Eine der größten <strong>und</strong> bedeutendsten Nutzergemeinden Die deutsche Gemeinde der Wissenschaftler, die Neutronen für ihre Forschung einsetzen, ist eine der größten Neutronennutzergemeinden weltweit, wie auch die Erhebung der ENSA im Jahre 1998 [8] belegt. Die in Abb. 4.1 gezeigte Aufteilung nach Nationen spiegelt die Verteilung wider, wie sie im ENSA-Bericht von 1998 angegeben wird. Die Werte dürften sich inzwischen leicht geändert haben, ohne jedoch obige Kernaussage zu berühren. Die Anzahl von Wissenschaftlern, die in der KFN-Datenbank registriert sind – dies sind deutsche Wissenschaftler im In- <strong>und</strong> Ausland <strong>und</strong> ausländische Wissenschaftler, die in Deutschland arbeiten - hat seit 1998 nochmals zugenommen <strong>und</strong> liegt inzwischen bei über 960. Auch die Nutzergemeinden in USA <strong>und</strong> Japan dürften angesichts der mit dem Bau der neuen Quellen SNS bzw. JSNS einhergehenden Aufbruchstimmung stark zugenommen haben, wozu uns allerdings keine aktuellen Daten vorliegen. GB 1200 F 600 E 150 NL 160 CH 300 I 130 D 800 HU 80 Abb. 4.1. Die anzahlmäßig größten Neutronennutzergemeinden in Europa [8] (Stand 1998). Zum Vergleich: In den USA gibt es gegenwärtig etwa 1000 Neutronennutzer. Wissenschaftliche Qualität Neben der überdurchschnittlichen Produktivität der deutschen Nutzerschaft, gemessen an der Anzahl der Publikationen, zeichnet sich Deutschland insbesondere durch eine Schule der Qualität <strong>und</strong> Kreativität in der Forschung mit Neutronen aus. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der hohen Zahl eingeladener Vorträge bei großen internationalen Konferenzen. Einen sehr guten Indikator für das wissenschaftliche Potential stellt die Belebung von Teildisziplinen durch neue mikroskopische Einblicke mit Hilfe der Neutronen dar. Beispiele für maßgebliche deutsche Beiträge sind: • Hochfeldmagnetismus, für den die Neutronenstreuung die wesentlichen mikroskopischen Informationen über Quantenphänomene, Struktur <strong>und</strong> Dynamik liefert. • Physik weicher Materie, etwa die mikroskopische Untersuchung von Polymerkonformation <strong>und</strong> Polymerdynamik mit Hilfe von Neutronenkleinwinkelstreuung <strong>und</strong> Spinecho-Spektroskopie. • Quantenzustände in Molekülkristallen, die erst mit Hilfe von Neutronen-Tunnelspektroskopie erforscht werden können. • Spontane Kernspinordnung bei tiefsten Temperaturen. Neutronen als „sanfte Sonde“ erlauben es, diese Strukturen, die nur bei sub-mK Temperaturen existieren, aufzuklären. • Magnetische Ordnungsphänomene <strong>und</strong> Domänenstrukturen in dünnen Schichten <strong>und</strong> Multilagen. • Fehlordnung <strong>und</strong> Diffusionsprozesse, z. B. bei Wasserstoff in Metallen. • Frustrierte magnetische Materialien von Spingläsern zu magnetischer „Ordnung durch Fehlordnung“, d. h. fl uktuationsinduzierter magnetischer Ordnung. • Aufklärung geodynamischer Prozesse mit Hilfe von Neutronentexturuntersuchungen. • Einsatz ultrakalter Neutronen in der Kern- <strong>und</strong> Teilchenphysik. Die Bearbeitung vieler dieser wissenschaftlichen Gebiete wurde ermöglicht durch die Entwicklung neuer Methoden, wie der Rückstreuspektroskopie (Quantentunneln, Diffusion), der Kleinwinkelstreuung (strukturelle Aspekte weicher Materie), der Streuung in extremer Probenumgebung (Hochfeldmagnetismus, Kernspinmagnetismus) oder der diffusen Neutronenstreuung, auch mit Polarisationsanalyse (strukturelle <strong>und</strong> magnetische Fehlordnung). Deutschland hat eine lange Tradition von wissenschaftsgetriebener Methodenentwicklung. Wichtige Beiträge zur Forschungsinfrastruktur Entsprechend der Größe <strong>und</strong> der Bedeutung der nationalen Nutzergemeinde spielt Deutschland eine herausragende Rolle bei der Bereitstellung von Forschungsinfrastruktur auf diesem Sektor. Zur Zeit werden in Deutschland vier Forschungsreaktoren betrieben; darüber hinaus ist Deutschland einer der drei Hauptpartner des ILL. In Zukunft werden zwar mit dem FRJ-2 am FZJ <strong>und</strong> voraussichtlich dem FRG-1 an der GKSS zwei wichtige Quellen wegfallen, aber die Stärkung des neuen Münchner Reaktors FRM-II durch die Repräsentanz der Helmholtz-Zentren stellt eine gewisse Kompensation für diesen Verlust dar. Deutschen Nutzern steht dann einerseits mit dem ILL die derzeit weltbeste Neutronenquelle, andererseits mit dem FRM-II die modernste kontinuierliche Quelle zur Verfügung. Daneben bleibt das HMI als zweites Nutzerzentrum mit einmaliger Probenumgebung bestehen. Bedeutung in der Methodenentwicklung Deutschland ist international eines der führenden Länder im Bereich Methodenentwicklung für die Forschung mit Neutronen. Diese Tradition baut auf der Philosophie des Altmeisters der Neutronenforschung, Heinz Maier-Leibnitz, auf, nach der eine Steigerung der Empfi ndlichkeit von Messapparaturen fast zwangsläufi g gr<strong>und</strong>legend neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Folge hat. Wichtige Komponenten <strong>und</strong> Instrumenttypen wurden in Deutschland entwickelt, die inzwischen weltweite Verbreitung gef<strong>und</strong>en haben <strong>und</strong> ohne die der Erfolg der Forschung mit Neutronen nicht möglich gewesen wäre. Bekannte Beispiele sind: • Die Erfi ndung der Neutronenleiter, die eine effi ziente Ausnutzung von Neutronenquellen durch den Bau von Instrumenten in externen Leiterhallen erst ermöglichten. • Die Entwicklung der Geschwindigkeitsselektoren, die es erlauben, gezielt Strahlen mit breiten Wellenlängenbändern zu erzeugen, wie sie etwa für die Kleinwinkelstreuung unerlässlich sind. Ultrahohe Drehzahlen bei Choppern für Flugzeitspektrometer konnten erst durch die Magnetlagertechnik realisiert werden. • Den Bau der ersten dedizierten Kleinwinkelanlage, ein Instrumententyp, der heute am meisten nachgefragt wird. Die jüngste Weiterentwicklung dieser Technik, hin zu immer höheren Aufl ösungen, erfolgte mit einer fokussierenden Kleinwinkelanlage ebenfalls in Deutschland. • Die Erfindung <strong>und</strong> Entwicklung der höchstaufl ösenden Rückstreuspektroskopie, die erst die Untersuchung von Quantentunneln in Molekülkristallen oder von langsamen Diffusionsprozessen ermöglicht. Die jüngste Entwicklung ist eine Phasenraumtransformation, die bedeutende Intensitätssteigerungen ermöglicht. • Die Optimierung von Target <strong>und</strong> Moderator für MW- Spallationsquellen. Die amerikanische <strong>und</strong> japanische Quelle SNS bzw. JSNS werden nach dem Vorbild der ESS Projektstudie - unter hoher Beteiligung deutscher Wissenschaftler - gebaut. • Effi zienzsteigerung von Spallationsquellen durch die Nutzung von langen Pulsen mit Hilfe des „Wellenlängen-Multiplexing“. • Einführung des multispektralen Extraktionssystems bzw. untermoderierter kalter Quellen, um einen besonders breitbandigen Neutronenstrahl zu erzeugen. • Die Einführung von hyperpolarisiertem 3 He-Gas als Polarisationsfi lter in der Neutronenstreuung. Aufgr<strong>und</strong> der Kompetenz auf dem Gebiet des Instrumentenbaus sind deutsche Gruppen weltweit gefragte Partner beim Aufbau der Instrumentierung neuer Quellen, z. B. NIST, SNS, ISIS, LLB, PSI, BNC, FLNP. Umgekehrt sind die Instrumente an deutschen Quellen aufgr<strong>und</strong> ihrer Qualität von Forschern aus der ganzen Welt stark nachgefragt. Die EU Access Programme, die Nutzern aus europäischen Ländern den Zugang zu unserer nationalen Infrastruktur ermöglichen, sind an allen drei HGF Reaktoren stark überbucht. Gerade die in der Neutronenstreuung bedeutenden Nationen, wie USA, Frankreich, Großbritannien, Spanien oder Italien haben einen großen Anteil an der Nutzung (jeweils zwischen 5 % <strong>und</strong> 10 %). Netzwerke Aufgr<strong>und</strong> wissenschaftlicher Qualität <strong>und</strong> methodischer Kompetenz sind deutsche Gruppen gefragte Partner in internationalen Forschungsverbünden <strong>und</strong> Netzwerken, oft auch an führender Position. Beispielsweise spielt im EU „Network of Excellence“ SOFTCOMP, das der Erforschung von Kompositsystemen weicher Materie gewidmet ist, die Neutronenstreuung als Methode eine wichtige Rolle. Das Netzwerk wird von einer deutschen Gruppe koordiniert. Ähnliches gilt im Bereich der Methodenentwicklung. Unter dem Dach der EU-„Integrated Infrastructure Initiative for Neutron and Muon Science“ NMI3 ist nicht nur das ACCESS Programm beheimatet, an dem alle deutschen Zentren beteiligt sind. Vielmehr gibt es eine Reihe von methodenorientierten Forschungsnetzwerken, an denen deutsche Wissenschaftler großen Anteil haben <strong>und</strong> die teilweise von deutschen Gruppen koordiniert werden, wie z. B. bei der Detektorentwicklung oder den Methoden der polarisierten Neutronenstreuung. Ein Beispiel für ein weltweites Netzwerk ist ICANS (International Collaboration for Advanced Neutron Sources), bei dem deutsche Wissenschaftler Mitbegründer waren. Und nicht zuletzt trägt das KFN als nationale Nutzervertretung nicht nur wesentlich zur europäischen Nutzerorganisation ENSA (European Neutron Scattering Association) bei, sondern hat sie auch mitinitiiert. 62 Internationale Stellung 63
Nutzergemeinde, Zugang zu den Neutronenquellen <strong>und</strong> Forschungsförderung 64 65