Status und Perspektiven - SNI-Portal
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Forschung mit Neutronen<br />
in Deutschland<br />
<strong>Status</strong> <strong>und</strong> <strong>Perspektiven</strong><br />
Komitee<br />
Forschung mit<br />
Neutronen
Impressum<br />
Erarbeitet vom sechsten<br />
Komitee Forschung mit Neutronen<br />
Mitglieder:<br />
Prof. Dr. Thomas Brückel<br />
(FZJ, Vorsitzender)<br />
Dr. Hans Anton Graf<br />
(HMI, Ressort Infrastruktur <strong>und</strong> Instrumentierung)<br />
Prof. Dr. Gernot Heger<br />
(RWTH Aachen)<br />
Prof. Dr. Michael Loewenhaupt<br />
(TU Dresden)<br />
Prof. Dr. Martin Müller<br />
(Universität Kiel,<br />
Ressort Nutzer- <strong>und</strong> Nachwuchsförderung)<br />
Prof. Dr. Winfried Petry<br />
(TU München, FRM-II)<br />
Prof. Dr. Werner Press<br />
(ILL)<br />
Prof. Dr. Walter Reimers<br />
(TU Berlin)<br />
Prof. Dr. Michael Ruck<br />
(TU Dresden)<br />
Prof. Dr. Helmut Schober<br />
(ILL, stellvertretender Vorsitzender)<br />
Prof. Dr. Andreas Schreyer<br />
(GKSS)<br />
PD Dr. Regine Willumeit<br />
(GKSS, Ressort Öffentlichkeitsarbeit)<br />
Prof. Dr. Oliver Zimmer<br />
(TU München)<br />
Gäste:<br />
Dr. Klaus Feldmann (PTJ)<br />
Dr. Lucia Incoccia-Hermes (DESY-HS)<br />
RD Dr. Rainer Koepke (BMBF)<br />
Prof. Dr. Jürgen Richter (BMBF)<br />
Redaktion:<br />
Th. Brückel, H. Graf, K. Griewatsch, G. Heger,<br />
M. Loewenhaupt, H. Schober<br />
Layout: Dr. Karin Griewatsch<br />
Bezug: Prof. Dr. Thomas Brückel<br />
Forschungszentrum Jülich GmbH<br />
Institut für Festkörperforschung<br />
D-52425 Jülich<br />
Redaktionsschluss: 19.10.2005<br />
Unter Mitwirkung von:<br />
H. Abele, D. Alber, D. Argyriou, J. Baumert,<br />
G. Bohrmann, H. Boysen, M. Braden, S.T. Bramwell,<br />
G. Büldt, M. Bull, N.A. Dencher, D. Dubbers,<br />
D. Dwyer, G. Eckold, G. Ehlers, H. Endo,<br />
R. Feyerherm, P. Fratzl, F. Frey, N. Froitzheim, H. Fueß,<br />
R. Gähler, S. Gardener, B. Gebauer, Th. Hauß,<br />
S. Hayden, H. Heumann, A. Hewat, A. Hiess,<br />
D. Hoffmann, A. Ioffe, K. Kakurai, N. Kardjilov,<br />
E. Kentzinger, B. Köppchen, M. Koza, W. Kuhs,<br />
H. Lauter, E. Lelièvre-Berna, H. von Löhneysen,<br />
A. Loidl, Th. Lonkai, H. Maletta, R. Manning,<br />
S. Mattauch, F. Mezei, R. Michaelsen, H.-J. Mikeska,<br />
I. Mirebeau, P. Müller-Buschbaum, E.G. Noya,<br />
C. Pappas, F. Parak, A. Paul, L. Pintschovius,<br />
P. Piwnicki, M. Prager, T. Rekveldt, D. Richter,<br />
M. Rössle, A. Schaumlöffel, T. Schneider, S. Schorr,<br />
B. Schröder-Smeibidl, W. Schweika, K. Siemensmeyer,<br />
P. Smeibidl, M. Steiner, M. Strobl, H. Stuhrmann,<br />
Y. Su, H. Tanaka, A. Tennant, P. Tindemans,<br />
W. Treimer, I. Ulrich, F. Vauquois, J. Vollbrandt,<br />
J. Walter, A. Wiedenmann, Th. Wilpert,<br />
A. Wischnewski, J. Wosnitza, H. Zabel, A. Zheludev<br />
Forschung mit Neutronen<br />
in Deutschland<br />
<strong>Status</strong> <strong>und</strong> <strong>Perspektiven</strong>
Vorbemerkung<br />
Das Komitee für die Forschung mit Neutronen, KFN,<br />
ist die demokratisch gewählte Vertretung einer engagierten<br />
<strong>und</strong> dynamischen Wissenschaftlergemeinschaft.<br />
Es hat bereits 1999 ein Strategiepapier verfasst [9] <strong>und</strong><br />
damit eine Vorreiterrolle gespielt, der die anderen Komitees<br />
inzwischen gefolgt sind. In dem Papier von 1999<br />
wurden die <strong>Perspektiven</strong> für die Entwicklung auf dem<br />
Gebiet der Forschung mit Neutronen für die nächsten<br />
15 Jahre dargestellt, wie sie aus damaliger Sicht der<br />
Nutzergemeinde wünschenswert <strong>und</strong> erreichbar erschienen.<br />
Einige der damals gemachten Empfehlungen ließen<br />
sich im vorgegebenen politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />
Rahmen nur mit einer zeitlichen Verzögerung, nicht<br />
oder noch nicht, realisieren. Das KFN bleibt jedoch<br />
seiner Gr<strong>und</strong>überzeugung treu, alles zu unternehmen,<br />
um die wissenschaftliche <strong>und</strong> technische Innovation<br />
voranzutreiben, die wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> den hohen Lebensstandard in einem industrialisierten<br />
Land wie der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />
ist. Das KFN sucht daher kontinuierlich den Dialog mit<br />
den politischen Entscheidungsträgern <strong>und</strong> bietet seine<br />
Beratung in allen Fragen, die die Forschung mit Neutronen<br />
betreffen, an.<br />
Konsequenterweise wurde daher das Strategiepapier<br />
von 1999 im September 2003 durch eine „Roadmap<br />
für den zeitlich gestaffelten Betrieb der Neutronenquellen<br />
in Deutschland“ den aktuellen Entwicklungen<br />
angepasst. Empfehlungen dieser Roadmap wurden von<br />
Entscheidungsträgern aufgegriffen. Dieser Prozess<br />
hat zu einer Neuordnung der Neutronenlandschaft in<br />
Deutschland geführt. Parallel hat sich das KFN bemüht,<br />
eine Analyse der Entwicklung der Nutzerschaft<br />
vorzunehmen <strong>und</strong> die Bedeutung der Forschung mit<br />
Neutronen in den verschiedenen Wissenschaftsfeldern<br />
sowie die Rolle der zum Teil neuen Messmöglichkeiten<br />
an nationalen <strong>und</strong> internationalen Quellen zu gewichten.<br />
Die Forschung mit Neutronen ist in höchstem Maße<br />
großgerätespezifi sch. Die Entwicklung der Quellen erfordert<br />
extrem lange Vorlaufzeiten <strong>und</strong> weist eine hohe<br />
internationale Verzahnung auf. Daher ist zu diesem<br />
Zeitpunkt der Konsolidierung der Neutronenlandschaft<br />
in Deutschland eine Projektion in die Zukunft auf Basis<br />
der neuerhobenen Daten <strong>und</strong> unter Berücksichtigung<br />
der aktuellen Entwicklungen angezeigt.<br />
Das vorliegende Strategiepapier entstand unter Mitwirkung<br />
vieler Kollegen, die Forschung mit Neutronen<br />
betreiben. Basierend auf einer Analyse der aktuellen<br />
Situation werden Empfehlungen sowohl für die Entwicklung<br />
des Wissenschaftsgebiets als auch für die<br />
wünschenswerte Entwicklung auf dem Gebiet von<br />
Quellen <strong>und</strong> neuen Messmöglichkeiten gemacht. Es ist<br />
gedacht als Information für Kollegen auch in anderen<br />
Forschungsbereichen, die wissenschaftlich gebildete<br />
<strong>und</strong> interessierte Öffentlichkeit, <strong>und</strong> insbesondere für<br />
die politischen Entscheidungsträger, die die Voraussetzungen<br />
schaffen, um den hochkomplexen nichtlinearen<br />
Prozess der Innovation zu ermöglichen.<br />
Zur besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Form von Personengruppen<br />
verwendet. Hierfür bitten wir die LeserInnen um<br />
Verständnis.<br />
Inhalt<br />
<strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> Empfehlungen des KFN 6<br />
KFN Recommendations 10<br />
Wissenschaftliches Potential der Forschung mit Neutronen 12<br />
Das freie Neutron - Ein Geschenk der Natur 14<br />
Das Neutron <strong>und</strong> die Herausforderungen des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts 18<br />
Komplexität 20<br />
Korrelationen 34<br />
Eingeschränkte Dimensionalität 40<br />
Teilchen- <strong>und</strong> Hadronenphysik mit langsamen Neutronen 46<br />
Ausstrahlung der Forschung mit Neutronen in unser<br />
tägliches Leben 48<br />
Kommunikation <strong>und</strong> Informationstechnologie 50<br />
Mobilität 52<br />
Energie <strong>und</strong> Umwelt 54<br />
Ges<strong>und</strong>heit 56<br />
Kulturelles Erbe 58<br />
Stellung in der internationalen Forschungslandschaft 60<br />
Nutzergemeinde, Zugang zu den Neutronenquellen <strong>und</strong><br />
Forschungsförderung 64<br />
Quellen für Neutronenstrahlung: Forschungsreaktoren 70<br />
HMI 73<br />
GKSS 74<br />
FZJ 75<br />
FRM-II 76<br />
ILL 77<br />
Der Weg in die Zukunft 78<br />
Neue Instrumentierung <strong>und</strong> Methodik 79<br />
Detektoren 79<br />
Extreme Probenumgebung 80<br />
Polarisationsanalyse 82<br />
”Larmor-Markierung” 83<br />
Phasenraum: Volumen <strong>und</strong> Transformation 84<br />
MW-Spallationsquellen 86<br />
Anhang 90<br />
Referenzen 90<br />
Glossar 90<br />
Ergebnisse der Nutzerumfrage 92<br />
Bildnachweis 95
<strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong><br />
Empfehlungen des KFN<br />
<br />
6 7
Roadmap<br />
Das Komitee für die Forschung mit Neutronen, KFN,<br />
hat im September 2003 eine „Roadmap für den zeitlich<br />
gestaffelten Betrieb der Neutronenquellen in Deutschland“<br />
vorgelegt [1]. Dabei wurden - ausgehend von den<br />
nationalen <strong>und</strong> internationalen Gegebenheiten <strong>und</strong> absehbaren<br />
Entwicklungen - Vorstellungen entwickelt <strong>und</strong><br />
Prioritäten dargestellt, um der Forschung mit Neutronen<br />
in Deutschland mittel- <strong>und</strong> langfristig eine Perspektive<br />
aufzuzeigen. Dazu wurden konkrete Empfehlungen<br />
über Ausbau <strong>und</strong> Weiterbetrieb der für deutsche Nutzergruppen<br />
wichtigen Forschungsneutronenquellen<br />
abgegeben. Die Einbindung in die internationale <strong>und</strong><br />
insbesondere die europäische Neutronenlandschaft ist<br />
von wesentlicher Bedeutung. Da Entscheidungen zum<br />
Betrieb der nationalen Neutronenquellen auch signifikante<br />
Auswirkungen im europäischen Umfeld haben, ist<br />
eine gesamteuropäische Strategie wünschenswert.<br />
Ausgangslage<br />
International wird anerkannt, dass die Forschung mit<br />
Neutronen als lebendige <strong>und</strong> sich ständig erneuernde<br />
Wissenschaftsdisziplin von großer Bedeutung <strong>und</strong> für<br />
ein sehr breites Spektrum von unterschiedlichen Forschungsgebieten<br />
unabdingbar ist [2, 3]. Zurzeit nimmt<br />
Europa auf dem Gebiet der Forschung mit Neutronen<br />
die Spitzenstellung ein. Das Institut Laue-Langevin,<br />
ILL, in Grenoble ist mit seinem Hochfl ussreaktor die<br />
derzeit weltweit beste Einrichtung. Die neue deutsche<br />
Forschungsneutronenquelle FRM-II weist vergleichbare<br />
Intensitäten der Neutronenstrahlen auf. Wesentliche<br />
politische Entscheidungen zur Entwicklung der<br />
Forschungsinfrastruktur wurden getroffen, die die<br />
Wettbewerbsfähigkeit mittelfristig sichern. Für deutsche<br />
Nutzer sind dabei von besonderer Bedeutung: das<br />
Millenniumprogramm des ILL, die volle Nutzung der<br />
Möglichkeiten des FRM-II, die Repräsentanz der Zentren<br />
der Helmholtz-Gemeinschaft, HGF, am FRM-II,<br />
der Ausbau des Berliner Neutronenstreuzentrums,<br />
BENSC, (zweite Neutronenleiterhalle) <strong>und</strong> die Beteiligung<br />
an der Instrumentierung der neuen amerikanischen<br />
Spallationsquelle, SNS.<br />
In den OECD-Studien von 1998 [4] <strong>und</strong> 2001 [3] wurde<br />
empfohlen, in den drei Weltregionen Asiatisch-Pazifischer<br />
Raum, Europa <strong>und</strong> Nordamerika je eine Spallationsquelle<br />
der nächsten Generation zu errichten. Diese<br />
Empfehlung wird mit der SNS in Oak Ridge, USA, <strong>und</strong><br />
der JSNS in Tokai, Japan, in zwei der Regionen in Form<br />
von Megawattquellen umgesetzt. Für die SNS existieren<br />
Ausbaupläne für eine zweite Targetstation <strong>und</strong> zur<br />
Leistungserhöhung.<br />
Empfehlungen zur<br />
Weiterentwicklung der Basis für<br />
die Forschung mit Neutronen in<br />
Deutschland<br />
Institut Laue-Langevin ILL<br />
Durch den gezielten Ausbau von Instrumentierung <strong>und</strong><br />
Infrastruktur ist es dem ILL gelungen, seine internationale<br />
Spitzenstellung weiter zu festigen. Das Millenniumprogramm<br />
hat das Potential, die Effi zienz der Instrumente<br />
am ILL im Mittel um einen Faktor 15 zu<br />
steigern. Ein Faktor 5 wurde bereits erreicht. Es ist von<br />
höchster Bedeutung, dass dieser Prozess konsequent<br />
weiterverfolgt wird, um auch in den kommenden Jahren<br />
die europäische Führung in der Welt zu halten. Der derzeit<br />
gültige Staatsvertrag des ILL muss 2013 um weitere<br />
10 Jahre verlängert werden. Das KFN ist der Meinung,<br />
dass das ILL als einzige wahrhaft europäische Quelle<br />
in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Projektierung<br />
der europäischen Multi-MW-Spallationsquelle spielen<br />
sollte.<br />
Forschungsneutronenquelle FRM-II<br />
Die neue Forschungsneutronenquelle FRM-II in<br />
Garching hat erfolgreich ihre nukleare Inbetriebnahme<br />
abgeschlossen. Der Aufbau der modern konzipierten<br />
<strong>und</strong> zum Teil einzigartigen Instrumente unter Beteiligung<br />
von zahlreichen Universitäten aus ganz Deutschland,<br />
Max-Planck-Instituten <strong>und</strong> den Helmholtz-Zentren<br />
FZJ, GKSS <strong>und</strong> HMI ist weit fortgeschritten. Es werden<br />
Neutronenfl üsse <strong>und</strong> Strahlqualitäten vergleichbar mit<br />
denen des ILL gemessen. Einige der Instrumente des<br />
FRM-II haben das Potential, weltweit führend zu sein.<br />
Die langfristige Sicherung eines effektiven <strong>und</strong> hochqualifizierten<br />
Experimentier- <strong>und</strong> Nutzerbetriebes sowie<br />
der kontinuierliche Ausbau von Infrastruktur <strong>und</strong> Instrumentierung<br />
sind unabdingbar. Das KFN geht davon<br />
aus, dass der FRM-II in naher Zukunft als die nationale<br />
Neutronenquelle eine führende Rolle für die deutschen<br />
Nutzergruppen einnehmen wird <strong>und</strong> wesentlich zur<br />
Stärkung Europas auf dem Gebiet der Forschung mit<br />
Neutronen beiträgt.<br />
Repräsentanz der HGF-Zentren<br />
am FRM-II<br />
Im Juni 2004 wurde ein Vertrag zwischen dem FZJ <strong>und</strong><br />
dem FRM-II/TUM geschlossen, der eine enge Kooperation<br />
<strong>und</strong> massive Beteiligung an Instrumentierung,<br />
Betrieb <strong>und</strong> Nutzung der Experimentiereinrichtungen<br />
am FRM-II vorsieht. Das FZJ plant, insgesamt sieben<br />
eigene Geräte am FRM-II zu betreiben <strong>und</strong> die Infrastruktur<br />
vor Ort zu verstärken. GKSS hat entschieden,<br />
sich über das bereits laufende Engagement hinaus kurzfristig<br />
zusätzlich an zwei Instrumenten am FRM-II zu<br />
beteiligen <strong>und</strong> plant mittelfristig eine weitere Verstärkung<br />
der Aktivitäten. Auch das HMI betreibt ein<br />
Instrument am FRM-II. Damit wird das Angebot der<br />
verschiedenen Experimentiereinrichtungen an der weltweit<br />
modernsten kontinuierlichen Neutronenquelle in<br />
herausragender Weise ergänzt <strong>und</strong> erweitert. Das KFN<br />
begrüßt diesen Prozess <strong>und</strong> empfi ehlt, ihn konsequent<br />
fortzusetzen, um die Kompetenz <strong>und</strong> Erfahrung der<br />
Helmholtz-Zentren im Bereich der Methodenentwicklung<br />
<strong>und</strong> des Nutzerbetriebs für den FRM-II nutzbar zu<br />
machen.<br />
BENSC im Netzwerk der<br />
Mittelflussquellen<br />
Das Netzwerk der europäischen Mittelfluss-Neutronenquellen<br />
erfüllt wichtige Aufgaben für<br />
• Bereitstellung von Messzeiten für Experimente, die<br />
nicht unbedingt auf den höchsten Neutronenfl uss<br />
angewiesen sind;<br />
• Bereitstellung spezialisierter Messmöglichkeiten, die<br />
an den Spitzenquellen nicht angeboten werden;<br />
• spezialisierte Betreuung der Nutzer <strong>und</strong> Ausbildung<br />
des wissenschaftlichen Nachwuchses;<br />
• Möglichkeiten zur Methodenentwicklung inklusive<br />
Erhalt <strong>und</strong> Ausbau des Know-hows für MW-<br />
Spallationsquellen;<br />
• Aufbau internationaler Kollaborationen; <strong>und</strong><br />
• Erschließung neuer Forschungsgebiete inklusive<br />
Knüpfung von Industriekontakten.<br />
Im Moment tragen alle Quellen der Helmholtz-Zentren<br />
zu dieser europäischen Infrastruktur wesentlich bei.<br />
Entscheidungen zur zeitlich gestaffelten Stilllegung der<br />
Reaktoren in Jülich <strong>und</strong> Geesthacht sind gefallen oder<br />
zu erwarten. Nach ihrer Umsetzung bleibt nur BENSC<br />
am HMI als zweites nationales Zentrum im Netzwerk<br />
der Mittelfl ussquellen bestehen. Die Spezialisierung<br />
auf extreme Probenumgebungen ist als Alleinstellungsmerkmal<br />
weiterzuentwickeln. Mindestens bis zum<br />
vollen Nutzerbetrieb an der zukünftigen europäischen<br />
Multi-MW-Spallationsquelle bleibt BENSC unverzichtbar.<br />
Die Vision<br />
Multi-MW-Spallationsquelle<br />
Langfristig ist der Bau einer Multi-MW-<br />
Spallationsquelle als zentrale europäische Quelle der<br />
nächsten Generation unerlässlich, wenn Europa in der<br />
Forschung mit Neutronen die Spitzenposition in der<br />
Welt ausbauen will. Gemäß der Analyse der Neutronenarbeitsgruppe<br />
des „European Strategy Forum for<br />
Research Infrastructures“ (ESFRI) vom Herbst 2002<br />
[2] sollte in einer ersten Ausbaustufe eine 5 MW-Langpulsquelle<br />
(ESFRI-Szenario 2) - komplementär zu den<br />
amerikanischen <strong>und</strong> japanischen Projekten - realisiert<br />
werden. Hierzu muss auf europäischer Ebene möglichst<br />
bald eine positive Entscheidung fallen, da Planung <strong>und</strong><br />
Bau ca. 10 Jahre beanspruchen. Langfristig ist eine solche<br />
Multi-MW-Spallationsquelle in Nachfolge des ILL<br />
als die europäische Spitzenquelle unabdingbar.<br />
Deutscher Beitrag zur<br />
Multi-MW-Spallationsquelle<br />
Deutschland sollte einen signifi kanten Beitrag zu einer<br />
Multi-MW-Spallationsquelle leisten, wo immer sie in<br />
Europa gebaut wird. Ein Standort in Deutschland böte<br />
große Vorteile, z. B. in der Ausbildung <strong>und</strong> Beschäftigung<br />
von Wissenschaftlern, Ingenieuren <strong>und</strong> Technikern,<br />
in einem Zuwachs an Attraktivität für die besten<br />
internationalen Forscher, sowie durch den Technologietransfer<br />
in die Standortregion. Nach Meinung des KFN<br />
sollten das FZJ <strong>und</strong> das HMI aufgr<strong>und</strong> ihrer methodischen<br />
Kompetenz eine zentrale Rolle bei Auslegung,<br />
Konstruktion <strong>und</strong> Bau einer zukünftigen europäischen<br />
Multi-MW-Spallationsquelle <strong>und</strong> ihrer Instrumentierung<br />
spielen. Zwischenzeitlich wird die Beteiligung am<br />
Aufbau der Instrumentierung an der amerikanischen<br />
Spallationsquelle SNS empfohlen. Dadurch wird diese<br />
moderne Spitzenquelle den deutschen Nutzern zugänglich<br />
gemacht <strong>und</strong> Erfahrung in der Entwicklung<br />
<strong>und</strong> dem Betrieb von Instrumenten an einer MW-<br />
Spallationsquelle gesammelt.<br />
8 Empfehlungen<br />
9
Roadmap<br />
The German Committee for Research with Neutrons,<br />
KFN, presented a “Roadmap for the phased operation<br />
of neutron sources in Germany“ in September 2003<br />
[1]. Based on the national and international conditions<br />
and foreseeable developments, concepts were developed<br />
and priorities described to point out a medium- and<br />
long-term perspective for research with neutrons in<br />
Germany. Concrete recommendations for the extension<br />
and continued operation of the research neutron sources<br />
important for German user groups were made. The<br />
incorporation into the international and, in particular,<br />
the European neutron scene is of essential signifi cance.<br />
Since decisions on the operation of the national neutron<br />
sources also have signifi cant impacts in the European<br />
context, a pan-European strategy is desirable.<br />
Starting situation<br />
It is internationally recognized that research with neutron<br />
as a scientifi c discipline full of life and subject to<br />
constant renewal is of great signifi cance and indispensable<br />
for a very wide range of different research areas<br />
[2, 3]. At present, Europe holds the leading position in<br />
the field of research with neutrons. The Institute Laue-<br />
Langevin, ILL, in Grenoble with its high-flux reactor is<br />
currently the best facility worldwide. The new German<br />
FRM-II research neutron source exhibits comparable<br />
neutron beam intensities. Major political decisions on<br />
the development of the research infrastructure were<br />
made, which will secure competitiveness in the medium<br />
term. Of particular importance for German users are<br />
the Millennium Programme of ILL, the full exploitation<br />
of the possibilities of the FRM-II, the representation<br />
of the centres of the Helmholtz Association, HGF, at<br />
FRM-II, the extension of the Berlin Neutron Scattering<br />
Centre, BENSC, (second neutron guide hall) and participation<br />
in the instrumentation of the new American<br />
spallation source, SNS.<br />
In the OECD studies of 1998 [4] and 2001 [3] it was recommended<br />
that one next-generation spallation source<br />
each should be constructed in the three world regions<br />
of the Asiatic-Pacific Area, Europe and North America.<br />
With the SNS in Oak Ridge, USA, and the JSNS<br />
in Tokai, Japan, this recommendation is being implemented<br />
in two of these regions in the form of megawatt<br />
sources. For the SNS there are extension plans for a<br />
second target station and for power increase.<br />
Recommendations for further<br />
developing the basis for<br />
research with neutrons in<br />
Germany<br />
Institute Laue-Langevin ILL<br />
ILL has succeeded in further strengthening its international<br />
top position by selectively extending the<br />
instrumentation and infrastructure. The Millennium<br />
Programme has the potential for further increasing the<br />
efficiency of the instruments at ILL by a factor of 15 on<br />
average. A factor of 5 has already been achieved. It is<br />
of extreme significance that this process is consistently<br />
further pursued in order to also maintain the European<br />
leadership in the world in the years to come. The currently<br />
valid Intergovernmental Convention of ILL must<br />
be extended by another 10 years in 2013. KFN takes<br />
the view that as the only truly European source the ILL<br />
should in future play a major role in planning the European<br />
multi-MW spallation source.<br />
FRM-II research neutron source<br />
The new FRM-II research neutron source in Garching<br />
has successfully completed its nuclear commissioning.<br />
The setup of the in part unique instruments of modern<br />
and innovative design with the participation of numerous<br />
universities from all over Germany, Max Planck<br />
Institutes and the Helmholtz centres FZJ, GKSS and<br />
HMI is far advanced. Neutron fl uxes and beam qualities<br />
comparable to those of the ILL are measured. Some<br />
of the instruments of the FRM-II have the potential<br />
for worldwide leadership. The long-term assurance of<br />
effective high-quality experimental and user operation<br />
as well as the continuous extension of infrastructure<br />
and instrumentation are indispensable. KFN assumes<br />
that the FRM-II will play a leading role as the national<br />
neutron source for the German user groups in the near<br />
future and will essentially contribute towards strengthning<br />
Europe in the fi eld of research with neutrons.<br />
Representation of the HGF centres at<br />
FRM-II<br />
In June 2004, a contract was concluded between FZJ<br />
and FRM-II/TUM, which provides for close cooperation<br />
and a massive participation in the instrumentation,<br />
operation and use of the experimental facilities at<br />
FRM-II. FZJ plans to build up and operate a total of<br />
seven instruments at the FRM-II and to strengthen the<br />
infrastructure on site. Going beyond the commitment<br />
already <strong>und</strong>ertaken, GKSS has decided in favour of a<br />
participation in two instruments at FRM-II in the short<br />
term and plans to further intensify its activities in the<br />
medium term. HMI also operates an instrument at the<br />
FRM-II. The services offered by the different experimental<br />
facilities at the most up-to-date continuous neutron<br />
source worldwide are thus being supplemented and<br />
extended in an outstanding manner. KFN appreciates<br />
this process and recommends that it should be consistently<br />
continued, in order to utilize the expertise and<br />
experience of the Helmholtz centres in the fi eld of methods<br />
development and user operation for the FRM-II.<br />
BENSC in the network of medium-flux<br />
sources<br />
The network of European medium-flux neutron sources<br />
fulfi ls important tasks for<br />
• the provision of measuring time for experiments that<br />
do not really need the highest neutron flux;<br />
• the provision of specialized measuring possibilities<br />
that are not available at the top sources;<br />
• specialized support for users and training of young<br />
scientists;<br />
• possibilities for the development of methods including<br />
maintenance and extension of the know-how for MW<br />
spallation sources;<br />
• building up international collaborations; and<br />
• opening up new fi elds of research including contacts<br />
with industry.<br />
At the moment, all sources of the Helmholtz centres<br />
essentially contribute to this European infrastructure.<br />
Decisions on the phased decommissioning of the<br />
reactors in Jülich and Geesthacht have been made or<br />
are expected. After their implementation, only BENSC<br />
at HMI will be left as the second national centre in the<br />
network of medium-flux reactors. Its specialization in<br />
extreme sample environments must be further developed<br />
as a unique feature. At least until full user operation<br />
at a future European multi-MW spallation source<br />
BENSC will remain indispensable.<br />
The vision<br />
Multi-MW spallation source<br />
In the long term, the construction of a multi-MW<br />
spallation source as the central European next-generation<br />
source is indispensable, if Europe wants to consolidate<br />
its leading position in research with neutrons in the<br />
world. According to the analysis of the working group<br />
on neutrons „European Strategy Forum for Research<br />
Infrastructures“ (ESFRI) of autumn 2002 [2], a 5-MW<br />
long-pulse source (ESFRI Scenario 2) is to be realized<br />
in a fi rst extension stage, complementing the American<br />
and Japanese projects. A positive decision on this must<br />
be made at the European level as soon as possible, since<br />
planning and construction will take approximately 10<br />
years. In the long term, such a multi-MW spallation<br />
source is indispensable as the European top source in<br />
succession of the ILL.<br />
German contribution to the multi-MW<br />
spallation source<br />
Germany should make a significant contribution to<br />
a multi-MW spallation source, wherever it is built in<br />
Europe. A site in Germany would provide great advantages,<br />
e. g. with respect to the training and employment<br />
of scientists, engineers and technicians, an increase in<br />
attractiveness for the best international researchers, and<br />
technology transfer to the site region. In the opinion<br />
of KFN, due to their methodological expertise, FZJ<br />
and HMI should play a central role in the design and<br />
construction of a future European multi-MW spallation<br />
source and its instrumentation. In the meantime, participation<br />
in the construction of the instrumentation at the<br />
American SNS spallation source is recommended, so<br />
that this modern top source is made accessible to German<br />
users and experience is gathered in the development<br />
and operation of instruments at a MW spallation<br />
source.<br />
10 Recommendations<br />
11
Wissenschaftliches Potential<br />
der Forschung mit Neutronen<br />
Galaxie<br />
1 Motor Textur<br />
10 -2 Zelle<br />
Zelle<br />
10 -4 Domänen<br />
10 -6<br />
Teilchen-Hadronenphysik<br />
Radiographie / Tomographie<br />
Texturdiffraktometrie<br />
Reflektometrie <strong>und</strong><br />
Kleinwinkelstreuung<br />
zeitaufgelöste<br />
- Radiographie<br />
- Beugung<br />
- Reflektometrie<br />
Spinechospektroskopie<br />
Rückstreuspektroskopie<br />
Teilchen-Hadronenphysik<br />
Geologie<br />
M<br />
H<br />
laufender<br />
Motor<br />
Rotationstunneln<br />
Domänenwanddynamik<br />
Dynamik von<br />
Makromolekülen<br />
Roter<br />
Riese<br />
Gesteinsfaltung<br />
1<br />
10 -6<br />
10 -9<br />
10 -11<br />
10 -8 Polymer<br />
magnetische<br />
10 -14<br />
Struktur<br />
Diffraktometrie<br />
Kern- <strong>und</strong> Teilchenphysik<br />
Flugzeit- <strong>und</strong> Dreiachsspektroskopie<br />
hochenergetische<br />
Streuung<br />
<br />
Ladungs-<br />
10 -10 -<br />
dichte<br />
Atomkern<br />
Stoneranregungen<br />
Spinwellen<br />
Gitterschwingungen<br />
10 -12<br />
10 -13<br />
10 -14<br />
10 -15<br />
Nukleon<br />
10 -14 Länge [m] Zeit [s]<br />
Kern-Compton-<br />
Streuung<br />
10 -15<br />
12<br />
13
Das freie Neutron -<br />
Ein Geschenk der Natur<br />
Neutronen als Bausteine der Atomkerne machen etwa<br />
die halbe Masse unserer bekannten materiellen Welt<br />
aus. Sie sind der „Klebstoff“, der die positiv geladenen<br />
Protonen im Kern zusammenhält, die sonst durch<br />
elektrostatische Abstoßung explosionsartig auseinander<br />
fl iegen würden. Für die Forschung sind Neutronen<br />
besonders nützlich als freie, nicht im Kern geb<strong>und</strong>ene,<br />
Elementarteilchen. Effi ziente Prozesse zur Freisetzung<br />
von Neutronen aus Kernmaterie sind Kernspaltung<br />
<strong>und</strong> Spallation. Bei der in den Forschungsreaktoren<br />
ablaufenden Kettenreaktion wird pro Spaltung eines<br />
235<br />
U Kerns etwa ein für die Forschung verwendbares<br />
Neutron freigesetzt. Die Spallation ist ein wesentlich<br />
effizienterer Prozess, bei dem Kernmaterie mit hochenergetischen<br />
Protonen beschossen <strong>und</strong> dadurch in<br />
einen angeregten Zustand aufgeheizt wird. Je nach<br />
Targetmaterial (Uran, Blei, Quecksilber,…) <strong>und</strong> Protonenenergie<br />
(typisch etwa 1 GeV) dampfen dabei 20 bis<br />
über 30 Neutronen pro Kern ab.<br />
Labor auf Femtometerskala<br />
Als freie Teilchen sind Neutronen aufgr<strong>und</strong> der schwachen<br />
Wechselwirkung gegen den -Zerfall nicht stabil<br />
<strong>und</strong> zerfallen in ein Proton, ein Elektron <strong>und</strong> ein<br />
Antineutrino. Die Halbwertszeit von ca. 890 s lässt<br />
genügend Zeit für Untersuchungen an freien Neutronen.<br />
Gemäß der Standardtheorie der Elementarteilchenphysik<br />
bestehen Neutronen aus drei Quarks - ein „up“- <strong>und</strong><br />
zwei „down“-Quarks, die durch Gluonen zusammengehalten<br />
werden. Sie stellen ein hochempfi ndliches Labor<br />
auf der Femtometerskala dar, welches Präzisionstests<br />
der Standardtheorie erlaubt. Die experimentell bestimmten<br />
Werte für Ladung, magnetisches Monopolmoment<br />
<strong>und</strong> elektrisches Dipolmoment des Neutrons<br />
sind alle mit 0 verträglich, <strong>und</strong> sie wurden mit der<br />
unglaublichen Genauigkeit von 10 -21 e, 10 -20 e/2 bzw.<br />
10 -25 e·cm gemessen (e = Elementarladung, = Feinstrukturkonstante).<br />
Außergewöhnliche Sonde<br />
Freie Neutronen sind noch in einem ganz anderen Sinn<br />
ein „Geschenk der Natur“, nämlich als Sonde mit ganz<br />
außergewöhnlichen Eigenschaften für Untersuchungen<br />
kondensierter Materie. Sie ermöglichen uns einen tiefen<br />
Einblick ins Innere kondensierter Materie <strong>und</strong> machen<br />
in der Neutronenstreuung Strukturen von Pikometern<br />
bis Mikrometern <strong>und</strong> Bewegungen auf Zeitskalen von<br />
Pikosek<strong>und</strong>en bis Mikrosek<strong>und</strong>en der Untersuchung<br />
zugänglich. Mit abbildenden <strong>und</strong> kinematischen Verfahren<br />
werden noch größere Strukturen <strong>und</strong> langsamere<br />
Bewegungen sichtbar. Als solche ausgezeichnete<br />
Sonden sind Neutronen unerlässlich für so unterschiedliche<br />
Gebiete wie Physik, Chemie, Kristallographie,<br />
Materialwissenschaften, Biologie, Geowissenschaften,<br />
Ingenieurwissenschaften bis hin zu Archäologie <strong>und</strong><br />
Kunstgeschichte.<br />
Abb. 2.2. Neutronenradiographie <strong>und</strong> schematische<br />
Darstellung einer Ariane-Sprengkapsel.<br />
Hohe Eindringtiefe<br />
Als elektrisch neutrale Teilchen dringen Neutronen<br />
tief in Materie ein - viele Zentimeter in den typischen<br />
technischen Strukturmaterialien. Zum Vergleich: die<br />
Eindringtiefe von Röntgenstrahlung in Übergangsmetallen<br />
beträgt nur wenige Mikrometer bei 10 keV Photonenenergie<br />
<strong>und</strong> wenige Millimeter bei 100 keV! Mit<br />
Neutronen können Eigenspannungen tief im Innern von<br />
mechanisch belasteten Teilen bestimmt werden.<br />
Zerstörungsfrei<br />
Neutralität hat noch andere wesentliche Vorteile: da<br />
die starke Coulomb-Wechselwirkung entfällt, erlauben<br />
Neutronen zerstörungsfreie Untersuchungen, auch von<br />
empfi ndlichen biologischen Proben. Und nicht zuletzt<br />
können aufgr<strong>und</strong> der hohen Eindringtiefe komplexe<br />
Probenumgebungen eingesetzt werden, was Untersuchungen<br />
bei extremen Drücken, Temperaturen <strong>und</strong><br />
Feldern ermöglicht.<br />
Günstige Wellenlängen <strong>und</strong> Energien<br />
Die moderne Festkörperforschung führt makroskopische<br />
Eigenschaften kondensierter Materie zurück<br />
auf den atomaren Aufbau, d. h. auf Anordnung <strong>und</strong><br />
Bewegung der atomaren Bausteine. Zur experimentellen<br />
Bestimmung dieser Größen ist ein passender<br />
raumzeitlich atomarer Maßstab nötig. Mit Wellenlängen<br />
im Bereich von Atomabständen <strong>und</strong> Energien, die den<br />
typischen Anregungsenergien in kondensierter Materie<br />
entsprechen, erfüllen Neutronen in idealer Weise diese<br />
Funktion als „Spion in der Nanowelt“. Neutronenstreuung<br />
deckt den relevanten Parameterbereich im Raum-<br />
Zeit-Diagramm ab. Sie erlaubt Strukturbestimmung<br />
von 10 -4 Å bis 10 5 Å, Neutronentomographie eröffnet<br />
den Zugang zur makroskopischen Welt von Mikrometern<br />
bis Metern. Dynamik kondensierter Materie wird<br />
zugänglich im Zeitfenster von 100 fs bis 100 µs, was so<br />
unterschiedliche Prozesse abdeckt wie Diffusion, Magnonen,<br />
Phononen, Tunnelprozesse, bis hin zu Reptation<br />
von großen Polymerketten. Schließlich erlauben kinetische<br />
Messungen, an die makroskopischen Zeiten von<br />
Millisek<strong>und</strong>en bis St<strong>und</strong>en anzuschließen.<br />
Frequenz [Hz]<br />
Länge d=2/Q [Å]<br />
10 6 10 5 10 4 10 3 10 2 10 1<br />
10 14<br />
optische Raman-<br />
10 0<br />
10 12 Spektroskopie<br />
10 -2<br />
10 10<br />
Neutronen- <strong>und</strong> 10 -4<br />
optische Brillouin-<br />
10 8<br />
Röntgenstreuung<br />
Spektroskopie<br />
10 -6<br />
10 6<br />
10 -8<br />
10 4 optische<br />
Röntgen-Photonen- 10 -10<br />
Korrelationsspektroskopie<br />
10<br />
10 2 Photonenkorrelationsspektroskopie<br />
10 -14<br />
PCS<br />
-12<br />
XPCS<br />
10 0<br />
zeitaufgelöste Röntgen<strong>und</strong><br />
Neutronenstreuung<br />
10 -2<br />
10 -16<br />
10 16 10 -6 10 -5 10 -4 10 -3 10 -2 10 -1 10 0<br />
Streuvektor Q [Å -1 ]<br />
Energie E=h [eV]<br />
Abb. 2.1. Links: Hoher Druck <strong>und</strong> hohe Temperaturen sind wichtig bei Untersuchungen in Geologie <strong>und</strong> Umweltforschung.<br />
Rechts: Hohe Felder <strong>und</strong> tiefe Temperaturen sind essentiell für Untersuchungen an magnetischen Systemen.<br />
Abb. 2.3. Günstige Wellenlängen <strong>und</strong> Energien.<br />
Abb. 2.4. Magnetische Struktur von Er 6<br />
Mn 23<br />
.<br />
14 Was macht Neutronen so einzigartig 15
Magnetisches Dipolmoment<br />
Das Neutron hat noch eine weitere wichtige Eigenschaft,<br />
die es für den Forscher so wertvoll macht: das<br />
Kernmoment <strong>und</strong> sein magnetisches Dipolmoment.<br />
Damit werden sowohl der Magnetismus der Atomkerne<br />
als auch die magnetische Struktur, die magnetischen<br />
Anregungen <strong>und</strong> Fluktuationen der Elektronen im<br />
Festkörper, zugänglich, mit wichtigen Anwendungen in<br />
korrelierten Elektronensystemen oder im Nanomagnetismus.<br />
Bei der präzisen magnetischen Strukturaufklärung<br />
mit polarisierten Neutronen <strong>und</strong> der kompletten<br />
Bestimmung magnetischer Anregungen haben Neutronen<br />
unter allen Methoden ein Alleinstellungsmerkmal.<br />
Kein W<strong>und</strong>er also, dass die beiden Nobelpreise an<br />
C. G. Shull <strong>und</strong> B. N. Brockhouse im Jahre 1994 gerade<br />
für diesen Themenkreis vergeben wurden!<br />
Kontrastvariation<br />
Bei der Bestimmung von Lage <strong>und</strong> Bewegung von<br />
Atomen ist der Streuquerschnitt aufgr<strong>und</strong> der Wechselwirkung<br />
des Neutrons mit den Atomkernen entscheidend.<br />
Dieser variiert relativ unsystematisch innerhalb<br />
des Periodensystems der Elemente - ganz im Gegensatz<br />
zum Streuquerschnitt von Röntgenstrahlen, der stetig<br />
mit der Anzahl der Elektronen eines Atoms ansteigt.<br />
Mit Neutronen können daher auch im Periodensystem<br />
benachbarte Atome klar unterschieden werden, <strong>und</strong><br />
Abb. 2.6. Kontrastvariation durch H-D Isotopenersatz,<br />
schematisch. Verschiedene funktionelle Einheiten können<br />
gegenüber dem Lösungsmittel hervorgehoben oder unterdrückt<br />
werden.<br />
leichte Atome bleiben sichtbar neben den schweren.<br />
Verschiedene Isotope ein <strong>und</strong> desselben Elements können<br />
gänzlich verschiedene Streuquerschnitte aufweisen.<br />
Forscher, die biologische Proben <strong>und</strong> weiche Materie<br />
untersuchen, machen sich diese Eigenschaften zunutze,<br />
indem sie in einzelnen funktionellen Gruppen oder<br />
Molekülen Wasserstoff durch Deuterium ersetzen <strong>und</strong><br />
diese damit quasi „anfärben“. Diese Kontrastvariation<br />
erlaubt die Bestimmung von Position <strong>und</strong> Bewegung<br />
einzelner Moleküle oder Gruppen in einem komplexen<br />
mehrkomponentigen System.<br />
Neutronen <strong>und</strong> Wasserstoff<br />
Wasserstoff ist das leichteste Element mit<br />
nur einem Elektron. In kondensierter Materie<br />
ist er ein wichtiger Strukturbaustein,<br />
der entweder kovalent geb<strong>und</strong>en oder<br />
in H 2<br />
O-Molekülen enthalten ist. Bei der<br />
Strukturanalyse sehen Röntgenstrahlen<br />
die Elektronendichteverteilung der Atome<br />
oder Ionen. Das eine Wasserstoffelektron<br />
hat dabei nur einen geringen Beitrag - vor<br />
allem im Vergleich zu Schweratomen mit<br />
hoher Ordnungszahl - <strong>und</strong> ist zusätzlich<br />
wegen der kovalenten Bindung gegenüber<br />
der Protonenposition delokalisiert.<br />
Für die Neutronenbeugung ist der Wasserstoff<br />
- genauer gesagt das Proton ( 1 H)<br />
<strong>und</strong> für das schwere Wasserstoffisotop<br />
das Deuteron ( 2 H) - gut zu erkennen <strong>und</strong><br />
zu lokalisieren. Wegen der unterschiedlichen<br />
Vorzeichen der Streulängen<br />
(( 1 H) = -3.74 fm <strong>und</strong> ( 2 H) = +6.67 fm)<br />
ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit<br />
einer Kontrastvariation zwischen<br />
protonierten <strong>und</strong> deuterierten Strukturkomponenten.<br />
Detaillierte Informationen über die<br />
H,D-Verteilung in Wasserstoffbrückenbindungen<br />
oder im Zusammenhang mit<br />
Molekülfehlordnungen sind eine Domäne<br />
der Neutronenstreuung. Entsprechende<br />
Fragestellungen sind auch für die Strukturforschung<br />
von biologischen Makromolekülen<br />
von großer Bedeutung.<br />
x 10 σ tot<br />
[barn] σ tot<br />
[barn] Streuquerschnitt<br />
0,66<br />
24<br />
416<br />
450<br />
522<br />
1408<br />
2985<br />
H<br />
1<br />
C<br />
6<br />
Mn<br />
25<br />
Fe<br />
25<br />
Ni<br />
28<br />
Pd<br />
46<br />
Ho<br />
67<br />
U<br />
1,75<br />
5,55<br />
1,75<br />
11,22<br />
13,30<br />
4,39<br />
8,05<br />
5531 8,90<br />
92<br />
1 2<br />
58 60 62<br />
O2c<br />
O1<br />
z bei <br />
+ 4 K<br />
Rb<br />
O2a<br />
O2 H<br />
O1b<br />
P<br />
O1c<br />
2−fache Achse<br />
<br />
O<br />
P<br />
O<br />
[110] o<br />
2−fache Achse<br />
O<br />
O<br />
z bei <br />
- 1 K<br />
Rb<br />
O H <br />
H<br />
P<br />
O<br />
4-Achse<br />
O<br />
O<br />
<br />
O<br />
P<br />
O<br />
4-Achse<br />
y t<br />
Röntgen Element Neutronen<br />
z<br />
Abb. 2.5. Vergleich der Streuquerschnitte - repräsentiert durch die Kreisfläche - einiger Elemente für Röntgen <strong>und</strong> Neutronen.<br />
Die farbliche Markierung der Neutronenstreuquerschnitte entspricht Streuung mit oder ohne Phasensprung von<br />
180°.<br />
Abb. 2.7. Protonenordnung in O-H···O Wasserstoffbrückenbindungen am Phasenübergang von RbH 2<br />
PO 4<br />
bei <br />
= 147 K<br />
von der paraelektrischen Kristallstruktur mit der Raumgruppe 42d (links) zu der ferroelektrischen Fdd2-Struktur (rechts).<br />
Mit der H-Ordnung bei < <br />
ist eine Deformation der Kristallstruktur entsprechend den eingezeichneten Pfeilen verb<strong>und</strong>en,<br />
die zum Auftreten einer spontanen elektrischen Polarisation in z-Richtung führt.<br />
16 Was macht Neutronen so einzigartig 17
Das Neutron <strong>und</strong> die<br />
Herausforderungen des 21.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
Forschung mit Neutronen ist unverzichtbar für die<br />
Lösung vieler gr<strong>und</strong>legender Fragestellungen der<br />
modernen Naturwissenschaften. Als Beispiel sei die<br />
moderne Physik herausgegriffen, deren aktuelle intellektuelle<br />
Herausforderungen sich plakativ nach den<br />
„drei Unendlichkeiten“ ordnen lassen: dem Verständnis<br />
des „unendlich Kleinen“ (F<strong>und</strong>amentale Kräfte <strong>und</strong><br />
Gr<strong>und</strong>bausteine der Materie), des „unendlich Großen“<br />
(Ursprung <strong>und</strong> Entwicklung des Universums) <strong>und</strong> des<br />
„unendlich Vielfältigen“ (Phänomene kondensierter<br />
Materie als Folge des Wechselspiels einer großen Anzahl<br />
von Atomen bzw. Molekülen). Neutronen tragen<br />
Wesentliches zu allen diesen Fragestellungen bei. Sie<br />
sind dabei meist nicht ersetzbar.<br />
Neutron als Untersuchungsobjekt<br />
Zum einen sind Neutronen selbst das Untersuchungsobjekt.<br />
Auf der größten Skala geben sie entscheidende<br />
Impulse für die Kosmologie, etwa für das Verständnis<br />
der Entstehung der Elemente <strong>und</strong> der Phasenübergänge<br />
des frühen Universums. Auf der kleinsten Skala<br />
erlauben sie, die Grenzen des Standardmodells der<br />
Teilchenphysik auszuloten <strong>und</strong> ermöglichen wesentliche<br />
Fortschritte im Verständnis der starken, elektroschwachen<br />
<strong>und</strong> gravitativen Wechselwirkungen. Als neutrale<br />
elementare Teilchen sind Neutronen ideale Quantenobjekte,<br />
mit denen neuartige nichtklassische Zustände<br />
erzeugt <strong>und</strong> untersucht werden können.<br />
Neutron als Sonde<br />
Zum anderen sind Neutronen vorzügliche Sonden<br />
zur Untersuchung von kondensierter Materie in ihrer<br />
ganzen Vielfalt. Diese Untersuchungen betreffen die<br />
„unendlich vielen Dinge“, mit denen wir täglich in<br />
Berührung kommen <strong>und</strong> die hochkomplexen Phänomene,<br />
die aus dem Zusammenspiel der Teilkomponenten<br />
resultieren. Vielleicht am deutlichsten sichtbar wird die<br />
hiermit verb<strong>und</strong>ene Herausforderung in den Lebenswissenschaften.<br />
Nach Aufklärung der atomaren Struktur<br />
von Proteinen steht ein Verständnis der molekularen<br />
biologischen Prozesse an, <strong>und</strong> Neutronen als Sonden<br />
haben an Quellen der nächsten Generation ein enormes<br />
Potential, solche dynamische Vorgänge aufzuklären.<br />
Die Physik als Basiswissenschaft nähert sich der Biologie<br />
über die Untersuchung von weicher Materie, die in<br />
mehrkomponentigen Systemen komplexe Selbstorganisation<br />
zeigt. Vorgänge auf mikro- bis mesoskopischen<br />
Längenskalen in derart komplexen Systemen lassen<br />
sich hervorragend mit Neutronenstreuung aufklären,<br />
die durch gezielte Deuterierung eine mehrdimensionale<br />
Kontrastvariation erlaubt.<br />
Empfindlich ...<br />
Komplexität ist auch die große Herausforderung der<br />
modernen Festkörperforschung. Mit der Empfi ndlichkeit<br />
für Wasserstoff oder für molekulare Schwingungen<br />
liefern Neutronen einzigartige Beiträge, z. B. für die supramolekulare<br />
Chemie oder die Katalyse. Faszinierende<br />
makroskopische Quanteneffekte, wie die Hochtemperatursupraleitung<br />
oder der kolossale Magnetowiderstand,<br />
treten in komplexen Übergangsmetalloxiden mit starken<br />
elektronischen Korrelationen auf. Mit dem empfi ndlichen<br />
Wechselspiel zwischen den Spin-, Ladungs-, Orbital-<br />
<strong>und</strong> Gitterfreiheitsgraden, die zur Selbstorganisation<br />
auf einer Nanometerskala führen, versprechen solche<br />
Verbindungen noch viele überraschende Entdeckungen<br />
<strong>und</strong> neuartige Anwendungen, etwa in der Sensorik<br />
oder Spintronik. Neutronen erlauben, die Ordnung <strong>und</strong><br />
Anregungen der relevanten Freiheitsgrade empfi ndlich<br />
nachzuweisen <strong>und</strong> damit zwischen den verschiedenen<br />
möglichen Mechanismen zu unterscheiden.<br />
...auf allen Skalen<br />
Neutronen als Sonden in der Nanowelt eignen sich<br />
jedoch nicht nur für Untersuchungen auf kleinster Skala<br />
(Pikometer bis Mikrometer) <strong>und</strong> auf kürzesten Zeiten<br />
(Pikosek<strong>und</strong>en bis Mikrosek<strong>und</strong>en). In der Geologie<br />
gestatten Texturuntersuchungen mit Neutronen, verb<strong>und</strong>en<br />
mit entsprechender Modellierung, Aussagen über<br />
geodynamische Vorgänge, die über Millionen von Jahren<br />
<strong>und</strong> Kilometern von Tiefenbewegungen verlaufen.<br />
Breites Anwendungsspektrum<br />
Diese unvollständige Aufzählung von aktuellen Fragestellungen<br />
in der Forschung mit Neutronen vermittelt<br />
einen ersten Eindruck von der Breite des Anwendungsspektrums<br />
dieses „Geschenks der Natur“. Es kann<br />
nicht das Ziel dieses Papiers sein, dieses Spektrum<br />
in voller Breite abzudecken. Wir konzentrieren uns<br />
daher auf einige wenige, zum Teil fächerübergreifende,<br />
Herausforderungen des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts, die sich unter<br />
Schlagworten „Komplexität“, „Korrelationen“, „Eingeschränkte<br />
Dimensionalität“ zusammenfassen lassen.<br />
Die im Folgenden angesprochenen Themen haben Beispielcharakter<br />
<strong>und</strong> lassen sich oft unter verschiedenen<br />
Kategorien einordnen. So ist es zwar nahe liegend, biologische<br />
Fragestellungen unter dem Oberbegriff „Komplexität“<br />
einzuordnen. Andererseits liefern biologische<br />
Membranen ein schönes Beispiel für „Eingeschränkte<br />
Dimensionalität“.<br />
Neben der Beantwortung gr<strong>und</strong>legender Fragestellung<br />
hat die Forschung mit Neutronen auch großen Anwendungsbezug<br />
<strong>und</strong> strahlt damit direkt aus in unser tägliches<br />
Leben. Dieser Aspekt wird im folgenden Kapitel<br />
schlaglichtartig beleuchtet. Eine weitergehende <strong>und</strong> umfangreichere<br />
Analyse der Möglichkeiten der Forschung<br />
mit Neutronen fi ndet sich in [5] <strong>und</strong> [6].<br />
18 Herausforderungen<br />
19
Komplexität<br />
Die Strategie der Naturwissenschaften, möglichst einfache<br />
Modellsysteme zu untersuchen, hat in der Vergangenheit<br />
beeindruckenden Erfolg verzeichnet <strong>und</strong> herrliche<br />
Früchte getragen. Reale Systeme der kondensierten<br />
Materie, der Geowissenschaften <strong>und</strong> insbesondere der<br />
Lebenswissenschaften zeichnen sich jedoch gerade<br />
dadurch aus, dass sie aus vielen, zum Teil recht unterschiedlichen,<br />
Bestandteilen bestehen, die voneinander<br />
abhängig sind <strong>und</strong> in Verhalten <strong>und</strong> Wirkung Veränderungen<br />
unterworfen sein können. Charakteristisch für<br />
solche komplexen Systeme ist das Phänomen der Selbstorganisation.<br />
Das Zurückführen auf einfachere Modellsysteme<br />
erscheint höchstens bedingt möglich. Eine der<br />
großen Herausforderungen für die Naturwissenschaften<br />
im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert ist es, neue Konzepte, basierend auf<br />
höheren Organisationsprinzipien zu entwickeln, um<br />
fächerübergreifend zu einem tieferen Verständnis komplexer<br />
Systeme zu gelangen.<br />
Abb. 2.8. Schematische Darstellung einer biologischen<br />
Membran, die den komplexen Aufbau als Multikomponentensystem<br />
verdeutlicht.<br />
Fragestellungen<br />
Typische gr<strong>und</strong>legende offene Fragen, zu deren Beantwortung<br />
Neutronen entscheidend beitragen können,<br />
sind:<br />
• Welches sind die universellen Prinzipien von Strukturbildung<br />
<strong>und</strong> Selbstorganisation in der Natur, <strong>und</strong><br />
wie können sie in der Materialwissenschaft genutzt<br />
werden<br />
• Können wir chemische Reaktionen <strong>und</strong> Reaktionswege<br />
in Multikomponentensystemen vorhersagen<br />
• Können wir gezielt Vielkomponenten-Materialien<br />
erzeugen mit maßgeschneiderten makroskopischen<br />
Eigenschaften<br />
• Wie sind biologische Funktionen <strong>und</strong> Prozesse mit<br />
der Struktur <strong>und</strong> Dynamik von makromolekularen<br />
Systemen verb<strong>und</strong>en<br />
• Welche Rolle spielt Wasser in geodynamischen Prozessen<br />
wie Plattentektonik, Vulkanismus <strong>und</strong> Gesteinsumwandlung<br />
Beispiele für komplexe Systeme<br />
• Bio-Materialien bestehen aus einer Unmenge verschiedener<br />
molekularer Spezies, die auf spezifi sche<br />
Art miteinander wechselwirken, sich selbst organisieren<br />
<strong>und</strong> damit Lebensprozesse erst ermöglichen<br />
(s. Abb. 2.8).<br />
• Weiche Materie begegnet uns oft in Form von<br />
Vielkomponentensystemen, in denen Strukturbildung<br />
durch Selbstorganisation auftritt. Solche<br />
Mischmaterialien sind allgegenwärtig in der technischen<br />
Anwendung:<br />
- Mikroemulsionen, d. h. makroskopisch homogene<br />
Phasen, die durch Zusatz eines oberfl ächenaktiven<br />
Stoffes (Tensids, „Surfactant“) zu einem<br />
Gemisch von zwei gewöhnlich nichtmischbaren<br />
Flüssigkeiten, wie Öl <strong>und</strong> Wasser („Sauce Vinaigrette“),<br />
entstehen (s. Abb. 2.9).<br />
- Kolloidale komplexe Flüssigkeiten, d. h. in Dispersionsmittel<br />
fein verteilte Stoffe – ein alltägliches<br />
Beispiel ist Milch.<br />
- Strukturbildung in makromolekularen, polymeren<br />
Systemen, die z. B. zur Herstellung von<br />
geordneten Nanostrukturen genutzt werden kann.<br />
• Komplexe Festkörper, etwa komplexe Metalllegierungen<br />
mit Einheitszellen, die aus vielen tausend Atomen<br />
bestehen oder komplexe Übergangsmetalloxide,<br />
wie Hochtemperatursupraleiter oder Manganate mit<br />
kolossalem Magnetowiderstand. Diese Materialien<br />
zeigen elektronische Selbstorganisation auf der Nanometerskala,<br />
etwa in Form von Streifenordnung oder<br />
elektronischer Phasenseparation (s. Abb. 2.10).<br />
• Komplexe Geomaterialien, die aus mehreren Phasen<br />
mit unterschiedlicher Textur zusammengesetzt<br />
sind. Die Multiphasentextur gibt Aufschluss über die<br />
geodynamische Vorgeschichte, d. h. die Zeitentwicklung<br />
von Druck <strong>und</strong> Temperatur (s. Abb. 2.11).<br />
Intensität / 10<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
020.omp<br />
111 − .omp<br />
100.qtz<br />
220.gar<br />
Mn 3+ Mn 3+ Mn 4+ Eklogit wk17− 98A<br />
111.omp<br />
011/101.qtz<br />
021.omp<br />
220.omp<br />
321.gar<br />
221 − .omp<br />
310.omp<br />
311 − .omp<br />
130.omp<br />
400.gar<br />
420.gar<br />
131 .omp<br />
202 − .omp<br />
002.omp<br />
30 40 50 60 70 80<br />
221.omp<br />
332.gar<br />
110.qtz<br />
2 Theta<br />
131.omp<br />
422.gar<br />
400.omp<br />
311.omp<br />
312 − .omp<br />
112.omp<br />
022.omp<br />
431.gar<br />
012/102.qtz<br />
111.qtz<br />
330.omp<br />
521.gar<br />
331 − .omp<br />
421 − .omp<br />
Abb. 2.9. Darstellung der bikontinuierlichen Phase<br />
einer Mikroemulsion.<br />
Abb. 2.10. Streifenordnung in Manganaten aufgr<strong>und</strong><br />
elektronischer Phasenseparation.<br />
Abb. 2.11. Neutronen-Texturanalyse der verschiedenen<br />
Komponenten einer Gesteinsprobe als Beispiel<br />
eines geologischen Multiphasenmaterials.<br />
440.gar<br />
041.omp<br />
402 − .omp<br />
202.omp<br />
132 − .omp<br />
241 − .omp<br />
021/201.qtz<br />
611/532.gar<br />
331.omp<br />
422 − .omp<br />
620.gar<br />
112.qtz<br />
20 Komplexität<br />
21
Zelluläre <strong>und</strong> molekulare<br />
biologische Strukturen <strong>und</strong><br />
Prozesse<br />
Ziele der modernen Biologie sind, Mechanismen, die<br />
Lebensprozessen zugr<strong>und</strong>e liegen, auf molekularer oder<br />
zellulärer Ebene zu verstehen. Dabei sind die Kenntnis<br />
der dreidimensionalen molekularen Struktur <strong>und</strong> die<br />
Interaktion mit anderen Molekülen von entscheidender<br />
Bedeutung. So werden einige der großen Herausforderungen<br />
der nächsten Jahrzehnte die Aufklärung der<br />
molekularen Mechanismen von Infektionskrankheiten,<br />
der Krebsentstehung <strong>und</strong> der Funktion <strong>und</strong> Dysfunktion<br />
des Nervensystems sein. Ebenfalls wird das aus<br />
der Genomforschung hervorgegangene Arbeitsgebiet<br />
der Proteomics eine wesentliche Bedeutung erlangen.<br />
Neutronenstreuung kann hier wichtige Erkenntnisse<br />
beisteuern, indem enzymatische Prozesse durch Proteinkristallographie<br />
an isotopensubstituierten Proteinen<br />
oder die Wechselwirkung verschiedener Komponenten<br />
(Protein-Nukleinsäure oder Protein-Protein-Komplexe)<br />
studiert werden. Die besondere Stärke der Neutronenstreuung<br />
besteht darin, dass man durch Isotopensubstitution<br />
molekularen Komponenten sichtbar machen <strong>und</strong><br />
Kontrast erzeugen kann (s. Abb. 2.12).<br />
Grenzflächen zwischen Molekülen<br />
Eine besondere Rolle kommt der Untersuchung von<br />
Vorgängen an Grenzfl ächen zwischen Makromolekülen<br />
zu, da dies in lebenden Systemen eine Vielzahl biologischer<br />
<strong>und</strong> chemischer Prozesse umfasst. Ein herausragendes<br />
Beispiel sind die biologischen Membranen,<br />
für die das strukturelle <strong>und</strong> funktionelle Verständnis<br />
der Membranproteine sowie deren Wechselwirkung mit<br />
Molekülen auf beiden Seiten der Zellmembranen auch<br />
auf absehbare Zeit eine der größten Herausforderungen<br />
der modernen Biologie darstellt (s. Abb. 2.13).<br />
Proteindynamik<br />
Eine ebenso wichtige Rolle spielt das Verständnis der<br />
Proteindynamik, bei der die interne Dynamik biologischer<br />
Makromoleküle auf einer Pikosek<strong>und</strong>enzeit- <strong>und</strong><br />
Ångströmlängenskala untersucht werden. Im Bereich<br />
von Proteinbindungsreaktionen wird die Wechselwirkungskinetik<br />
biologischer Makromoleküle in Mikrosek<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> bis zur atomaren Aufl ösung beobachtet.<br />
Beispiel: biologischer Vorgang<br />
Neutronen können komplementäre Beiträge zu den in<br />
der Strukturbiologie weit verbreiteten Techniken wie<br />
NMR oder Röntgen-/Synchrotronstreuung leisten <strong>und</strong><br />
liefern so Schlüsselinformationen zum Verständnis<br />
komplexer biologischer Vorgänge. Als ein Beispiel<br />
sei hier die Komplexbildung im Chaperon erläutert.<br />
Chaperone (frz. le chaperon = die Kappe) sind große<br />
makromolekulare Komplexe, die an der Faltung von<br />
Proteinen beteiligt sind. Sie bestehen im E.coli Bakterium<br />
aus den beiden Komplexen GroEL (14 Untereinheiten<br />
à 60 kDa; 1 Da = Masse eines Kohlenstoffatoms)<br />
<strong>und</strong> GroES (sieben Untereinheiten à 10 kDa), s. Abb.<br />
2.14. Eine strukturell ähnliche Untereinheit wird auch<br />
in einem Virus, dem so genannten T4-Phagen, gef<strong>und</strong>en:<br />
das Molekül GP31. Dieses Makromolekül kann<br />
das GroES im bakteriellen Chaperon ersetzen <strong>und</strong> er-<br />
möglicht dann vermutlich präferentiell die Synthese <strong>und</strong><br />
korrekte Faltung eines anderen Phagenproteins (GP23).<br />
Auf diese Art <strong>und</strong> Weise kann das Virus das bakterielle<br />
Chaperon ‚umprogrammieren‘, so dass in diesem speziellen<br />
Fall auch ohne Weitergabe von Erbinformation die<br />
Produktion von Virusmaterial unterstützt wird.<br />
Wie lässt sich der Prozess sichtbar<br />
machen<br />
Mittels Kontrastvariation (Austausch von 1 H gegen 2 H)<br />
kann in sogenannten ‚chasing experiments‘ die Kinetik<br />
der eben beschriebenen Komplexbildung verfolgt<br />
werden. Das bedeutet im Prinzip, dass vermessen wird,<br />
ob <strong>und</strong> wie schnell sich der virale GP31 Proteinkomplex<br />
an die Stelle des bakteriellen GroES ‚schummeln‘<br />
kann. Dies geschieht folgendermaßen: An die größere<br />
bakterielle Untereinheit GroEL wird die Kappe aus<br />
viralem GP31 oder bakteriellem GroES geb<strong>und</strong>en.<br />
Diese Komplexe werden in einem Lösungsmittel aufgenommen,<br />
dessen Streulängendichte der von deuteriertem<br />
[ 2 H]GroES entspricht. Dann wird [ 2 H]GroES<br />
im Überschuss zusammen mit ADP (einem Energielieferanten)<br />
zugegeben <strong>und</strong> beobachtet, wie sich die<br />
Streuung zeitabhängig verändert. Wird GP31 gegen die<br />
deuterierte bakterielle Kappe [ 2 H]GroES ausgetauscht,<br />
erscheint das Chaperon GroEL–[ 2 H]GroES kleiner als<br />
der Komplex bestehend aus GroEL–GP31 oder Gro-<br />
EL–GroES, da in dem gewählten Lösungsmittel das<br />
[ 2 H]GroES ‚unsichtbar‘ ist (contrast matching). Aus<br />
solchen Messungen ergibt sich, dass die Kappe des T4-<br />
Phagen mit GroEL einen stabileren Komplex bildet als<br />
das ursprüngliche bakterielle System GroEL–GroES.<br />
Diese Langzeitstabilität der Verbindung aus bakteriellen<br />
<strong>und</strong> viralen Makromolekülen kann somit die<br />
korrekte Faltung des Phagenproteins GP23 unterstützen<br />
<strong>und</strong> erklären, wie trickreich sich ein Phage vermehren<br />
kann.<br />
D 2<br />
O<br />
SO 4<br />
Abb. 2.12. Beispiel für die 1,5 Å hochaufgelöste Kristallstruktur<br />
von Myoglobin. Die atomare Dichtekarte zeigt<br />
in blau (1,5 σ) <strong>und</strong> in rot (-2,0 σ) positive <strong>und</strong> negative<br />
Streulängenbeiträge. Der Wasserstoff 1 H (rot) <strong>und</strong>, in der<br />
Kontaktregion zwischen zwei Molekülen, das schwere<br />
Wasser D 2<br />
O sind deutlich zu sehen.<br />
D 2<br />
O<br />
22 Komplexität: Biologie<br />
23
Mögliche zukünftige Anwendungen:<br />
Kernspinkontrastvariation<br />
Im Gegensatz zu der oben erwähnten Möglichkeit,<br />
interessante Bereiche in einem Makromolekül<br />
durch Isotopensubstitution zu markieren, bietet die<br />
Neutronenstreuung zudem die Option, polarisierte<br />
Neutronen an polarisierten Kernspins (im wesentlichen<br />
1<br />
H) zu streuen (s. Abb. 2.15). Die zeitaufgelöste<br />
Neutronenstreuung an dynamisch polarisierten<br />
Protonenspins erlaubt die Untersuchung von sehr<br />
verdünnten paramagnetischen Strukturen. Hierzu<br />
gehört beispielsweise eine Reihe von Enzymen,<br />
deren aktive Zentren in einen radikalischen<br />
Zustand übergehen können oder ihn an anderer<br />
Stelle innerhalb des Proteins auslösen. Eine erste<br />
entsprechende Untersuchung wurde an dem<br />
katalasegeb<strong>und</strong>enen Tyrosylradikal durchgeführt. Der<br />
erste zweifelsfreie Nachweis der Kernspindiffusion<br />
in einem protonenreichen Molekül gelang in einem<br />
Biradikalmolekül.<br />
Der Aufbau des intramolekularen Polarisationsgradienten<br />
ist rasch (< 1 Sek<strong>und</strong>e) <strong>und</strong> somit nur über<br />
zeitaufgelöste Neutronenstreuung, nicht aber mit NMR,<br />
nachweisbar, denn NMR-Messungen erfordern mehr<br />
Zeit. Auf diese elegante Weise kann im Inneren eines<br />
Proteins ein Streukontrast erzeugt werden, der zur<br />
Strukturuntersuchung herangezogen werden kann.<br />
Abb. 2.13. Ein Beispiel für Vorgänge an biologischen<br />
Membranen ist die Einlagerung von Squalene, einem<br />
Polyisopren. Die Phospholipide POPC <strong>und</strong> POPS bilden<br />
eine Membran mit <strong>und</strong> ohne Squalene. Polyisoprene sind<br />
Bestandteile von Biomembranen, die keine polare Gruppe<br />
besitzen; über ihre Funktion ist wenig bekannt. Auffällig ist,<br />
dass in allen Membranen, die Protonengradienten aufrechterhalten<br />
müssen, diese Kohlenwasserstoffe zu finden<br />
sind. Mit Neutronendiffraktion konnten diese Moleküle zum<br />
ersten Mal in der Membran lokalisiert werden. Ihre Position<br />
zwischen den Monoschichten des Lipidbilayers kann eine<br />
mögliche Erklärung liefern, warum diese Moleküle als Protonenbarriere<br />
dienen.<br />
Abb. 2.14. Kristallstruktur von GroEL(blau)/GroES(rot)<br />
[1AON.pdb, A Seitenansicht, B Draufsicht] im Vergleich zur<br />
Kristallstruktur von GP31 (grüne Schleifendarstellung, C)<br />
<strong>und</strong> GroES (blaue Schleifendarstellung, D). Obwohl GP31<br />
<strong>und</strong> GroES nur eine geringe Sequenzhomologie aufweisen,<br />
sind beide Komplexe strukturell so ähnlich, dass es zu einer<br />
Verdrängung von GroES kommt, wenn GP31 präsent ist.<br />
A: GroEL/GroES B C: GP31 D: GroES<br />
R1<br />
R2<br />
R1<br />
Abb. 2.15. Dieses Biradikalmolekül mit einem festen<br />
Abstand von 38 Å zwischen den an den Enden befindlichen<br />
radikalischen Nitroxydgruppen (NO durch grüne bzw. blaue<br />
Punkte gekennzeichnet) dient nicht nur der Eichung in der<br />
EPR-Spektroskopie. Es unterstützt auch in hervorragender<br />
Weise den Vorgang der Kernspinpolarisation durch Mikrowelleneinstrahlung<br />
in einem starken Magnetfeld bei tiefen<br />
Temperaturen. In einem ersten Schritt der dynamischen<br />
Kernspinpolarisation (DNP) werden die Protonen in dem<br />
durch R1 gekennzeichneten Gebieten polarisiert. Da das Lösungsmittel<br />
deuteriert ist, greift in einem zweiten Schritt die<br />
Polarisation vorzugsweise auf die benachbarten Kernspins in<br />
R2 über.<br />
24 Komplexität: Biologie<br />
25
Komplexe Systeme der weichen<br />
Materie<br />
„Weiche Materie“, z. B. Polymere, Kolloide, Mikroemulsionen,<br />
Gele oder Biopolymere <strong>und</strong> Membranen<br />
zeichnet sich aus durch:<br />
• eine große Zahl an weichen internen Freiheitsgraden,<br />
dies führt zu einer großen Reaktion auf kleine externe<br />
Einfl üsse;<br />
• die Komplexität;<br />
• die große Bedeutung entropischer Kräfte;<br />
• Struktur auf mesoskopischer Längenskala<br />
(Nanometer bis Mikrometer).<br />
Die vielseitigen Eigenschaften dieser „weichen“ Materialien<br />
führen zur Anwendung in den verschiedensten<br />
Bereichen von Öladditiven, Kosmetika, Farben, Waschmitteln<br />
bis hin zu Nahrungsmitteln.<br />
Universalität<br />
So unterschiedlich die Materialien <strong>und</strong> ihre Anwendungen<br />
auch sind, bleibt doch die gr<strong>und</strong>legende Frage<br />
die gleiche: wie bestimmen die mikroskopische Zusammensetzung<br />
<strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Wechselwirkungen<br />
die Struktur, die Dynamik <strong>und</strong> damit die<br />
makroskopischen Eigenschaften des Materials Die<br />
Beantwortung bedeutet nicht nur Fortschritt für die<br />
Festkörperforschung im Sinne eines gr<strong>und</strong>legenden<br />
Verständnisses, sondern öffnet den Weg zu einer gezielten<br />
Beeinfl ussung der makroskopischen Eigenschaften<br />
durch Veränderung mikroskopischer Parameter. Ein<br />
wichtiges Ergebnis der bisherigen Forschung ist z. B.,<br />
dass bei aller Komplexität interessanterweise viele<br />
Phänomene der weichen Materie unabhängig von der<br />
chemischen Struktur des betrachteten Materials sind,<br />
d. h. sie sind universell. So ist die Konformation einer<br />
sehr langen Polymerkette in der Schmelze knäuelartig.<br />
Der Radius dieses Knäuels hängt von der Zahl der Monomere<br />
ab, nicht aber von der chemischen Zusammensetzung<br />
des Monomers.<br />
Vielkomponentensysteme<br />
Die Systeme, die heute in der industriellen Anwendung<br />
eine Rolle spielen, werden immer komplexer, meist<br />
sind es Vielkomponentensysteme, <strong>und</strong> diese müssen<br />
für hochspezialisierte Anwendungen zugeschnitten<br />
sein. Verwandt mit den Materialien aus der industriellen<br />
Anwendung sind komplexe biologische Stoffe<br />
wie Membranen <strong>und</strong> intrazellulare makromolekulare<br />
Netzwerke. Dies sind selbstorganisierende Multikomponentensysteme,<br />
deren Funktion durch die Wechselwirkung<br />
verschiedener molekularer Komponenten<br />
bestimmt wird, deren physikalische Eigenschaften sich<br />
aber gr<strong>und</strong>legend von denen der einzelnen Komponenten<br />
unterscheiden.<br />
Kontrastvariation<br />
Die Neutronenstreuung liefert den Zugang zu diesen<br />
komplexen Systemen mit Hilfe gezielter Kontrastvariation.<br />
Durch Austausch von Wasserstoff mit Deuterium<br />
werden einzelne Moleküle oder Teile von ihnen sichtbar<br />
gemacht. So werden komplexe Strukturen entschlüsselt<br />
<strong>und</strong> die Dynamik einzelner Komponenten <strong>und</strong> deren<br />
Korrelationen mit raum-zeitlicher Auflösung auf molekularen<br />
Skalen zugänglich. Diese einzigartige Technik<br />
<strong>und</strong> die mit Neutronen realisierbare Aufl ösung auf<br />
molekularen Zeit- <strong>und</strong> Längenskalen, die optimal zur<br />
Untersuchung der komplexen Systeme genutzt werden<br />
kann, erklären die herausragende Rolle der Neutronenstreuung<br />
im Bereich der weichen Materie.<br />
Beispiele zu Struktur <strong>und</strong> Dynamik<br />
Im Folgenden werden zwei typische Neutronenstreuexperimente<br />
vorgestellt, eines zu strukturellen Eigenschaften<br />
eines Mehrkomponentensystems <strong>und</strong> eines<br />
zur Dynamik. Im ersten Beispiel wird der Einfluss von<br />
Polymeren auf so genannte Mikroemulsionen im Zusammenhang<br />
mit der Effi zienzsteigerung von Tensiden<br />
untersucht.<br />
Abb. 2.16. In den Behältern befindet sich jeweils die<br />
gleiche Menge an Öl <strong>und</strong> Wasser. Die linke Säule zeigt 2<br />
deutlich getrennte Phasen. Die zweite Säule enthält 5 %<br />
Tensid. In der Mitte ist die Phase des Öl-Wasser-Gemisches<br />
zu erkennen. In der dritten Säule wurde 0,3 %, in der<br />
vierten 0,5 % des Polymers hinzugegeben. Die Menge der<br />
homogenen Öl-Wasser-Mikroemulsion steigt signifikant.<br />
Intensität [cm -1 ]<br />
10 4<br />
10 3<br />
10 2<br />
10 1<br />
10 0<br />
10<br />
0,001 0,01 0,1<br />
-1<br />
Q [Å -1 ]<br />
Öl<br />
Tensid<br />
Polymer<br />
Effizientere Tenside<br />
Mikroemulsionen sind homogene, thermodynamisch<br />
stabile Mischungen von Öl <strong>und</strong> Wasser, wobei die<br />
Mischbarkeit dieser ansonsten unmischbaren Bestandteile<br />
durch Tenside realisiert wird. Auf mikroskopischer<br />
Skala formen die Tensid-Moleküle eine Grenzschicht<br />
zwischen Öl <strong>und</strong> Wasser in einer auf kleinstem Raum<br />
eng verzahnten Struktur (bikontinuierliche Phase),<br />
makroskopisch sind sie daher homogen. Die Zugabe<br />
einer geringen Menge eines Diblock-Copolymers (die<br />
Polymerkette besteht hier aus zwei unterschiedlichen<br />
Polymeren) führt nun zu einer dramatischen Erhöhung<br />
der Menge von Öl <strong>und</strong> Wasser, die mit einem bestimmten<br />
Anteil von Tensid vermischt werden können (s.<br />
Abb. 2.16).<br />
Boosting Effekt<br />
Wie können Neutronen zu einem Verständnis dieses<br />
„Boosting Effekts“ führen Durch Kontrastvariation in<br />
der Neutronenkleinwinkelstreuung können die einzelnen<br />
Bestandteile dieses komplexen Systems einzeln<br />
sichtbar gemacht werden (s. Abb. 2.17). Die Diblock-<br />
Copolymere haben sich in der Grenzschicht zwischen<br />
Öl <strong>und</strong> Wasser angelagert, da ein Teil des Polymers das<br />
Wasser, der andere das Öl bevorzugt. Die Polymeranlagerungen<br />
ändern die Biegesteifi gkeit der Membran.<br />
Eine erhöhte Steifi gkeit der Membranschicht macht diese<br />
glatter <strong>und</strong> damit die Membranfl äche effektiv größer,<br />
d. h. es wird weniger Tensid gebraucht, um die gleiche<br />
Menge Öl in Wasser zu lösen.<br />
Abb. 2.17. Links: Durch Kontrastvariation kann die<br />
Sichtbarkeit einzelner Komponenten ein- <strong>und</strong> ausgeschaltet<br />
werden (orange = Öl, grün = Tensid, blau =<br />
Wasser, schwarz = Polymer). Rechts: Kleinwinkeldaten<br />
für drei partielle Streufunktionen für Öl (orange), Tensid<br />
(grün) <strong>und</strong> Polymer (schwarz).<br />
26 Komplexität: Weiche Materie 27
Polymerdynamik in der Schmelze<br />
Im zweiten Beispiel geht es um die Bewegung von<br />
Makromolekülen, genauer um die Polymerdynamik<br />
in der Schmelze. Von Theoretikern wurde eine<br />
schlangenartige Bewegung langer Kettenmoleküle, die<br />
so genannte Reptation, vorhergesagt. Zugr<strong>und</strong>e liegt<br />
diesem Modell die Idee, dass eine einzelne Kette in<br />
ihrer lateralen Bewegung durch topologische Wechselwirkung<br />
mit den Nachbarketten stark eingeschränkt ist.<br />
Diese Einschränkung wird in dem Reptationsmodell<br />
durch eine virtuelle Röhre repräsentiert, die der Kontur<br />
der beobachteten Kette folgt. Diese kann dann nur noch<br />
ihrer eigenen Kontur folgend entlang des Röhrenprofi ls<br />
diff<strong>und</strong>ieren. Diese sehr langsamen Bewegungen kann<br />
man ideal mit der Neutronenspinecho-Spektroskopie<br />
verfolgen, die direkt die Zeitentwicklung der Korrelationen<br />
misst. Für große Molekulargewichte wird De Gennes<br />
Reptationsmodell bestätigt (Abb. 2.18, oben). Durch<br />
Einsatz neuer, höchstaufl ösender Instrumente konnten<br />
Abweichungen von diesem Modell für kleine Molekulargewichte<br />
nachgewiesen werden. Wie Abb. 2.18<br />
S(Q,t) / S(Q)<br />
1,00<br />
0,75<br />
0,50<br />
0,25<br />
M w<br />
= 190 kg/mol<br />
0,00<br />
0 50 100 150<br />
1,00<br />
0,75<br />
0,50<br />
0,25<br />
M w<br />
= 12.4 kg/mol<br />
Zeit / ns<br />
0,00<br />
0 50 100 150<br />
Zeit / ns<br />
Abb. 2.18. Neutronenspinechodaten von Polyethylen<br />
bei 509 K.<br />
Oben: <br />
= 190 kg/mol, die Linien zeigen den Reptationsfit.<br />
Unten: <br />
= 12,4 kg/mol, die gestrichelten Linien zeigen<br />
Erwartung im Rahmen des Reptationsmodells, bei den<br />
durchgezogenen Linien sind die Konturlängenfluktuationen<br />
berücksichtigt.<br />
(unten) zeigt, ist dort das Plateau bei großen Zeiten weniger<br />
stark ausgeprägt. Der weitere Abfall deutet auf einen<br />
zusätzlichen Mechanismus, sog. Konturlängenfl uktuationen,<br />
hin. Das bedeutet, dass die Fluktuationen der<br />
Kettenenden mit wachsender Zeit zu einer Abnahme<br />
der effektiven Röhrenlänge <strong>und</strong> damit der topologischen<br />
Einschränkung führen. Die durchgezogenen Linien<br />
in Abb. 2.18 (unten) repräsentieren eine Anpassungsrechnung,<br />
deren Basis zwar das Reptationsmodell ist<br />
(gestrichelte Linien im Bild), die aber auch die Zeitabhängigkeit<br />
der Röhrenlänge berücksichtigt.<br />
Komplexe magnetische Phasen<br />
Die Wechselwirkungen zwischen magnetischen Momenten<br />
in kondensierter Materie führen zu einer<br />
Vielzahl unterschiedlichster magnetischer Strukturen.<br />
Neben einfacher ferromagnetischer Ausrichtung kann<br />
es bei antiferromagnetischer Wechselwirkung zu komplexen<br />
Anordnungen <strong>und</strong> Ausrichtungen der Momente<br />
kommen. Durch Variation der Temperatur, des externen<br />
Magnetfeldes <strong>und</strong> anderer Parameter kann man die<br />
magnetischen Ordnungszustände oft leicht modifi zieren.<br />
Neutronenstreuung ist die Methode der Wahl zur<br />
Untersuchung dieser magnetischen Phasen.<br />
„Frustrierte Magnete“<br />
Ein einfaches Beispiel der Ausbildung einer komplexen<br />
magnetischen Struktur ist das antiferromagnetische<br />
Dreiecksgitter. Platziert man auf zwei Ecken eines<br />
gleichschenkligen Dreiecks zwei Spins antiparallel,<br />
kann ein dritter Spin auf dem noch freien Platz nicht<br />
mehr gleichzeitig antiparallel zu den beiden anderen<br />
stehen. Diese sog. Frustration kann teilweise umgangen<br />
werden, wenn die Spinmomente in der Ebene bzw. im<br />
Raum beliebig einstellbar sind. Als Kompromiss bildet<br />
sich dann eine 120°-Struktur der Momentorientierung<br />
aus. Abb. 2.19 zeigt dies am Beispiel des Antiferromagneten<br />
CsMnBr 3<br />
, dessen Mn-Ionen das Dreiecksgitter in<br />
der hexagonalen Kristallebene bilden. Es verbleibt ein<br />
zweifach entarteter Gr<strong>und</strong>zustand: energetisch gesehen<br />
spielt es nämlich keine Rolle, ob ein benachbarter Spin<br />
nach links oder nach rechts um 120° gedreht ist. Sobald<br />
sich jedoch diese Drehrichtung (= Chiralität) ausgebildet<br />
hat, sind sämtliche Momentorientierungen im<br />
Kristall festgelegt. Unterhalb der antiferromagnetischen<br />
Ordnungstemperatur T N<br />
bilden sich an verschiedenen<br />
Stellen im Festkörper mehr oder weniger zufällig Bereiche<br />
unterschiedlicher Chiralität aus. Mit Hilfe polarisierter<br />
Neutronen können die relativen Anteile dieser<br />
Domänen im Kristall sichtbar gemacht <strong>und</strong> untersucht<br />
werden.<br />
Chiralen Domänen auf der Spur<br />
Die Größe <strong>und</strong> Verteilung der chiralen Domänen<br />
hängen vom Kristall, der Abkühlvorgeschichte <strong>und</strong> von<br />
externen Parametern, wie Torsion der Probe <strong>und</strong> elektrischen<br />
Feldern, ab. Für den Fall ungleicher Domänenpopulationen<br />
ergibt sich ein Unterschied in der Streuintensität,<br />
∆ I= I + - I - , der magnetischen Bragg-Reflexe für<br />
verschieden polarisierte Neutronen. So sind Neutronen<br />
mit einer Polarisation parallel zu einem magnetischen<br />
Führungsfeld, I + , sensitiv auf eine Sorte chiraler Domänen,<br />
während die antiparallel ausgerichteten Neutronen,<br />
I - , die Domänen mit entgegengesetztem Drehsinn detektieren.<br />
Ein Beispiel für einen mit Hilfe polarisierter<br />
Neutronen gemessenen Unterschied in der Domänenpopulation<br />
von CsMnBr 3<br />
zeigt das Inset in Abb. 2.20 für<br />
den (1/3 1/3 1)-Reflex.<br />
Vorhersagen bestätigt: „chirale<br />
Universalität“<br />
Eine wichtige Eigenschaft von Phasenübergängen ist<br />
deren Universalität. Dies bedeutet, dass das kritische<br />
Verhalten physikalisch unterschiedlichster Systeme<br />
nur von wenigen Parametern, wie der Dimension <strong>und</strong><br />
der Zahl der Freiheitsgrade des Ordnungsparameters,<br />
abhängt. Das kritische Verhalten wird von einem Satz<br />
sogenannter kritischer Exponenten charakterisiert. Für<br />
die oben beschriebenen Antiferromagneten mit chiraler<br />
Ordnung wurden neue Universalitätsklassen vorhergesagt.<br />
Die konventionellen kritischen Exponenten sind<br />
modifi ziert <strong>und</strong> neue Exponenten, die das Verhalten der<br />
chiralen Ordnung beschreiben, werden vorhergesagt.<br />
So ist der konventionelle kritische Exponent durch<br />
die Temperaturabhängigkeit der Untergittermagnetisierung<br />
gegeben. Experimentell ergibt sich diese aus<br />
der Summe I + + I - , die proportional zu 2 ist, wobei<br />
= (T N<br />
- T)/T N<br />
die reduzierte Temperatur ist. Das<br />
Differenzsignal ∆I ändert sich unterhalb der Ordnungstemperatur<br />
proportional zu 2 mit dem neuen kritischen<br />
Exponenten c<br />
= 0,42 für CsMnBr 3<br />
, was sehr gut mit<br />
den theoretischen Vorhersagen übereinstimmt.<br />
Ebenso können andere physikalische Größen, wie die<br />
chirale Suszeptibilität oberhalb T N<br />
, mit Hilfe der polarisierten<br />
Neutronenstreuung – <strong>und</strong> auch nur mit dieser<br />
– gemessen, die kritischen Exponenten bestimmt <strong>und</strong><br />
mit theoretischen Vorhersagen verglichen werden. Diese<br />
Untersuchungen leisten einen wesentlichen Beitrag zum<br />
besseren Verständnis der f<strong>und</strong>amentalen magnetischen<br />
Wechselwirkungen in kondensierter Materie.<br />
(Intensitätsdifferenz)<br />
5<br />
CsMnBr 3<br />
1<br />
I ~ 0.42 20<br />
I +<br />
I -<br />
10<br />
0<br />
0,32<br />
0,1<br />
0,33 0,34<br />
Q h<br />
0,35<br />
0,001 0,01<br />
<br />
0,1 1<br />
Streuintensität<br />
Abb. 2.20. Temperaturabhängigkeit des<br />
Unterschieds der Domänenpopulation<br />
Δ = + - - mit = ( <br />
– )/ <br />
. Das Inset zeigt die Streuintensitäten<br />
für die beiden Polarisationsrichtungen am<br />
(1/3 1/3 1)-Bragg-Reflex.<br />
Abb. 2.19. Die zwei<br />
unterschiedlichen<br />
chiralen Domänen<br />
in einem antiferromagnetischen<br />
Dreiecksgitter<br />
am Beispiel<br />
von CsMnBr 3<br />
. Die<br />
Drehrichtung der Mn-<br />
Spins in den beiden<br />
Teilbildern ist jeweils<br />
entgegengesetzt.<br />
28 Komplexität: Magnetische Phasen 29
Anregungskontinua <strong>und</strong><br />
Magnetisierungsplateaus in<br />
Quantenmagneten<br />
Für das Verhalten von Materialien, deren Magnetismus<br />
auf niedrigen Spinwerten wie S=1/2 oder S=1<br />
beruht, ist die Quantenmechanik entscheidend (sog.<br />
„Quantenmagnete“). Solche Materialien, insbesondere<br />
Materialien mit eingeschränkter Dimensionalität, bilden<br />
bei tiefen Temperaturen Quantenphasen mit ungewöhnlicher,<br />
komplexer Ordnung. Einfacher Ausgangspunkt<br />
für das Verständnis einer Gruppe solch komplexer Phasen<br />
ist die Bildung von „Dimer“ genannten Einheiten<br />
aus zwei antiparallelen Spins (vergleichbar einem magnetischen<br />
Molekül), ein typisches Quantenphänomen.<br />
Wenn eine Gruppe von Spins 1/2 sich in Dimer-Einheiten<br />
zusammenfi ndet, gelingt es ihr, den magnetischen<br />
Charakter zu verbergen, denn ein endliches Magnetfeld<br />
ist erforderlich, um die Bindungsenergie zu überwinden<br />
<strong>und</strong> das Dimer aufzubrechen zu einer Konfi guration mit<br />
endlicher Magnetisierung (s. Abb. 2.21).<br />
Energie (meV)<br />
Energie (meV)<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
0 0,25 0,5 0,75 1<br />
20<br />
15<br />
10<br />
1,4 1,5 1,6<br />
Wellenvektor q Kette<br />
(2A −1 )<br />
S(Q,E) (willkürliche Einheiten)<br />
S(Q,E) (willkürliche Einheiten)<br />
Abb. 2.24. Spin 1 Einheiten aus zwei elementaren Spins<br />
1/2 <strong>und</strong> Bildung eines Dimers aus zwei elementaren Spins<br />
1/2 in benachbarten Spin 1 Einheiten (vollständige Bindung<br />
zu Dimeren).<br />
Abb. 2.21. Ein einfaches Dimer <strong>und</strong> seine Ausrichtung im<br />
Magnetfeld.<br />
Abb. 2.22. Anregungskontinuum im 1D-Antiferromagneten<br />
KCuF 3<br />
.<br />
oben: Gesamter Energiebereich.<br />
unten: Ausschnitt in der Umgebung des -Punktes.<br />
Abb. 2.23. Magnetisierung von NH 4<br />
CuCl 3<br />
.<br />
Abb. 2.25. Einheiten mit Spin 3 /2 aus drei elementaren<br />
Spins 1 /2 <strong>und</strong> Bildung eines Dimers aus zwei elementaren<br />
Spins 1 /2 in benachbarten Spin 3 /2 Einheiten (teilweise Bindung<br />
zu Dimeren, die roten elementaren Spins 1 /2 bleiben<br />
frei <strong>und</strong> sättigen zum 1 /3 Plateau).<br />
Spinflüssigkeiten<br />
Wenn nicht nur zwei Spins, wie in einem Dimer,<br />
sondern makroskopisch viele Spins zu einem Singulett-Gr<strong>und</strong>zustand<br />
verschränkt sind, entstehen Quantenphasen,<br />
die als Spinfl üssigkeiten bezeichnet werden.<br />
Ein Beispiel für die komplexen Eigenschaften solcher<br />
Spinfl üssigkeiten sind die elementaren Anregungen<br />
einer S=1/2 Kette: Es existiert ein Anregungskontinuum<br />
(s. Abb. 2.22), das auf der voneinander unabhängigen<br />
Dynamik von zwei domänenwandartigen Einheiten<br />
(Spinonen/Solitonen) beruht. Nur mit Neutronen lassen<br />
sich solche Anregungsspektren vermessen.<br />
Dimer-Materialien<br />
Quantenphasen, die aus Spin- 1/2-Dimeren aufgebaut<br />
sind, besitzen häufi g Magnetisierungsplateaus. Die für<br />
das Material NH 4<br />
CuCl 3<br />
gemessene Magnetisierungskurve<br />
(s. Abb. 2.23) ist dafür ein Beispiel: Im Bereich<br />
eines Magnetisierungsplateaus bleibt die Magnetisierung<br />
konstant, auch wenn das äußere Magnetfeld erhöht<br />
wird. In diesem Fall bricht ein endliches Magnetfeld<br />
nur eine Untergruppe von Dimeren auf <strong>und</strong> erzeugt so<br />
eine teilweise magnetisierte Struktur. Das Plateau entsteht,<br />
da die restlichen Dimere stabil bleiben, entweder<br />
wegen einer höheren Bindungsenergie wie im quasi 1D-<br />
Material NH 4<br />
CuCl 3<br />
oder weil eine zusätzliche Energie<br />
erforderlich ist, direkt benachbarte Dimere aufzubrechen,<br />
wie im quasi 2D-Material SrCu 2<br />
(BO 3<br />
) 2<br />
.<br />
Verbindungen mit höheren Spinwerten<br />
Magnetisierungsplateaus in Verbindungen mit höheren<br />
Spinwerten entstehen durch komplexere Bindungseffekte:<br />
Magnetische Momente bei höheren Spinwerten können<br />
verstanden werden als zusammengesetzt aus elementaren<br />
Spins 1/2, wie es die blauen Kreise für Spin 1<br />
in Abb. 2.24 (2 elementare Spins 1/2) <strong>und</strong> für Spin 3/2<br />
in Abb. 2.25 (3 elementare Spins 1/2) veranschaulichen.<br />
Die magnetische Ordnung solcher Materialien ist unterdrückt<br />
oder reduziert, wenn alle oder einige elementare<br />
Spins 1/2 in Dimeren geb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> das Magnetfeld<br />
zu schwach ist, sie aufzubrechen: In der S=1 Kette<br />
(Abb. 2.24) verschwindet dann die Magnetisierung (Plateau<br />
bei Magnetisierung Null), während in der S=3/2<br />
Kette freie elementare Spins (rot in Abb. 2.25) verblei-<br />
ben können, die in der Gegenwart eines Magnetfelds<br />
sättigen <strong>und</strong> dann zu einem Magnetisierungsplateau bei<br />
einem Drittel der Sättigungsmagnetisierung führen.<br />
Zukünftige Entwicklungen<br />
Auch im Zusammenhang mit Magnetisierungsplateaus<br />
sind Anregungskontinua zu erwarten: Eine Ordnung<br />
wie in Abb. 2.24 kann auch für Spins 1/2 <strong>und</strong> ohne<br />
dimerartige Verschränkungen durch konkurrierende<br />
Wechselwirkungen stabilisiert werden. Dies ist im Mineral<br />
Azurit realisiert, das für äußere Felder zwischen<br />
16 <strong>und</strong> 26 T ein Magnetisierungsplateau ausbildet. Der<br />
so entstehende Zustand hat die dreifache Gitterperiode,<br />
es sind drei Domänen möglich <strong>und</strong> damit Anregungskontinua<br />
aus drei sich unabhängig voneinander bewegenden<br />
Domänenwänden.<br />
Messungen von räumlichen Korrelationen <strong>und</strong> von<br />
Anregungen in Spinfl üssigkeiten <strong>und</strong> im Bereich<br />
von Magnetisierungsplateaus sind nur mit Neutronen<br />
möglich; solche Messungen liefern den wesentlichen<br />
Beitrag zum mikroskopischen Verständnis dieser Quan-<br />
tenphasen. Es ist zu erwarten, dass mit dem äußeren<br />
Magnetfeld als einfach zugänglichem Parameter weitere<br />
faszinierende Details von Quantenphasendiagrammen<br />
offenbar werden, sobald für Neutronenstreumessungen<br />
im Bereich von Magnetisierungsplateaus ausreichend<br />
starke Magnetfelder zur Verfügung stehen. Besonders<br />
interessante Phänomene treten auf, wenn magnetische<br />
Momente an Leitungselektronen koppeln, z. B. unmagnetische<br />
Gr<strong>und</strong>zustände, Quantenphasenübergänge oder<br />
magnetisch induzierte Supraleitung.<br />
30 Komplexität: Quantenmagnete 31
a<br />
b<br />
Neutronenforschung an<br />
komplexen Geosystemen: das<br />
Beispiel Gesteinsverformung<br />
<strong>und</strong> Gesteinsschmelzen an<br />
Plattengrenzen<br />
tierung aufgr<strong>und</strong> ihrer niedrigen Kristallsymmetrie<br />
schwer zu messen ist, z. B. Feldspat, das häufi gste Mineral<br />
der Erdkruste. Zum anderen läuft die Verformung<br />
an Plattengrenzen in mehreren Verformungsschritten<br />
ab, wobei jüngere Ereignisse die älteren Texturen überprägen.<br />
Prozesse im System Erde werden von Parametern<br />
gesteuert, die auf komplexe Weise miteinander gekoppelt<br />
sind. Die Herausforderung für die modernen<br />
Geowissenschaften besteht darin, diese Parameter <strong>und</strong><br />
ihre Kopplung zu verstehen. Neutronenforschung bietet<br />
spezifi sche Vorteile für die Untersuchung komplexer<br />
Systeme <strong>und</strong> wird dadurch zu einem starken Werkzeug<br />
der Geowissenschaften, wie hier am Beispiel des<br />
komplexen Geosystems Plattengrenze veranschaulicht<br />
werden soll.<br />
Volumenmessungen<br />
Entscheidende Vorteile der Neutronen gegenüber<br />
anderen Methoden zur Texturmessung an Gesteinen<br />
sind ihre geringe Absorption durch Materie <strong>und</strong> ihre<br />
relativ großen Strahlquerschnitte. Deshalb können echte<br />
Volumenmessungen durchgeführt werden. Im Fall der<br />
Untersuchung von Verformungsprozessen an Plattengrenzen<br />
kann Neutronenbeugung vielfältig eingesetzt<br />
werden. Herausforderungen an die Neutronenbeugung<br />
sind hier besonders Texturanalysen<br />
d<br />
110 qtz 100 qtz 001 cal<br />
Max<br />
3.16 mrd<br />
z<br />
x<br />
1 2 3 4 5 mrd<br />
Max<br />
3.87 mrd<br />
MR2<br />
z<br />
x<br />
Max<br />
6.45 mrd<br />
Abb. 2.26. Analyse komplexer tektonischer Strukturen in der<br />
Monte Rosa-Decke mit Hilfe von Neutronenbeugung.<br />
a: Stolemberg im Monte Rosa-Gebiet mit Deckengrenzen.<br />
b: Dünnschliffbild deformierten Quarzgesteins von einer der<br />
Deckengrenzen (Maßstab 50 µm).<br />
c: Neutronen-Textur von Quarz aus der gleichen Probe; Orientierungsverteilungen<br />
der kristallographischen Richtungen (100),<br />
(110) <strong>und</strong> (001).<br />
d: Interpretation der Faltung der Deckengrenzen aufgr<strong>und</strong> der<br />
Texturuntersuchungen.<br />
Hintergr<strong>und</strong>: Tektonische Übersicht des Gebietes.<br />
z<br />
x<br />
c<br />
Die Bewegung der Lithosphärenplatten<br />
Plattengrenzen sind die Ränder der sich langsam bewegenden<br />
tektonischen Platten, aus denen die Lithosphäre<br />
der Erde aufgebaut ist. Prozesse an Plattengrenzen<br />
haben hohe gesellschaftliche Relevanz, einerseits durch<br />
ihr Naturgefahren-Potential, da sie für die meisten Erdbeben<br />
<strong>und</strong> Vulkanausbrüche verantwortlich sind, andererseits<br />
durch Rohstoffe, wie etwa Erze <strong>und</strong> Erdöl, die<br />
häufi g an Plattengrenzen geb<strong>und</strong>en sind. Plattengrenzen,<br />
an denen Ozean-Lithosphären subduziert wurden<br />
<strong>und</strong> später Kontinente kollidiert sind, lassen sich in den<br />
Alpen <strong>und</strong> anderen Hochgebirgen der Erde studieren.<br />
Durch die Abtragung sind dort tiefe Stockwerke der<br />
Plattengrenze zugänglich, so dass die Verformungsvorgänge<br />
in der Tiefe, die das Geschehen an der Oberfl ä-<br />
che steuern, studiert werden können. Bei den Druck<strong>und</strong><br />
Temperaturbedingungen, die hier geherrscht haben,<br />
verläuft die Verformung, die in fl acheren Stockwerken<br />
zu Erdbeben führt, als bruchloser Fließvorgang im<br />
festen Zustand. Dabei erfahren die Mineralkörner, die<br />
das Gestein aufbauen, eine Regelung, die zur kristallographischen<br />
Vorzugsorientierung (Textur) führt. Die<br />
Messung der Textur ermöglicht die Rekonstruktion der<br />
früheren Bewegungen, d. h. Bewegungsrichtung, Schersinn,<br />
Verformungsgeometrie sowie die Geschwindigkeit<br />
<strong>und</strong> Temperatur der Verformung (s. Abb. 2.26).<br />
Verformung von Gesteinen<br />
Die Verformung von Gesteinen ist bisher nur in einfachen<br />
Modellsystemen verstanden worden, etwa für<br />
Gesteine, die nur aus einem - möglichst einfach zu<br />
untersuchenden - Mineral aufgebaut sind <strong>und</strong> bei einer<br />
einfachen Verformungsgeometrie. In der Realität werden<br />
jedoch Gesteine verformt, die meist aus mehreren<br />
Mineralarten bestehen, darunter solche, deren Orien-<br />
• an Gesteinen aus mehreren Mineralphasen <strong>und</strong> in<br />
Gesteinen aus niedrigsymmetrischen Mineralen<br />
(Ermittlung möglichst vieler Polfi guren; Trennung<br />
überlagerter Reflexe mittels mathematischer Peak-<br />
Profilanalyse).<br />
• an mehrfach verformten Gesteinen. Auf diesem Feld<br />
ist noch extrem wenig geforscht worden, hier sind<br />
große Fortschritte möglich (Kombination von Neutronenbeugung<br />
mit Kornformanalyse).<br />
• an experimentell verformten Gesteinen. Texturentwicklung<br />
bei Gesteinsverformungen unter kontrollierten<br />
Bedingungen ist bisher kaum untersucht. Bei<br />
Torsionsversuchen sind homogen verformte Probenbereiche<br />
sehr klein. Hier liegt eine weitere Herausforderung<br />
(Messung kleiner Probenbereiche; Messungen<br />
gekapselter Proben).<br />
Schmelzen<br />
Plattenränder sind Zonen mit erhöhtem Vulkanismus,<br />
d. h. Quellen für den mehr oder minder heftigen Austritt<br />
silikatischer Schmelzen aus dem Erdinneren. Die<br />
Eigenschaften dieser Schmelzen hängen sensitiv vom<br />
Gehalt an fl uider Phase (Wasser) ab. Da Neutronen<br />
besonders stark von H-Atomen gestreut werden, lassen<br />
sich Verteilungen solcher Schmelzen (im Gestein) oder<br />
Strukturen von „Modell“-Schmelzen mittels Neutronenradiographie<br />
<strong>und</strong> Neutronbeugungsmethoden gut<br />
untersuchen.<br />
32 Komplexität: Geosysteme 33
Korrelationen<br />
Kondensierte Materie besteht aus vielen Teilkomponenten,<br />
die auf verschiedenen Längen- <strong>und</strong> Zeitskalen<br />
miteinander in Wechselbeziehung treten. Diese Korrelationen<br />
sind letztendlich verantwortlich für das<br />
Zustandekommen der unzähligen Phänomene, die die<br />
kondensierte Materie auszeichnen. Neutronenstreuung<br />
zeichnet sich unter der Vielfalt der Methoden darin aus,<br />
dass sie direkt diese Korrelationen misst (der Neutronenstreuquerschnitt<br />
ist direkt proportional zu den raumzeitlichen<br />
Korrelationsfunktionen) <strong>und</strong> zwar auf allen<br />
relevanten Längen- <strong>und</strong> Zeitskalen!<br />
Typische gr<strong>und</strong>legende Fragestellungen,<br />
die es hier zu beantworten gilt, sind:<br />
• Wie können wir die vielskaligen Prozesse in fehlgeordneten<br />
oder amorphen Systemen - etwa den Glasübergang<br />
- beschreiben<br />
• Welche anderen Überraschungen halten die korrelierten<br />
Elektronensysteme noch für uns bereit, neben<br />
den Quanteneffekten der Supraleitung, des kolossalen<br />
Magnetowiderstands, der Magnetoelektrizität oder<br />
Quantenphasenübergängen<br />
• Können wir quantenmechanische Größen wie<br />
Elektronenspins <strong>und</strong> ihre Korrelationen so gezielt<br />
beeinfl ussen, dass wir Informationstransport, Infor-<br />
mationsspeicherung <strong>und</strong> Informationsverarbeitung<br />
realisieren können Kann die quantenmechanische<br />
Verschränkung zwischen Spinzuständen für die Realisierung<br />
eines Quantencomputers genutzt werden<br />
Stark korrelierte Elektronen<br />
Eine der großen Herausforderungen der modernen<br />
Festkörperforschung ist das Verständnis von starken<br />
elektronischen Korrelationen. Gerade auch für Anwendungen<br />
wichtige Phänomene können nicht innerhalb<br />
des „Standardmodells“ der Festkörperphysik erklärt<br />
werden. Die Festkörperforscher durchleben eine sehr<br />
aufregende Zeit, in der ständig neue Effekte entdeckt<br />
werden, die aufgr<strong>und</strong> von elektronischen Korrelationen<br />
zustande kommen. Diese Effekte lassen sich mit<br />
unserem einfachen Bild vom „Fermisee“ der Elektronen<br />
nicht beschreiben, geschweige denn vorhersagen.<br />
Beispiele hierfür sind:<br />
• Supraleitung mit höchsten kritischen Temperaturen<br />
(z. B. in YBa 2<br />
Cu 3<br />
O 7<br />
); prinzipiell nutzbar etwa zum<br />
verlustfreien Stromtransport <strong>und</strong> zur Erzeugung hoher<br />
Magnetfelder.<br />
• Multiferroischer Effekt (z. B. in HoMnO 3<br />
) mit ungewöhnlich<br />
starker gegenseitiger Beeinfl ussung<br />
zwischen Ferromagnetismus <strong>und</strong> ferroelektrischer<br />
Polarisation; Anwendungsperspektiven liegen z. B. im<br />
Bereich der magnetischen Datenspeicherung, beim<br />
Schalten einzelner Bits durch elektrische Felder.<br />
• Magnetokalorischer Effekt (beobachtet z. B. in<br />
MnFeP 0.45<br />
As 0.55<br />
oder Gd 5<br />
Ge 2<br />
Si 2<br />
), d. h. starke Temperaturänderung<br />
im äußeren Magnetfeld mit möglichen<br />
Anwendungen bei der hocheffi zienten, treibhausgasfreien<br />
magnetischen Kühlung.<br />
• Kolossaler Magnetowiderstandseffekt<br />
(z. B. in La 1-x<br />
Ca x<br />
MnO 3<br />
), d. h. starke Magnetfeldabhängigkeit<br />
des elektrischen Widerstands; nutzbar einerseits<br />
zur Detektion magnetischer Felder (Sensorik),<br />
andererseits etwa zur magnetischen Datenspeicherung<br />
in sogenannten MRAMS (Magnetoelektronik).<br />
Empfindliches Gleichgewicht<br />
Für die komplexen Metalloxide ist das Zusammenspiel<br />
zwischen den wechselwirkenden Spin-, Orbital-,<br />
Ladungs- <strong>und</strong> Gitterfreiheitsgraden charakteristisch.<br />
Schon eine kleine äußere Störung über elektrische oder<br />
magnetische Felder, Drücke, mechanische Spannungen,<br />
Temperatur etc. kann dieses empfi ndliche Gleichgewicht<br />
stören <strong>und</strong> zu einer großen makroskopischen<br />
Antwort des Systems führen, die z. B. für Sensorik oder<br />
Magnetoelektronik genutzt werden kann.<br />
Harte Nuss<br />
Die geistige Herausforderung, die das Verständnis dieser<br />
Phänomene stellt, wird deutlich, wenn man bedenkt,<br />
dass fast zwei Jahrzehnte nach der Entdeckung der<br />
Hochtemperatursupraleitung der Mechanismus dieses<br />
Phänomens, trotz intensivster Forschung von Tausenden<br />
von Wissenschaftlern weltweit, noch im Dunkeln<br />
liegt. Auch die Neutronenstreuung hat diese Nuss noch<br />
nicht geknackt. Sie hat jedoch harte quantitative experimentelle<br />
Fakten zu mikroskopischen Korrelationen<br />
<strong>und</strong> Fluktuationen von Gitter- <strong>und</strong> Spinfreiheitsgraden<br />
geliefert, an denen keine Theorie vorbeikommt <strong>und</strong><br />
die schwerlich mit anderen Methoden zugänglich sind.<br />
Beispiele hierfür sind:<br />
• die Bestimmung von struktureller Ordnung <strong>und</strong><br />
Fehlordnung: Die erste korrekte Strukturbestimmung<br />
an Hoch-T C<br />
Materialien wie YBa 2<br />
Cu 3<br />
O 7<br />
gelang<br />
mit Neutronenpulverdiffraktion. Die Cu-O-Ebenen<br />
wurden als das strukturelle Element identifi ziert, in<br />
dem der Ladungstransport stattfi ndet, eine essentielle<br />
Information für jede Modellierung. Im Vergleich<br />
zur Röntgenstrahlung sind Neutronen wesentlich<br />
empfi ndlicher auf die Position der relativ leichten<br />
Sauerstoffatome <strong>und</strong> können daher nicht nur die<br />
mittlere Struktur, sondern auch die Sauerstoffnahordnung<br />
bestimmen. Diese Information ist wichtig,<br />
um den Mechanismus der Ladungsdotierung der<br />
Äußere<br />
Felder /<br />
Parameter<br />
H<br />
EµTPd<br />
Hohe Empfindlichkeit<br />
Ladung<br />
Gitter<br />
wechselwirkende<br />
Freiheitsgrade<br />
Spin<br />
Orbital<br />
Komplexes kollektives<br />
Verhalten / neue<br />
Gr<strong>und</strong>zustände<br />
Ladungsordnung<br />
orbitale Ordnung<br />
Spinordnung<br />
Jahn-Teller Verzerrung<br />
Spin-Peierls Übergang<br />
Metall-Isolator Übergang<br />
Cooper Paare<br />
Orbital-/Spin-Flüssigkeit<br />
<br />
Neue Funktionalitäten<br />
Kolossaler Magnetowiderstand,<br />
Hochtemperatursupraleitung<br />
negative thermische<br />
Ausdehnung<br />
<br />
Kristallstruktur<br />
Phononen <strong>und</strong> Streifenordnung<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
k (r.l.u.)<br />
1<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,4<br />
0,2<br />
0<br />
Magnetische<br />
Anregungen<br />
E=75 meV<br />
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1<br />
h (r.l.u.)<br />
Abb 2.27. Schematische Darstellung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen verschiedenen Freiheitsgraden in<br />
korrelierten Elektronensystemen. Unter der Einwirkung äußerer Parameter werden vielfältige Quantenzustände <strong>und</strong> Funktionalitäten<br />
realisiert.<br />
Abb 2.28. Beispiele für wichtige Beiträge der Neutronenstreuung auf dem Gebiet der Hochtemperatursupraleitung.<br />
34 Korrelationen: korr. Elektronen 35
Cu-O-Ebenen zu verstehen, die wiederum direkt mit<br />
der Supraleitung verknüpft ist.<br />
• die Bestimmung von magnetischer Ordnung <strong>und</strong><br />
Fehlordnung als Funktion der Dotierung: In allen<br />
Hoch-T C<br />
-Materialien gibt es abhängig von der<br />
Dotierung eine Konkurrenz zwischen magnetischer<br />
Ordnung <strong>und</strong> Supraleitung, die nahe legt, dass beide<br />
Phänomene direkt verknüpft sind.<br />
• die Bestimmung der Phononendispersion: Während<br />
die konventionelle BCS-Theorie zur Erklärung des<br />
Phänomens der Hoch-T C<br />
-Supraleitung ausgeschlossen<br />
werden kann, geben Anomalien im Phononenspektrum<br />
Hinweise auf die Bedeutung von Gitterschwingungen.<br />
• die Vermessung der Magnonendispersion: Damit<br />
lassen sich magnetische Kopplungen in den Cu-O-<br />
Ebenen bestimmen, die wichtige Parameter sind für<br />
alle Modelle, die von magnetischen Kopplungsmechanismen<br />
ausgehen.<br />
• die Entdeckung von statischer <strong>und</strong> dynamischer Streifenordnung:<br />
Neutronenstreuung hat die nanoskalige<br />
Separation von Ladungen <strong>und</strong> Spinordnung im Sinne<br />
eines Selbstorganisationsprozesses nachgewiesen.<br />
Neuere Experimente suggerieren, dass diese so<br />
genannte Streifenordnung in Form dynamischer Fluktuationen<br />
auch in der supraleitenden Phase auftritt<br />
<strong>und</strong> haben zu Modellen Anlass gegeben, die diese<br />
dynamische Streifenordnung mit dem Mechanismus<br />
der Supraleitung verbinden.<br />
• die Entdeckung von magnetischen Fluktuationen<br />
im supraleitenden Zustand, die Hinweise für einen<br />
magnetischen Kopplungsmechanismus geben können.<br />
Ordnungsparameter<br />
Diese Erfolgsgeschichte der Neutronen setzt sich bei<br />
den dotierten Manganat-Perovskiten fort, die zusätzlich<br />
orbitale Ordnung zeigen (Abb. 2.29). Neutronen<br />
sind direkt oder indirekt auf alle relevanten Ordnungsparameter<br />
empfi ndlich, wodurch die komplexen<br />
Übergangsmetalloxide ein außergewöhnliches Labor<br />
im Nanomaßstab werden <strong>und</strong> uns einen Zugang zum<br />
Verständnis der elektronischen Korrelationen bieten.<br />
z<br />
O 2-<br />
Mn 4+<br />
Mn 3+<br />
Abb 2.29. Orbitales Polaron als Beispiel für eine lokale<br />
Ladungs- <strong>und</strong> Orbitalordnung in dotierten Manganaten.<br />
x<br />
y<br />
Quantendynamik in Spin-Eis<br />
Die Seltenerd-Verbindungen Holmium-Titan-Oxid <strong>und</strong><br />
Dysprosium-Titan-Oxid (chemische Zusammensetzung<br />
Ho 2<br />
Ti 2<br />
O 7<br />
<strong>und</strong> Dy 2<br />
Ti 2<br />
O 7<br />
) haben aufgr<strong>und</strong> außergewöhnlicher<br />
Eigenschaften, die bei tiefen Temperaturen<br />
zutage treten, in den letzten Jahren einige Berühmtheit<br />
erlangt. Diese Verbindungen werden einer Klasse von<br />
Substanzen zugerechnet, die als „topologisch frustrierte<br />
Magnete“ bezeichnet werden. Das sind Stoffe, bei<br />
denen einige Atome magnetische Momente besitzen<br />
(in diesem Falle Holmium oder Dysprosium), deren<br />
Wechselwirkungen aber durch ihre räumliche Anordnung<br />
(die durch die kristalline Struktur bedingt ist)<br />
beeinträchtigt werden. Da die magnetischen Wechselwirkungen<br />
nicht „in der gewohnten Weise“ wirken,<br />
entstehen hochkomplizierte <strong>und</strong> komplexe Situationen,<br />
in denen die Eigenschaften der Materialien sehr leicht<br />
durch äußere Parameter verändert werden können oder<br />
gänzlich durch andere Faktoren bedingt werden, die<br />
normalerweise eine untergeordnete Rolle spielen.<br />
Nicht ergodisch bei tiefer Temperatur<br />
Im vorliegenden Fall wurde man aufmerksam, nachdem<br />
die spezifi sche Wärme zwischen T=0,2 K <strong>und</strong> T=10 K<br />
gemessen <strong>und</strong> die Entropiedifferenz zwischen beiden<br />
Temperaturen bestimmt worden war. Es zeigte sich,<br />
dass diese Differenz nur 71 % des erwarteten Wertes<br />
betrug. Der Gr<strong>und</strong> dafür ist derselbe wie in Wasser-Eis<br />
(daher der Name Spin-Eis), wo dieser Effekt historisch<br />
zuerst beobachtet wurde, <strong>und</strong> lässt sich mit einer<br />
direkten räumlichen Analogie zwischen beiden Stoffen<br />
anschaulich machen. Der Gr<strong>und</strong>zustand bei tiefer Temperatur<br />
ist nicht eindeutig, sondern besitzt eine makroskopische<br />
Vielfalt der Größenordnung (3/2) N/2 , wobei N<br />
die Zahl der Atome in der Probe ist (≈ 10<br />
23 ). Mit den<br />
Worten der Thermodynamik gesagt: beide Stoffe sind<br />
bei tiefer Temperatur nicht ergodisch.<br />
Die Rolle der Neutronen<br />
Was trägt die Neutronenstreuung zu unserem Wissen<br />
über Spin-Eis bei Man gewinnt ein direktes Abbild<br />
der Anordnung der Atome <strong>und</strong> magnetischen Momente<br />
auf mikroskopischer Skala <strong>und</strong> kann den Nachweis<br />
der o. g. Thesen direkt führen (Abb. 2.30). In diesem<br />
Falle bedeutet das, dass die magnetischen Momente bei<br />
tiefer Temperatur keine regelmäßige langreichweitige<br />
Ordnung eingehen, wie man eigentlich erwarten würde<br />
(<strong>und</strong> was einem eindeutigen Gr<strong>und</strong>zustand entsprechen<br />
würde), sondern in einem chaotischen ungeordneten<br />
Muster einfrieren. Neutronenstreuung zeigt auch, wie<br />
der „Gefrierprozess“ mikroskopisch abläuft, wenn man<br />
die Probe abkühlt. Es zeigt sich, dass hier dynamische<br />
Tunnelprozesse auftreten, die rein quantentheoretischer<br />
Natur sind, jedoch bereits bei viel höherer Temperatur<br />
einsetzen als in anderen vergleichbaren Fällen.<br />
Neben den Cuprat-Hochtemperatursupraleitern gibt es<br />
viele andere Supraleiter, die nicht mit der BCS-Theorie<br />
der Elektron-Phonon-Kopplung verstanden werden<br />
können <strong>und</strong> bei denen man ein Wechselspiel zwischen<br />
Magnetismus <strong>und</strong> Supraleitung beobachtet, etwa<br />
CeCu 2<br />
Si 2<br />
oder Sr 2<br />
RuO 4<br />
. Auch hier sind Neutronenstreuexperimente<br />
zu magnetischen Anregungen ein Schlüssel<br />
zum Verständnis des supraleitenden Paarungsmechanismus.<br />
Abb 2.30. Schematische Darstellung der kubischen<br />
Elementarzelle von Spin-Eis bei tiefer Temperatur (im gefrorenen<br />
Zustand). Die Abbildung stellt die tetraedrische<br />
Koordination der nächsten SE-Nachbarn <strong>und</strong> eine mögliche<br />
Anordnung der magnetischen Momente (in jedem<br />
Tetraeder ist die Vektorsumme Null) dar. In benachbarten<br />
Elementarzellen haben die magnetischen Momente dieselben<br />
Positionen, sie sind aber anders ausgerichtet.<br />
36 Korrelationen: Spin-Eis 37
Der Orientierung von Wassermolekülen<br />
auf der Spur<br />
Wasser <strong>und</strong> Eis sind allgegenwärtige Erscheinungen.<br />
Es muss daher erstaunlich erscheinen, dass es sich<br />
bei Wasser <strong>und</strong> Eis um wissenschaftlich noch relativ<br />
unverstandene Systeme handelt. Die Orientierung der<br />
Wassermoleküle zueinander ist auf Gr<strong>und</strong> der Wasserstoffbrückenbindungen<br />
stark korreliert. Diese komplexe<br />
Korrelation führt zu großer struktureller Vielfalt<br />
Das Phasendiagramm von Eis ist mit einer Vielzahl<br />
von kristallinen Phasen übersät. Der letzte Eintrag ins<br />
Stammbuch lautet Eis XII (Abb. 2.31). Eis XII tritt<br />
gleich an zwei nicht überlappenden Stellen im Phasendiagramm<br />
auf. Die Entdeckung von Eis XII ist in<br />
beiden Fällen eine Leistung der elastischen Neutronenstreuung.<br />
In der Natur tritt Eis oft auch in nicht geordneter Form<br />
auf. Dies gilt insbesondere für Eis an Oberfl ächen oder<br />
in Poren. Ungeordnetes Eis kann aber auch im Volumen<br />
erzeugt werden. Zwei prominente Beispiele dafür sind<br />
das durch Aufdampfen von Wasserdampf produzierte<br />
niedrigdichte sowie das durch Kompression von normalem<br />
Eis erzeugte hochdichte amorphe Eis (Abb. 2.32).<br />
Eis im Weltraum liegt zu einem wesentlichen Teil in<br />
amorpher Form vor. Der Neutronenstreuung kommt bei<br />
der Bestimmung der Anordnung sowie Dynamik der<br />
Moleküle in amorphen Eisformen eine exklusive Rolle<br />
zu (Abb. 2.33). In jüngster Zeit konnten dabei insbesondere<br />
Umwandlungen von amorphen Zuständen detailliert<br />
charakterisiert werden. Eine Reihe theoretischer<br />
Abb 2.31. Das Wasserstoffbrückennetzwerk von Eis XII<br />
entlang der c-Achse. Die Entdeckung von Eis XII gelang<br />
mit Hilfe der Neutronendiffraktion.<br />
Ansätze sowie experimenteller Schlussfolgerungen<br />
wurde dabei als unzureichend identifi ziert. Neben ihrer<br />
Bedeutung für das gr<strong>und</strong>legende Verständnis ungeordneter<br />
Festkörper spielen diese Erkenntnisse beim<br />
Studium von Wasser in der Biologie <strong>und</strong> in den Geowissenschaften<br />
eine wichtige Rolle.<br />
Abb 2.32. Hochdichtes amorphes Eis HDA bei der Umwandlung<br />
in die niederdichte Modifikation LDA. Die starke<br />
Volumenausdehnung (ca. 15 %) führt zum Aufflocken.<br />
I(Q) [norm.]<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
0,4<br />
0,3<br />
0,2<br />
0,1<br />
0<br />
0,3 0,4 0,5 0,6 -0,1<br />
vHDA<br />
HDA'<br />
LDA'<br />
HDA<br />
G() [willk. Einheiten]<br />
0 1 2 0 5<br />
10 15 20<br />
Q [Å -1 ]<br />
h [meV]<br />
Abb 2.33. Elastische (links) <strong>und</strong> inelastische (rechts) Streuintensität von verschiedenen amorphen Eismodifikationen. Die<br />
Gesamtheit der Neutronendaten lässt eine nahezu vollständige <strong>und</strong> einzigartige Charakterisierung auf atomarer Ebene zu.<br />
38 Korrelationen: Wassermoleküle 39
Eingeschränkte Dimensionalität<br />
Die moderne Materialpräparation kann gezielt Nanoteilchen<br />
<strong>und</strong> geordnete Nanostrukturen in 1, 2 <strong>und</strong> 3<br />
Dimensionen herstellen, sei dies durch gezielte Materialmodifikation<br />
mit physikalischen Verfahren wie<br />
Epitaxie oder Lithographie („top-down“) oder durch<br />
Selbstorganisation („bottom-up“). Die sich entwickelnde<br />
Nanotechnologie ist dabei, unsere Welt zu revolutionieren.<br />
Beispiele sind Kohlenstoff-Nanoröhrchen als<br />
Strukturmaterialien oder als elektrische Leiter, die ungewöhnlich<br />
hohe Stromdichten tragen können. Magnetische<br />
Nanostrukturen fi nden Verwendung als nichtfl üchtige<br />
Datenspeicher oder allgemeiner als Bauelemente<br />
der „Spintronik“. Darunter versteht man Informationsspeicherung,<br />
Informationstransport <strong>und</strong> Informationsverarbeitung,<br />
basierend auf dem Elektronenspin statt<br />
der Elektronenladung. Im Vergleich zu herkömmlichen<br />
elektronischen Bauelementen haben Spintronik-Elemente<br />
erhebliches Verbesserungspotential hinsichtlich<br />
Schnelligkeit, Miniaturisierbarkeit, Leistungsverbrauch<br />
<strong>und</strong> langfristig dem möglichen Einsatz in Quantencomputern.<br />
Nanomaterialien<br />
Die Eigenschaften von Nanomaterialien unterscheiden<br />
sich gr<strong>und</strong>sätzlich von denen des Volumenmaterials<br />
<strong>und</strong> sind durch die freien Ober- <strong>und</strong> Grenzflächen bzw.<br />
die enge Nachbarschaftsbeziehung zu angrenzenden<br />
Materialien bestimmt. Mit einem Verständnis der<br />
gr<strong>und</strong>legenden Effekte können gezielt künstliche Materialien<br />
mit ganz bestimmten, gewünschten Eigenschaften<br />
hergestellt werden. Ein Beispiel ist der Riesenmagn<br />
etowiderstandseffekt GMR, der in gekoppelten metallischen<br />
Schichtstrukturen auftritt. Dieser Effekt, der<br />
bei neugiergetriebener Gr<strong>und</strong>lagenforschung gef<strong>und</strong>en<br />
wurde, hat innerhalb von nur 10 Jahren die Datenspeicherung<br />
revolutioniert: alle Leseköpfe der Laufwerke<br />
heutiger Computer nutzen den GMR-Effekt!<br />
Offene Fragen sind zum Beispiel:<br />
• Welches sind die elektronischen, magnetischen <strong>und</strong><br />
mechanischen Eigenschaften von Nanosystemen<br />
aus vielen Komponenten, <strong>und</strong> wie können wir diese<br />
Eigenschaften vorhersagen<br />
• Können wir die Quantenzustände niederdimensionaler<br />
magnetischer Systeme verstehen<br />
• Welche neuartigen Phänomene resultieren aus der<br />
direkten Nachbarschaft verschiedener Materialien<br />
(„Proximity Effect“)<br />
• Welchen Einblick können wir in die Funktion biologischer<br />
Membranen erhalten Wie wird z. B. der<br />
selektive Stofftransport durch eine solche Membran<br />
realisiert<br />
• Wie können katalytische Prozesse an Oberflächen<br />
<strong>und</strong> Nanopartikeln systematisch optimiert werden<br />
• Wie verändert sich das Verhalten von Flüssigkeiten in<br />
Nanoporen <strong>und</strong> Nanokanälen<br />
Neutronen als Spione in der Nanowelt sind hervorragend<br />
geeignet, strukturelle <strong>und</strong> magnetische Ordnung<br />
<strong>und</strong> Wechselwirkungen in Nanostrukturen zu bestimmen,<br />
z. B. durch Streuung unter streifendem Einfall.<br />
Magnetismus von dünnen Schichten <strong>und</strong><br />
Nanostrukturen<br />
Fortschrittliche magnetische Materialien mit maßgeschneiderten<br />
Eigenschaften bestehen aus Nanostrukturen,<br />
die auf atomarem Maßstab gezielt aus ferromagnetischen,<br />
antiferromagnetischen <strong>und</strong> nichtmagnetischen<br />
Bestandteilen aufgebaut sind. Die Entwicklung dieser<br />
Materialien wird getrieben durch die zahlreichen Anwendungen<br />
in der modernen Informationstechnologie<br />
<strong>und</strong> der Forderung nach immer kleineren magnetischen<br />
Elementen zur Speicherung oder Verarbeitung von<br />
Information. Bezüglich der Gr<strong>und</strong>lagenforschung verursacht<br />
der für Nanostrukturen charakteristische große<br />
Anteil von Ober- <strong>und</strong> Grenzflächen neue <strong>und</strong> faszinierende<br />
Phänomene im Magnetismus, die eine Herausforderung<br />
für unser gr<strong>und</strong>legendes Verständnis darstellen.<br />
Experimente mit polarisierten Neutronen gestatten uns<br />
einzigartige Einblicke in solche Nanostrukturen <strong>und</strong><br />
tragen entscheidend zum besseren Verständnis des Magnetismus<br />
auf der Nanometerskala bei (s. Abb. 2.34).<br />
Magnetische Dünnschichtsysteme<br />
In den Neunziger Jahren des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts wurden<br />
an magnetischen Vielfachschichten einige Phänomene<br />
entdeckt, die innerhalb weniger Jahre die Informationstechnologie<br />
revolutionierten <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>lage<br />
legten für das neue Gebiet der „Spintronik“. Dazu<br />
gehören die Kopplung ferromagnetischer Lagen durch<br />
nichtmagnetische Zwischenschichten („Zwischenschichtkopplung“),<br />
die starke Änderung des elektrischen<br />
Widerstands im externen Magnetfeld („Riesenma<br />
gnetowiderstandseffekt“) <strong>und</strong> die gegenseitige magnetische<br />
Beeinflussung benachbarter Schichten („Proximity<br />
Effekte“). Als aktuelles Beispiel sei der so genannte<br />
„Exchange Bias Effekt“ vorgestellt. Es handelt sich<br />
dabei um eine Anisotropie, die genau eine Richtung<br />
auszeichnet <strong>und</strong> die in einer ferromagnetischen Schicht<br />
durch quantenmechanische Austauschkopplung an eine<br />
antiferromagnetische Schicht induziert wird. Dadurch<br />
kommt eine Vorzugsrichtung der Magnetisierung<br />
zustande, die viele Anwendungen von Dünnschicht-<br />
systemen in der Sensorik erst ermöglicht hat. Solche<br />
Sensoren bestehen aus mehreren Lagen verschiedener<br />
magnetischer Materialien. Leistungsfähige Untersuchungsmethoden<br />
sollten es gestatten, die magnetischen<br />
Eigenschaften tiefenaufgelöst bestimmen zu können.<br />
Die Streuung polarisierter Neutronen unter streifendem<br />
Einfall hat einen entscheidenden Vorteil vor vielen<br />
anderen Methoden: sie erlaubt es, sowohl den Wert als<br />
auch die Richtung der mittleren Magnetisierung aller<br />
Schichten eines solchen Stapels einzeln zu bestimmen<br />
<strong>und</strong> darüber hinaus lokale Abweichungen von dem<br />
Mittelwert tiefenaufgelöst zu beobachten. Damit kann<br />
etwa ein Ummagnetisierungsprozess beim Richtungswechsel<br />
des äußeren Felds im Detail verfolgt werden.<br />
Bei den „Exchange Bias“-Systemen wird in einigen<br />
Fällen Domänenbildung <strong>und</strong> Domänenwachstum beobachtet,<br />
in anderen Fällen eine kohärente Drehung der<br />
Gesamtmagnetisierung. Mit Hilfe von systematischen<br />
Neutronenreflektometrie-Untersuchungen konnte ein<br />
detailliertes Verständnis erzielt werden, das es gestattet,<br />
Vorhersagen über den Ummagnetisierungsprozess zu<br />
machen, um damit Schaltzeiten <strong>und</strong> Reproduzierbarkeit<br />
zu verbessern.<br />
f<br />
[mrad]<br />
f<br />
[mrad]<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
I++<br />
0 20 40 60 80<br />
0 20 40 60 80<br />
i<br />
[mrad ]<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
I− −<br />
0 20 40 60 80<br />
I+− I− +<br />
Lateral strukturierte Schichtsysteme<br />
<strong>und</strong> Nanostrukturen<br />
Während magnetische Dünnschichtsysteme nur entlang<br />
einer Richtung nanostrukturiert sind, können durch<br />
lithographische Verfahren oder durch Selbstorganisation<br />
zwei- <strong>und</strong> dreidimensionale reguläre Anordnungen<br />
von magnetischen Nanopartikeln erzeugt werden. Diese<br />
Systeme finden Anwendung in der magnetischen Datenspeicherung<br />
<strong>und</strong> lassen neue Effekte aufgr<strong>und</strong> zusätzlicher<br />
Quantisierungsbedingungen erwarten. Bisher existieren<br />
keine wirklich leistungsfähigen Messmethoden,<br />
um so wichtige Informationen wie die Verteilung der<br />
Magnetisierung innerhalb der einzelnen Nanopartikel<br />
oder die magnetischen Korrelationen zwischen den<br />
Partikeln experimentell zugänglich zu machen. Das Potential<br />
der Neutronenstreuung konnte durch Kleinwinkelstreuung<br />
an Ferrofl uiden magnetischer Nanopartikel<br />
bereits eindrucksvoll aufgezeigt werden (s. Abb. 2.35).<br />
Zurzeit wird an verschiedenen Stellen eine neue Technik,<br />
die Kleinwinkelstreuung polarisierter Neutronen<br />
unter streifendem Einfall, entwickelt. Es zeichnet sich<br />
ab, dass mit dieser Methode ein Durchbruch bei der<br />
experimentellen Untersuchung von geordneten zweidimensionalen<br />
Nanostrukturen auf der Subnanometerskala<br />
erzielt werden wird (s. Abb. 2.34).<br />
0 20 40 60 80<br />
i<br />
[mrad ]<br />
Abb. 2.34. Neutronenstreuung<br />
unter streifendem Einfall an einem<br />
polykristallinen magnetischen<br />
Vielschichtsystem. Gezeigt ist die<br />
Streuung in allen vier Polarisationskanälen<br />
als Funktion von Einfalls-<br />
( <br />
) <strong>und</strong> Ausfallswinkel ( <br />
). Die<br />
Intensität auf den Diagonalen gibt<br />
Information über die mittlere Magnetisierung<br />
der Schichten, während<br />
die diffuse Streuung neben den<br />
Diagonalen Information über Domänenstrukturen<br />
liefert. In jedem<br />
Teilbild sind experimentelle Daten<br />
(links oberhalb der Diagonalen) mit<br />
der Theorie (rechts unterhalb der<br />
Diagonalen) verglichen.<br />
Eingeschränkte Dimensionalität:<br />
40 41<br />
Nanomagnetismus
I(+)<br />
I(+)+I(-)<br />
X<br />
I(-)<br />
I(+)-I(-)<br />
Methode der Wahl<br />
Neutronenstreuung ist die Methode der Wahl – ja oft<br />
sogar konkurrenzlos die einzige Methode – um atomarmikroskopische<br />
Information über den Magnetismus<br />
dieser Verbindungen zu erhalten, die direkt mit ab-initio<br />
Rechnungen verglichen werden kann. Ursprünglich<br />
liegen die Substanzen oft in polykristalliner Form vor.<br />
Dann erlaubt nur die Neutronenstreuung eine magnetische<br />
Strukturbestimmung, die Gr<strong>und</strong>lage jeder weiteren<br />
Untersuchung ist (s. Abb. 2.36). Bei rein organischen<br />
Molekülen erhebt sich die ganz gr<strong>und</strong>sätzliche Frage,<br />
wo die ungepaarten Elektronen lokalisiert sind. Nur mit<br />
der Streuung polarisierter Neutronen kann diese Frage<br />
quantitativ beantwortet werden, indem die Spindichteverteilung<br />
bestimmt wird (s. Abb. 2.37).<br />
Abb 2.37. Strukturformel<br />
<strong>und</strong> projizierte<br />
Spindichteverteilung<br />
eines rein organischen<br />
molekularen Magneten.<br />
<br />
Å-Konturlinien<br />
X<br />
Abb 2.35. Kleinwinkelstreuung polarisierter Neutronen<br />
an Ferrofluiden aus Co-Nanoteilchen (oben: Polarisation<br />
parallel <strong>und</strong> antiparallel zum horizontalen Magnetfeld;<br />
unten: Intensitätsverteilung im unpolarisierten Strahl <strong>und</strong><br />
Interferenzterm aus Kern- <strong>und</strong> magnetischer Streuung).<br />
Die scharfen Reflexe belegen eine hexagonale Nahordnung<br />
der Co-Teilchen.<br />
Molekularer Magnetismus<br />
Die Bezeichnung „Molekularer Magnetismus“ steht für<br />
ein neues interdisziplinäres Forschungsgebiet, bei dem<br />
Methoden der molekularen Chemie genutzt werden,<br />
um neue Klassen von magnetischen Materialien zu<br />
entwickeln <strong>und</strong> zu synthetisieren. Dabei kann es sich<br />
um rein organische Materialien handeln, die Bindungen<br />
mit ungepaarten Elektronen enthalten, oder um<br />
metall-organische Komplexverbindungen, bei denen<br />
organische Liganden effektive Austauschpfade für<br />
Übergangsmetallionen bereitstellen. Der Reiz dieser<br />
neuen Klasse magnetischer Materialien liegt darin, dass<br />
es die moderne Chemie gestattet, aus völlig identischen<br />
molekularen Bausteinen Materialien mit verschiedenen<br />
Topologien herzustellen, von nulldimensionalen<br />
Objekten, etwa Dimeren, über eindimensionale Ketten<br />
bis hin zu zwei- <strong>und</strong> dreidimensionalen Netzwerken.<br />
Laut einer VDI-Studie zur Technologiefrüherkennung<br />
aus dem Jahr 1999 haben diese neuen Werkstoffe aus<br />
dem Grenzbereich von Festkörperphysik <strong>und</strong> supramolekularer<br />
Chemie ein enormes Anwendungspotential.<br />
So könnten etwa in Zukunft Austausch-gekoppelte<br />
zweidimensionale Netzwerke molekularer Magnete auf<br />
Substraten in der Quanteninformationsverarbeitung<br />
eine wesentliche Rolle spielen.<br />
Fe 4,4’-bpy N 3<br />
c<br />
a<br />
a<br />
a<br />
F<br />
= 0,7<br />
Abb 2.36. Kristall <strong>und</strong> Magnet- Struktur eines chiralen<br />
molekularen Magneten Fe(N 3<br />
) 2<br />
(4,4’-bpy), der eine ausgeprägte<br />
Kantung der magnetischen Momente aufweist.<br />
B<br />
Schließlich lassen sich mit inelastischer Neutronenspektroskopie<br />
die Wechselwirkungsparameter (Anisotropie,<br />
Austausch) absolut bestimmen. Damit legt die<br />
Neutronenstreuung die Gr<strong>und</strong>lage für ein detailliertes<br />
mikroskopisches Verständnis dieser aufregenden Materialklasse<br />
<strong>und</strong> kann den Weg zu möglichen Anwendungen<br />
ebnen.<br />
Molekülstruktur Anregungsspektren Energieschema<br />
Neutroneninstensität<br />
0,4<br />
0,2<br />
-5<br />
2,10 1 cm 3,10-5 cm 1<br />
-5<br />
4,10 cm 1<br />
0,0<br />
-0,5 0,0 0,5<br />
0,0<br />
-0,5 0,0<br />
0,0<br />
0,5 -0,5 0,0 0,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
T=23,8K<br />
0,4<br />
0,2<br />
4<br />
-5<br />
B 3,10 cm -1<br />
4 = h (meV)<br />
0,0<br />
-1,4 -1,0 -0,6 -0,2 0,2 0,6 1,0 1,4<br />
Abb 2.38. Beispiel für die Bestimmung von Wechselwirkungsparametern mit Hilfe von inelastischer Neutronenstreuung<br />
am Mn 12<br />
-Acetat.<br />
0,4<br />
0,2<br />
Energie<br />
M-Werte<br />
Eingeschränkte Dimensionalität:<br />
42 43<br />
Molekularer Magnetismus
Blick in das Innere von Nanoröhren<br />
Die Entdeckung, dass Kohlenstoffatome unter geeigneten<br />
Bedingungen durch Selbstorganisation eine Vielzahl<br />
höchst komplexer Strukturen ausbilden, kann als<br />
Ursprung der modernen Nanowissenschaften angesehen<br />
werden. Das wohl bekannteste Kohlenstoffmolekül ist<br />
das Fulleren C 60<br />
(s. Abb. 2.39). C 60<br />
hat die Form eines<br />
miniaturisierten Fußballs mit nur einem Nanometer<br />
Durchmesser. Neben C 60<br />
haben vor allem Kohlenstoffnanoröhren<br />
besonderes Interesse ausgelöst. Sie besitzen<br />
ganz außergewöhnliche mechanische <strong>und</strong> elektronische<br />
Eigenschaften. Mögliche Anwendungen reichen<br />
von hochfesten Werkstoffen bis zu Flachbildschirmen.<br />
Neutronenstreuung ist für die Charakterisierung von<br />
Nanoröhren eine hervorragend geeignete Sonde. Diffraktion<br />
<strong>und</strong> Spektroskopie erlauben es, die Strukturen<br />
<strong>und</strong> Bewegungen von Fullerenen <strong>und</strong> Nanoröhren bis<br />
ins Detail <strong>und</strong> unter verschiedensten Bedingungen zu<br />
studieren. Ein besonders schönes Beispiel sind Peapods.<br />
Führt man C 60<br />
-Moleküle in die Nanoröhren ein, so reihen<br />
sie sich wie Erbsenkörner auf. Mit der Neutronenstreuung<br />
ist es möglich, die Bewegung der C 60<br />
-Moleküle<br />
<strong>und</strong> damit ihr Bindungsverhalten in den Röhren zu<br />
beobachten (s. Abb. 2.40). Im Gegensatz zu Laserlicht,<br />
das bei der Ramanstreuung verwendet wird <strong>und</strong> zur Polymerisierung<br />
der C 60<br />
-Moleküle führen kann, greift der<br />
Neutronenbeschuss nicht störend in das System ein. Die<br />
genaue Kenntnis des Bindungsverhaltens ist unabdingbar<br />
für die Voraussage physikalischer Eigenschaften,<br />
wie z. B. möglicher Supraleitung, <strong>und</strong> damit technischer<br />
Anwendungen.<br />
Abb 2.39. Geometrie einer typischen Kohlenstoffnanoröhre<br />
(links hinten) im Vergleich zu den mit C 60<br />
gefüllten<br />
Peapods (rechts). Neutrondiffraktion <strong>und</strong> Neutronenspektroskopie<br />
geben Aufschluss über die Position <strong>und</strong><br />
Bewegung der konstituierenden Atome. Vorne links:<br />
Kristallstruktur der C 60<br />
-Moleküle.<br />
GDOS (willkürliche Einheiten)<br />
0 50 100 150<br />
E (meV)<br />
Abb 2.40. Verteilung der Schwingungsmoden für<br />
(a: oben) Peadpods, d.h. mit C 60<br />
-Molekülen gefüllte Nanoröhren<br />
(a: Mitte) leere Nanoröhren<br />
(a: unten) Anteil der eingeschlossenen C 60<br />
-Moleküle.<br />
(b) Berechnetes Spektrum für isolierte Moleküle<br />
Beispiele für heterogene Katalyse mit<br />
Neutronen<br />
Eine Vielzahl chemischer Prozesse beruht auf katalytischen<br />
Umsetzungen. Heterogene Katalyse, bei der Katalysator<br />
<strong>und</strong> Reaktanden in unterschiedlichen Aggregatzuständen<br />
vorliegen, wurde verschiedentlich durch<br />
Neutronenstreuung untersucht. Im Folgenden sollen drei<br />
Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von Neutronen<br />
vorgestellt werden:<br />
Umsatz organischer Moleküle in den<br />
Hohlräumen von Zeolithen<br />
Zeolithe sind Alumosilikate, die eine Gerüststruktur<br />
mit Hohlräumen aufweisen, die eine Einlagerung von<br />
organischen Molekülen erlauben. Großtechnisch eingesetzt<br />
werden synthetische Zeolithmaterialien in der<br />
Erdölchemie für Crackprozesse langkettiger Kohlenwasserstoffe.<br />
Auch für Feinchemikalien fanden die Zeolithe Anwendung.<br />
Abb. 2.41 zeigt die Einlagerung eines aromatischen<br />
Moleküls in den Hohlraum des Zeolithen Y.<br />
Gut erkennbar ist die Wechselwirkung zwischen dem<br />
Metallatom <strong>und</strong> dem eingelagerten Molekül. Durch den<br />
gezielten Austausch der Metallatome lassen sich die Eigenschaften<br />
für einzelne Synthesen optimieren. Neben<br />
der Lokalisierung der Moleküle durch Diffraktion lässt<br />
a<br />
b<br />
Abb 2.41. Die Einlagerung eines organischen Moleküls<br />
in den Hohlraum des Zeolithen Y zeigt die Wechselwirkung<br />
mit dem Alumosilikatgerüst.<br />
sich auch die Dynamik der Moleküle durch inelastische<br />
bzw. quasielastische Streuprozesse untersuchen. Neutronen<br />
haben hier erhebliche Vorteile durch das hohe<br />
Streuvermögen des Wasserstoffs <strong>und</strong> die Möglichkeit<br />
der gezielten Deuterierung.<br />
Anlagerung von Kohlenwasserstoffen an<br />
Metalle<br />
Oberfl ächen von Edelmetallen wie Platin <strong>und</strong> Palladium<br />
sind von besonderer Bedeutung für katalytische Anwendungen.<br />
Durch Methoden der Oberflächenanalytik<br />
(Photoemissionsspektroskopie, Röntgen) konnten<br />
wichtige Informationen zur Änderung der Oberfl äche<br />
bei der Reaktion gewonnen werden. Nicht zugänglich<br />
ist dabei aber die Art der Anlagerung von Reaktanden.<br />
Durch inelastische Neutronenstreuung konnte die<br />
Anordnung von Methylgruppen auf einer Palladium-<br />
Oberfl äche nachgewiesen werden. Abb. 2.42 gibt einen<br />
Eindruck wieder, wie die Bindung zwischen einzelnen<br />
Pd-Atomen <strong>und</strong> dem Kohlenstoffatom aussieht (Firma<br />
Degussa/Umicore).<br />
Ähnliche Untersuchungen der Anlagerung von Wasserstoff<br />
auf Platin bzw. Platin/Ruthenium Partikeln, die in<br />
Brennstoffzellen eingesetzt werden, wurden ebenfalls<br />
durchgeführt. Die katalytisch aktiven nanokristallinen<br />
Metallpartikel waren dabei auf Kohlenstoff aufgebracht.<br />
Gleichzeitig ließ sich dabei auch die partielle<br />
Oxidation bzw. die Bildung von Pt-OH-Teilchen nachweisen.<br />
Abb 2.42. Anlagerung von CH 3<br />
-Gruppen auf eine<br />
Palladium-Oberfläche.<br />
Brennstoffzellen<br />
Niedertemperaturbrennstoffzellen werden als Alternative<br />
zu Kohlenwasserstoffen als Fahrzeugantrieb<br />
intensiv untersucht. Eine der offenen Fragen vor einem<br />
Einsatz der Polymerelektrolytbrennstoffzellen (PEM)<br />
ist der Durchtritt von Wasser durch die Polymermembran,<br />
die für ihr Funktionieren feucht gehalten werden<br />
muss. Während Änderungen des Metallkatalysators<br />
durch Röntgenabsorptionsmessungen in-situ verfolgt<br />
werden können, lässt sich der Wasserhaushalt durch<br />
direkte Bildgebungsverfahren durch Neutronen verfolgen,<br />
die das Streuvermögen des Wasserstoffs ausnutzen.<br />
Durch Tomographie konnte so der Wassergehalt einer<br />
gesamten Zelle rekonstruiert werden (s. Abb. 2.43).<br />
Die Untersuchungen katalytischer Prozesse mit Neutronen<br />
haben noch erhebliches Potential.<br />
Abb 2.43. Wasserverteilung in einer PEM-Brennstoffzelle.<br />
Eingeschränkte Dimensionalität:<br />
44 45<br />
Nanoröhren / Katalyse
Teilchen- <strong>und</strong> Hadronenphysik<br />
mit langsamen Neutronen<br />
Teilchen- <strong>und</strong> Kernphysik mit langsamen Neutronen liefern<br />
wesentliche Beiträge zum Verständnis der materiellen<br />
Gr<strong>und</strong>lagen unserer Existenz. Die Fragestellungen<br />
reichen dabei von den f<strong>und</strong>amentalen Wechselwirkungen<br />
bis hin zur Entstehung der Elemente im Urknall<br />
<strong>und</strong> in Supernovaexplosionen. Neutronen werden dazu<br />
einerseits als Studienobjekt verwendet, andererseits als<br />
Sonde in Kernreaktionen <strong>und</strong> Streuprozessen.<br />
An den Grenzen des Standardmodells<br />
Hauptziel der Teilchenphysik ist es, alle Kräfte der<br />
Natur aus einem vereinigenden Symmetrieprinzip abzuleiten,<br />
was zur theoretischen Vorhersage neuer Teilchen<br />
führt. In der Hochenergiephysik wird versucht, diese<br />
Teilchen direkt zu erzeugen. In komplementären Präzisionsexperimenten<br />
bei niedriger Energie sucht man<br />
hingegen nach kleinsten Verletzungen gr<strong>und</strong>legender<br />
Symmetrien als experimentelle Signatur neuer Physik.<br />
Exemplarisch für diesen Ansatz in Experimenten mit<br />
langsamen Neutronen zur Teilchenphysik steht die<br />
Suche nach einem nicht verschwindenden elektrischen<br />
Dipolmoment des Neutrons. Die während der letzten<br />
50 Jahre stetig vorangetriebenen Verbesserungen haben<br />
jetzt eine Empfi ndlichkeit von 10 -23 eV auf die Wechselwirkungsenergie<br />
des Neutrons mit externen Feldern<br />
erreicht. Als Frequenz ausgedrückt entspricht dies<br />
wenigen Spinpräzessionen pro Jahr. Diese Suche hat<br />
bislang mehr theoretische Szenarien zur Erweiterung<br />
des Standardmodells ausgeschlossen als jedes andere<br />
Experiment. Die große Bedeutung der Messgröße<br />
besteht darin, dass sie die Symmetrie f<strong>und</strong>amentaler<br />
Wechselwirkungen zwischen Materie <strong>und</strong> Antimaterie<br />
verletzt, die sogenannte CP-Symmetrie. In der Teilchenphysik<br />
mit Beschleunigern konnten derartige Prozesse<br />
für neutrale Kaonen <strong>und</strong> B-Mesonen identifiziert werden.<br />
Die Stärke der darin gef<strong>und</strong>enen CP-Verletzung<br />
genügt jedoch nicht zur Beantwortung der Frage, warum<br />
man im Universum so viel Materie fi ndet <strong>und</strong> nicht<br />
ein Großteil davon kurz nach der Geburt des Universums<br />
mit Antimaterie zerstrahlt ist. Zur Lösung dieses<br />
kosmologischen Rätsels wird eine weitaus größere<br />
CP-Verletzung benötigt als bislang beobachtet.<br />
Zeitumkehr<br />
Über ein gr<strong>und</strong>legendes Theorem der Teilchenphysik<br />
entspricht die CP-Verletzung auch einer Verletzung<br />
der Symmetrie f<strong>und</strong>amentaler Prozesse bezüglich der<br />
Richtung der Zeit, der sogenannten Zeitumkehr- oder<br />
T-Invarianz. Neben dem elektrischen Dipolmoment<br />
bieten langsame Neutronen zur Suche nach derartigen<br />
Prozessen eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten:<br />
untersucht werden zwei T-verletzende Observablen<br />
im Zerfall freier Neutronen sowie Observablen in<br />
Neutronen-induzierten Kernreaktionen <strong>und</strong> in der<br />
Neutronenoptik. Kennzeichnend ist, dass die verschiedenen<br />
Messgrößen unterschiedliche Mechanismen<br />
der T-Verletzung testen. Damit sind sie nicht nur zur<br />
Hochenergiephysik, sondern auch untereinander, komplementär.<br />
Ursprung der Elemente<br />
Während Experimente zur Verletzung der Zeitumkehrinvarianz<br />
auf Eigenschaften f<strong>und</strong>amentaler Wechselwirkungen<br />
noch vor Ablauf der ersten Mikrosek<strong>und</strong>e<br />
nach dem Urknall empfi ndlich sind, können Neutronen<br />
auch auf die Frage nach dem Ursprung der chemischen<br />
Elemente wesentliche Beiträge liefern. Auch hierfür<br />
stehen sehr vielfältige Observablen zur Verfügung.<br />
Eine Schlüsselgröße zum Verständnis der relativen<br />
Häufi gkeiten der leichten Elemente nach dem Urknall<br />
ist die Lebensdauer des freien Neutrons, das sich durch<br />
radioaktiven Zerfall in ein Proton, ein Elektron <strong>und</strong> ein<br />
Antineutrino umwandelt. Sie bestimmt die Stärke der<br />
schwachen Prozesse. Nach etwa einer Sek<strong>und</strong>e konnte<br />
in der Ursuppe das thermische Gleichgewicht zwischen<br />
Neutronen <strong>und</strong> Protonen durch schwache Prozesse nicht<br />
mehr aufrecht erhalten werden. Neutronen begannen<br />
frei zu zerfallen, verb<strong>und</strong>en mit einer Nettoerzeugung<br />
von Protonen. Diese kam erst nach etwa drei Minuten<br />
zum Stillstand, als die Temperatur des Universums so<br />
weit abgesunken war, dass das Deuteron nicht länger<br />
durch energiereiche Photonen dissoziiert - <strong>und</strong> damit<br />
zu einem stabilen Atomkern - wurde. Beobachtungen<br />
primordialer Elementhäufi gkeiten <strong>und</strong> Simulationen der<br />
Elemententstehung in der Frühzeit des Universums sind<br />
mittlerweile derart genau, dass genauere Messungen<br />
der Neutronenlebensdauer sowie einiger Reaktionsquerschnitte<br />
benötigt werden.<br />
Schwache Wechselwirkung<br />
Die Bildung von Deuterium <strong>und</strong> schwereren Elementen<br />
im normalen Brennvorgang in Sternen wird durch die<br />
Kopplungskonstanten der schwachen Wechselwirkung<br />
des Nukleons bestimmt, die man mit Hilfe weiterer<br />
Observablen im Neutronzerfall misst. Die Produktion<br />
von Elementen schwerer als Eisen ist durch Fusionsprozesse<br />
nicht möglich, sondern geschieht in Supernovaexplosionen<br />
<strong>und</strong> anderen kosmischen Katastrophen<br />
durch eine Reaktionskette aus sukzessiven Neutroneneinfängen<br />
<strong>und</strong> Betazerfällen. Die relativen Häufi gkeiten<br />
der verschiedenen Elemente hängen dabei auch von<br />
Einfangsquerschnitten <strong>und</strong> Betazerfallszeiten extrem<br />
neutronenreicher Kerne ab, die mittels Kernspektroskopie<br />
von Fragmenten aus der Kernspaltung untersucht<br />
werden können. Diese Studien treffen auf theoretische<br />
Bemühungen, zu einer einheitlichen Beschreibung der<br />
Kernphysik als eine effektive Feldtheorie auf Gr<strong>und</strong>lage<br />
der f<strong>und</strong>amentalen starken Wechselwirkung zu gelangen.<br />
Damit sollen modellunabhängige Vorhersagen der<br />
Eigenschaften auch bislang noch unerforschter exotischer<br />
Kerne ermöglicht werden. Zur weiteren Entwicklung<br />
- <strong>und</strong> zum Test dieser theoretischen Ansätze<br />
- werden auch verbesserte Präzisionsmessungen an<br />
neutroneninduzierten Reaktionen in Systemen weniger<br />
Nukleonen benötigt.<br />
Phasenübergänge des Universums<br />
<strong>und</strong> Messgrößen von Neutronenexperimenten<br />
Temperatur<br />
10 19 GeV<br />
10 -11 GeV<br />
Neue Physik<br />
<br />
Planck<br />
EDM<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
--GUTs--<br />
<br />
Standardmodell<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Inflation<br />
<br />
<br />
Elektroschwacher<br />
Chiraler Übergang <br />
<br />
<br />
Ausfrieren v. Neutron + Proton<br />
Atomkernausfrieren<br />
10 -43 s 10 -35 s 10 -12 s 1 s 10 5 a 10 9 a heute<br />
Zeit<br />
<br />
Atomares Ausfrieren<br />
Galaktisches Ausfrieren<br />
Abb 2.44. Phasenübergänge des Universums über einer Zeitskala beginnend mit dem Urknall. Markiert sind Observablen,<br />
die durch Experimente mit Neutronen gewonnen werden können.<br />
46 Teilchen- <strong>und</strong> Hadronenphysik 47
Ausstrahlung der Forschung mit Neutronen<br />
in unser tägliches Leben<br />
48<br />
49
Das immer raschere Umsetzen wissenschaftlicher<br />
Erkenntnisse in Verfahren <strong>und</strong> Produkte des täglichen<br />
Lebens prägt unsere Zivilisation <strong>und</strong> ist Motor des<br />
Fortschritts. Dass dabei Neutronen als einzigartige<br />
<strong>und</strong> für viele Fragestellungen unverzichtbare<br />
Sonden zur Untersuchung von Materialien eine<br />
wichtige Rolle spielen, ist nicht überraschend, <strong>und</strong><br />
es ist klar zu sehen, dass ihre Bedeutung mit dem<br />
Vordringen wissenschaftlicher Methoden in immer<br />
mehr Bereiche des täglichen Lebens noch zunehmen<br />
wird. Die Forschung mit Neutronen strahlt schon<br />
jetzt auf viele unterschiedliche Gebiete des täglichen<br />
Lebens aus. Neutronen dienen dabei nicht nur zur<br />
Analyse von Materialeigenschaften, sondern – über<br />
Kernreaktionen – auch zur Materialmodifi kation.<br />
Einige Beispiele aus den Gebieten Kommunikation<br />
<strong>und</strong> Informationstechnologie, Mobilität, Energie <strong>und</strong><br />
Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit sowie kulturelles Erbe sollen diese<br />
Bedeutung der Neutronenforschung belegen.<br />
Kommunikation <strong>und</strong><br />
Informationstechnologie<br />
Überall im täglichen Leben begegnen uns magnetische<br />
Medien zur Datenspeicherung. Die enormen Fortschritte<br />
in Speicherdichte <strong>und</strong> Geschwindigkeit beim<br />
Aufzeichnen <strong>und</strong> Auslesen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene<br />
Miniaturisierung der Speichermedien wären ohne<br />
intensive Gr<strong>und</strong>lagenforschung nicht möglich gewesen.<br />
Neutronen als kleine „Elementarmagnete“ sind die idealen<br />
Sonden zur Erforschung magnetischer Eigenschaften<br />
von Materialien auf mikroskopischer Skala. Nahezu<br />
alles, was wir heute über Ordnung <strong>und</strong> Dynamik der<br />
magnetischen Momente in Materialien <strong>und</strong> die Änderung<br />
magnetischer Strukturen durch äußere Einfl üsse<br />
sicher wissen, beruht auf Ergebnissen von Neutronenstreuexperimenten.<br />
Spintronik<br />
Welche Entwicklungen in der Informationstechnologie<br />
wurden in der letzten Zeit durch Gr<strong>und</strong>lagenforschung<br />
ermöglicht Die Entdeckung des GMR-Effektes<br />
(Riesenmagnetowiderstand) durch Grünberg et al. <strong>und</strong><br />
Fert et al. im Jahre 1988 hat das Gebiet der Spintronik<br />
begründet. Speicherung, Transport <strong>und</strong> Verarbeitung<br />
von Information unter Ausnutzung der Abhängigkeit<br />
elektrischer Transporteigenschaften vom Elektronenspin<br />
ermöglicht erheblich schnellere, leistungseffi zientere<br />
<strong>und</strong> kleinere Bauelemente. Bei der Entdeckung<br />
dieses Effekts hat die Neutronenstreuung zwar keine<br />
Rolle gespielt. Jedoch war umfangreiche Gr<strong>und</strong>lagenforschung<br />
zur technischen Realisierung der Bauelemente,<br />
die auf diesem Effekt basieren, unabdingbar, <strong>und</strong><br />
hier haben Neutronen entscheidende Beiträge geliefert.<br />
Zur Optimierung von Bauteilen müssen die magnetischen<br />
Eigenschaften unterschiedlichster Materialien<br />
<strong>und</strong> Materialkombinationen im Detail untersucht<br />
<strong>und</strong> verstanden werden. Bei den Paketen aus dünnen<br />
Schichten – typische Bauelemente der Spintronik - sind<br />
es insbesondere auch strukturelle <strong>und</strong> magnetische<br />
Rauigkeiten in den Grenzschichten, die das Verhalten<br />
der Bauelemente stark beeinfl ussen können. Sehr bald<br />
nach seiner Entdeckung wurde der GMR-Effekt zusammen<br />
mit dem Exchange-Bias-Effekt, einem weiteren<br />
an Dünnschichtpaketen zu beobachtenden Effekt, zum<br />
Bau empfi ndlicher Festplattenleseköpfe ausgenutzt.<br />
Durch den Einsatz dieser neuen Leseköpfe ließen sich<br />
die nutzbaren Speicherdichten von Festplatten in kurzer<br />
Zeit um den Faktor 10 steigern.<br />
Magnetische Speicher<br />
Noch am Anfang steht eine Entwicklung hin zu noch<br />
dichteren Magnetspeichern, bei denen die Magnetisierung<br />
des Materials nicht mit einem äußeren Magnetfeld,<br />
sondern mit anderen Mitteln, beeinfl usst wird.<br />
Ergebnisse der Gr<strong>und</strong>lagenforschung mit Neutronen<br />
erlauben erste Einblicke, wie erfolgversprechende<br />
Systeme funktionieren könnten. Eine aussichtsreiche<br />
Materialklasse stellen die ferromagnetischen<br />
Ferroelektrika (Multiferroika) dar, in denen durch ein<br />
äußeres elektrisches Feld reversibel ferromagnetische<br />
Ordnung in einem Kristall an- <strong>und</strong> abgeschaltet werden<br />
kann. Vor kurzem wurde mit Neutronenstreuung am<br />
System HoMnO 3<br />
im Detail der dafür verantwortliche<br />
Mechanismus aufgeklärt.<br />
Silizium<br />
Bei all diesen Entwicklungen auf dem Gebiet der magnetischen<br />
Speichermedien soll nicht vergessen werden,<br />
dass Neutronen auch bei der Herstellung homogen dotierten<br />
Siliziums – eines Gr<strong>und</strong>stoffs für elektronische<br />
Bausteine – eine wichtige Rolle spielen. Dazu werden<br />
Blöcke von einkristallinem Silizium in Reaktoren mit<br />
Neutronen bestrahlt, wobei über eine Kernreaktion etwa<br />
eines von 1 Million Siliziumatomen in ein Phosphoratom<br />
umgewandelt wird. Die große industrielle Bedeutung<br />
dieser als Transmutationsdotierung bezeichneten<br />
Methode ist in der exzellenten Homogenität begründet,<br />
die damit erreicht wird. So werden wesentlich höhere<br />
Leistungsdichten bei Transistoren <strong>und</strong> Thyristoren, wie<br />
sie zum Beispiel in der Bahntechnik eingesetzt werden,<br />
möglich.<br />
CoFe – frei drehbar<br />
Oxid-Barriere<br />
CoFe - festgehalten<br />
<br />
<br />
<br />
Abb. 3.1. Der magnetoelektrische GMR-Effekt. Der<br />
elektrische Widerstand dieses Schichtpakets ändert sich, je<br />
nachdem ob die Magnetisierungsrichtungen in den beiden<br />
ferromagnetischen Schichten parallel oder antiparallel<br />
zueinander ausgerichtet sind. Er ist gering bei paralleler<br />
Orientierung <strong>und</strong> groß bei antiparalleler Orientierung. Ein<br />
magnetisches Signal (Richtung der Magnetisierung) wird so<br />
in ein Stromsignal (elektrischer Widerstand) übersetzt.<br />
Abb. 3.2. Der Exchange-Bias-Effekt. Eine antiferromagnetische<br />
Schicht fixiert die Magnetisierungsrichtung der<br />
angrenzenden ferromagnetischen Schicht. Sogenannte<br />
„Spinvalve“-Bauelemente, bei denen eine zweite ferromagnetische<br />
Schicht durch ein externes Feld gedreht werden<br />
kann, wirken über den Magnetwiderstand als Sensoren.<br />
Abb. 3.3. Schema eines sog. MRAM-Speichers als<br />
Beispiel eines lateral strukturierten magnetischen Schichtsystems.<br />
Abb. 3.4. Neutronenstreuung konnte in HoMnO 3<br />
den<br />
Mechanismus bestimmen, der zu multiferroischem Verhalten<br />
(Kombination von ferroelektrischem <strong>und</strong> ferromagnetischem<br />
Verhalten) führt. Derartige Multiferroika könnten sich als<br />
entscheidend für die Entwicklung magnetischer Speicher<br />
erweisen.<br />
50 Kommunikation<br />
51
Mobilität<br />
Personen- <strong>und</strong> Güterverkehr bestimmen unser tägliches<br />
Leben in einem Ausmaß, das früher <strong>und</strong>enkbar<br />
erschien. Gr<strong>und</strong>lage dieser Entwicklung sind enorme<br />
Ingenieur-Leistungen, die zu immer schnelleren <strong>und</strong><br />
zuverlässigeren Transportmitteln führten - man denke<br />
nur an die Entwicklung des Luftverkehrs. Möglich wurde<br />
dies durch den Einsatz immer besserer Materialien,<br />
wobei deren Potential immer häufi ger bis an die Grenzen<br />
ausgereizt wird. Die Verkehrstechnik ist deshalb<br />
nicht nur auf die Entwicklung neuer Materialien angewiesen,<br />
sondern auch auf Methoden, die es erlauben,<br />
ganze Bauteile zuverlässig unter realen Bedingungen<br />
- auch unter Grenzbelastungen - zu testen. Insbesondere<br />
müssen verlässliche experimentelle Daten gewonnen<br />
werden, die zur Validierung von mathematischen Modellierungen<br />
von Bauteilen, z. B. Finite-Elemente-Rechnungen,<br />
herangezogen werden können. Damit können<br />
dann belastbare Standzeiten für Maschinen festgelegt<br />
werden.<br />
Eigenspannungsanalyse<br />
Insbesondere aufgr<strong>und</strong> ihrer Fähigkeit, tief in Metalle<br />
einzudringen, wurden Neutronen in den letzten Jahren<br />
für Ingenieure ein immer wichtigeres Werkzeug. Diese<br />
Eigenschaft erlaubt zum Beispiel, Spannungszustände<br />
auch im Inneren eines massiven metallischen Bauteils<br />
quantitativ zu bestimmen. Ungünstige Verteilungen<br />
solcher Spannungen sind häufi g Auslöser eines fatalen<br />
Materialversagens.<br />
ICE-Radbruch wäre vermeidbar gewesen<br />
Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit stellt die<br />
Erforschung der Ursachen eines Radbruchs an einem<br />
ICE-Waggon dar. Dieser Radbruch führte zu einem der<br />
schwersten Unglücke in der Geschichte der deutschen<br />
Eisenbahn. Nach dem Unglück wurde der Radring des<br />
ICE-Rades mit Neutronendiffraktometrie untersucht;<br />
eine Zugspannung (blaue Zone in Abb. 3.5) wurde als<br />
Ursache des Materialversagens identifiziert. Finite-<br />
Elemente-Rechnungen hatten während der Entwicklungsphase<br />
diese Gefahr nicht erkennen lassen. Eine<br />
frühzeitige Untersuchung mit Neutronen während der<br />
Testphase dieses Typs von Radreifen hätte den Unfall<br />
aber verhindern können.<br />
Diesel auch im tiefsten Winter<br />
Ein interessantes Beispiel für die Bedeutung der Forschung<br />
mit Neutronen für das tägliche Leben in einer<br />
mobilen Gesellschaft ist die Entwicklung von speziellen<br />
organischen Substanzen – Additiven – für Dieseltreibstoffe<br />
(Abb. 3.6). Diese sorgen dafür, dass sich bei winterlichen<br />
Temperaturen keine größeren Wachskristalle<br />
bilden, die die Treibstofffi lter verstopfen können. Zusatz<br />
von Polymeren fördert die Bildung vieler Kristallkeime<br />
<strong>und</strong> verhindert so die Entstehung großer Aggregate. Die<br />
Aufklärung dieses Wirkungsmechanismus <strong>und</strong> parallel<br />
dazu die Optimierung der Additiv-„Rezeptur“ wurden<br />
ganz wesentlich durch Neutronenstreuexperimente<br />
vorangetrieben. In nur vier Jahren wurde Gr<strong>und</strong>lagenforschung<br />
in ein marktreifes Produkt umgesetzt! Heutzutage<br />
fi nden sich diese Additive während der kalten<br />
Jahreszeit in allen gängigen Dieseltreibstoffen.<br />
Bildgebende Verfahren<br />
Das hohe Durchdringungsvermögen gepaart mit<br />
besonderer Empfi ndlichkeit für einzelne chemische<br />
Elemente prädestiniert die Neutronen für tomographische<br />
<strong>und</strong> radiographische Untersuchungen. Dies gilt<br />
insbesondere für das zerstörungsfreie Sichtbarmachen<br />
von Materialien, die leichte Elemente wie Wasserstoff,<br />
Lithium oder Bor enthalten <strong>und</strong> sich im Inneren metallischer<br />
Objekte befi nden. Ein Beispiel ist in Abb. 3.7<br />
dargestellt. Es zeigt die Abgasleitung eines Flugzeugtriebwerkes,<br />
in dem Öl- <strong>und</strong> Treibstoffreste gefährliche<br />
Ablagerungen bildeten. Eine komplette Verstopfung<br />
könnte zur Zerstörung des Triebwerks mit katastrophalen<br />
Folgen führen. Die Ablagerungen konnten mit<br />
Neutronentomographie detailliert abgebildet werden,<br />
ohne die Abgasleitung aufschneiden zu müssen. Unterschiedliche<br />
Farben in der Darstellung entsprechen dabei<br />
unterschiedlichen Dichten. Über eine genaue Analyse<br />
der Dichteunterschiede können Rückschlüsse auf die<br />
Entstehungsgeschichte der Ablagerungen gemacht<br />
werden, was wiederum für die Ursachenforschung<br />
erheblich ist. Diese Untersuchungen wurden von der<br />
britischen Flugunfallbehörde <strong>und</strong> der Flugzeugindustrie<br />
in Auftrag gegeben.<br />
a) Große Wachskristalle in Dieselöl<br />
verstopfen die Düsen.<br />
b) Zusatz von Polymer-Aggregaten.<br />
Abb. 3.5. Eigenspannungsuntersuchungen an ICE-Rad.<br />
Mit Neutronendiffraktometrie wurde nach dem verheerenden<br />
Eisenbahnunglück von Eschede im Jahre 1998, das<br />
durch einen Radbruch ausgelöst worden war, der Radring<br />
des ICE-Rades untersucht. Die Zugspannung (blaue<br />
Zone) wurde als Ursache des katastrophalen Materialversagens<br />
identifiziert.<br />
c) Die Polymer-Aggregate<br />
fungieren als Nukleationszentren.<br />
Abb. 3.6. Wirkungsweise der Dieselöl-Additive, deren Entwicklung<br />
durch Neutronenstreuexperimente möglich gemacht wurde.<br />
d) Viele kleinste Kriställchen ohne Verstopfungsgefahr.<br />
Abb. 3.7. Öl- <strong>und</strong> Treibstoffablagerungen in der Abgasleitung<br />
eines Flugzeugtriebwerkes.<br />
Die Ablagerungen im Inneren der Abgasleitung konnten<br />
durch Neutronentomographie zerstörungsfrei abgebildet<br />
werden. Unterschiedliche Farben in der Darstellung entsprechen<br />
dabei unterschiedlichen Dichten.<br />
52 Mobilität<br />
53
Brennstoffzelle<br />
Energie +<br />
H 2<br />
O<br />
O 2<br />
Photoelektrolyse<br />
H 2<br />
-<br />
Speicherung<br />
O 2<br />
H 2<br />
Energie <strong>und</strong> Umwelt<br />
Es ist unbestritten, dass sich eine wachsende Erdbevölkerung<br />
das Verbrennen fossiler Energieträger zur Energiegewinnung<br />
im großen Maßstab nicht mehr lange<br />
leisten kann. Nicht nur gehen die leicht ausbeutbaren<br />
Vorräte - zumindest die Vorräte an Erdöl – allmählich<br />
zur Neige; auch die CO 2<br />
-Akkumulation in der Atmosphäre<br />
birgt ungeheure Risiken. Weltweit wird der<br />
Einsatz der Wasserstoff-Technologie als ein Ausweg aus<br />
dieser Situation angesehen. Ein idealer Wasserstoff-Zyklus<br />
kann in drei Stationen gegliedert werden: nämlich<br />
Elektrolyse des Wassers mit Photovoltaik, Speicherung<br />
des Wasserstoffs <strong>und</strong> schließlich seine Verbrennung in<br />
einer Brennstoffzelle. Der Zyklus ist in Abbildung 3.8<br />
skizziert.<br />
Gashydrate<br />
Methan-Clathrate, die in riesigen Mengen im Sediment<br />
von Ozeanrändern vorkommen, erregen seit Kurzem<br />
große Aufmerksamkeit als mögliche fossile Energiequelle<br />
(s. Abb. 3.9). Clathrate sind Einschlussverbindungen,<br />
in denen Gastmoleküle Käfi ge aus Wasser stabilisieren.<br />
Sie sind nur in einem bestimmten Druck- <strong>und</strong><br />
Temperaturbereich stabil. Unter Umweltgesichtspunkten<br />
ist es von größter Bedeutung, diese Stabilitätsbereiche<br />
genau zu kennen. Neutronen mit ihrer speziellen Empfi<br />
ndlichkeit für Wasserstoffatome <strong>und</strong> ihrer Fähigkeit,<br />
komplexe Probenumgebungen (Druckzellen, Kryostate)<br />
zu durchdringen, sind für diese Untersuchungen das<br />
Mittel der Wahl.<br />
<br />
<br />
Anode<br />
Brennstoff<br />
H 2<br />
(Gas)<br />
-<br />
<br />
<br />
+<br />
<br />
Kathode<br />
O 2<br />
(Gas)<br />
N 2<br />
(Gas)<br />
H 2<br />
O (Gas)<br />
N 2<br />
(Gas)<br />
Abb. 3.8. Der Wasserstoff-Zyklus (oben), Lade- <strong>und</strong><br />
Entladevorgänge in Metallhydrid-Speichern (Mitte),<br />
Prinzip der Brennstoffzelle (unten).<br />
Wasserstoff-Technologie<br />
Alle drei Stationen des Wasserstoffzyklus bedürfen<br />
noch großer Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsanstrengungen.<br />
Neutronen tragen dazu Entscheidendes bei,<br />
insbesondere bei den beiden letzten Stationen: der<br />
Wasserstoffspeicherung <strong>und</strong> den Brennstoffzellen. Als<br />
Wasserstoffspeicher kommen Metallhydride (Metall-<br />
Wasserstoff-Verbindungen) in Frage. Aus Gründen der<br />
Gewichtsersparnis bei mobilem Einsatz (z. B. im Auto)<br />
sind dabei leichte Metalle wie Magnesium besonders<br />
attraktiv. Neutronen sind eine ideale Sonde zur Untersuchung<br />
solcher Hydridspeicher mit Streuexperimenten.<br />
Lade- <strong>und</strong> Entladevorgänge, wie in Abb. 3.8 (Mitte)<br />
skizziert, können daher mit Neutronen in in-situ-Experimenten<br />
direkt verfolgt werden. Bei der letzten Station<br />
des Wasserstoffzyklus, der Brennstoffzelle, liegt der<br />
Schwerpunkt der Entwicklungsarbeiten bei den Wasserstoff-<br />
<strong>und</strong> Sauerstoff-Ionen-leitenden Elektrolytmembranen<br />
(s. Abb. 3.8 unten). Diese werden aus speziellen<br />
Polymeren hergestellt. Zur genauen Untersuchung der<br />
Vorgänge in Brennstoffzellen sind Neutronen ebenfalls<br />
unerlässlich. Ein guter Teil der Messzeiten an<br />
Neutronen-Tomographieanlagen wird von Entwicklern<br />
der Brennstoffzellen aufgekauft; der Wasserzyklus in<br />
den Zellen lässt sich mit Neutronen sehr gut verfolgen.<br />
Das enorme fi nanzielle Interesse erlaubt derzeit aber<br />
nur sporadische Veröffentlichungen der gewonnenen<br />
Ergebnisse.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Abb. 3.9. Gashydrate treten in der Natur<br />
meist im Meeresboden auf, z. B. als Gashydrat-Sediment-Wechsellagen<br />
(oben<br />
rechts).<br />
Brennendes Eis - das Gas im Hydrat macht<br />
dieses Paradoxon scheinbar möglich (oben<br />
links).<br />
Mit Neutronen werden Struktur <strong>und</strong><br />
Dynamik von Gashydraten untersucht,<br />
siehe Beugungsdiagramm. Die oberen<br />
Markierungen bezeichnen die Reflexe der<br />
Hydratstruktur, die untere Kurve zeigt die<br />
Differenz von beobachtetem <strong>und</strong> berechnetem<br />
Profil (unten).<br />
54 Energie <strong>und</strong> Umwelt<br />
55
Erfolgschancen der Neutronentherapie könnten noch<br />
gesteigert werden, wenn es gelänge, in die Tumorzellen<br />
gezielt borhaltige Substanzen einzuschleusen. Dabei<br />
würde man ausnutzen, dass Boratome Neutronen sehr<br />
stark absorbieren <strong>und</strong> dann in einer Kernreaktion in<br />
zwei Bruchstücke zerplatzen, wodurch die Tumorzellen<br />
wirkungsvoll zerstört werden könnten. Die Neutroneneinfangtherapie<br />
befi ndet sich aber noch im Entwicklungsstadium.<br />
Abb. 3.10. Ausschnitt aus einer Lipidmembran, die in Kontakt mit dem Peptid -Amyloid (weiß eingefärbt) gebracht wurde.<br />
Bei dem Neutronenstreuexperiment wurde zum einen nicht deuteriertes -Amyloid eingesetzt <strong>und</strong> zum anderen ein „markiertes“<br />
-Amyloid, bei dem in einer bestimmten Aminosäure Protonen gegen Deuteronen (violett dargestellt) ausgetauscht<br />
worden waren. Im Messdiagramm (rechte Seite der Abbildung) entspricht die rote Kurve der Messung mit nicht markiertem,<br />
die blaue Kurve der Messung mit markiertem -Amyloid. Die ausgeprägten Unterschiede in der Streuung zeigen eindeutig,<br />
dass Peptid in die Membran eingelagert wurde.<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Biologische Systeme bestehen zu einem großen Teil aus<br />
Wasserstoff. Ihre Strukturen werden zwar im Großen<br />
<strong>und</strong> Ganzen mit Röntgenmethoden bestimmt, aber nur<br />
die einzigartigen Eigenschaften der Neutronen erlauben<br />
es, die genaue Lage der Protonen (Wasserstoffkerne)<br />
eindeutig experimentell festzulegen. Dazu steht als weiteres<br />
Hilfsmittel die Kontrastvariation zur Verfügung:<br />
Im Neutronenstreubild unterscheiden sich die Kerne<br />
des leichten Wasserstoffs (Protonen) sehr stark von<br />
den Kernen des schweren Wasserstoffs (Deuteronen).<br />
Die Möglichkeit, den Streukontrast durch Deuterieren<br />
zu verändern, spielt speziell bei der Untersuchung<br />
komplexer biologischer Vorgänge eine große Rolle.<br />
Ein Beispiel für die Anwendung dieser Methode zur<br />
Klärung einer medizinisch relevanten Fragestellung<br />
zeigt Abb. 3.10. Das Peptid -Amyloid, dessen Ablagerung<br />
oder eventuelle Einlagerung in Zellmembranen<br />
eine Schlüsselrolle bei der Alzheimer-Krankheit spielt,<br />
konnte mittels Kontrastvariation in einer Lipidmembran<br />
lokalisiert werden. Dazu wurde eine spezifi sche Aminosäure<br />
des Peptids mit Deuteronen markiert (violett) <strong>und</strong><br />
die Neutronenstreudichte der Membran mit markiertem<br />
<strong>und</strong> unmarkiertem -Amyloid bestimmt. Die Position<br />
der markierten Aminosäure ist als positive Differenz in<br />
den Neutronenstreudichten zu sehen. Solche Ergebnisse<br />
sind wichtig für das Verständnis biologischer Prozesse<br />
<strong>und</strong> geben wertvolle Hinweise für die Entwicklung von<br />
Medikamenten.<br />
Diagnostik...<br />
Neutronen werden zur Produktion von Radionukliden<br />
über Kernreaktionen genutzt <strong>und</strong> dienen so unmittelbar<br />
medizinischen Zwecken. Radionuklide werden sowohl<br />
in der Diagnostik als auch in der Therapie eingesetzt.<br />
Welche Bedeutung sie in der Medizin haben, machen<br />
folgende Zahlen klar: Weltweit werden jährlich<br />
13 Millionen Untersuchungen mit Hilfe von Radionukliden<br />
durchgeführt; jeder dritte Krankenhauspatient<br />
profi tiert vom Einsatz der Radionuklide. In mehr als<br />
der Hälfte der nuklearmedizinischen Anwendungen<br />
wird dabei das Radioisotop 99 Tc eingesetzt, für das<br />
Neutronenquellen die einzigen Lieferanten sind.<br />
... <strong>und</strong> Therapie<br />
Neutronen werden auch direkt zu therapeutischen<br />
Zwecken eingesetzt: Es gibt Tumorarten, sog. sauerstoffunterversorgte<br />
(hypoxische) Tumore, die durch<br />
Bestrahlung mit Neutronen besser behandelt werden<br />
können als mit konventioneller Strahlentherapie. Die<br />
Abb. 3.11. Proben für die NAA - Quarzampullen mit biologischem<br />
Material in Bestrahlungsbüchsen aus Aluminium.<br />
Prinzip der Neutronenaktivierungsanalyse (NAA):<br />
Wird eine Probe mit Neutronen bestrahlt, können sich einige<br />
Atomkerne in radioaktive Nuklide umwandeln. Durch<br />
Analyse der -Strahlung, die von diesen radioaktiven Kernen<br />
ausgesandt wird, kann auf Art <strong>und</strong> Konzentration von<br />
chemischen Elementen geschlossen werden, die in der<br />
Probe enthalten sind. Geringste Mengen eines Elementes<br />
lassen sich auf diese Weise bestimmen.<br />
10 4<br />
10 3 150 200 250 300 350 400<br />
Energie (keV)<br />
Abb. 3.12. Ausschnitt eines Gammaspektrums.<br />
Lungengewebe (Ratte). Die Gammalinien des Se-75<br />
(121 keV, 264 keV, 279 keV <strong>und</strong> 400 keV) sind markiert.<br />
Abb. 3.13. Stent in gespreiztem Zustand.<br />
Nahrungsmittel<br />
Neutronenaktivierungsanalyse ist die Referenz-Methode<br />
zur Bestimmung der Konzentration von Spurenelementen<br />
(s. Abb. 3.11, 3.12). Viele Funktionen in<br />
Organismen können nur aufrechterhalten werden, wenn<br />
bestimmte chemische Elemente in winzigen Mengen<br />
vorhanden sind. Ein Zuviel oder ein Zuwenig kann<br />
zu großen Ges<strong>und</strong>heitsschäden führen. Ein typisches<br />
Beispiel ist das Selen. Selen ist für den menschlichen<br />
Körper ein starkes Gift, in geringen Mengen<br />
(1,0 – 1,5 µg/kg Körpergewicht) aber lebensnotwendig.<br />
Die Neutronenaktivierungsanalyse liefert hier genaue<br />
Angaben über die absolute Konzentration, mit denen<br />
andere spektroskopische Methoden kalibriert werden.<br />
So ist es verständlich, dass Hersteller von Babynahrung<br />
oder von medizinischer Ersatznahrung typische<br />
Nutznießer der Neutronenaktivierungsanalyse sind.<br />
In beiden Fällen kommt es essentiell auf die richtige<br />
Zusammensetzung der Spurenelemente an.<br />
Medizintechnik<br />
Ein indirekter aber in der Konsequenz ungeheuer wichtiger<br />
Beitrag der Neutronen zur medizinischen Versorgung<br />
ergibt sich aus der Erforschung der sog. Formgedächtnislegierungen.<br />
Bauteile aus solchen Legierungen<br />
„erinnern“ sich immer wieder an eine ihnen einmal<br />
gegebene Gestalt. Verformt man sie, kehren sie durch<br />
eine Temperaturbehandlung wieder in die ursprüngliche<br />
Gestalt zurück. Typische Vertreter dieser Materialklasse<br />
sind Nickel-Titan-Legierungen. Neutronenstreuexperimente<br />
hatten einen entscheidenden Anteil an der<br />
Aufklärung des Erinnerungsmechanismus, der auf<br />
einer martensitischen Phasenumwandlung beruht. Bioverträgliche<br />
Formgedächtnislegierungen spielen nun in<br />
der Medizintechnik eine wichtige Rolle als Implantate.<br />
Ein Beispiel sind Stents, die in Blutgefäße, Harnröhren<br />
oder Gallengängen in zusammengefaltetem Zustand mit<br />
Hilfe eines Katheters eingeführt werden. Bei Körpertemperatur<br />
spreizen sich dann die feinen Gefl echte auf<br />
(s. Abb. 3.13). Diese Art der Dilatation von Blutgefäßen<br />
hat zur Vorbeugung von Infarkten eine herausragende<br />
Bedeutung erlangt.<br />
56 Ges<strong>und</strong>heit<br />
57
Kulturelles Erbe<br />
Die Bewahrung des kulturellen Erbes hat in den letzten<br />
Jahren einen zunehmenden Stellenwert in Politik <strong>und</strong><br />
Gesellschaft erfahren, vielleicht als Reaktion auf das<br />
weit verbreitete Gefühl, in einer Welt zu leben, die sich<br />
rapide wandelt. Kunstschätze in ihrem gegenwärtigen<br />
Zustand mit wissenschaftlichen Mitteln zu erfassen,<br />
ihre Geschichte zu erforschen, Wege zur Restaurierung<br />
<strong>und</strong> Bewahrung aufzuzeigen, all dies wird von Institutionen<br />
wie der UNESCO oder der europäischen Kommission<br />
immer stärker als wichtige gesellschaftliche<br />
Aufgabe angesehen, zu der auch Forschungseinrichtungen<br />
ihren Beitrag leisten sollen.<br />
Neutronenautoradiographie<br />
Neutronen tragen in mannigfacher Weise zu Bemühungen<br />
um die Bewahrung des kulturellen Erbes bei. Ein<br />
Beispiel ist die Anwendung der Neutronenautoradiographie<br />
zur Untersuchung von Gemälden. Man bestrahlt<br />
Gemälde mit Neutronen, wobei durch Kernreaktionen<br />
einige Atome in den Bildmaterialien, insbesondere<br />
in den Farbpigmenten, radioaktiv werden (im Durchschnitt<br />
nur etwa vier von 10 12 Atomen). Nach Ende der<br />
Bestrahlung wird der Zerfall der radioaktiven Kerne<br />
über die dabei ausgesandte - <strong>und</strong> -Strahlung registriert.<br />
Die räumliche Verteilung der radioaktiven Kerne<br />
wird über die Schwärzung eines empfi ndlichen Filmes<br />
nachgewiesen, der nach der Neutronenbestrahlung auf<br />
das Gemälde aufgelegt wird. Die radioaktiven Kerne<br />
unterscheiden sich durch ihre verschiedenen Zerfallszeiten.<br />
Durch Aufl egen jeweils neuer Filme nach<br />
bestimmten Zeitabständen können so radioaktive Kerne<br />
unterschiedlicher Lebensdauer <strong>und</strong> damit korreliert<br />
unterschiedliche Farbpigmente bevorzugt sichtbar<br />
gemacht werden. Durch Einsatz von -empfindlichen<br />
Detektoren lässt sich zudem die chemische Zusammensetzung<br />
einzelner Farbpigmente ähnlich wie bei der<br />
Neutronenaktivierungsanalyse bestimmen.<br />
Autoradiographie des Berliner Bildes (vergl. Abb. 3.14),<br />
auf der zur Überraschung der Kunsthistoriker zusätzliche<br />
Bäume zu erkennen sind (in Abb. 3.15 braun<br />
hervorgehoben), die offenbar wieder übermalt worden<br />
waren. Bei einer röntgenographischen Untersuchung<br />
des Bildes waren diese Bäume nicht zu sehen. Diese<br />
zusätzlichen Bäume enthalten dieselben Farbpigmente<br />
wie die anderen Bildelemente <strong>und</strong> passen auch in<br />
die Gesamtkomposition des Bildes. Daraus kann man<br />
nur den Schluss ziehen, dass der Maler sein Konzept<br />
während der Ausführung des Gemäldes änderte, um<br />
zu einer anderen künstlerischen Aussage zu kommen.<br />
Werden solche Übermalungen, Pentimenti genannt,<br />
entdeckt, so gilt das bei Kunsthistorikern immer als<br />
gewichtiger Hinweis darauf, dass es sich bei dem Bild<br />
um ein Original handelt. Für einen Kopisten ist eine<br />
Konzeptänderung während der Bildausführung sehr<br />
unwahrscheinlich. Kunsthistoriker gehen deshalb jetzt<br />
davon aus, dass das Gemälde „Armida entführt den<br />
eingeschläferten Rinaldo“ von Nicolas Poussin selbst<br />
gemalt wurde.<br />
Abb. 3.14. Nicolas Poussin, „Armida entführt den<br />
eingeschläferten Rinaldo“, (ca. 1637), Gemäldegalerie<br />
Berlin, 120 x 150 cm 2 , Kat. Nr. 486.<br />
Ursprünglich wurde dieses Bild für das Werk eines Kopisten<br />
gehalten.<br />
Abb. 3.15. Neutronenautoradiographie des Bildes<br />
„Armida entführt den eingeschläferten Rinaldo“<br />
(aus 12 einzelnen Filmen zusammengesetzt).<br />
Deutlich sind zusätzliche Bäume zu erkennen (zur Hervorhebung<br />
braun eingefärbt), die in der endgültigen Ausführung<br />
des Bildes fehlen <strong>und</strong> zum Teil durch eine Säule<br />
ersetzt sind (vergl. Abb. 3.14). Solche als Pentimenti bezeichneten<br />
Übermalungen sind für Kunsthistoriker immer<br />
ein starker Hinweis darauf, dass das Bild ein Original ist,<br />
d. h. nicht von einem Kopisten stammt.<br />
Original oder Fälschung<br />
Ein erhellendes Beispiel dafür, wie die Neutronenautoradiographie<br />
benutzt werden kann, um die Zuordnung<br />
eines Gemäldes zu einem bestimmten Maler zu klären,<br />
ist in den Abb. 3.14 <strong>und</strong> 3.15 dargestellt. Abb. 3.14 zeigt<br />
ein Bild aus der Berliner Gemäldegalerie. Es trägt die<br />
Bezeichnung „Armida entführt den eingeschläferten<br />
Rinaldo“ <strong>und</strong> wurde bisher als Werk eines Kopisten<br />
des französischen Malers Nicolas Poussin (1594-1665)<br />
angesehen. Ein Original Poussins mit ganz ähnlichem<br />
Sujet hängt in der Londoner Dulwich Picture Gallery<br />
(„Armida <strong>und</strong> Rinaldo“). Abb. 3.15 zeigt nun eine<br />
58 Kulturelles Erbe<br />
59
Stellung in der<br />
internationalen Forschungslandschaft<br />
60 61
Eine der größten <strong>und</strong> bedeutendsten<br />
Nutzergemeinden<br />
Die deutsche Gemeinde der Wissenschaftler, die Neutronen<br />
für ihre Forschung einsetzen, ist eine der größten<br />
Neutronennutzergemeinden weltweit, wie auch die<br />
Erhebung der ENSA im Jahre 1998 [8] belegt. Die in<br />
Abb. 4.1 gezeigte Aufteilung nach Nationen spiegelt die<br />
Verteilung wider, wie sie im ENSA-Bericht von 1998<br />
angegeben wird. Die Werte dürften sich inzwischen<br />
leicht geändert haben, ohne jedoch obige Kernaussage<br />
zu berühren. Die Anzahl von Wissenschaftlern, die in<br />
der KFN-Datenbank registriert sind – dies sind deutsche<br />
Wissenschaftler im In- <strong>und</strong> Ausland <strong>und</strong> ausländische<br />
Wissenschaftler, die in Deutschland arbeiten - hat<br />
seit 1998 nochmals zugenommen <strong>und</strong> liegt inzwischen<br />
bei über 960. Auch die Nutzergemeinden in USA <strong>und</strong><br />
Japan dürften angesichts der mit dem Bau der neuen<br />
Quellen SNS bzw. JSNS einhergehenden Aufbruchstimmung<br />
stark zugenommen haben, wozu uns allerdings<br />
keine aktuellen Daten vorliegen.<br />
GB<br />
1200<br />
F<br />
600<br />
E<br />
150 NL<br />
160 CH<br />
300<br />
I<br />
130<br />
D<br />
800<br />
HU<br />
80<br />
Abb. 4.1. Die anzahlmäßig größten Neutronennutzergemeinden<br />
in Europa [8] (Stand 1998). Zum Vergleich: In<br />
den USA gibt es gegenwärtig etwa 1000 Neutronennutzer.<br />
Wissenschaftliche Qualität<br />
Neben der überdurchschnittlichen Produktivität der<br />
deutschen Nutzerschaft, gemessen an der Anzahl der<br />
Publikationen, zeichnet sich Deutschland insbesondere<br />
durch eine Schule der Qualität <strong>und</strong> Kreativität in der<br />
Forschung mit Neutronen aus. Dies zeigt sich nicht<br />
zuletzt an der hohen Zahl eingeladener Vorträge bei<br />
großen internationalen Konferenzen. Einen sehr guten<br />
Indikator für das wissenschaftliche Potential stellt die<br />
Belebung von Teildisziplinen durch neue mikroskopische<br />
Einblicke mit Hilfe der Neutronen dar. Beispiele<br />
für maßgebliche deutsche Beiträge sind:<br />
• Hochfeldmagnetismus, für den die Neutronenstreuung<br />
die wesentlichen mikroskopischen Informationen<br />
über Quantenphänomene, Struktur <strong>und</strong> Dynamik<br />
liefert.<br />
• Physik weicher Materie, etwa die mikroskopische<br />
Untersuchung von Polymerkonformation <strong>und</strong> Polymerdynamik<br />
mit Hilfe von Neutronenkleinwinkelstreuung<br />
<strong>und</strong> Spinecho-Spektroskopie.<br />
• Quantenzustände in Molekülkristallen, die erst mit<br />
Hilfe von Neutronen-Tunnelspektroskopie erforscht<br />
werden können.<br />
• Spontane Kernspinordnung bei tiefsten Temperaturen.<br />
Neutronen als „sanfte Sonde“ erlauben es, diese<br />
Strukturen, die nur bei sub-mK Temperaturen existieren,<br />
aufzuklären.<br />
• Magnetische Ordnungsphänomene <strong>und</strong> Domänenstrukturen<br />
in dünnen Schichten <strong>und</strong> Multilagen.<br />
• Fehlordnung <strong>und</strong> Diffusionsprozesse, z. B. bei Wasserstoff<br />
in Metallen.<br />
• Frustrierte magnetische Materialien von Spingläsern<br />
zu magnetischer „Ordnung durch Fehlordnung“, d. h.<br />
fl uktuationsinduzierter magnetischer Ordnung.<br />
• Aufklärung geodynamischer Prozesse mit Hilfe von<br />
Neutronentexturuntersuchungen.<br />
• Einsatz ultrakalter Neutronen in der Kern- <strong>und</strong> Teilchenphysik.<br />
Die Bearbeitung vieler dieser wissenschaftlichen Gebiete<br />
wurde ermöglicht durch die Entwicklung neuer Methoden,<br />
wie der Rückstreuspektroskopie (Quantentunneln,<br />
Diffusion), der Kleinwinkelstreuung (strukturelle<br />
Aspekte weicher Materie), der Streuung in extremer<br />
Probenumgebung (Hochfeldmagnetismus, Kernspinmagnetismus)<br />
oder der diffusen Neutronenstreuung, auch<br />
mit Polarisationsanalyse (strukturelle <strong>und</strong> magnetische<br />
Fehlordnung). Deutschland hat eine lange Tradition von<br />
wissenschaftsgetriebener Methodenentwicklung.<br />
Wichtige Beiträge zur<br />
Forschungsinfrastruktur<br />
Entsprechend der Größe <strong>und</strong> der Bedeutung der nationalen<br />
Nutzergemeinde spielt Deutschland eine herausragende<br />
Rolle bei der Bereitstellung von Forschungsinfrastruktur<br />
auf diesem Sektor. Zur Zeit werden in<br />
Deutschland vier Forschungsreaktoren betrieben; darüber<br />
hinaus ist Deutschland einer der drei Hauptpartner<br />
des ILL. In Zukunft werden zwar mit dem FRJ-2 am<br />
FZJ <strong>und</strong> voraussichtlich dem FRG-1 an der GKSS zwei<br />
wichtige Quellen wegfallen, aber die Stärkung des neuen<br />
Münchner Reaktors FRM-II durch die Repräsentanz<br />
der Helmholtz-Zentren stellt eine gewisse Kompensation<br />
für diesen Verlust dar. Deutschen Nutzern steht dann<br />
einerseits mit dem ILL die derzeit weltbeste Neutronenquelle,<br />
andererseits mit dem FRM-II die modernste<br />
kontinuierliche Quelle zur Verfügung. Daneben bleibt<br />
das HMI als zweites Nutzerzentrum mit einmaliger<br />
Probenumgebung bestehen.<br />
Bedeutung in der Methodenentwicklung<br />
Deutschland ist international eines der führenden<br />
Länder im Bereich Methodenentwicklung für die<br />
Forschung mit Neutronen. Diese Tradition baut auf der<br />
Philosophie des Altmeisters der Neutronenforschung,<br />
Heinz Maier-Leibnitz, auf, nach der eine Steigerung der<br />
Empfi ndlichkeit von Messapparaturen fast zwangsläufi g<br />
gr<strong>und</strong>legend neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur<br />
Folge hat. Wichtige Komponenten <strong>und</strong> Instrumenttypen<br />
wurden in Deutschland entwickelt, die inzwischen<br />
weltweite Verbreitung gef<strong>und</strong>en haben <strong>und</strong> ohne die<br />
der Erfolg der Forschung mit Neutronen nicht möglich<br />
gewesen wäre. Bekannte Beispiele sind:<br />
• Die Erfi ndung der Neutronenleiter, die eine effi ziente<br />
Ausnutzung von Neutronenquellen durch den Bau von<br />
Instrumenten in externen Leiterhallen erst ermöglichten.<br />
• Die Entwicklung der Geschwindigkeitsselektoren, die<br />
es erlauben, gezielt Strahlen mit breiten Wellenlängenbändern<br />
zu erzeugen, wie sie etwa für die Kleinwinkelstreuung<br />
unerlässlich sind. Ultrahohe Drehzahlen<br />
bei Choppern für Flugzeitspektrometer konnten<br />
erst durch die Magnetlagertechnik realisiert werden.<br />
• Den Bau der ersten dedizierten Kleinwinkelanlage,<br />
ein Instrumententyp, der heute am meisten nachgefragt<br />
wird. Die jüngste Weiterentwicklung dieser<br />
Technik, hin zu immer höheren Aufl ösungen, erfolgte<br />
mit einer fokussierenden Kleinwinkelanlage ebenfalls<br />
in Deutschland.<br />
• Die Erfindung <strong>und</strong> Entwicklung der höchstaufl<br />
ösenden Rückstreuspektroskopie, die erst die Untersuchung<br />
von Quantentunneln in Molekülkristallen<br />
oder von langsamen Diffusionsprozessen ermöglicht.<br />
Die jüngste Entwicklung ist eine Phasenraumtransformation,<br />
die bedeutende Intensitätssteigerungen<br />
ermöglicht.<br />
• Die Optimierung von Target <strong>und</strong> Moderator für MW-<br />
Spallationsquellen. Die amerikanische <strong>und</strong> japanische<br />
Quelle SNS bzw. JSNS werden nach dem Vorbild der<br />
ESS Projektstudie - unter hoher Beteiligung deutscher<br />
Wissenschaftler - gebaut.<br />
• Effi zienzsteigerung von Spallationsquellen durch die<br />
Nutzung von langen Pulsen mit Hilfe des „Wellenlängen-Multiplexing“.<br />
• Einführung des multispektralen Extraktionssystems<br />
bzw. untermoderierter kalter Quellen, um einen besonders<br />
breitbandigen Neutronenstrahl zu erzeugen.<br />
• Die Einführung von hyperpolarisiertem 3 He-Gas als<br />
Polarisationsfi lter in der Neutronenstreuung.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Kompetenz auf dem Gebiet des Instrumentenbaus<br />
sind deutsche Gruppen weltweit gefragte<br />
Partner beim Aufbau der Instrumentierung neuer<br />
Quellen, z. B. NIST, SNS, ISIS, LLB, PSI, BNC, FLNP.<br />
Umgekehrt sind die Instrumente an deutschen Quellen<br />
aufgr<strong>und</strong> ihrer Qualität von Forschern aus der ganzen<br />
Welt stark nachgefragt. Die EU Access Programme,<br />
die Nutzern aus europäischen Ländern den Zugang zu<br />
unserer nationalen Infrastruktur ermöglichen, sind an<br />
allen drei HGF Reaktoren stark überbucht. Gerade die<br />
in der Neutronenstreuung bedeutenden Nationen, wie<br />
USA, Frankreich, Großbritannien, Spanien oder Italien<br />
haben einen großen Anteil an der Nutzung (jeweils<br />
zwischen 5 % <strong>und</strong> 10 %).<br />
Netzwerke<br />
Aufgr<strong>und</strong> wissenschaftlicher Qualität <strong>und</strong> methodischer<br />
Kompetenz sind deutsche Gruppen gefragte Partner in<br />
internationalen Forschungsverbünden <strong>und</strong> Netzwerken,<br />
oft auch an führender Position. Beispielsweise spielt<br />
im EU „Network of Excellence“ SOFTCOMP, das der<br />
Erforschung von Kompositsystemen weicher Materie<br />
gewidmet ist, die Neutronenstreuung als Methode eine<br />
wichtige Rolle. Das Netzwerk wird von einer deutschen<br />
Gruppe koordiniert. Ähnliches gilt im Bereich der<br />
Methodenentwicklung. Unter dem Dach der EU-„Integrated<br />
Infrastructure Initiative for Neutron and Muon<br />
Science“ NMI3 ist nicht nur das ACCESS Programm<br />
beheimatet, an dem alle deutschen Zentren beteiligt<br />
sind. Vielmehr gibt es eine Reihe von methodenorientierten<br />
Forschungsnetzwerken, an denen deutsche<br />
Wissenschaftler großen Anteil haben <strong>und</strong> die teilweise<br />
von deutschen Gruppen koordiniert werden, wie z. B.<br />
bei der Detektorentwicklung oder den Methoden der<br />
polarisierten Neutronenstreuung. Ein Beispiel für ein<br />
weltweites Netzwerk ist ICANS (International Collaboration<br />
for Advanced Neutron Sources), bei dem deutsche<br />
Wissenschaftler Mitbegründer waren. Und nicht<br />
zuletzt trägt das KFN als nationale Nutzervertretung<br />
nicht nur wesentlich zur europäischen Nutzerorganisation<br />
ENSA (European Neutron Scattering Association)<br />
bei, sondern hat sie auch mitinitiiert.<br />
62 Internationale Stellung 63
Nutzergemeinde,<br />
Zugang zu den Neutronenquellen<br />
<strong>und</strong> Forschungsförderung<br />
64 65
Verb<strong>und</strong>charakter<br />
In der Forschung mit Neutronen hat sich in Deutschland<br />
eine enge Verbindung zwischen den Großforschungseinrichtungen,<br />
die die Neutronenquellen betreiben, <strong>und</strong><br />
den Nutzergruppen - vorwiegend von Hochschulen - zu<br />
beiderseitigem Vorteil herausgebildet <strong>und</strong> bewährt.<br />
Diese Verbindung manifestiert sich in der gemeinsamen<br />
Weiterentwicklung von Methoden <strong>und</strong> dem Bau <strong>und</strong><br />
Betrieb von Geräten. Ein Beispiel intensiver Verknüpfung<br />
ist gegeben durch den Aufbau der Instrumentierung<br />
an der neuen Forschungsneutronenquelle FRM-II,<br />
die der Technischen Universität München, TUM,<br />
angegliedert ist. Hierzu haben Gruppen von Universitäten<br />
<strong>und</strong> Instituten der Max-Planck-Gesellschaft <strong>und</strong><br />
der Helmholtz-Gemeinschaft aus ganz Deutschland<br />
beigetragen. Das Instrument der BMBF-geförderten<br />
Verb<strong>und</strong>forschung hat wesentlich dazu beigetragen,<br />
dass durch die Mitwirkung der Hochschulgruppen die<br />
Möglichkeiten der Forschung mit Neutronen in vielen<br />
Wissenschaftsfeldern erkannt worden sind. Das breite<br />
Spektrum erstreckt sich von den Gr<strong>und</strong>lagenfächern<br />
Physik, Chemie, Biologie, Geowissenschaften bis hin<br />
zu den Ingenieurdisziplinen Materialwissenschaft <strong>und</strong><br />
Werkstofftechnik.<br />
Ausbildung<br />
Durch das an den Hochschulen vorhandene Knowhow<br />
werden – wiederum im Zusammenwirken mit den<br />
„professionellen Neutronenforschern“ aus den Zentren<br />
- Studierende <strong>und</strong> junge Wissenschaftler informiert <strong>und</strong><br />
ausgebildet, damit sie in der Lage sind, Neutronen für<br />
Fragestellungen ihrer Forschungsprojekte einzusetzen.<br />
Zu diesem Angebot gehören spezielle Kurse <strong>und</strong> Praktika,<br />
die an allen Zentren angeboten werden. Durch ihre<br />
Verbindungen zu den Hochschulen können wiederum<br />
die Großforschungseinrichtungen Doktoranden gewinnen.<br />
In Deutschland haben sich regionale Netzwerke<br />
mit speziellen Einzugsgebieten im Umfeld der Zentren<br />
der Helmholtz-Gemeinschaft, GKSS, HMI, FZJ, sowie<br />
für den FRM-II entwickelt. Für die erforderliche ständige<br />
Erneuerung <strong>und</strong> Weiterentwicklung der Nutzerschaft<br />
im Bereich der Forschung mit Neutronen sowie für die<br />
Ausbildung der Nachwuchswissenschaftler sind diese<br />
Verknüpfungen zwischen Hochschulen <strong>und</strong> Zentren von<br />
großer Bedeutung<br />
Für Forschergruppen mit Doktoranden <strong>und</strong> Nachwuchswissenschaftlern<br />
ist eine planbare längerfristige<br />
Perspektive mit verlässlichem Zugang zu<br />
Messmöglichkeiten entscheidend. Hierzu gehört<br />
insbesondere eine auf die Belange der Nutzer von<br />
Großgeräten zugeschnittene Forschungsförderung. Aus<br />
Sicht des KFN sollte das hocheffi ziente Instrument der<br />
BMBF-Verb<strong>und</strong>forschung zur optimalen Nutzung der<br />
Großgeräteinfrastruktur ausgebaut werden.<br />
Erschließung neuer Forschungsthemen<br />
„Gelegentliche Nutzer“, die nur hin <strong>und</strong> wieder Experimente<br />
mit Neutronen machen, müssen auf eine<br />
leistungsfähige Instrumentierung zugreifen können<br />
<strong>und</strong> sind dabei auf die kompetente Unterstützung<br />
der Geräteverantwortlichen angewiesen. Es handelt<br />
sich hier um eine wissenschaftliche Zusammenarbeit<br />
zwischen Partnern mit manchmal sehr unterschiedlichen<br />
Spezialgebieten, deren Erfolg für die Qualität der<br />
Forschungsergebnisse entscheidend ist. Gelegentliche<br />
Nutzer sind besonders wichtig im Zusammenhang mit<br />
dem Erschließen neuer Themen für die Forschung mit<br />
Neutronen. In diesem Prozess können sich Arbeitsgruppen<br />
herausbilden, die sich intensiver der Methode der<br />
Neutronenstreuung zuwenden. Das KFN appelliert an<br />
die Universitäten, diesen Aspekt bei Neuberufungen zu<br />
berücksichtigen.<br />
KFN-Umfrage<br />
Um ein aktuelles Bild der Nutzung von Neutronen<br />
durch deutsche Wissenschaftler zu erhalten, wurden im<br />
Frühjahr 2004 vom KFN die Nutzer befragt [7]. 900<br />
Wissenschaftler wurden angeschrieben, der Rücklauf<br />
lag mit 40 % weit über dem vergleichbarer Umfragen.<br />
Die Ergebnisse können mit wenigen Einschränkungen<br />
als repräsentativ angenommen werden <strong>und</strong> sind<br />
vollständig im Anhang wiedergegeben. Im Folgenden<br />
werden bestimmte Aspekte herausgestellt (z. T. im Vergleich<br />
zur Umfrage der European Neutron Scattering<br />
Association (ENSA) aus dem Jahre 1998 [8]).<br />
Material.<br />
19 %<br />
Andere<br />
4 %<br />
Biophysik<br />
2 %<br />
Bio.<br />
3 %<br />
Ing.<br />
4 %<br />
Chemie<br />
13 %<br />
Geo.<br />
4 %<br />
Kristallo.<br />
10 %<br />
Physik<br />
41 %<br />
„professionelle“<br />
Nutzung<br />
(75-100 %)<br />
28 %<br />
häufige<br />
Nutzung<br />
(50-75 %)<br />
17 %<br />
gelegentliche<br />
Nutzung<br />
(25-50 %)<br />
17 %<br />
seltene<br />
Nutzung<br />
(0-25 %)<br />
38 %<br />
Abb. 5.1. Links: Verteilung der deutschen Neutronennutzer<br />
auf verschiedene Wissenschaftsdisziplinen;<br />
rechts: Intensität der Neutronennutzung nach dem zeitlichen<br />
Umfang, den Neutronenexperimente am Gesamtforschungsprogramm<br />
haben.<br />
Interdisziplinarität<br />
Die Verteilung der Nutzer auf unterschiedliche Fachgebiete<br />
(Abb. 5.1 links) spiegelt die Interdisziplinarität<br />
der Forschung mit Neutronen wider. Die größte Gruppe<br />
stellen die Physiker dar, weiter sind Materialwissenschaftler,<br />
Chemiker <strong>und</strong> Kristallographen gut repräsentiert.<br />
Der Anteil der Chemiker ist in den letzten Jahren<br />
signifi kant gesunken, was mit einer Reduzierung oder<br />
Neuausrichtung von Festkörperchemie-Lehrstühlen in<br />
Deutschland zu erklären ist.<br />
Forschungsintensität hat zugenommen<br />
In der Nutzergemeinde hat die Intensität der Forschung<br />
mit Neutronen deutlich zugenommen (Abb. 5.1 rechts):<br />
45 % der Befragten nutzen Neutronen für mehr als die<br />
Hälfte ihrer Forschungstätigkeit (1998 waren es nur<br />
26 %). Der größte Teil davon sind „professionelle Neutronenforscher“,<br />
die meist an Zentren angesiedelt sind.<br />
Nach wie vor ist die größte Gruppe die der „gelegentlichen<br />
Nutzer“, für die Neutronen eine ergänzende, aber<br />
wichtige Sonde sind. Sehr viele Wissenschaftler aus<br />
allen Nutzergruppen setzen komplementäre Methoden<br />
für ihre Forschung ein. Intensive Betreuung ist entscheidend,<br />
um insbesondere die gelegentlichen Nutzer an<br />
Methoden der Forschung mit Neutronen heranzuführen<br />
<strong>und</strong> sie langfristig für diese zu interessieren.<br />
Neutronenquellen<br />
An der Nutzung verschiedener Quellen hat sich seit der<br />
letzten Umfrage wenig geändert. 29 % der Experimente<br />
werden am ILL durchgeführt, 61 % an Mittelfl ussquellen,<br />
wobei das Hauptgewicht auf den deutschen Reaktoren<br />
in Jülich, Berlin <strong>und</strong> Geesthacht liegt. Die restlichen<br />
10 % verteilen sich auf: Orphée (Saclay, Frankreich),<br />
SINQ (PSI, Schweiz), ISIS (RAL, Großbritannien) <strong>und</strong><br />
IBR-II (Dubna, Russland). ISIS ist derzeit die weltbeste<br />
Spallationsquelle.<br />
Struktur der Nutzergemeinde<br />
Für zukünftige Planungen ist es wichtig, die Struktur<br />
der Nutzergemeinde möglichst gut zu kennen. Gut die<br />
Hälfte der Neutronennutzer arbeitet an Universitäten,<br />
knapp ein Drittel an Forschungszentren mit Neutronenquelle.<br />
Erfahrene Neutronennutzer sind in ähnlich<br />
hohem Umfang (über 55 %) an allen Forschungseinrichtungen<br />
vertreten. Die Ausbildung des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses (Doktoranden) wird besonders von<br />
den Hochschulen geleistet, während Forschungszentren<br />
demgegenüber mehr Postdoc-Stellen anbieten können.<br />
Diplomanden sind in der Umfrage vermutlich unterrepräsentiert.<br />
Sie konnten nur indirekt von der Nutzerumfrage<br />
erfahren, da sie nicht im Verteiler erfasst<br />
waren. Die Altersverteilung ist in der Abbildung 5.2<br />
dargestellt. Die Altersgruppe 30 bis 40 dominiert, sie<br />
besteht sowohl aus Doktoranden als auch Postdocs <strong>und</strong><br />
erfahrenen Nutzern. Frauen, die an der Umfrage teilgenommen<br />
haben, sind im Schnitt jünger als die Männer.<br />
Es ergibt sich eine sehr ges<strong>und</strong>e Altersverteilung: laut<br />
Umfrage sind 55 % der Nutzer jünger als 40 Jahre.<br />
Dieser Wert berücksichtigt nicht, dass Diplomanden<br />
unterrepräsentiert sind.<br />
20-29<br />
14 %<br />
>69<br />
1 %<br />
30-39<br />
40 %<br />
60-69<br />
10 %<br />
50-59<br />
14 %<br />
Abb. 5.2. Altersstruktur der deutschen Neutronennutzergemeinde.<br />
40-49<br />
21 %<br />
Zugang zu den Quellen<br />
Die Forschung an Großgeräten wie an Neutronenquellen<br />
benötigt Vorschlags- <strong>und</strong> Auswahlverfahren, um die<br />
vorhandene Messzeit an unterschiedlichen Experimenten<br />
nach wissenschaftlicher Qualität zu verteilen. Die<br />
Messzeitanträge („Proposals“) werden in Expertengremien<br />
begutachtet. Auf der Basis der Gutachten wird die<br />
verfügbare Messzeit an die Nutzer verteilt. Das bedeutet<br />
u. U. relativ lange Vorlaufzeiten, die insbesondere<br />
bei Diplom- <strong>und</strong> Doktorarbeiten frühzeitig berücksichtigt<br />
werden müssen. Für industrielle Nutzer gibt es in<br />
der Regel gesonderte Programme, die einen schnelleren<br />
Zugang ermöglichen. Im Einzelnen gibt es folgende<br />
Nutzungsmodalitäten an deutschen Neutronenquellen<br />
<strong>und</strong> am ILL:<br />
• Am Hahn-Meitner-Institut, am FRM-II <strong>und</strong> am<br />
ILL können zweimal pro Jahr Proposals eingereicht<br />
werden. Am HMI können nach Begutachtung für<br />
Doktorarbeiten spezielle langfristigere Messzeitkontingente<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
66 Zugang <strong>und</strong> Förderung<br />
67
• Proposals für Experimente in Jülich <strong>und</strong> Geesthacht<br />
können kontinuierlich eingereicht werden. Mit dem<br />
Umzug der FZJ-Instrumente an den FRM-II wird<br />
die Messzeitvergabe an diesen Instrumenten auf ein<br />
halbjähriges Verfahren umgestellt. Für Proposals aus<br />
dem EU-Ausland gibt es in Jülich drei Termine im<br />
Jahr, in Geesthacht können auch diese kontinuierlich<br />
eingereicht werden.<br />
• An allen Zentren wird weniger als 40 % der Messzeit<br />
intern genutzt.<br />
• Die BMBF-Verb<strong>und</strong>instrumente stehen zu 60 - 70 %<br />
allen auswärtigen Nutzern zur Verfügung.<br />
KFN im Internet<br />
Der Internetauftritt des KFN gibt neuen <strong>und</strong><br />
potentiellen Nutzern Orientierungshilfen<br />
(www.neutronenforschung.de). Diese bestehen in einem<br />
Überblick über die Anwendungsfelder der Forschung<br />
mit Neutronen, die Instrumentierung <strong>und</strong> die verschiedenen<br />
Nutzerprogramme, an nationalen <strong>und</strong> internationalen<br />
Quellen. Gemeinsam mit dem NMI3-Programm<br />
der EU wird ein webbasiertes Formular erarbeitet, um<br />
Nutzern gezielt die für ihre Problemstellung am besten<br />
geeigneten Instrumente vorzuschlagen.<br />
Forschungsförderung<br />
Die Forschungsinfrastuktur wird an den Zentren durch<br />
institutionelle Förderung von B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern der<br />
Forschergemeinde zur Verfügung gestellt. Seit dem<br />
6. Rahmenprogramm der EU tritt die Europäische Union<br />
als zusätzlicher Förderer von Forschungsinfrastruktur<br />
in Erscheinung.<br />
Die Nutzung der Großforschungseinrichtungen durch<br />
Hochschulgruppen benötigt eine spezifi sche Projektförderung,<br />
weil an den Universitäten hierfür kaum Mittel<br />
zur Verfügung stehen. Für Beteiligung am Aufbau von<br />
Instrumenten, dem Betrieb <strong>und</strong> der Nutzung, sowie für<br />
die Durchführung wissenschaftlicher Projekte existieren<br />
folgende Fördermöglichkeiten, über welche der<br />
KFN-Internetauftritt weitere Informationen bereitstellt.<br />
• Für die Instrumentierung <strong>und</strong> Methodenentwicklung:<br />
Hierfür hat sich in Deutschland über<br />
die Jahre ein hervorragendes, weltweit einmaliges<br />
Förderinstrument herausgebildet, die BMBF-Verb<strong>und</strong>forschung,<br />
siehe unten. Die Methodenentwicklung<br />
wird in zunehmendem Maße auf internationaler<br />
Ebene durch Netzwerke koordiniert. Hierfür stellt die<br />
EU im derzeitigen 6. Rahmenprogramm das Instrument<br />
der „Integrated Infrastructure Initiatives“ zur<br />
Verfügung. Deutschland ist im Bereich der Neutronen<br />
an verschiedenen Programmen, zum Teil an führender<br />
Stelle, beteiligt.<br />
• Für die Durchführung der Experimente: Reise- <strong>und</strong><br />
Aufenthaltskosten können von den HGF-Zentren für<br />
deutsche Nutzer übernommen werden. Eine entsprechende<br />
Regelung gibt es für den FRM-II bisher nicht.<br />
Nutzer aus europäischen Ländern werden über das<br />
EU-Access Programm gefördert. Experimente im<br />
Rahmen von wissenschaftlichen Projekten können<br />
durch die DFG fi nanziert werden.<br />
• Für die wissenschaftlichen Projekte: Es existiert eine<br />
klare Abgrenzung zwischen BMBF-Verb<strong>und</strong>forschung<br />
<strong>und</strong> DFG-Förderung: wissenschaftliche Projekte,<br />
die nicht direkt mit Methodenentwicklung zu<br />
tun haben, können nur noch durch die DFG fi nanziert<br />
werden. Dieses Instrument ist von großer Bedeutung<br />
für die Ausbildung <strong>und</strong> Qualifi kation des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses (Doktoranden). In Zukunft<br />
steht zu erwarten, dass es auch auf europäischer<br />
Ebene über das „European Research Council“, ERC,<br />
analoge Programme geben wird. Bereits heute gibt es<br />
EU-Netzwerke „Networks of Excellence“, bei denen<br />
die Methode der Neutronenstreuung eine wichtige<br />
Rolle spielt. Die HGF hat verschiedene Instrumente<br />
(„virtuelle Institute“, Nachwuchsgruppen) entwickelt,<br />
um die Zusammenarbeit zwischen Zentren <strong>und</strong> Hochschulgruppen<br />
zu fördern.<br />
Verb<strong>und</strong>forschung<br />
Die BMBF-Verb<strong>und</strong>forschung ermöglicht es universitären<br />
<strong>und</strong> in beschränktem Umfang auch außeruniversitären<br />
Gruppen, Methoden an Großgeräten zu entwickeln,<br />
Instrumente aufzubauen, in Betrieb zu nehmen <strong>und</strong> zu<br />
nutzen.<br />
Die Verb<strong>und</strong>förderung war seit jeher ein hocheffi zientes<br />
Förderinstrument für die Forschung an Großgeräten im<br />
Allgemeinen, mit dem bei Einsatz von relativ bescheidenen<br />
Mitteln Hervorragendes erreicht wurde. Sie hat<br />
bewirkt, dass Deutschland eine international herausragende<br />
Stellung auf den entsprechenden Gebieten errungen<br />
hat <strong>und</strong> sich an Universitäten Kompetenzzentren<br />
herausgebildet haben.<br />
In der Bekanntmachung der Richtlinien für die Verb<strong>und</strong>forschung<br />
im Bereich „Erforschung kondensierter<br />
Materie mit Großgeräten“ vom 3. April 2003 defi niert<br />
das BMBF den Zweck dieser Fördermaßnahme: „Das<br />
forschungspolitische Ziel der Maßnahme besteht darin,<br />
die im internationalen Vergleich hervorragende Position<br />
der Wissenschaft bei der Erforschung der kondensierten<br />
Materie in Deutschland <strong>und</strong> der entsprechenden Großgeräte<br />
zu festigen <strong>und</strong> den Bildungs- <strong>und</strong> Forschungsstandort<br />
Deutschland nachhaltig zu stärken.“<br />
Die Verb<strong>und</strong>forschung ist ein wirkungsvolles <strong>und</strong><br />
erfolgreiches Mittel zur Erreichung dieses Ziels, indem<br />
sie den Ausbau der Instrumentierung an den Großgeräten<br />
- <strong>und</strong> damit die Festigung ihrer Position im internationalen<br />
Vergleich - <strong>und</strong> die Förderung von Bildung<br />
<strong>und</strong> Forschung in ausgewogener Weise miteinander<br />
verknüpft. Universitätsgruppen, die für die Heranbildung<br />
des wissenschaftlichen Nachwuchses in erster<br />
Linie verantwortlich sind, werden durch die Förderung<br />
bestimmter Forschungsthemen oder neuer methodischer<br />
Ansätze, die zu ihrer Verwirklichung große Anlagen<br />
benötigen, an die Nutzung der Großgeräte herangeführt.<br />
Damit steigen die Effektivität der Forschung<br />
<strong>und</strong> zugleich die „Rentabilität“ der Investitionen in die<br />
Großgeräte. Diese Förderung ist effi zient, weil dabei die<br />
Eigeninteressen der Verb<strong>und</strong>partner – Großforschungszentren<br />
<strong>und</strong> Universitätsgruppen – vernünftig austariert<br />
sind. Aus Sicht des KFN muss diese Fördermaßnahme<br />
vorrangig <strong>und</strong> nachhaltig weitergeführt werden, insbesondere<br />
mit dem Ziel, Universitätsgruppen eine längerfristige<br />
Perspektive bei der Nutzung von Großgeräten<br />
zu bieten.<br />
68 Zugang <strong>und</strong> Förderung<br />
69
Quellen für<br />
Neutronenstrahlung:<br />
Forschungsreaktoren<br />
Einleitung <strong>und</strong> Überblick<br />
Den Neutronennutzern in Deutschland steht mit dem<br />
Institut Laue-Langevin in Grenoble die weltweit<br />
stärkste kontinuierliche Neutronenquelle zur Verfügung.<br />
Daneben existiert in Europa ein ganzes Netzwerk von<br />
Mittelfl ussquellen (s. Abb. 6.1), die in Zukunft von der<br />
modernsten kontinuierlichen Quelle, dem FRM-II, angeführt<br />
werden. Dieser wird an manchen Experimenten<br />
Flüsse vergleichbar mit denen des ILL aufweisen.<br />
Neutronenlandschaft<br />
Laut Nutzerumfrage des KFN vom Frühjahr 2004 werden<br />
von deutschen Nutzern die meisten Experimente<br />
am Hochfl ussreaktor des ILL durchgeführt. Darauf folgen<br />
die drei deutschen Mittelfl ussreaktoren des FZJ, des<br />
HMI <strong>und</strong> der GKSS, die zusammen die Hauptlast der<br />
Experimente tragen. Mit der beschlossenen Stilllegung<br />
des FRJ-2 <strong>und</strong> voraussichtlich des FRG-1 zu Beginn des<br />
nächsten Jahrzehnts muss in Zukunft der neue Reaktor<br />
in Garching, FRM-II, die Funktion als wichtigste nationale<br />
Neutronenquelle übernehmen <strong>und</strong> neben dem HMI<br />
die Hauptlast der Nutzerbetreuung tragen. Neben diesen<br />
nationalen Quellen konzentrieren sich die Experimente<br />
deutscher Nutzer auf die folgenden europäischen Quellen:<br />
LLB, SINQ, ISIS <strong>und</strong> Dubna. An diesen Quellen<br />
existiert zum Teil komplementäre Instrumentierung<br />
bzw. Expertise der Instrumentverantwortlichen. Neutronennutzer<br />
arbeiten für gewöhnlich in größeren internationalen<br />
Kollaborationen <strong>und</strong> suchen sich die besten<br />
Bedingungen für die jeweilige Fragestellung.<br />
Arbeitsteilung<br />
Zwischen den Hochfl ussquellen <strong>und</strong> den Mittelfl ussquellen<br />
hat sich in Europa eine sehr gute Arbeitsteilung<br />
etabliert: da die Forschung mit Neutronen im allgemeinen<br />
fl usslimitiert ist, lassen sich viele Experimente am<br />
besten an den Hochfl ussquellen durchführen. Allerdings<br />
gibt es an den Mittelfl ussquellen Instrumente<br />
<strong>und</strong> Probenumgebungen, die im weltweiten Vergleich<br />
für ganz bestimmte Anwendungen führend oder auch<br />
einmalig sind, etwa die neue fokussierende Kleinwinkelanlage<br />
KWS-3 in Jülich oder das kombinierte<br />
Flugzeit- <strong>und</strong> Spinecho-Instrument SPAN am HMI. Die<br />
Instrumente an Hochfl ussquellen sind besonders stark<br />
nachgefragt, was zu sehr kurzen <strong>und</strong> damit fehlerintoleranten<br />
Messzeiten führt. Daher sind an diesen<br />
Quellen sowohl die Möglichkeit der Ausbildung des<br />
Nachwuchses als auch die Möglichkeit zur Methodenentwicklung<br />
sehr stark eingeschränkt. Diese Aufgaben<br />
erfüllen in hervorragender Weise die Mittelfl ussquellen<br />
- zusätzlich zur Bereitstellung von Neutronenstrahlung<br />
für ein breites Spektrum von Experimenten. Daneben<br />
1200<br />
FRG-1<br />
GKSS<br />
BENSC<br />
HMI<br />
FRJ-2<br />
FZJ<br />
ISIS<br />
Rutherford<br />
LLB<br />
Paris<br />
IRI<br />
Delft<br />
600<br />
10<br />
30<br />
160<br />
300<br />
800<br />
70<br />
20<br />
80<br />
FRM-II<br />
TUM<br />
FLNP<br />
Dubna<br />
NPL-NRI<br />
Rez/Prag<br />
ILL<br />
Grenoble<br />
150<br />
130<br />
SINQ<br />
PSI<br />
BNC<br />
Budapest<br />
Abb. 6.1. Anzahl der Neutronennutzer (vertikale Balken) gemäß der ENSA-Umfrage von 1998 <strong>und</strong> wichtigste Neutronenquellen<br />
in Europa.<br />
70<br />
Neutronenquellen<br />
71
Andere europäische<br />
Zentren<br />
358<br />
Mittelfluss<br />
(FZJ, HMI, GKSS)<br />
919<br />
Außereuropäische Zentren<br />
57<br />
Abb. 6.2. Verteilung der Experimente an den<br />
verschiedenen Neutronenquellen.<br />
Hochfluss<br />
(ILL)<br />
554<br />
sind sie sehr wichtig für orientierende Messungen zur<br />
Optimierung der Messstrategie <strong>und</strong> Messungen mit<br />
aufwendigen Probenumgebungen, sowie in-situ Probenpräparation<br />
etc. In Europa wird ca. 60 % der Forschung<br />
mit Neutronen an Mittelfl ussquellen durchgeführt [6].<br />
Dort werden viele herausragende wissenschaftliche<br />
Ergebnisse erzielt.<br />
Mittelflussquellen<br />
Wissenschaftliche Arbeiten, wie Diplom- oder Doktorarbeiten,<br />
lassen sich nur durchführen, wenn eine<br />
gewisse kontinuierliche Versorgung an Messzeit gewährleistet<br />
wird. Die Spitzenquellen können aufgr<strong>und</strong><br />
der hohen Anfrage diese Aufgabe nur sehr beschränkt<br />
erfüllen. Die Messzeiten an den Mittelfl ussquellen sind<br />
im Allgemeinen etwas länger <strong>und</strong> erlauben ein Nachmessen,<br />
ein sehr wichtiger Aspekt für die Nachwuchsausbildung.<br />
Sehr viele methodische Entwicklungen sind<br />
an den Mittelfl ussquellen gelaufen, bevor sie auf die<br />
Hochfl ussquellen übertragen wurden. Beispiele hierfür<br />
sind die Entwicklung der Kleinwinkelstreuung <strong>und</strong><br />
der hochaufl ösenden Rückstreuspektroskopie in Jülich,<br />
der magnetischen Streuung bei extrem hohen Feldern<br />
am HMI oder von Geschwindigkeitsselektoren für die<br />
Kleinwinkelstreuung bei GKSS, die in der Folge dann<br />
vom ILL in Grenoble übernommen wurden.<br />
Während die Mittelfl ussquellen ursprünglich eher einen<br />
regionalen Einzugsbereich hatten, hat sich dieses Bild<br />
inzwischen drastisch gewandelt, insbesondere nachdem<br />
sehr wichtige ältere Quellen, wie der Reaktor in RISØ,<br />
in Studsvik <strong>und</strong> 2006 der Reaktor in Jülich, abgeschaltet<br />
wurden bzw. werden. Die Bedeutung der Forschung<br />
mit Neutronen wird inzwischen auch in den europäischen<br />
Ländern ohne eigene leistungsfähige Quelle<br />
erkannt, wie Portugal, Spanien, Italien, Polen, etc. Im<br />
Rahmen des EU Access Programms bewerben sich<br />
Nutzer aus diesen Ländern zunehmend um Messzeit<br />
an den Mittelfl ussquellen. Diese Internationalisierung<br />
führt zu einem Zufl uss von neuen Ideen zu den deutschen<br />
Quellen <strong>und</strong> zum Aufbau von internationalen<br />
Kollaborationen, die von den jeweiligen Großgeräten<br />
ausgehen. Dieser Aspekt ist extrem wichtig für die<br />
Lebendigkeit der Erforschung kondensierter Materie in<br />
Deutschland.<br />
HMI<br />
Der Forschungsreaktor BER II des HMI, der 1973 in<br />
Betrieb gegangen war, wurde 1985 still gelegt <strong>und</strong> in<br />
den folgenden sechs Jahren vollständig erneuert. Seit<br />
1992 steht nun ein moderner Mittelfl ussreaktor (Neutronenfl<br />
ussdichte: 1,2 ∙ 10 14 n cm -2 s -1 ) mit thermischen<br />
Strahlrohren, kalter Quelle <strong>und</strong> bis vor kurzem einer,<br />
jetzt zwei Neutronenleiterhallen der nationalen <strong>und</strong><br />
internationalen Neutronenstreugemeinde zur Verfügung.<br />
Zur Instrumentierung am neuen Reaktor <strong>und</strong> zur<br />
Organisation des Nutzerbetriebes wurde das Berliner<br />
Neutronenstreuzentrum BENSC am HMI eingerichtet.<br />
BENSC verfügt über ein nahezu komplettes Spektrum<br />
an Neutronenstreuinstrumenten. 14 Geräte werden<br />
im regulären Gästebetrieb angeboten, wobei 70 % der<br />
Messzeit an externe Nutzer über ein international besetztes<br />
Auswahlgremium vergeben wird. Weitere sechs<br />
Geräte stehen externen Nutzern auf spezielle Anfrage<br />
zur Verfügung. Hinzu kommen Messplätze für die<br />
Neutronenaktivierungsanalyse <strong>und</strong> mehrere Bestrahlungsplätze.<br />
Eine Station für Neutronentomographie ist<br />
zurzeit im Aufbau. Mit dieser Ausstattung <strong>und</strong> seiner<br />
Spezialisierung auf Hochfeldprobenumgebung entwickelte<br />
sich BENSC zu einem international beachteten<br />
Neutronenstreuzentrum mit dominant hohem Anteil an<br />
ausländischen Messgästen.<br />
Methoden- <strong>und</strong> Geräteentwicklung<br />
Eine besondere Stärke von BENSC liegt in der Entwicklung<br />
<strong>und</strong> Bereitstellung von extremer Probenumgebung<br />
für höchste Magnetfelder (bis zu 17 T) <strong>und</strong> tiefste<br />
Temperaturen (routinemäßig bis herab zu 30 mK).<br />
Weitere Stärken liegen in der Entwicklung innovativer<br />
neutronenoptischer Systeme für Strahlextraktion,<br />
Strahlführung <strong>und</strong> Neutronenpolarisation sowie in<br />
der Entwicklung neuer Instrumentkonzepte für kontinuierliche<br />
<strong>und</strong> gepulste Quellen. Beispiele dafür sind<br />
das neuartige Multispektral-Extraktionssystem für die<br />
zweite Neutronenleiterhalle, das gleichzeitig thermische<br />
<strong>und</strong> kalte Neutronen in einen Leiter einkoppelt, sowie<br />
die Weiterentwicklung der Spinecho-Methode (Weitwinkel-Spinechogerät<br />
SPAN) <strong>und</strong> der TOF-Technik<br />
für kontinuierliche Quellen („TOF-Monochromator“,<br />
Multiplexing-Choppersysteme). Insbesondere für die<br />
Instrumentoptimierung an gepulsten Quellen wurde die<br />
Simulationssoftware VITESSE entwickelt.<br />
Forschungsschwerpunkte<br />
Schwerpunkte der Forschung bei BENSC liegen auf<br />
dem Gebiet des Magnetismus <strong>und</strong> der Materialwissenschaften<br />
sowie in zunehmendem Maße auf dem Gebiet<br />
der weichen Materie, für das zur Zeit eine zusätzliche<br />
Abteilung eingerichtet wird. Durch komplementäre Nutzung<br />
der Synchrotronstrahlung an eigenen Beamlines<br />
bei der Berliner Synchrotronanlage BESSY werden diese<br />
Forschungsrichtungen weiter gestärkt. Zusätzlich beteiligt<br />
sich das HMI am FRM-II mit einem Instrument<br />
für industrienahe Eigenspannungs- <strong>und</strong> Texturanalyse<br />
(STRESSPEC). Nutzung der vorhandenen Anlagen<br />
durch die Industrie wird besonders unterstützt.<br />
Die Zukunft<br />
Für künftige Aufgaben als zweites nationales Zentrum<br />
neben dem FRM-II rüstete sich das HMI durch den<br />
Bau einer zweiten Leiterhalle. Damit kann die führende<br />
Stellung von BENSC auf dem Gebiet der Hochfeldexperimente<br />
weiter ausgebaut werden: Ein 25 T Kryomagnet<br />
in Kombination mit einem neuen Flugzeitdiffraktometer<br />
(EXED) ermöglicht Neutronenstreuung bei höchsten<br />
Magnetfeldern. EXED wird durch das neu entwickelte<br />
Multispektral-Extraktionssystem mit einem Neutronenstrahl<br />
hoher Intensität <strong>und</strong> besonders breitem Wellenlängenband<br />
versorgt. Es eröffnet bisher unerreichte<br />
Möglichkeiten in der hochaufl ösenden Neutronendiffraktion.<br />
Von der Strahlqualität eines ballistischen<br />
Leiters wird das weltweit einzigartige Weitwinkel-Spinechogerät<br />
(SPAN) profi tieren. Die Instrumentierung in<br />
der neuen Halle wird komplettiert durch eine neuartige<br />
hochaufl ösende Kleinwinkelstreuanlage (VSANS).<br />
72 HMI<br />
73
GKSS<br />
Das GKSS Forschungszentrum betreibt seit 1958 den<br />
Forschungsreaktor FRG-1. Im Rahmen laufender Modernisierungen<br />
wurde eine kalte Quelle für langwellige<br />
Neutronen sowie eine Leiterhalle gebaut, der nukleare<br />
Brennstoff von hoch- auf niedrig angereichertes Uran<br />
umgestellt <strong>und</strong> der Neutronenfl uss auf 1,4 ∙ 10 14 n/cm 2<br />
erhöht. Mit 250 Betriebstagen im langjährigen Jahresdurchschnitt<br />
bietet der FRG-1 eine besonders hohe<br />
Verfügbarkeit. R<strong>und</strong> 60 % der Strahlzeit wird externen<br />
Nutzern zur Verfügung gestellt. Strahlzeit kann jederzeit<br />
beantragt werden, um nach externer Begutachtung<br />
einen möglichst schnellen Zugang zu gewährleisten.<br />
Instrumente<br />
Es werden 10 Instrumente betrieben, von denen etwa<br />
die Hälfte für die ingenieurwissenschaftliche Materialforschung<br />
optimiert ist. Damit bietet GKSS externen<br />
Nutzern komplementär zur Schwerpunktbildung anderer<br />
Zentren ein besonders umfassendes <strong>und</strong> anwendungsnahes<br />
Angebot an:<br />
• Eigenspannungs- <strong>und</strong> Texturmessungen an Werkstoffen<br />
<strong>und</strong> Schweißnähten, z. B. für neue Fertigungsverfahren<br />
für den Airbus A 380 oder an leichteren<br />
Bauteilen aus Mg für den Fahrzeugbau.<br />
• Kleinwinkelstreuung, z. B. zur Untersuchung von<br />
festigkeitssteigernden Ausscheidungen in Hochleistungsstählen<br />
oder neuartigen Leichtbauwerkstoffen<br />
für Flugzeugturbinen<br />
• Neutronenradiographie <strong>und</strong> Tomographie, z. B. zur<br />
Qualitätssicherung von Teilen der Ariane-V Rakete<br />
im Rahmen von Industrieaufträgen.<br />
Darüber hinaus stehen Refl ektometer zur Untersuchung<br />
von magnetischen <strong>und</strong> biologischen Nanostrukturen,<br />
z. B. von magnetischen Speichermedien mit höherer<br />
Speicherdichte oder von biologischen Membranen im<br />
Hinblick auf die Wirksamkeit neuartiger Antibiotika,<br />
zur Verfügung. Eine zweite Kleinwinkelstreuanlage<br />
wird vornehmlich für die Untersuchung weicher Materie,<br />
wie z. B. Kolloidgemischen oder Formgedächtnispolymeren<br />
für die regenerative Medizin, angeboten.<br />
Industrielle Nutzung<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Anwendungsnähe seiner Instrumentierung<br />
sowie der Eigenforschung bei GKSS hat der<br />
FRG-1 einen besonders hohen Anteil industrieller Nutzung<br />
<strong>und</strong> Kollaborationen.<br />
Methodenentwicklung<br />
GKSS hat wesentliche Beiträge zur Weiterentwicklung<br />
von Methoden der Neutronenforschung geleistet. So<br />
wurde für die Untersuchung von biologischen Makromolekülen<br />
ein neues Verfahren zur Strukturaufklärung<br />
mittels Kernspinpolarisation entwickelt, Kleinwinkelstreuung<br />
mit polarisierten Neutronen erstmals<br />
eingeführt <strong>und</strong> die heute weltweit in den meisten<br />
Kleinwinkelstreuanlagen eingesetzten Geschwindig<br />
keitsselektoren zur Neutronenmonochromatisierung<br />
entwickelt.<br />
Die Zukunft<br />
Der Betrieb des FRG-1 ist bis Ende 2009 gesichert.<br />
In Vorbereitung auf eine mögliche Abschaltung nach<br />
Ende 2009 plant GKSS ein verstärktes Engagement am<br />
FRM-II <strong>und</strong> evtl. am ILL. GKSS wird daher auch im<br />
kommenden Jahrzehnt Neutroneninstrumentierung in<br />
seinen o. g. Kompetenzfeldern anbieten. Als Nukleus<br />
der GKSS-Außenstelle am FRM-II betreibt GKSS bereits<br />
das innovative Hochfl ussrefl ektometer REFSANS,<br />
das neue Möglichkeiten, u. a. bei der Untersuchung von<br />
Flüssigkeitsgrenzfl ächen, eröffnet.<br />
FZJ<br />
Seit 1962 betreibt das Forschungszentrum Jülich den<br />
Forschungsreaktor FRJ-2, der mit einer Flussdichte von<br />
2,9 ∙ 10 14 n/cm 2 s nach dem FRM-II die leistungsfähigste<br />
deutsche Neutronenquelle ist. In der Reaktorhalle <strong>und</strong><br />
einer externen Leiterhalle für kalte Neutronen befi nden<br />
sich insgesamt 17 Strahlexperimente, die das ganze<br />
Spektrum von Streuinstrumenten abdecken, von der<br />
Diffraktion über Kleinwinkelstreuung <strong>und</strong> Spektroskopie<br />
bis hin zu höchstauflösenden Spinecho- oder<br />
Rückstreuinstrumenten. Alle Instrumente stehen externen<br />
Nutzern über ein Antragsverfahren zur Verfügung.<br />
Etwa 60 % der Experimente werden durch externe<br />
Nutzergruppen durchgeführt, der Rest dient der Eigenforschung.<br />
Methodenentwicklung<br />
Traditionell liegt eine große Stärke des Jülicher Zentrums<br />
bei der Methodenentwicklung. Viele Instrumente,<br />
die heute zum Standardrepertoire an modernen Quellen<br />
gehören, wurden erstmalig in Jülich realisiert, so<br />
etwa die erste Neutronenkleinwinkelstreuanlage, ein<br />
dediziertes Instrument zur Messung diffuser Neutronenstreuung<br />
oder – nachdem das Prinzip am FRM-I<br />
gezeigt wurde – ein Rückstreuspektrometer. Neuere<br />
Entwicklungen betreffen die erste Kleinwinkelanlage<br />
mit fokussierender Optik, Refl ektometrie mit Polarisationsanalyse<br />
für offspekuläre Streuung, vektorielle<br />
Polarisationsanalyse für Flugzeitinstrumente, Phasenraumtransformation<br />
etc. In Jülich gebaute Komponenten,<br />
wie Szintillationsdetektoren oder schnell drehende<br />
magnetgelagerte Chopper, haben weltweite Verbreitung<br />
gef<strong>und</strong>en. Schließlich ebneten Jülicher Arbeiten den<br />
Weg zu den MW-Spallationsquellen, indem hier wesentliche<br />
Fortschritte, etwa beim Targetdesign, erzielt<br />
wurden.<br />
Wissenschaftliche Schwerpunkte<br />
Die wissenschaftliche Kompetenz der Neutronenstreugruppen<br />
in Jülich liegt einerseits auf dem Gebiet<br />
der weichen Materie, mit einem Schwerpunkt bei der<br />
Polymerphysik, andererseits im Bereich des Magnetismus<br />
mit Schwerpunkten im Nanomagnetismus <strong>und</strong> bei<br />
korrelierten Elektronensystemen. Die Neutronenstreuung<br />
ist eine tragende Säule im Methodenspektrum des<br />
Departments „Institut für Festkörperforschung“. Beide<br />
Forschungsschwerpunkte sind eingebettet in das HGF-<br />
Programm „Kondensierte Materie“.<br />
Die Zukunft<br />
Der Forschungsreaktor FRJ-2 soll im Mai 2006 stillgelegt<br />
<strong>und</strong> anschließend rückgebaut werden. Wegen<br />
der gr<strong>und</strong>legenden Bedeutung der Streumethoden in<br />
der Forschung kondensierter Materie beabsichtigt das<br />
Forschungszentrum Jülich, die Neutronenstreuung<br />
zu stärken <strong>und</strong> die in Jülich vorhandene methodische<br />
Kompetenz an anderen Quellen einfl ießen zu lassen. Zu<br />
diesem Zweck wird das „Jülich Centre for Neutron Science“<br />
gegründet, mit Außenstellen am FRM-II, am ILL<br />
<strong>und</strong> an der SNS. In Garching ist der Betrieb von sieben<br />
Streuinstrumenten mit entsprechender Infrastruktur<br />
geplant. Die Jülicher Instrumente ergänzen die Instrumentierung<br />
am FRM-II optimal, indem sie Lücken<br />
schließen im Bereich der Kleinwinkelstreuung, der<br />
höchstaufl ösenden Spektroskopie <strong>und</strong> der Polarisationsanalyse.<br />
Auch in Garching wird das FZJ sein bewährtes<br />
Konzept fortführen <strong>und</strong> über die Bereitstellung von<br />
Strahlzeit an den Neutroneninstrumenten hinaus Fachwissen<br />
<strong>und</strong> spezialisierte Laboreinrichtungen in den<br />
Kompetenzfeldern des Instituts für Festkörperforschung<br />
anbieten. An der SNS wird das FZJ ein Spinecho-Spektrometer<br />
der nächsten Generation mit bisher unerreichten<br />
Werten bzgl. Auflösung <strong>und</strong> dynamischem Bereich<br />
bauen. Durch diese Investition in die dortige Infrastruktur<br />
werden deutsche Nutzer zumindest in beschränktem<br />
Rahmen über das FZJ einen Zugang zu dieser Quelle<br />
der nächsten Generation erhalten.<br />
74 GKSS / FZJ<br />
75
FRM-II<br />
Der FRM-II hat ein einziges zylinderförmiges Brennelement<br />
mit ca. 8 kg hochangereichertem Uran <strong>und</strong><br />
gestaffelter Urandichte von 1,5 – 3 g/cm 3 . Mit 20 MW<br />
thermischer Leistung <strong>und</strong> einem ungestörten Fluss<br />
thermischer Neutronen von 8 ∙ 10 14 n/cm 2 s bietet er das<br />
weltweit beste Verhältnis von thermischer Leistung zu<br />
Neutronenfl uss. Die Kühlung des Brennelements erfolgt<br />
durch H 2<br />
O, die Moderation durch einen D 2<br />
O Moderator.<br />
Ein Brennelementzyklus beträgt 52 Tage, max. fünf<br />
Zyklen pro Jahr = 260 Tage können betrieben werden.<br />
Die untermoderierte Kalte D 2<br />
O-Quelle, die 2000 °C<br />
warme Heiße Quelle <strong>und</strong> eine Konverteranlage für<br />
unmoderierte schnelle Neutronen verschieben das<br />
thermische Wellenlängenspektrum ins Optimum der<br />
gewünschten Nutzung. 10 horizontale <strong>und</strong> 2 schräge<br />
Strahlrohre ermöglichen den Austritt der Neutronen<br />
zu den Experimentiereinrichtungen. Aus einem der<br />
schrägen Strahlrohre wird mittels intensiver Gammastrahlung<br />
<strong>und</strong> spontaner Paarbildung ein intensiver<br />
thermischer Positronenstrahl mit einem Fluss von<br />
10 8 - 10 9 p/cm 2 s extrahiert. Die Instrumente sind in der<br />
Experimentierhalle r<strong>und</strong> um den Reaktorkern <strong>und</strong> in<br />
einer Halle mit Neutronenleitern für kalte Neutronen<br />
untergebracht.<br />
Breites Spektrum<br />
Die Strahlrohrinstrumente des FRM-II werden von<br />
externen Expertengruppen betrieben, wobei 2/3 der<br />
Strahlzeit durch ein unabhängiges Gutachtergremium<br />
an allgemeine Nutzer vergeben werden. Für die Probenumgebung<br />
stehen Kryostaten <strong>und</strong> Öfen für Temperaturen<br />
zwischen 50 mK <strong>und</strong> 2000 °C <strong>und</strong> Magnetfelder bis<br />
zu 14,5 Tesla zur Verfügung. Druckapparaturen sind<br />
im Aufbau. Die Nutzung polarisierter Neutronen wird<br />
durch HELIOS, einer leistungsfähigen Anlage zur Polarisation<br />
von 3 He für annähernd alle Instrumente ermöglicht.<br />
Ein industrielles Anwenderzentrum innerhalb des<br />
FRM-II-Geländes fördert die industrielle Nutzung des<br />
FRM-II, es werden sowohl Büro- als auch Laborflächen<br />
zum Umgang mit Radioaktiva zur Verfügung gestellt.<br />
Zukunft<br />
Das Forschungszentrum Jülich wird zum Mai 2006<br />
seine Neutronenquelle schließen, seine leistungsfähigsten<br />
Neutronenstreuinstrumente zum FRM-II transferieren<br />
<strong>und</strong> sich mit einer Außenstelle am Nutzerbetrieb<br />
des FRM-II beteiligen. Mit der später vorgesehenen<br />
Schließung der Geesthachter Neutronenquelle wird<br />
ebenfalls die GKSS den Nutzerbetrieb durch weitere<br />
Instrumente zur Materialforschung unterstützen. Bis<br />
Ende 2006 wird hierzu an der Ostseite des FRM-II eine<br />
weitere Neutronenleiterhalle in Kombination mit Büro<strong>und</strong><br />
Laborräumen errichtet.<br />
ILL<br />
Das Institut Laue-Langevin wurde 1967 gegründet; sein<br />
57 MW-Reaktor, der 1971 kritisch wurde, liefert mit ca.<br />
1,5 ∙ 10 15 n/cm -2 s -1 den weltweit höchsten Fluss thermischer<br />
Neutronen. Eine heiße Quelle, zwei kalte Quellen<br />
mit 12 Neutronenleitern sowie ultrakalte Neutronen<br />
erweitern das Spektrum zu hohen <strong>und</strong> niedrigen Energien<br />
hin deutlich. Die Erneuerung des Reaktortanks in<br />
den 90er Jahren <strong>und</strong> die gegenwärtigen umfassenden<br />
Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit (REFIT-Programm<br />
bis 2006), insbesondere der Erdbebensicherheit,<br />
versprechen eine hohe Zuverlässigkeit des Reaktors für<br />
die kommenden Jahre.<br />
Breites Spektrum<br />
Für die Versorgung mit Neutronen ist ein ausgeklügeltes<br />
System von Neutronenleitern, die Instrumente<br />
in zwei großen Neutronenleiterhallen bedienen, von<br />
zentraler Bedeutung. Derzeit stehen insgesamt 25 vom<br />
ILL betriebene „öffentliche“ Instrumente zur Verfügung,<br />
demnächst möglicherweise 30. Die Nutzung ist<br />
über ein Proposalsystem geregelt. Zirka 750 Nutzerexperimente<br />
werden in den 4½ 50-tägigen Reaktorzyklen<br />
pro Jahr durchgeführt (bis Ende 2006 ausnahmsweise<br />
nur 3 Zyklen). Zusätzlich zu den 25 öffentlichen<br />
Instrumenten stehen 11 von externen Forschergruppen<br />
betriebene Instrumente zur Verfügung.<br />
Eine breit angelegte Modernisierung von Instrumenten<br />
<strong>und</strong> Neutronenleitern - das im Jahr 2000 gestartete<br />
Millenniumprogramm - führt bereits heute zu einem<br />
mittleren Intensitätsgewinn von einem Faktor 5; ein<br />
Faktor 15 wird angestrebt. Dabei sind auch andere<br />
Qualitäten wie Auflösung, dynamischer Bereich, Polarisation<br />
<strong>und</strong> Zuverlässigkeit Gegenstand der Verbesserungen.<br />
Über 10 Millenniumsprojekte sind bereits zum<br />
Vorteil der Nutzer erfolgreich abgeschlossen. Damit<br />
dürfte sich die Attraktivität der Einrichtungen des ILL<br />
auch in Zukunft weiter steigern. Wesentliche Basis<br />
für diese moderne Instrumentierung sind ILL-eigene<br />
Entwicklungen auf dem Gebiet der Detektoren, Monochromatoren,<br />
Neutronenpolarisation, Probenumgebung<br />
<strong>und</strong> Instrumentesteuerung. Auf vielen dieser Gebiete<br />
hat das ILL eine führende Rolle erworben. Die Wissenschaftsdisziplinen<br />
am ILL umfassen die Festkörper<strong>und</strong><br />
Materialforschung, Biologie <strong>und</strong> weiche Materie,<br />
Chemie <strong>und</strong> Ingenieurswesen, Kern- <strong>und</strong> Teilchenphysik.<br />
Auf allen Gebieten liefert das ILL Beiträge von<br />
Weltklasse, die auch für die Forschung mit Neutronen<br />
in Deutschland nicht wegzudenken sind.<br />
Das ILL wird getragen von drei Gesellschafterländern<br />
- von Frankreich, dem Vereinigten Königreich <strong>und</strong><br />
Deutschland - von denen der Hauptanteil der Finanzierung<br />
erbracht wird. Sieben sogenannte „wissenschaftliche<br />
Partner“ ergänzen das internationale Spektrum der<br />
Partnerländer, dessen Erweiterung derzeit aktiv betrieben<br />
wird.<br />
Zukunft<br />
Gegenwärtig läuft der ILL-Vertrag bis zum Jahr<br />
2014. Der internationale Erfolg des ILL, die steigende<br />
Nachfrage nach Neutronen am ILL <strong>und</strong> die vielen<br />
Erneuerungsmaßnahmen sollten der Garant einer<br />
Verlängerung um weitere 10 Jahre sein. Gemeinsam<br />
mit ESRF <strong>und</strong> EMBL ist der Ausbau des gemeinsamen<br />
Geländes zu einem großen multidisziplinären Campus<br />
geplant. Den Nutzern wird mit der „Partnership for<br />
Structural Biology“ <strong>und</strong> der „Facility for Materials<br />
Engineering“ neuartige Unterstützung gegeben. Von<br />
einem Flugzeitinstrument mit viel größerem Detektor<br />
bis hin zur zeitaufgelösten Neutronentomographie sind<br />
neue Instrumente im Bau. Kürzlich wurde eine neue<br />
Dreidimensionale Polarisationsanalyse für inelastische<br />
thermische Instrumente erfolgreich getestet. Diskutiert<br />
wird eine generelle Verstärkung der Aktivitäten<br />
des ILL auf dem Gebiet der kalten <strong>und</strong> ultrakalten<br />
Neutronen.<br />
76 FRM-II / ILL<br />
77
Der Weg<br />
in die Zukunft<br />
Neue Instrumentierung <strong>und</strong><br />
Methodik<br />
Die im Kapitel „Wissenschaftliches Potential der Forschung<br />
mit Neutronen“ aufgeführten Beispiele belegen,<br />
dass Neutronen durch ihre herausragenden Eigenschaften<br />
für viele Bereiche der Gr<strong>und</strong>lagen- <strong>und</strong> angewandten<br />
Forschung von unschätzbarem Wert sind. Leider<br />
sind sie als freie Teilchen extrem rar: Die Teilchendichte<br />
ist selbst in intensiven Neutronenstrahlen geringer<br />
als die Teilchendichte des Restgases in Hochvakuumapparaturen.<br />
Daher sind fast alle Neutronenexperimente<br />
intensitätslimitiert: Das gr<strong>und</strong>sätzliche Potential<br />
der Forschung mit Neutronen ist enorm <strong>und</strong> wird nur<br />
durch die vorhandenen Neutronenfl üsse begrenzt. Mit<br />
Forschungsreaktoren als Neutronenquellen lässt sich<br />
hierbei kein weiterer Fortschritt erzielen. Mit dem<br />
Hochfl ussreaktor des ILL ist bereits die praktisch realisierbare<br />
Grenze der Leistungsdichte im Kern erreicht.<br />
Bei den Quellen kann nur die nächste Generation von<br />
gepulsten Multi-MW-Spallationsquellen Abhilfe schaffen,<br />
bei denen der Spitzenfl uss im Puls einige Größenordnungen<br />
über dem mittleren Fluss der Forschungsreaktoren<br />
liegt. Wegen der Intensitätslimitierung der<br />
Neutronenexperimente waren Neutronenforscher schon<br />
immer extrem fi ndig <strong>und</strong> kreativ, was die Instrumentierung<br />
<strong>und</strong> Methodenentwicklung betrifft. Beispiele<br />
für Methodenentwicklung aus der Vergangenheit sind<br />
kalte <strong>und</strong> heiße Quellen, Neutronenleiter, Superspiegel,<br />
ortsauflösende Detektoren, dedizierte Instrumenttypen<br />
wie Kleinwinkelanlagen, Rückstreu- oder Spinecho-<br />
Spektrometer.<br />
Durch derartige methodische Entwicklungen werden<br />
entweder gr<strong>und</strong>sätzlich neue Informationen zugänglich<br />
(z. B. langsamere Dynamik durch höchste Energieauflösung<br />
bei der Rückstreu- oder Spinecho-Spektroskopie),<br />
oder es werden enorme Effi zienzsteigerungen<br />
bestehender Instrumente erzielt (z. B. Erhöhung des<br />
simultan erfassten Raumwinkels durch großfl ächige<br />
ortsaufl ösende Detektoren). Einige der sich aktuell<br />
abzeichnenden Entwicklungen, die Durchbrüche für<br />
die Forschung erwarten lassen, werden im Folgenden<br />
ausgeführt, bevor auf die <strong>Perspektiven</strong> durch neue<br />
Neutronenquellen eingegangen wird. Wie schon in der<br />
Vergangenheit sind Wissenschaftler aus Deutschland an<br />
vorderster Front in dieser Methodenentwicklung tätig.<br />
Detektoren<br />
Die Leistungsfähigkeit von Neutronenstreugeräten<br />
kann durch Erhöhung des Neutronenfl usses an der<br />
Probe, z. B. durch Einsatz besserer Monochromatorsysteme,<br />
<strong>und</strong> / oder durch bessere Detektorsysteme<br />
erhöht werden. Insbesondere führt die Vergrößerung<br />
der Detektorfl äche zu einer gewaltigen Effi zienzsteigerung.<br />
Diese Strategie wird hauptsächlich beim Ausbau<br />
bestehender oder in Planung befi ndlicher neuer Geräte<br />
sowohl an Spallations- als auch an Reaktorquellen<br />
verfolgt. So wurde etwa MAPS bei ISIS mit 16 m²<br />
positionsempfi ndlichen Zählrohren ausgestattet. Ein<br />
Beispiel für ähnliche Bemühungen an Geräten von<br />
Reaktorquellen ist das IN5 am ILL mit ebenfalls 16 m²<br />
Detektionsfl äche. IN5 ist nur ein Beispiel für besondere<br />
Anstrengungen zur Effi zienzsteigerung, die das ILL im<br />
Rahmen des Millenniumprogramms unternimmt. Dieses<br />
Programm soll dazu führen, dass über alle Geräte<br />
gemittelt eine Effi zienzsteigerung um einen Faktor 15<br />
erreicht wird, der zu einem großen Teil aus einer Verbesserung<br />
der Detektorsysteme resultiert.<br />
DETNI<br />
Für Radiographie- <strong>und</strong> Tomographieexperimente an<br />
künftigen Spallationsneutronenquellen werden im Rahmen<br />
der Integrated Infrastructure Initiative for Neutron<br />
Scattering and Muon Spectroscopy (NMI3) der EU in<br />
der Joint Research Activity DETNI drei verschiedene<br />
Detektortypen <strong>und</strong> Ausleseelektronik für Zählraten von<br />
bis zu 10 8 n/s pro Detektor mit höchster Ortsauflösung<br />
(50 - 100 µm FWHM) entwickelt. Die Detektoren werden<br />
in der Lage sein, über Flugzeitinformation große<br />
Wellenlängenbereiche simultan zu erfassen <strong>und</strong> somit<br />
Experimente noch effi zienter <strong>und</strong> aussagekräftiger zu<br />
machen.<br />
Image-Plate<br />
Die Möglichkeit, Daten quasi online auszulesen, macht<br />
positionsempfi ndliche Gaszähler zu den idealen Detektoren<br />
für kinetische Untersuchungen. Dies wird ein<br />
großer Vorteil gegenüber einer anderen Detektor-Entwicklungslinie<br />
bleiben, die zur Bestimmung großer, insbesondere<br />
biologischer, Strukturen an Reaktorquellen<br />
immer wichtiger wird: die Image-Plate Systeme. Ein<br />
frühes Beispiel für ein Gerät mit einem solchen Detektor<br />
in Verbindung mit der Quasi-Laue Methode ist<br />
das LADI des ILL, ein neueres Beispiel das VIVALDI,<br />
ebenfalls ILL. Mit diesen neuen Geräten wird auch<br />
die Proteinkristallographie mit Neutronen einen neuen<br />
Aufschwung erleben.<br />
78 Neue Instrumentierung 79
Gößere Detektorfläche<br />
Mit großfl ächigen positionsempfi ndlichen Detektoren<br />
für zeitaufgelöste Messungen steht ein kostengünstiger<br />
Weg zur Verfügung, Neutronenstreuexperimente, insbesondere<br />
an existierenden Quellen, um ein Vielfaches<br />
effi zienter zu machen. Voraussetzung ist, dass entsprechende<br />
Programme die Entwicklung der Detektoren<br />
<strong>und</strong> den Ausbau der Experimente unterstützen. Das<br />
Millenniumprogramm des ILL ist ein gutes <strong>und</strong> erfolgreiches<br />
Beispiel hierfür.<br />
Extreme Probenumgebung<br />
Ein großer Vorzug der Neutronen besteht in ihrem<br />
hohen Durchdringungsvermögen für viele, insbesondere<br />
metallische, Konstruktionsmaterialien. So werden<br />
Neutronenstrahlen des Wellenlängenbereichs, der<br />
typischerweise für Streuexperimente verwendet wird,<br />
beim Durchgang durch Aluminium von 1 mm Materialdicke<br />
nur um ca. 1 % geschwächt. Diese Eigenschaft<br />
der Neutronen erleichtert die Konstruktion komplexer<br />
<strong>und</strong> extremer Probenumgebungen enorm <strong>und</strong> stellt<br />
einen entscheidenden Vorteil der Neutronen gegenüber<br />
anderen Strahlenarten, wie z. B. Röntgenstrahlung, dar.<br />
Kryostaten für tiefste Temperaturen (im Extremfall bis<br />
herab zu einigen 100 pK), Kryomagnete für höchste<br />
Magnetfelder (bis zu 17 T stationär), Öfen für höchste<br />
Temperaturen (bis zu 2500 °C) <strong>und</strong> Apparaturen für<br />
höchste Drücke (bis zu 30 GPa) stehen nicht nur wenigen<br />
Spezialisten, sondern einer breiten Nutzergemeinde<br />
zur Verfügung.<br />
Höchste Magnetfelder,<br />
tiefste Temperaturen<br />
Um magnetische Phänomene zu studieren, werden<br />
Neutronenstreuexperimente in der Regel als Funktion<br />
der Temperatur <strong>und</strong> eines äußeren Magnetfeldes<br />
durchgeführt. Die höchsten Magnetfelder, die derzeit<br />
im stationären Betrieb für Neutronenstreuexperimente<br />
möglich sind, erreichen eine Stärke von 15 T für einen<br />
Temperaturbereich von 50 mK - 300 K. Bei Verzicht<br />
auf die tiefsten Temperaturen lässt sich das Magnetfeld<br />
durch besondere Dysprosium-Polschuhe bis auf 17,5 T<br />
erhöhen (Temperaturbereich 1,5 K - 300 K). Solche<br />
mit supraleitenden Spulen gebauten Kryomagnete sind<br />
seit einigen Jahren bei BENSC (HMI) im Routinebetrieb,<br />
seit kurzem auch am ILL <strong>und</strong> am FRM-II.<br />
Abb. 7.1 zeigt schematisch den Aufbau eines solchen<br />
Kryomagneten. Zur Kombination mit tiefen Temperaturen<br />
im mK-Bereich werden kompakt gebaute Einsätze<br />
benutzt, die nach dem 3 He/ 4 He-Entmischerprinzip arbeiten.<br />
Um zu noch höheren Magnetfeldern zu kommen,<br />
plant das HMI gegenwärtig in Zusammenarbeit<br />
mit dem FZK den Bau eines neuen 25 T-Kryomagneten,<br />
der durch Verwendung von supraleitenden Spulen aus<br />
Hoch-T c<br />
-Materialien verwirklicht werden soll.<br />
Höchste Temperaturen<br />
Als Standardprobenumgebung für hohe Temperaturen<br />
haben sich evakuierbare Öfen mit zylinderförmigen<br />
Metallfolien als Heizelement <strong>und</strong> Hitzeschilden herausgebildet.<br />
Mit solchen Öfen lassen sich Temperaturen bis<br />
maximal 2000 °C erreichen.<br />
Für noch höhere Temperaturen muss auf Spezialöfen<br />
zurückgegriffen werden, die von einzelnen Gruppen<br />
konstruiert wurden <strong>und</strong> nicht zum Standardrepertoire<br />
eines Zentrums gehören. Solche Entwicklungen sind<br />
z. B. Spiegelöfen, Öfen mit Elektronenstrahlheizung<br />
oder Öfen, bei denen die Probe durch ein Levitationssystem<br />
frei schwebend gehalten <strong>und</strong> induktiv oder<br />
durch Laser aufgeheizt wird. Abb. 7.2 zeigt einen<br />
Spiegelofen, der am Institut für Mineralogie der Universität<br />
München konstruiert wurde. Derartige Öfen<br />
erlauben Neutronenstreuexperimente bei Temperaturen<br />
über 2000 °C. Ein Vorteil der Spiegel- <strong>und</strong> Levitationsöfen<br />
ist, dass außer der Probe kein weiteres Material im<br />
Strahl sein muss. Im Falle des Levitationsofens kommt<br />
hinzu, dass die Probe absolut berührungsfrei im Strahl<br />
gehalten wird. Das ist vor allem für die Untersuchung<br />
von Schmelzen von großer Bedeutung. Es muss ein<br />
Bestreben der Zentren sein, diese zurzeit noch sehr spezialisierte<br />
Art von Hochtemperatureinrichtungen dem<br />
allgemeinen Nutzerbetrieb zur Verfügung zu stellen<br />
<strong>und</strong> weiterzuentwickeln.<br />
Höchste Drücke<br />
Standardprobenumgebung für Druckexperimente sind<br />
an vielen Zentren Zylinderzellen mit Wolframcarbid-<br />
Stempeln <strong>und</strong> Klemmringen zum Aufrechterhalten des<br />
mechanisch erzeugten Drucks, mit denen Drücke bis zu<br />
1,5 GPa erreicht werden können.<br />
Für Neutronenstreuexperimente bei höchsten Drücken<br />
wurde die „Paris-Edinburgh“-Zelle entwickelt. Es handelt<br />
sich dabei um den klassischen Typ einer Druckzelle<br />
mit einander gegenüberliegenden Druckstempeln. Der<br />
normale Arbeitsbereich dieser Zelle liegt zwischen 2<br />
<strong>und</strong> 20 GPa im Temperaturintervall von 100 bis 300 K.<br />
Bei Verwendung von gesinterten Diamantstempeln statt<br />
Wolframcarbid-Stempeln sind in diesem Temperaturbereich<br />
sogar Drücke bis 30 GPa möglich. Die Probe<br />
kann mit Hilfe eines Mikroofens bis 1200 K aufgeheizt<br />
werden. Der maximal mögliche Druck bei dieser<br />
Temperatur beträgt noch 7 GPa. Erkauft werden diese<br />
hohen Drücke allerdings durch ein sehr kleines Probenvolumen.<br />
Mit gesinterten Diamantstempeln beträgt die<br />
Probengröße ca. 100 mm 3 bei 25 GPa.<br />
Eine ähnliche Zelle für höchste Drücke wurde vom<br />
Kurchatow Institut in Moskau entwickelt. Sie ist durch<br />
Verwendung spezieller Konstruktionsmaterialien<br />
(Kupfer-Beryllium Bronze) vor allem für magnetische<br />
Untersuchungen geeignet. Mit dieser Zelle wurden die<br />
bisher höchsten Drücke (43 GPa) bei Neutronenstreuexperimenten<br />
erreicht.<br />
Diese extreme Probenumgebung für höchste Drücke<br />
steht nur sehr eingeschränkt dem allgemeinen Nutzerbetrieb<br />
zur Verfügung. Sie muss weiterentwickelt <strong>und</strong><br />
standardisiert werden.<br />
In-situ Experimente<br />
Für in-situ Experimente existieren spezialisierte Probenumgebungen,<br />
etwa Streckapparaturen, Scherzellen,<br />
Bedampfungsanlagen, chemische Reaktionszellen,<br />
Gasbeladungszellen etc. Diese Umgebung wird je nach<br />
wissenschaftlicher Fragestellung ständig weiterentwickelt,<br />
zum Teil in Kombination mit speziellen stroboskopischen<br />
Messverfahren.<br />
o/<br />
20<br />
o/<br />
o/<br />
20<br />
550<br />
20°<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
5°<br />
2°<br />
2°<br />
with mit thickness Dicke<br />
Al-Ringe Al-rings<br />
1,5 mm<br />
1,9 mm<br />
2,0 mm<br />
6 mm<br />
8 mm<br />
10 mm<br />
Abb. 7.1. Schematische Darstellung des vertikalen<br />
Hochfeld-Kryomagneten von BENSC. Die obere Hälfte<br />
der Abbildung zeigt den Sitz der Probe im Zentrum des<br />
Spulensystems zusammen mit den relevanten Abmessungen<br />
<strong>und</strong> Öffnungswinkeln; die untere Hälfte der Abbildung<br />
zeigt die Al-Ringe, die als Abstandshalter zwischen oberer<br />
<strong>und</strong> unterer Spule des „Split-Pair“ Magneten dienen. Die<br />
Gesamtdicke an Al, die der an der Probe gestreute Strahl<br />
durchdringen muss, beträgt 30 mm.<br />
Abb. 7.2.<br />
Spiegelofen<br />
(entwickelt<br />
am Institut für<br />
Mineralogie<br />
der<br />
Universität<br />
München).<br />
80 Extreme Probenumgebung 81
Polarisationsanalyse<br />
Die Erforschung <strong>und</strong> Entwicklung von neuen Supraleitern,<br />
molekularen Magneten, Spintronik-Materialien<br />
oder magnetischen Nanostrukturen stellt eine der<br />
großen Herausforderungen der modernen Festkörperforschung<br />
dar. Um detaillierte Einblicke in die festkörperphysikalischen<br />
Mechanismen zu erhalten, die diesen<br />
Materialien zugr<strong>und</strong>e liegen, muss man Informationen<br />
über die atomaren magnetischen Momente <strong>und</strong><br />
ihre Fluktuationen erhalten. Zur Bestimmung solcher<br />
Vektorgrößen eignet sich die Streuung polarisierter<br />
Neutronen in hervorragender Weise. Über die Neutronenpolarisation<br />
kann man wichtige Richtungs- <strong>und</strong><br />
Phaseninformationen erhalten, die verloren gehen, wenn<br />
in einem konventionellen Experiment nur die Intensität<br />
der gestreuten Neutronen gemessen wird. Die Änderung<br />
der Richtung des Neutronenspins bei der Streuung an<br />
atomaren magnetischen Dipolen hängt empfi ndlich von<br />
ihrer relativen Orientierung ab <strong>und</strong> kann mit so genannten<br />
Neutronenpolarimetern hochpräzise gemessen<br />
werden. Aber auch im Bereich der weichen Materie <strong>und</strong><br />
der Biologie spielt die Trennung von kohärenter <strong>und</strong><br />
inkohärenter Streuung mit Hilfe von Neutronenpolarisationsanalyse<br />
eine zunehmend wichtige Rolle.<br />
Polarisierte Neutronen sind<br />
preisverdächtig!<br />
In der Vergangenheit wurden Experimente zur Polarisationsanalyse<br />
als schwierig, nur von Spezialisten<br />
interpretierbar <strong>und</strong> “fl usshungrig“ angesehen. In jüngster<br />
Zeit wurden entscheidende Fortschritte bei der Instrumentierung<br />
für, aber auch bei der Interpretation von<br />
Experimenten mit polarisierten Neutronen erzielt. Diese<br />
zunehmende Bedeutung polarisierter Neutronen wird<br />
allein schon durch die Verleihung des renommiertesten<br />
F. Mezei (1999) J. Brown (2001)<br />
Abb. 7.3. Die beiden ersten Preisträger des renommierten<br />
Walter Hälg-Preises, F. Mezei <strong>und</strong> J. Brown, die den<br />
Preis der Europäischen Neutronenstreugesellschaft für<br />
ihre Arbeiten mit polarisierten Neutronen erhalten haben.<br />
Preises in der Forschung mit Neutronen deutlich, des<br />
Walter Hälg-Preises. Die zwei ersten Preisträger haben<br />
den Preis der Europäischen Neutronenstreugesellschaft<br />
für Forschungsergebnisse erhalten, die mit polarisierten<br />
Neutronen erzielt wurden: Ferenc Mezei, HMI, im Jahre<br />
1999 für die Erfi ndung der Neutronenspektroskopie<br />
mit der höchsten Auflösung – der Spinecho-Spektroskopie<br />
– <strong>und</strong> Jane Brown, ILL, im Jahre 2001 für ihre<br />
Untersuchungen komplexer magnetischer Strukturen<br />
<strong>und</strong> Spindichten mit Hilfe der Beugung polarisierter<br />
Neutronen <strong>und</strong> der vektoriellen Polarisationsanalyse.<br />
Neuartige Komponenten für die<br />
Polarisationsanalyse<br />
Die Entwicklung von neuen Methoden <strong>und</strong> Einrichtungen<br />
für die Neutronenpolarisationsanalyse hat durch<br />
weltweite Zusammenarbeit innerhalb des von der EU<br />
geförderten Netzwerks „PNT“ – Techniken für Polarisierte<br />
Neutronen – enormen Aufschwung gewonnen.<br />
Als Beispiele für fortschrittliche Komponenten, die erst<br />
in den letzten Jahren entwickelt wurden, seien genannt:<br />
• Hocheffi ziente Neutronenpolarisationsfi lter, die auch<br />
für kurzwellige Neutronen eine effi ziente Polarisation<br />
des Strahls zulassen <strong>und</strong> die an jede Streugeometrie<br />
angepasst werden können, um Polarisationsanalyse<br />
über einen großen Raumwinkel zu ermöglichen<br />
(s. Abb. 7.4).<br />
• Das Nullfeldpolarimeter „CRYOPAD“, das volle Vektorpolarisationsanalyse<br />
für Diffraktions- <strong>und</strong> Spektroskopieexperimente<br />
zulässt (s. Abb. 7.5). Bei der<br />
Vektorpolarisationsanalyse wird der Neutronenspin<br />
vor der Streuung in einer beliebigen Raumrichtung<br />
eingestellt <strong>und</strong> die Richtung des Spins nach der Streuung<br />
bestimmt. Angeregt durch die am ILL entwickel-<br />
Abb. 7.4. Station zur Polarisation von 3 He über das<br />
„Spin Exchange Optical Pumping“ SEOP am FZJ.<br />
Motoren<br />
4K Pulsrohr-<br />
Kryokühler<br />
Stickstoffummantelung<br />
Heliumbad<br />
Ausgang Larmorr<br />
Präzessionsspule<br />
Eingang Larmor-<br />
Präzessionsspule<br />
Eulerwiege<br />
-Metallabschirmung<br />
Abb. 7.5. Aufbau des „CRYOPAD“ zur vektoriellen<br />
Polarisationsanalyse.<br />
te CRYOPAD-Technik ist inzwischen am FZJ eine<br />
neue Methode mit präzedierenden Spins entstanden,<br />
die es erstmals ermöglicht, vektorielle Polarisationsanalyse<br />
für alle zugänglichen Energie- <strong>und</strong> Impulsüberträge<br />
simultan durchzuführen. Damit ist auch der<br />
Weg in die Zukunft aufgezeichnet: Einfachere universell<br />
einsetzbare Polarimeter für die verschiedenen<br />
Neutronenstreutechniken müssen entwickelt werden.<br />
”Larmor-Markierung”<br />
Obwohl die Neutronenstreuung eine inhärent fl usslimitierte<br />
Technik ist, benutzen heutzutage die meisten<br />
Neutronenstreuexperimente Monochromatoren <strong>und</strong><br />
Kollimatoren, um Neutronenstrahlen mit einer engen<br />
Verteilung von Energie <strong>und</strong> Impuls einzustellen. Auf<br />
diese Art <strong>und</strong> Weise lässt sich zwar eine ausreichende<br />
experimentelle Aufl ösung erzielen, aber gleichzeitig<br />
wird der größte Teil des Neutronenstrahls ausgeblendet<br />
<strong>und</strong> ist für das Experiment verloren. Die Kunst<br />
fast jeden Neutronenexperiments besteht daher darin,<br />
die beste Balance zwischen Aufl ösung <strong>und</strong> Intensität<br />
einzustellen. Kann es eine Alternative zu diesem<br />
konventionellen Verfahren geben, bei dem man eine<br />
gute instrumentelle Aufl ösung bei gleichzeitig hoher<br />
Intensität erreicht Neutronenforscher arbeiten zurzeit<br />
weltweit daran, Neutronenstreutechniken zu entwickeln,<br />
bei denen die Energie- <strong>und</strong> Impulsauflösung entkoppelt<br />
ist von der genauen Festlegung beider Größen.<br />
Larmor-Präzession<br />
Tatsächlich zeigt sich auch hier wieder, dass das Neutron<br />
für den Forscher ein Geschenk der Natur ist. Es<br />
trägt eine Eigenschaft in sich, die es dem geschickten<br />
Experimentator erlaubt, die Flugzeit bzw. Flugbahn<br />
eines jeden einzelnen Neutrons zu bestimmen. Dabei<br />
handelt es sich um die „Larmor-Präzession“ des Neutronenspins<br />
in einem äußeren Magnetfeld. Ähnlich wie<br />
ein Kreisel im Schwerefeld der Erde präzediert auch<br />
das Neutron im Magnetfeld mit einer genau bekannten<br />
Frequenz. Jedes Neutron trägt sozusagen seine eigene<br />
Uhr mit sich, wodurch ungewöhnliche Neutronenstreuexperimente<br />
ermöglicht werden, bei denen die geforderte<br />
Energie- <strong>und</strong> Impulsauflösung nicht verlangt, dass<br />
die Strahlen vor <strong>und</strong> nach der Streuung möglichst genau<br />
selektiert werden. Die älteste <strong>und</strong> am besten bekannte<br />
Technik dieser Art ist die höchstauflösende Neutronen-<br />
Spinecho-Methode. Ein neuartiges Instrument, das auf<br />
dieser Methode beruht, wird in Abb. 7.6 gezeigt: Das<br />
Weitwinkel-Spinecho-Spektrometer SPAN am HMI.<br />
Inzwischen zeichnet sich ab, dass Larmor-Präzessionsmethoden<br />
in geschickt ausgelegten Feldern auch genutzt<br />
werden können, um Richtungsänderungen der Neutronen<br />
beim Streuprozess genauer festzulegen. Im Rahmen<br />
des „PNT“-Netzwerks wird an der Entwicklung solcher<br />
Methoden gearbeitet. Vielleicht lassen sich in einigen<br />
Jahren völlig neuartige Instrumente für Spektroskopie,<br />
Beugung <strong>und</strong> Refl ektometrie realisieren, die auf Larmor-Präzessionsmethoden<br />
basieren <strong>und</strong> die die geschilderte<br />
reziproke Abhängigkeit von Aufl ösung <strong>und</strong> Intensität<br />
zumindest teilweise zu durchbrechen gestatten.<br />
Abb. 7.6. Neutronenspinecho-Spektrometer SPAN<br />
am HMI.<br />
82 Polarisationsanalyse<br />
83
Phasenraum: Volumen <strong>und</strong><br />
Transformation<br />
Unabhängig vom Typ der Neutronenquelle - Reaktor<br />
oder Spallationsquelle - werden die für Streuexperimente<br />
genutzten Neutronen aus Moderatoren freigesetzt.<br />
Sie besitzen dann eine isotrope Geschwindigkeitsverteilung<br />
entsprechend der Temperatur des Moderators.<br />
Die Impuls- (Geschwindigkeits-) <strong>und</strong> Ortsverteilung<br />
der Neutronen wird durch ein Volumen im Phasenraum<br />
beschrieben. In jüngster Zeit gibt es vermehrte Anstrengungen,<br />
dieses Phasenraumvolumen zu manipulieren:<br />
Mit Hilfe von optischen Elementen wie Superspiegeln<br />
oder spezialisierten Kristallmonochromatoren sowie<br />
über ein multispektrales Extraktionsverfahren kann<br />
man das nutzbare Phasenraumvolumen vergrößern.<br />
Über Linsensysteme, fokussierende Spiegel oder<br />
bewegte Kristalle lässt sich das Phasenraumvolumen<br />
entsprechend den Anforderungen eines Experimentes<br />
formen. Als Beispiele seien hier nur das multispektrale<br />
Extraktionsverfahren <strong>und</strong> die Phasenraumtransformation<br />
mit bewegten Kristallen kurz erläutert.<br />
Multispektrales Extraktionssystem<br />
Normalerweise nutzen Experimente Neutronenstrahlen<br />
entweder von einem thermischen Moderator oder<br />
einer kalten Quelle. Für Flugzeit-Diffraktometrie oder<br />
–Spektroskopie ist oft ein breiterer Wellenlängenbereich<br />
wünschenswert. Dies kann entweder durch eine untermoderierte<br />
kalte Quelle (realisiert am FRM-II) oder<br />
durch ein multispektrales Extraktionssystem (realisiert<br />
HMI) erreicht werden. Bei letzterem werden Neutronen<br />
über ein spezielles Neutronenspiegelsystem (Superspiegel)<br />
sowohl von einer kalten als auch einer thermischen<br />
Quelle in denselben Neutronenleiter eingekoppelt<br />
(s. Abbildung 7.7). Die rasante Weiterentwicklung der<br />
Superspiegel hat es erst ermöglicht, Strahlen mit einem<br />
breiten Wellenlängenband <strong>und</strong> / oder einer großen Divergenz<br />
effi zient über weite Entfernungen zu transportieren.<br />
Eine Divergenztransformation für das Streuexperiment<br />
kann dann durch fokussierende Spiegel oder<br />
Linsensysteme erreicht werden.<br />
Phasenraumtransformation mit<br />
bewegten Kristallen<br />
Für Streuexperimente ist in der Regel ein gerichteter<br />
monochromatischer Strahl erwünscht, während die<br />
Quelle Strahlen einer hohen Divergenz anbietet. Durch<br />
Bragg-Streuung an einem sich bewegenden Monochromatorkristall<br />
kann das Phasenraumvolumen gezielt<br />
geformt werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten,<br />
eine solche Phasenraumtransformation zu nutzen, um<br />
die Intensität der Neutronen in dem vom Instrument<br />
genutzten Energieband zu verbessern. Das FZJ hat hier<br />
weltweit eine Vorreiterrolle gespielt.<br />
Bei der Methode des parallelen Impulsübertrags wird<br />
das Spektrum thermischer Neutronen in einer kalten<br />
Quelle komprimiert, was zu einer erhöhten Phasenraumdichte<br />
führt. In einem zweiten Schritt wird ein Teil<br />
dieses niederenergetischen Spektrums durch Refl ektion<br />
an einem schnell bewegten Kristall (z. B. auf dem<br />
Umfang eines Rades bei hoher Drehzahl) auf thermische<br />
Energien zurückgeführt. Auf diese Weise wird ein<br />
thermischer Strahl mit engem Energieband <strong>und</strong> kleiner<br />
Divergenz erzeugt.<br />
Bei einer zweiten Methode wird durch Impulsübertrag<br />
senkrecht zum reziproken Gittervektor eines<br />
Mosaikkristalls ein kollimierter Strahl breiter Energieverteilung<br />
in einen monoenergetischen Strahl breiter<br />
Winkelverteilung transformiert. Praktisch ist diese<br />
Methode nur für kalte Neutronen einsetzbar, wobei die<br />
Geschwindigkeit des Deflektorkristalls in der Größenordnung<br />
von 300 m/s liegt. Die Methode wird an zwei<br />
modernen Rückstreuspektrometern eingesetzt <strong>und</strong><br />
liefert einen Intensitätsgewinn von etwa einem Faktor 4.<br />
Im Moment wird die Phasenraumtransformation - nicht<br />
zuletzt wegen der damit verb<strong>und</strong>enen hohen technischen<br />
Schwierigkeiten - noch äußerst spärlich eingesetzt.<br />
Die Herausforderung für die Zukunft besteht<br />
darin, Abwandlungen der beschriebenen Methode der<br />
Phasenraumtransformation konsequenter anzuwenden,<br />
etwa bei kalten Flugzeitspektrometern, bei denen man<br />
höhere Intensitäten ohne Zeitfokussierung erzielen<br />
könnte.<br />
Kalte Quelle<br />
Thermischer Moderator<br />
Neutronen-Superspiegel<br />
Neutronenweiche<br />
Neutronen-Superspiegel<br />
Neutronenleiter<br />
Beispiel für Flugweg thermischer Neutronen<br />
Beispiel für Flugweg kalter Neutronen<br />
Abb. 7.7. Multispektrales Extraktionssystem. Dieses System wurde am HMI zur Versorgung der zweiten<br />
Neutronenleiterhalle mit thermischen <strong>und</strong> kalten Neutronen eingebaut.<br />
Abb. 7.8. Deflektorrad des Jülicher Rückstreuspektrometers am FRM-II vor Montage der Deflektorkristalle. Der<br />
Durchmesser (Abstand Kristallmitte zu Kristallmitte) beträgt 120 cm, die Umfangsgeschwindigkeit 300 m/s in der<br />
Kristallmitte.<br />
Phasenraum<br />
84 85
MW-Spallationsquellen<br />
Der Neutronenfl uss in Forschungsreaktoren ist durch<br />
die maximal erreichbare Leistungsdichte begrenzt. Er<br />
hat mit dem Hochfl ussreaktor des ILL seine technisch<br />
praktikable Grenze erreicht (s. Abb. 7.9). Neben der<br />
Kernspaltung können Neutronen auch durch den Spallationsprozess<br />
freigesetzt werden (s. Abb. 7.10). Hierbei<br />
wird ein hochenergetischer Protonenstrahl (Energien im<br />
Bereich von 1 GeV) auf ein Schwermetalltarget geschossen.<br />
Pro eingefangenem Proton dampfen aus dem<br />
Kern bis zu 30 Neutronen ab. Spallationsquellen setzen<br />
die für die Forschung so wertvollen Neutronen effi zient<br />
<strong>und</strong> sicher frei. Bei einer gepulsten Spallationsquelle<br />
mit Leistungen im Bereich mehrerer MW werden Spitzenfl<br />
üsse erzielt, die um ein bis zwei Größenordnungen<br />
über dem kontinuierlichen Fluss am ILL liegen. Viele<br />
Instrumenttypen können die Pulsstruktur einer solchen<br />
Quelle effi zient nutzen, so dass nun zum ersten Mal<br />
seit ca. 50 Jahren die Möglichkeit besteht, die Quell-<br />
Spaltung<br />
Proton (p)<br />
Neutron (n)<br />
langsames<br />
Neutron<br />
Spallation<br />
schnelle<br />
Primärteilchen<br />
p<br />
~1 Giga-<br />
Elektronenvolt<br />
235<br />
U<br />
BLEI<br />
<br />
Spaltung des<br />
angeregten Kerns<br />
intranukleare<br />
Kaskade<br />
hoch<br />
angeregter Kern<br />
Kaskadenteilchen<br />
Thermischer Neutronenfluss (n/cm 2 s -1 )<br />
Kettenreaktion<br />
durch moderierte<br />
Neutronen<br />
internukleare<br />
Kaskade<br />
<br />
10 18<br />
10 15<br />
10 12<br />
10 9<br />
NRX<br />
MTR<br />
X-10<br />
CP-2<br />
CP-1<br />
1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020<br />
10 6 Jahr<br />
Verdampfung<br />
NRU<br />
HFIR<br />
HFBR<br />
Tohoku<br />
Linac<br />
Reaktoren<br />
ILL<br />
ESS<br />
SNS<br />
ISIS<br />
IPNS<br />
LANSCE<br />
SINQ-II<br />
KENS<br />
SINQ<br />
Spallation<br />
Abb. 7.9.<br />
Zeitliche Entwicklung des thermischen Neutronenflusses<br />
an existierenden <strong>und</strong> projektierten Quellen. Man sieht<br />
deutlich das Sättigungsverhalten bei den Reaktorquellen,<br />
während an Spallationsquellen höhere Spitzenflüsse<br />
erzielt werden können.<br />
Abb. 7.10.<br />
Bei der Kernspaltung in<br />
Reaktoren (oberes Teilbild)<br />
bricht ein 235 U-Kern nach<br />
Neutronenabsorption in<br />
zwei etwa gleichschwere<br />
Kerne auseinander. Dabei<br />
werden im Mittel zwei bis<br />
drei Neutronen freigesetzt.<br />
Da Neutronen zur Aufrechterhaltung<br />
der Kettenreaktion<br />
benötigt werden, wird<br />
bei diesem Prozess jeweils<br />
nur etwa ein nutzbares<br />
Neutron erzeugt.<br />
Bei der Spallation (unteres<br />
Teilbild) wird ein hochenergetisches<br />
Proton in einem<br />
schweren Kern absorbiert<br />
<strong>und</strong> heizt diesen auf. Der<br />
Kern relaxiert durch Abdampfen<br />
von Teilchen. In<br />
der internuklearen Kaskade<br />
werden ca. 30 Neutronen<br />
freigesetzt.<br />
stärke einer Neutronenquelle signifi kant zu erhöhen.<br />
Dies bringt nicht nur eine quantitative, sondern insbesondere<br />
eine deutliche qualitative, Verbesserung: eine<br />
signifi kante Erhöhung der Quellstärke erlaubt es, völlig<br />
neuartige Experimente durchzuführen [6]. Diese Chance<br />
wurde in den USA <strong>und</strong> in Japan erkannt, wo sich die<br />
„Spallation Neutron Source“ SNS bzw. die „Japanese<br />
Spallation Neutron Source“ JSNS im Bau befi nden. Die<br />
Anlagen sollen in 2006 bzw. 2007 den Betrieb aufnehmen.<br />
Unzweifelhaft werden sie dann wissenschaftliches<br />
Neuland betreten, ähnlich wie dies das ILL <strong>und</strong> die<br />
ESRF nach ihrer Inbetriebnahme geleistet haben.<br />
Europäische Spallationsquelle<br />
Gemäß der Empfehlung des OECD Ministerrats von<br />
1999 sollte in den drei Erdteilen Nordamerika, Europa<br />
<strong>und</strong> Japan (für den Asiatisch-Australischen Raum)<br />
jeweils eine MW-Spallationsquelle realisiert werden.<br />
In Europa, welches mit Abstand die größte Neutronennutzergemeinde<br />
hat, wurde daher der Bau einer „European<br />
Spallation Source ESS“ vorgeschlagen [6]. Im<br />
vollen Ausbau sollte diese Quelle zwei Targetstationen<br />
mit je 5 MW Leistung für je 24 Instrumente besitzen,<br />
ein Kurzpulstarget mit 50 Hz Pulsfrequenz bei 1,4 µs<br />
Pulsdauer <strong>und</strong> ein Langpulstarget mit 16 2/3 Hz bei 2 ms<br />
Pulsdauer.<br />
Spallation bringt mehr Leistung<br />
Abbildung 7.11 zeigt eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit<br />
einer solchen Quelle im Vergleich zu den existierenden<br />
Quellen ILL <strong>und</strong> ISIS <strong>und</strong> dem Ausbauprojekt<br />
ISIS-II [2]. Die existierenden europäischen Spitzenquellen<br />
fallen gegenüber dem SNS-Projekt deutlich<br />
ab. Dieser Abstand wird sich noch vergrößern, wenn<br />
der projektierte Ausbau der SNS auf 4 MW realisiert<br />
wird. Wegen der langen Zeit von mindestens 8 Jahren<br />
zwischen Projektstart <strong>und</strong> Inbetriebnahme einer Quelle<br />
der nächsten Generation muss in Europa möglichst bald<br />
eine Entscheidung zugunsten einer europäischen Spitzenquelle<br />
fallen, wenn Europa nicht auf einem Wissenschaftsgebiet,<br />
auf dem es momentan unangefochten die<br />
Spitzenstellung hält, deutlich hinter USA <strong>und</strong> Japan<br />
zurückfallen will. Mit der Realisierung einer Langpulsquelle<br />
als erstem Schritt könnte die europäische Führung<br />
auf einigen Gebieten der Wissenschaft ausgebaut<br />
werden, insbesondere in den wichtigen Feldern „Weiche<br />
Materie“ <strong>und</strong> „Biologie“. Wegen der Komplementarität<br />
einer Langpulsquelle zu den im Bau befi ndlichen<br />
Kurzpuls-Quellen SNS <strong>und</strong> JSNS steht zu erwarten,<br />
dass Europa dann wieder wissenschaftliches Neuland<br />
betreten kann, ähnlich wie dies, beginnend 2007, an der<br />
SNS geschehen wird.<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Mittlere Quellstärken<br />
Relativ zur SNS<br />
Prioritär<br />
andere<br />
Mittel<br />
ISIS-II ISIS/ILL 1MW SNS LPTS ESS<br />
Abb. 7.11.<br />
Die über verschiedene Instrumenttypen gemittelte Quellstärke<br />
für das Ausbauprojekt ISIS-II, die bestehenden<br />
Quellen ILL <strong>und</strong> ISIS, eine 1 MW-Kurzpulsquelle, die<br />
SNS (normiert auf 1), die Langpulsquelle des ESS-Projekts<br />
<strong>und</strong> die voll ausgebaute ESS. Jeweils gezeigt ist<br />
die Quellstärke für prioritär zu bauende Instrumente, alle<br />
anderen Instrumente <strong>und</strong> den Mittelwert über alle Instrumente.<br />
Bei der Darstellung des SNS Projekts wurde die<br />
projektierte thermische Leistung der Quelle von 1,4 MW<br />
<strong>und</strong> eine voll ausgebaute Instrumentensuite zu Gr<strong>und</strong>e<br />
gelegt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die volle<br />
Quellstärke der SNS erst nach einer Übergangszeit von<br />
mehreren Jahren erreicht werden kann. In dieser Übergangszeit<br />
werden die europäischen Quellen ILL <strong>und</strong><br />
ISIS konkurrenzfähig bleiben.<br />
86 MW-Spallationsquellen 87
SNS<br />
In den Vereinigten Staaten wird zurzeit am Oak Ridge<br />
National Laboratory eine 1,4 MW-Spallations-Neutronenquelle<br />
errichtet (www.sns.gov). Träger des Projektes,<br />
dessen Kosten sich auf 1,4 Milliarden US $ belaufen,<br />
ist das Department of Energy (DOE). Im Juni 2006<br />
wird die Anlage in einer ersten Ausbaustufe mit fünf<br />
Instrumenten fertig gestellt sein <strong>und</strong> den Nutzerbetrieb<br />
für die nationale <strong>und</strong> internationale Neutronenstreu-<br />
Community als die dann weltweit leistungsfähigste<br />
Spallationsquelle aufnehmen.<br />
Kurzpulsquelle bei 60 Hz<br />
Die SNS ist als 60 Hz Kurzpuls-Quelle (0,7 µs Pulslänge)<br />
ausgelegt. Das Flüssig-Quecksilber-Target ist von<br />
drei Moderatoren mit superkritischem Wasserstoff <strong>und</strong><br />
einem Moderator bei Raumtemperatur umgeben. Insgesamt<br />
können 24 Instrumente an der Targetstation untergebracht<br />
werden. Zurzeit sind 17 Instrumente geplant<br />
<strong>und</strong> teilweise im Bau. Fünf dieser Instrumente gehören<br />
zur Erstausstattung, die restlichen werden sukzessive<br />
in den Jahren 2006 bis 2011 in Betrieb genommen.<br />
Einen Überblick über die Anlage im Bau gibt Abb. 7.12.<br />
In Abb. 7.13 sind die 17 bisher geplanten Instrumente<br />
<strong>und</strong> ihre Anordnung an der Targetstation schematisch<br />
dargestellt. Auch Deutschland beteiligt sich mit einem<br />
Spinecho-Gerät.<br />
Weiterer Ausbau geplant<br />
Bereits jetzt bestehen Pläne für einen weiteren Ausbau<br />
der Anlage. So wird der Bau einer zweiten Targetstation<br />
mit Platz für bis zu 22 zusätzliche Instrumente speziell<br />
für die Nutzung langwelliger Neutronen überlegt.<br />
Außerdem soll in einer vom DOE bereits genehmigten<br />
Designstudie die Möglichkeit einer Leistungserhöhung<br />
von 1,4 auf 3 bis 4 MW untersucht werden. Wenn diese<br />
Pläne verwirklicht werden, wird die SNS die stärkste<br />
Neutronenquelle der Welt sein mit Leistungsdaten, die<br />
nahe an jene Daten herankommen, die der ESS-Planung<br />
zu Gr<strong>und</strong>e lagen.<br />
JSNS<br />
Japan hat 2002 in Tokai mit dem Bau von J-PARC<br />
(Japan Proton Accelerator Research Complex), einem<br />
großen Beschleunigerkomplex, begonnen. Das Projekt<br />
wird von KEK (National High-Energy Accelerator<br />
Research Organisation) <strong>und</strong> JAERI (Japan Atomic Energy<br />
Research Institute) gemeinsam durchgeführt. Ziel<br />
von J-PARC ist es, durch Beschuss eines Targets mit<br />
hochenergetischen Protonen Sek<strong>und</strong>ärstrahlen von Teilchen<br />
wie Neutronen, Myonen, Neutrinos, Kaonen <strong>und</strong><br />
Antiprotonen zu erzeugen <strong>und</strong> für die verschiedensten<br />
Experimente zur Verfügung zu stellen. Ein Kernstück<br />
der gesamten Anlage wird die JSNS sein, eine 1 MW-<br />
Spallationsneutronenquelle, die der „Materials and Life<br />
Science Experimental Facility“ von J-PARC als Großgerät<br />
dient. Abb. 7.15 zeigt einen Überblick über den<br />
gesamten Beschleunigerkomplex.<br />
Backscattering<br />
Spectrometer<br />
BL 2<br />
High-Pressure<br />
Diffractometer<br />
BL 3<br />
Magnetism<br />
Reflectometer<br />
BL 4a<br />
Liquids<br />
Reflectometer<br />
BL 4b<br />
Cold Neutron Chopper<br />
Spectrometer<br />
BL 5<br />
Small-Angle Neutron<br />
Scattering Diffractometer<br />
BL 6<br />
Disordered Materials<br />
Diffractometer<br />
BL 1b<br />
Engineering<br />
Diffractometer<br />
[VULCAN] BL 7<br />
BL 1a<br />
BL 9<br />
BL 8b<br />
BL 8a<br />
Wide-Angle Chopper<br />
Spectrometer<br />
[ARCS] BL 18<br />
Vibrational<br />
Spectrometer<br />
[VISION] BL 16b<br />
BL 10<br />
BL 16a<br />
High-Resolution Chopper<br />
Spectrometer<br />
[SEQUOIA] BL 17<br />
Neutron SpinEcho<br />
BL 15<br />
Macromolecular<br />
Diffractometer<br />
BL 11b<br />
Powder<br />
Diffractometer<br />
[POWGEN] BL 11a<br />
Hybrid<br />
Spectrometer<br />
[HYSPEC] BL 14b<br />
BL 14a<br />
F<strong>und</strong>amental<br />
Physics Beam Line<br />
BL 13<br />
Single-Crystal<br />
Diffractometer<br />
BL 12<br />
Kurzpulsquelle bei 25 Hz<br />
Die JSNS ist eine Kurzpulsquelle (0,8 µs Pulslänge) mit<br />
Flüssig-Quecksilber-Target, die mit 25 Hz betrieben<br />
wird. Diese im Vergleich zur SNS (60 Hz) geringere<br />
Puls-Repetitionsrate bei entsprechend höherer Intensität<br />
pro Puls bedeutet eine Optimierung von JSNS zugunsten<br />
von Experimenten mit längerwelligen Neutronen<br />
<strong>und</strong> hochaufl ösenden Instrumenten mit langen Flugwegen.<br />
Drei Moderatoren mit superkritischem Wasserstoff<br />
erlauben die Installation von maximal 23 Instrumenten.<br />
Es wird erwartet, dass Neutronenstreuexperimente an<br />
der JSNS ab Frühjahr 2009 möglich sind. Zu diesem<br />
Zeitpunkt sollen dann 10 Instrumente betriebsbereit<br />
sein. In Abb. 7.14 sind diese Instrumente der Erstausstattung<br />
schematisch dargestellt.<br />
ESS-I<br />
Das ESS Council, in dem alle führenden Neutronenzentren<br />
<strong>und</strong> einige Universitäten vertreten waren, hat<br />
im Dezember 2003 seinen Abschlussbericht vorgelegt<br />
[6]. In der Neutronen-Arbeitsgruppe des „European<br />
Strategy Forums for Research Infrastructures“ ES-<br />
FRI wurden die 4 verschiedenen Optionen für eine<br />
Spallationsquelle der nächsten Generation bewertet [2]:<br />
die voll ausgebaute ESS mit je einer 5 MW-Kurzpuls<strong>und</strong><br />
Langpuls-Targetstation, eine zeitlich gestaffelte<br />
Realisierung beginnend mit einer 5 MW-Langpulsquelle,<br />
eine neue 1 MW-Quelle oder eine Leistungserhöhung<br />
von ISIS auf 1 MW. Nur die ersten beiden Alternativen<br />
würden die führende Stellung Europas in der Forschung<br />
Bio-Molecular Spectrometer<br />
K. Shibata (JAERI)<br />
Small Angle Scat. (High intensity)<br />
J. Suzuki (JAERI)<br />
Reflectometer (Horizontal)<br />
N. Torikai (KEK)<br />
Powder diffractometer<br />
(High Resolution)<br />
T. Kamiyama (KEK)<br />
Chopper Inst. (High Resolution)<br />
S. Itoh (KEK)<br />
Stress Analysis<br />
Diffractometer<br />
A. Moriai (JAERI)<br />
Bio-Molecular<br />
X-tal Diff. (Versatile)<br />
I. Tanaka (Ibaraki Univ.)<br />
Low Energy Chopper Instrument<br />
K. Nakajima (JAERI)<br />
Total Scattering Inst. (Amorphous)<br />
T. Otomo (KEK)<br />
Powder diffractometer (Versatile)<br />
Ishigaki (Muroran I.T.)<br />
mit Neutronen langfristig gewährleisten. Inzwischen<br />
hat ESFRI empfohlen, eine Prioritätenliste (Roadmap)<br />
für den Ausbau der Forschungsinfrastruktur in Europa<br />
zu erstellen. Es ist die Überzeugung des KFN, dass<br />
eine Multi-MW-Spallationsquelle als die europäische<br />
Neutronenquelle der nächsten Generation auf dieser<br />
Prioritätenliste ganz oben stehen muss.<br />
Initiative für die Europäische<br />
Spallationsquelle ESS-I<br />
Am 1. April 2005 wurde eine Initiative für die Europäische<br />
Spallationsquelle ESS-I ins Leben gerufen.<br />
Gründungsmitglieder sind: die Europäische Neutronenstreuvereinigung<br />
ENSA als Nutzervertretung, die führenden<br />
europäischen Neutronenzentren ILL, LLB (für<br />
CEA <strong>und</strong> CNRS) <strong>und</strong> FZJ, <strong>und</strong> die Standortbewerber<br />
aus Yorkshire, Skandinavien, Ungarn <strong>und</strong> Sachsen-Anhalt<br />
/ Sachsen. Die Ziele der Initiative sind:<br />
• als Ansprechpartner für die politischen Entscheidungsträger<br />
zu fungieren;<br />
• die wissenschaftliche Begründung auf Gr<strong>und</strong>lage der<br />
ESS-Studie fortzuschreiben;<br />
• die technische Entwicklung in relevanten Bereichen<br />
(Beschleuniger- <strong>und</strong> Targettechnologie) zu fördern;<br />
• die Verbindung zu den amerikanischen <strong>und</strong> japanischen<br />
Projekten SNS bzw. JSNS zu halten.<br />
Wie in der KFN-Roadmap von 2003 empfohlen, wurde<br />
das ESS-I Projektbüro an der europäischen Neutronenquelle,<br />
dem ILL in Grenoble, eingerichtet. Weitere<br />
Informationen fi nden sich auf dem Europäischen Neutronenportal<br />
www.neutrons-eu.net.<br />
Materials and Life Science<br />
Experimental Facility<br />
Hadron Beam Facility<br />
500 m<br />
Abb. 7.13. Die 17 bisher geplanten Instrumente an der SNS<br />
<strong>und</strong> ihre Anordnung an der Targetstation. Mehr Informationen<br />
unter www.sns.gov.<br />
Abb. 7.14. Die 10 Instrumente der Erstausstattung<br />
von J-PARC. Mehr Informationen<br />
unter jkj.tokai.jaeri.go.jp.<br />
Nuclear<br />
Transmutation<br />
Neutrino to<br />
Kamiokande<br />
Linac<br />
(350m)<br />
3 GeV Synchrotron<br />
(25 Hz, 1MW)<br />
50 GeV Synchrotron<br />
(0.75 MW)<br />
J-PARC = Japan Proton Accelerator Research Complex<br />
Abb. 7.12. Die SNS im Bau.<br />
Abb. 7.15. Überblick über den Beschleunigerkomplex J-PARC.<br />
88 MW-Spallationsquellen 89
Anhang<br />
Referenzen<br />
Informationen zur Forschung mit Neutronen<br />
im Internet:<br />
KFN-Webseite: http://www.neutronenforschung.de<br />
EU Neutron <strong>Portal</strong>: http://neutron.neutron-eu.net<br />
[1] Sechstes Komitee Forschung mit Neutronen:<br />
„Roadmap für den zeitlich gestaffelten Betrieb der<br />
Neutronenquellen in Deutschland“ September 2003<br />
http://www.neutronenforschung.de<br />
[2] The European Strategy Forum for Research Infrastructure:<br />
„Medium to longterm future scenarios for<br />
neutron-based science in Europe“ (2003)<br />
http://neutron.neutron-eu.net/FILES/esfri_report.pdf<br />
[3] OECD Global Science Forum: „Report of the<br />
Workshop on Large Facilities for Studying the Structure<br />
and Dynamics of Matter“ (2001)<br />
http://neutron.neutron-eu.net/FILES/2084157.pdf<br />
[4] D. Richter & T. Springer: „A twenty years forward<br />
look at neutron scattering facilities in the OECD<br />
countries and Russia“ OECD technical report (1998)<br />
http://neutron.neutron-eu.net/FILES/oecd_esf_1998.pdf<br />
[5] „Scientifi c Prospects for Neutron Scattering with<br />
Present and Future Sources“ ESF Framework Studies<br />
into large Research Facilities (1996)<br />
ISBN 2-903148-90-2<br />
http://neutron.neutron-eu.net/FILES/autrans_report.pdf<br />
[6] D. Richter (Ed.): „The ESS Project“ Vol. I-IV<br />
(2003 and update 2004), ISBN 3-89336-299-1,<br />
http:// neutron.neutron-eu.net/n_documentation/n_reports/n_ess_reports_and_more<br />
[7] http://www.physik.uni-kiel.de/kfn/Nutzerumfrage<br />
[8] A. Furrer / R. Cywinski: „Survey of the Neutron<br />
Scattering Community and Facilities in Europe“<br />
ESF report (1998), ISBN 2-912049-00-8<br />
http://neutron.neutron-eu.net/FILES/ensa_survey.pdf<br />
[9] Viertes Komitee Forschung mit Neutronen (1996-<br />
1999): Forschung mit Neutronen in Deutschland - eine<br />
Strategie für die nächsten 15 Jahre (1999)<br />
Glossar<br />
ANSTO<br />
BER-II<br />
bcc<br />
BCS-Theorie<br />
BNC<br />
BMBF<br />
CEA<br />
CMR<br />
CNRS<br />
CP<br />
CRYOPAD<br />
DETNI<br />
DESY<br />
DFG<br />
DNP<br />
DOE<br />
DOPG<br />
EMBL<br />
ENSA<br />
EPR<br />
ERC<br />
ESF<br />
ESFRI<br />
ESRF<br />
ESS-I<br />
EU<br />
FLNP<br />
FRG-1<br />
FRJ-2<br />
FRM-II<br />
FZJ<br />
FZK<br />
Australian national nuclear research<br />
and development organisation (AU)<br />
Forschungsreaktor Berlin<br />
Body centred cubic<br />
(kubisch raumzentriert)<br />
Bardeen-, Cooper-, Schrieffer-Theorie<br />
zur Supraleitung in Metallen<br />
Forschungsreaktor Budapest (HU)<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Bildung <strong>und</strong><br />
Forschung<br />
Commissariat à l‘Energie Atomique (F)<br />
Kolossaler Magnetowiderstand<br />
Centre National de la<br />
Recherche Scientifi que (F)<br />
Charge parity<br />
Nullfeldpolarimeter<br />
Detectors for Neutron Instrumentation<br />
Deutsches Elektronen Synchrotron<br />
Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />
Dynamische Kernspinpolarisation<br />
Department of Energy (USA)<br />
Dioleoylphosphatidylglycerol<br />
European Molecular Biology<br />
Laboratory<br />
European Neutron Scattering<br />
Association<br />
Paramagnetische Elektronenresonanz<br />
European Research Council<br />
European Science Fo<strong>und</strong>ation<br />
European Strategy Forum on<br />
Research Infrastructures<br />
European Synchrotron<br />
Radiation Facility (F)<br />
Initiative Europäische<br />
Spallationsquelle<br />
Europäische Union<br />
Frank Laboratory of Neutron Physics<br />
(RU)<br />
Forschungsreaktor Geesthacht<br />
Forschungsreaktor Jülich<br />
Forschungsneutronenquelle<br />
Heinz Maier-Leibnitz, München<br />
Forschungszentrum Jülich<br />
Forschungszentrum Karlsruhe<br />
GKSS<br />
GMR<br />
HFBR<br />
HFIR<br />
HFR<br />
HGF<br />
HMI<br />
HTSC<br />
IBR-II<br />
ICANS<br />
ILL<br />
IPNS<br />
IRI<br />
ISIS<br />
JAERI<br />
J-PARC<br />
JSNS<br />
KEK<br />
KENS<br />
KFN<br />
LANSCE<br />
LLB<br />
NAA<br />
NIST<br />
NMI3<br />
NMR<br />
OECD<br />
Orphée<br />
PNT<br />
PSI<br />
Forschungszentrum Geesthacht<br />
Riesenmagnetowiderstandseffekt<br />
High Flux Beam Reactor<br />
High Flux Isotope Reactor Facility<br />
Hochfl ussreaktor<br />
Helmholtz-Gemeinschaft<br />
Hahn-Meitner-Institut, Berlin<br />
Hochtemperatursupraleiter<br />
Forschungsreaktor Dubna (RU)<br />
International Collaboration for<br />
Advanced Neutron Sources<br />
Institut Laue-Langevin, Grenoble (F)<br />
Intense Pulsed Neutron Source (USA)<br />
Interfacultair Reactor Instituut (NL)<br />
Pulsed Neutron & Muon Source (UK)<br />
Japan Atomic Energy Research<br />
Institution (JP)<br />
Japan Proton Accelerator<br />
Research Complex (JP)<br />
Japanese Spallation Neutron Source<br />
(JP)<br />
National High-Energy<br />
Accelerator Research Organisation (JP)<br />
Neutron Science Laboratory (JP)<br />
Komitee Forschung mit Neutronen<br />
Los Alamos Neutron Scattering<br />
Science Center (USA)<br />
Laboratoire Léon Brillouin (F)<br />
Magnetischer Speicherchip<br />
Megawatt-Spallationsquelle<br />
Neutronenaktivierungsanalyse<br />
National Institute of Standards<br />
and Technology (USA)<br />
Integrated Infrastructure Initiative for<br />
Neutron Scattering and Muon<br />
Spectroscopy<br />
Nuclear magnetic resonance<br />
Organisation for Economic<br />
Co-operation and Development<br />
Reaktor des LLB (F)<br />
Polarized Neutron Techniques<br />
Paul-Scherrer-Institut (Villigen, CH)<br />
MRAM<br />
MW-Spallationsquelle<br />
PTJ<br />
REFIT-<br />
Programm<br />
RISØ<br />
RWTH<br />
SINQ<br />
SNS<br />
T C<br />
TOF<br />
TU<br />
TUM<br />
UNESCO<br />
VDI<br />
VITESSE<br />
VSANS<br />
Projektträger Jülich<br />
Programm zur Erdbebensicherheit (ILL)<br />
Risø National Laboratory (DK)<br />
Rheinisch-Westfälische Technische<br />
Hochschule (Aachen)<br />
Swiss Spallation Neutron Source (CH)<br />
Spallation Neutron Source (USA)<br />
Kritische Temperatur eines<br />
Phasenübergangs<br />
Time-of-Flight (Flugzeit)<br />
Technische Universität<br />
Technische Universität München<br />
United Nations Educational, Scientifi c<br />
and Cultural Organization<br />
Verein Deutscher Ingenieure<br />
Simulationssoftware<br />
Hochaufl . Kleinwinkelstreuanlage<br />
90 Referenzen / Glossar<br />
91
Ergebnisse der Nutzerumfrage<br />
Um eine aktualisierte Strategie für die Forschung mit<br />
Neutronen in Deutschland zu erarbeiten, hat das KFN<br />
im Frühjahr 2004 eine Nutzerumfrage durchgeführt [7].<br />
Dabei wurde - anders als bei der ENSA-Umfrage von<br />
1995 [8] - jeder Nutzer einzeln berücksichtigt. Für eine<br />
korrekte Interpretation der Ergebnisse muss die genaue<br />
Fragestellung bedacht werden [7].<br />
Anzahl der Eintragungen: 377 - dies entspricht bei einer<br />
aktuellen E-Mail Adressenliste mit ca. 900 Eintragungen<br />
einem Rücklauf von über 40 %.<br />
Verteilung auf die Fachgebiete<br />
Es konnten mehrere Fächer ausgewählt werden. Etwa<br />
die Hälfte der Teilnehmer hat nur ein Fach angegeben,<br />
die meisten übrigen 2 oder 3 Fächer. Das Ergebnis zeigt<br />
also an, welche Fachgebiete wichtig sind <strong>und</strong> ist nicht<br />
direkt auf die Personen übertragbar. Gegenüber der<br />
ENSA-Umfrage von 1995 sind keine extremen Verschiebungen<br />
erkennbar.<br />
0-25%: 146<br />
75-100%: 104<br />
25-50%: 64<br />
50-75%: 63<br />
Physik (kondens. Materie): 240<br />
Materialwissenschaften: 128<br />
Chemie: 84<br />
Kristallographie: 64<br />
Physik (andere Bereiche): 39<br />
Ingenieurwissenschaften: 28<br />
Geowissenschaften: 27<br />
Biologie: 22<br />
Andere: 12<br />
Biophysik: 11<br />
Archäologie: 9<br />
Agrarwissenschaften: 2<br />
Medizin / Pharmazie: 2<br />
Zeitlicher Anteil von<br />
Neutronenexperimenten am<br />
Gesamtforschungsprogramm<br />
Viele Nutzer verwenden Neutronen zusätzlich zu anderen<br />
Methoden (s. nächste Frage), aber auch der Anteil<br />
der hauptsächlichen Neutronenforscher ist groß.<br />
Verteilung der Experimente an den<br />
verschiedenen Zentren<br />
Hier war nach der durchschnittlichen Anzahl der<br />
Experimente im Jahr gefragt. Dabei konnten Experimente,<br />
an denen mehrere Wissenschaftler gearbeitet<br />
haben, mehrfach genannt werden, weshalb sich zum<br />
Teil höhere Werte ergeben, als nach der Gesamtzahl<br />
der Experimente pro Jahr zu erwarten ist. Unter der<br />
Annahme, dass nicht einzelne Arbeitsgruppen extrem<br />
überrepräsentiert sind, zeigen sich jedoch auch bei<br />
dieser Fragestellung deutliche Tendenzen: neben dem<br />
Hochfl ussreaktor am ILL sind hauptsächlich die nationalen<br />
Quellen von deutschen Nutzern nachgefragt, was<br />
die Bedeutung der Mittelfl ussquellen unterstreicht.<br />
ILL: 554<br />
FZ Jülich: 467<br />
HMI: 302<br />
GKSS: 150<br />
LLB: 133<br />
SINQ: 113<br />
ISIS: 94<br />
Dubna: 71<br />
Außereurop.: 57<br />
And. Europ: 33<br />
Kjeller: 10<br />
Studsvik: 3<br />
BNC: 1<br />
IRI: 0<br />
Verteilung auf die Einrichtungstypen<br />
Die häufi gste Kombination ist Beschäftigung an einer<br />
Universität <strong>und</strong> einem Neutronenzentrum (10 % der<br />
Teilnehmer).<br />
Universität: 216<br />
Neutronenzentrum: 136<br />
Außeruniv. Einrichtung: 58<br />
Industrie: 17<br />
Ergänzende Nutzung von anderen<br />
Methoden<br />
Die meisten Teilnehmer gaben 2 Methoden an, die<br />
häufigste Kombination ist Synchrotronstrahlung <strong>und</strong><br />
Röntgenstreuung im Labor.<br />
Röntgenstreuung im Labor: 210<br />
Synchrotron: 177<br />
Andere: 112<br />
Lichtstreuung: 64<br />
Optische Spektroskopie: 50<br />
NMR: 44<br />
Rheologie: 10<br />
Mössbauer-Spektroskopie: 6<br />
Probenumgebungen<br />
Der Bedarf an Probenumgebung wird im Wesentlichen<br />
abgedeckt, der Anteil von Rückmeldungen für Probenumgebung<br />
mit besonderen Anforderungen liegt bei ca.<br />
5 % aller Meldungen.<br />
Kryostat: 196<br />
Ofen: 142<br />
Magnet: 116<br />
Eigene Probenumgebung: 91<br />
Druckzelle: 64<br />
Besondere Anforderungen: 35<br />
Instrumente<br />
Kleinwinkelstreuung <strong>und</strong> Pulverdiffraktion werden<br />
häufi g von gelegentlichen Nutzern zusätzlich zu anderen<br />
Methoden verwendet. Der große Anteil der polarisierten<br />
Neutronen ist z. T. damit zu erklären, dass Polarisationsanalyse<br />
als Zusatzoption bei anderen Methoden<br />
verwendet wird. Am häufi gsten ist die Kombination mit<br />
Dreiachsenspektroskopie <strong>und</strong> Refl ektometrie.<br />
Kleinwinkelstreuung: 143<br />
Pulverdiffraktion: 124<br />
Polarisierte Neutronen: 100<br />
Einkristall-Diffraktion: 89<br />
Dreiachsenspektroskopie: 83<br />
Refl ektometrie: 74<br />
Flugzeit (kalt): 73<br />
Diffuse Streuung: 51<br />
Flugzeit (therm.): 48<br />
Spinecho-Spektroskopie: 44<br />
Rückstreuung: 44<br />
Andere: 42<br />
Instr. d. Teilchen- u. Kernphysik: 7<br />
Faserdiffraktion: 7<br />
Genug Messzeit<br />
Die Erläuterungen der Nutzer zeigen, dass „genug<br />
Messzeit“ i. A. auch als „nicht genug Personal“ zu verstehen<br />
ist. Außerdem erwartet auch die Mehrzahl derer,<br />
die „genug Messzeit“ angegeben haben, dass mehr<br />
Messzeit bessere Ergebnisse ermöglichen würde.<br />
Ja: 257<br />
Nein: 108<br />
Keine Angabe: 12<br />
Zusätzliche Messzeit würde bedeuten...<br />
Von denen, die zu wenig Messzeit haben, gaben hier<br />
3/4 eine Erklärung ab, während nur 1/3 der Nutzer mit<br />
genug Messzeit dies kommentierten. Am häufi gsten<br />
wurde von beiden Gruppen eine bessere Qualität der<br />
Ergebnisse genannt. Danach folgt eine Ausweitung der<br />
Themengebiete, schneller zu Ergebnissen zu kommen<br />
<strong>und</strong> unter weniger Zeitdruck zu arbeiten.<br />
Bessere Qualität der Ergebnisse: 93<br />
Ausweitung der Themengebiete: 32<br />
Schneller zu Ergebnissen: 23<br />
Weniger Zeitdruck: 2<br />
Von den Nutzern mit (angeblich) genug Messzeit, die<br />
sich dazu äußerten, gaben 62 % an, dass mehr Messzeit<br />
bessere, andere oder schnellere Ergebnisse bringen<br />
würde, dass sie mit mehr Messzeit im Verhältnis zu<br />
anderen Methoden mehr mit Neutronen arbeiten würden<br />
- oder dass das Problem eigentlich anderswo liegt<br />
(25 %!), nämlich bei zu wenig Personal bzw. Zeit.<br />
Bessere Qualität der Ergebnisse: 43<br />
Zu wenig Personal: 12<br />
Andere Themen: 9<br />
Zu wenig Zeit: 5<br />
Mehr Arbeit mit Neutronen: 5<br />
Schneller zu Ergebnissen: 5<br />
Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur<br />
Etwa 1/3 der Teilnehmer hat sich hierzu geäußert. Die<br />
Kommentare sind meist sehr spezifi sch. Das KFN wird<br />
sich bemühen, die Wünsche der Nutzer bei den Planungen<br />
der Zentren einzubringen. Hier eine Übersicht über<br />
die angesprochenen Themen:<br />
Spezielle Neutronen-Instrumente bzw. Komponenten: 23<br />
Probenumgebung: 21<br />
Probenvorbereitung: 16<br />
Andere: 8<br />
Magnetfelder: 7<br />
Personal: 6<br />
Komplementäre Methoden am selben Zentrum: 5<br />
EDV: 5<br />
Höherer Neutronenfl uss: 5<br />
Unterkunft: 3<br />
Kalte Neutronen: 3<br />
Zugang (schneller, ohne Antrag): 3<br />
92 KFN-Nutzerumfrage<br />
93
Fragestellungen<br />
Der Begriff „Phasenübergänge“ repräsentiert vermutlich<br />
nicht nur diejenigen, die die Mechanismen von<br />
Phasenübergängen untersuchen, sondern auch andere<br />
Nutzer, deren Materialien Phasenübergänge aufweisen.<br />
Insgesamt wurden die eher allgemein gehaltenen<br />
Fragestellungen natürlich häufi ger gewählt als speziellere.<br />
Trotzdem zeigen die Ergebnisse Tendenzen, <strong>und</strong><br />
Kombinationen lassen weitere Schlüsse zu: Im Verhältnis<br />
zur jeweiligen Gesamtzahl haben besonders viele<br />
Kristallographen (64 %) <strong>und</strong> Geowissenschaftler (50 %)<br />
„Phasenübergänge“ angegeben. Mehr als die Hälfte<br />
der Nennungen von Supraleitung, Kernphysik, Metallurgie,<br />
Phononen, Strukturbestimmung, ungeordnete<br />
Systeme, Reaktionsmechanismen waren kombiniert<br />
mit Phasenübergängen. Beim Magnetismus gilt dies für<br />
Supraleitung <strong>und</strong> Phononen, bei Strukturbestimmung<br />
für Reaktionsmechanismen.<br />
Phasenübergänge: 133<br />
Magnetismus: 129<br />
Strukturbestimmung: 110<br />
Polymere: 98<br />
Beziehung v. Mikrostruktur zu Materialeigensch.: 93<br />
Oberfl ächen <strong>und</strong> Grenzfl ächen: 90<br />
Instrumentierung: 87<br />
Ungeordnete Systeme: 87<br />
Kolloide: 59<br />
Biologische Systeme: 58<br />
Phononen: 55<br />
Funktionelle Materialien: 48<br />
Molekulare Systeme: 47<br />
Texturbestimmung: 38<br />
Andere: 34<br />
Supraleitung: 33<br />
Eigenspannungsanalyse: 31<br />
Metallurgie: 21<br />
Modellierung: 18<br />
Gesteinseigenschaften: 15<br />
Reaktionsmechanismen: 12<br />
Teilchenphysik: 8<br />
Kernphysik: 3<br />
Bio-Kristallographie: 3<br />
Personenkreis<br />
Diplomanden sind in der Umfrage vermutlich unterrepräsentiert,<br />
da sie nur indirekt von der Nutzerumfrage<br />
erfahren konnten (noch nicht im E-Mail-Verteiler des<br />
KFN!). Betrachtet man die Altersverteilung im Verhältnis<br />
zur Personengruppe, so zeigt sich, dass die meisten<br />
Diplomanden unter 30 sind, Doktoranden zwischen 20<br />
<strong>und</strong> 40, Postdocs zwischen 30 <strong>und</strong> 40 <strong>und</strong> erfahrene<br />
Nutzer zwischen 30 <strong>und</strong> 80. Die meisten Diplomanden<br />
<strong>und</strong> Doktoranden werden an Universitäten ausgebildet,<br />
Postdocs sind an Universitäten <strong>und</strong> Neutronenzentren<br />
gleich stark vertreten. Erfahrene Nutzer sind überall<br />
vertreten, jedoch allein die Hälfte an Universitäten.<br />
30-39: 153<br />
40-49: 79<br />
20-29: 53<br />
50-59: 51<br />
60-69: 36<br />
> 69: 3<br />
Erfahrene Nutzer: 217<br />
Postdocs: 77<br />
Doktoranden: 72<br />
Diplomanden: 6<br />
Alter<br />
Die Altersverteilung spiegelt die Personengruppen<br />
wider. Die Altersgruppe 30 bis 40 dominiert, sie besteht<br />
sowohl aus Doktoranden als auch Postdocs <strong>und</strong> erfahrenen<br />
Nutzern. Das Altersspektrum ist an den Universitäten<br />
am größten <strong>und</strong> in der Industrie am kleinsten.<br />
Frauen sind im Schnitt jünger als Männer, die an der<br />
Umfrage teilgenommen haben. Es ergibt sich eine sehr<br />
ges<strong>und</strong>e Altersverteilung: laut Umfrage sind 55 % der<br />
Nutzer jünger als 40 Jahre. Dieser Wert berücksichtigt<br />
noch nicht, dass Diplomanden sicher unterrepräsentiert<br />
sind (s. o.).<br />
Geschlecht<br />
Die Männerdominanz ist angesichts der Fächerverteilung<br />
(leider) nicht überraschend. An den Universitäten<br />
<strong>und</strong> Neutronenzentren sind mehr Frauen vertreten als<br />
an den außeruniversitären Einrichtungen <strong>und</strong> in der<br />
Industrie, die meisten Frauen sind Doktorandinnen <strong>und</strong><br />
Postdocs.<br />
Männer: 337<br />
Frauen: 38<br />
Keine Angabe: 2<br />
Bildnachweis<br />
Fotos <strong>und</strong> Grafi ken mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung von:<br />
D. Alber, HMI (Abb. 3.11, 3.12)<br />
A ustralian Nuclear Science and Energy Organisation,<br />
ANSTO (S. 61)<br />
J. Baumert, Univ. Kiel (Abb. 3.9 unten)<br />
H. M. Berman et al.: The Protein Data Bank.<br />
Nucleic Acids Research, 28 pp. 235-242 (2000)<br />
(Abb. 2.14 A, B)<br />
G. Bohrmann, IFM-Geomar (Abb. 3.9 rechts) / DFG-<br />
Forschungszentrum Ozeanränder (Abb. 3.9 links)<br />
H. -B. Burgi et al.: Angew.Chem., Int.Ed.Engl., 31,<br />
p. 640, 1992 (Abb. 2.39 oben links)<br />
J. Cambedouzou et al.: Low-frequency excitations of<br />
C 60<br />
chains inserted inside single-walled carbon nanotubes.<br />
PRB 71, 041403 (2005) (Abb. 2.40)<br />
creativ collection (S. 12, 46, 48, 49)<br />
Designer Fond Collection (S. 48, 49)<br />
DISA Vascular (Pty) Ltd, USA (Abb. 3.13)<br />
D. Dubbers, Univ. Heidelberg (Abb. 2.44)<br />
H. Endo, FZJ (Abb. 2.17)<br />
E uropean Neutron Scattering Association (ENSA)<br />
(Abb. 7.3)<br />
R. Feyerherm, HMI (Abb. 2.36)<br />
F orschungszentrum Jülich GmbH (S. 6/7 Mitte, 12, 13,<br />
45 unten, 48 unten, 49 Reifen, 60/61 oben, 64, 65, 75,<br />
Abb. 2.1 links, 2.43, 3.1, 3.2, 7.8, 7.10)<br />
N. Froitzheim, Univ. Bonn (Abb. 2.26)<br />
H. Fueß, Univ. Darmstadt (Abb. 2.41, 2.42)<br />
G KSS-Forschungszentrum Geesthacht GmbH (S. 6<br />
links unten, 60, 74)<br />
G. Gompper, FZJ (Abb. 2.9)<br />
H ahn-Meitner-Institut (HMI, Berlin) (S. 61, 72/73)<br />
Th. Hauß, HMI (Abb. 3.10)<br />
S. Hayden, Univ. Bristol, UK (Abb. 2.28 rechts)<br />
H. Heumann, MPI Martinsried (Abb. 2.13, 2.14)<br />
A. Hewat, ILL (S. 7 Mitte, S. 12: magn. Struktur,<br />
Abb. 2.4, 2.28 links)<br />
In stitut Laue-Langevin (ILL, F) / S. Claisse (S. 6 links<br />
oben), P. Ginter (S. 60/61, 77)<br />
A. Ioffe, FZJ (Abb. 7.4)<br />
ISIS / CCLRC (UK) (S. 61)<br />
Ja pan Atomic Energy Research Institute (JAERI, JP),<br />
K. Kakurai (S. 60/61, Abb. 7.14, 7.15)<br />
W. Kuhs, Univ. Göttingen (Abb. 2.31)<br />
J. Kortus, TU Freiberg (Abb. 2.38 links)<br />
M. Koza, Univ. Dortm<strong>und</strong> (Abb. 2.32)<br />
E. Lelièvre-Berna, ILL (Abb. 7.5)<br />
Th. Lonkai, HMI (Abb. 3.4)<br />
S. Mattauch, FZJ (Abb. 2.7)<br />
F. Mezei, HMI (Abb. 3.5)<br />
I. Mirebeau, LLB, F (Abb. 2.38 Mitte <strong>und</strong> rechts)<br />
MOUNTAIN HIGHmaps, Digital Wisdom (Abb. 6.1)<br />
E. G. Noya, Universidade de Santiago de Compostela<br />
(Abb. 2.39)<br />
O ak Ridge National Laboratory (SNS, USA) (S. 60,<br />
Abb. 7.12, 7.13)<br />
C. Pappas, HMI (S. 6/7, Abb. 7.6)<br />
F. Parak, TUM (S. 7 re., 12: Ladungsdichte, Abb. 2.12)<br />
PhotoAlto Double page (S. 1 oben)<br />
Paul Scherrer Institut (PSI, CH) (S. 12, Motor)<br />
L. Pintschovius, FZ Karlsruhe (Abb. 2.28 Mitte)<br />
T. Rekveldt, TU Delft, NL (S. 78 Hintergr<strong>und</strong>)<br />
M. Rössle, EMBL Hamburg (Abb. 2.13, 2.14)<br />
D. Richter, FZJ (Abb. 2.16, 3.6)<br />
T. Schneider, FZ Karlsruhe (S. 78 Vordergr<strong>und</strong>)<br />
B. Schröder-Smeibidl, HMI (Abb. 3.14, 3.15)<br />
W. Schweika (S. 7 links oben)<br />
P. Smeibidl, HMI (Abb. 2.1 rechts, 7.1)<br />
M. Strobl, HMI (Abb. 3.7)<br />
H. Stuhrmann, GKSS (Abb. 2.15)<br />
Y. Su, FZJ (Abb. 2.29)<br />
H. Tanaka, Research Center for Low Temperature<br />
Physics, Tokyo, JP (Abb. 2.23)<br />
Technische Universität München (S. 6, 60, 70, 76)<br />
A. Tennant, HMI (Abb. 2.22)<br />
W. Treimer, HMI (S. 12: laufender Motor)<br />
J. Vollbrandt, GKSS (Abb. 2.2)<br />
J. Walter, Univ. Bonn (Abb. 2.11)<br />
A. Wiedenmann, HMI (Abb. 2.35)<br />
A. Wischnewski, FZJ (Abb. 2.18)<br />
J. Wosnitza, FZ Rossendorf (Abb. 2.20)<br />
A. Zheludev, ORNL (Abb. 2.37)<br />
Mit finanzieller Unterstützung<br />
von:<br />
94<br />
KFN-Nutzerumfrage / Bildnachweis<br />
95