Status und Perspektiven - SNI-Portal
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Korrelationen<br />
Kondensierte Materie besteht aus vielen Teilkomponenten,<br />
die auf verschiedenen Längen- <strong>und</strong> Zeitskalen<br />
miteinander in Wechselbeziehung treten. Diese Korrelationen<br />
sind letztendlich verantwortlich für das<br />
Zustandekommen der unzähligen Phänomene, die die<br />
kondensierte Materie auszeichnen. Neutronenstreuung<br />
zeichnet sich unter der Vielfalt der Methoden darin aus,<br />
dass sie direkt diese Korrelationen misst (der Neutronenstreuquerschnitt<br />
ist direkt proportional zu den raumzeitlichen<br />
Korrelationsfunktionen) <strong>und</strong> zwar auf allen<br />
relevanten Längen- <strong>und</strong> Zeitskalen!<br />
Typische gr<strong>und</strong>legende Fragestellungen,<br />
die es hier zu beantworten gilt, sind:<br />
• Wie können wir die vielskaligen Prozesse in fehlgeordneten<br />
oder amorphen Systemen - etwa den Glasübergang<br />
- beschreiben<br />
• Welche anderen Überraschungen halten die korrelierten<br />
Elektronensysteme noch für uns bereit, neben<br />
den Quanteneffekten der Supraleitung, des kolossalen<br />
Magnetowiderstands, der Magnetoelektrizität oder<br />
Quantenphasenübergängen<br />
• Können wir quantenmechanische Größen wie<br />
Elektronenspins <strong>und</strong> ihre Korrelationen so gezielt<br />
beeinfl ussen, dass wir Informationstransport, Infor-<br />
mationsspeicherung <strong>und</strong> Informationsverarbeitung<br />
realisieren können Kann die quantenmechanische<br />
Verschränkung zwischen Spinzuständen für die Realisierung<br />
eines Quantencomputers genutzt werden<br />
Stark korrelierte Elektronen<br />
Eine der großen Herausforderungen der modernen<br />
Festkörperforschung ist das Verständnis von starken<br />
elektronischen Korrelationen. Gerade auch für Anwendungen<br />
wichtige Phänomene können nicht innerhalb<br />
des „Standardmodells“ der Festkörperphysik erklärt<br />
werden. Die Festkörperforscher durchleben eine sehr<br />
aufregende Zeit, in der ständig neue Effekte entdeckt<br />
werden, die aufgr<strong>und</strong> von elektronischen Korrelationen<br />
zustande kommen. Diese Effekte lassen sich mit<br />
unserem einfachen Bild vom „Fermisee“ der Elektronen<br />
nicht beschreiben, geschweige denn vorhersagen.<br />
Beispiele hierfür sind:<br />
• Supraleitung mit höchsten kritischen Temperaturen<br />
(z. B. in YBa 2<br />
Cu 3<br />
O 7<br />
); prinzipiell nutzbar etwa zum<br />
verlustfreien Stromtransport <strong>und</strong> zur Erzeugung hoher<br />
Magnetfelder.<br />
• Multiferroischer Effekt (z. B. in HoMnO 3<br />
) mit ungewöhnlich<br />
starker gegenseitiger Beeinfl ussung<br />
zwischen Ferromagnetismus <strong>und</strong> ferroelektrischer<br />
Polarisation; Anwendungsperspektiven liegen z. B. im<br />
Bereich der magnetischen Datenspeicherung, beim<br />
Schalten einzelner Bits durch elektrische Felder.<br />
• Magnetokalorischer Effekt (beobachtet z. B. in<br />
MnFeP 0.45<br />
As 0.55<br />
oder Gd 5<br />
Ge 2<br />
Si 2<br />
), d. h. starke Temperaturänderung<br />
im äußeren Magnetfeld mit möglichen<br />
Anwendungen bei der hocheffi zienten, treibhausgasfreien<br />
magnetischen Kühlung.<br />
• Kolossaler Magnetowiderstandseffekt<br />
(z. B. in La 1-x<br />
Ca x<br />
MnO 3<br />
), d. h. starke Magnetfeldabhängigkeit<br />
des elektrischen Widerstands; nutzbar einerseits<br />
zur Detektion magnetischer Felder (Sensorik),<br />
andererseits etwa zur magnetischen Datenspeicherung<br />
in sogenannten MRAMS (Magnetoelektronik).<br />
Empfindliches Gleichgewicht<br />
Für die komplexen Metalloxide ist das Zusammenspiel<br />
zwischen den wechselwirkenden Spin-, Orbital-,<br />
Ladungs- <strong>und</strong> Gitterfreiheitsgraden charakteristisch.<br />
Schon eine kleine äußere Störung über elektrische oder<br />
magnetische Felder, Drücke, mechanische Spannungen,<br />
Temperatur etc. kann dieses empfi ndliche Gleichgewicht<br />
stören <strong>und</strong> zu einer großen makroskopischen<br />
Antwort des Systems führen, die z. B. für Sensorik oder<br />
Magnetoelektronik genutzt werden kann.<br />
Harte Nuss<br />
Die geistige Herausforderung, die das Verständnis dieser<br />
Phänomene stellt, wird deutlich, wenn man bedenkt,<br />
dass fast zwei Jahrzehnte nach der Entdeckung der<br />
Hochtemperatursupraleitung der Mechanismus dieses<br />
Phänomens, trotz intensivster Forschung von Tausenden<br />
von Wissenschaftlern weltweit, noch im Dunkeln<br />
liegt. Auch die Neutronenstreuung hat diese Nuss noch<br />
nicht geknackt. Sie hat jedoch harte quantitative experimentelle<br />
Fakten zu mikroskopischen Korrelationen<br />
<strong>und</strong> Fluktuationen von Gitter- <strong>und</strong> Spinfreiheitsgraden<br />
geliefert, an denen keine Theorie vorbeikommt <strong>und</strong><br />
die schwerlich mit anderen Methoden zugänglich sind.<br />
Beispiele hierfür sind:<br />
• die Bestimmung von struktureller Ordnung <strong>und</strong><br />
Fehlordnung: Die erste korrekte Strukturbestimmung<br />
an Hoch-T C<br />
Materialien wie YBa 2<br />
Cu 3<br />
O 7<br />
gelang<br />
mit Neutronenpulverdiffraktion. Die Cu-O-Ebenen<br />
wurden als das strukturelle Element identifi ziert, in<br />
dem der Ladungstransport stattfi ndet, eine essentielle<br />
Information für jede Modellierung. Im Vergleich<br />
zur Röntgenstrahlung sind Neutronen wesentlich<br />
empfi ndlicher auf die Position der relativ leichten<br />
Sauerstoffatome <strong>und</strong> können daher nicht nur die<br />
mittlere Struktur, sondern auch die Sauerstoffnahordnung<br />
bestimmen. Diese Information ist wichtig,<br />
um den Mechanismus der Ladungsdotierung der<br />
Äußere<br />
Felder /<br />
Parameter<br />
H<br />
EµTPd<br />
Hohe Empfindlichkeit<br />
Ladung<br />
Gitter<br />
wechselwirkende<br />
Freiheitsgrade<br />
Spin<br />
Orbital<br />
Komplexes kollektives<br />
Verhalten / neue<br />
Gr<strong>und</strong>zustände<br />
Ladungsordnung<br />
orbitale Ordnung<br />
Spinordnung<br />
Jahn-Teller Verzerrung<br />
Spin-Peierls Übergang<br />
Metall-Isolator Übergang<br />
Cooper Paare<br />
Orbital-/Spin-Flüssigkeit<br />
<br />
Neue Funktionalitäten<br />
Kolossaler Magnetowiderstand,<br />
Hochtemperatursupraleitung<br />
negative thermische<br />
Ausdehnung<br />
<br />
Kristallstruktur<br />
Phononen <strong>und</strong> Streifenordnung<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
k (r.l.u.)<br />
1<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,4<br />
0,2<br />
0<br />
Magnetische<br />
Anregungen<br />
E=75 meV<br />
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1<br />
h (r.l.u.)<br />
Abb 2.27. Schematische Darstellung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen verschiedenen Freiheitsgraden in<br />
korrelierten Elektronensystemen. Unter der Einwirkung äußerer Parameter werden vielfältige Quantenzustände <strong>und</strong> Funktionalitäten<br />
realisiert.<br />
Abb 2.28. Beispiele für wichtige Beiträge der Neutronenstreuung auf dem Gebiet der Hochtemperatursupraleitung.<br />
34 Korrelationen: korr. Elektronen 35