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Wandlungen des lyrischen Bildes in der Liebeslyrik

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Paul Flem<strong>in</strong>g (1609 – 1640)<br />

Wie er wolle geküsset seyn (vor 1640)<br />

Nirgends h<strong>in</strong> / als auff den Mund /<br />

da s<strong>in</strong>ckts <strong>in</strong> deß Hertzens Grund.<br />

Nicht zu frey / nicht zu gezwungen /<br />

nicht mit gar zu fauler Zungen.<br />

Nicht zu wenig / nicht zu viel!<br />

Bey<strong>des</strong> wird sonst K<strong>in</strong><strong>der</strong>-spiel.<br />

Nicht zu laut / und nicht zu leise /<br />

Bey<strong>der</strong> Maß´ ist rechte Weise.<br />

Nicht zu nahe / nicht zu weit.<br />

Diß macht Kummer / jenes Leid.<br />

Nicht zu trucken / nicht zu feuchte /<br />

wie Adonis Venus reichte.<br />

Nicht zu harte / nicht zu weich.<br />

Bald zugleich / bald nicht zugleich.<br />

Nicht zu langsam / nicht zu schnelle.<br />

Nicht ohn Unterscheid <strong>der</strong> Stelle.<br />

Halb gebissen / halb gehaucht.<br />

Halb die Lippen e<strong>in</strong>getaucht.<br />

Nicht ohn Unterscheid <strong>der</strong> Zeiten.<br />

Mehr alle<strong>in</strong>e denn bei Leuten.<br />

Küsse nun e<strong>in</strong> Je<strong>der</strong>mann /<br />

wie er weiß / will / soll und kan.<br />

Ich nur und die Liebste wissen /<br />

wie wir uns recht sollen küssen.<br />

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Karol<strong>in</strong>e von Gün<strong>der</strong>ode (1780 – 1806)<br />

Der Kuß im Traume (um 1805)<br />

aus e<strong>in</strong>em ungedruckten Romane<br />

Es hat e<strong>in</strong> Kuß mir Leben e<strong>in</strong>gehaucht,<br />

Gestillet me<strong>in</strong>es Busens tiefstes Schmachten,<br />

Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten<br />

Daß neue Wonne me<strong>in</strong>e Lippe saugt.<br />

In Träume war solch Leben e<strong>in</strong>getaucht,<br />

Drum leb' ich, ewig Träume zu betrachten,<br />

Kann aller an<strong>der</strong>n Freuden Glanz verachten,<br />

Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht.<br />

Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,<br />

Es schmerzt mich se<strong>in</strong>es Lichtes eitles Prangen<br />

Und mich verzehren se<strong>in</strong>er Sonne Gluthen.<br />

Drum birg dich Aug' dem Glanze irr'dscher Sonnen!<br />

Hüll' dich <strong>in</strong> Nacht, sie stillet de<strong>in</strong> Verlangen<br />

Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen.<br />

4 L i e b e s l y r i k i n d e r W e i m a r e r K l a s s i k<br />

Johann Wolfgang Goethes Lyrik alle<strong>in</strong> stellt e<strong>in</strong> so umfangreiches Textkorpus dar, dass<br />

e<strong>in</strong>e auch nur annähernd erschöpfende Behandlung im Kontext <strong>des</strong> Schwerpunktthemas <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Schule ausgeschlossen ist. Hier – vielleicht mehr noch, als <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Epochen –<br />

verspricht die paradigmatische Betrachtung <strong>der</strong> Bildlichkeit <strong>in</strong>terpretatorischen Zugang<br />

über das e<strong>in</strong>zelne Gedicht h<strong>in</strong>aus. Goethes über 80-jähriges Leben ist – bei aller<br />

Universalität <strong>der</strong> Interessen und Arbeitsgebiete <strong>des</strong> geniales Meisters, Dichtung, praktisch<br />

sämtliche Wissenschaften <strong>der</strong> Zeit, Philosophie, Politik se<strong>in</strong>en genannt – <strong>in</strong> ganz<br />

beson<strong>der</strong>er Weise geprägt durch die Reihe se<strong>in</strong>er berühmten Liebesbeziehungen, die die<br />

Entwicklung se<strong>in</strong>er Persönlichkeit ebenso wi<strong>der</strong>spiegeln, wie sie ihn verschiedentlich <strong>in</strong><br />

existenzielle Krisen stürzen, die Goethe wie<strong>der</strong>um poetisch produktiv verarbeitet; man<br />

denke an den „Werther“. Se<strong>in</strong>e Biografen schil<strong>der</strong>n diese Liebesbeziehungen ausführlich<br />

und sie können sich dabei auf umfangreiches Quellenmaterial stützen, nicht zuletzt von<br />

Goethes Hand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Tagebüchern, Aufzeichnungen und <strong>in</strong> den autobiografisch<br />

geprägten Schriften, wie dem »Wilhelm Meister«. Dass Goethes Liebe im familiären<br />

Rahmen zuerst se<strong>in</strong>er Liebl<strong>in</strong>gsschwester Cornelia gilt und wie bedeutsam diese

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