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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Hermeneutik oft als Hauptbezugsfigur dargestellt wird, als aber auch Konzepte<br />

von Mead, Pierce oder Chomsky wichtige Anknüpfungspunkte bei der Formulierung<br />

der Objektiven Hermeneutik dar. Dennoch lässt sich m. E. diese nicht bloß<br />

auf eine notwendige Konsequenz dieser Ansätze reduzieren. Die Objektive Hermeneutik<br />

stellt vielmehr ein relativ eigenständiges methodologisches Unterfangen<br />

dar und gehört inzwischen zum Standardrepertoire qualitativer, oder besser, rekonstruktiver<br />

Sozialforschung. 2<br />

Wie schon angedeutet wurde, geht die Objektive Hermeneutik von einer starken<br />

Unterscheidung zwischen einem psychischen und einem sozialen Phänomenbereich<br />

aus. Sie spricht in diesem Kontext sogar von »zwei grundsätzlich verschiedenen<br />

Realitätsebenen« (Oevermann et. al. 1979: 367) oder von einer »systematischen<br />

Differenz« (Oevermann et. al. 1976: 386) dieser beiden Bereiche. Genauer<br />

fasst sie den Unterschied zwischen diesen beiden Ebenen als den Unterschied<br />

zwischen »der Realität der latenten Sinnstrukturen eines Textes einerseits […]<br />

und der Realität von subjektiv intentional repräsentierten Bedeutungen eines Textes<br />

auf Seiten der handelnden Subjekte andererseits« (Oevermann er. al. 1979:<br />

367). Diesen Unterschied möchte ich im Folgenden genauer explizieren.<br />

Unter Rückgriff auf G. H. Mead (»verallgemeinerter Anderer«) 3 wird diese<br />

Trennung wie folgt begründet (vgl. Oevermann et. al. 1976: 385 f.): Die Konstitution<br />

von Bedeutung bzw. Sinn ist als ein kommunikativer Prozess anzusehen, der<br />

sich durch sein ›Bestreben‹ auszeichnet, eine allgemein-objektive oder eben generalisierte<br />

Bedeutung zu generieren. Anders gesagt: die Objektive Hermeneutik<br />

geht davon aus, dass es kollektiv bindende Regeln der Bedeutungszuschreibung<br />

gibt, welche dann dem »konkreten Handlungssubjekt als objektive Strukturen gegenübertreten«<br />

(Oevermann 2001: 4). Immer wird dabei ein materieller Träger<br />

<strong>mit</strong> einem bestimmten Sinn assoziiert und auf diese Weise eine »Ausdrucksgestalt«<br />

(Oevermann 2002: 1) geformt, welche auf eine bestimmte Art und Weise zu<br />

2 Das u. a. von Oevermann 2001 in Frankfurt gegründete unabhängige Institut für hermeneutische Sozial- und Kulturforschung<br />

(IHSK), sowie der 1992 ebenfalls in Frankfurt gegründete Verein Arbeitsgemeinschaft Objektive<br />

Hermeneutik e.V. sichern auch auf institutioneller Ebene das Fortbestehen dieses Forschungsansatzes. Neben der<br />

Organisation von Tagungen, Workshops etc. werden auch ›Serviceleistungen‹ – wie das Durchführen von Supervisionen<br />

– angeboten. Zudem befinden sich auf den Internetseiten Bibliographieangaben und Texte zum Download<br />

(www.ihsk.de; www.agoh.de).<br />

3 Mead (1973; Orig.:1934) versuchte u. a. in kritischer Auseinandersetzung <strong>mit</strong> Watsons Behaviorismus eine generelle<br />

auf Kommunikation und Zeichengebrauch abzielende Theorie der Entstehung von Geist, Gesellschaft und<br />

Identität zu formulieren. Dabei besteht eine auch für Oevermann wichtige Grundidee des Meadschen Sozialbehaviorismus<br />

darin, dass beobachtbare menschliche Verhaltensweisen, eine in einem bestimmten Sprach- und Kulturkreis<br />

allgemein-gültige Bedeutung erhalten und dadurch menschliche Kooperation überhaupt möglich wird<br />

(vgl. ebd.: 44). Da<strong>mit</strong> dies vonstatten gehen könne, müsse das sie ausführende Individuum in einem Abstraktionsprozess<br />

lernen, sich dabei gewissermaßen von Außen zu beobachten bzw. die Perspektive des Anderen auf<br />

sein eigenes Verhalten einzunehmen (vgl. ebd. 86 ff.; 113). Erst dadurch, »daß das jeweilige Individuum die Haltung<br />

anderer sich selbst gegenüber übernimmt und daß es schließlich alle diese Haltungen zu einer einzigen Haltung<br />

oder einer einzigen Position kristallisiert, die als die des ›verallgemeinerten Anderen‹ bezeichnet werden<br />

kann« (ebd.: 130), wird Kommunikation und Sinn, der immer »objektiv« (ebd.: 118) vorzustellen sei, ermöglicht:<br />

»Sagt eine Person etwas, so sagt sie zu sich selbst, was sie zu den anderen sagt; anderenfalls wüsste sie nicht,<br />

worüber sie spricht« (ebd.: 189).<br />

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