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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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lesen ist (vgl. Oevermann 1996: 20). Unter »objektiven Sinnstrukturen« lassen<br />

sich demnach all diejenigen Regeln verstehen, die wahrnehmbare Laute, Buchstaben,<br />

Gegenstände, aber auch Verhaltensweisen <strong>mit</strong> einem bestimmten Sinn verbinden<br />

und die einzelnen Bedeutungselemente in einen aufeinander verweisenden<br />

Kontext setzen. Wäre dies nicht der Fall, wäre es nicht möglich wechselseitig<br />

Handlungsabläufe zu koordinieren, geschweige denn <strong>mit</strong>einander zu sprechen. Da<br />

diese Regeln allgemein-kollektiver Art sind, erlangen sie den Status objektiver<br />

Strukturen, die dem einzelnen Subjekt als etwas Allgemeines, Nicht-Subjektives<br />

gegenüberstehen: »Die objektive Hermeneutik ist ein Verfahren, diese objektiv<br />

geltenden Sinnstrukturen intersubjektiv überprüfbar je konkret an der lesbaren<br />

Ausdrucksgestalt zu entziffern, die Ausdrucksmaterial als Protokoll ihrerseits hör-,<br />

fühl-, riech-, schmeck- oder sichtbar ist« (ebd.: 2). 4<br />

Oevermann (1983a: 255) spricht in diesem Kontext auch von einer generellen<br />

»Textförmigkeit sozialer Wirklichkeit«. Denn Sozialität meine letztlich nichts anderes<br />

als kommunikativ hergestellte Bedeutungs- und Verweisungsstrukturen, die<br />

nicht nur bei Texten im engeren Sinne auftauchten, sondern auch in »Handlungstexten«<br />

(Oevermann et. al. 1979: 378) etc. zu finden seien. »Alle humanen Handlungen«<br />

sind demnach »rekonstruierbare Sinngebilde (also textförmige Gebilde)«<br />

(Oevermann 1981: 14) und können erst durch Rückgriff auf das kulturelle Regelwissen<br />

gelesen, verstanden und analytisch gedeutet werden. Der Textbegriff wird<br />

im weiteren Argumentationsverlauf daher immer auch in diesem weiten auf Sinn<br />

bzw. Bedeutung abstellenden Sinne jedes sozialen Geschehens verwendet. In der<br />

Regel seien aber – so Oevermann – diese objektiven Bedeutungen individuell gar<br />

nicht vollständig realisiert und blieben so<strong>mit</strong> latent. Dies hinge v. a. <strong>mit</strong> dem<br />

Tempo sozialer Abläufe und der kognitiven Beschränktheit von Menschen zusammen.<br />

Dennoch hinterließen die einzelnen Äußerungen und Verhaltensweisen eine<br />

Erinnerungsspur und könnten im Nachhinein gemäß den allgemeinen Regeln der<br />

Bedeutungszuschreibung gelesen und verstanden werden. Ebenso müsse davon<br />

ausgegangen werden, dass ein Beobachter, der vom praktischen Handlungsdruck<br />

befreit ist, die jeweiligen Bedeutungen zuordnen kann (vgl. Oevermann et. al.<br />

1976: 380; 384ff., 394). »Die Koinzidenz von latenter Sinnstruktur und subjektiv<br />

repräsentierten Sinn« stelle daher »den idealen Grenzfall vollständig aufgeklärter<br />

Kommunikation dar« (Oevermann et. al. 1979: 383 f.) und nicht etwa die Regel.<br />

Dementsprechend spricht Oevermann auch synonym von latenten und objektiven<br />

Sinnstrukturen.<br />

Ins individuelle Bewusstsein tritt die Realität solcher objektiven Sinnstrukturen<br />

aber meistens erst dann, wenn Regelverletzungen und ›Krisen‹ stattfinden –<br />

wie sich am Beispiel von Versprechern deutlich machen lässt. So ist es erst vor<br />

dem Hintergrund solcher allgemeiner Regeln möglich sich zu versprechen. Die<br />

4 Da<strong>mit</strong> wird auch generell der Anspruch erhoben Kunstwerke, Architektur, ›Landschaften‹, Stadtbilder oder sonst<br />

wie geartete ›Materialitäten‹ analytisch und soziologisch informativ aufschlüsseln zu können. Für die Deutung<br />

eines Luftbildes einer Stadt siehe Wienke 2000.<br />

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