Wandlungen des lyrischen Bildes in der Liebeslyrik

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09.11.2012 Aufrufe

5 10 Verlaß Berlin, mit seinem dicken Sande Und dünnen Tee und überwitz'gen Leuten, Die Gott und Welt, und was sie selbst bedeuten, Begriffen längst mit Hegelschem Verstande. Komm mit nach Indien, nach dem Sonnenlande, Wo Ambrablüten ihren Duft verbreiten, Die Pilgerscharen nach dem Ganges schreiten, Andächtig und im weißen Festgewande. Dort, wo die Palmen wehn, die Wellen blinken, Am heil'gen Ufer Lotosblumen ragen Empor zu Indras Burg, der ewig blauen; Dort will ich gläubig vor dir niedersinken, Und deine Füße drücken, und dir sagen: »Madame! Sie sind die schönste aller Frauen!« 1 30 35 40 Heinrich Heine (1797 – 1856) Friedrike (1823) Hier wie da wird das Land der Sehnsucht durch vielfältige Attribute charakterisiert, Bilder, die den Leser ästhetisch ansprechen sollen. Bei Goethe steht die Aufforderung am Ende jeder der drei Strophen und sie drückt die Absicht des lyrischen Ich aus. Heine verfährt anders. Das Traumgebilde des fernen Landes enthält, ungeachtet der Exotik, eine Reihe romantischer Bildmotive: Andacht, Rauschen des Flusses, Flora, Fauna, Auen, Blumen, Abend; man könnte glauben, Heine wolle die Romantiker durch Masse übertreffen, doch nein, die Fülle ist nur Ausdruck der verzweifelten – und erfolglosen – Suche (V. 33, V. 37), kein Feuerwerk, nur ein Strohfeuer. Und wozu die Mühe? „Womit ich Dich vergleiche, Schöne, Feine“ (V. 36). Heines großes lyrisches Thema, die Klage des vergebens werbenden Liebenden - im »Buch der Lieder« wird es zur vollen Entfaltung kommen – klingt hier schon an. Was noch fehlt, ist die spöttische Abweisung durch die Angesungene, die in diesem Gedicht nur einmal tröstlich lächeln darf, ansonsten Objekt bleibt. Und Gott und Religion? Was für eine Art Glaube ist es, von dem beseelt der Liebende in Vers 12 vor der Frau niedersinkt? Bestimmt nicht der Gott der Romantik. Hier befindet sich der poetische Geist in heidnischen Gefilden: „Pilgerscharen“ (V. 7), „Am heil’gen Ufer“ des Ganges (V. 10), „Andächtig und im weißen Festgewande“ (V. 8), „Gott Kama“ (V. 23). 20 3 15 20 25 Der Ganges rauscht, der große Ganges schwillt, Der Himalaja strahlt im Abendscheine, Und aus der Nacht der Banianenhaine Die Elefantenherde stürzt und brüllt – Ein Bild! Ein Bild! Mein Pferd für'n gutes Bild! Womit ich dich vergleiche, Schöne, Feine, Dich Unvergleichliche, dich Gute, Reine, Die mir das Herz mit heitrer Lust erfüllt! Der Ganges rauscht, mit klugen Augen schauen Die Antilopen aus dem Laub, sie springen Herbei mutwillig, ihre bunten Schwingen Entfaltend, wandeln stolzgespreizte Pfauen. Tief aus dem Herzen der bestrahlten Auen Blumengeschlechter, viele neue, dringen, Sehnsuchtberauscht ertönt Kokilas Singen – Ja, du bist schön, du schönste aller Frauen! Gott Kama lauscht aus allen deinen Zügen, Er wohnt in deines Busens weißen Zelten, Und haucht aus dir die lieblichsten Gesänge; Ich sah Wassant auf deinen Lippen liegen, In deinem Aug' entdeck ich neue Welten, Und in der eignen Welt wird's mir zu enge. Vergebens siehst du mich nach Bildern schweifen, Und siehst mich mit Gefühl und Reimen ringen – Und, ach! du lächelst gar ob meiner Qual! Doch lächle nur! Denn wenn du lächelst, greifen Gandarven nach der Zither, und sie singen Dort oben in dem goldnen Sonnensaal. 2

Das romantische Bildinventar hat seine Zauberkraft verloren, trotz gesteigerter und multiplizierter Anwendung bleibt es wirkungslos, zu Fall gebracht von jenen „überwitz’gen Leuten“ im sandigen Berlin, die „dünnen Tee“ trinken. Heine lesend, erleben wir die Zerstörung des romantischen Bildes mit. Kurt Binneberg charakterisiert Heines Verhältnis zur Romantik so: Heines Liebeslyrik ist durch die Übernahme von Motiven und Stimmungen, die vor allem auf das Grunderlebnis der unerfüllten Sehnsucht zurückgehen, mit der Romantik eng verbunden und von ihr aus zu verstehen. Viele seiner Gedichte bezeugen ein wirkliches Nachfühlen der schwermütigen Traurigkeit romantischer Liebesklage. In anderen hingegen scheint er auf artistische Weise mit diesen Gefühlen nur zu spielen, ihnen absichtlich sentimentale Tendenzen zu verleihen, sich über sie lustig zu machen. 58 Zwischen den Epochen stehend, noch Romantiker, aber schon mit realistischer Skepsis, gestaltet der intellektuell brillante und überaus gewitzte Heine wegweisende Poesie: Ihre Einzigartigkeit erreicht die Lyrik Heines durch die ironische Brechung der Gefühle und Erlebnisse, die poetische Illusion wird durch geistreiche Pointen im Zusammenspiel mit Reflexion des Dichters zerstört. In ihrer Variierung der Distanzmöglichkeiten, im Reiz der Dissonanz, in der überraschenden Zusammenschau disparater Elemente beeinflusste Heines Lyrik entscheidend das moderne Gedicht. 59 Dabei ist nicht zu vergessen, wie sehr Heine die Romantiker politisch ablehnte wegen ihres Konservatismus, der sich ausdrückt in einer sinnenfeindlichen, unemanzipierten Haltung, in feudal-katholischen Werten, in deutsch-nationalem Streben und entsprechender Ablehnung alles Französischen, das man welsch nannte. Am Ende seines Lebens charakterisiert sich Heine selbst pointiert als „romantique défroqué“. Das französische Adjektive défroqué bezeichnet einen Mönch, der die Kutte abgelegt hat und damit auch der Religion absagt. 60 5 10 Heinrich Heine (1797 – 1856) Das Buch der Lieder 52 Mir träumte wieder der alte Traum: Es war eine Nacht im Maie, Wir saßen unter dem Lindenbaum, Und schwuren uns ewige Treue, Das war ein Schwören und Schwören aufs neu', Ein Kichern, ein Kosen, ein Küssen; Daß ich gedenk des Schwures sei, Hast du in die Hand mich gebissen. O Liebchen mit den Äuglein klar! O Liebchen schön und bissig! Das Schwören in der Ordnung war, Das Beißen war überflüssig. 58 Binneberg, Kurt, Liebeslyrik. Lektürehilfen. Stuttgart, Klett 2007, S. 63 21 Heinrich Heine (1797 – 1856) Das Buch der Lieder 42 Heines Arznei gegen die Melancholie heißt Ironie. Durch ironische Brechung, Spott, Witz, boshafte Assoziationen, stellt er Distanz her zwischen sich und dem unauflöslichen Widerspruch. Doch bleibt die Melancholie sein dauernder Begleiter. Distanz schafft auch das von Heine vielfach bemühte Motiv des Traums, nicht nur in den „Traumbildern“, sondern auch andernorts, wie hier im „Lyrischen Intermezzo“. das Gedicht „Mir träumte wieder der alte Traum“ ist zugleich ein Maigedicht, es ist ein Gedicht mit romantischsentimentalen Motiven: Nacht, Mai, Lin- 59 Der Brockhaus Multimedial, 2008, Stichwort „Heine“ 60 Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke (Düsseldorfer Ausgabe), hrsg. von Manfred Windfuhr. Hamburg, Hoffmann und Campe 1973 ff, Bd. 15, S. 13 5 Teurer Freund! Was soll es nützen, Stets das alte Lied zu leiern? Willst du ewig brütend sitzen Auf den alten Liebeseiern? Ach! das ist ein ewig Gattern, Aus den Schalen kriechen Küchlein, Und sie piepsen und sie flattern, Und du sperrst sie in ein Büchlein.

Das romantische Bild<strong>in</strong>ventar hat se<strong>in</strong>e Zauberkraft verloren, trotz gesteigerter und<br />

multiplizierter Anwendung bleibt es wirkungslos, zu Fall gebracht von jenen „überwitz’gen<br />

Leuten“ im sandigen Berl<strong>in</strong>, die „dünnen Tee“ tr<strong>in</strong>ken. He<strong>in</strong>e lesend, erleben wir die<br />

Zerstörung <strong>des</strong> romantischen Bil<strong>des</strong> mit. Kurt B<strong>in</strong>neberg charakterisiert He<strong>in</strong>es Verhältnis<br />

zur Romantik so:<br />

He<strong>in</strong>es <strong>Liebeslyrik</strong> ist durch die Übernahme von Motiven und Stimmungen, die vor allem auf<br />

das Grun<strong>der</strong>lebnis <strong>der</strong> unerfüllten Sehnsucht zurückgehen, mit <strong>der</strong> Romantik eng verbunden<br />

und von ihr aus zu verstehen. Viele se<strong>in</strong>er Gedichte bezeugen e<strong>in</strong> wirkliches Nachfühlen <strong>der</strong><br />

schwermütigen Traurigkeit romantischer Liebesklage. In an<strong>der</strong>en h<strong>in</strong>gegen sche<strong>in</strong>t er auf<br />

artistische Weise mit diesen Gefühlen nur zu spielen, ihnen absichtlich sentimentale<br />

Tendenzen zu verleihen, sich über sie lustig zu machen. 58<br />

Zwischen den Epochen stehend, noch Romantiker, aber schon mit realistischer Skepsis,<br />

gestaltet <strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuell brillante und überaus gewitzte He<strong>in</strong>e wegweisende Poesie:<br />

Ihre E<strong>in</strong>zigartigkeit erreicht die Lyrik He<strong>in</strong>es durch die ironische Brechung <strong>der</strong> Gefühle und<br />

Erlebnisse, die poetische Illusion wird durch geistreiche Po<strong>in</strong>ten im Zusammenspiel mit<br />

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Dissonanz, <strong>in</strong> <strong>der</strong> überraschenden Zusammenschau disparater Elemente bee<strong>in</strong>flusste He<strong>in</strong>es<br />

Lyrik entscheidend das mo<strong>der</strong>ne Gedicht. 59<br />

Dabei ist nicht zu vergessen, wie sehr He<strong>in</strong>e die Romantiker politisch ablehnte wegen ihres<br />

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feudal-katholischen Werten, <strong>in</strong> deutsch-nationalem Streben und entsprechen<strong>der</strong><br />

Ablehnung alles Französischen, das man welsch<br />

nannte.<br />

Am Ende se<strong>in</strong>es Lebens charakterisiert sich<br />

He<strong>in</strong>e selbst po<strong>in</strong>tiert als „romantique défroqué“.<br />

Das französische Adjektive défroqué bezeichnet<br />

e<strong>in</strong>en Mönch, <strong>der</strong> die Kutte abgelegt hat und<br />

damit auch <strong>der</strong> Religion absagt. 60<br />

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He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e (1797 – 1856)<br />

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Mir träumte wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> alte Traum:<br />

Es war e<strong>in</strong>e Nacht im Maie,<br />

Wir saßen unter dem L<strong>in</strong>denbaum,<br />

Und schwuren uns ewige Treue,<br />

Das war e<strong>in</strong> Schwören und Schwören aufs neu',<br />

E<strong>in</strong> Kichern, e<strong>in</strong> Kosen, e<strong>in</strong> Küssen;<br />

Daß ich gedenk <strong>des</strong> Schwures sei,<br />

Hast du <strong>in</strong> die Hand mich gebissen.<br />

O Liebchen mit den Äugle<strong>in</strong> klar!<br />

O Liebchen schön und bissig!<br />

Das Schwören <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ordnung war,<br />

Das Beißen war überflüssig.<br />

58 B<strong>in</strong>neberg, Kurt, <strong>Liebeslyrik</strong>. Lektürehilfen. Stuttgart, Klett 2007, S. 63<br />

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He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e (1797 – 1856)<br />

Das Buch <strong>der</strong> Lie<strong>der</strong><br />

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He<strong>in</strong>es Arznei gegen die Melancholie heißt<br />

Ironie. Durch ironische Brechung, Spott,<br />

Witz, boshafte Assoziationen, stellt er<br />

Distanz her zwischen sich und dem<br />

unauflöslichen Wi<strong>der</strong>spruch. Doch bleibt<br />

die Melancholie se<strong>in</strong> dauern<strong>der</strong> Begleiter.<br />

Distanz schafft auch das von He<strong>in</strong>e<br />

vielfach bemühte Motiv <strong>des</strong> Traums, nicht<br />

nur <strong>in</strong> den „Traumbil<strong>der</strong>n“, son<strong>der</strong>n auch<br />

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das Gedicht „Mir träumte wie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> alte Traum“ ist zugleich e<strong>in</strong> Maigedicht,<br />

es ist e<strong>in</strong> Gedicht mit romantischsentimentalen<br />

Motiven: Nacht, Mai, L<strong>in</strong>-<br />

59 Der Brockhaus Multimedial, 2008, Stichwort „He<strong>in</strong>e“<br />

60 He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e. Historisch-kritische Gesamtausgabe <strong>der</strong> Werke (Düsseldorfer Ausgabe), hrsg. von Manfred<br />

W<strong>in</strong>dfuhr. Hamburg, Hoffmann und Campe 1973 ff, Bd. 15, S. 13<br />

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Teurer Freund! Was soll es nützen,<br />

Stets das alte Lied zu leiern?<br />

Willst du ewig brütend sitzen<br />

Auf den alten Liebeseiern?<br />

Ach! das ist e<strong>in</strong> ewig Gattern,<br />

Aus den Schalen kriechen Küchle<strong>in</strong>,<br />

Und sie piepsen und sie flattern,<br />

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