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Status und Perspektiven - SNI-Portal

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Polymerdynamik in der Schmelze<br />

Im zweiten Beispiel geht es um die Bewegung von<br />

Makromolekülen, genauer um die Polymerdynamik<br />

in der Schmelze. Von Theoretikern wurde eine<br />

schlangenartige Bewegung langer Kettenmoleküle, die<br />

so genannte Reptation, vorhergesagt. Zugr<strong>und</strong>e liegt<br />

diesem Modell die Idee, dass eine einzelne Kette in<br />

ihrer lateralen Bewegung durch topologische Wechselwirkung<br />

mit den Nachbarketten stark eingeschränkt ist.<br />

Diese Einschränkung wird in dem Reptationsmodell<br />

durch eine virtuelle Röhre repräsentiert, die der Kontur<br />

der beobachteten Kette folgt. Diese kann dann nur noch<br />

ihrer eigenen Kontur folgend entlang des Röhrenprofi ls<br />

diff<strong>und</strong>ieren. Diese sehr langsamen Bewegungen kann<br />

man ideal mit der Neutronenspinecho-Spektroskopie<br />

verfolgen, die direkt die Zeitentwicklung der Korrelationen<br />

misst. Für große Molekulargewichte wird De Gennes<br />

Reptationsmodell bestätigt (Abb. 2.18, oben). Durch<br />

Einsatz neuer, höchstaufl ösender Instrumente konnten<br />

Abweichungen von diesem Modell für kleine Molekulargewichte<br />

nachgewiesen werden. Wie Abb. 2.18<br />

S(Q,t) / S(Q)<br />

1,00<br />

0,75<br />

0,50<br />

0,25<br />

M w<br />

= 190 kg/mol<br />

0,00<br />

0 50 100 150<br />

1,00<br />

0,75<br />

0,50<br />

0,25<br />

M w<br />

= 12.4 kg/mol<br />

Zeit / ns<br />

0,00<br />

0 50 100 150<br />

Zeit / ns<br />

Abb. 2.18. Neutronenspinechodaten von Polyethylen<br />

bei 509 K.<br />

Oben: <br />

= 190 kg/mol, die Linien zeigen den Reptationsfit.<br />

Unten: <br />

= 12,4 kg/mol, die gestrichelten Linien zeigen<br />

Erwartung im Rahmen des Reptationsmodells, bei den<br />

durchgezogenen Linien sind die Konturlängenfluktuationen<br />

berücksichtigt.<br />

(unten) zeigt, ist dort das Plateau bei großen Zeiten weniger<br />

stark ausgeprägt. Der weitere Abfall deutet auf einen<br />

zusätzlichen Mechanismus, sog. Konturlängenfl uktuationen,<br />

hin. Das bedeutet, dass die Fluktuationen der<br />

Kettenenden mit wachsender Zeit zu einer Abnahme<br />

der effektiven Röhrenlänge <strong>und</strong> damit der topologischen<br />

Einschränkung führen. Die durchgezogenen Linien<br />

in Abb. 2.18 (unten) repräsentieren eine Anpassungsrechnung,<br />

deren Basis zwar das Reptationsmodell ist<br />

(gestrichelte Linien im Bild), die aber auch die Zeitabhängigkeit<br />

der Röhrenlänge berücksichtigt.<br />

Komplexe magnetische Phasen<br />

Die Wechselwirkungen zwischen magnetischen Momenten<br />

in kondensierter Materie führen zu einer<br />

Vielzahl unterschiedlichster magnetischer Strukturen.<br />

Neben einfacher ferromagnetischer Ausrichtung kann<br />

es bei antiferromagnetischer Wechselwirkung zu komplexen<br />

Anordnungen <strong>und</strong> Ausrichtungen der Momente<br />

kommen. Durch Variation der Temperatur, des externen<br />

Magnetfeldes <strong>und</strong> anderer Parameter kann man die<br />

magnetischen Ordnungszustände oft leicht modifi zieren.<br />

Neutronenstreuung ist die Methode der Wahl zur<br />

Untersuchung dieser magnetischen Phasen.<br />

„Frustrierte Magnete“<br />

Ein einfaches Beispiel der Ausbildung einer komplexen<br />

magnetischen Struktur ist das antiferromagnetische<br />

Dreiecksgitter. Platziert man auf zwei Ecken eines<br />

gleichschenkligen Dreiecks zwei Spins antiparallel,<br />

kann ein dritter Spin auf dem noch freien Platz nicht<br />

mehr gleichzeitig antiparallel zu den beiden anderen<br />

stehen. Diese sog. Frustration kann teilweise umgangen<br />

werden, wenn die Spinmomente in der Ebene bzw. im<br />

Raum beliebig einstellbar sind. Als Kompromiss bildet<br />

sich dann eine 120°-Struktur der Momentorientierung<br />

aus. Abb. 2.19 zeigt dies am Beispiel des Antiferromagneten<br />

CsMnBr 3<br />

, dessen Mn-Ionen das Dreiecksgitter in<br />

der hexagonalen Kristallebene bilden. Es verbleibt ein<br />

zweifach entarteter Gr<strong>und</strong>zustand: energetisch gesehen<br />

spielt es nämlich keine Rolle, ob ein benachbarter Spin<br />

nach links oder nach rechts um 120° gedreht ist. Sobald<br />

sich jedoch diese Drehrichtung (= Chiralität) ausgebildet<br />

hat, sind sämtliche Momentorientierungen im<br />

Kristall festgelegt. Unterhalb der antiferromagnetischen<br />

Ordnungstemperatur T N<br />

bilden sich an verschiedenen<br />

Stellen im Festkörper mehr oder weniger zufällig Bereiche<br />

unterschiedlicher Chiralität aus. Mit Hilfe polarisierter<br />

Neutronen können die relativen Anteile dieser<br />

Domänen im Kristall sichtbar gemacht <strong>und</strong> untersucht<br />

werden.<br />

Chiralen Domänen auf der Spur<br />

Die Größe <strong>und</strong> Verteilung der chiralen Domänen<br />

hängen vom Kristall, der Abkühlvorgeschichte <strong>und</strong> von<br />

externen Parametern, wie Torsion der Probe <strong>und</strong> elektrischen<br />

Feldern, ab. Für den Fall ungleicher Domänenpopulationen<br />

ergibt sich ein Unterschied in der Streuintensität,<br />

∆ I= I + - I - , der magnetischen Bragg-Reflexe für<br />

verschieden polarisierte Neutronen. So sind Neutronen<br />

mit einer Polarisation parallel zu einem magnetischen<br />

Führungsfeld, I + , sensitiv auf eine Sorte chiraler Domänen,<br />

während die antiparallel ausgerichteten Neutronen,<br />

I - , die Domänen mit entgegengesetztem Drehsinn detektieren.<br />

Ein Beispiel für einen mit Hilfe polarisierter<br />

Neutronen gemessenen Unterschied in der Domänenpopulation<br />

von CsMnBr 3<br />

zeigt das Inset in Abb. 2.20 für<br />

den (1/3 1/3 1)-Reflex.<br />

Vorhersagen bestätigt: „chirale<br />

Universalität“<br />

Eine wichtige Eigenschaft von Phasenübergängen ist<br />

deren Universalität. Dies bedeutet, dass das kritische<br />

Verhalten physikalisch unterschiedlichster Systeme<br />

nur von wenigen Parametern, wie der Dimension <strong>und</strong><br />

der Zahl der Freiheitsgrade des Ordnungsparameters,<br />

abhängt. Das kritische Verhalten wird von einem Satz<br />

sogenannter kritischer Exponenten charakterisiert. Für<br />

die oben beschriebenen Antiferromagneten mit chiraler<br />

Ordnung wurden neue Universalitätsklassen vorhergesagt.<br />

Die konventionellen kritischen Exponenten sind<br />

modifi ziert <strong>und</strong> neue Exponenten, die das Verhalten der<br />

chiralen Ordnung beschreiben, werden vorhergesagt.<br />

So ist der konventionelle kritische Exponent durch<br />

die Temperaturabhängigkeit der Untergittermagnetisierung<br />

gegeben. Experimentell ergibt sich diese aus<br />

der Summe I + + I - , die proportional zu 2 ist, wobei<br />

= (T N<br />

- T)/T N<br />

die reduzierte Temperatur ist. Das<br />

Differenzsignal ∆I ändert sich unterhalb der Ordnungstemperatur<br />

proportional zu 2 mit dem neuen kritischen<br />

Exponenten c<br />

= 0,42 für CsMnBr 3<br />

, was sehr gut mit<br />

den theoretischen Vorhersagen übereinstimmt.<br />

Ebenso können andere physikalische Größen, wie die<br />

chirale Suszeptibilität oberhalb T N<br />

, mit Hilfe der polarisierten<br />

Neutronenstreuung – <strong>und</strong> auch nur mit dieser<br />

– gemessen, die kritischen Exponenten bestimmt <strong>und</strong><br />

mit theoretischen Vorhersagen verglichen werden. Diese<br />

Untersuchungen leisten einen wesentlichen Beitrag zum<br />

besseren Verständnis der f<strong>und</strong>amentalen magnetischen<br />

Wechselwirkungen in kondensierter Materie.<br />

(Intensitätsdifferenz)<br />

5<br />

CsMnBr 3<br />

1<br />

I ~ 0.42 20<br />

I +<br />

I -<br />

10<br />

0<br />

0,32<br />

0,1<br />

0,33 0,34<br />

Q h<br />

0,35<br />

0,001 0,01<br />

<br />

0,1 1<br />

Streuintensität<br />

Abb. 2.20. Temperaturabhängigkeit des<br />

Unterschieds der Domänenpopulation<br />

Δ = + - - mit = ( <br />

– )/ <br />

. Das Inset zeigt die Streuintensitäten<br />

für die beiden Polarisationsrichtungen am<br />

(1/3 1/3 1)-Bragg-Reflex.<br />

Abb. 2.19. Die zwei<br />

unterschiedlichen<br />

chiralen Domänen<br />

in einem antiferromagnetischen<br />

Dreiecksgitter<br />

am Beispiel<br />

von CsMnBr 3<br />

. Die<br />

Drehrichtung der Mn-<br />

Spins in den beiden<br />

Teilbildern ist jeweils<br />

entgegengesetzt.<br />

28 Komplexität: Magnetische Phasen 29

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