Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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09.11.2012 Aufrufe

Archäologische Ausgrabungsmethoden sehe ich also als eingebunden in ein Aktanten-Netzwerk. Sie interagieren mit den ›Ausgrabenden‹, den Geräten, den Funden und Befunden, den Inskriptionen usw. Alle sind am Wissensproduktionsprozess beteiligt und formen somit das Ergebnis. 4. Handlungen Methodenanwendungen sind immer konkrete Handlungen, die von menschlichen Aktanten ausgeführt werden. Handlungen finden immer an konkreten Orten zu spezifischen Zeitpunkten statt. Damit sind auch die Methoden immer zeitlich und räumlich differenziert ausgestaltet. Methoden werden zumeist in konkreten sozialen Strukturen ausgeführt, weshalb sie als soziale Praktiken gesehen werden können. Das zeigt sich deutlich an den archäologischen Ausgrabungsmethoden. Da bei vielen Ausgrabungen die Mitarbeiter gemeinsam am Ausgrabungsort wohnen, entsteht ein spezifisch archäologischer Interaktionsraum, in dem ein Austausch der verschiedenen Erfahrungsbestände, Meinungen und Motivationen der Akteure stattfindet. Auf Grabungen werden nicht nur die konkret angewendeten Methoden diskutiert, sondern immer auch Theorien verhandelt, angewendet und modifiziert. Gleichzeitig kommen dabei auch die Personen selbst ins Spiel, indem Sympathien und Antipathien, Konkurrenzen und Kooperationen den Ablauf einer Grabung entscheidend beeinflussen. Mit diesen Gruppenprozessen unterscheidet sich die Wissensproduktion der Archäologie von jenen Fächern, in denen Forschungen zumeist von Einzelpersonen durchgeführt werden. Da archäologische Wissensproduktion also zumeist in Gruppen stattfindet, möchte ich in Anlehnung an die USamerikanische Pädagogin Jean Lave und den Lernforscher Etienne Wenger von ›Community of Practice‹ sprechen. Unter Community wird dabei keine klar definierte Gruppe mit sichtbaren Grenzen verstanden. Vielmehr beinhaltet sie »participation in an activity system about which participants share understandings concerning what they are doing and what that means in their lives and for their communities«. 15 Sie kann somit als ein soziales Netzwerk gesehen werden. »A Community of Practice is a set of relations among persons, activity, and world, over time and in relation with other tangential and overlapping communities of practice« (Lave/Wenger 1991: 98). 16 Wenger beschreibt den Praxisbegriff nicht nur als bloßes »doing«, sondern als »doing in a historical and social context that gives structure and meaning to what we do«. 17 Deshalb können alle Praktiken als soziale Praktiken gesehen werden. Diese bestehen für ihn sowohl aus Wissen als 15 »Mitwirkung an einem Aktivitätssystem, auf dessen Grundlage die Beteiligten Übereinkünfte darüber entwickeln, wie sie ihre Tätigkeit und deren Bedeutung für sie selbst wie für ihre Gruppierungen interpretieren.« 16 »Eine Community of Practice ist ein Set von Beziehungen zwischen Personen, Handlungen und der Welt, das im Verlauf der Zeit tangentiell und überlappend mit anderen Communities of Practice in Beziehung steht.« 17 »Tätigkeiten erhalten durch den historischen und sozialen Kontext ihre Struktur und Bedeutung.« 280

auch aus Handlung (Wenger 1998: 47). Die Teilnahme jedes Mitgliedes der Community of Practice wird durch die Tätigkeit und Akzeptanz durch Andere konstituiert, und das wird ständig neu ausgehandelt. Eine Person wird zum ›practitioner‹ und somit zum Mitglied in der Community of Practice. Individuelle und kollektive Lernprozesse lassen einen gemeinsamen Wissens- und Erfahrungsbestand entstehen. Intensive Kommunikation, das gemeinsame Interesse und die daraus resultierenden Wissensbestände fördern die Entstehung eines identitätsstiftenden Beziehungsgeflechts, das von den Beteiligten als eine gemeinsame soziale Identität wahrgenommen wird. Auf einer Grabung zu sein, bedeutet zumeist ein enges Zusammenleben mit unbekannten Personen häufig in abgelegenen Gegenden. Nicht nur die Arbeitspraktiken, sondern auch die Alltagspraktiken werden gemeinsam durchgeführt. Die auf der Ausgrabung entstehenden Kontakte werden auch später aufrechterhalten und verstärken die sozialen Verbindungen. Die Gespräche am Abend bilden eine wichtige Plattform zur Entstehung solcher Beziehungen. Sie drehen sich häufig um archäologische Themen. Berufsbiographien werden berichtet und Erfahrungen ausgetauscht, aber auch Arbeitsstellen vermittelt. Sind die Grabungen international besetzt, dann finden die Gespräche nicht nur über Fachgrenzen, sondern auch über die Grenzen sprachlich definierter Gruppierungen hinaus statt. Die Communities of Practice sind also nicht identisch mit der Scientific Community einer archäologischen Disziplin (Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie, Vorderasiatische Archäologie, Ägyptologie, Provinzialrömische Archäologie, Biblische Archäologie) oder einer einzelnen Institution. Die wissenschaftlichen Diskussionen werden über die Arbeitszeit hinaus verlängert und erhalten dadurch mehr Raum zur Aushandlung von Interpretationen. Auch wenn man viele Kollegen niemals wiedertrifft, so entsteht doch eine ›Community of Practice‹, innerhalb derer Konventionen und Traditionen hergestellt und weiterentwickelt werden. Der Archäologe John Carman spricht sogar von einer »particular culture of ›the excavation‹«. Diese drücke sich in Dresscodes oder Verhaltensregeln aus und unterscheide sich von Land zu Land und von Institution zu Institution (Carman 2004: 49). Dabei werden bestimmte Stile und Konventionen entwickelt, wie man sich auf einer Grabung zu verhalten habe. Innerhalb dieser Communities of Practice vollzieht sich eine Vereinheitlichung der Methoden. Im Rahmen sozialer Aushandlungsgemeinschaften, Institutionalisierungs- und Professionszusammenhänge werden Konventionen und Praktiken in stetigen Aushandlungen festgelegt, so dass lokal spezifische Methoden entstehen. Daraus entwickeln sich regionale Ausdifferenzierungen zwischen verschiedenen Communities of Practice. Das führt unter anderem zu unterschiedlichen Grabungs- und Dokumentationsmethoden in den einzelnen archäologischen Disziplinen. Zum Beispiel weisen die Ur- und Frühgeschichte und die Vorderasiatische Archäologie wie oben bereits erwähnt in der Wahl der Grabungsmethode erhebliche Unterschiede auf. Es entstehen auch Unterschiede innerhalb der glei- 281

Archäologische Ausgrabungsmethoden sehe ich also als eingebunden in ein<br />

Aktanten-Netzwerk. Sie interagieren <strong>mit</strong> den ›Ausgrabenden‹, den Geräten, den<br />

Funden und Befunden, den Inskriptionen usw. Alle sind am Wissensproduktionsprozess<br />

beteiligt und formen so<strong>mit</strong> das Ergebnis.<br />

4. Handlungen<br />

<strong>Methode</strong>nanwendungen sind immer konkrete Handlungen, die von menschlichen<br />

Aktanten ausgeführt werden. Handlungen finden immer an konkreten Orten zu<br />

spezifischen Zeitpunkten statt. Da<strong>mit</strong> sind auch die <strong>Methode</strong>n immer zeitlich und<br />

räumlich differenziert ausgestaltet. <strong>Methode</strong>n werden zumeist in konkreten sozialen<br />

Strukturen ausgeführt, weshalb sie als soziale Praktiken gesehen werden können.<br />

Das zeigt sich deutlich an den archäologischen Ausgrabungsmethoden. Da<br />

bei vielen Ausgrabungen die Mitarbeiter gemeinsam am Ausgrabungsort wohnen,<br />

entsteht ein spezifisch archäologischer Interaktionsraum, in dem ein Austausch<br />

der verschiedenen Erfahrungsbestände, Meinungen und Motivationen der Akteure<br />

stattfindet. Auf Grabungen werden nicht nur die konkret angewendeten <strong>Methode</strong>n<br />

diskutiert, sondern immer auch Theorien verhandelt, angewendet und modifiziert.<br />

Gleichzeitig kommen dabei auch die Personen selbst ins Spiel, indem Sympathien<br />

und Antipathien, Konkurrenzen und Kooperationen den Ablauf einer Grabung<br />

entscheidend beeinflussen. Mit diesen Gruppenprozessen unterscheidet sich die<br />

Wissensproduktion der Archäologie von jenen Fächern, in denen Forschungen zumeist<br />

von Einzelpersonen durchgeführt werden. Da archäologische Wissensproduktion<br />

also zumeist in Gruppen stattfindet, möchte ich in Anlehnung an die USamerikanische<br />

Pädagogin Jean Lave und den Lernforscher Etienne Wenger von<br />

›Community of Practice‹ sprechen. Unter Community wird dabei keine klar definierte<br />

Gruppe <strong>mit</strong> sichtbaren Grenzen verstanden. Vielmehr beinhaltet sie »participation<br />

in an activity system about which participants share understandings concerning<br />

what they are doing and what that means in their lives and for their<br />

communities«. 15 Sie kann so<strong>mit</strong> als ein soziales Netzwerk gesehen werden. »A<br />

Community of Practice is a set of relations among persons, activity, and world,<br />

over time and in relation with other tangential and overlapping communities of<br />

practice« (Lave/Wenger 1991: 98). 16 Wenger beschreibt den Praxisbegriff nicht<br />

nur als bloßes »doing«, sondern als »doing in a historical and social context that<br />

gives structure and meaning to what we do«. 17 Deshalb können alle Praktiken als<br />

soziale Praktiken gesehen werden. Diese bestehen für ihn sowohl aus Wissen als<br />

15 »Mitwirkung an einem Aktivitätssystem, auf dessen Grundlage die Beteiligten Übereinkünfte darüber entwickeln,<br />

wie sie ihre Tätigkeit und deren Bedeutung für sie selbst wie für ihre Gruppierungen interpretieren.«<br />

16 »Eine Community of Practice ist ein Set von Beziehungen zwischen Personen, Handlungen und der Welt, das im<br />

Verlauf der Zeit tangentiell und überlappend <strong>mit</strong> anderen Communities of Practice in Beziehung steht.«<br />

17 »Tätigkeiten erhalten durch den historischen und sozialen Kontext ihre Struktur und Bedeutung.«<br />

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