Bauchbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen)<br />

und / oder<br />

● der Blutzucker unerwartet hoch ist<br />

(über 250 mg/dl bzw. über 14 mmol/l)<br />

muss an eine Ketoazidose gedacht werden.<br />

Dann umgehend<br />

● Azeton im Urin bestimmen<br />

Handlungsbedarf besteht, wenn ++ oder +++<br />

und / oder<br />

● Ketone im Blut messen<br />

Handlungsbedarf besteht, wenn der Wert höher als 1,0 mmol/l ist<br />

Merke: Schon der Verdacht einer Ketoazidose erfordert geeignetes Handeln<br />

Abb. 61: Tipps zur Früherkennung einer Ketoazidose<br />

10.5 Behandlung der Ketoazidose durch den Insulinpumpenträger<br />

Eine fortgeschrittene Ketoazidose mit heftigem Erbrechen, Bewusstseinstrübung oder<br />

Bewusstseinsverlust muss selbstverständlich in einer Klinik unter intensivmedizinischer<br />

Überwachung behandelt werden. Darauf wollen wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen.<br />

Die Notwendigkeit einer stationären Behandlung lässt sich aber in der Regel vermeiden,<br />

wenn eine beginnende Ketoazidose im Frühstadium erkannt wird. Dann kann sie<br />

von einem gut geschulten Insulinpumpenträger in Eigenregie behandelt werden. Es ist<br />

oft auch günstig, wenn Angehörige mit den Behandlungsrichtlinien vertraut sind. In<br />

Zweifelsfällen sollte Kontakt mit einem Insulinpumpenerfahrenen Arzt aufgenommen<br />

werden.<br />

Während einer Ketoazidose kommt es durch die Übersäuerung des Körpers zu einer<br />

verschlechterten Insulinempfindlichkeit, die blutzuckersenkende Wirkung von Insulin<br />

wird geringer. Deshalb ist erfahrungsgemäß ein großer Bedarf an schnell wirkendem<br />

Insulin (Normalinsulin oder Insulinanalogon) erforderlich. Es gilt als Leitlinie:<br />

»Nicht kleckern, sondern klotzen«<br />

10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

185


10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

Zur Korrektur der erhöhten Blutzuckerwerte empfehlen wir, als Startdosis etwa 20 %<br />

des Tagesgesamtinsulins in zweistündigem Abstand zu spritzen, bis der Blutzucker<br />

deutlich fällt (mehr als 50mg/dl bzw. 2,8 mmol/l). Zweckmäßigerweise sollte die Insulingabe<br />

mit einer Insulinspritze erfolgen, denn ein Insulinpumpen- oder Katheterdefekt<br />

kann in diesem Moment nicht ausgeschlossen werden. Sollte es nach 2 Stunden<br />

nicht zu einem nennenswerten BZ-Abfall kommen, kann die Startdosis solange fortgesetzt,<br />

bis der Blutzucker unter 200mg/dl bzw. 11,1 mmol/l liegt. In diesem Fall wird<br />

die Insulintherapie mit der halbierten Startdosis so lange fortgesetzt werden, bis der<br />

Blutzucker unter 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l liegt. Der Flüssigkeitsverlust muss durch<br />

reichliches Trinken ersetzt werden. Insbesondere auf Urlaubsreisen ist der Einsatz von<br />

Mineralpräparaten (Oralpädon/Elotransbeutel) sinnvoll. Im Falle der Entgleisung ist<br />

Ruhe erforderlich, jede körperliche Anstrengung würde die Übersäuerung des Körpers<br />

verstärken. Selbstverständlich sollte in dieser Phase auch keine Nahrungsaufnahme erfolgen.<br />

Entwarnung kann erst mehrere Stunden nach einer schweren Entgleisung gegeben<br />

werden. Bei negativem Azeton und einem BZ unter 200 mg/dl (11,1 mmol/l) empfehlen<br />

wir, wieder kleine Mahlzeiten einzunehmen (z.B. 2 BE Banane wegen des hohen<br />

Kaliumgehaltes). Eine relative Insulinunempfindlichkeit kann über 12 Stunden nach einer<br />

Entgleisung anhalten, daher müssen evtl. die BE-Faktoren und die Korrekturregeln<br />

verschärft werden (Abb. 62).<br />

Beispiel:<br />

bisheriger BE-Faktor: 2,0 I.E./BE<br />

verschärfter BE-Faktor: 2,5 I.E./BE<br />

bisherige Korrekturregel: Korrektur mit einer Einheit Normalinsulin in 40er Schritten<br />

ab einem Blutzucker von 140 mg/dl<br />

verschärfte Korrekturregel: Korrektur mit einer Einheit Normalinsulin in<br />

30er Schritten ab einem Blutzucker von 120 mg/dl<br />

Abb. 62: BE-Faktor und Korrekturregel nach Entgleisung (Beispiel in mg/dl)<br />

Alle drei bis vier Stunden sollte Normalinsulin (bzw. zwei- bis dreistündlich kurzwirksames<br />

Insulinanalogon) nach der Korrekturregel gespritzt werden, bis die Entgleisung<br />

endgültig überwunden und die ursprüngliche Insulinempfindlichkeit wieder erreicht<br />

ist. Dies gilt vor allem auch in den Nachtstunden (Wecker stellen!). Nach jeder Entgleisung<br />

muss eine Ursachenforschung erfolgen.<br />

186<br />

10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

Die folgende Checkliste (Abb. 63) und das Merkblatt Entgleisung (Abb. 64) fassen<br />

nochmals alle wichtigen Punkte zusammen.<br />

Checkliste: Ursachen einer Ketoazidose Ja Nein<br />

1. Fieber? Infekt? ........................................................ ❑ ❑<br />

2. Insulinpumpe im Run? .............................................. ❑ ❑<br />

3. Einstichstellen auffällig? .......................................... ❑<br />

(Rötung, Schmerz, Lipohypertrophie)<br />

❑<br />

4. Katheter richtig fixiert? ............................................ ❑<br />

(Haut »riecht« nach Insulin,<br />

Feuchtigkeit an der Einstichstelle)<br />

❑<br />

5. Katheterliegedauer zu lang? .................................... ❑ ❑<br />

6. Luftblasen im Katheter? .......................................... ❑ ❑<br />

7. Blut im Katheter? .................................................... ❑ ❑<br />

8. Leckage an Verbindungsstücken ................................ ❑<br />

oder am Schlauchsystem?<br />

(Leck »riecht« nach Insulin)<br />

❑<br />

9. Katheter nach dem Herausziehen durchgängig? ........ ❑ ❑<br />

10. Insulinampulle leer? ................................................ ❑ ❑<br />

11. Ampullenfach feucht? (»riecht« nach Insulin) ............ ❑ ❑<br />

12. Riss in der Ampulle? ................................................ ❑ ❑<br />

Abb. 63: Ursachenforschung bei ketoazidotischer Entgleisung<br />

10.6 Entgleisungssimulation<br />

Im Rahmen einer Insulinpumpenerstschulung wird von manchen Pumpenzentren bewusst<br />

eine beginnende Ketoazidose simuliert. <strong>Mit</strong> Einverständnis des Insulinpumpenträgers<br />

und nach intensiver Schulung wird die Insulinpumpe dazu vorsätzlich ausgeschaltet<br />

und somit ein rascher absoluter Insulinmangel provoziert. Nach 3 bis 12 Stunden<br />

(individuell unterschiedlich) beobachtet der Patient in der Regel die typischen<br />

Kennzeichen einer drohenden Entgleisung (siehe Punkt 10.4) und kann dann die beginnende<br />

Ketoazidose durch ausreichende Insulinzufuhr rasch beheben. Als Vorteile<br />

dieser Provokation unter ärztlicher Betreuung werden angesehen:<br />

187


10. Insulinpumpen-Therapie und Ketoazidose<br />

● Das Risiko einer Ketoazidose ist weniger angstbesetzt.<br />

● Der Insulinpumpenträger erlebt, wie rasch sich eine Entgleisung entwickeln<br />

kann.<br />

● Er lernt seine persönlichen Frühwarnzeichen einer beginnenden Ketoazidose<br />

kennen.<br />

● Er wird darin geübt, im Verdachtsfall (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen)<br />

die Azetonausscheidung im Urin zu überprüfen.<br />

● Er erfährt, wie eine drohende Ketoazidose durch relativ große Insulinmengen<br />

(siehe Kapitel 10.4) rasch beseitigt werden kann. Dabei trainiert er, auch<br />

unter Stress richtig zu reagieren.<br />

Entgleisung<br />

Bei deutlich erhöhtem Blutzucker (über 250 mg/dl bzw. 14 mmol/l)<br />

und Azetonnachweis (Urintestung ++/+++ bzw. Blutketone erhöht)<br />

oft mit Unwohlsein, Bauchbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen<br />

● sofort großzügige Gabe von schnellwirksamen Insulin:<br />

– als Startdosis ca. 20 % des Tagesgesamtinsulins<br />

– alle zwei Stunden wiederholen, bis der Blutzucker deutlich abfällt<br />

(mehr als 50 mg/dl bzw. 3 mmol/l)<br />

– dann Insulinbehandlung mit halbierter Startdosis fortsetzen, bis sich der<br />

Blutzucker tendenziell normalisiert (unter 200mg/dl bzw. 11mmol/l)<br />

● nichts essen<br />

● viel trinken ( ca. 1 Liter Mineralwasser, Tee pro Stunde)<br />

● keine körperliche Anstrengung (Ruhe bewahren!)<br />

Entwarnung<br />

Erst mehrere Stunden nach einer schweren Entgleisung ist die Gefahr gebannt.<br />

In dieser Zeit ist der Körper noch insulinunempfindlich.<br />

● wenn Azeton im Urin negativ bzw. Azeton im Blut unter 0,6 mmol/l<br />

und gleichzeitig Blutzucker unter 200 mg/dl bzw. 11mmol/l dann:<br />

kleine Mahlzeiten mit hohem Kohlenhydratanteil (z.B. Banane) möglich.<br />

Dazu Insulingabe nach BE-Faktor und Korrekturregeln.<br />

Eventuell müssen diese verschärft werden.<br />

● weiter alle vier Stunden Insulingabe nach Korrekturregeln (auch nachts!)<br />

● weiter reichlich trinken<br />

● überlegen: was war die Ursache?<br />

Abb. 64: Merkregeln zur ketoazidotischen Entgleisung<br />

188<br />

11. Unterzuckerung<br />

Die Gefahr einer Unterzuckerung (Hypoglykämie) ist kein Insulinpumpentypisches<br />

Problem. Das Auftreten von Hypoglykämien – was die Häufigkeit, aber auch was den<br />

Schweregrad anbelangt – ist in der Regel bei einer Insulinpumpenbehandlung geringer<br />

als bei einer konventionellen bzw. intensivierten Insulintherapie mit Spritze oder<br />

Pen.<br />

11.1 Insulinpumpenbehandlung bei Hypoglykämieproblemen<br />

Während der Anfangszeit der Insulinpumpenbehandlung in den 80er Jahren wurde<br />

eher davon abgeraten, Patienten mit ausgeprägteren Hypoglykämieproblemen auf<br />

eine Insulinpumpe einzustellen. Diese Meinung gilt heute nicht mehr. Disziplinierte,<br />

gut geschulte Diabetiker, bei denen häufige Unterzuckerungen auftreten, profitieren<br />

sehr oft von einer Insulinpumpenbehandlung, insbesondere in folgenden Fällen:<br />

● häufige nächtliche Hypoglykämien bei hoher Insulinempfindlichkeit nachts und<br />

Vorliegen eines typischen Dawn-Phänomens (Morgendämmerungs-Phänomen)<br />

● geringer Tagesinsulinbedarf von 25 I.E. und weniger<br />

● tageszeitlich stark wechselnde Insulinempfindlichkeit (z.B. hoher Insulinbedarf in<br />

den frühen Morgenstunden bei gleichzeitig geringem Insulinbedarf mittags und<br />

insbesondere um <strong>Mit</strong>ternacht)<br />

189


11. Unterzuckerung<br />

Diabetiker mit einem sogenannten Dawn-Phänomen kommen besonders für die Insulinpumpen-Therapie<br />

in Frage. Wenn sich bei Verwendung von zinkhaltigem Semilente-lnsulin<br />

als Spätspritze keine zufriedenstellende Blutzuckerglättung während der<br />

Nacht erzielen lässt, oder wenn aus praktischen Gründen die morgendliche erste Insulininjektion<br />

nicht vor 6.00 Uhr zugemutet werden kann, ist hier die Insulinpumpenbehandlung<br />

Methode der Wahl. Dabei ist die stündliche Basalrate um <strong>Mit</strong>ternacht sehr<br />

niedrig zu wählen und anschließend etwa ab 3.00 Uhr deutlich schrittweise zu erhöhen,<br />

teilweise auf das 3 - 4fache, in Einzelfällen sogar noch mehr.<br />

Diabetiker mit einer sehr guten Insulinempfindlichkeit - erkennbar an einer niedrigen<br />

Tagesgesamtinsulinmenge – haben häufiger vermehrte Unterzuckerungen. Bei Verwendung<br />

von Spritze / Pen lässt sich die Insulinmenge üblicherweise nur in Intervallen<br />

von jeweils 1 I.E. dosieren. Würde man beispielsweise statt eines Bolus von 3 I.E. hier<br />

nur 2 bzw. 4 I.E. spritzen, so entspräche dies einer relativen Insulinmengenänderung<br />

von 33 %. Bei Verwendung einer Insulinpumpe ist die Insulindosierung in kleineren<br />

Schritten möglich und kann genauer angepasst werden. Es sind allerdings auch Pens<br />

mit Dosierungsintervallen von 0,5 I.E. auf dem Markt (BD Pen mini, NovoPen 3 Demi).<br />

Erfahrungsgemäß gibt es auch Diabetiker mit häufigen Unterzuckerungen, die von einer<br />

Insulinpumpe nicht profitieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ursache der<br />

Unterzuckerung im weiteren Sinne in der Persönlichkeitsstruktur des Diabetikers und<br />

damit in der unzureichenden Selbstbehandlung liegt. Beispielsweise sind hier zu nennen:<br />

● Suchtproblematik (vor allem Alkohol)<br />

● »Null-Bock-Mentalität«<br />

● psychosoziale Probleme<br />

In solchen Fällen sollte der Beginn einer Insulinpumpenbehandlung immer sehr kritisch<br />

gesehen werden, denn persönlichkeitsbedingte Probleme mit der <strong>Diabetes</strong>einstellung<br />

lassen sich durch eine Insulinpumpenbehandlung im Regelfall nicht lösen. Sie<br />

werden durch die zusätzlichen Erfordernisse an vermehrter Eigenverantwortung bei<br />

der Insulinpumpen-Therapie oft noch verstärkt.<br />

Schließlich gibt es auch Diabetiker mit häufigen Hypoglykämien, bei denen die Entscheidung<br />

für eine Insulinpumpenbehandlung besonders gut überdacht werden muss;<br />

zu nennen sind:<br />

● erschwerte bzw. aufgehobene Unterzuckerungswahrnehmung<br />

(sogenannte »Unawareness«)<br />

● alleinstehende Diabetiker<br />

● fortgeschrittene Folgeerkrankungen (z.B. Dialysepflichtigkeit, Gastroparese,<br />

eingeschränktes Sehvermögen)<br />

190<br />

11. Unterzuckerung<br />

Bei Typ-1-Diabetikern mit einer <strong>Diabetes</strong>dauer von 10 Jahren und mehr liegt oft eine<br />

erschwerte bis aufgehobene Wahrnehmung der Unterzuckerungsanzeichen vor. Hier<br />

ist die Gefahr einer Unterzuckerung mit Hilflosigkeit und der Notwendigkeit von<br />

Fremdhilfe besonders groß. Selbstverständlich birgt hier die Insulinpumpen-Therapie<br />

ein gewisses Risiko, besonders in Verbindung mit einer sehr normnahen Blutzuckereinstellung.<br />

Bei einer Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit wird ja von der Insulinpumpe weiterhin<br />

Insulin als Basalrate abgegeben und dadurch die Unterzuckerungssymptomatik noch<br />

verstärkt. Die Hypo-Wahrnehmungsstörung ist oft mit einer sehr häufigen Unterzuckerungsfrequenz,<br />

meist mehr als 2 -3mal wöchentlich, verbunden. Es ist bekannt,<br />

dass die Wahrnehmung eines Unterzuckers mit größerer Häufigkeit von Hypoglykämien<br />

schlechter wird. Durch geringe Anhebung des Blutzuckerzielbereiches und mit<br />

Hilfe einer konsequenten Umsetzung von Hypoglykämie-Vermeidungsstrategien gelingt<br />

es unter Insulinpumpenbehandlung in der Regel, die Anzahl auch der leichten<br />

Hypoglykämien deutlich zu verringern. Wenn gleichzeitig noch die eigene Körperbeobachtung<br />

und die richtige Deutung der oft nur noch gering ausgeprägten Anzeichen<br />

einer Hypoglykämie verbessert werden, erreicht man nicht selten eine Besserung der<br />

vorbestehenden Wahrnehmungsstörung. Der Diabetiker kann anhand von diskreten,<br />

für ihn jedoch relativ typischen Körperveränderungen eine drohende Unterzuckerung<br />

erkennen und rechtzeitig noch geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen (Hypo-Wahrnehmungstraining).<br />

Diabetiker mit einer Hypo-Wahrnehmungsstörung sollten grundsätzlich eine Insulinpumpe<br />

mit einer sogenannten Sicherheitsschaltung benutzen. Dadurch wird gewährleistet,<br />

dass die Insulinpumpe automatisch nach einem fest eingestellten Zeitintervall<br />

(z.B. 12 Stunden) in den Stop-Zustand gesetzt wird, falls zwischenzeitlich kein<br />

Bedienungsknopf gedrückt wird. Dieses Zeitintervall kann auch verringert werden,<br />

beispielsweise auf 8 -10 Stunden. Dabei ist zu beachten: das einprogrammierte Zeitintervall<br />

bestimmt die maximal mögliche Schlafdauer des Insulinpumpenträgers.<br />

Durch zahlreiche Studien ließ sich zeigen, dass bei geeigneter Patientenauswahl die<br />

durchschnittliche Anzahl von Unterzuckerungen unter einer Insulinpumpen-Therapie<br />

trotz verbesserter Stoffwechsellage geringer ist als unter einer Spritzen-/Pen-Therapie.<br />

Dies ist nicht verwunderlich: Denn bei korrekt eingestellter Basalrate kann der gut informierte<br />

und motivierte Insulinpumpenträger die erforderliche Bolusmenge in kleinen<br />

Schritten relativ problemlos abrufen – vorausgesetzt, er kennt den jeweiligen aktuellen<br />

Blutzuckerwert. Ausreichend genaue und häufige Blutzuckerselbstkontrollen<br />

sind natürlich eine wesentliche Voraussetzung für einen stabilen Blutzuckerverlauf,<br />

speziell für eine geringere Häufigkeit von Unterzuckerungen.<br />

191


11. Unterzuckerung<br />

11.2 Risikosituationen<br />

Für Insulinpumpenpatienten ist es wie für jeden insulinspritzenden Diabetiker von<br />

großer Bedeutung, die besonderen Risikosituationen für eine Unterzuckerung zu kennen.<br />

Denn die wichtigste, die häufigste und auch die gefährlichste Nebenwirkung einer<br />

Insulinbehandlung ist eben die Hypoglykämie.<br />

Ganz allgemein besteht die Gefahr einer Unterzuckerung dann, wenn bei einer normnahen<br />

Blutzuckereinstellung der Insulinspiegel im Blut höher ist als der tatsächliche<br />

Bedarf.<br />

Das Unterzuckerungsrisiko ist in folgenden Situationen erhöht:<br />

● übermäßig hoher Insulinspiegel im Blut, z.B. nach einer großen Bolusgabe<br />

● geringer Insulinbedarf, z.B. bei körperlicher Aktivität<br />

● niedriger Blutzuckerausgangswert, z.B. bei sehr knappen Blutzuckerzielbereichen<br />

von 100 mg/dl oder weniger (»Tiefflieger«)<br />

● rasch abfallender Blutzuckertrend<br />

● eingeschränkte Zuckerneubildung in der Leber, z.B. nach vorangegangenem<br />

Alkoholgenuss<br />

● Muskelauffülleffekt: nach längerer körperlicher Aktivität<br />

● verbesserte Hautdurchblutung an der Kathetereinstichstelle (warmes Vollbad,<br />

Saunabesuch, Sonnenbad)<br />

Allgemeine Ursachen einer Hypoglykämie:<br />

● zu wenig gegessen<br />

● zu viel Insulin (zu große Basalrate, zu großer Bolus)<br />

● zu viel körperliche Aktivität<br />

● vermehrter Alkoholgenuss<br />

● Fehler bei der Blutzuckerselbstkontrolle (zu selten, zu ungenau)<br />

● Fehleinschätzung der Nahrung (z.B. Restaurantessen, ungewohnte Kost im Urlaub)<br />

● verbesserte Insulinwirkung (z.B. bei Gewichtsabnahme, bei Frauen z.T. zyklusabhängig)<br />

● Doppelkorrektur (gleichzeitig Korrekturinsulingabe und Weglassen von BE)<br />

● Bolusüberlappung (Missachtung der Insulinwirkdauer)<br />

Insulinpumpenspezifische Ursachen einer Hypoglykämie<br />

● Bedienungsfehler, wie versehentliche doppelte Bolusgabe, fälschliche Basalratenerhöhung<br />

● Ampullenwechsel mit im Bauch liegender Katheternadel<br />

● Verschlossene Öffnungen im Adapter der Insulinpumpe H-TRONplus – (z.B. Schmutz,<br />

rotes Verschlussstück)<br />

Abb. 65: Risikosituationen für Unterzuckerung<br />

192<br />

Insulinbehandelte Diabetiker sollten lernen, solche Risikosituationen zu erkennen, um<br />

rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können: entweder vermehrte<br />

Zufuhr von Kohlehydraten und/oder rechtzeitige Verringerung der Insulinmenge.<br />

Dies trifft insbesondere für den Typ-1-Diabetiker mit absolutem Insulinmangel<br />

zu. Wesentliche Ursachen für eine Unterzuckerung sind in Abb. 65 zusammengestellt.<br />

11.3 Vermeidungsstrategien<br />

Bei jeder Form der Insulinbehandlung müssen Häufigkeit und Schweregrad von Unterzuckerungen<br />

möglichst gering gehalten werden. Hierzu ist hilfreich, bereits im Vorfeld<br />

allgemeine Strategien zur Hypoglykämievermeidung zu kennen und konsequent<br />

einzuhalten (Abb. 67). Eine wichtige Vermeidungsstrategie besteht darin, das eigene<br />

Bewusstsein für eine Unterzuckerungsgefahr zu sensibilisieren. Dabei geht es darum,<br />

allgemeine Risikosituationen zu kennen und im Vorfeld mit einer Art »siebtem Sinn«<br />

entsprechende Gefahrenmomente zu erahnen. Persönliche Besonderheiten und Erfahrungen<br />

sind zu beachten. Etwas provokativ lässt sich behaupten:<br />

»Die Unterzuckerung beginnt oft im Kopf«!<br />

11. Unterzuckerung<br />

So betrachtet sind die Auslöser für eine Hypoglykämie auch im mentalen Bereich zu<br />

suchen, beispielsweise infolge von Sorglosigkeit, Ablenkung, Unwissenheit, und Gedankenlosigkeit.<br />

Es soll jedoch klar gestellt werden: Trotz großer Sorgfalt und gewissenhaftem<br />

Nachdenken können Unterzuckerungen nicht hundertprozentig vermieden<br />

werden; allerdings lässt sich ihre Häufigkeit nicht selten verringern.<br />

Eine andere Vermeidungsstrategie ist das Anheben von übertrieben niedrigen Blutzuckerzielbereichen<br />

(»Tiefflieger-Mentalität«). Dahinter verbirgt sich häufig eine<br />

übersteigerte Angst vor Folgeerkrankungen. Wenn beispielsweise ein Diabetiker nach<br />

mehr als 30-jähriger Krankheitsdauer keinerlei Folgeerkrankungen hat und zusätzlich<br />

zahlreiche »Schutzfaktoren« aufweist, wie z.B. Nichtraucher, normales Körpergewicht,<br />

Strategien zur Vermeidung von Unterzuckerungen:<br />

Denken! Risikosituationen kennen und erahnen<br />

Messen! häufige Blutzuckerselbstkontrolle vor, während und<br />

nach Risikosituationen<br />

Vorbeugen! eventuell Anheben des Blutzuckerzielbereiches<br />

Erfahrung sammeln! persönliche Gesetzmäßigkeiten herausfinden und beachten<br />

Abb. 66: Allgemeine Strategien zur Hypoglykämie-Vermeidung<br />

193


11. Unterzuckerung<br />

regelmäßige körperliche Aktivität, kein Bluthochdruck, gute Blutfette, hohes Alter bei<br />

Vorfahren, so ist schwer nachzuvollziehen, warum durch eine übertrieben straffe Blutzuckereinstellung<br />

ein unangebracht hohes Risiko für Unterzuckerungen eingegangen<br />

wird, insbesondere dann nicht, wenn in der Vergangenheit bereits häufiger Hypoglykämien<br />

mit Hilflosigkeit aufgetreten sind.<br />

Eine weitere Möglichkeit zur Verringerung von Unterzuckerungen besteht darin, persönliche<br />

Erfahrungen mit eigenen Hypoglykämien zu überdenken und sich mögliches<br />

Fehlverhalten bewusst zu machen. Hierzu ist es hilfreich, wenn im Anschluss an eine<br />

Hypoglykämie, eventuell auch erst nach einigen Stunden, gezielt und intensiv darüber<br />

nachgedacht wird, warum es dazu gekommen ist. Dadurch lässt sich nach und nach<br />

eine persönliche Checkliste für eine mögliche Unterzuckerungsgefährdung erstellen.<br />

Für zukünftige Situationen aus dieser Checkliste wird dann empfohlen, den Blutzuckerzielbereich<br />

bewusst anzuheben, d.h. eine rechtzeitige Verringerung der Insulinmenge<br />

(Bolusreduktion oder Basalratensenkung) bzw. angemessene Zufuhr von Extra-<br />

BE.<br />

Schließlich geht es auch darum, veränderte Situationen mit größerer Blutzuckerlabilität<br />

und der Möglichkeit eines stärkeren Blutzuckerabfalls als solche wahrzunehmen<br />

und nicht an starren Anpassungsschemata mit fixen BE-Regeln und Korrekturzahlen<br />

zwanghaft festzuhalten. Solche Sondersituationen können sein:<br />

● vermehrte unübliche körperliche Tätigkeit<br />

● erheblicher, ungewohnter Alkoholkonsum<br />

● geänderter Tagesrhythmus (z.B. im Urlaub)<br />

● unbekannte Speisen und Getränke (z.B. Restaurantessen)<br />

● ausgeprägte sportliche Aktivität<br />

Allgemein empfehlen wir, in Sondersituationen bewusst vorübergehend leicht erhöhte<br />

Blutzuckerwerte in Kauf zu nehmen und damit gleichzeitig das Unterzuckerungsrisiko<br />

zu verringern. Vergleiche hierzu auch die »Was wäre wenn«-Überlegungen im<br />

Abschnitt 8.2.<br />

In Abb. 67 sind für konkrete Risikosituationen denkbare Vermeidungsstrategien aufgelistet.<br />

Eine Ergänzung dieser Aufstellung mit eigenen Erfahrungen dürfte hilfreich<br />

sein.<br />

194<br />

Risikosituation Vermeidungsstrategie<br />

11. Unterzuckerung<br />

zu wenig Kohlehydrate 1. BE-Schätzung verbessern:<br />

gegessen im Verhältnis ● Informationen über BE-Menge besorgen<br />

zum abgegebenen Bolus (z.B. im Buch »Kalorien mundgerecht«)<br />

● Schätzung durch Abwiegen überprüfen<br />

2. Nahrungsbolus verringern:<br />

● BE-Faktor hinterfragen<br />

● mit ähnlichen früheren Situationen vergleichen<br />

3. Bolussplitting:<br />

Bolusgabe aufteilen, dann kann der zweite Anteil verringert<br />

werden, falls das geplante Essen nicht schmeckt<br />

körperliche Aktivität ● bei geplanter körperlicher Aktivität vorher bewusst<br />

weniger Insulin, zum Teil bis 50 % weniger<br />

(Bolus und/oder Basalrate)<br />

● bei ungeplanter körperlicher Aktivität vor Beginn<br />

Extra-BE zu sich nehmen<br />

● körperliche Aktivität (z.B. Hausarbeit, Einkaufen)<br />

als solche wahrnehmen<br />

Alkoholgenuss ● großzügig Extra-BE zu sich nehmen<br />

● geringerer Bolus und/oder Basalratenabsenkung<br />

● bei Alkohogenuss jeglicher Art BZ-Zielwert erhöhen<br />

● niemals Insulin für alkoholische Getränke verabreichen<br />

unbekanntes Essen ● bewusst weniger Bolus, nach 2-3 Stunden Blutzucker<br />

(z.B. im Restaurant) messen, ggf. zusätzlicher Bolus<br />

Blutzuckerselbstkontrolle<br />

weniger als 3 - 4 mal tgl.<br />

● häufiger messen<br />

Saunabesuch ● großzügig Extra-BE<br />

»Bierabend« nach sport- ● Extra-BE mit deutlicher Anhebung des BZ-Zielbereiches<br />

licher Aktivität (z.B. Volleyball, vor dem Schlafengehen und ggf. Basalratensenkung<br />

Kegeln, Aerobic, Tennis) während der Nacht (Sport und Alkohol wirken nach,<br />

Kombination ist schlecht berechenbar)<br />

eigene Risikosituation eigene Vermeidungsstrategie<br />

.......................................... ..............................................................................<br />

.......................................... ..............................................................................<br />

.......................................... ..............................................................................<br />

Abb. 67: konkrete Risikosituationen und mögliche Vermeidungsstrategien<br />

195


11. Unterzuckerung<br />

11.4 Behandlung einer Unterzuckerung<br />

Die Vorgehensweise bei einer Unterzuckerung ist bei Spritzen-Pen-Therapie und bei<br />

Insulinpumpenbehandlung prinzipiell gleichartig (Abb. 68). Insbesondere die Punkte<br />

»Nachdenken« und »Dokumentation« möchten wir besonders betonen. Erfolgreiche<br />

individuelle Vermeidungsstrategien lassen sich nur dann finden, wenn der Diabetiker<br />

für sich persönlich seine häufigsten Risikosituationen für eine Unterzuckerung kennt.<br />

Diese erfährt er durch aufmerksames Beobachten und kritisches Hinterfragen der aufgetretenen<br />

Hypoglykämien.<br />

Maßnahmen bei einer Unterzuckerung:<br />

● im Verdachtsfall 1 - 2 BE rasch resorbierbare Kohlehydrate<br />

einnehmen (z.B. 2 - 5 Plättchen Dextro-Energen-Traubenzucker)<br />

● messen: Bestätigung des Verdachtes?<br />

● evtl. Zufuhr weiterer Kohlehydrate (meist in langsam<br />

resorbierbarer Form)<br />

● nachdenken: Was war die wahrscheinlichste Ursache?<br />

● Dokumentation: Aus Erfahrung lernen.<br />

Abb. 68: Unterzuckerung – Was tun?<br />

11.5 Fehlermöglichkeiten<br />

Im Umgang mit der Unterzuckerung werden häufig immer wieder die gleichen Fehler<br />

gemacht:<br />

1. Zu große Sorglosigkeit bei körperlicher Aktivität:<br />

Wenn bei einer körperlichen Aktivität von 30 Minuten oder länger keine Zufuhr von<br />

Extra-BE bzw. eine rechtzeitige Insulindosisverringerung erfolgt, kann es bei einer<br />

normnahen BZ-Einstellung mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Unterzuckerung<br />

kommen. Dies ist auch bei Alltagsbelastungen wie z.B. bei einem Einkaufsbummel zu<br />

beachten.<br />

2. Zu geringe Häufigkeit bei der Blutzuckerselbstkontrolle,<br />

insbesondere in Sondersituationen:<br />

Die Blutzuckerselbstkontrolle, mindestens 4 x täglich, sollte für den Insulinpumpenträger<br />

eine Selbstverständlichkeit sein. In besonderen Situationen (körperliche Aktivität,<br />

Alkoholgenuss, psychischer Stress, Urlaub, Krankheit usw.) muss der Blutzucker<br />

häufiger gemessen werden.<br />

196<br />

11. Unterzuckerung<br />

3. Unkritisches Festhalten an starren Regeln für die Insulindosisanpassung:<br />

Hier sind Flexibilität und Mut zur Veränderung gefragt. Es ist mitunter unverständlich,<br />

wie sehr Insulinpumpenträger an einem starren Plan der Dosisanpassung festhalten,<br />

ohne dessen Zweckmäßigkeit in Alltagssituationen zu hinterfragen.<br />

4. Überkorrektur bei erhöhten Blutzuckerwerten (zuviel Korrekturinsulin):<br />

Insbesondere Diabetiker mit einer übersteigerten Angst vor Folgeerkrankungen neigen<br />

dazu, kurzfristig erhöhte Blutzuckerwerte (z.B. über 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l)<br />

zu dramatisieren und zuviel Korrekturinsulin zu geben. Als Folge kann es zu einer starken<br />

Unterzuckerung mit gegenregulatorisch bedingtem, erneutem Blutzuckeranstieg<br />

kommen, der sogenannten »Achterbahn« des Blutzuckerverhaltens.<br />

5. Missachtung der relativ langen Insulinwirkdauer bei Normalinsulin<br />

(4-6 Stunden, bei größerer Bolusmenge auch länger):<br />

Bei einer Bolusgabe von 6 I.E. und mehr ist wegen der langen Insulinwirkdauer von<br />

Normalinsulin oft die Zufuhr einer kleinen Zwischenmahlzeit nach ca. 2-3 Stunden<br />

197


11. Unterzuckerung<br />

vorteilhaft, um einer drohenden Unterzuckerung entgegenzuwirken. Diese Vorsichtsmaßnahme<br />

ist bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon als Pumpeninsulin<br />

nicht notwendig.<br />

6. Zu frühe übermäßige Nachkorrektur:<br />

Da bei der Insulinpumpen-Therapie die Gabe eines Korrekturbolus relativ einfach und<br />

im Gegensatz zur Spritzen-/Pen-Behandlung auch mit einem sehr geringen Aufwand<br />

ohne Schmerzen verbunden ist, kann dies zu einer unüberlegten Gabe von Korrekturinsulin<br />

verleiten. Ist bei Verwendung von Normalinsulin der Abstand zwischen 2 Bolusgaben<br />

kürzer als ca. 4 Stunden (bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon<br />

kürzer als ca. 2 Stunden), so kommt es zu einer Bolusüberlappung und anschließend<br />

zu einer verstärkten Insulinwirkung mit erhöhter Unterzuckerungsgefahr (Ausnahme:<br />

Ketoazidose, siehe Abschnitt 10.5).<br />

7. Vermehrter Alkoholgenuss:<br />

Wenn zuviel Alkohol getrunken wurde, kann eine Hypoglykämie ungünstige Folgen<br />

haben. Durch Alkoholgenuss ist das Unterzuckerungsrisiko größer, die typischen Hypoglykämiekennzeichen<br />

sind oft verschleiert und werden vom Diabetiker nicht wahrgenommen<br />

oder falsch wahrgenommen. Durch den Alkoholgenuss ist zudem die eigene<br />

Handlungsfähigkeit beeinträchtigt; von Personen in der Umgebung wird der Unterzuckerungszustand<br />

fälschlicherweise als Alkoholrausch gedeutet.<br />

Vorsichtsregeln bei Alkoholgenuss finden sich in Abb. 69. Vergleiche auch die Ausführungen<br />

zum Thema Alkohol in Abschnitt 12.8.<br />

● zusätzlich ausreichend BE essen<br />

● engmaschige Blutzuckerkontrollen (Messen vor dem Zubettgehen nicht vergessen!)<br />

● Person des Vertrauens über <strong>Diabetes</strong> und Hypoglykämierisiko informieren<br />

● siehe Abb. 67 auf Seite 195<br />

Abb. 69: Vorsichtsregeln bei Alkoholgenuss<br />

8. Keine Not-BE griffbereit vorhanden:<br />

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein insulinbehandelter Diabetiker für<br />

»alle Fälle« geeignete Not-BE, d.h. schnell resorbierbare Kohlehydrate (am zweckmäßigsten<br />

Traubenzucker) ständig griffbereit hat. Empfehlenswert ist die Aufbewahrung<br />

von 2 - 3 Dextro-Energen Plättchen in einem Zusatzfach des Schlüsseletuis.<br />

Zur Erinnerung: Ein Täfelchen Dextro-Energen enthält 5 Gramm Traubenzucker, also<br />

knapp 0,5 BE.<br />

198<br />

11.6 Tipps für Helfer bei schwerer Unterzuckerung<br />

11. Unterzuckerung<br />

Eine immer wieder gestellte Frage ist: Wie sollen sich Angehörige bzw. Bekannte verhalten,<br />

wenn ein Insulinpumpenträger aufgrund einer Hypoglykämie nicht mehr<br />

selbständig handlungsfähig und im Extremfall bewusstlos ist. Wir empfehlen folgendes<br />

Vorgehen:<br />

● Ruhe bewahren! Kein Grund zur Panik! Es besteht normalerweise keine akute Lebensgefahr.<br />

● bewusstlosen Diabetiker in stabile Seitenlage bringen und Atemwege freihalten<br />

● Katheter aus dem Unterhautfettgewebe herausziehen oder den Schlauch direkt an<br />

der Nadel durchschneiden<br />

● wenn möglich Glukagon intramuskulär spritzen (zweckmäßigerweise in Bauch,<br />

Oberschenkel oder Oberarm)<br />

● rasch ärztliche Hilfe anfordern (Hinweis: »bewusstloser Diabetiker«)<br />

Ein Notfallausweis, den jeder Insulinpumpenträger bei sich tragen sollte, fasst die<br />

wichtigsten Maßnahmen für den Ernstfall zusammen (siehe Abschnitt 15.4: Ausweise<br />

in verschiedenen Sprachen).<br />

Text auf dem Notfallausweis:<br />

Ich bin Diabetiker und werde mit einer Insulinpumpe behandelt, die über einen<br />

Schlauch Insulin unter die Haut pumpt. Bei einem Verwirrtheitszustand oder einer<br />

Bewusstlosigkeit liegt bei mir wahrscheinlich eine Unterzuckerung vor.<br />

Bitte sofort Schlauch und Nadel herausziehen oder den Schlauch direkt an der Nadel<br />

durchschneiden. Arzt benachrichtigen mit dem Hinweis: »bewusstloser Diabetiker«.<br />

199


11. Unterzuckerung<br />

Tipp: Nächtliche Unterzuckerung<br />

Die Gefahr einer nächtlichen Unterzuckerung ist bei der Insulinpumpenbehandlung im Vergleich<br />

zur Spritzentherapie erheblich geringer, allerdings in besonderen Situationen durchaus<br />

gegeben. Als typische Risikosituationen seien hier aufgeführt:<br />

● Spätes, umfangreiches Abendessen mit 5 BE oder mehr (z.B. Restaurantessen nach 20.00<br />

Uhr). Dadurch ist ein verhältnismäßig großer Nahrungsbolus erforderlich. Bei Verwendung<br />

von Normalinsulin wirkt dieser meist 5 Stunden und mitunter auch deutlich länger und<br />

reicht bei nicht zu spätem Zubettgehen noch erheblich in die Schlafenszeit hinein.<br />

● Vermehrter Alkoholgenuss am Abend ohne gleichzeitige Zufuhr von langsam verwertbaren<br />

Kohlehydraten. Die anschließend größere Hypoglykämieneigung ist darin begründet, dass<br />

alkoholbedingt die übliche Zuckerfreisetzung aus der Leber auch noch nach mehreren Stunden<br />

verringert sein kann.<br />

● Längerfristige körperliche Aktivität, z.B. Ganztageswanderung, Fitnesstraining am Abend,<br />

Tanzen. Hier kann es wegen des Muskel- und Leberauffülleffektes einige Stunden später zu<br />

einem länger anhaltenden Blutzuckerabfall kommen.<br />

● Großer Korrekturbolus vor dem Schlafengehen. Im Regelfall ist die Insulinempfindlichkeit<br />

spät abends relativ gut, d.h. 1 I.E. Korrektur-Insulin senkt den Blutzucker um 50 mg/dl<br />

(2,8 mmol/l) und mehr. Die Korrekturzahl muss deshalb am späten Abend meist deutlich<br />

größer gewählt werden als während des Tages (siehe Abschnitt 3.1.2).<br />

● Besonders kritisch ist die Kombination von hier genannten Risikosituationen, beispielsweise<br />

spätes BE-reiches Essen und gleichzeitiger Alkoholgenuss oder auch Sport am Abend und<br />

anschließend Alkoholkonsum.<br />

Nicht in jedem Fall wird eine nächtliche Unterzuckerung bemerkt und führt zu einem Erwachen.<br />

Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass im <strong>Mit</strong>tel jede zweite nächtliche<br />

Unterzuckerung verschlafen wird. Deshalb ist es wichtig, Kriterien zu kennen, die auf eine evtl.<br />

nächtliche verschlafene Hypoglykämie hinweisen können. Sie stellen allerdings in keinem Fall<br />

einen Beweis dar, sondern können nur Anhaltspunkte sein:<br />

● Nachtschweiß<br />

● unruhiger Schlaf, Alpträume<br />

● morgendlicher Kopfschmerz<br />

● hoher Nüchternblutzucker<br />

● überschießender Blutzuckeranstieg nach dem Frühstück.<br />

200<br />

Im Zweifelsfall sind nächtliche Blutzuckermessungen erforderlich.<br />

11. Unterzuckerung<br />

Wie kann unter der Insulinpumpen-Therapie die Gefahr einer nächtlichen Unterzuckerung<br />

deutlich verringert werden? Als wirksame Vermeidungsstrategien sind hierzu nennen:<br />

● konsequente Messung des Blutzuckers vor dem Schlafengehen<br />

● an die Möglichkeit einer nächtlichen Unterzuckerung denken und die typischen Risikosituationen<br />

kennen<br />

● in Sondersituationen Bestimmung des Blutzuckers etwa gegen 2.00 - 3.00 Uhr<br />

● bei Risikosituationen den Blutzuckerzielbereich vor dem Schlafengehen bewusst anheben<br />

(z.B. 160 mg/dl statt 100 mg/dl)<br />

● in Sondersituationen »Betthupferl« mit langsam resorbierbaren Kohlehydraten. Im Alltag<br />

hat sich 1 BE normale Schokolade (in etwa 1 Riegel) als vorteilhaft erwiesen; anschließendes<br />

Zähneputzen nicht vergessen!<br />

● regelmäßige Kontrolle des BZ gegen 2-3 Uhr (etwa alle 10 Tage)<br />

Generell kann die Gefahr einer nächtlichen Unterzuckerung systematisch verringert werden, indem<br />

die Basalrate am späten Abend und um <strong>Mit</strong>ternacht eher niedrig programmiert wird.<br />

Als Ausgleich wird die Basalrate etwa ab 3 Uhr beginnend bewusst erhöht (siehe Abschnitt<br />

3.2.3).<br />

Jede nächtliche Unterzuckerung ohne offensichtlichen Grund sollte Anlass sein, die Basalrateneinstellung<br />

zu hinterfragen und ggf. zu verändern.Ansonsten sind Umprogrammierungen<br />

an der Basalrate eher zurückhaltend vorzunehmen.<br />

201


12. Ernährung<br />

Es mag überraschen, wenn in einem Buch zur Insulinpumpen-Therapie ein gesondertes<br />

Kapitel über die Ernährung erscheint. »Als Insulinpumpenpatient kann ich essen<br />

und trinken, was ich will, ich muss mich doch nicht mit lästigen Ernährungsfragen befassen«,<br />

so wird der eine oder andere denken.<br />

Die erste Hälfte des letzten Satzes ist ohne Zweifel richtig: Ein Insulinpumpenträger<br />

soll und kann das essen und trinken, was ihm schmeckt, wie viel er will und wann er<br />

will. Dies gilt allerdings mit den gleichen Einschränkungen, die für einen Stoffwechselgesunden<br />

zutreffen. Auch für Nicht-Diabetiker ist eine bewusste und gesunde<br />

Ernährung vorteilhaft. Günstig ist eine kohlenhydratreiche, ballaststoffreiche Kost mit<br />

viel frischem Obst, Gemüse und Salat. Ungünstig sind fettreiche Speisen, viel Fleisch<br />

und Wurst, ein hoher Zuckeranteil in der Nahrung, Fertigprodukte und reichlicher<br />

Alkoholkonsum. Diese Empfehlungen treffen auch für Insulinpumpenträger zu. Absolute<br />

Verbote und einengende Ernährungsvorschriften sind dagegen heutzutage<br />

nicht mehr angezeigt, denn die Blutzuckerselbstkontrolle und die Anwendung kurzwirksamer<br />

Insuline ermöglichen eine große Liberalisierung beim Essen und Trinken.<br />

Der zweite Halbsatz der obigen Aussage ist jedoch falsch. Gerade für einen Insulinpumpenträger<br />

ist es wichtig, über Ernährung und Nahrungsmittel gut Bescheid zu wissen.<br />

Nur so lässt sich beurteilen, in welchem Ausmaß und mit welchem zeitlichen Verlauf<br />

Essen und Trinken den Blutzuckerspiegel beeinflussen. Nur dann können Bolusgröße<br />

und Bolusabgabezeit geeignet gewählt werden.<br />

202<br />

12.1 Allgemeine Bemerkungen<br />

12. Ernährung<br />

Nach der Nahrungsaufnahme kommt es durch Verdauung und die anschließenden<br />

Stoffwechselvorgänge zu einem Blutzuckeranstieg. Dieser erfordert eine angemessene<br />

Insulinmenge, die in der richtigen Menge und zum richtigen Zeitpunkt in der Blutbahn<br />

vorhanden sein sollte. Anders ausgedrückt: Die Kurve des zu erwartenden Blutzuckerspiegels<br />

im Blut sollte idealerweise mit der Insulinmenge in der Blutbahn zusammenfallen.<br />

Dafür gibt es streng genommen nur eine adäquate Lösung. Diese<br />

herauszufinden, ist Aufgabe des Insulinpumpenträgers, wünschenswert ist eine »Insulingabe<br />

mit Verstand«.<br />

Es ist also Aufgabe des Insulinpumpenträgers, dafür zu sorgen, dass das Angebot an<br />

Insulin in der Blutbahn – genauer gesagt an den Zellen – mit dem jeweiligen Bedarf an<br />

Insulin möglichst gut übereinstimmt. Er sollte die verschiedenen Einflussgrößen kennen<br />

und diese angemessen steuern. Dazu benötigt er u.a. ein fundiertes Wissen über<br />

die Bestandteile der Nahrungsmittel, über deren Verstoffwechselung sowie über die<br />

Auswirkungen auf den Blutzuckerverlauf.<br />

Zweckmäßige Hilfsmittel dabei sind beispielsweise das Nachschlagebuch »Kalorien<br />

mundgerecht« vom Verlag Umschau/Braus oder auch die »BE-Tabelle«, zusammengestellt<br />

von Sven David Müller, zu beziehen beim Insuliner Verlag.<br />

In dem Nachschlagewerk »Kalorien mundgerecht« fehlen allerdings bei vielen Produkten,<br />

z.B. bei fast allen Süßspeisen und Desserts, bei Eis, bei Süßwaren sowie bei<br />

zahlreichen Getränken die entsprechenden BE-Angaben; statt dessen steht in der BE-<br />

Spalte das Symbol »ø« d.h. »für Diabetiker nicht empfehlenswert«. Diese Aussage ist<br />

für einen Insulinpumpenträger so nicht haltbar. Aus der Spalte »Gramm Kohlehydrate«<br />

lässt sich die entsprechende BE-Menge bestimmen; es ergibt sich damit ein ungefährer<br />

Anhaltspunkt, welche Blutzuckerwirkung durch das jeweilige Nahrungsmittel<br />

in etwa zu erwarten ist (10 -12 Gramm Kohlehydrate entsprechen 1 BE).<br />

12.2 Genuss ohne Reue<br />

Essen und Trinken nach Wunsch und mit Genuss bedeutet sicherlich eine erhebliche<br />

Verbesserung der Lebensqualität. Kurzfristige Blutzuckeranstiege gelegentlich nach<br />

dem Essen sind keine Katastrophe und lassen sich leicht korrigieren. Dies ist aber auf<br />

der anderen Seite kein Freibrief für eine einseitige, zucker- und kalorienreiche Ernährung,<br />

die immer wieder zu überhöhten Blutzuckerwerten nach einer Mahlzeit<br />

führt. Auch kurzfristig erhöhten Werten über 180 mg/dl wird mittlerweile eine gewisse<br />

schädigende Wirkung auf die Gefäße zugeschrieben. Daher empfehlen wir auch Insulinpumpenpatienten,<br />

auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu achten und<br />

zu starke Schwankungen des Blutzuckerverlaufs möglichst zu vermeiden.<br />

203


12. Ernährung<br />

Bei Einladungen, im Restaurant und besonders während des Urlaubs in fremden Ländern<br />

lassen sich BE-Menge und glykämischer Index von Speisen und Getränken oft nur<br />

schwer abschätzen. Bei unbekannten oder exotischen Gerichten ist dies geradezu unmöglich.<br />

Auf kulinarische Spezialitäten braucht ein Insulinpumpenträger allerdings<br />

nicht zu verzichten. Hier gilt es, eine Unterzuckerung möglichst zu verhindern, insbesondere<br />

wenn gleichzeitig Alkoholika getrunken werden. Es empfiehlt sich, den Nahrungsbolus<br />

bewusst etwas niedriger zu wählen. Durch Messung des Blutzuckers 1 bis 2<br />

Stunden nach der Mahlzeit – Zielbereich 140-180 mg/dl – lässt sich in etwa beurteilen,<br />

inwieweit der abgegebene Bolus angemessen war. Gegebenenfalls kann mit Insulin<br />

bzw. mit zusätzlichen Kohlehydraten rasch und geeignet korrigiert werden. Gelegentlich<br />

leicht erhöhte Blutzuckerwerte von kurzer Dauer sollten nicht dramatisiert werden<br />

und insbesondere keine unangenehmen Schuldgefühle erzeugen.<br />

12.3 Insulinpumpentypische Besonderheiten<br />

Hinsichtlich der Insulingabe für Essen und Trinken (Nahrungsbolus) hat die Insulinpumpen-Therapie<br />

Vorteile gegenüber der Spritzenbehandlung:<br />

● Kleinere Intervalle bei der Boluswahl: Üblicherweise sind bei der Bolusgröße Abstände<br />

von 0.5 I.E. zweckmäßig. Bei der Insulinpumpe D-TRONplus, bei der Minimed<br />

508 und bei der Minimed Paradigm kann der Insulinpumpenträger diese Intervall-Länge<br />

selbst verändern, bei der Insulinpumpe H-TRONplus ist sie werkseitig<br />

einstellbar und kann bei Bedarf umprogrammiert werden. Eine noch feinere, vom<br />

Insulinpumpenträger selbst festzulegende Möglichkeit bietet der »Scroll-Bolus«<br />

mit Schritten von 0,1 I.E. bei der Insulinpumpe D-TRONplus, bei der Minimed 508<br />

und bei der Minimed Paradigm.<br />

● Bolussplitting: Es besteht keinerlei Notwendigkeit, den Nahrungsbolus auf einmal<br />

zu setzen. Eine Aufteilung ist zweckmäßig bei zeitlich ausgedehntem Festmenue,<br />

bei zunächst unbekannter Essmenge (»es schmeckt besonders gut«), bei spontanem<br />

Nachtisch usw. Allerdings kommt es dabei immer wieder vor, dass ein geplanter<br />

zweiter Bolus einfach vergessen wird.<br />

● Verzögerter Bolus: Standardmäßig erfolgt die Bolusabgabe rasch innerhalb von<br />

einigen Sekunden. Die Insulinpumpen D-TRONplus, die Minimed Paradigm und die<br />

Minimed 508 bieten die Möglichkeit einer verlängerten Bolusabgabe. Dies ist<br />

günstig bei einer umfangreichen Mahlzeit mit langsamem blutzuckererhöhendem<br />

Effekt, beispielsweise bei einer großen Pizza mit hohem Fettanteil, bei paniertem<br />

Schnitzel mit Pommes frites oder bei Schweinshaxen mit Klößen.<br />

204<br />

12.4 Gesunde Ernährung<br />

Ein erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen<br />

lässt sich bei Menschen mit <strong>Diabetes</strong><br />

nicht wegdiskutieren. Die Gefahr dafür<br />

ist gegeben, das Ausmaß ist unterschiedlich.<br />

Neben einer guten Stoffwechseleinstellung<br />

gibt es weitere »Schutzfaktoren«<br />

wie gesunde Ernährung, regelmäßige<br />

körperliche Aktivität und Verzicht auf Nikotin.<br />

Die 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft<br />

für Ernährung in leicht modifizierter<br />

Form zeigen auf, was nach heutigem<br />

Wissen bei einem gesunden Essen<br />

und Trinken zu beachten ist. (siehe Abbildung<br />

70)<br />

Eine gesunde Kostform sollte schmecken<br />

und viele persönliche Vorlieben berücksichtigen.<br />

Dabei muss man nicht unbedingt<br />

tief in den Geldbeutel greifen, auch<br />

preiswerte Lebensmittel können hochwertig<br />

und delikat sein.<br />

12.5 Gefahren einer Ernährungsliberalisierung<br />

12. Ernährung<br />

Ein zu »großzügiges« Essen und Trinken ist aus gesundheitlichen Überlegungen für<br />

keinen Menschen empfehlenswert und hat manche unerwünschten Begleiterscheinungen<br />

– für einen Insulinpumpenträger in ähnlicher Weise wie für einen Stoffwechselgesunden:<br />

● Zu viele Kalorien: Übergewicht mit seinen ungünstigen Folgen<br />

● Zu fettreich: Kalorienaspekt, ungünstige Blutfette<br />

● Zu hoher Zuckergehalt: »Leere« Kalorien, kurzzeitig überschießender Blutzuckeranstieg<br />

● Zu viel Alkohol: Organschädigungen, ungünstige psychische und soziale Auswirkungen<br />

● Zu geringer Gehalt an Ballaststoffen: ungenügendes Sättigungsgefühl, schlechte<br />

Verdauung<br />

● Zu wenig Vitamine und Mineralsalze: Mangelerscheinungen<br />

205


12. Ernährung<br />

10 Regeln für gesundes Essen und Trinken<br />

(modifiziert nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung)<br />

1. Vielseitig, aber nicht zuviel<br />

Essen mit Phantasie! Abwechslungsreich, damit kein Nährstoff fehlt<br />

2. Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel<br />

»Viel Fett macht fett«, Vorsicht vor »versteckten« Fetten in Fleisch, Wurst, Käse,<br />

Schokolade, Chips und Fertigprodukten<br />

3. Würzig, aber nicht salzig<br />

Statt Salz lieber viele Kräuter und Gewürze.<br />

4. Wenig Süßes<br />

Zu süß kann schädlich sein. Essen und Trinken sind kein »Zuckerlecken«.<br />

5. Viel Vollkorn-Produkte<br />

Ballaststoffe machen satt, aber nicht dick.<br />

6. Reichlich Obst, Gemüse und Salat<br />

Empfehlenswert sind täglich mindestens 5 Portionen Frischobst, frisches Gemüse<br />

oder Salat (Aktion: »5 am Tag«)<br />

7. Wenig tierisches Eiweiß<br />

Nicht zu viel Fleisch und Wurst.<br />

8. Trinken mit Verstand<br />

Zurückhaltung bei alkoholischen und zuckerhaltigen Getränken.<br />

9. Öfters kleinere Mahlzeiten<br />

Essen mit Freude und Genuss; häufiger, jedoch kleinere Portionen.<br />

10. Schmackhaft und schonend zubereiten<br />

Essen mit Vernunft, Nährstoffe schonen.<br />

Abb. 70: Empfehlungen für eine gesunde Ernährung<br />

206<br />

12.6 Glykämischer Index<br />

12. Ernährung<br />

Der nahrungsbedingte Blutzuckeranstieg wird nicht allein durch die Menge an Kohlehydraten<br />

bestimmt, von Bedeutung sind auch:<br />

● die Nahrungszusammensetzung (z.B. Fettanteil? Eiweißanteil?),<br />

● ihre Beschaffenheit (z.B. Haushaltszucker? Mehrfachzucker in Form von Stärke?)<br />

● und der Verarbeitungsgrad (z.B. ausgemahlenes Mehl? Vollkornprodukte?).<br />

Gute BE-Kenntnisse sind notwendig, damit die zweckmäßige Insulinmenge ermittelt<br />

werden kann. Falls mehr »Freizügigkeit« bei der Ernährung gewünscht wird, ist es lohnend,<br />

sich mit dem sogenannten »glykämischen Index« zu beschäftigen. Dieser vergleicht<br />

die blutzuckererhöhende Wirkung bestimmter Nahrungsmittel mit derjenigen<br />

von Traubenzucker. Der glykämische Index drückt aus, wie rasch der Blutzuckeranstieg<br />

nach der Mahlzeit erfolgt, und mit ihm lässt sich in etwa abschätzen, zu welchem Zeitpunkt<br />

der Nahrungsbolus abgegeben werden sollte.<br />

Anhand des glykämischen Index werden Nahrungsmittel mit gleichem Kohlenhydratgehalt<br />

hinsichtlich der Geschwindigkeit des Blutzuckeranstiegs unterschieden. Zuckerhaltige<br />

Produkte haben in der Regel<br />

einen hohen glykämischen Index,<br />

während ballaststoffreiche,<br />

zuckerarme Lebensmittel meist einen<br />

geringen glykämischen Index<br />

aufweisen. Eine Scheibe Weißbrot<br />

mit Honig (2 BE) bedingt einen<br />

raschen Blutzuckeranstieg, während<br />

ein Vollkornbrot mit Streichfett<br />

und Wurstbelag (ebenfalls 2<br />

BE) eine vergleichsweise langsame<br />

Blutzuckererhöhung verursacht.<br />

Abb. 71 enthält qualitative Aussagen<br />

zum glykämischen Index für<br />

verschiedene Nahrungsmittel.<br />

207


12. Ernährung<br />

Glykämischer Index<br />

niedrig mittel hoch<br />

( flacher BZ-Anstieg ) ( mäßiger BZ-Anstieg ) ( steiler BZ-Anstieg )<br />

Vollkornbrot<br />

Vollkornreis<br />

Äpfel, Orangen, Pfirsiche<br />

Birnen, Kirschen<br />

Vollkornteigwaren<br />

Frischkornmüsli<br />

Milch, Joghurt,<br />

Milchprodukte<br />

Karotten roh<br />

Fruchtzucker<br />

Linsen, Bohnen<br />

Abb. 71: Beispiele zum glykämischen Index<br />

Zur Feinabstimmung von Bolusgröße und Drück-Ess-Abstand ist das Wissen um den<br />

glykämischen Index eine wertvolle Hilfe. Dadurch werden aber fundierte BE-Kenntnisse<br />

nicht ersetzt, im Gegenteil: Für den Blutzuckerverlauf nach dem Essen und Trinken<br />

ist sowohl die Kohlenhydratmenge der aufgenommenen Nahrung (BE, Gramm-<br />

Kohlehydrate, KHE) als auch die Geschwindigkeit, mit der die komplexen Kohlehydrate<br />

beim Verdauungsprozess in Glucose umgewandelt werden (glykämischer Index),<br />

von wesentlicher Bedeutung. Beispielsweise wird ein Frühstück von 5 BE, das aus einem<br />

hellen Brötchen, Marmelade, Saft und Cornflakes besteht, zu einem rascheren<br />

Blutzuckeranstieg mit deutlich höheren Spitzenwerten führen als ein Frühstück, das<br />

bei gleicher Kohlenhydratmenge ein Vollkornbrötchen, Wurstbelag, Naturjoghurt und<br />

Obst enthält.<br />

Nahrungsmittel mit hohem glykämischen Index verursachen einen kurzfristigen, zugleich<br />

aber deutlichen Blutzuckeranstieg; als geeignete Insulinsorte ist kurzwirksames<br />

Insulinanalogon vorteilhaft, um die rasche Blutzuckerhöhung abzufangen. Da Normalinsulin<br />

eine vergleichsweise flachere Wirkkurve hat (vgl. Abbildung 36) empfehlen<br />

wir bei Verwendung dieser Insulinsorte, keine größere Mengen an Nahrungsmitteln<br />

mit hohem glykämischen Index zu essen oder zu trinken, insbesondere dann nicht,<br />

wenn gleichzeitig kein Drück-Ess-Abstand eingehalten wird.<br />

Für eine diabetesgerechte Ernährung »alten Stils« wurden meistens Nahrungsmittel<br />

mit geringem glykämischen Index empfohlen. Diese bedingen einen eher trägen, aber<br />

208<br />

Roggenmischbrot<br />

Langkornreis<br />

Bananen, Trauben,Rosinen<br />

Spaghetti, Gnocchi<br />

Haferbrei<br />

Frischer Fruchtsaft<br />

gezuckerte Konfitüre<br />

Haushaltszucker<br />

Erbsen aus der Dose<br />

Weißbrot, Baguette<br />

heller Reis<br />

Karotten gekocht<br />

Kartoffelpüree<br />

Cornflakes<br />

Cola, Limonade<br />

Honig<br />

Traubenzucker, Malzzucker<br />

Dosenfrüchte<br />

12. Ernährung<br />

länger anhaltenden Blutzuckeranstieg. Bei kurzwirksamem Insulinanalogon in der Insulinpumpe<br />

darf der Nahrungsbolus dann nicht zu früh gesetzt werden, gelegentlich<br />

ist sogar ein »Ess-Drück-Abstand« zweckmäßig, d.h. die Bolusgabe erfolgt während<br />

des Essens oder erst danach. Bei Normalinsulin empfiehlt sich in diesem Fall kein wesentlicher<br />

Drück-Ess-Abstand (DEA) – vorausgesetzt, der Blutzuckerwert ist vor der<br />

Mahlzeit im wünschenswerten Bereich.<br />

Der Blutzuckerwert am Ende der Wirkdauer des Bolusinsulins sagt etwas darüber aus,<br />

ob die Bolusmenge richtig war (bei kurzwirksamem Insulinanalogon in der Insulinpumpe<br />

nach etwa 3 Stunden, bei Normalinsulin nach ca. 5 Stunden). Aufgrund der<br />

Blutzuckerhöhe ca. 1 bis 2 Stunden nach dem Essen können DEA und glykämischer<br />

Index beurteilt werden.<br />

Wird beabsichtigt, Nahrungsmittel mit hohem glykämischen Index in größerer Menge,<br />

d.h. 4 BE oder mehr, zu essen bzw. zu trinken, so ist ihre Zufuhr in kleineren Portionen<br />

über einen längeren Zeitabschnitt günstig. Der aufgrund der Nahrungszusammensetzung<br />

fehlende Verzögerungseffekt wird also durch eine verzögerte Aufnahme ausgeglichen.<br />

Als Beispiele seien genannt: Essen von 4 BE Plätzchen während ca. 2 Stunden<br />

bei einem Fernsehabend; Trinken von 2 Gläsern Cola (400 ml = 4 BE) während 90 Minuten,<br />

falls kein Cola light zur Verfügung steht. Der erforderliche Bolus für diese 4 BE<br />

wird zu Beginn gesetzt, es muß allerdings anschließend gewährleistet werden, dass<br />

die gesamte Nahrungsmenge wie geplant aufgenommen wird. Zur Klarstellung folgender<br />

Hinweis: Die genannten Beispiele stellen keine gesunde Kostform dar; weil<br />

aber erfahrungsgemäß solche Nahrungsmittel immer wieder gegessen bzw. getrunken<br />

werden, schienen uns geeignete Tipps angebracht.<br />

Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Anwendung des glykämischen<br />

Index wegen der zahlreichen Einflussgrößen nicht allgemein durchgesetzt hat. Selten<br />

wird ein Nahrungsmittel isoliert gegessen. Durch Begleitprodukte und insbesondere<br />

bei zusätzlichem Fettanteil ändert sich der glykämische Index. Weitere Störfaktoren<br />

können sein: Essverhalten, Füllungszustand und Entleerungsgeschwindigkeit des Magens,<br />

Produktion und Abgabe der Gallenflüssigkeit, Funktion der Bauchspeicheldrüse,<br />

Passagezeit im Dünndarm, Aufnahme der verdauten Nahrungsbestandteile in die Blutbahn.<br />

Somit ist es für jeden Diabetiker ratsam, für seine »Lieblingsspeisen und -getränke«<br />

die individuelle Blutzuckerwirksamkeit zu ermitteln. Das bedeutet: Ausprobieren und<br />

Sammeln eigener Erfahrungen. Zur Beurteilung des kurzfristigen Blutzuckeranstiegs<br />

ist der sog. postprandiale Blutzuckerwert (pp-Wert) wichtig – bei kurzwirksamem Insulinanalogon<br />

wird empfohlen, nach 60 bis 90 Minuten zu messen, bei Normalinsulin<br />

nach ca. 2 Stunden. Wesentlich ist für den pp-Wert neben dem glykämischen Index<br />

und der Insulinsorte auch der Zeitpunkt der Bolusabgabe, d.h. der Drück-Ess-Abstand,<br />

und die Abgabegeschwindigkeit des Bolusinsulins, z.B. verzögerte Bolusabgabe mit<br />

der Insulinpumpe D-TRONplus, der Minimed 508 oder der Minimed Paradigm.<br />

209


12. Ernährung<br />

12.7 Hoher Eiweißanteil<br />

Meist wird bei der Berechnung des Nahrungsbolus auf die Eiweißmenge der Speisen<br />

keinerlei Wert gelegt; es ist nicht üblich, neben dem BE-Faktor einen »Eiweißfaktor«<br />

zu berücksichtigen. Praktische Erfahrungen zeigen jedoch, dass dies in Einzelfällen<br />

sinnvoll sein kann. Es macht bei vergleichbarer Kohlenhydratmenge einen gewissen<br />

Unterschied hinsichtlich des Blutzuckerverhaltens, ob der Eiweißanteil in der Nahrung<br />

gering ist (vegetarische Gerichte, überwiegend Obst und Gemüse), oder ob der Gehalt<br />

an tierischem Eiweiß sehr hoch ist (viel Fleisch, wenig Beilagen). Häufig kommt es nach<br />

dem Verzehr von Speisen, die reich an tierischem Eiweiß sind, nach 2 - 6 Stunden zu einem<br />

zusätzlichen Blutzuckeranstieg. Der Nahrungsbolus ist entsprechend zu erhöhen,<br />

die Insulinwirkkurve ist zu beachten – bei Verwendung von kurzwirksamem Insulinanalogon<br />

ist mitunter ein Bolussplitting zweckmäßig.<br />

Es ist zwar nicht üblich, aber mitunter hilfreich, eine »PE« (= Proteineinheit = Eiweißeinheit)<br />

zu definieren: Darunter versteht man die Menge an tierischem Eiweiß, die annähernd<br />

den gleichen blutzuckererhöhenden Effekt hat wie eine BE Kohlehydrate.<br />

Eine »PE« entspricht etwa 30 - 40 g tierischem Eiweiß. Der Eiweißgehalt in pflanzlichen<br />

Produkten kann in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. Der eiweißbedingte<br />

Blutzuckeranstieg tritt meist erst einige Stunden nach dem Essen auf, dies ist<br />

beim Zeitpunkt der Bolusabgabe zu beachten. Auch hier gilt wieder: Dran denken,<br />

ausprobieren und persönliche Erfahrungen sammeln.<br />

210<br />

Kennzeichen einer gesunden Ernährung<br />

ist auch, dass der Eiweißanteil in den<br />

Speisen nicht zu hoch ist. Empfohlen<br />

wird für Erwachsene eine tägliche Eiweißmenge<br />

von 60-80 g (0,8-1,0 g pro<br />

kg Körpergewicht). Dieser Anteil wird in<br />

der deutschen Bevölkerung wegen des<br />

hohen Fleisch- und Wurstkonsums oft<br />

deutlich überschritten. Dadurch wird die<br />

Entwicklung einer diabetischen Nierenschädigung<br />

gefördert und der Verlauf einer<br />

bereits bestehenden Nierenerkrankung<br />

ungünstig beeinflusst. Somit lohnt<br />

es sich, die Menge an tierischem Eiweiß<br />

in den Speisen zu beachten.<br />

12.8 Alkohol<br />

12. Ernährung<br />

Es gibt keine rationalen Gründe, Menschen mit <strong>Diabetes</strong> wegen ihrer Erkrankung den<br />

Alkoholgenuss zu verbieten. Aus den gleichen Gründen wie ein Stoffwechselgesunder<br />

kann ein Diabetiker Alkohol trinken: weil es schmeckt, weil es in Gesellschaft üblich<br />

ist, kurz, weil es Wohlbefinden und Lebensqualität steigert. Es bestehen grundsätzlich<br />

die gleichen Gefahren wie bei einem Nicht-Diabetiker: Kontrollverlust bei übermäßigem<br />

»Saufen«, Organschädigungen, Abhängigkeit mit finanziellen und sozialen Problemen.<br />

Moderater Alkoholkonsum, d.h. ca. 20 g täglich für den Mann und etwa 10 g täglich<br />

für die Frau, scheint ein Schutzfaktor hinsichtlich Gefäß-Erkrankungen zu sein. Die<br />

Menge von 20 g reinem Alkohol ist enthalten in ca. 200 ml Wein bzw. in ca. 400 ml<br />

normalem Bier.<br />

An dieser Stelle appellieren wir bewusst und eindringlich an die Eigenverantwortung<br />

sowie an die Selbstkritik des Einzelnen. Diese Ausführungen dürfen und sollen kein<br />

Freibrief für einen unüberlegten Alkoholgenuss sein.<br />

Für insulinspritzende Diabetiker allerdings kommt es durch alkoholhaltige Getränke<br />

zu einer zusätzlichen, unerwünschten Gefahr: teilweise schwer abschätzbare Einflüsse<br />

auf den Blutzuckerverlauf mit der Möglichkeit einer verspätet auftretenden Blutzuckersenkung<br />

und somit einer erhöhten Unterzuckerungsgefahr (siehe Kap 11.5.7).<br />

Es ist empfehlenswert, dass ein Insulinpumpenträger mit seinen Lieblingsgetränken<br />

individuelle Erfahrungen macht. Ein gezielter, wiederholter »Bier-, Schoppen- oder<br />

Sekttest« mit anschließendem Messen und Beobachten der Blutzuckerentwicklung<br />

hat schon manchem Diabetiker neue Erkenntnisse und mehr Sicherheit gebracht.<br />

Eine weitere unangenehme Begleiterscheinung eines übermäßigen Alkoholkonsums<br />

ist der Kalorienaspekt. Es besteht die Gefahr von Übergewicht mit den bekannten negativen<br />

Folgen. Zur Erinnerung: Ein Gramm Alkohol enthält sieben Kilokalorien.<br />

Ein Extremfall soll nicht unerwähnt bleiben: Der Alkoholrausch. Diese Situation kann<br />

gerade für einen Insulinpumpenpatienten äußerst gefährlich werden; zum einen wegen<br />

der erhöhten Unterzuckerungsgefahr mit Hilflosigkeit (die Insulinpumpe gibt<br />

dann weiterhin Insulin ab, wegen des eingeschränkten Denkvermögens besteht die<br />

Möglichkeit der falschen Boluswahl); zum anderen deshalb, weil eine Unterzuckerung<br />

selbst mit einem rauschähnlichen Zustand einhergehen kann, der von der Umgebung<br />

leicht fehlinterpretiert wird. Für diese außergewöhnliche Situation unser Tipp: Falls<br />

ein »Besäufnis« aufgrund von sozialen Gegebenheiten nicht unwahrscheinlich erscheint,<br />

oder wenn ein Insulinpumpenträger seine diesbezügliche Schwäche kennt, ist<br />

vorher Sorge dafür zu tragen, dass ein guter Vertrauter über die Problematik eines<br />

Alkoholrausches bei Insulinbehandlung Bescheid weiß und gegebenenfalls geeigne-<br />

211


12. Ernährung<br />

te Schritte unternehmen kann. Für Diabetiker mit bekannter Alkoholabhängigkeit<br />

kommt eine Insulinpumpenbehandlung allerdings nicht in Frage.<br />

Vermehrter Alkoholgenuss ist als eine Sondersituation zu bewerten. Für besondere<br />

Gegebenheiten hat die allgemeine Empfehlung Gültigkeit: Anheben des Blutzuckerzielbereiches,<br />

strikte Vermeidung einer Unterzuckerung. Vorsicht ist angezeigt bei Alkoholkonsum<br />

am Abend – es besteht eine erhöhte nächtliche Unterzuckerungsgefahr.<br />

Dies trifft insbesondere zu für sportliche Aktivität nach Feierabend mit anschließendem<br />

Alkoholgenuss.<br />

12.9 Übergewicht<br />

Eine zu kalorienreiche Ernährung ist in einer Wohlstandsgesellschaft ein großes Problem.<br />

Ein Buchtitel bringt es auf den Punkt: Viele Menschen sind »krank im Schlaraffenland«.<br />

Übergewicht ist häufig und weit verbreitet; es hat zahlreiche ungünstige<br />

Auswirkungen, insbesondere auf das Gefäßsystem und auf den Bewegungsapparat.<br />

Die Insulinpumpenbehandlung mit der Möglichkeit der unproblematischen Insulinabgabe<br />

zu jeder Zeit und an jedem Ort verleitet zu einem vermehrten Essen nach<br />

Appetit, die Schwelle zu einem ungesunden und kalorienreichen Ernährungsstil ist<br />

gering.<br />

Andererseits erhöht eine zu straffe Blutzuckereinstellung die Häufigkeit von Unterzuckerungen.<br />

Häufige »Zwang-BE’s« führen zu einer tendenziellen Gewichtszunahme.<br />

Überzählige Pfunde sind bei Diabetikern bekanntermaßen nachteilig: die Insulinempfindlichkeit<br />

verschlechtert sich, der Insulinbedarf steigt an, d.h. eine größere<br />

Basalrate und eine höhere Bolusgabe werden notwendig. In der Regel kommt es mit<br />

Erhöhung des Körpergewichts auch zu einer zunehmenden Blutzuckerinstabilität.<br />

Daneben ist Übergewicht ein eigenständiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />

Es trägt zusätzlich zu einer Verschlechterung von anderen Risikofaktoren bei:<br />

Blutdruck und Blutfette steigen ebenfalls an und erhöhen die Gefahr von schwerwiegenden<br />

Gefäßkrankheiten. Die Häufigkeit von Herzinfarkt und Schlaganfall wird mit<br />

zunehmendem Körpergewicht größer.<br />

Eigene Beobachtungen stützen diese Thesen. Wir haben über 100 Typ-1-Diabetiker<br />

mit einer mehr als 30-jährigen <strong>Diabetes</strong>dauer auf den Zusammenhang zwischen Folgekrankheiten<br />

und allgemeinen Risikofaktoren untersucht und befragt. Der Anteil<br />

derjenigen, bei denen trotz relativ langer Krankheitsdauer noch keine Folgeerkrankungen<br />

nachweisbar waren, betrug etwa 20 %. Diese Gruppe ohne jegliche Hinweise<br />

auf ein diabetisches Spätsyndrom hatten im wesentlichen folgende Gemeinsamkeiten:<br />

Nichtraucher, sehr gute Blutfette, keine erhöhten Blutdruckwerte, regelmäßige<br />

körperliche Aktivität. Keiner von ihnen war übergewichtig. Eine gewisse genetische<br />

212<br />

Schutzkomponente ist allerdings zu<br />

vermuten.<br />

Hier ist wieder die Eigenverantwortung<br />

jedes einzelnen Insulinpumpenträgers<br />

gefragt. Er ist aufgefordert,<br />

seine individuellen Schutzund<br />

Risikofaktoren kennenzulernen.<br />

Dann sollte er selbst entscheiden,<br />

was ihm wichtig ist.<br />

12. Ernährung<br />

Neben der <strong>Diabetes</strong>erkrankung und<br />

dem Übergewicht sind folgende sogenannte<br />

Risikofaktoren ungünstig<br />

für die Gefäße: Bewegungsmangel,<br />

Rauchen, Bluthochdruck, erhöhte<br />

Blutfette, hoher LDL/HDL-Quotient<br />

(d.h. ungünstiges Verhältnis zwischen<br />

»schlechtem« und »gutem«<br />

Cholesterin) sowie vermutlich eine<br />

skeptische, feindselige Lebensgrundhaltung<br />

und eine stärkere Stressbelastung. Als direkt nicht beeinflussbare Risikofaktoren<br />

sind zu nennen: männliches Geschlecht, Alter und gehäuftes Auftreten von<br />

Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Familie.<br />

Günstige Schutzfaktoren hinsichtlich des Auftretens von gefäßbedingten Erkrankungen<br />

sind neben normnaher Blutzuckereinstellung und Normalgewicht: regelmäßige<br />

körperliche Aktivität, gesunde Ernährung, Nichtrauchen und eventuell moderater Alkoholgenuss.<br />

Auch scheinen harmonische soziale Beziehungen, eine stabile, glückliche<br />

Partnerschaft sowie eine realistische, von Zuversicht geprägte Lebenseinstellung<br />

vorteilhaft zu sein. Ein nicht zu unterschätzender, allerdings nicht beeinflussbarer<br />

Schutzfaktor ist das günstige Erbgut: Hohes Lebensalter von Eltern und Verwandten<br />

1. Grades, familiär kein oder seltenes Auftreten von Gefäßleiden.<br />

12.10 Essstörung<br />

Nach unseren Erfahrungen ist suchthaft gestörtes Essverhalten bei Insulinpumpenträgern<br />

nicht selten – von einer gewissen Dunkelziffer mit bisher unbekannten Essstörungen<br />

ist auszugehen. Eine Übergewichtigkeit muss keinesfalls immer vorliegen.<br />

Stark schwankende Blutzuckerwerte, große Nahrungsboli in den Abendstunden, des<br />

öfteren deutlich erhöhte Blutzuckerwerte vor dem Schlafengehen ohne offensichtliche<br />

Ursache sowie untypisch hohe Basalraten in der ersten Nachthälfte stützen einen<br />

213


12. Ernährung<br />

eventuellen Verdacht. Klassische Essstörungen wie Anorexia nervosa (Schlankheitswahn)<br />

bzw. Bulimie (bewusstes Erbrechen nach Nahrungsaufnahme) sind bei Insulinpumpenträgern<br />

eher selten, sie werden meist auch als Kontraindikation einer Insulinpumpenbehandlung<br />

aufgelistet.<br />

Zu starre Ernährungsvorschriften können einen übermäßigen Drang und eine nicht<br />

beherrschbare Gier nach Süßem (»Verbotenes reizt«) auslösen und sich zu einem unkontrollierten,<br />

suchthaften Verhalten ausweiten. Dabei sind bekanntlich strikte Verbote<br />

bezüglich Essen und Trinken bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nicht angezeigt<br />

und keinesfalls mehr zeitgemäß.<br />

Insulinpumpenträgern mit bisher verheimlichter Essproblematik empfehlen wir dringend,<br />

sich einen Arzt oder Psychologen ihres Vertrauens zu suchen, damit sie geeignete<br />

Hilfe erhalten können. (Siehe auch »Psychotherapieführer für Menschen mit <strong>Diabetes</strong>«<br />

im Abschnitt 15.2).<br />

Bei geplantem Beginn einer Insulinpumpenbehandlung wegen stark schwankender<br />

Blutzuckerverläufe ist beim Abwägen des Für und Wider einer Insulinpumpen-Therapie<br />

auch an die Möglichkeit einer Essproblematik zu denken. Unerkannte Essstörungen<br />

mit dadurch »schwer einstellbarem« <strong>Diabetes</strong> verleiten immer wieder dazu, die<br />

technisch optimale Therapieform, nämlich eine Insulinpumpe zu wählen; das wesentliche<br />

Problem des psychisch bedingten suchthaften Essverhaltens bleibt dabei nicht selten<br />

unerkannt. Nach anfänglichen »Scheinerfolgen« ist ein Scheitern der Insulinpumpen-Therapie<br />

meist vorprogrammiert. Zu Beginn kann mit der Insulinpumpe eine<br />

Essstörung leicht verschleiert werden, später kommt es in Einzelfällen immer wieder<br />

zu einer Verstärkung der Essproblematik. Menschen mit gestörtem Essverhalten, die<br />

bereits mit einer Insulinpumpe behandelt werden, benötigen gleichermaßen eine verständnisvolle<br />

sowie kompetente diabetologische Betreuung und parallel dazu eine intensive<br />

sowie gute psychotherapeutische Behandlung.<br />

214<br />

13. Weitere Hinweise<br />

13.1 Irrtümer und Mythen<br />

Immer wieder werden Meinungen vertreten, die für eine angemessene Behandlung<br />

mit der Insulinpumpe nicht hilfreich sind. Teils führen sie zu einem unüberlegten und<br />

schematischen Handeln, teils bedingen sie unnötig einengende Verhaltensvorschriften,<br />

teils missachten sie die besonderen Möglichkeiten einer flexiblen Insulinpumpenbehandlung,<br />

teils gehen sie von unangebrachten Zielvorgaben aus.<br />

Uns ist in diesem Zusammenhang der Hinweis wichtig, mehr den Erfolg als Maßstab<br />

für das Handeln zu nehmen und sich weniger nach starren Empfehlungen zu richten,<br />

die in der Regel individuelle Besonderheiten zu wenig berücksichtigen. Auch sei uns<br />

die provokative Behauptung erlaubt: Nicht alles, was angebliche »Insulinpumpenfachleute«<br />

behaupten, muss im Einzelfall richtig sein. Eine gewisses Skepsis sowie ein<br />

gesunder Menschenverstand sind meist vorteilhaft. Dies bezieht sich auch auf unsere<br />

Aussagen in diesem Buch.<br />

<strong>Mit</strong> Hilfe einer sinnvoll eingesetzten Blutzuckerselbstkontrolle kann in vielfacher Hinsicht<br />

einfach und schnell beurteilt werden, ob das eigene Vorgehen erfolgreich war<br />

oder nicht. Zugegeben, ein solches Konzept ist nicht immer ganz unproblematisch.<br />

Beispielsweise ist unklar, welche konkreten Zielbereiche für den Blutzucker im Tagesverlauf<br />

anzustreben sind und welche HbA 1c -Werte erreicht werden sollten. Deshalb<br />

gleich ein erster Mythos:<br />

»Je niedriger der HbA 1c -Wert, desto besser«<br />

Diese Aussage ist richtig, wenn nur das Risiko für Folgeerkrankungen bedacht wird,<br />

wenn also der Blick ausschließlich in die Zukunft gerichtet ist. Wesentlich sind aber<br />

auch die Unterzuckerungsproblematik und die persönliche jetzige Lebensqualität, d.h.<br />

die Gegenwart ist genauso wichtig. Den Diabetiker interessiert nicht nur: »<strong>Mit</strong> welchen<br />

Folgeerkrankungen muss ich rechnen? Wie kann ich sie vermeiden?« Für ihn ist<br />

auch bedeutsam: »Wie stark werde ich heute in meinem Alltag durch die <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />

beeinträchtigt?«<br />

Werden die Zielbereiche für Blutzucker und HbA 1c zu niedrig angesetzt, erhöht sich<br />

das Risiko für eine Hypoglykämie, der Behandlungsaufwand steigt notwendigerweise,<br />

das momentane Wohlbefinden wird geringer. Als abstraktes Ziel lässt sich formulieren:<br />

Möglichst normnahe Blutzuckereinstellung bei gleichzeitig hoher Lebensqualität und<br />

seltenen Unterzuckerungen. Der optimale Zielbereich des Blutzuckers und des HbA 1c -<br />

Wertes wird dabei individuell verschieden sein, er wird von dem gut informierten, eigenverantwortlich<br />

handelnden Patienten im wesentlichen selbst festgelegt.<br />

215


13. Weitere Hinweise<br />

»Die Insulinbehandlung mit der Insulinpumpe ist besser als mit der Spritze«<br />

Diese Aussage trifft für viele Typ-1-Diabetiker zu, insbesondere für diejenigen ohne<br />

körpereigene Restfunktion. Sie gilt keinesfalls für die überwiegende Mehrzahl der insulinbehandelten<br />

Typ-2-Diabetiker, bei denen weniger der Insulinmangel als vielmehr<br />

die gestörte und abgeschwächte Insulinwirkung (Insulinresistenz) im Vordergrund<br />

steht. Diese Patientengruppe ist meistens übergewichtig; eine Verringerung des Körpergewichts<br />

führt in der Regel zu einer Verbesserung der Insulinempfindlichkeit und<br />

sollte deshalb wesentliches Behandlungsziel sein. Dies gelingt freilich unter einer Insulinpumpen-Therapie<br />

nur sehr selten. Der Beginn einer Insulinpumpenbehandlung<br />

muss im Einzelfall kritisch überdacht werden. Die Entscheidung wird vom Patienten<br />

nach ausführlicher Beratung durch ein kompetentes <strong>Diabetes</strong>-Team gefällt. Die individuellen<br />

Vor- und Nachteile sind abzuwägen, aber auch die gesetzlichen Vorgaben zur<br />

Kostenübernahme sind zu beachten. Der langfristige Erfolg einer Insulinpumpenbehandlung<br />

wird in erster Linie durch das Engagement des Patienten bestimmt.<br />

»Eine Insulinpumpenbehandlung ist einfach und bequem«<br />

Dies ist richtig, wenn die Art der Insulinabgabe beschrieben wird. Wie mehrfach betont,<br />

ist es unabdingbar, dass der Insulinpumpenträger »Spezialist in eigener Sache«<br />

ist. Dazu sind notwendig: viel Wissen, ständiges <strong>Mit</strong>denken, eine gute Beobachtungsgabe,<br />

angemessene Kritikfähigkeit und eine große Lernbereitschaft. Vom Insulinpumpenträger<br />

ist eine erhebliche Eigenbeteiligung zu fordern – nicht finanzieller Art, sondern<br />

in Form von aktivem <strong>Mit</strong>denken. Dann wird sich eine Insulinpumpenbehandlung<br />

langfristig für alle Beteiligten lohnen, auch die deutlichen Mehrkosten sollten vertretbar<br />

sein.<br />

»Die Insulinpumpenbehandlung verbessert immer die Blutzuckereinstellung«<br />

Dies ist zutreffend, wenn es gelingt, mit der Insulinpumpe als Hilfsmittel die Insulinabgabe<br />

dem Bedarf optimal anzupassen. Für die Steuerung sind jedoch Menschen verantwortlich:<br />

der Insulinpumpenträger und das ihn betreuende <strong>Diabetes</strong>-Team. Dabei<br />

werden immer wieder Fehler gemacht. Es gibt Einzelfälle, in denen es trotz Insulinpumpen-Therapie<br />

zu einer Verschlechterung der Stoffwechselsituation und zu einem<br />

Anstieg des HbA 1c -Wertes kommt. Oft wären solche Entwicklungen bei mehr Erfahrung<br />

und mehr Sorgfalt bei der Patientenauswahl zu vermeiden gewesen, z.B. bei<br />

sozialen Konfliktsituationen, depressiven Erkrankungen, fehlender Krankheitsakzeptanz,<br />

Essstörungen, Suchtverhalten, aber auch bei ungenügender Insulinpumpenschulung.<br />

216<br />

»Mein Hausarzt weiß über Insulinpumpenbehandlung nicht Bescheid«<br />

Es kann nicht Aufgabe eines Allgemeinarztes oder auch eines Internisten ohne<br />

Schwerpunkt Diabetologie sein, sich in die Besonderheiten einer Insulinpumpen-Therapie<br />

einzuarbeiten. Geeignete Ansprechpartner für Insulinpumpenträger sind Diabetologen<br />

und <strong>Diabetes</strong>-Teams, die mit dieser Behandlungsform eine umfangreiche Erfahrung<br />

haben.<br />

»Mein Insulinpumpenzentrum muss rund um die Uhr für mich<br />

telefonisch erreichbar sein«<br />

Jeder Insulinpumpenträger kann in eine Situation kommen, in der er kurzfristig mit<br />

der Insulinpumpenbehandlung nicht weiter weiß. In solchen Fällen ist es ohne Zweifel<br />

hilfreich, wenn er sich sofort an eine kompetente Stelle wenden kann. Dies ist jedoch<br />

keinesfalls absolut notwendig. Falls ein Insulinpumpenbezogenes Problem auftaucht,<br />

für das der Insulinpumpenträger keine Lösung weiß, gilt die Empfehlung, Katheter<br />

und Insulinpumpe zu entfernen und mit Spritze bzw. Pen weiter zu behandeln. Dies<br />

setzt voraus, dass ein Insulinpumpenträger die Prinzipien der intensivierten Insulintherapie<br />

(ICT) beherrscht und eine ausreichende Vorerfahrung mit dem Basis-Bolus-<br />

Konzept besitzt. Deshalb ist vor Beginn einer Insulinpumpen-Therapie ein mindestens<br />

6-monatige Behandlungsphase mit ICT dringend anzuraten.<br />

»Meine BE-Faktoren und Korrekturzahlen muss<br />

der <strong>Diabetes</strong>fachmann festlegen«<br />

Es ist von Vorteil, wenn das Betreuungsteam zu Beginn einer Insulinpumpenbehandlung<br />

Anhaltspunkte zur Bolusgabe vorgibt. Dabei sind die Erfahrungen des<br />

Diabetikers unter der Spritzentherapie zu berücksichtigen. Solche Vorgaben sind jedoch<br />

nicht »in Stein gemeißelt«. Sie sind vom Insulinpumpenträger immer wieder kritisch<br />

zu hinterfragen und müssen von Zeit zu Zeit, meist in kleinen Schritten, aufgrund<br />

der eigenen Erfahrungen unter Insulinpumpenbehandlung geeignet angepasst werden.<br />

»Für eine mehrtätige Insulinpumpenpause muss das Behandlungsteam<br />

einen Plan für die Spritzen- bzw. Pentherapie erstellen«<br />

13. Weitere Hinweise<br />

Es ist hilfreich, sich im voraus bei geplantem Ablegen der Insulinpumpe über mehrere<br />

Tage Gedanken zu machen, welches Insulin-Spritz-Regime und wie viele Einheiten an<br />

Kurzzeitinsulin bzw. an Verzögerungsinsulin zweckmäßig sein könnten. Hierbei kann<br />

das <strong>Diabetes</strong>team wertvolle Tipps geben. Entscheidend aber ist, dass der Insulinpumpenträger<br />

selbst durch Nachdenken und Ausprobieren herausfindet, welches Konzept<br />

nach dem Umsetzen auf Spritzen-/Pen-Behandlung einigermaßen erfolgreich ist. Das<br />

217


13. Weitere Hinweise<br />

Wissen über die Wirkprofile von Kurzzeit- und Verzögerungsinsulin ist hierbei eine<br />

entscheidende Voraussetzung.<br />

»Die Richtigkeit der Basalrate muss regelmäßig durch Fastentests überprüft werden«<br />

Das Auslassen von Mahlzeiten kann eine Hilfe sein, das angemessene Basalratenprofil<br />

zu ermitteln. Da der Bedarf an basalem Insulin, wie mehrfach ausgeführt, gewissen<br />

Schwankungen unterliegt – Stichwort: wechselnde Insulinempfindlichkeit –, kann jede<br />

einprogrammierte Basalrate nur näherungsweise richtig sein. Viel wichtiger und für<br />

die Praxis bedeutsamer ist:<br />

● Bei ausgeglichenem Lebensstil (übliches Essen und Trinken, keine vermehrte körperliche<br />

Aktivität, keine Sondersituation) beinhaltet die 24-stündige Basalratenmenge<br />

ungefähr die Hälfte des Tagesgesamtinsulins.<br />

● Zwischen Höhe der stündlichen Basalrate, BE-Faktor und Korrekturzahl besteht<br />

meistens ein gewisser Zusammenhang (vgl. Abschnitt 3.2.4, insbesondere Abb. 24).<br />

218<br />

»Zwischen zwei aufeinanderfolgenden Bolusgaben müssen<br />

mindestens zwei Stunden vergangen sein«<br />

13. Weitere Hinweise<br />

<strong>Mit</strong> dieser Anweisung soll eine Bolusüberlappung möglichst vermieden werden. Wenn<br />

ein Insulinpumpenträger über die Wirkdauer seines Insulins gut Bescheid weiß und sie<br />

entsprechend einkalkuliert, wird er die Bolusgaben so setzen, wie er sie braucht. Im<br />

konkreten Fall heißt das: Wenn etwas besonders gut schmeckt und man mehr davon<br />

essen möchte, wird dafür ein zusätzlicher Bolus abgegeben – unabhängig davon,<br />

wann der vorhergehende gesetzt wurde.<br />

»Bei einem Blutzuckerwert über 250 mg/dl muss immer Azeton überprüft werden«<br />

Eine deutliche Blutzuckererhöhung mit Werten über 250 mg/dl kann Ausdruck einer<br />

beginnenden ketoazidotischen Entgleisung sein. In solchen Fällen hilft die Azetonbestimmung<br />

im Urin bzw. im Blut weiter. Falls für den zu hohen Blutzuckerwert eine naheliegende<br />

Ursache sehr wahrscheinlich ist (z.B. Fehleinschätzung der Nahrung, vorherige<br />

Bolusabgabe vergessen, Bolus zu gering gewählt), genügt es, sofort einen geeigneten<br />

Korrekturbolus zu setzen. Der Blutzucker sollte nach ca. 2 - 4 Stunden erneut<br />

überprüft werden. Wenn der Messwert immer noch über 250 mg/dl liegt, könnte es<br />

sich doch um eine drohende Ketoazidose handeln, somit ist dann die Azetontestung<br />

unbedingt erforderlich.<br />

»Bei einem Blutzuckerwert über 250 mg/dl<br />

ist jegliche körperliche Aktivität verboten«<br />

Wenn ein Insulinmangel die Ursache für die deutliche Blutzuckererhöhung ist, muss<br />

körperliche Aktivität auf jeden Fall unterbleiben, denn bei einer Insulinminderversorgung<br />

verschlechtert sich die Stoffwechselsituation unter Muskeltätigkeit. Wenn allerdings<br />

durch entsprechende Insulingabe und durch ein negatives Ergebnis beim Azetontest<br />

gewährleistet ist, dass eine beginnende ketoazidotische Entgleisung nicht zu<br />

befürchten ist, kann körperliche Aktivität erfolgen. Allerdings sollte der Blutzucker<br />

nach 2-3 Stunden erneut gemessen werden.<br />

»Wenn das Blutzuckermessgerät eine Speicherfunktion hat,<br />

ist das Aufschreiben der Ergebnisse überflüssig«<br />

Das Überdenken der Blutzuckerwerte ist wesentlich, um die Bolusabgabe richtig zu<br />

steuern und die persönlichen Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Dabei sind die Rahmenbedingungen<br />

(Essen und Trinken, Bewegung, Besonderheiten) wichtig. Diese sollten<br />

in einer aussagekräftigen Dokumentation enthalten sein. Zumindest zur Beurteilung<br />

von Sondersituationen ist sie empfehlenswert. Die Erfahrung zeigt: Gut eingestellte<br />

Diabetiker verzichten selten auf eine übersichtliche Dokumentation der<br />

Messergebnisse und wichtiger zusätzlicher Informationen.<br />

219


13. Weitere Hinweise<br />

13.2 Was ein Insulinpumpenträger unbedingt beachten sollte<br />

In der Insulinpumpen-Therapie gibt es nur wenige, zwingend einzuhaltende, verbindliche<br />

Vorschriften. Beispiele für absolute Handlungsanweisungen sind:<br />

● Kein Wechsel der Insulinpatrone bei liegendem Katheter.<br />

● Nach Katheterwechsel sicherstellen, dass der Schlauch gefüllt ist und die Insulinpumpe<br />

im »Run-Modus« ist.<br />

● Bei Verdacht auf eine Unterzuckerung sofort handeln, nämlich Zufuhr von »schnellen<br />

Kohlehydraten«.<br />

● Geeignete »Not-BE« müssen stets griffbereit sein.<br />

● Vor länger andauernder körperlicher Aktivität muss stets überlegt werden, wie<br />

eine Hypoglykämie vermieden werden kann.<br />

● Bei positivem Azetonnachweis keine körperliche Aktivität.<br />

● Bei Unwohlsein, Bauchbeschwerden, Erbrechen und einem Blutzuckerwert über<br />

250 mg/dl muss Azeton überprüft werden.<br />

● Regelmäßige BZ-Kontrolle.<br />

13.3 Erhebliche Blutzuckerschwankungen<br />

Bei Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> kann der tatsächliche Bedarf an Insulin trotz großer<br />

Sorgfalt und ausgefeilter Anpassungsschemata nur näherungsweise ermittelt werden.<br />

Deshalb lassen sich stärkere Blutzuckerschwankungen nicht immer vermeiden, mehr<br />

oder weniger deutliche Abweichungen vom wünschenswerten normnahen Zielbereich<br />

müssen in Kauf genommen werden. Es ist wie beim Bogenschießen auf eine Zielscheibe:<br />

Trotz aufrichtigen Bemühens trifft man nur selten ins Schwarze, eine gewisse<br />

Streubreite bei den Ergebnissen ist üblich und normal, durch systematisches Training<br />

kann die Trefferquote verbessert werden.<br />

In diesem Zusammenhang ist wichtig: Welche Begleitumstände können Ursache für<br />

eine überdurchschnittliche Stoffwechsellabilität mit übermäßigen Schwankungen der<br />

Blutzuckerwerte sein? Als Gründe dafür sind zu nennen:<br />

● Ungenügendes Wissen des Insulinpumpenträgers: Er ist über Insulinbedarf und Insulinwirkung<br />

schlecht informiert; er kennt den Einfluss von Essen und Trinken auf<br />

den Blutzuckerverlauf zu wenig; er weiß nicht ausreichend Bescheid über körpereigene<br />

Regulationsmechanismen, die für die Blutzuckersteuerung von Bedeutung<br />

sind, wie z.B. Verdauungsvorgänge, Leberstoffwechsel, hormonelle Einflüsse.<br />

● Die Insulinabgabe entspricht nicht dem tatsächlichen Bedarf: Das Basalratenprofil<br />

ist falsch; die Festlegung der Insulinboli ist nicht zweckmäßig (BE-Faktoren und<br />

Korrekturzahlen sind nicht richtig); das Dosisanpassungsschema wird zu starr gehandhabt<br />

und nicht kritisch hinterfragt.<br />

220<br />

13. Weitere Hinweise<br />

● Es bestehen erhebliche Mängel bei der Stoffwechselselbstkontrolle: Die Blutzukkermessung<br />

erfolgt zu selten, sie ist ungenau; die Messergebnisse werden nicht<br />

systematisch dokumentiert und analysiert; stärkere Abweichungen vom Zielwert<br />

werden zu wenig überdacht.<br />

● Die Häufigkeit von Unterzuckerungen ist relativ hoch: Der Blutzuckerzielbereich ist<br />

zu niedrig gewählt; Vermeidungsstrategien für eine Hypoglykämie werden nicht<br />

beachtet; im Falle einer Unterzuckerung erfolgt ein übermäßiges, unkontrolliertes<br />

Essen und Trinken; durch hormonelle Gegenregulation kommt es zu einem überschießenden<br />

Blutzuckeranstieg.<br />

● Stark wechselnde körperliche Aktivität ohne entsprechende Dosisanpassung kann<br />

die Blutzuckerstabilität stören: oft ist es schwierig, die angemessene Insulinmenge<br />

in der Blutbahn zu erahnen; nicht selten besteht eine Überinsulinierung; die Insulinempfindlichkeit<br />

kann sich während und nach körperlicher Tätigkeit verändern;<br />

eine eventuelle Entleerung von Glykogenspeichern in der Muskulatur und der<br />

»Muskelauffülleffekt« nach Belastung lassen sich kaum berechnen; bei relativem<br />

Insulinmangel kann es sogar zu einem Blutzuckeranstieg während körperlicher Aktivität<br />

kommen.<br />

● Große Freizügigkeit beim Essen und Trinken erschwert stabile Blutzuckerverläufe:<br />

Bei unbekannten Speisen und Getränken kann der Kohlenhydratanteil falsch geschätzt<br />

werden; auch an eine Essstörung ist zu denken; ein erhebliches Übergewicht<br />

verschlechtert die Insulinwirkung.<br />

● Eine fehlende bzw. mangelhafte Krankheitsakzeptanz verleitet zu einer gewissen<br />

Oberflächlichkeit: Die <strong>Diabetes</strong>erkrankung wird verdrängt; es besteht keine Bereitschaft<br />

zum eigenverantwortlichen Handeln; es werden unrealistische Einstellungsziele<br />

angestrebt.<br />

● Eine instabile psychische Situation bedingt nicht selten eine unausgeglichene<br />

Stoffwechselsituation: Vermehrter Stress, Ärger, Stimmungsschwankungen wirken<br />

sich ungünstig aus.<br />

● Die hormonelle Situation kann die Blutzuckerstabilität beeinflussen: Monatsblutung,<br />

Wechseljahre, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Cortisonbehandlung haben<br />

mitunter negative Auswirkungen auf den Blutzuckerverlauf.<br />

● Ein stark wechselnder Schlaf-Wach-Rhythmus kann sich ungünstig auswirken: der<br />

Tagesablauf ist sehr unregelmäßig; es wird im Schichtdienst gearbeitet; durch häufige<br />

Intercontinentalflüge kommt es immer wieder zu Zeitverschiebungen.<br />

● Das Ablegen der Insulinpumpe über einen längeren Zeitraum kann von Nachteil<br />

sein: Es erfolgt keine geeignete basale Insulinversorgung; es kann eventuell zu einem<br />

problematischen Druckabfall beim abkoppelbaren Katheter kommen.<br />

● Durch eine Magenentleerungsstörung oder begleitende Verdauungskrankheiten<br />

ist die Kohlenhydrataufnahme gestört bzw. nicht berechenbar.<br />

● Es liegt eine chronische Entzündung vor: z.B. eine Erkrankung der Nasennebenhöhlen,<br />

der Gallenblase, eine Bronchitis oder eine Polyarthritis.<br />

221


13. Weitere Hinweise<br />

222<br />

Weiterhin gibt es zahlreiche äußere Störfaktoren; diese können vom Insulinpumpenträger<br />

selbst beeinflusst werden, sie sind ihm jedoch häufiger nicht bewusst. Als Beispiele<br />

seien genannt:<br />

● Überkorrektur mit Insulin oder BE<br />

● Bolusgabe ohne Blutzuckerkontrolle<br />

● Kathetereinstichstelle in lipodystrophische Bezirke (Fettgewebsansammlungen)<br />

● zu lange Katheterliegedauer<br />

● Kohlehydratreiche Kost mit stark wechselndem glykämischen Index<br />

● sehr eiweißreiches Essen.<br />

Auch interne Störfaktoren können eine erhebliche Rolle spielen; diese sind durch körpereigene<br />

Regulationsmechanismen bedingt und sind vom Insulinpumpenträger nicht<br />

direkt beeinflussbar. Für den Blutzuckerverlauf können beispielsweise von Bedeutung<br />

sein:<br />

● Leberstoffwechsel (vgl. Abschnitt 3.1.3)<br />

● Autoregulation<br />

● Muskelauffülleffekt<br />

● verschlechterte Insulinempfindlichkeit vor der Periode<br />

● Alkoholverstoffwechselung<br />

● hormonelle Gegenregulation nach einer Unterzuckerung<br />

● circadiane Rhythmik<br />

● funktionelle Magenentleerungsstörung bei hohen Blutzuckerwerten<br />

● verschlechterte Insulinwirkung bei erhöhten freien Fettsäuren im Blut.<br />

Diese umfangreichen Aufstellungen – sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit<br />

– verdeutlichen die Komplexität und Störanfälligkeit der Blutzuckerregulation.<br />

Bei übermäßiger Stoffwechsellabilität sind eine Fülle von Ursachen zu bedenken.<br />

Meist sind mehrere Gründe in unterschiedlicher Ausprägung dafür verantwortlich.<br />

Gleichzeitig ist leicht nachvollziehbar, dass mit einer Insulinpumpenbehandlung nicht<br />

zwangsläufig eine langfristig ausgeglichenere Stoffwechseleinstellung auf normnahem<br />

Niveau zu erzielen ist.<br />

<strong>Mit</strong> Erkennen der Ursache für eine übermäßige Blutzuckerlabiltät wird meist bereits<br />

aufgezeigt, welche geeigneten Schritte als Gegenmaßnahme zu ergreifen sind. Diese<br />

können sein:<br />

● Beseitigung von Informationslücken und Wissensdefiziten<br />

● Zweckmäßige Dosisanpassungsregeln<br />

● Systematische Stoffwechselselbstkontrolle<br />

● Strategien zur Vermeidung von Unterzuckerungen<br />

13. Weitere Hinweise<br />

223


13. Weitere Hinweise<br />

● Konsequentes Überdenken der Blutzuckerverläufe, »PPL-System« als Hilfsmittel<br />

(siehe Abschnitt 3.3)<br />

● Mehr »Disziplin« beim Essen und Trinken<br />

● Stressabbau, Einüben eines Entspannungsverfahrens<br />

● Annehmen der Erkrankung als eine persönliche Herausforderung<br />

● Eventuell psychotherapeutische Behandlung<br />

● Mehr Regelmäßigkeit im Tagesablauf<br />

● Behandlung von Begleiterkrankungen<br />

Allerdings: Nicht immer sind die Gründe einer Blutzuckerlabilität offensichtlich. Nicht<br />

jede Ursache kann leicht und vollständig beseitigt werden. Bei einer ausgeprägten<br />

Magenentleerungsstörung beispielsweise ist ein einigermaßen stabiler Blutzuckerverlauf<br />

trotz großer Anstrengungen kaum erreichbar. Hormonelle Begleitumstände<br />

sind immer wieder schwer beeinflussbare Störfaktoren. Psychische Gegebenheiten,<br />

insbesondere persönlichkeitsbezogene Besonderheiten, erweisen sich meist als wenig<br />

veränderbar. Es gilt, Grenzen der Machbarkeit zu akzeptieren und sich immer wieder<br />

bewusst zu machen: Bei der Behandlung von Menschen mit <strong>Diabetes</strong> ist nicht alles beherrschbar,<br />

manches beim Blutzuckerverlauf ist nicht »logisch«, aber alles ist »biologisch«.<br />

In Abwandlung einer bekannten Lebensweisheit von Oettinger sind für einen Insulinpumpenträger<br />

drei Eigenschaften wünschenswert und vorteilhaft:<br />

Die Fähigkeit, den Blutzucker angemessen zu steuern,<br />

wo er beeinflusst werden kann.<br />

Die Gelassenheit, den Blutzuckerverlauf zu akzeptieren<br />

wo er nicht beeinflusst werden kann.<br />

224<br />

Die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.<br />

14. Krankheitsbewältigung<br />

Der angemessene Umgang mit dem <strong>Diabetes</strong> ist für jeden Betroffenen eine ständige<br />

Herausforderung, die einiges an Energie, aber auch einen gewissen Zeitaufwand abverlangt.<br />

Selbstverständlich sind dazu fundiertes und umfangreiches Wissen über die<br />

Krankheit im allgemeinen sowie über die insulinpumpentypischen Besonderheiten unabdingbar.<br />

Für eine gute Einstellung ist dies jedoch nicht ausreichend.<br />

Es gibt Insulinpumpenträger, die bestens informiert sind; sie kennen die neuesten Entwicklungen,<br />

sie haben für alle Probleme im Zusammenhang mit <strong>Diabetes</strong> eine plausible<br />

Erklärung, aber ihre Stoffwechselqualität ist objektiv gesehen unbefriedigend, z.B.<br />

HbA 1c über 8 % bzw. mehr als 30 % Übergewicht.<br />

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden in diesem Kapitel weitere wichtige Gesichtspunkte<br />

angesprochen, die für einen angemessenen Umgang mit der <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />

zweckmäßig und vorteilhaft sind. Jeder möge sich das herausnehmen, was<br />

für ihn persönlich hilfreich ist.<br />

Wir haben nicht wenige Insulinpumpenträger kennen gelernt, die mit ihrer Erkrankung<br />

im Alltag in bewundernswerter Weise zurecht kommen. Wer trotz des <strong>Diabetes</strong><br />

sich nicht wesentlich beeinträchtigt fühlt, wer einen großen Teil seiner Bedürfnisse<br />

und Wünsche verwirklichen kann, wer in seinem Wohlbefinden keine großen Zugeständnisse<br />

zu machen braucht, wer dabei meist gute Blutzuckerwerte und keine Unterzuckerungsproblematik<br />

hat, der braucht sich mit den Ausführungen dieses Kapitels<br />

nicht intensiver zu beschäftigen. Ansonsten laden wir dazu ein, sich einige alternative<br />

Gedanken über den Stellenwert der Erkrankung zu machen.<br />

14.1 Allgemeine Behandlungsziele<br />

Als allgemeine Ziele für eine gute Behandlung der <strong>Diabetes</strong>erkrankung lassen sich<br />

zwei wesentliche Gesichtspunkte nennen:<br />

Zum einen geht es um eine optimale Stoffwechselqualität mit individuellen, erreichbaren<br />

Zielvorgaben. Die persönliche Lebenssituation des Patienten und eventuelle Begleiterkrankungen<br />

sind dabei zu berücksichtigen. Beispielsweise werden in der Pubertät<br />

andere Blutzuckerverläufe zu tolerieren sein als während einer Schwangerschaft.<br />

Bei einer schmerzhaften Polyneuropathie ist eine bessere Blutzuckereinstellung anzustreben<br />

als z.B. bei einem Insulinpumpenträger, bei dem nach einer mehr als 30-jährigen<br />

<strong>Diabetes</strong>dauer keine Folgeerkrankungen nachweisbar sind, der aber gleichzeitig<br />

die Unterzuckerungen schlecht bemerkt.<br />

225


14. Krankheitsbewältigung<br />

Zum anderen ist ein möglichst großes subjektives Wohlbefinden für den Betroffenen<br />

wünschenswert. Eigene Bedürfnisse, individuelle Lebensziele und die Persönlichkeit<br />

des Patienten sind zu beachten. Jeder Insulinpumpenträger sollte die vielfältigen Möglichkeiten,<br />

aber auch die Grenzen der Behandlung kennen, um frei und eigenverantwortlich<br />

entscheiden zu können, was zu tun ist.<br />

14.2 Persönliche Bewertung<br />

Wie immer wieder betont, sollte jeder Mensch mit <strong>Diabetes</strong> seinen individuellen Weg<br />

im Umgang mit der Erkrankung finden. Der Insulinpumpenträger selbst legt fest, was<br />

ihm wichtig ist und was er bewusst in Kauf nimmt. Folgende Fragen wollen zum Nachdenken<br />

anregen:<br />

● Wie ist mein Wissensstand?<br />

● Welche persönlichen Ziele habe ich?<br />

● Welchen Stellenwert messe ich der Krankheit zu?<br />

● Was kann ich schon gut?<br />

● Wo habe ich noch Defizite?<br />

● Was möchte ich anders machen?<br />

● Was will ich bewusst beibehalten?<br />

Beschäftigen Sie sich von Zeit zu Zeit mit solchen Fragen. Scheuen Sie sich nicht, Ihre<br />

Antworten gelegentlich aufzuschreiben. Dann fällt es leichter, Veränderungen bei sich<br />

wahrzunehmen. Probieren Sie es einfach aus.<br />

Ein sehr empfehlenswertes Buch bringt es mit dem Titel »<strong>Diabetes</strong> ist meine Sache«<br />

auf den Punkt. Es enthält hilfreiche Denkanstöße im Umgang mit der chronischen<br />

Krankheit. Der Autor Axel Hirsch ist Psychologe mit verhaltenstherapeutischem<br />

Schwerpunkt, er ist Betroffener (Typ-1-Diabetiker) und arbeitet seit vielen Jahren als<br />

Therapeut in einem <strong>Diabetes</strong>-Schulungsteam. Das Buch spiegelt seine vielfältigen Erfahrungen<br />

wider. Jeder an <strong>Diabetes</strong> erkrankte Mensch sollte dieses Buch gelesen haben,<br />

um selbst herauszufinden, inwieweit es ihm nützt.<br />

14.3 Realistische Sichtweise<br />

Für einen konstruktiven Umgang mit der <strong>Diabetes</strong>erkrankung ist es wichtig, die<br />

tatsächlichen Gegebenheiten zu erfassen und sie zu respektieren. »Anerkennen, was<br />

ist« stellt eine wichtige Voraussetzung zur Krankheitsbewältigung dar. Wie sieht nun<br />

die Realität für einen Insulinpumpenträger aus?<br />

● Tatsache ist, dass zu wenig bzw. meist kein Insulin mehr in der Bauchspeicheldrüse<br />

gebildet wird. Trotz Insulinpumpenbehandlung wird Insulin nicht wie beim Gesun-<br />

226<br />

14. Krankheitsbewältigung<br />

den in das Pfortadersystem bedarfsgerecht abgegeben, sondern es gelangt über<br />

das Unterhautfettgewebe – die »falsche Stelle!« – in den Blutkreislauf.<br />

● Tatsache ist, dass der Diabetiker selbst mit seinem »Kopf« die mangelnde Funktion<br />

der Bauchspeicheldrüse ersetzen muss. Dabei geht es darum, mit viel Cleverness die<br />

körpereigenen Regulationsmechanismen möglichst gut nachzuahmen.<br />

● Tatsache ist, dass die Blutzuckerselbstkontrolle ein wichtiges Hilfsmittel darstellt.<br />

Sie erfolgt allerdings nur punktuell und hat eine methodenbedingte Ungenauigkeit.<br />

● Tatsache ist, dass die natürlichen Steuerungsvorgänge für den Blutzucker sehr<br />

komplex sind. Nicht alle Zusammenhänge sind bekannt, geschweige denn mit einfachen<br />

<strong>Mit</strong>teln messbar. Es gilt, Grenzen der Machbarkeit zu erkennen und zu respektieren.<br />

● Tatsache ist, dass der individuelle Insulinbedarf größeren Schwankungen unterliegt.<br />

Zudem sind die Reaktionsmuster von Patient zu Patient verschieden.<br />

● Tatsache ist, dass ein allzu dogmatisches Vorgehen bei der Behandlung ungeeignet<br />

ist. Die Anweisungen von <strong>Diabetes</strong>fachleuten sind immer wieder hinsichtlich Erfolg<br />

bzw. Misserfolg zu hinterfragen.<br />

● Tatsache ist, dass der täglich notwendige Zeitaufwand auch unter Insulinpumpenbehandlung<br />

durchschnittlich mindestens 20 Minuten erfordert. Die komplexe Aufgabe<br />

der Blutzuckersteuerung kann nicht einfach nebenbei erledigt werden.<br />

● Tatsache ist, dass Wissen, Erfahrung, Nachdenken und Ausprobieren wichtige Säulen<br />

der Behandlung sind; dies gilt für den Patienten, aber auch für den Therapeuten;<br />

für beide ist ein engagiertes Vorgehen wünschenswert.<br />

Der an <strong>Diabetes</strong> erkrankte Mensch, aber auch seine Berater sollten sich mit diesen<br />

Realitäten immer wieder auseinandersetzen und sie zur Grundlage ihres Handelns machen.<br />

14.4 Verhältnis Patient – Therapeut<br />

Nachdem in unserer Gesellschaft das autoritäre, diktatorische System im politischen<br />

sowie im familiären Bereich weitgehend abgeschafft wurde, ist es an der Zeit, dies<br />

auch bei der Behandlung von chronischen Krankheiten zu tun, d.h. die Beziehung zwischen<br />

Betroffenem und Therapeut sollte durch ein partnerschaftliches Vorgehen bestimmt<br />

sein. Der Patient besitzt die Entscheidungskompetenz, der <strong>Diabetes</strong>spezialist<br />

die Fachkompetenz.<br />

Ein zu sehr bewertendes oder gar verurteilendes Denken hat dabei keinen Platz. Beispielsweise<br />

gibt es keine »Diätsünden«, bestenfalls ungünstige und weniger geeignete<br />

Speisen und Getränke. Der Insulinpumpenträger ist nicht zum blinden Gehorsam<br />

gegenüber den ärztlichen Anweisungen verpflichtet, sondern er sollte von seinem<br />

Handeln selbst überzeugt sein. Der Betroffene legt fest, was ihm wichtig ist, welche<br />

227


14. Krankheitsbewältigung<br />

Regeln die Grundlagen seines Tuns sind. Er selbst entscheidet, er trägt aber auch die<br />

Verantwortung dafür, wenn er von allgemein bewährten Empfehlungen abweicht.<br />

Der Patient ist der »Bestimmer«. Dies setzt natürlicherweise voraus, dass der an <strong>Diabetes</strong><br />

erkrankte Mensch sehr gut informiert ist, damit er die Möglichkeiten, aber auch<br />

die Risiken seines Handelns kennt und damit er die Konsequenzen seines Tuns beurteilen<br />

kann.<br />

Der Therapeut sollte sich seine Rolle als engagierter Berater bewusst machen, er sollte<br />

seine Bemühungen darauf setzen, durch alltagsbezogene, phantasievolle und erlebnisorientierte<br />

Schulungsmaßnahmen den Patienten zu befähigen, das Wesentliche<br />

seiner Krankheit zu erkennen, darüber nachzudenken und dann angemessen zu handeln.<br />

Die <strong>Diabetes</strong>fachleute sind Berater und Begleiter, sie haben die Funktion eines<br />

»Wegweisers«, sie bieten ein hilfreiches und erprobtes Handwerkszeug zur Behandlung<br />

an, sie geben Erfahrungen weiter, sie informieren über die Gesetzmäßigkeiten<br />

der Natur und sie forschen mit wissenschaftlichen Methoden nach neuen Erkenntnissen.<br />

Sie sollten lernen, das Recht der Entscheidung, aber auch die Verantwortung für<br />

die Konsequenzen an den Patienten abzugeben. Zudem sollten sie auch die Chance<br />

nutzen, von den Betroffenen viele praktische Tipps zu erfahren, die sich im Alltag mit<br />

der Insulinpumpe als zweckmäßig erwiesen haben.<br />

14.5 Hilfreiche Einstellungen<br />

Manch einer mag sich nach diesen Ausführungen fragen, wie kann ich dies alles schaffen?<br />

Deshalb sollen einige alternative Denkanstöße gegeben werden, die mehr die gedankliche<br />

Einstellung zur Krankheit betreffen. Jeder möge sich sein eigenes Urteil<br />

dazu bilden.<br />

Manche Insulinpumpenträger meinen, es sei sehr wichtig, sich bei der Behandlung der<br />

<strong>Diabetes</strong>erkrankung möglichst absolut fehlerlos zu verhalten. Wer so denkt, macht etwas<br />

Bedeutsames falsch: Er wagt kaum etwas Neues, er geht kein Risiko ein. Aufgrund<br />

eines übertriebenen Sicherheitsbedürfnisses nimmt er sich die Chance, neue Erfahrungen<br />

zu machen, er kann die Vielfalt seines Handlungsspielraumes gar nicht kennen lernen.<br />

Hier ist Mut gefragt: Mut zum Risiko, Mut zum phantasievollen Handeln, Mut<br />

zum Experiment und Mut, andere Wege zu gehen.<br />

Wünschenswert ist ein diabetologisches Selbstbewusstsein, d.h. der Betroffene ist sich<br />

selbst darüber bewusst, welche Bedeutung die gestörte Insulinbildung für die Gesamtabläufe<br />

seines Körpers besitzt. Er ist sich darüber im klaren, dass er selbst mit<br />

seinem »Kopf« die Fehlfunktion der Bauchspeicheldrüse übernehmen muss. Dazu<br />

braucht er Wissen, Erfahrung, Nachdenken und Experimentierfreudigkeit. Er ist dazu<br />

aufgefordert, bewährtes Verhalten im Umgang mit seiner Erkrankung auch gegen-<br />

228<br />

14. Krankheitsbewältigung<br />

229


14. Krankheitsbewältigung<br />

über <strong>Diabetes</strong>fachleuten zu vertreten, deren Empfehlungen manchmal zu starr sind.<br />

Noch bedeutsamer ist es, sich gegenüber ärztlichem Personal zu behaupten, das über<br />

die Besonderheiten der Insulinpumpenbehandlung nicht Bescheid weiß.<br />

Erstrebenswert ist eine Haltung der Gelassenheit. Es geht darum, sich von der Erwartung<br />

zu lösen, alles im Griff haben zu können; es geht darum, die Dinge primär erst<br />

einmal so zu akzeptieren, wie sie sind; es geht darum zu erkennen, dass trotz größter<br />

Anstrengungen der Blutzuckerverlauf bei einem Diabetiker meist nicht so ausgeglichen<br />

sein kann wie bei einem Gesunden. Das kann auch bedeuten, sich einzugestehen,<br />

dass die Vorgaben von <strong>Diabetes</strong>fachgesellschaften im Einzelfall nicht immer eingehalten<br />

werden können. Wünschenswert ist eine befreiende Gelassenheit, die nicht<br />

mit Oberflächlichkeit, Gleichgültigkeit oder Gedankenlosigkeit verwechselt werden<br />

darf. Wer gelassen ist, gerät nicht in Panik, wenn Unerwartetes auftritt; er macht sich<br />

keine unnötigen Sorgen um Dinge, die er nicht beeinflussen kann; er hat keine übersteigerten<br />

Ängste vor Ereignissen, die außerhalb seines Gestaltungsspielraumes liegen.<br />

Gelassen zu bleiben bei den immer wieder neuen Überraschungen im Alltag eines<br />

Menschen mit insulinpflichtigem <strong>Diabetes</strong>, das ist in der Tat ein weites Übungsfeld<br />

und eine ständige Herausforderung.<br />

In einer Zeit, die mitunter von einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis und von einer<br />

pessimistischen Grundhaltung geprägt wird, sind gerade im Umgang mit einer<br />

chronischen Krankheit das Prinzip Hoffnung und eine große Portion Zuversicht notwendig.<br />

Ein Leben mit <strong>Diabetes</strong> muss kein Drama sein und endet heute meist eben<br />

nicht mit einer Katastrophe. Es gilt nur, die persönliche Herausforderung zu erkennen,<br />

sie anzunehmen, sich den Behandlungsempfehlungen zu stellen und seinen eigenen<br />

Weg zu finden. In den vergangenen Jahrzehnten wurden große Fortschritte gemacht.<br />

Blutzuckerselbstkontrolle, kompetente Patientenschulung, Insulinpumpenbehandlung,<br />

kurzwirksame Insulinanaloga seien als Stichworte genannt. An bahnbrechenden<br />

Erleichterungen wird intensiv geforscht, z.B. an der unblutigen Blutzuckerbestimmung<br />

oder am sog. Closed-loop-System mit der automatischen Blutzuckersteuerung.<br />

Vorteilhaft ist der Erfahrungsaustausch mit anderen Insulinpumpenträgern. Dadurch<br />

bekommt man Tipps und Anregungen, welche vielfältigen Lösungsmöglichkeiten es<br />

für Alltagssituationen im Leben eines »Pumpis« gibt. Man erfährt Neuigkeiten auf<br />

dem Hilfsmittelmarkt, man wird immer wieder motiviert, sich der nicht ganz leichten<br />

Herausforderung der <strong>Diabetes</strong>erkrankung zu stellen. Außerdem tut es meist gut, sich<br />

ungezwungen mit anderen Betroffenen zu unterhalten und Verständnis zu er<strong>leben</strong>.<br />

Eine immer wieder gestellte Frage ist, wie man eine solche Gruppe zum Erfahrungsaustausch<br />

findet. Primärer Ansprechpartner kann die Diabetiker-Selbsthilfegruppe vor<br />

Ort sein, weitere Möglichkeiten sind beim »Bundesverband Insulinpumpenträger e.V.«<br />

oder bei den »Insulinern« nachzufragen, eine andere Informationsquelle ist das Internet<br />

(Adressen siehe Kapitel 15.3), häufig kommt man diesbezüglich auch über Insulinpumpenambulanzen<br />

oder diabetologische Schwerpunktpraxen weiter. Wer Augen<br />

230<br />

14. Krankheitsbewältigung<br />

und Ohren offen hält, etwas Phantasie entwickelt und das Bedürfnis zum Erfahrungsaustausch<br />

mit Betroffenen hat, wird Möglichkeiten dazu finden.<br />

Erforderlich ist auch ein gewisser Spürsinn, wenn es darum geht, die körpereigenen<br />

Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Beispielweise können Situationen, die mit Ärger,<br />

Wut oder Kränkung verbunden sind, zu einer Blutzuckererhöhung führen. Dies kann<br />

von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. Jedem Insulinpumpenträger wird<br />

empfohlen, genau zu beobachten, persönliche Zusammenhänge zu erkennen und<br />

daraus erfolgreiche Handlungsanweisungen abzuleiten.<br />

Ohne Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit geht es nicht, wenn die »natürlichen Ordnungen<br />

im Chaos« der Blutzuckerverläufe herausgefunden werden wollen. Das Überdenken<br />

der Ergebnisse ist dabei unabdingbar; eine aussagekräftige und übersichtliche<br />

Dokumentation kann eine wertvolle Hilfe sein.<br />

231


14. Krankheitsbewältigung<br />

Wer die vielfältigen Anforderungen, welche die <strong>Diabetes</strong>behandlung den Betroffenen<br />

abverlangt, einigermaßen erfüllen will, braucht eine gute Portion Ausdauer, Energie<br />

und die Fähigkeit, enttäuschende Rückschläge zu ertragen. Wir kennen nicht wenige<br />

Insulinpumpenträger, die mit viel Schwung und Begeisterung ihre Insulinpumpenbehandlung<br />

begonnen haben. Doch nach einiger Zeit schwindet der Reiz des Neuen,<br />

Misserfolge stellen sich ein, und man erkennt: Auch mit Insulinpumpe ist das Leben<br />

mit <strong>Diabetes</strong> kein »Zuckerschlecken«; auch mit Insulinpumpe läuft nicht alles so, wie<br />

man es gerne hätte. Bei manch einem macht sich sogar Resignation breit, und es kommen<br />

Gedanken wie: »Es hat ja doch keinen Zweck, das schaffe ich nie«. Wer so oder<br />

ähnlich denkt, dem raten wir, seine Erwartungen und seine Zielvorgaben zu hinterfragen<br />

– sind sie der Wirklichkeit angemessen? Sind sie überhaupt erreichbar? Weiter<br />

möge er sich darüber im Klaren sein, dass ein erfülltes, erfolgreiches Leben meist mit<br />

Anstrengungen verbunden ist, und dass immer wieder ein gewisses Maß an Verzicht<br />

gefordert ist – Dinge, über die man in unserer heutigen »Spaßgesellschaft« kaum<br />

spricht und über die man nur selten nachdenkt. Es bringt nichts, irgendwelchen Illusionen<br />

nachzujagen, sondern es gilt, sich jeden Tag aufs Neue mit den momentanen<br />

Gegebenheiten auseinander zu setzen. »Ohne Fleiß kein Preis« und »Es ist noch kein<br />

Meister vom Himmel gefallen«, so lauten zwei alte Sprichwörter. Ähnlich einem angehenden<br />

Handwerksmeister, der lernt, übt, ausprobiert, neue Ideen entwickelt und dabei<br />

Durchhaltevermögen braucht, ist es für einen Insulinpumpenträger vorteilhaft,<br />

wenn er sich mit einer gewissen Beharrlichkeit der Realität stellt. Eine erfolgreiche<br />

Blutzuckersteuerung lässt sich auch mit einer Insulinpumpe nicht so einfach nebenbei<br />

erreichen. Es ist wünschenswert, trotz Enttäuschungen nicht aufzugeben, sondern immer<br />

wieder genügend Kraft für das »Handicap« <strong>Diabetes</strong> aufzubringen. Im »Lebensrucksack«<br />

eines Menschen mit <strong>Diabetes</strong> ist mit der chronischen Krankheit eine zusätzliche<br />

Last, die getragen werden muss. Mancher fühlt sich dabei überfordert, er empfindet<br />

sein Los als zu schwer, er leidet unter dem Druck. Wer dabei an eigene Grenzen<br />

stößt, sollte sich dies zugestehen und nicht zögern, geeignete Hilfen in Anspruch zu<br />

nehmen. Solche können sein: <strong>Mit</strong>betreuung durch Insulinpumpenerfahrene Fachleute,<br />

Erfahrungsaustausch mit Betroffenen, Heranziehen von geeigneten Informationsquellen<br />

wie Büchern, Zeitschriften, Internet. Nicht selten bringt auch eine stationäre<br />

<strong>Reha</strong>-Maßnahme in einer geeigneten Klinik wegweisende Unterstützung. Falls die<br />

<strong>Diabetes</strong>erkrankung psychisch als sehr belastend erlebt wird – immer wieder kommt<br />

es auch zu depressiven Erscheinungsbildern – sollte man sich nicht scheuen, eine geeignete<br />

psychotherapeutische Unterstützung zu suchen.<br />

Wünschenswert ist weiterhin eine Offenheit für Neues. Manch einer ist im Trott der<br />

Gewohnheiten erstarrt. Hier heißt es, die eigene Vorgehensweisen selbstkritisch mit<br />

einem gewissen Abstand zu hinterfragen. Es geht darum, sich immer wieder über aktuelle<br />

Entwicklungen zu informieren, sich von hilfreichen Ideen inspirieren zu lassen<br />

und vorteilhafte Verhaltensweisen einzuüben.<br />

232<br />

14. Krankheitsbewältigung<br />

Ein Insulinpumpenträger sollte sich darin üben, gut zu sich selbst zu sein. Nachsicht<br />

und Geduld sind gefragt. Manch einer beschimpft sich stattdessen innerlich, wenn einmal<br />

etwas schief läuft und der Blutzucker nicht im wünschenswerten Bereich liegt.<br />

Nicht selten ist ein hartherziges »Über-Ich« beherrschend, das jegliches Fühlen, Denken<br />

und Handeln wie ein strenger Richter beurteilt und das schnell ein unangenehmes<br />

schlechtes Gewissen hervorruft. Eine übermäßige Strenge zu sich selbst wird gelegentlich<br />

durch <strong>Diabetes</strong>fachleute verstärkt, die zu sehr auf den Blutzuckerverlauf und<br />

auf den HbA 1c -Wert fixiert sind. Grenzen der Machbarkeit sind zu erkennen und zu<br />

akzeptieren, ohne dass sich unangenehme Gefühle des Versagens entwickeln. Jeder<br />

Insulinpumpenträger darf Schwächen haben und unvollkommen sein. In gleicher Weise<br />

muss ein Therapeut nicht alles wissen und können.<br />

In manchen Situationen ist eine gewisse Großzügigkeit beim Handeln angezeigt. Ein<br />

Beispiel möge verdeutlichen, was gemeint ist: Üblicherweise wird empfohlen, vor jeder<br />

Mahlzeit den Blutzucker zu messen. Insbesondere bei beruflichen Gegebenheiten,<br />

z.B. bei einem Geschäftsessen, bei dem die Teilnehmer in der Regel über die <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />

nicht informiert sind, kann von dieser Empfehlung durchaus abgewichen<br />

werden. Der Sinn der Blutzuckerkontrolle vor der Bolusgabe besteht vor allem<br />

darin, entscheiden zu können, ob Korrekturinsulin notwendig und welcher Drück-Ess-<br />

Abstand zweckmäßig ist. Zur Festlegung des Nahrungsbolus ist der aktuelle Blutzuckerwert<br />

von geringerer Bedeutung. Bei unserem Beispiel des Geschäftsessens ist<br />

also folgendes Vorgehen vertretbar: Piepstöne abschalten, Nahrungsbolus nach Schätzung<br />

der BE-Menge abgeben, großzügig Bolussplitting anwenden. Die Blutzuckerkontrolle<br />

wird erst gegen Ende der Wirkdauer des benutzten Pumpeninsulins durchgeführt,<br />

d.h. bei kurzwirksamem Insulinanalogon nach ca. 3 Stunden, bei Normalinsulin<br />

nach ca. 5 Stunden. Sollte der Blutzucker früher ermittelt werden, ist ein gewisser<br />

Wirkungsüberhang des Insulins zu beachten. Wer als Insulinpumpenpatient über den<br />

Sinn von Verhaltensempfehlungen Bescheid weiß, kann im Einzelfall von der üblichen<br />

Vorgehensweise durchaus abweichen und seinen eigenen Stil entwickeln. Dies ist freilich<br />

kein Freibrief zur Schlamperei.<br />

Wünschenswert sind schließlich Weisheit und Klugheit. Weisheit ist notwendig, um<br />

realistisch einschätzen zu können, was beeinflussbar ist und was nicht verändert werden<br />

kann. Weise ist es zum Beispiel, während eines fieberhaften Infekts einen größeren<br />

Schwankungsbereich des Blutzuckers auf leicht erhöhtem Niveau ohne schlechtes<br />

Gewissen zu tolerieren. Klugheit ist erforderlich, wenn es darum geht, im Alltag Entscheidungen<br />

zu treffen, welche die jeweiligen Gegebenheiten berücksichtigen. Auf<br />

das obige Beispiel der Infektsituation angewandt, würde dies bedeuten, den Blutzucker<br />

häufiger zu ermitteln und ggf. kleine Mengen an Korrekturbolus zu verabreichen.<br />

Klug ist, wem es gelingt, sein Wissen und seine Erfahrungen so in Handlungen<br />

umzusetzen, dass das eigene Tun der Wirklichkeit angemessen ist.<br />

233


14. Krankheitsbewältigung<br />

Die umfassenden Ausführungen in diesem Abschnitt erheben keinen Anspruch auf<br />

Vollständigkeit. Vielleicht haben Sie andere Erfahrungen gemacht. Es mag sein, dass<br />

für Sie wichtige Punkte nicht genannt wurden. Es würde uns freuen, wenn Sie uns Ihre<br />

persönliche Sichtweise, auch abweichende Bewertungen, mitteilen könnten. Die Bewältigung<br />

der <strong>Diabetes</strong>erkrankung lebt von der Vielfalt der Meinungen und Erfahrungen.<br />

Jeder Betroffene möge dabei seinen persönlichen Weg der Krankheitsbewältigung<br />

suchen und finden.<br />

234<br />

15. Weitere Informationen<br />

15.1 Adressen<br />

Insulinpumpenfirmen:<br />

Insulinpumpen H-TRONplus und D-TRONplus<br />

Vertrieb:<br />

Roche Diagnostics GmbH<br />

Sandhofer Straße 116<br />

D-68305 Mannheim<br />

Kundenservice Tel. 0180 2 000 412<br />

info@disetronic.de<br />

www.disetronic.de<br />

www.accu-chek.de<br />

Minimed 508, Minimed Paradigm:<br />

Medtronic Minimed<br />

Emanuel-Leutze-Str. 20, 40547 Düsseldorf<br />

Telefon: 02 11/52 93 370<br />

Service-Hotline: 0 800 /64 64 633<br />

www.minimed.de<br />

Selbsthilfegruppen<br />

Bundesverband Insulinpumpenträger e.V.<br />

Reinecke-Straße 31, 51145 Köln<br />

Telefon: 0 22 03 / 2 58 62<br />

www.insulinpumpenträger.de<br />

Deutscher Diabetiker Bund e.V.<br />

Danziger Weg 1, 58511 Lüdenscheid<br />

Telefon: 0 23 51/798 91 53<br />

www.diabetikerbund.de<br />

Insuliner Selbsthilfegruppen<br />

Kontaktadresse: Anneliese Kuhn-Prinz<br />

Narzissenweg 17, 57548 Kirchen-Frensburg<br />

Telefon: 0 27 41/93 00 40<br />

www.insuliner.de<br />

235


15. Weitere Informationen<br />

15.2 Literaturhinweise<br />

Insulinpumpenspezifische Literatur<br />

U. Thurm:<br />

Insulinpumpenfibel oder… bei Dir piept’s ja<br />

4. Auflage 2002, ISBN 3-936362-00-9<br />

(sehr anschauliche, gut verständliche Darstellung;<br />

zu beziehen über Roche Diagnostics, z. Zt. vergriffen, Neuauflage geplant)<br />

G. Lohmüller:<br />

Pumpentherapie<br />

Handbuch für Anwender und ihre Berater<br />

1. Auflage 2001, Kirchheim Verlag, Mainz<br />

ISBN 3-87409-347-6<br />

(praxisorientierte Darstellung mit vielen nützlichen Tipps)<br />

R. Zick, F. Schnitger:<br />

Insulin aus der Insulinpumpe<br />

Eine Anregung für die Praxis<br />

1. Auflage 2002 Kirchheim Verlag, Mainz<br />

ISBN 3-87409-350-6<br />

(komprimierte, wissenschaftlich fundierte Darstellung;<br />

eher für medizinisches Fachpersonal geeignet)<br />

Leben auf Pump:<br />

Erfahrungen und Informationen zur Insulinpumpen-Therapie<br />

1. Auflage 2002, Insuliner Verlag<br />

(viele praktische Tipps von Insulinpumpenträgern für Insulinpumpenträger)<br />

R. Renner et al.:<br />

Informationen zur Insulinpumpen-Therapie (CSII)<br />

2. Auflage, 2002, ISBN 3-936362-01-7<br />

(zu beziehen über Disetronic, primär für medizinisches Fachpersonal)<br />

E. Austenat:<br />

Das Insulinpumpenbuch<br />

1. Auflage 1998, Blackwell Verlag<br />

ISBN 3-89412-340-0<br />

(vor allem wissenschaftliche Informationen für medizinisches Fachpersonal)<br />

236<br />

Weitere Buchempfehlungen für Typ-1-Diabetiker<br />

G.-W. Schmeisl:<br />

Schulungsbuch für Diabetiker<br />

5. Auflage 2002, Gustav-Fischer-Verlag, ISBN 3-437-31170-0<br />

R. Jäckle, A. Hirsch, M. Dreyer:<br />

Gut <strong>leben</strong> mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />

Arbeitsbuch zur Basis-Bolus-Therapie<br />

4. Auflage 2000, Gustav-Fischer-Verlag, ISBN 3-437-21050-5<br />

A. Hirsch:<br />

<strong>Diabetes</strong> ist meine Sache<br />

2. Auflage 2001, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-37409-295-X<br />

U. Thurm:<br />

<strong>Diabetes</strong>- und Sportfibel<br />

4. Auflage 2003, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-338-7<br />

K. Howorka:<br />

Insulinabhängig? Funktioneller Insulingebrauch<br />

7. Auflage 2002, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-281-X<br />

C. Deparde:<br />

Ich bin Diabetikerin – und freue mich auf mein Kind<br />

Schwangerschaft und Familienplanung heute<br />

4. Auflage 2002, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-269-0<br />

G.Nuber, H. Hillenbrand:<br />

<strong>Diabetes</strong>-Journal – Das Buch<br />

Informationen, Adressen, Ansprechpartner<br />

Ausgabe 2003/2004, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-326-3<br />

H. Finck, L. Malcherczyk:<br />

<strong>Diabetes</strong> und Soziales<br />

Ratgeber zu sozialen Fragen bei <strong>Diabetes</strong> mellitus<br />

3. Auflage 2002, Kirchheim-Verlag, Mainz, ISBN 3-87409-331-X<br />

Kalorien mundgerecht:<br />

Praxisorientiertes Handbuch für das tägliche Essen und Trinken<br />

11. Auflage 2000, Umschau/Braus-Verlag, Frankfurt am Main,<br />

ISBN 3-8295-7117-8<br />

15. Weitere Informationen<br />

237


15. Weitere Informationen<br />

S.-D. Müller:<br />

BE-Tabelle mit zuckerhaltigen Lebensmitteln, Fertigprodukten,<br />

Fast-Food und exotischem Obst<br />

5. Auflage 2001, Insuliner-Verlag, Kirchen, ISBN 3-925618-04-X<br />

Psychotherapieführer für Menschen mit <strong>Diabetes</strong><br />

Herausgeber: <strong>Diabetes</strong> und Psychologie e.V.<br />

AG Psychologie und Verhaltensmedizin der DDG<br />

Vorsitzender: Dipl. Psych. B.Kulzer, <strong>Diabetes</strong>-<strong>Zentrum</strong>, 97980 <strong>Bad</strong> Mergentheim<br />

Zeitschriften für Diabetiker<br />

DIABETES- JOURNAL:<br />

Offizielles Organ Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Gesellschaft,<br />

Deutscher Diabetiker-Bund, Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Union<br />

Kirchheim-Verlag, Kaiserstr. 40, 55116 Mainz<br />

(2 kostenlose Probeausgaben über Verlegerdienst München<br />

Abo-Service, Postfach 1280, 82197 Gilching)<br />

www.diabetes-journal.de<br />

DIABETES LIVE:<br />

Zeitschrift für Benutzer einer Insulinpumpe von Roche Diagnostics (Disetronic)<br />

(zu beziehen über: Roche Diagnostics GmbH, Kundenservice Infusionssysteme,<br />

Hotline 0180 2 000 412 (6 Cent/Gespräch))<br />

SUBKUTAN:<br />

Zeitschrift der DDE Landesverbände Brandenburg, Hamburg,<br />

Schleswig-Holstein, Hessen, Nordrhein-Westfahlen, Thüringen,<br />

Bremen und des Bundesverbandes Insulinpumpenträger<br />

Kirchheim-Verlag, Kaiserstr. 40, 55116 Mainz<br />

(Zeitschrift für <strong>Mit</strong>glieder dieser Verbände kostenlos)<br />

INSULINER:<br />

Zeitschrift von Diabetikern für Diabetiker<br />

Kontaktadresse:<br />

Anneliese Kuhn-Prinz<br />

Narzissenweg 17, 57548 Kirchen-Frensburg<br />

www.insuliner.de<br />

238<br />

15.3 Hilfreiche Internetadressen<br />

Allgemeine Informationen<br />

www.insulinpumpen.de<br />

www.insulinpumpenträger.de<br />

www.diabetes.de<br />

www.diabetesweb.de<br />

www.diabetes-deutschland.de<br />

www.diabetes-news.de<br />

www.diabetes-forum.de<br />

www.disetronic.de<br />

Suchseiten für Diabetologen und Schwerpunktpraxen<br />

www.diabetesarzt.de<br />

www.schwerpunktpraxis.de<br />

www.diabsite.de/fachleute<br />

www.diabetesweb.de/adressen<br />

Gesellschaften, Verbände, Kliniken<br />

www.diabetes-union.de<br />

www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de<br />

www.BVKD.de<br />

www.diabetes-zentrum.de<br />

www.uni-duesseldorf.de/ddfi<br />

www.saaleklinik.de<br />

15. Weitere Informationen<br />

239


15. Weitere Informationen<br />

15.4 Insulinpumpennotfallausweise in verschiedenen Sprachen<br />

Für die Erstellung der Pumpennotfallausweise in den verschiedenen Sprachen möchten<br />

wir uns bei den aufgeführten Personen bedanken:<br />

● Arabisch: M. Morouj<br />

● Bulgarisch: Antonina Loppnow<br />

● Dänisch: Heike Speitz<br />

● Englisch: Barbara Bauer<br />

● Finnisch: Dr. Krauth<br />

● Französisch: Eva-Maria Petrik<br />

● Griechisch: Prof. Raptis<br />

● Hebräisch: Eva Rosenblatt<br />

● Holländisch: E. A. Sartorius<br />

● Indonesisch: Harry Suharkat<br />

● Italienisch: Frederiko Tosetto<br />

● Japanisch: Dr. Shigeo Kashiwagi<br />

● Griechisch: Prof. Raptis<br />

● Koreanisch: Yum-Ak Bauer<br />

● Polnisch: Eva Majewski<br />

● Portugiesisch: Anemaria Benevides-Werner<br />

● Rumänisch: Hans Welmann<br />

● Russisch: Natascha Schröder<br />

● Schwedisch: Dr. Armbrecht<br />

● Spanisch: Juan Osario<br />

● Türkisch: Dr. Tunali<br />

● Ungarisch: Dr. Roth<br />

240<br />

Arabisch<br />

Bulgarisch<br />

Dänisch:<br />

I nødstilfælde:<br />

15. Weitere Informationen<br />

Jeg er diabetiker og bliver behandlet met en insulinpumpe som punger insulin under<br />

huden gennem en slange. Skulle jeg være i forvirret tilstand eller bevidstløs har jeg<br />

formodentlig for lavt blodsukker. Træk venligst straks slangen og nålen ud eller klip<br />

slangen over direkte ved nålen. Send bud efter lægen og lad ham vide, at det drejer<br />

sig om en »bevidstløs diabetiker«.<br />

241


15. Weitere Informationen<br />

Deutsch<br />

Im Notfall:<br />

Ich bin Diabetiker und werde mit einer Insulinpumpe behandelt, die über einen<br />

Schlauch Insulin unter die Haut pumpt. Bei einem Verwirrtheitszustand oder einer<br />

Bewusstlosigkeit liegt bei mir wahrscheinlich eine Unterzuckerung vor. Bitte sofort<br />

Schlauch und Nadel herausziehen oder den Schlauch direkt an der Nadel durchschneiden.<br />

Arzt benachrichtigen mit dem Hinweis: »bewusstloser Diabetiker«.<br />

Englisch<br />

In Case of Emergency:<br />

I am a diabetic patient and I am treated with an insulin pump; this pump continuously<br />

delivers insulin by a thin catheter into my skin. In case of abnormal behaviour or<br />

a blackout I most probably suffer from hypoglycaemia. Please pull the catheter with<br />

the needle out of my skin or cut the catheter off directly at the needle. Please call a<br />

doctor immediately and let him know: »there is a diabetic patient with a blackout«.<br />

Finnisch:<br />

Hätätilanteessa:<br />

Minulla on sokeritauti ja minua käsitellään insuliinipumpulla, joka letkun kautta<br />

annostelee insuliinia ihon alle. Jos käyttäydyn sekavasti tai olen tajuton on ilmeisesti<br />

veren sokerin pitoisuus liian alhainen. Irroittakaa välittömästi letku ja neula tai leikatkaa<br />

letkun poikki neulan kohdalla. Kääntäytykää lääkärin puolen ja ilmoittakaa<br />

että kysymyksessä on tajuton diabeetikko.<br />

Französisch:<br />

Au Besoin:<br />

Je suis diabétique et je suis traité avec une pompe insuline conduisant – par un<br />

cathéter – de l’insulin sous ma peau. En cas de désorientation ou d’évanouissement,<br />

il s’agit probablement d’une hypoglycémie (quantité diminuée de glucose dans le<br />

sang). Veuillez immédiatement retirer le cathéter et l´aiguille ou couper le cathéter<br />

directement à l’aiguille. Veuiller informer sans délai un médecin en lui signalant:<br />

»diabétique évanoui«.<br />

242<br />

Griechisch:<br />

Hebräisch:<br />

15. Weitere Informationen<br />

243


15. Weitere Informationen<br />

Holländisch:<br />

S.O.S. in Noodgevallen:<br />

Ik heb diabetes en draag een insulinepomp. Door de aangesloten slang met naald<br />

geeft de insulinepomp kontinu insuline onder de huid af. Indien ik buiten bewustzijn<br />

raak, heb ik waarschijnlijk een hypoglykaemie (te laag bloedsuikergehalte) door een<br />

teveel aan insuline. Verwijder onmiddelijk de naald uit mijn huid. Wees niet bang<br />

het bloed niet. Waarschuw onmiddelijk een arts of een ambulance met de melding:<br />

»Hier is een bewusteloze diabetespatient«. Voor meer informatie: Zie mijn diabetesdagboek.<br />

Italienisch:<br />

In Caso di Emergenca:<br />

Sono un diabetico ed ho una pompa per l’insulina in dotazione, con la quale viene<br />

pompata insulina sotto la mia pelle, con l’aiuto di un piccolo catetere. In caso di uno<br />

stato confusionario mio oppure per una perdita dei sensi, molto probabilmente<br />

soffro di ipoglicamia (valori dello zucchero molto bassi). Per favore, in questo caso,<br />

togliere il catetere con l’ago dalla mia pelle, oppure tagliare il catetere direttamente<br />

in prossimità dell´ago. Chiamare immediatamente un medico con l´avviso:<br />

»diabetico svenuto«.<br />

Japanisch:<br />

244<br />

Koreanisch<br />

Norwegisch:<br />

I en nødsituasjon:<br />

15. Weitere Informationen<br />

Jeg er diabetiker og blir behandlet med en insulinpumpe som pumper insulin under<br />

huden gjennom en slange. I forvirret eller bevisstløs tilstand har jeg sannsynligvis<br />

for lavt blodsukker. Vennligst trekk slangen og nålen ut eller klipp slangen over<br />

direkte ved nålen. Kontakt lege og la ham vite at det dreier seg om en »bevisstløs<br />

diabetiker«.<br />

Polnisch:<br />

Pierwsza pomoc:<br />

Jestem chory na cukrzyce, posiadam insulin pompe, ktora przez żyłkę pod<br />

powtoka brzuszna dostarcza insuline. W przypadku otumanienia, albo<br />

nieprzytomnosci, jestem w stanie opadu cukru w organizmie. W tym przypadku<br />

należy natychmiast żyłkę i igłę z powłoki brzusznej wyciągność albo żyłkę przy<br />

igłę przeciąc. Natychmiast zawołać lekarza ze słowami »nieprzytomny cukrzyk«<br />

Portugiesisch:<br />

Em caso de emergência<br />

Sou diabético e tratado com uma bomba de insulina, que me transporta insulina<br />

através de um canudo ligado com uma agulha na minha pele (abdomen). Em caso<br />

de mal estar ou desmaio provavelmente estarei com hipoglicemia. Por favor retire<br />

rapidamente esse canudo com a agulha do meu corpo ou corte o canudo na altura<br />

da agulha. Por favor, chame um médico e informe: »Paciente diabético desmaiado«.<br />

245


15. Weitere Informationen<br />

Rumänisch<br />

In caz de necesitate<br />

Eu suf ~ ar de diabet și m ~ a tratez cu o pompit ~ a in insulin ~ a care prin intermediul unui<br />

furtunel pompeaz ~ a sub piele. In cazul unei st ~ ari de agitaţie sau leșin al organismului<br />

meu, cauza probalil ~ ava fi o insuficient ~ a de zah ~ ar. Va rog extrageţi – mi imediat<br />

furtunelul la nivelul siringa sau t ~ aiaţi furtunelul la nivelul siringii. Anunţaţi imediat<br />

medicul cu informaţia »Bolnav de diabet in stare de leșin«.<br />

Russisch:<br />

Schwedisch<br />

Vid nödfall:<br />

Jag är diabetiker och behandlas med en insulinpump, som pumpar insulin under<br />

huden genom en slang. Skulle jag komma i ett förvirrat tillstånd eller bli medvetslös<br />

har jag förmodligen ett för lågt blodsockervärde.<br />

Var vänlig och dra omedelbart ut slangen och nålen, eller klipp av slangen direkt vid<br />

nålen. Meddela omedelbart läkare att det finns en »medvetslös Diabetiker«.<br />

246<br />

Spanisch:<br />

En caso de Emergencia:<br />

15. Weitere Informationen<br />

Yo soy diabètico y estoy en tratamiento con una bomba de Insulina, ésta bomba<br />

continuamente la insulina en mi cuerpo a través de una manguerita i una aguja<br />

inyectada en mi cuerpo. En caso de confusión, pánico ó desmayo, es porque<br />

mi nivel de azúcar es muy bayo. Por favor desinyencte (saque) inmediatamente la<br />

manguerita i la aguja de mi cuerpo, ó corte la manguerita directamente sobre la<br />

aguja. Informe a un Médico inmediatamente con la noticia: »Diabético desmayado«<br />

»aqui hay un diabético en estado inconciente«.<br />

Türkisch:<br />

Acil durumda<br />

˛Seker hastasıyım ˙Ince bir Borulya deri altına Insülin veren bir Pompa ile tedavi<br />

görmekteyim.<br />

Anormal hareketlerde bulunmam veya kendimi kaybetme halim büyük bir olasılıkla<br />

Kann ˛sekerimin a˛sırı dü˛smü˛s olmasını ve Hypoglisemiye girmi˛s oldu˘gumu kanıtlar.<br />

Lütfen derhal ince boruyu ve ˙I˘gneyi deri altından çıkariniz veyahutta Boruyu ˙I˘gneyle<br />

ba˘glantısının oldu˘gu yerden kesiniz. Doktoru haberdar ediniz ve »kendini kaybetmi˛s<br />

˛Seker Hastası« demeyi unutmayınız.<br />

Ungarisch:<br />

Szükég esetén:<br />

Cukorbeteg vagyok és insulinadagoló készülékkel kezelnek, amelyik úgy müködik,<br />

hogy egy gumicsövön keresztül insulint pumpál a bör alá. Ha zavart vagy eszméletlen<br />

állapotban talál rám, akkor valószínüleg cukorhiányban vagyok. Kérem, hogy húzza<br />

ki a gummicsövet és a tüt, vagy vágja le a gumicsövet közvetlen a tü végén. Azután<br />

értesitsen lehetöleg azonnal egy orvost arrol, hogy egy eszméletlen cukorbeteget<br />

talált.<br />

247


15. Weitere Informationen<br />

15.5 Umrechnungstabelle für Blutzuckerwerte<br />

Umrechnungszahl 18, d.h.: ● mg/dl : 18 entspricht mmol/l<br />

● mmol/l x 18 entspricht mg/dl<br />

248<br />

mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl mmol/l<br />

40 2,2 98 5,4 156 8,7<br />

42 2,3 100 5,5 158 8,8<br />

44 2,4 102 5,7 160 8,9<br />

45 2,5 104 5,8 162 9,0<br />

46 2,6 105 5,8 164 9,1<br />

48 2,7 106 5,9 165 9,2<br />

50 2,8 108 6,0 166 9,2<br />

52 2,9 110 6,1 168 9,3<br />

54 3,0 112 6,2 170 9,4<br />

55 3,1 114 6,3 172 9,5<br />

56 3,1 115 6,4 174 9,7<br />

58 3,2 116 6,4 175 9,7<br />

60 3,3 118 6,5 176 9,8<br />

62 3,4 120 6,7 178 9,9<br />

64 3,6 122 6,8 180 10,0<br />

65 3,6 124 6,9 182 10,1<br />

66 3,7 125 6,9 184 10,2<br />

68 3,8 126 7,0 185 10,3<br />

70 3,9 128 7,1 186 10,3<br />

72 4,0 130 7,2 188 10,4<br />

74 4,1 132 7,3 190 10,5<br />

75 4,2 134 7,4 192 10,7<br />

76 4,2 135 7,5 194 10,8<br />

78 4,3 136 7,5 195 10,8<br />

80 4,4 138 7,7 196 10,9<br />

82 4,6 140 7,8 198 11,0<br />

84 4,7 142 7,9 200 11,1<br />

85 4,7 144 8,0 225 12,5<br />

86 4,8 145 8,0 250 13,9<br />

88 4,9 146 8,1 275 15,3<br />

90 5,0 148 8,2 300 16,6<br />

92 5,1 150 8,3 325 18,0<br />

94 5,2 152 8,4 350 19,4<br />

95 5,3 154 8,5 375 20,8<br />

96 5,3 155 8,6 400 22,2

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