Wandlungen des lyrischen Bildes in der Liebeslyrik

Wandlungen des lyrischen Bildes in der Liebeslyrik Wandlungen des lyrischen Bildes in der Liebeslyrik

rp.baden.wuerttemberg.de
von rp.baden.wuerttemberg.de Mehr von diesem Publisher
09.11.2012 Aufrufe

3 L i e b e s l y r i k i m B a r o c k Vorläufer Die Barocklyrik, wie auch – in unterschiedlicher Häufigkeit - dichterische Produktion späterer Epochen, ja, bis heute, orientiert sich an der Lyrik Francesco Petrarcas (1304 – 1374). Vanitas Lexikonartikel zum Leben Petrarcas Petrarca-Vita.doc Zwei Darstellungen zum Petrarkismus 8 Petrarkismus.doc Petrarkismus_Killy.doc Die verheerende Erfahrung des Dreißigjährigen Krieges, der Tod und Zerstörung in bis dahin ungekanntem Ausmaß über Deutschland brachte, das Land politisch atomisierte und für lange Zeit von der Entwicklung der europäischen Nachbarstaaten abkoppelte, dieser Krieg, von dessen Gräueln Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen mit seinem Roman „Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“ literarisch Zeugnis ablegte, bildet den Erfahrungshintergrund der Menschen des Barock. Das Motiv der Vergänglichkeit – vanitas – bestimmt das literarische Schaffen der Dichter dieser Epoche. Gesellschaftliche Funktion der Barockdichtung Bei alledem sei die gesellschaftliche Stellung der meisten Dichter nicht vergessen; Gryphius, Opitz, Fleming und andere waren gebildete Bürger, als Beamte in Diensten der neu entstandenen Kleinstaaten. Barockdichtung ist Repräsentationskunst im Kontext absolutistischer Höfe. „[Die] Gedichte zu den unterschiedlichsten Anlässen waren gesellschaftlich eingebunden, dienten der Verschönerung von Hochzeiten, Amtseinsetzungen, Jubiläen, feierten Personen, die Liebe, das gesellige Trinken, verspotteten die kleinen Mängel der Zeitgenossen, bissen satirisch nach den schädlichen Auswüchsen menschlichen Fehlverhaltens. Diese Dichtung erstrebte die Schönheit durch die vollendete Form in Wortwahl, Metrum, Reim und ausdrucksstarker Bildkraft; und sie war öffentlich!“ 20 Barockdichtung unterliegt strengen formalen Regeln und ist in hierarchische Gattungen unterschiedlichen Stils geordnet: hoher, mittlerer, niederer Stil. „Als Beispiel seien die Gedichte genommen, die wir heute als "Liebeslyrik" bezeichnen. Im Barock gab es eine solche Dichtungsart nicht, sondern drei klar getrennte Gattungen: die hohe Liebeslyrik, die erotische Dichtung des mittleren Stils und die obszöne Dichtung des niederen Stils. In der hohen Liebeslyrik preist das lyrische Ich die Schönheit und Tugend einer Geliebten. Diese ist für das lyrische Ich unerreichbar, weshalb die Grundstimmung eher elegisch, traurig ist. Dabei werden die charakterlichen Eigenschaften und die Körperteile der Dame bis einschließlich zum Busen mittels Vergleichen und Bildern geschildert. Die mittlere Liebeslyrik preist die sinnlich, erotische Liebe; das lyrische Ich versucht die nahe Geliebte zum körperlich-sexuellen Kontakt zu überreden. Dabei dienen zweideutige Naturbilder dazu, die einschlägigen Körperteile und Aktionen zu umschreiben. Der Grundton dieser Dichtung ist scherzhaft, heiter. In der niederen Liebesdichtung werden vorwiegend pervers-sexuelle Vorgänge sehr direkt, drastisch dargestellt. Die Form der hohen Liebesdichtung ist das Sonett. Mittlere und niedere Liebesdichtung kann in verschiedenen Formen vorkommen, allerdings nicht im Sonett.“ 21 20 Lindenhahn: Barock, S. 8 21 Wolfgang Pohl: Barock. URL: http://www.pohlw.de/literatur/epochen/barock.htm

Die von Martin Opitz verfasste Poetik „Buch von der deutschen Poeterey“ normierte die Dichtkunst formal und wirkte nachhaltig auf die Entwicklung der deutschen Literatursprache. Besonders im vierten Kapitel finden sich Passagen, die als Quellentexte von Schülern bearbeitet werden können, die vor der sprachlichen Fremdheit dieses Textes nicht zurückschrecken. Martin Opitz: »Buch von der deutschen Poeterey« Ein Übersichtstext zum Sonett von Walther Killy Christian Hofmann von Hofmannswaldau (1617 – 1679), Vergänglichkeit der schönheit 22 Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen/ Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand / Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand/ Für welchen solches fällt/ die werden zeitlich weichen/ Das haar/ das itzund kan des goldes glantz erreichen/ Tilgt endlich tag und jahr als ein gemeines band. Der wohlgesetzte fuß/ die lieblichen gebärden/ Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden/ Denn opfert keiner mehr der gottheit deiner pracht. Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen / Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen/ Dieweil es die natur aus diamant gemacht. 9 Opitz_Deutsche-Poeterey.doc Sonett_Killy.doc Bei diesem Gedicht lässt sich sehr direkt die Verbildlichung vorwiegend körperlicher Merkmale der geliebten Frau nachvollziehen, indem Gegenstand und Metapher oder Bild beide genannt werden. Wiewohl die dichterische Imagination sich auf eine konkrete Person beziehen mag, im Gedicht ist kein Individuum bezeichnet, sondern wird die Vergänglichkeit physischer Schönheit am Beispiel eines Frauenkörpers als Typus dargestellt; und genau dies kündigt der Titel des Gedichts an. Regelhaft, durchaus mit didaktischer Intention, entfaltet Hofmannswaldau am ästhetischen Bild des menschlichen Körpers die Idee der universalen Vergänglichkeit. Die im Text grafischhervorgehobenen Begriffe sind hier in einer Tabelle gegenübergestellt. Objekt jetzt in der Zukunft Tod bleich Brüste von der kalten Hand des Todes berührt Lippen Korall verbleichen Schultern warmer Schnee, kalter Sand Augen süßer Blitz weichen Hand Kräfte weichen Haar goldener Glanz wird getilgt Tag und Jahr gemeines Band Fuß wohlgesetzt Staub Gebärden lieblich nichts und nichtig Pracht Gottheit, Opfer untergehen Herz Diamant beständig 22 Hoffmannswaldau: Gedichte aus Neukirchs Anthologie, Bd. 1. DB Sonderband: Die digitale Bibliothek der deutschen Lyrik, S. 34289

Die von Mart<strong>in</strong> Opitz verfasste Poetik „Buch von <strong>der</strong> deutschen Poeterey“ normierte die<br />

Dichtkunst formal und wirkte nachhaltig auf die Entwicklung <strong>der</strong> deutschen Literatursprache.<br />

Beson<strong>der</strong>s im vierten Kapitel f<strong>in</strong>den sich Passagen, die als Quellentexte von<br />

Schülern bearbeitet werden können, die vor <strong>der</strong> sprachlichen Fremdheit dieses Textes<br />

nicht zurückschrecken.<br />

Mart<strong>in</strong> Opitz: »Buch von <strong>der</strong> deutschen Poeterey«<br />

E<strong>in</strong> Übersichtstext zum Sonett von Walther Killy<br />

Christian Hofmann von Hofmannswaldau (1617 – 1679),<br />

Vergänglichkeit <strong>der</strong> schönheit 22<br />

Es wird <strong>der</strong> bleiche tod mit se<strong>in</strong>er kalten hand<br />

Dir endlich mit <strong>der</strong> zeit umb de<strong>in</strong>e brüste streichen/<br />

Der liebliche corall <strong>der</strong> lippen wird verbleichen;<br />

Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand /<br />

Der augen süsser blitz / die kräffte de<strong>in</strong>er hand/<br />

Für welchen solches fällt/ die werden zeitlich weichen/<br />

Das haar/ das itzund kan <strong>des</strong> gol<strong>des</strong> glantz erreichen/<br />

Tilgt endlich tag und jahr als e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>es band.<br />

Der wohlgesetzte fuß/ die lieblichen gebärden/<br />

Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden/<br />

Denn opfert ke<strong>in</strong>er mehr <strong>der</strong> gottheit de<strong>in</strong>er pracht.<br />

Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen /<br />

De<strong>in</strong> hertze kan alle<strong>in</strong> zu aller zeit bestehen/<br />

Dieweil es die natur aus diamant gemacht.<br />

9<br />

Opitz_Deutsche-Poeterey.doc<br />

Sonett_Killy.doc<br />

Bei diesem Gedicht lässt sich sehr direkt die Verbildlichung vorwiegend körperlicher Merkmale<br />

<strong>der</strong> geliebten Frau nachvollziehen, <strong>in</strong>dem Gegenstand und Metapher o<strong>der</strong> Bild beide<br />

genannt werden. Wiewohl die dichterische Imag<strong>in</strong>ation sich auf e<strong>in</strong>e konkrete Person<br />

beziehen mag, im Gedicht ist ke<strong>in</strong> Individuum bezeichnet, son<strong>der</strong>n wird die Vergänglichkeit<br />

physischer Schönheit am Beispiel e<strong>in</strong>es Frauenkörpers als Typus dargestellt; und genau<br />

dies kündigt <strong>der</strong> Titel <strong>des</strong> Gedichts an. Regelhaft, durchaus mit didaktischer Intention,<br />

entfaltet Hofmannswaldau am ästhetischen Bild <strong>des</strong> menschlichen Körpers die Idee <strong>der</strong><br />

universalen Vergänglichkeit.<br />

Die im Text grafischhervorgehobenen<br />

Begriffe<br />

s<strong>in</strong>d hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Tabelle gegenübergestellt.<br />

Objekt jetzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft<br />

Tod bleich<br />

Brüste von <strong>der</strong> kalten Hand <strong>des</strong><br />

To<strong>des</strong> berührt<br />

Lippen Korall verbleichen<br />

Schultern warmer Schnee, kalter Sand<br />

Augen süßer Blitz weichen<br />

Hand Kräfte weichen<br />

Haar goldener Glanz wird getilgt<br />

Tag und Jahr geme<strong>in</strong>es Band<br />

Fuß wohlgesetzt Staub<br />

Gebärden lieblich nichts und nichtig<br />

Pracht Gottheit, Opfer untergehen<br />

Herz Diamant beständig<br />

22 Hoffmannswaldau: Gedichte aus Neukirchs Anthologie, Bd. 1. DB Son<strong>der</strong>band: Die digitale Bibliothek <strong>der</strong><br />

deutschen Lyrik, S. 34289

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!