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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Diese gewissermaßen ›Autonomie‹ und ›Verselbstständigung‹ von Texten gegenüber<br />

ihren Kontexten lässt sich gut an folgendem – wohl bekanntem, wenn<br />

auch zugegebenermaßen nicht ganz alltäglichem – Beispiel verdeutlichen: 1938<br />

wurde in den USA ein Radiohörspiel gesendet, welches auf dem Roman »Krieg<br />

der Welten« von H. G. Wells basiert. Das Hörspiel, das im Stil einer Live-Reportage<br />

verfasst war, berichtete von einer Invasion durch Außerirdische in den USA.<br />

Dies führte zu z. T. heftigen panischen Reaktionen, da es als authentische Reportage<br />

verstanden wurde und nicht als eine fiktive Geschichte (allerdings kann wohl<br />

bezweifelt werden, dass es tatsächlich zu einer allgemeinen Massenhysterie gekommen<br />

ist und teilweise die Medienforschung, die gern auf dieses Beispiel zu<br />

sprechen kommt, die Ereignisse ›überhöht‹ hat, zumal auch einleitend der fiktive<br />

Charakter kenntlich gemacht wurde 6 ). Der Fall erregte seiner Zeit viel Aufsehen.<br />

Mit den hier vorgeschlagenen Begrifflichkeiten gesprochen lässt sich sagen, dass<br />

die objektive Sinnstruktur des Radiohörspiels <strong>mit</strong> der einer seriösen Radioreportage<br />

in weiten Teilen identisch war und daher von vielen auch so verstanden<br />

wurde bzw. werden musste. Obwohl die Sprecherinnen des Hörspiels sich intentional<br />

über den fiktiven Charakter ihrer Worte natürlich bewusst waren und auch<br />

in den konkreten Interaktionen bei der Planung und Entstehung des Hörspiels<br />

sicherlich immer wieder sichtbar wurde, dass es sich um eine fiktive Geschichte<br />

handelte, so hatte dennoch das so produzierte Hörspiel die objektive Struktur einer<br />

›normalen‹ Radioreportage. Es konnte daher nur schwer als Radiohörspiel identifiziert<br />

werden. Es sei denn, dass man den Inhalt für so unglaubwürdig hielt, dass<br />

man an ihm zweifelte. Die Form ließ solche Zweifel nicht zu. Hier wird sichtbar,<br />

dass Intentionen bzw. psychische Zustände und soziales Geschehen (wie beispielsweise<br />

Interaktionen während der Aufnahmen im Tonstudio), wenn sie denn<br />

im produzierten Text (wie hier dem Radiohörspiel) selbst nicht objektiviert werden,<br />

keinerlei Effekt hervorbringen können. Sie bleiben dann sozial bzw. kommunikativ<br />

unsichtbar.<br />

Auch geht es der Objektiven Hermeneutik nicht darum, den Text lediglich als<br />

ein Fenster zu benutzen, um auf ein Phänomen schauen zu können, was jenseits<br />

des Textes liegt. Die Struktur und Funktionsweise des Textes selbst und nicht die<br />

seines Referenten, der letztlich auch ein Teil des Kontextes darstellt, ist zunächst<br />

einmal von Interesse (vgl. Oevermann 1983a: 285). Reichertz (1997: 37) drückt<br />

diese Haltung prägnant wie folgt aus: »Der zu interpretierende Text wird nicht als<br />

Beschreibung von Phänomenen behandelt, sondern als das zu erklärende Phänomen.«<br />

Oder Oevermann (1981: 47) selbst: »Texte werden also in der objektiven<br />

Hermeneutik nicht als Verweisungen auf außerhalb ihrer selbst liegende Strukturen<br />

oder Sachverhalte behandelt […] , sondern sie werden als das Material oder<br />

Medium genommen, in dem soziale Strukturen erzeugt werden und sich konstitu-<br />

6 siehe dazu Telepolis: www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20422/1.html<br />

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