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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Als Beispiel für ein archäologisches Tacit Knowledge sei hier wiederum auf<br />

die oben beschriebene Interpretation von Visualisierungen geomagnetischer Messungen<br />

verwiesen. Ein weiteres spezifisch archäologisches implizites Wissen besteht<br />

in dem ›Erkennen‹ von Befunden auf der Ausgrabung. Manche Schichten<br />

sieht man auf den ersten Blick und auch <strong>mit</strong> ungeübtem Auge. Andere werden erst<br />

sichtbar, nachdem die spezifischen ›Seh-Konventionen‹ der jeweiligen Grabung<br />

übernommen wurden. Bei jeder Grabung muss man sich also neu in die Bodenverhältnisse<br />

›einlesen‹, um alles sehen zu können, was andere sehen, die schon<br />

länger vor Ort sind. Das kann aber auch geschehen, wenn man auf anderen Grabungen<br />

ähnliche Befunde gesehen hat. Die Interpretation eines Fleckens als Befund<br />

kann also gar nicht schriftlich fixiert werden. Sie ist nur auf der Grabung erlernbar,<br />

indem die Befunde <strong>mit</strong> eigenen Augen gesehen werden. Es ist aber nicht<br />

nur ein visueller, sondern auch ein sensorischer Lernprozess, denn der Befund<br />

muss angefasst werden, um ihn interpretieren zu können. Die Entscheidungsfähigkeit<br />

hängt also von der Anwesenheit vor Ort ab, da durch Fotos oder Zeichnungen<br />

nur Farbe und Form ver<strong>mit</strong>telt werden können, aber nicht die Konsistenz<br />

eines Befundes; das Foto enthält nur unvollständige Informationen. Nur wenn<br />

man einen Befund in seinem ursprünglichen Aggregatzustand gesehen und angefasst<br />

hat, kann man andere Befunde erkennen. Da<strong>mit</strong> kann diese Kenntnis nur im<br />

Rahmen von Handlungen ver<strong>mit</strong>telt werden.<br />

Das ›Sich einsehen‹ ist also einerseits abhängig von Erfahrung und Übung, andererseits<br />

aber zugleich auch eine Form der Übersetzung und da<strong>mit</strong> der Selektion<br />

und Inskription. Denn es muss dabei auch immer eine Entscheidung getroffen<br />

werden, was anthropogene Befunde sind und welche Flecken nicht durch den<br />

Menschen verursacht wurden. Die Übereinkunft darüber, was im Boden erkannt<br />

wird, wird auf der lokalen Ebene der einzelnen Ausgrabung ausgehandelt. Dabei<br />

bestehen immer wieder unterschiedliche Meinungen, welche Flecken als Befund<br />

gelten können oder welche Form diese Befunde haben. Die Entscheidung für eine<br />

bestimmte Inskription wird dann zumeist von der grabungsleitenden Person getroffen.<br />

Sie legt fest, in welcher Form der Befund gesehen werden muss. Anfänger<br />

kennen dann gar keine andere Sichtweise und bei differierender Meinung wird<br />

aufgrund dieser Konventionen entschieden. Sie kann sich aber auch aus den bisherigen<br />

Erfahrungen der anderen Mitarbeiter speisen. Das ›Erkennen-Können‹<br />

von Befunden ist in der Wahrnehmung der Archäologen ein Professionalitätskriterium,<br />

das nicht nur durch Erfahrung zu erreichen ist, sondern von manchen auch<br />

für ein spezifisches archäologisches Talent gehalten wird. Tacit Knowledge spielt<br />

also auch als Kennzeichen der beruflichen Professionalität eine Rolle.<br />

Am Beispiel der Befunderkennung wird die Bedeutung des Tacit Knowledge<br />

deutlich, denn implizites Erfahrungswissen macht <strong>Methode</strong>nanwendung erst<br />

möglich. Das zur Durchführung einer Ausgrabung notwendige Wissen kann nie<br />

vollständig schriftlich niedergelegt sein. Die <strong>Methode</strong>n sind immer implizit, denn<br />

das Wissen und die Erfahrungen der Beteiligten beeinflussen die Ergebnisse. Ein-<br />

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