Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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09.11.2012 Aufrufe

präsentation verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.« (Foucault 1997: 74) Es sollen die praxeologischen Regelmäßigkeiten aufgedeckt werden, die den Diskurs ordnen und konstituieren (und unterlaufen und transformieren). (1.4) Der Imperativ der skeptischen Haltung gegenüber einer theoretischen Vorstrukturierung des Forschungsprozesses soll also nicht behaupten, es gäbe keine diskurstheoretischen Elemente in der Wissensarchäologie. So beinhaltet der Begriff der Aussage eine grundlegende diskurstheoretische Feststellung: Nichts Gegenständliches kann einfach dargestellt (repräsentiert) werden. Aussagen produzieren sowohl den Sprechenden als auch das Ausgesprochene. Damit wird sowohl ein naturalistisches Verständnis von Wirklichkeit (»Gegenstände an sich«) wie auch ein anthropologischer Begriff des Menschen (»Subjekt der Erkenntnis«) unterwandert. Aussagen werden dabei nicht im Sinne des methodischen Individualismus als die konkrete Äußerung eines Subjekts, sondern als typische Aussagepraktiken erfasst. Es sind verregelmäßigte Handlungsroutinen der Wissensproduktion. Um eine Aussage und ihre Funktion bestimmen zu können, muss also ein Feld von Aussagen, ein Wissensgebiet, rekonstruiert werden. Die entscheidenden Fragen der Diskursanalyse betreffen folglich die homogenen oder heterogenen Möglichkeiten, (a) wie durch die Aussagepraxis Gegenstände konstruiert werden, (b) wie von bestimmten Sprecherpositionen ausgehend und mit bestimmten Methoden arbeitend Wissen erzeugt werden kann. Das beinhaltet auch die Frage danach, wie sich ein Mensch subjektivieren muss, um in einem Diskurs sprechen zu können und gehört zu werden. Dieses Sprechen hat eine eigene Materialität, die entlang folgender Fragen rekonstruiert werden kann: Wie ist das arbeitsteilige Feld der Wissensproduktion beschaffen? Welche institutionellen Positionen haben SprecherInnen inne? Welche materiellen und zeitlichen Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung? Unter welchen Bedingungen können spezifische Aussagen an welche Publikumskreise adressiert werden und wie wird dadurch die Rezeption gerahmt? Bei solchen Fragen muss schließlich berücksichtigt werden, dass die materielle Situation des Aussagens bestimmte Aussageweisen ermöglicht oder verunmöglicht, dadurch aber nicht die spezifische Qualität der Aussage im Aussagegeflecht determiniert sein kann. Anhand der Aussageregelmäßigkeiten soll bestimmbar werden, was in einer diskursiven Wissensordnung sagbar und unsagbar ist. Es soll die immanente Ordnung der Streuung der Aussagen und die ihrer Seltenheit gefunden werden. Damit unterscheidet sich die rekonstruktive Methode der Diskursanalyse, welche dekonstruiert, um rekonstruieren zu können, von der dekonstruktivistischen Methode J. Derridas, welche die unabschließbare Bedeutungsfestlegung und die polysemische Uneindeutigkeit von Sprache zum Vorschein bringt. Diskursanalyse versucht die diskursimmanenten Regeln der Begrenzung des Sagbaren und die darin begründeten Möglichkeiten des Auftauchens neuer Aussagen zu entdecken. Das diskursanalytische Interesse richtet sich sowohl auf die Homogenität der Aussagen (Wiederholungen, Zitate, Ähnlichkeiten), 40

als auch auf die Heterogenität der Aussagen (gleichzeitige Differenzen, diachrone Umbrüche). Dieses forschungspraktische Interesse kann sich aber auch auf Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Spezialdiskursen konzentrieren und interdiskursive Vergleiche anstellen. Bei intradiskursiven, wie bei interdiskursiven Analysen sollen Leitaussagen aufgedeckt werden. Aber auch Widersprüche, Paradoxien und/oder Kontingenzen innerhalb oder zwischen Aussagen sind für die Beschreibung von Diskursverläufen und hinsichtlich einer deutenden Erklärung von Diskurstransformationen von Relevanz. Aber genau bei dem Anspruch – über die archäologische Beschreibung hinaus – eine plausible Erklärung diskursiven Wandels liefern zu können, stößt das Forschungsprogramm der Diskursanalyse an seine Grenzen. (1.5) Obwohl Foucault feststellt, dass seine Methoden die klassischen historischen Methoden sind, 4 gibt es doch eine grundlegende Differenz zu diesen. Sie liegt darin, wie das Dokument behandelt wird. Die traditionelle Geschichtswissenschaft liest die historischen Quellen »als die Sprache einer jetzt zum Schweigen gebrachten Stimme [...], als deren zerbrechliche, glücklicherweise aber entzifferbare Spur« (Foucault 1997: 14). Im Unterschied dazu begreift die Diskursforschung diese Produkte als Monumente. Auf den kultur- und sozialwissenschaftlichen Rahmen angewandt, bedeutet dies, kulturelle Objektivationen nicht als Ausdruck des sozialen Wandels, sondern als Eingriff in sozialen Wandel zu interpretieren. Der Begriff des Monuments soll eine skeptische Haltung befördern: Die archäologische Beschreibung, so Foucault, interpretiert das Diskursive, nicht um eine Geschichte des Bezeichneten (Realgeschichte), sondern um eine Geschichte des Bezeichnens zu schreiben (Foucault 1997: 71 f.). Der Kurzschluss von der Praxis des Bezeichnens zum Bezeichneten, vom Dokument auf die historische Wirklichkeit oder vom Produkt der Kulturindustrie auf das Bewusstsein der Menschen soll vermieden werden. Das ideologiekritische Konzept der Präformation wird durch das der Performanz ersetzt. Dadurch eröffnet sich erst die entscheidende empirische Frage: Wie wirkt vorgegebenes Wissen auf die Subjekte von Diskursen und auf Akteure der sozialen Praxis? Performativ-zitatförmige Effekte auf die Subjekte von Diskursen können wissensarchäologisch nachgezeichnet werden. Die Effekte auf soziale (nicht-diskursive) Praxis – auf leiblich materialisierte AkteurInnen und ihre Handlungsroutinen, sowie auf konstituierte Praxisfelder und deren gesellschaftliche Ordnung – können mit dem diskursanalytischen Instrumentarium nicht untersucht werden. Ebenso wird die Relevanz nicht-diskursiver Praxis für die Praxis diskursiver Wissensproduktion im Rahmen der Ar- 4 »Das Problem der Wahrheit dessen, was ich sage, ist für mich ein sehr schwieriges, ja sogar das zentrale Problem. [...] Gleichzeitig benutze ich jedoch ganz klassische Methoden: die Beweisführung oder zumindest das, was in historischen Zusammenhängen als Beweis gelten darf – Verweise auf Texte, Quellen, Autoritäten und die Herstellung von Bezügen zwischen Ideen und Tatsachen; Schemata, die ein Verständnis ermöglichen, oder Erklärungstypen. Nichts davon ist originell. Insoweit kann alles, was ich in meinen Büchern sage, verifiziert oder widerlegt werden [...]« (Foucault 1996: 28). 41

als auch auf die Heterogenität der Aussagen (gleichzeitige Differenzen, diachrone<br />

Umbrüche). Dieses forschungspraktische Interesse kann sich aber auch auf Wechselwirkungen<br />

zwischen unterschiedlichen Spezialdiskursen konzentrieren und interdiskursive<br />

Vergleiche anstellen. Bei intradiskursiven, wie bei interdiskursiven<br />

Analysen sollen Leitaussagen aufgedeckt werden. Aber auch Widersprüche, Paradoxien<br />

und/oder Kontingenzen innerhalb oder zwischen Aussagen sind für die<br />

Beschreibung von Diskursverläufen und hinsichtlich einer deutenden Erklärung<br />

von Diskurstransformationen von Relevanz. Aber genau bei dem Anspruch – über<br />

die archäologische Beschreibung hinaus – eine plausible Erklärung diskursiven<br />

Wandels liefern zu können, stößt das Forschungsprogramm der Diskursanalyse an<br />

seine Grenzen.<br />

(1.5) Obwohl Foucault feststellt, dass seine <strong>Methode</strong>n die klassischen historischen<br />

<strong>Methode</strong>n sind, 4 gibt es doch eine grundlegende Differenz zu diesen. Sie<br />

liegt darin, wie das Dokument behandelt wird. Die traditionelle Geschichtswissenschaft<br />

liest die historischen Quellen »als die Sprache einer jetzt zum Schweigen<br />

gebrachten Stimme [...], als deren zerbrechliche, glücklicherweise aber entzifferbare<br />

Spur« (Foucault 1997: 14). Im Unterschied dazu begreift die Diskursforschung<br />

diese Produkte als Monumente. Auf den kultur- und sozialwissenschaftlichen<br />

Rahmen angewandt, bedeutet dies, kulturelle Objektivationen nicht als<br />

Ausdruck des sozialen Wandels, sondern als Eingriff in sozialen Wandel zu interpretieren.<br />

Der Begriff des Monuments soll eine skeptische Haltung befördern: Die<br />

archäologische Beschreibung, so Foucault, interpretiert das Diskursive, nicht um<br />

eine Geschichte des Bezeichneten (Realgeschichte), sondern um eine Geschichte<br />

des Bezeichnens zu schreiben (Foucault 1997: 71 f.). Der Kurzschluss von der<br />

Praxis des Bezeichnens zum Bezeichneten, vom Dokument auf die historische<br />

Wirklichkeit oder vom Produkt der Kulturindustrie auf das Bewusstsein der Menschen<br />

soll vermieden werden. Das ideologiekritische Konzept der Präformation<br />

wird durch das der Performanz ersetzt. Dadurch eröffnet sich erst die entscheidende<br />

empirische Frage: Wie wirkt vorgegebenes Wissen auf die Subjekte von<br />

Diskursen und auf Akteure der sozialen Praxis? Performativ-zitatförmige Effekte<br />

auf die Subjekte von Diskursen können wissensarchäologisch nachgezeichnet<br />

werden. Die Effekte auf soziale (nicht-diskursive) Praxis – auf leiblich materialisierte<br />

AkteurInnen und ihre Handlungsroutinen, sowie auf konstituierte Praxisfelder<br />

und deren gesellschaftliche Ordnung – können <strong>mit</strong> dem diskursanalytischen<br />

Instrumentarium nicht untersucht werden. Ebenso wird die Relevanz nicht-diskursiver<br />

Praxis für die Praxis diskursiver Wissensproduktion im Rahmen der Ar-<br />

4 »Das Problem der Wahrheit dessen, was ich sage, ist für mich ein sehr schwieriges, ja sogar das zentrale Problem.<br />

[...] Gleichzeitig benutze ich jedoch ganz klassische <strong>Methode</strong>n: die Beweisführung oder zumindest das,<br />

was in historischen Zusammenhängen als Beweis gelten darf – Verweise auf Texte, Quellen, Autoritäten und die<br />

Herstellung von Bezügen zwischen Ideen und Tatsachen; Schemata, die ein Verständnis ermöglichen, oder Erklärungstypen.<br />

Nichts davon ist originell. Insoweit kann alles, was ich in meinen Büchern sage, verifiziert oder<br />

widerlegt werden [...]« (Foucault 1996: 28).<br />

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